Erstes Kapitel Bloß nichts anbrennen lassen!

Es war ein herrlicher Morgen. Die Luft war fluffig und weich wie Eischnee, aus dem Gewächshaus im Garten strömte der Duft von Lavendel ins Zimmer. Missi hätte ewig so im Bett liegen können. Mit dem Zwitschern der Buchfinken im Ohr und diesem kribbeligen Sommergefühl in Nase und Bauch.

Wenn nur die blöde Schule nicht wäre. Sie spähte nach dem Wecker. Noch sieben Minuten. Ein Glück! Entspannt schloss Missi die Augen und wollte sich gerade wegträumen. Da stieß etwas Weiches, Warmes an ihren linken Fuß, der unter der Bettdecke hervorlugte.

»Morgen, Basil. Willst du kuscheln?«

Eigentlich hatte Missi jetzt das erfreute Kläffen des Familienhundes erwartet. Stattdessen hörte sie ein lautes »Määh. Meck, meck, meck!«

»Pimpi?« Missi blinzelte. »Oh nein … DU doch nicht. Lass mich in Ruhe, bitte nicht …«

Zu spät.

Pimpinella, die eigensinnige Ziege der Familie Zuckerschwert, schlabberte mit ihrer rauen Zunge über Missis Fuß. Ihre Spezial-Begrüßung. Danach knabberte sie an Missis Zehen und … zog ihr mit den Zähnen schwungvoll die gemütlich warme Federdecke weg.

»Pimpi! Verschwinde«, knurrte Missi, drückte die Ziege zur Seite und sprang aus dem Bett.

Erstaunlich, wie schnell man hellwach sein konnte.

Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie sich die Ziege einen Salatkopf vom Boden schnappte und damit verschwand. Auch das noch! Hatte Pimpi also schon wieder Gemüse geklaut, das für das Gasthaus Zur Linde von Missis Eltern gedacht war. Eilig angelte Missi eine Jeans und ein T-Shirt vom Schreibtischstuhl, schlüpfte hinein und nahm die Verfolgung auf. Die Treppe hinunter, durch den Hausflur und … Missi stutzte … Wieso roch es hier eigentlich so komisch? … Sie überlegte kurz … Hier roch es ganz seltsam nach … Missi raste in die Küche. Ihr Blick fiel auf den Gasherd, die knisternde Flamme, den dampfenden Topf.

»Papa!«, brüllte Missi. »Du hast die Milch vergessen!«

Mit einem Satz war sie am Herd. Mit der rechten Hand schaltete sie das Gas aus, mit der anderen schnappte sie sich erst einen Lappen und dann den Topf mit der Milch. Oder besser dem, was davon übrig geblieben war. Eine eklige braunschwarze Kruste. Missi wuchtete das verkohlte Gefäß in die Spüle und ließ kaltes Wasser darüberlaufen.

Ein Zischen. Ein Brodeln. Nebelschwaden.

Dann war Ruhe.

»Geschafft!« Erschöpft sackte Missi auf einen Küchenstuhl.

»Morgen, Krümel!« Ein großer, schlanker Mann mit Dreitagebart und verstrubbelten Haaren polterte zur Tür herein. Missis Papa. Erstaunt sah er Missi an. »Heute bist du aber früh unten! Habe gerade erst die Milch für deinen Kakao aufgesetzt.«

Hinter ihm trabte Basil, die Französische Dogge mit den lustigen Ohren, eins schwarz, das andere weiß, in die Küche.

Missis Papa schnupperte. »Melissa! Sag mal, hast du mit Streichhölzern gespielt? Wieso riecht es hier so verbrannt?«

Missi wollte gerade antworten, da klopfte jemand ans halb geöffnete Küchenfenster.

»Frau Hütchen!«, stöhnten Missi und ihr Papa gleichzeitig.

Frau Hütchen, eigentlich Frau Schimmelmann, war die Nachbarin der Zuckerschwerts. Eine echte Nervensäge. Lieblingsbeschäftigung: meckern, stören und Klatschzeitschriften lesen. Ihren Spitznamen verdankte sie ihrer Lieblingsbekleidung: schrillen Hüten.

