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Table of Contents

Titel

Impressum

Vorwort

Wandern auf Hiddensee

Dann begebe ich mich ins "Haus am Hügel.“

1. April 1996

2. April 1996

4. April 1996

Wanderung von Havelberg nach Rheinsberg

Jetzt beginnt die Wanderung!

10. August 1996

11. August 1996

12. August 1996

Wanderung vom Oderbruch zur Märkischen Schweiz

24. Juni 1997

25. Juni 1997

Wanderung in der Saale-Unstrut Region

Die letzten beiden Jahre...

26. September 2000

Das Lied von der Glocke

Wanderung von Grünau nach Zernsdorf

Planung

9.August 2001

Wanderung von Märkisch Buchholz nach Dolgenbrodt

Sonntag, 26. Mai 2002

Dienstag, 28. Mai 2002

Mittwoch, 29. Mai 2002

Wanderung 2003 von Templin nach Fürstenberg

12. Mai 2003 18,6 km

13. Mai 2003 22,8 km

14. Mai 2003, 22,6 km

15. Mai 2003, 26,5 km

Wanderung rund um Rügen

Wanderung von Bautzen nach Görlitz

Das Essen in der Gastschänke „Zum Haseneck“

09. Mai 2005, 19,8 km

10. Mai 2005, 26,6 km

14. Mai 2005, 4,3 km

Wanderung in der Schorfheide

Planung

17. Mai 2006, 25,2 km

Wanderung im Elbsandsteingebirge

03. Mai 2007, Bad Schandau – Prebischtor – Krippen, 19,6 km

Wanderung von Mirow nach Schloss Kittendorf

20. September 2008

21. September 2008, 26,8 km

Wanderung durch das Peenetal

16. September 2009, Malchin – Verchen, 29,4 km

17. September 2009, Verchen – Loitz, 22,6 km

Wanderung auf dem Oder-Neiße-Radweg von Guben bis Stolpe

1. Mai 2011

2. Mai 2011, Eisenhüttenstadt, 21,3 km

3. Mai 2011 Aurith, 22,1 km

4. Mai 2011, Reitwein, 27,7 km

7. Mai 2011, Neulewin, 20,2 km

Wanderung durch das Zschopautal

3. Juli 2012, 18,3 km

5. Juli 2012, 15,5 km

7. Juli 2012, 17,2 km

Wanderung von Stolpe/Oder bis Stolpe/Usedom

27. August 2015, 20,3 km

Wanderung in der Oberlausitz

23. Juli 2016

SCHLUSSWORT

 

 

 

Werner Janowski

Joel Edos

 

 

 

 

Die schönsten

Wochen-Wanderrouten

Deutschlands

 

 

Der besondere Wanderführer

 

 

 

 

DeBehr

 

 

 

 

 

 

 

Copyright by Werner Janowski und Joel Edos

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2017

ISBN: 9783957533968

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by © Thomas Söllner, © Rico K., © Jenny Sturm

 

022 (2)

Vorwort

Ich bin 1996 durch die Lektüre "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" von Theodor Fontane zum Wandern angeregt worden, und seit dieser Zeit gehe ich jedes Jahr eine Woche auf die Walz. Inzwischen habe ich siebzehn wunderschöne Regionen in Ostdeutschland kennengelernt und in diesem Buch zusammengestellt.

Ich wünsche mir, dass Du, liebe Leserin, verehrter Leser, ebenso wie ich seinerzeit, neugierig wirst und den heimlichen Gedanken – das möchte ich auch erleben –, in die Tat umsetzt.

Und nun wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen der Wanderberichte.

 

Wandern auf Hiddensee

 

Scano

 

Hiddensee Mai 10 135

 

31. März 1996, das Abenteuer beginnt.

Abfahrt ist um 7.21 Uhr in Hamm mit dem ICE 641 bis Hannover, wo wir um 8.40 Uhr, also drei Minuten später, ankommen. Die Weiterfahrt soll um 9.10 Uhr von Gleis 7 sein.

Der ICE 778 nach Hamburg ist auf Gleis 7 angezeigt, die Reisenden nach Hamburg warten. Es ist 9.06, 9.07, 9.08, da ertönt eine Durchsage: "Der ICE 778 aus Karlsruhe, Weiterfahrt nach Hamburg, hat Einfahrt auf Gleis 10.“

Auf diesem Gleis kam der Zug aus Hamm in Hannover an. Mist!

Jetzt Reisetasche geschultert, Treppe runter, zum Gleis 10, die Treppe wieder hinauf. Keuchend, nass geschwitzt, verfluche ich die "Deutsche Bundesbahn", nein, die heißt ja jetzt "Deutsche Bahn" und warte auf den schnellsten deutschen Reisezug.

Fünf Minuten Verspätung hat er in Hannover. Zum Glück nur fünf Minuten, in Hamburg kann es nämlich knapp werden, da für den Anschlusszug nur acht Minuten Zeit bleiben. Ob die Verspätung wieder aufgeholt würde, weiß der Zugbegleiter nicht, aber die Anschlusszüge warten in der Regel zehn Minuten.

Ich bin gespannt.

Durchsage um 10.03 Uhr: "Ankunft in Hamburg Hauptbahnhof um 10.28 Uhr, Weiterfahrt nach Binz um 10.30 Uhr auf Gleis 7. Bitte die Durchsage am Bahnsteig beachten!"

Der Anschluss klappt und ich sitze nun im Zug nach Bergen auf Rügen.

13.17 Uhr, soeben verlassen wir Rostock. Ich bin in einer hin- und hergerissenen Stimmung.

Die Eindrücke sind überwältigend. Kurz hinter Rostock Kindheitserinnerungen. Ta-Tack, Ta-Tack, Ta-Tack, Bahngeleise und Zuggeräusche wie früher, überhaupt ist die Bahnfahrt ein Erlebnis.

Auf den Bahnhöfen nimmt man sich Zeit, Aufenthalte von zehn, fünfzehn oder gar zwanzig Minuten bestimmen den Ablauf. Ach, wenn das doch so bliebe, Zugverspätungen wären dann die Ausnahme.

