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Seit Jahrhunderten wird in der Philosophie über die Natur der Sprache gestritten. Für die rationalistisch-empiristische Tradition in der Folge von Hobbes, Locke und Condillac ist sie ein Werkzeug, das Menschen erfunden haben, um Informationen auszutauschen. In seinem neuen Buch bekennt sich Charles Taylor zum gegnerischen Lager der Romantik um Hamann, Herder und Humboldt und zeigt, daß der rationalistisch-empiristische Ansatz etwas Entscheidendes übersieht: Sprache beschreibt nicht bloß, sie erschafft Bedeutung, formt alle menschliche Erfahrung und ist integraler Bestandteil unseres individuellen Selbst.

 Taylor geht jedoch noch einen Schritt über das Denken der deutschen Romantik hinaus und entwirft eine umfassende Theorie der Sprache im Sinne des linguistischen Holismus: Sprache ist ein geistiges Phänomen, aber sie kommt auch in künstlerischen Darstellungen, Gesten, Stimmen, Haltungen zum Ausdruck und kennt daher keinen Gegensatz von Körper und Geist. Indem er dieses grundlegende Vermögen des »sprachbegabten Tiers« erhellt, wirft Taylor ein neues Licht darauf, was es heißt, ein Mensch zu sein.

 

 

Charles Taylor, geboren 1929, ist emeritierter Professor für Philosophie und Politische Wissenschaften an der McGill University in Montreal. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u. ‌a. mit dem Kyoto-Preis, dem John W. Kluge-Preis und dem Berggruen-Preis.

 Im Suhrkamp Verlag sind zuletzt erschienen: Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung (stw 1929), Ein säkulares Zeitalter (2009 und 2012), Laizität und Gewissensfreiheit (zus. mit Jocelyn Maclure, 2011) und Die Wiedergewinnung des Realismus (zus. mit Hubert Dreyfus, 2016).

 

 

CHARLES TAYLOR

DAS SPRACHBEGABTE TIER

Grundzüge des menschlichen
Sprachvermögens

Aus dem Englischen von
Joachim Schulte

Suhrkamp

 

 

Titel der Originalausgabe: The Language Animal. The Full Shape of Human Linguistic Capacity

First Edition was originally published in English in 2016 by Harvard University Press.

Erstmals erschienen 2016 bei Harvard University Press.

 

Copyright © 2016 by the President and Fellows of Harvard College

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2017.

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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

Umschlagabbildung: Caspar David Friedrich,

Der Mönch am Meer (1808-1810) Öl auf Leinwand,

© bpk-Bildagentur / Staatliche Museen zu

Berlin, Alte Nationalgalerie / Jörg P. Anders

eISBN 978-3-518-75114-5

www.suhrkamp.de

Inhalt

 

 

Vorwort

Teil I Sprache und Konstitution

 1 Bezeichnungstheorien und Konstitutionstheorien

 2 Wie sich die Sprache entwickelt

 3 Jenseits des Codierens von Informationen

Teil II Vom Deskriptiven zum Konstitutiven

 4 Die Theorie von Hobbes-Locke-Condillac

 5 Die figurative Dimension der Sprache

 6 Konstitution 1: Die Artikulation von Bedeutung

 7 Konstitution 2: Die schöpferische Kraft des Diskurses

Teil III Weitere Anwendungen

 8 Wie Erzählen Bedeutung erschafft

 9 Die Hypothese von Sapir und Whorf

10 Fazit: Die Reichweite des menschlichen Sprachvermögens

 

Namenregister




Für meine Enkelkinder

Francis und Annik
Alba und Simone
Sabah und David

Vorwort

 

 

Das Thema des vorliegenden Buchs ist das menschliche Sprachvermögen, und es geht mir um den Nachweis, daß dieses Vermögen mehr Formen annehmen kann, als man vermuten möchte. Will sagen: Dieses Vermögen umfaßt Fähigkeiten zur Erschaffung von Bedeutungen, die weit über die viel zu oft als zentral aufgefaßte Fähigkeit zur Codierung und Übermittlung von Informationen hinausgehen.