Gähnend schob Missi die Fensterflügel auseinander. »Ja, bitte?«

»Guten Morgen, Melissa. Es duftet nicht wirklich delikat aus eurem Haus. Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen, zu sagen: Es riecht verbrannt«, flötete Frau Schimmelmann. »Sollte ich bei der Feuerwehr anläuten? Oder möchtest du mir etwa mitteilen, dass dein Vater Brennsuppe kreiert hat?« Sie lachte schrill.

»Das war ich, Frau Hüt… äh, Frau Schimmelmann. Ich habe mit Kerzen gespielt. Bitte entschuldigen Sie!« Missi blinzelte treuherzig.

»Nun gut.« Frau Schimmelmann hob den Zeigefinger. »Aber du weißt, Melissa: Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht!«

»Äh …«, Missi verzog das Gesicht, »… so klein bin ich nun auch wieder nicht.«

Frau Hütchen rümpfte ihre Nase. »Wie dem auch sei, mein Kind. Pass ab jetzt besser auf! Einen schönen Tag wünsche ich.«

Eilig schloss Missi das Fenster.

»Du hast also wirklich mit Streichhölzern gespielt!«, stellte ihr Papa fest.

»Natürlich nicht.« Missi verdrehte die Augen. »Es riecht angebrannt, weil du die Milch auf dem Herd vergessen hast.«

»Habe ich das?« Missis Papa kratzte sich am Kinn. »Na ja, kann ja mal passieren. Danke, dass du mich nicht bei Frau Hütchen verpetzt hast.«

»Mal?« Missi lehnte sich zurück, setzte ihre allerwichtigste Miene auf und verschränkte die Arme. »Das ist schon der dritte verkokelte Topf in zwei Wochen.«

Missis Papa hüstelte verlegen. »Ich habe eben viel zu tun.«

»Quatsch mit Soße! Du bist einfach nicht richtig bei der Sache.« Missi kicherte. »Soll ich mal aufzählen? Gestern sind dir die Croissants im Ofen verbrannt. Am Tag davor hast du mein Käsebrötchen aus Versehen in Basils Fressnapf geworfen. Mama konnte dich gerade noch davon abhalten, mir stattdessen sein Hundefutter in die Schulbrotdose zu stecken.« Missi schüttelte sich, ihr Papa machte ein betretenes Gesicht.

»Das kommt davon, dass du ständig tausend Sachen auf einmal machst«, fuhr Missi ungerührt fort. »Echt komisch. Zu mir sagst du immer, ich soll mich auf eine Sache konzentrieren.«

»Gut. Okay. Ich war ein bisschen abgelenkt«, brummte Missis Papa, während er in einer Zeitschrift blätterte.

»Du warst abgelenkt? Du bist schon wieder nicht bei der Sache.« Missi wedelte ihrem Papa mit den Händen vor der Nase herum. »Haaaallloooo, Papa, hier bin ich!«

»Ach, Missi … damit das Restaurant gut läuft, muss ich mich informieren.« Er deutete auf die Fotos in der Zeitschrift. »Sieh dir diesen Thermo-Multikocher an, Missi. Wahnsinn! Mit dem kann man kochen, wiegen und mixen! Oder dieses Gerät hier … genial!« Seine Nase klebte fast am Papier. »Eine Art elektrische Bürste, die Obst und Gemüse aushöhlt. Wie von Geisterhand. Die muss ich haben!«

Missis Papa liebte alle technischen Geräte, die das Kochen erleichterten. Die Küche im Gasthaus Zur Linde war proppenvoll davon. Allerdings hatte die großartige Hightech-Ausstattung noch nicht dazu geführt, dass seine Gerichte auch großartig schmeckten.