Auf der Strecke sehr viele Rehe. Bis jetzt habe ich sicherlich fünfzig dieser Tiere gesehen.

Die Häuser an der Strecke, teils in ihrem bisherigen Zustand, teils – ich schätze zehn Prozent – neu gebaut oder erneuert. Es ist beeindruckend.

Die mecklenburgische Kiefernregion liegt schon weit zurück. Der Zug nähert sich der Hansestadt Stralsund.

Das sonnige Hamburg ist vergessen, die Landschaft ist in ein schmutziges Grau getaucht. Schneeflecken unterbrechen das triste Einerlei. Buchen und Birken haben die Kiefern abgelöst. Auf den weiten Feldern immer wieder Rehe. Jetzt gesellen sich allerdings Schwäne und Fischreiher hinzu. Und was besonders beeindruckend ins Auge fällt: uralte, knorrige Bäume.

Ein Straßenschild, rechts an der Bahnlinie, zeigt mir gerade, dass es noch elf Kilometer bis Stralsund sind. Es ist erstaunlich, die Zeit ist wie im Fluge vergangen.

Neun Windräder rechts, drei dieser Stromerzeuger zur Linken, wir fahren in Stralsund ein.

Kirchtürme zur Linken, deren vier und rechts drei. Jetzt auch links die Ostsee, vereist, die Fahrrinne ist frei.

Jetzt fährt der Interregio über den Damm, Rügen ist erreicht.

Die Silhouette von Stralsund – ein Fuchs in meinem Blickfeld – im Hintergrund verschwindend und um die Freude vollständig zu machen, taucht die Sonne aus den Wolken hervor. Ich vergesse, meine Sachen zu packen, so fasziniert und beeindruckt bin ich, aber jetzt muss es schnell gehen, denn in wenigen Minuten ist Bergen auf Rügen erreicht.

Ein Taxifahrer will mich für DM 50,-- zum Hafen nach Schaprode fahren. "Überlegen Sie", sagt er, "ein Bus fährt heute nicht mehr. Das Hotel in Schaprode oder hier in Bergen kostet DM 70,-- bis 80,--. Ihre Unterkunft auf Hiddensee ist bezahlt, also ist mein Taxi doch günstig. Er hat mich überzeugt.

15.40 Uhr, ich sitze auf der Fähre nach Hiddensee. Mir schräg gegenüber sitzt ein junges Paar.

Er: "Was trinkst Du?" Sie: "Wie immer, Sekt!"

Erinnerungen werden geweckt. Glücklicherweise geht es jetzt los, sodass keine Zeit für wehmütige Gedanken bleibt.

Eisbrocken schwimmen in der Fahrrinne. Die Fahrzeit beträgt ungefähr eine dreiviertel Stunde. Ich genehmige mir ein Bier.

Auf Hiddensee angekommen wird die Tasche umgehängt, der Rucksack geschultert und los geht’s.

Au weia, das schwere Zeug soll ich zwei Kilometer schleppen?

Doch was höre ich da? Ich glaube es kaum, ein Autobus, zwar im Kleinformat, aber ein Autobus. Ich winke, der Bus hält, ich steige ein. "Hier ist aber keine Haltestelle", sagt der Busfahrer, nimmt mich aber trotzdem für DM 2,-- mit.

Im Hotel "Haus am Hügel" komme ich um 16.50 Uhr an. Es ist alles verschlossen, weil erst ab 17.00 Uhr geöffnet wird.

Ich stelle also Tasche und Rucksack vor die Tür und beabsichtige, erste Erkundungen zu machen. Da kommt ein Typ in Jeans, Pullover, Mitte dreißig, guckt, guckt mich an, dann nimmt er Tasche und Rucksack, überlegt eine Weile, schließlich fragt er: "Haben Sie ein Zimmer bestellt?“

"Ja!"

Da marschiert er mit meiner Tasche los. Keine Aufforderung mitzukommen, kein Warten, weg ist er.

Im Flur zum Gastraum Fischgeruch, im Flur zu den Hotelzimmern Fischgeruch, Fisch, Fisch, Fisch.

Ich bekomme Zimmer 4. Da geht die Haustür auf und ein weibliches Wesen kommt herein.

"Wer sind Sie denn?"

"Ich bin Herr Janowski!"

Sie schaut, wie vorher der Jeansboy, in den Belegungsplan.

"Zimmer drei und schon ist sie aus der Tür, nimmt meinen Rucksack, die Tasche ist ja bereits unterwegs und geht die Treppe hinauf. Ich hinterher. Auf halber Treppe wage ich zu sagen: "Sie äußerten am Telefon, ich bekäme ein Zimmer im Inselidyll."

Sie bleibt stehen. "Möchten Sie Dusche und WC auf dem Zimmer?" Ich bejahe die Frage. Kehrtwendung, Treppe runter, rein in den Gastraum.

"Der Herr möchte ein Zimmer mit Dusche und WC."

Er zu ihr: "Zimmer 3?"

Sie zu mir: "Ja, aber wir haben da ein Problem. Das Zimmer können Sie nur bis Freitag haben, Samstag dann hier im Haus."

Ich: "Ja, gut, vielleicht reise ich dann Freitag schon ab."

"Wenn Sie sich bis Mittwoch entscheiden, reicht es. Mittwoch beim Frühstück. Ich hole jetzt das Wägelchen, für das Gepäck."

Er will mir inzwischen den Weg zum "Inselidyll" beschreiben und holt eine Ansichtskarte von der Pension.

"Das ist die Pension. Ach," sagt er zu der Hereinkommenden, "du kannst ja oben rum gehen, dann brauche ich den Weg nicht zu beschreiben." Gesagt, getan.

Sie nimmt das Wägelchen. Dummerweise biete ich mich an, die Karre zu schieben, falls es ihr zu schwer ist. Schwupp habe ich die Wagenstange in der Hand und kann zusehen, wie ich mein Gepäck zu meinem Domizil bekomme, denn zufällig kreuzt ein Einheimischer unseren Weg.

"Hallo, wie geht's? Was machen die Pferde? Sie gehen jetzt weiter geradeaus. Dort oben, wo die Laterne steht, das Haus mit den blauen Fenstern, das ist es. Zimmer drei, links, die beiden Fenster unten."