Besonders angeregt haben mich die sprachtheoretischen Ansichten, die in den 1790er Jahren in Deutschland entwickelt wurden, also in jener Zeit und an jenem Ort, an dem das, was wir unter deutscher Romantik verstehen, in Blüte stand. Die wichtigsten Theoretiker, auf die ich mich stütze, sind Hamann, Herder und Humboldt. Dementsprechend nenne ich die Theorie, die ich ihnen entnehme, die HHH-Theorie.

Die Gegentheorie zu dieser Einstellung wurde von den großen Denkern der frühen Neuzeit ausgearbeitet, also von jenen sei's rationalistischen oder empiristischen Philosophen, die außerdem für die erkenntnistheoretischen Gedanken verantwortlich sind, welche aus dem Werk Descartes' hervorgingen, ja, zum Teil in Opposition zu diesem entwickelt wurden. Die frühen Hauptvertreter dieser Tradition, die ich hier anführe, sind Hobbes, Locke und Condillac. Dementsprechend bezeichne ich diese Richtung abkürzend als HLC-Theorie.

Einem Wissenschaftler des zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahrhunderts, der – wie wir alle – unter dem Einfluß von Saussure, Frege und (bis zu einem gewissen Grad) Humboldt steht, kommt diese Theorie unfaßbar unsubtil vor. Doch einige ihrer Grundannahmen leben in der nachfregeschen analytischen Philosophie sowie in manchen Zweigen der Kognitionswissenschaft weiter.

Ein wichtiger Teil dessen, was ich mir in diesem Buch vorgenommen habe, besteht somit darin, die restlichen Bruchstücke des HLC-Erbes dadurch zu widerlegen, daß ich Einsichten der HHH-Theorie weiterentwickle. Das Ergebnis ist hoffentlich eine sehr viel befriedigendere und daher buntere, wenn auch weniger aufgeräumte Theorie über das Wesen des menschlichen Sprachvermögens.

Als ich mich auf dieses Vorhaben einließ, hatte ich eigentlich vor, diese Weiterentwicklung der romantischen Sprachtheorie durch eine Untersuchung bestimmter Stränge der – aus meiner Sicht eng damit zusammenhängenden – nachromantischen Poetik zu ergänzen. Mit der Arbeit an diesem Projekt begann ich in den späten 1980er und den frühen 1990er Jahren, doch angesichts zahlreicher selbstverschuldeter Unterbrechungen ist es mir bisher nur gelungen, den ersten Teil abzuschließen sowie ein paar verstreute Einzelstudien, die dazu beitragen könnten, daß auch der zweite Teil Gestalt annimmt.

Daher habe ich beschlossen, zunächst dieses Buch über das Sprachvermögen zu veröffentlichen und meine Arbeit über die Romantiker fortzusetzen, um den zweiten Teil hoffentlich als Pendant zu der vorliegenden Untersuchung zum Abschluß zu bringen. Hier werde ich von Zeit zu Zeit Hinweise darauf geben, worum es in dieser zweiten Untersuchung gehen dürfte. Allerdings hoffe ich, daß die vorliegende als solche interessant genug ist, um ihr Erscheinen in einem separaten Band zu rechtfertigen.

In hohem Maße profitiert habe ich von Diskussionen mit zahlreichen Wissenschaftlern, vor allem jenen, die dem Kreis um das Centre for Transcultural Studies angehören. Hervorheben möchte ich hier besonders Akeel Bilgrami, Craig Calhoun, Dilip Gaonkar, Sean Kelly, Benjamin Lee und Michael Warner.

Des weiteren geht mein Dank an Muhammad Velji: Als es darum ging, das Manuskript für die Veröffentlichung vorzubereiten, hat er mich großartig unterstützt, indem er auf Lücken hinwies, die unbedingt gefüllt werden mußten, und besonders indem er brauchbare englische Übersetzungen fremdsprachiger Zitate ermittelte oder erstellte – von sonstigen Verbesserungen ganz zu schweigen. Außerdem schulde ich ihm Dank für die Ausarbeitung des Registers.

Teil I
Sprache und Konstitution

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