»Neulich hast du dir erst den Kamikaze-Messerblock von diesem englischen Superkoch gekauft«, schimpfte Missi. »Hat aber nicht viel gebracht, finde ich.«

»Das Ding ist ein Akazien-Messerblock und …«, Missis Papa kratzte sich am Kinn, »… na ja … Eile mit Weile. Bei manchen Gerichten bin ich eben noch in der Übungsphase.«

Missi seufzte. Genau dafür liebte sie ihren Papa. Kochen war seine Leidenschaft und das eigene Restaurant sein absoluter Traum. Davon ließ er sich nicht abbringen. Ganz egal, wie oft etwas schief‌lief, er versuchte es immer weiter!

Vor einem Jahr hatten die Zuckerschwerts das Gasthaus mit angrenzendem Gewächshaus gekauft. Beide lagen in Spuckweite von ihrem Wohnhaus. Anfangs strömten neugierige Gäste aus der gesamten Gegend um Birkenberg herbei. Aber inzwischen konnte von strömen keine Rede mehr sein. Die Gäste tröpfelten nur noch ins Restaurant. Wenn überhaupt! Das lag wohl daran, dass die Kochideen von Missis Papa manchmal einfach zu verrückt waren. Außerdem ging bei der Arbeit ständig etwas schief, und er würzte entweder zu wenig oder zu viel, weshalb die Gericht häufig recht ungewöhnlich oder viel zu kräftig schmeckten.

»’tschuldige, dass die Milch angebrannt ist. Soll ich neue aufsetzen?«, fragte Missis Papa. »Muss nebenbei nur das Auto ausräumen. Mama und ich waren schon auf dem Großmarkt.«

»Bloß nicht! Ein verkohlter Topf am Tag reicht.« Missi winkte ab. »Kannst du eigentlich auch mal was nicht nebenbei machen? Dich mit mir unterhalten – zum Beispiel?«

»Klar. Gleich. Später. Mal sehen.« Er kratzte sich am Kopf.

»Die angebrannte Milch ist übrigens nicht die einzige Katastrophe heute. Pimpi hat sich über den kompletten Kopfsalat hergemacht. Ich wollte das Grünzeug noch retten, aber dann musste ich ja Feuerwehr spielen.«

»Oje, das war’s dann wohl mit der Beilage auf unserer Speisekarte!« Energisch drängte sich Jill Zuckerschwert an ihrem Mann vorbei, der auf dem Weg nach draußen war. Im Arm trug Missis Mama einen mächtigen Blumenbund, neue Dekoration für das Restaurant. »Hallo, Missi. Gut geschlafen? Hier ist ja ganz schön was los!«

»Allerdings!«, stimmte Missi zu. »Dabei hatte ich heute Morgen so ein wohliges Kribbeln im Bauch. Als würde etwas passieren. Etwas Magisches, Wunderbares. An so was wie verkokelte Milch oder grünen Salat im dicken Ziegenbauch habe ich dabei eigentlich nicht gedacht.«

Kurzerhand parkte ihre Mama die Blumen in einem leeren Suppentopf und umarmte die Tochter zärtlich. »Kopf hoch, Missi. Kann alles noch kommen. Wart’s ab.«

»Na, da bin ich aber gespannt!«

Missis Mama hob mahnend den Zeigefinger. »Jetzt iss mal was. Du bist dürr wie ein Spargel!«

»Das sagen die Jungs in der Schule auch immer.« Missi schmierte sich fingerdick Marmelade aufs Brot und biss hinein. Nebenbei kramte sie ein Blatt Papier und einen Bleistift aus ihrem Schulranzen und legte beides vor sich auf den Esstisch. »Mama? Kannst du mir helfen? Für den Kochwettbewerb, den wir mit unserer Klasse veranstalten, sollen wir heute etwas Einfaches ausprobieren. Wir wählen doch bald unseren Kochkönig, und Papa hat vorgeschlagen, dass ich Pfannkuchen machen könnte.« Sie starrte auf den leeren Zettel. »Eigentlich weiß ich, wie es geht. Das habe ich ja schon oft mit Papa gekocht. Aber kannst du mir vielleicht noch mal sagen, was genau ich dafür brauche?« Sie sah ihre Mama fragend an.