Ich marschiere los. Die Pension zu finden, ist bei der ausführlichen Beschreibung kein Problem, Zimmer drei ist aber rechts. Es gefällt mir.

Die Tasche ist schnell ausgepackt, das Gesicht gewaschen, die Schuhe gewechselt und auf geht es zum ersten Erkundungsgang Richtung Leuchtturm.

Es ist zwar kalt, aber die Sonne scheint und ich mache die ersten Schnappschüsse mit dem Fotoapparat.

 

Reh

Und was steht in einer Entfernung von fünfundzwanzig

Metern und will auf den Film gebannt werden?

Ein Reh, sogar ein Rehbock. Ich erkenne ihn am Gehörn.

 

Dann begebe ich mich ins "Haus am Hügel.“

Abendessen, was wird empfohlen, natürlich Fisch, Dorsch. Ich bestelle ihn und bin zufrieden. Der Essraum, ungefähr sechzig Plätze, ist leer, ausgenommen acht Personen. Da geht die Tür auf und drei junge Burschen kommen herein. Jeans, mit weißer Farbe vollgeschmiert, aber sonst in Ordnung.

"Wir möchten essen, es kommen aber noch zehn Leute.“

Nach dem Dialekt sind es Berliner. Sie gehen an den Zeitungsständer, nehmen die umfangreichste Zeitung heraus und jeder bekommt ein Blatt.

Ich frage mich, was das soll und erfahre es umgehend. Jeder legt das Blatt auf seinen Stuhl. Warum? Ordentliche, junge Leute, die nichts mit der weißen Farbe beschmutzen wollen, so einfach geht’s.

Dann die Bestellung, zwei Kristallklare, drei große Bier, eine Cola.

Ein junges Mädchen – inzwischen sind die Nachzügler eingetroffen: "Ich möchte bitte einen Rotwein, aber ’nen guten, sauren!"

Der Jeansboy: "Soll er teuer sein?"

Sie: "Nee, aber gut!"

Er: "Also nördlich von Italien, der ist gut! Wenn er nicht schmeckt, bezahle ich ihn."

Inzwischen ist es nach 22.00 Uhr, oh, ich habe meine Uhr noch nicht umgestellt, also nach 23.00 Uhr. Ich glaube, ich habe sechs Bier getrunken, die nötige Bettschwere ist erreicht.

Ein schöner Tag geht zu Ende.

Gute Nacht!

 

1. April 1996

 

leuchtturm

 

8.10 Uhr, Frühstück, alles was recht ist, das Büfett ist tadellos.

Saft, sieben verschiedene Fleisch- und Wurstsorten, eine Käseplatte, Marmelade, Honig, Joghurt, Obst, Tee und Kaffee.          

Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es los. Ich nehme mir für heute die nähere Umgebung vor, also Hucke, Leuchtturm, Dornbusch, Grieben und Enddorn. Von hier aus geht es dann wieder nach Kloster.

Leider beginnt die Tour und damit der Tag schlecht.

Kraniche ziehen gerade über mir gen Norden. Ich fotografiere sie und will den Film wechseln, dabei passiert das Missgeschick. Der Film reißt, ich bekomme ihn nicht mehr aus der Kamera. Ich überlege und erinnere mich, wie im Fachgeschäft in einer solchen Situation vorgegangen wurde.

Ich versuche es mit Hilfsmitteln, als da sind Rucksack, Regenumhang, Müllsack, und Anorak. Obwohl ich alles über den Kopf gezogen habe, selbstverständlich mit Ausnahme des Rucksacks, befürchte ich, dass es noch immer zu hell ist. Also beende ich das Unterfangen und wandere am Strand entlang, Richtung Leuchtturm. Die nächste Möglichkeit, die Steilküste hochzukommen, nehme ich wahr. Das nächste Problem, von den etwa zweihundert Stufen sind ungefähr ein Drittel kaputt, kurz, sie sind nicht mehr vorhanden. Das wäre zu verkraften, wenn es nicht immer zwischen sieben und zehn Stufen hintereinander wären. Nun, klettern konnte ich schon immer gut. Das Geländer ist vorhanden, auch Sicherheit verheißend, die Halter für die ehemaligen Holzstufen sind angeschweißt, was bleibt mir also anderes übrig, als darauf hochzukraxeln. Es ist zwar mühsam, aber es gelingt und schließlich lande ich beim Klausener. Wie könnte es aber anders sein, heute hat die Gastwirtschaft geschlossen. Dafür entschädigt aber der Blick zum Leuchtturm und zur Ostsee.                                 

         

                    

Hiddensee Mai 10 045

 

Wenn ich schon hier bin, bis zur Pension ist es nicht mehr weit, irgendwie muss ja der Film aus dem Fotoapparat; was liegt also näher, als diesen Weg einzuschlagen.

Unterwegs überlege ich, wie ich den Filmwechsel bewerkstellige. Stuhl ins Bett, Bettdecke darüber, unter die Stuhlbeine kriechen, so müsste es gehen.

In der Pension angekommen, sehe ich zufällig, dass die Haustoilette keine Fenster hat. Mir kommt eine Idee.

Kamera, Filmdose und Deckel, Silberpapier, Gummiring und Waschlappen werden in die Herrentoilette gebracht, das Klosett wird abgeschlossen, die Utensilien griffbereit zurechtgelegt und das Licht gelöscht. Dann beginnt das Experiment.

Wer hat schon mal einen Film im Dunkeln aus einem Fotoapparat herausgenommen und lichtundurchlässig in eine Filmdose verpackt, anschließend diese in die Papphülle verfrachtet und mit dem Gummiring gesichert? Damit auch wirklich kein Lichtstrahl an den Film kommt, alles in einen Waschhandschuh hinein und diesen mit einem Halstuch umwickelt.

Es ist geschafft! Der neue Film wird in die Kamera gebracht und gut gelaunt wird die Tour wieder aufgenommen.

In Grieben, dem ältesten Ort der Insel, reetgedeckte, schöne, Gemütlichkeit ausstrahlende Häuser, die ältesten versteht sich.

Auf der Hucke werde ich mutig, halt, es ist nicht die Hucke, sondern das Enddorn, und gehe quer durch das Gelände. Das hätte ich besser nicht gemacht.

Schilf, höher als ich, verhindert die Weitsicht. Sanddorn, der Name sagt es, lässt den Weg im wahrsten Sinne des Wortes dornig werden, Kratzer und blutige Risse bleiben nicht aus. Schließlich erreiche ich die Hucke.

Die Mühe hat sich gelohnt. Die Aussicht fantastisch, ein Bild zum Malen. Die wenigen Spaziergänger, die vorbeikommen, müssen mich für spinnert gehalten haben.

Bei drei Grad, gefühlte fünf Grad minus, liege ich rücklings im Gras und male.

Nach mehr als einer Stunde packe ich die Malsachen zusammen und stehe auf, um sofort wieder flach zu liegen. Ich habe nicht bemerkt, dass meine Beine eingeschlafen sind.

Was tun? Ganz einfach, auf den Rücken legen und strampeln. Gut, dass mich niemand sieht. Außerdem bin ich total durchgefroren.

Bis zum Abendessen ist noch Zeit, ich beschließe, eine warme Dusche zu nehmen, doch das verhindert das "Leuchtturmeck", eine gemütliche, kleine Gastwirtschaft.

Ich kehre ein und bestelle einen schwarzen Tee und einen Sanddornlikör zum Aufwärmen. Die Lebensgeister kehren wieder.

Auf der kleinen Speisekarte sind einige Gerichte, die mir das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen:

Brathering nach Art des Hauses

mit Bratkartoffeln,

Matjesfilet auf Vollkornbrot

mit roten Zwiebeln.

Das ist es, aber bis zum Abendessen ist es nicht mehr lange, also verzichte ich schweren Herzens auf den Genuss.

Ich wollte vor dem Nachtmahl noch anrufen, aber leider war der Anschluss der Gesprächsteilnehmerin, also meiner Frau, besetzt. Deshalb sitze ich jetzt bei Kerzenschein bei einem Glas "Kitzinger Hofrat" und habe soeben "Brathering mit Bratkartoffeln" bestellt.

Stimmungsvolle Musik – und man glaubt es nicht – Gäste entdecken gerade ein Reh, direkt vor dem Fenster. Jetzt sehe ich es auch, fünf Meter von mir entfernt, aber draußen.

Im Gastraum ist Platz für dreißig Personen, stilvolles Ambiente rundet das Ganze zur gemütlichen Atmosphäre ab.

Heute ist der erste Tag, an dem dieses kleine Restaurant geöffnet hat. Soeben erklingt das Largo, passend zu meiner Stimmung. Ich habe Zeit, mich in aller Ruhe umzuschauen.

Was mir angenehm auffällt, ist, dass, trotz elektrischer Lampen über den Tischen, ausschließlich Kerzen für Helligkeit im Gastraum sorgen.

Gerade wurde am Nachbartisch ein Witz, ich würde sagen, eine Lebensweisheit, erzählt.

Ich versuche, mich zu erinnern.

"Eine kleine Maus hält ihren Mittagsschlaf.

Da kommt ein großer Hund und macht einen Haufen auf das Mäuslein.

Das will sich gerade aus seiner unangenehmen Lage befreien, da kommt eine Katze.

Die Maus denkt, die Katze will mich fressen

und verschwindet deshalb wieder im Hundehaufen,

stellt sich steif, aber lässt das Schwänzlein draußen.

Die Katze packt den Schwanz, zieht die Maus heraus und frisst sie auf.

Was lernen wir daraus?

Nicht jeder, der auf dich scheißt, ist dein Feind,

nicht jeder, der dich aus der Scheiße rauszieht, ist dein Freund,

aber, wenn du schon in der Scheiße sitzt,

vergiss nie, den Schwanz einzuziehen."

Tischgesellschaft mit derben Ausdrücken, aber angenehm.

In der Zwischenzeit ist mein Essen da, es mundet vorzüglich, statt des Glases Wein bestelle ich die ganze Flasche.

Ich vergaß zu sagen, wie das Lokal heißt. Der Name ist "Hedin’s Oe.“

Es war ein wunderschöner Abend. Jetzt versuche ich noch zu telefonieren, dann geht’s in die Pochte. Gute Nacht.

 

hucke

 

2. April 1996

 

4

 

Es verspricht, ein guter Tag zu werden.

Ich bin um 7.30 Uhr aufgestanden. Als ich das Badezimmerfenster öffne, höre ich den Gesang der Vögel, der Himmel ist klar, was will man mehr.

Nach einem reichhaltigen Frühstück, für das ich mir reichlich Zeit nehme, wandere ich los. Heute soll es über Vitte nach Neuendorf gehen und zurück am Strand entlang nach Kloster. Wenn ich den Weg hin und zurück schaffe und ich habe mir das vorgenommen, habe ich etwa zwanzig Kilometer vor der Brust.

Vitte ist schnell erreicht, es waren ja auch nur zwei Kilometer. Der Ort gefällt mir nicht besonders, allerdings sticht mir ein Haus ins Auge, nämlich die "blaue Scheune", sicherlich ein Künstlerdomizil.

Ich möchte dieses Haus fotografieren, muss aber vorher schnell den Film wechseln, weil zu viele Motive verlockend waren und deshalb der Film voll ist.

"So ein Mist, schon wieder gerissen! Aus der Traum von schönen Aufnahmen.“

Ich beschließe, die gleiche Tour eventuell nochmals mit dem Fahrrad zu machen, falls ich nicht unterwegs irgendwo einen dunklen Unterschlupf finde, wo ich den Fotoapparat neu bestücken kann.

Ausgangs von Vitte, rechter Hand, ein Haus mit einem kleinen Anbau ohne Fenster, wie geschaffen für mein Vorhaben. In der Not muss man sich überwinden. Ich klingele also an der Tür, leider ist niemand zu Hause. Ich muss also unverrichteter Dinge weiter.