»Pfannkuchen ist ein guter Vorschlag. Hmmm … da bekomme ich richtig Appetit!« Missis Mama rieb sich den Bauch. »Aber du weißt doch: Beim Kochen bin ich eine totale Niete! Da musst du Papa fragen, er ist der Chefkoch.« Sie hauchte der Tochter einen Handkuss zu. »Bis später, Missi. Tut mir leid, aber ich muss unbedingt das Restaurant vorbereiten. Papa kommt gleich, er holt gerade frische Kräuter und Gewürze aus dem Auto. Stell dir vor, in unserem Gewächshaus ist schon wieder alles eingegangen. Rosmarin, Thymian, sogar die neue Zitronenminze. Ich verstehe das einfach nicht.« Stirnrunzelnd verschwand sie.

Plötzlich erfüllte ein neuer Duft die Küche. Missi schnupperte. Diesmal roch es zum Glück nicht verbrannt, sondern … irgendwie leicht süßlich.

»Schau mal, Missi, ich muss dir etwas ganz Feines zeigen.«

Ihr Papa rumpelte zum zweiten Mal schwer beladen in die Küche.

»Du hast nicht schon wieder irgendein Gerät gekauft, oder?«

Missi stöhnte.

»Also bitte! Ich bin ein Spitzenkoch. Wenn ich will, kann ich auch ganz ohne Technik arbeiten. Mit purer Natur!« Ihr Papa hob eine Kiste mit kleinen knallroten Früchten auf den Tisch. Wie Mini-Paprika sahen sie aus, fand Missi. Echt niedlich.

»Frisch vom Großmarkt. Red Savina Habanero«, säuselte er. »Die Frucht ist bekannt für ihr süßes Aroma, das ein wenig an Pfirsich erinnert.«

»Das soll eine Frucht sein?« Missi staunte.

»Allerdings! Gibt jeder Speise das besondere Etwas. Ich habe sie extra bestellt. Damit kann man …«

Red Savina Habanero ist eine Chilisorte. Und zwar nicht irgendeine, sondern eine der schärfsten der Welt!

Tatsächlich schmeckt sie auch köstlich fruchtig und süß, vor allem aber höllisch scharf! Botanisch gesehen sind Chilis Beerenfrüchte, auch wenn immer von Schoten die Rede ist. Chilis sind sehr gesund. Man verwendet sie sparsam, um ein Essen aufzupeppen und angenehm scharf zu würzen.

»Papa! Dafür habe ich jetzt echt keine Zeit. Ich brauche die Zutaten für Pfannkuchen. Schnell! Theo kommt gleich. Wir müssen in die Schule!«

»Stimmt, das wolltest du ja heute in der Koch-AG machen.« Wie hypnotisiert starrte Missis Papa auf die Kiste.

»Mensch, jetzt konzentrier dich doch mal auf das Rezept, Papa! Immerhin war es deine Idee, dass ich beim Kochwettbewerb mitmache.«

»Bin gleich ganz bei dir, Krümel. Einen Moment noch.«

Missi runzelte die Stirn und sah zu, wie ihr Vater eine winzige Frucht aus der Kiste nahm. Er lief damit zur Arbeitsplatte, zog Einweghandschuhe an, wie er sie meistens beim Schneiden von frischem Gemüse oder Obst trug. Fachmännisch ritzte er die rote Frucht auf, entfernte das Innere wie bei einer Paprika und trennte sie in zwei Hälften. Danach schnitt er jede Hälfte in feine Stückchen, brauste sie unterm Wasserhahn ab und füllte sie in eine kleine Plastikdose.