Hinter Vitte eine völlig veränderte Landschaft. So weit das Auge schaut Heidekraut. Das muss im Sommer herrlich sein.

Mitten in dieser traumhaft schönen Gegend drei kleine Häuser. Das erste ist unbewohnt. Im zweiten scheint jemand zu Hause zu sein. Ich sehe aus der Entfernung jemanden vor dem Eingang. Näherkommend aber Schilder "Kein Durchgang", "Privat“ und "Hier wohnt der Hund.“

Normalerweise Grund genug, weiterzugehen, wenn da nicht eine Tür zum gewissen Örtchen wäre und das scheint keine Fenster zu haben.

Ich überwinde meine Bedenken und gehe auf das Haus zu, immer den Wachhund erwartend, aber kein Gebell schreckt mich auf. Stattdessen kann ich durch ein Fenster ins Badezimmer schauen. Und was sehen meine erstaunten Augen? Eine splitternackte Frau erblicke ich, gleichzeitig nimmt sie mich wahr. Schwupp ist ein Vorhang vor dem Fenster und ich mach mich schleunigst auf den Rückzug.

Zwei Kilometer weiter komme ich an einer Ferienanlage vorbei.

Hier müsste doch ein Raum ohne Fenster sein. Ich suche und finde einen Flur, der stockdunkel ist. Vorsichtshalber klopfe ich an einer Tür gegenüber, weil ich von dort Musik höre.

Ein junges Mädchen kommt heraus. Ich schildere ihr mein Problem und sie erlaubt mir, den Film im Flur zu wechseln.

 Jetzt geht die Prozedur wieder los. Filmdose und Deckel griffbereit hinlegen, ein Tempotaschentuch zum vorsorglichen Einwickeln des Zelluloidstreifens daneben, die Pappschachtel dazu und es kann losgehen.

Licht aus, Kamera auf, Film aufrollen, in der Dose verstauen, diese in die Pappschachtel hinein, nachdem sie vorher noch in das Tempotuch gewickelt wurde.

Licht an, der neue Film wird eingelegt, dabei nehme ich mir vor, nur 33 Aufnahmen zu machen. Mit dieser Vorgabe mache ich mich wieder auf den Weg, nicht ohne mich vorher für die Großzügigkeit bedankt zu haben.

Heide wechselt mit Dünen ab, dann übernehmen mehr und mehr Birken die Oberhand.

Bald ist Neuendorf greifbar nahe, doch eine Bank lädt mich zum Verweilen ein. Ein Kranichzug zieht gen Norden. Dabei fällt mir auf, dass zwischen Kloster und Neuendorf immer wieder die Formation einer "eins" aufgegeben wird und der ganze Schwarm mit lauten, markanten Rufen am Himmel kreist, bis die Reise aus dem Süden fortgesetzt wird.

Ich begebe mich in die entgegengesetzte Richtung und erreiche nach kurzer Zeit Neuendorf. Hier gibt es weder Straßen noch Wege, die Häuser sind scheinbar dort gebaut, wo der Eigentümer sein Anwesen hinstellen wollte. Zumindest habe ich diesen Eindruck. Viele Häuser werden renoviert oder sind schon umgebaut. Das Verhältnis alt zu neu hier nahezu umgekehrt zu dem im Mecklenburgischen.

Langsam bekomme ich Hunger, ich bin ja auch mittlerweile fast vier Stunden unterwegs. Doch wo ist eine Gaststätte? Die erste, die ich gerade finde, ist geschlossen. Ich glaube, heute ist überall Ruhetag, denn andere Hungrige fragen mich, ob diese Wirtschaft auch zu hat. Ich gebe den Mut nicht auf. Um die Ecke sehe ich wieder ein Lokal. Weil Licht – und zwar die Außenbeleuchtung – brennt, kann das nur bedeuten, hier ist geöffnet.

Ein kleiner, aber gemütlicher Gastraum, hinter der Theke der Chef, weiße Jacke, grauweiße Hose, weißes Hemd, also wahrscheinlich auch der Koch. Er beantwortet meine Frage nach Fischgerichten dahingehend, dass eingelegter Aal, Rotbarschfilet, Hechtfilet, Lachs und Bratheringe angeboten werden können.

Ich entscheide mich für den Rotbarsch, ohne Erfolg, denn der Chef nimmt die Bestellung nicht auf. "Die Bedienung kommt gleich", sagt er und ward nicht mehr gesehen.

Aber tatsächlich, nach kurzer Zeit ist eine Frau mittleren Alters, wie sich später herausstellt, die Frau des Wirtes, im Gastraum und bringt die Speisekarte. Da ich mich ja bereits für das Rotbarschfilet entschieden habe, verzichte ich auf die Karte, um sie mir letztlich doch geben zu lassen.

Welch ein Glück. Ich traue meinen Augen nicht, das sind ja Preise wie zu alten Zeiten, mein Gericht zum Beispiel kostet nur DM 12.--.

Und dann wird serviert, Tomaten, Möhren, Gurken und grüner Salat, Bratkartoffel und drei Filets vom Rotbarsch. Der Salat, vor allen Dingen der Gurkensalat, ist ein Gedicht, die Bratkartoffel mit Speck und Zwiebeln, schön kross gebraten, einfach köstlich und schließlich der Barsch, ich bin begeistert, er zergeht auf der Zunge.

Von der Wirtin erfahre ich, dass das kleine Wirtshaus, der genaue Name lautet Wirtshaus "Up Westerend", früher eine Scheune war.

Gut gestärkt begebe ich mich auf den Rückmarsch.

Weil der Bus gerade zum Hafen fährt, der natürlich auch noch vereist ist, liegt die Versuchung nahe, zurück mit dem Bus zu fahren. Ich widerstehe aber mannhaft.

Aber gerade fällt mir noch ein, was mir die Wirtin erzählte.

Der Bodden ist, wie fast jedes Jahr, zugefroren und wie immer in dieser Situation, fährt man von Rügen nach Hiddensee und umgekehrt mit dem Auto über das Eis. Fischer stecken die Fahrbahn mit Markierungsstäben ab. Zwei Tage später wird die Überfahrt mit dem Auto aber verboten, und zwar von der Gemeindeverwaltung, weil junge Berliner sich eine Gaudi daraus machten, auf dem Eis zu kreisen. Doch die Einheimischen haben das Verbot nicht beachtet und sind mit Traktor und Anhänger nach Rügen rüber, um Gäste abzuholen.