»Perfekt. Eine wunderbar gereifte Frucht«, murmelte er, während er die Handschuhe abstreifte und sich die Hände wusch. »Das wird ein Festessen. Was denkst du, Missi?«

Missi dachte gar nichts. Zumindest nicht, was Papas Einkäufe oder Pläne betraf. Ihre Gedanken kreisten um das Rezept. Und um die Schule. Und darum, dass sie auf keinen Fall zu spät kommen wollte. Viel Zeit war nicht mehr. Herr Hoppenlau, ihr Klassenlehrer, konnte ziemlich sauer werden, wenn man zu spät kam. Und wo blieb nur Theo? Missi sah auf ihre Armbanduhr. Zwanzig nach sieben! Normalerweise stand ihr Freund um diese Zeit längst vor der Tür und holte sie ab, spätestens um halb acht mussten sie los.

Merkwürdig.

»Können wir endlich?«, brummte Missi.

»Alles klar!« Ihr Papa stellte die kleine Plastikdose auf den Tisch, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Wie willst du die Pfannkuchen zubereiten? Süß oder salzig?«

Missi überlegte kurz. Dachte an ihre Schulkameraden, von denen die meisten am liebsten Schokolade naschten, und an ihren Lehrer Herrn Hoppenlau, der statt Pausenbrot immer ein Stück Kuchen dabeihatte.

»Süß!«, rief Missi entschlossen.

Wie im Schlaf ratterte Missis Papa die Zutaten herunter: »400 g Mehl, 750 ml fettarme Milch, 3 große Eier und …«

»Moment …«, Missi beeilte sich mit dem Schreiben, »… okay, fertig. Weiter!«

»… eine Prise Salz, 1 Glas Mineralwasser, damit der Teig schön fluffig wird, und …«, ihr Papa klopfte verträumt auf die kleine Plastikdose, »… und mein rotes Früchtchen.«

»In den Teig für Pfannkuchen? Das Paprika-Dings?« Missi hob den Kopf. Redete ihr Papa eigentlich noch mit ihr, oder dachte er nach? »Bist du sicher?«, fragte sie deshalb vorsichtshalber.

Ihr Papa nickte geistesabwesend. »Unbedingt. Ich habe das Rezept genau im Kopf. Das wird fein!«

Missi zuckte mit den Schultern. Also gut. Papa kannte sich aus. Er war der Koch!

»Was wird fein?« Theo, Missis bester Freund, stand plötzlich im Türrahmen. Die Hände – wie immer – in den ausgebeulten Hosentaschen.

»Mein Vater hat mir gerade ein Rezept für den Kochwettbewerb mitgegeben.« Missi blinzelte Theo überrascht an. »Wieso kommst du eigentlich so spät? Na, egal. Wir müssen los, oder? Wünsch mir Glück, Papa!«

»Wie bitte?« Hannes Zuckerschwert stand energisch auf. »Ach so, das Wettkochen. Ja, klar. Viel Erfolg, Missi.« Er reckte den gestreckten Daumen in die Luft. »Ich mache mich mal wieder an die Arbeit. Bis später.« Und schon war er verschwunden.

Missi füllte ein Glas Mineralwasser in ihre Trinkflasche. Sie fischte den Schulranzen unter dem Tisch hervor, stopfte den Zettel, den Stift, eine kleine Box mit Zahnstochern und Papas Plastikdose hinein.

Hätte Missi in diesem Moment geahnt, was für eine unglaubliche Wirkung das Spezialrezept ihres Papas haben würde, sie hätte sich schnell wieder unter ihrer Bettdecke vergraben.

Zweites Kapitel Eine echt scharfe Idee

Warm schien die Sonne auf die Gesichter von Missi und Theo, als sie aus der Tür traten. Basil war ihnen wie gewohnt dicht auf den Fersen. Bei Schnee und Wind, Regen und Sonnenschein begleitete er die beiden zuverlässig bis zur Schule. Der Wind duftete nach frisch gemähtem Gras. Dicke Hummeln trudelten durch die Luft, und am Himmel zog ein Schwarm Schwalben vorüber, aufgereiht wie die Perlen an einer Schnur.

»Guten Morgen, Sommertag! Was bringst du mir heute?« Pfeifend hüpfte Missi die Treppenstufen hinunter. Irgendetwas lag in der Luft, das spürte sie. Etwas ganz und gar Ungewöhnliches. Etwas Wunderbares. In ihrem Bauch kribbelte es wie beim Aufstehen am frühen Morgen.