Jetzt aber zum Rückmarsch.

Entgegen der Absicht, am Strand zurückzulaufen, wandere ich durch die Heide. Kurz vor Vitte kommt ganz plötzlich aus heiterem Himmel dichter Nebel auf und es wird bitterkalt. Es hilft nichts, da muss ich durch.

Steif gefroren erreiche ich meine Unterkunft. Jetzt schnell unter die heiße Dusche, das tut gut. Jetzt geht es zum Abendessen, das ich heute zeitig eingeplant habe, weil am Abend München gegen Barcelona spielt und das Spiel im Fernsehen übertragen wird.

Ich lasse mir die Speisekarte geben, bestelle eine kleine Fischsuppe, köstlich, und als Hauptgericht frisch gefangenen Lachs, gedünstet in Dillsoße.

Rosafarben kommt der Lachs auf den Tisch, er zergeht auf der Zunge und hat einen Geschmack nach himmlischen Genüssen. Und erst die Dillsoße, das ganze Essen ein Gedicht.

Die zwanzig Kilometer haben mich doch ein bisschen müde gemacht, deshalb beschließe ich, in der Halbzeit des Fußballspiels mein Zimmer aufzusuchen. Hier mach ich es mir bequem, indem ich ins Bett gehe und das Ende des Spiels folglich nicht sehe, weil ich selig entschlummert bin.

 

schiffe

 

3. April 1996

 

vitte

 

Zum Frühstück begebe ich mich um 8.10 Uhr, nichts Außergewöhnliches, aber wie viel ich gegessen habe, unwahrscheinlich.

Zwei Scheiben Brot mit Salami, Schinken, Braten, Kräuter- und Schweizerkäse. Zwei Brötchen mit Orangenmarmelade, Walnuss- und Südfruchtmus, beides biologisch zubereitet. Ich hätte das Mus besser in den Behältern gelassen.

Eigentlich könnte ich jetzt aufbrechen, aber ich habe noch keinen Joghurt gegessen. Also, nichts wie an das Büfett. Der Joghurt ist heute frisch zubereitet, Ananas mit Körnern, Rosinen und Dickmilch. Da fällt mein Blick auf den Obstteller. Das wäre doch der richtige Abschluss. Ich hole mir, bescheiden wie ich bin, eine Birne, eine halbe Kiwi und eine Scheibe frische Ananas.

So, der Tag fängt gut an. Strahlend blauer Himmel, Raureif überall.

Ich beschließe, nach Vitte zu wandern und mir den Ort genauer anzusehen. Gestern hat er mir ja nicht gefallen.

Ich komme bis zum Museum in Kloster. Es ist gerade 9.00 Uhr, in einer Stunde wird geöffnet. Ich bin heute lauffaul, setze mich deshalb windgeschützt in die Sonne und warte bis 10.00 Uhr. Es hat sich gelohnt.

Das Museum ist klein, aber sehenswert. Die Vogelarten, die Pflanzenwelt, Heimatkunde, Fischerei und Künstler auf Hiddensee werden dem Betrachter nahegebracht. Ich glaube, es ist eine Wissensbereicherung.

So geistig gestärkt, wandere ich nach Vitte.

Zunächst verweile ich hier im Hafen, sehe ein Schiff abfahren, ein anders kommen.

Auf dem Wasser und dem Eis unzählige Enten verschiedenster Gattungen und Schwäne, wie ich sie in dieser Anzahl noch nicht gesehen habe.

Heute soll das Mittagessen ausfallen. Ich schlendere zum Supermarkt, vorbei an der "blauen Scheune" und hole drei Tafeln Schokolade, dann beschließe ich, am Strand in Richtung Neuendorf zu laufen. Weit komme ich nicht.

Am "Jugendschiff" vorbei, nähere ich mich den letzten Häusern und leider ist das vorletzte Gebäude die "Boddenschänke.“ Und leider steht draußen ein Schild "Frischer Hering, gebraten.“ Ich kann nicht widerstehen und habe Glück. Ich finde einen freien Tisch im gemütlichen Lokal.

Zwei Insulanerinnen, die Wirtin und ihre Bekannte, snacken Plattdütsch, sodass ich nichts verstehe, oder kaum etwas verstehe. Was ich mitbekomme, ist, ein Insulaner erfährt, dass die Wirtin, ihr Mann und noch ein bekanntes Ehepaar immer nach Kirchberg bei Kitzbühel zum Skilaufen fahren. Da der Insulaner bekanntermaßen ein Prahlhans ist, muss er unbedingt zur gleichen Zeit dorthin.

Die zwei Frauen sind, so entnehme ich dem Gespräch, von dem Insulaner in Kitzbühel zum Essen eingeladen worden, denn einem weiteren Bekannten soll er später erzählt haben: "Wir waren in Kitz essen. Ich habe die Damen (die Damen hat die Wirtin drei Mal wiederholt) eingeladen. Wir haben Lammbraten gegessen. Ich habe anschließend den Koch zum Drink eingeladen.“ Das zum mir unbekannten Insulaner.

Der gebratene Hering hat gut geschmeckt, allerdings war die Soße nicht passend. Es war die Soße vom Entenbraten.

Nach einer halbstündigen Pause mache ich mich wieder auf den Weg.

Kurz hinter Vitte, Richtung Neuendorf, setze ich mich in den Windschatten des Deiches und mache eine Bleistiftzeichnung, – Hiddensee gegen Stralsund – .

Anschließend hole ich mir in einem Fotogeschäft einen neuen Bleistift und einen Anspitzer und erfahre hier, dass im Zeitungskiosk handbearbeiteter Bernstein zu erstehen ist. Da denke ich spontan an mein geliebtes Weib, das zu Hause der Arbeit nachgehen muss, während ich das Leben genieße und beschließe, ein Mitbringsel auszusuchen.

Ich finde auch etwas Schönes in der reichhaltigen Auswahl und trete vergnügt den Rückweg an.

Mir war heute früh schon angedroht worden, dass ein Zimmerwechsel bevorsteht und obwohl ich schon lange auf den Pott muss, schaffe ich vorher noch meine Sachen in das neue Gemach.

Jetzt beschließe ich, bis Samstag zu bleiben, verrichte in aller Ruhe das menschliche Bedürfnis – es war eine lange Sitzung, weil das Badezimmer sehr warm ist –, dusche anschließend und mache mich für den Abendausgang fein.

Ich schlendere langsam Richtung Hafen, lasse die Abendstimmung auf mich wirken und bin zufrieden.

Das Eis auf dem Wasser beginnt langsam zu schmelzen, trotzdem wird mir kalt. Ich kehre deshalb im Gasthaus "Hitthim" ein. Erster Eindruck Enttäuschung, ein Bahnhofrestaurant, ungemütlich. Ich gehe weiter und werde überrascht. Ein kleiner, uriger Raum, dämmrige Beleuchtung, Theke. Tische und Stühle rustikal, einladend.

Nach und nach sind die vier Tische besetzt, will sagen, an einem sitzen zwei Damen und an den anderen drei Tischen je ein Mann.

Während ich diese Gedanken zu Papier bringe und deshalb für meine Umwelt keine Aufmerksamkeit habe, sagt plötzlich eine der Damen: "Das ist ulkig, alle drei Herren schreiben." Der Herr mir gegenüber, hager, groß, schmales Gesicht, zurückhaltend, ich erkenne es daran, dass er lange brauchte, bis er seine Jacke auf den Stuhl legte, weil er die Garderobe nicht sah. Er hat Rotbarsch bestellt. Ihm scheint es zu schmecken, er genießt, man kann es sehen.

Nachdem ich noch ein Glas Kerner, Auslese, Saale-Unstrut, bestellt habe, möchte ich mit Gerhart Hauptmann den heutigen Abend ausklingen lassen.

 

tisch

 

Die Insel

Hier, wo mein Haus steht,
wehte einst niedriges Gras:
ums Herz Erinnerung weht,
wie ich dereinst
mit Freunden hier saß.
Wir waren zu drein,
vor Jahrtausenden mag es gewesen sein.
Es war einsam hier,
tief, tief!
So waren auch wir.
Verlassenheit über der Insel schlief.
Dann kam der Lärm,
ein buntes Geschwärm:
entbundener Geist,
verdorben, gestorben zu allermeist.
Und nun leben wir in fremdmächtiger Zeit,
verschlagen wiederum in Verlassenheit.
In meines Hauses stillem Raum
herrscht der Traum.

Gerhart Hauptmann

 

4. April 1996

 

gelle

 

Ich habe mich entschlossen, heute mit dem Fahrrad zur Südspitze der Insel zu radeln, zumal mir das Fahrrad von Herrn Freitag, dem Jeansboy, angeboten wird. Ich suche mir im Unterstand, hinter dem Haus, ein Vehikel aus und gehe auf Tour.

In Vitte war ich noch nie so schnell, nun, ich war ja bisher auch immer zu Fuß unterwegs. Mit dem Fahrrad geht es halt schneller, aber großer Nachteil, man sieht nicht so viel, weil man auf die Fahrbahn achten muss.

In Vitte radle ich zunächst zum Hafen, dort hole ich mir einen Zeichenblock. Schnell noch einen Blick zum Strand. Auf dem Damm sind vier kleine Jungen, die mir Bernstein anbieten. Ich frage sie, ob sie die alle selbst gefunden haben. "Ja", sagt ein Steppke, "und selbst geschliffen. Wollen Sie einen kaufen?"

Ich verneine, lasse mir die Sammlung aber zeigen. Alles was recht ist, im Bernsteinladen sehen die Steine nicht anders aus.

"Ach, kaufen Sie doch wenigstens eine Postkarte, dann können Sie auch nach Hause schreiben." Ich lehne wieder ab, da schenkt mir einer der Burschen einen kleinen Bernstein. Der versteht’s. Ich frage, was die Postkarte kostet, gebe statt der geforderten fünfzig Pfennig eine DM und fahre los.

Da schießt mir ein Gedanke durch den Kopf. Ob die Kinder wohl die Steine aufziehen können? Ich drehe um und suche die Jungen. Meine Frage bejahen sie sofort und die Frage nach dem Preis wird mit 35 DM beantwortet.

Da ich skeptisch meinen Kopf wiege, sagt der Geschäftstüchtige: "Zwanzig Mark!“

Wir verabreden uns für 16.00 Uhr an der Düne, dann fahre ich los.

Radfahren ist doch ganz schön. Bei einem Stopp sehe ich Ziegen, aber mit Hörnern wie Gemsen und der erste Kranichzug zieht auch gerade vorbei.

Ich fahre weiter. In Neuendorf der zweite Zug gen Norden. Ich zähle dreiundvierzig Kraniche, imposant.

Am Bootsverleih vorbei lasse ich das Dorf hinter mir.

Auf dem Damm fahre ich zur Südspitze der Insel, eine recht anstrengende, holprige Fahrt. Der Damm ist mit Basaltbrocken unregelmäßig befestigt. Das ist ein Rütteln, Schütteln und Rattern, man glaubt, das Gehirn fliegt aus der Kopfdecke. Schließlich kann ich den Damm verlassen und auf einem Trampelpfad weiterfahren.

Ich höre Kraniche rufen, die müssen gerade ihren Flug begonnen haben; sie sind gerade fünf Meter über dem Erdboden im Steigflug.