»Wenn ich Glück habe, komme ich heute schon in die Endausscheidung des Kochwettbewerbs. Stell dir doch mal vor, Theo: Erst waren wir zehn aus der Klasse, die gekocht haben. Jetzt sind wir noch fünf, aber heute fliegen wieder drei raus.« Missi biss sich auf die Unterlippe. »Oh Mann, ich würde zu gern Koch-Königin in unserer Klasse werden. Dem doofen Bastian gönne ich es auf keinen Fall!«

Eigentlich war es sonst gar nicht Missis Art, auf andere neidisch zu sein. Aber Bastian hatte sie immer wieder damit aufgezogen, dass sie bestimmt gar nicht richtig kochen konnte. Und jetzt würde sie es ihm zeigen. Das Rezept samt der besonderen Zutat steckte in ihrem Ranzen. Sie hatte alles mit ihrem Papa genau durchgesprochen. Bisher waren die meisten Klassenkameraden und auch ihr Klassenlehrer von ihren Kochkünsten begeistert. Was konnte also jetzt noch schiefgehen?

Vom Wohnhaus der Zuckerschwerts führte ein Trampelpfad zunächst am Gasthaus Zur Linde mit dem angrenzenden Gewächshaus vorbei. Danach verlief der Weg durch wogende Felder und duftende Obstbaumwiesen. Vergnügt jagte Basil ein paar Bienen nach, Missi trabte lachend hinterher. Vor Aufregung bemerkte sie nicht, dass Theo betont langsam folgte.

»Bestimmt hat der blöde Bastian wieder ein totales Superrezept von seinem Vater, mit dem er angeben kann«, überlegte Missi.

Wie zur Bestätigung kläffte Basil laut.

Missi lachte. »Ich meine doch nicht dich, sondern Theo.« Sie sah dem Freund direkt in die Augen. »Hallooo? Hörst du mir überhaupt zu? Ich habe gerade von Bastian gesprochen und gesagt, dass der Typ ganz schön nervt. Stimmt doch, oder?«

»Hmmm«, brummte Theo gedehnt.

Missi wunderte sich. Normalerweise war Theo derjenige, der die Gespräche führte.

»Ja, sag ruhig mal nix. Ich mag dich auch so!« Missi grinste breit.

»War das ein Kompliment?«, brummte Theo.

»Vergiss es«, trällerte Missi. »Reine Feststellung.«

Eigentlich waren Missi und Theo wie Feuer und Wasser. Zurückhaltend, klein und dünn wie ein Streichholz die eine, drahtig, cool und lässig der andere. Auch in Sachen Klamotten unterschieden sie sich völlig. Missi liebte bunte T-Shirts und ihre alte Jeans mit den aufgenähten Blumen. Damit verdeckte sie die vielen Löcher, die sie sich beim Klettern, Radfahren und Toben holte. Theo trug immer die neuesten Klamotten, die seine Mutter für ihn kaufte. Pure Verschwendung! Theos ordentliche Kleider sahen nach genau einem Tag komplett unordentlich aus. Theo war das egal. Ihm war nur wichtig, dass die Pullis und Hosen genug Taschen hatten. Er war 'nämlich leidenschaftlicher Steinesammler. Seine Schätze türmte er zu unglaublichen Figuren auf, seit er das bei einem Urlaub an der Ostsee gesehen hatte.

»Missi? Willste mal sehen? Hab gestern einen neuen gefunden.« Theo fummelte einen flachen Stein aus der Hosentasche. »Jetzt kann ich meine Figur fertig bauen.«

»Sieht gut aus!« Missi nahm den Stein und befühlte ihn vorsichtig. Flach und glatt war er, von der Hosentasche leicht angewärmt. Ein echter Theo-Stein.

Schweigsam setzten beide ihren Weg fort. Missi war froh, dass sie mit dem Freund auch still bleiben konnte. Obwohl es ihm zunächst schwergefallen war, ging es Theo inzwischen genauso. Sie mussten nicht reden. Sie wussten auch so, dass sie Freunde waren.

»Ab nach Hause, Basil. Bis heute Mittag!«

Missi gab dem Hund einen Klaps auf den breiten Hundepo und sah ihm nach. Artig tat der Familienhund so, als würde er gehorchen. Allerdings nur, bis Missi sich wieder umgedreht hatte. Sofort wirbelte Basil los und raste hinterher. Erst nach einer Weile spähte Missi über ihre Schulter.

»Basil, du alter Stinker. Jeden Tag das gleiche Spiel. Du meinst wohl, ich merke nicht, dass du uns folgst. AB. NACH. HAUSE

»Wuff!«

Die Dogge setzte ihr Beleidigte-Leberwurst-Gesicht auf. Nützte aber nichts. Missi hob nur den Zeigefinger und deutete auf den Nachhauseweg. Wieder preschte Basil los. Bis zu einem Busch am Wegrand. Kaum hatte Missi ihm den Rücken zugedreht, wosch! – jagte Basil ihr wieder hinterher.

Vier Mal ging das so, bis Missi abrupt stehen blieb.

»Basil! Wenn du nicht willst, dass Papa heute Mittag Hackfleisch aus dir macht, dann verschwinde jetzt!«

Hackfleisch! Das war das Zauberwort. Basil jaulte kurz auf und düste im Hundegalopp nach Hause. Es war auch längst Zeit für ihn, sich zu trollen. Missi und Theo waren kurz vor dem Ziel, und auf dem Schulhof waren alle Vierbeiner streng verboten. Während Theo dem Hund noch einen Moment nachblickte, bog Missi schon auf den Schulhof ein.

»Na, Bohnenstange«, brüllte Bastian, als er sie entdeckte.

Carlos, der auch in ihre Klasse ging, stand feixend daneben. »Gab’s bei euch wieder nichts Ordentliches zu essen? Wie viele waren denn diesmal im Lokal von deinen Eltern?«

»Lass mich raten.« Bastian hob theatralisch den Zeigefinger ans Kinn. »Ein Gast? Zwei Gäste?«

Die Schüler auf dem Hof bogen sich vor Lachen. Als Theo jedoch auftauchte und kurz die Faust ballte, waren sie sofort ruhig. Allen voran Basti und Carlos. Eilig verschwanden sie im Schulhaus. Vorher streckten sie Missi aber noch die Zunge raus.

»Mach dir nichts draus.« Theo straffte die Schultern. »Ich sag mal so … beim Kochwettbewerb haust du die locker weg!«

Missi sah den Freund dankbar an.

Möglicherweise hätten sich die beiden nie angefreundet, wenn nicht vor ziemlich genau einem Jahr diese eine Sache passiert wäre. Die Sache, die sie für immer zusammengeschweißt hatte: Eines Morgens war Missi mal wieder von Bastian und Carlos gehänselt worden. Ständig lauerten sie Missi auf dem Schulweg auf, lachten sie wegen ihres Fliegengewichts aus und lästerten über die mangelnde Kochkunst von Missis Papa.

Besonders Basti riskierte immer eine große Lippe. Sein Vater war Bäcker im Ort und hielt sich für einen Feinschmecker.

Sein Sohn schien das Gleiche von sich zu denken.

An diesem Tag hatten die beiden Jungen Missi zwischen sich hin- und hergeschubst, sie in den Schwitzkasten genommen und ihren Schulranzen ins nächste Feld gekickt. Bis Theo aufgetaucht war. Nie im Leben hätte Missi gedacht, dass in dem Kerl so viel Kraft und Wut stecken könnte. Damals wusste sie noch nicht, dass Theo richtig gut im Boxen und Judo war. Zuerst blaffte er die beiden Jungs aus vollem Hals an.

»Lasst Missi in Ruhe, ihr Spatzenhirne!«

Als das nichts half, untermauerte er seine Ansage mit zwei gekonnten Judogriffen.

Flatsch!, lag Carlos auf dem Boden.

Klatsch!