Ich fahre weiter, komme zum Leuchtturm am Süderende und schließlich zur Begrenzung. Weiter darf man nicht. Hier beginnt das Vogelschutzgebiet. Ein Blick durch das Fernglas zum Gellen und dann geht es zurück. Man vergisst doch immer wieder, wenn das Radfahren in einer Richtung leicht und bequem ist, die Strafe auf den Fuß – will sagen, Gegenwind – folgt. Mein Gott, ist das anstrengend, also werden häufig Pausen eingelegt. Schließlich erreiche ich "Up Westend.“ Hier habe ich ja schon einmal gut gegessen, also Pause, obwohl ich heute das Mittagessen ausfallen lassen wollte. Da ich aber schon beim letzten Besuch sauren Aal, Bratkartoffel und Salat bestellen wollte, wähle ich dieses Gericht heute und bin hochzufrieden. Nach dem Essen trinke ich noch einen Schoppen französischen Landwein, sitze draußen auf der Terrasse, habe die Hemdärmel hochgeschlagen und genieße nicht nur den Wein, sondern auch die Sonne.

Gegen 16.00 Uhr bin ich an der verabredeten Stelle, aber allein. Ich fahre zum Hafen, doch außer Fischern niemand da. Ich radle wieder zurück, gehe über den Damm zum Wasser. Kein Bursche da, dafür finde ich einen Bernstein. Ich gehe zurück, da sehe ich hinter einer Hecke einen Kopf verschwinden. Ich beobachte unauffällig die Stelle und tatsächlich, sie verstecken sich. Also wird aus dem Kauf nichts. Ich gehe auf den Damm, bleibe stehen, da ein Kopf, weg, dort der Nächste, weg. Das geht eine ganze Weile so, bis sich einer traut, aufrecht stehen zu bleiben. Ich winke, er ruft: "Mein Papa hat gesagt, ich darf das nicht für so wenig Geld!" Weg ist er.

Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und fahre gemütlich nach Kloster. Hier angekommen, gehe ich ins Schmuckkästchen und erstehe für mich das "Hiddensee Kreuz", Sterlingsilber mit Goldauflage. Dann begebe ich mich ins Galerie-Café, um einen Sanddorngrog zu trinken. Hier ist eine eigenartige Atmosphäre. Zeitschriften nur über die ehemalige DDR, Bilder und Poster aus der Zeit bis 1990, Kunst nur über den weiblichen Körper. Wem’s gefällt? Ich zahle und fahre zu meiner Herberge und bin froh, endlich das Fahrrad abstellen zu können.

Mein Po ist arg in Mitleidenschaft gezogen.

Bevor ich ins Haus gehe, zwei Kranichzüge, die sich direkt über dem "Inselidyll" zu einem Zug zusammenschließen.

Ich dusche, vervollständige eins der gemalten Bilder, es gefällt mir, und gehe zum Telefonieren und anschließend zum Essen.

Weil der Abend noch sehr früh ist, setze ich mich an die Theke. Neue Gäste, vermutlich Stammgäste, sind angekommen. Wie üblich, wird in Erinnerungen geschwelgt. Das Gespräch dreht sich um Selbstmörder. "Der Letzte, es ist schon Jahre her, hat, als er hing, von seiner Frau noch einen Tritt in den Arsch gekriegt." So berichtet gerade einer der Angekommenen.

"Nach einer Überfahrt mit einem uralten Kahn, früher hieß das Schiff ‚Hermann Göring‘, musste er beim Abtransport eines Zinksarges helfen. Dabei rutschte die Decke zur Seite und die Leiche wurde sichtbar. Oha, kein schöner Anblick, weil, wieder einer, der selbst Hand angelegt hatte."

Dann zur Aufheiterung ein Witz. "Warum bekommen Neugeborene nach der Geburt einen Klaps auf den Po? Um festzustellen, ob es ein Junge oder Mädchen ist. Den Dummen fällt das Stümmelchen ab." Jetzt reicht es mir, ich gehe essen. Heute gibt es Flunder. Der Teller wird gebracht. Wer soll das aufessen, denke ich und verspeise das Gericht in kurzer Zeit. Jetzt hilft nur ein Schnaps. Ich gehe zur Theke und versacke dort.

 

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5. April 1996

Heute gibt es das Frühstück direkt im Inselidyll. Ich bin der erste Gast und allein. Das Büfett ist, wie im "Haus am Hügel", gut.

Ich frühstücke in aller Ruhe, bediene mich mit Wurst, Käse, Marmelade, Joghurt und Obst. Nachdem ich gegessen habe, fällt mir ein, dass heute Freitag – Karfreitag – ist. Nicht mehr zu ändern, die Wurst ist gegessen.

Ich mache mich wieder mit dem Fahrrad auf den Weg nach Neuendorf, weil ich dort Bernsteinketten gesehen habe. Im kleinen Lädchen der Eigentümer ist sehr freundlich. Er zeigt mir zehn bis fünfzehn Ketten, erklärt mir, wie der Bernstein poliert wird und was eine echte Hiddenseer Kette ist. Ich schwanke beim Kauf zwischen der echten, bei der sind die Steine aufgezogen wie sie gefunden wurden, und der leicht polierten. Für letztere habe ich mich entschieden.

Dann begebe ich mich auf die Rückfahrt, natürlich gegen den Wind. In Vitte erstehe ich noch einen Bernsteinanhänger am Lederband und beschließe, mittags in Grieben im Gasthaus "Zum Enddorn" einzukehren, falls geöffnet ist.

Es ist geöffnet und die Beschreibungen, die mir von Bekannten auf den Weg gegeben wurden, sind nicht übertrieben.

An den Wänden Bild an Bild. Vier kleine Räume, zauberhaft, gemütlich eingerichtet. Ich entscheide mich für Omas Sofa an einem kleinen Tisch.

Hecht, Salzkartoffel und Salat, dazu ein Schoppen 93er Gutedel, Saale-Unstrut. Am liebsten bliebe ich bis heute Abend hier sitzen.

Vom Enddorn gehe ich in Richtung Leuchtturm. An einer Weide finde ich ein windgeschütztes Plätzchen zum Malen. Ich skizziere den Leuchtturm, um das Bild am Abend fertig zu malen. Dann schlendere ich gemächlich quer durch das Gelände. Immer wieder neue, noch schönere Eindrücke und Schnappschüsse. Schließlich erreiche ich meine Unterkunft.

Da ich arg durchgefroren bin, gehe ich unter die heiße Dusche und ziehe mich anschließend warm an.

Dann muss ich packen. Wie immer, habe ich zu viel mitgenommen. Die Stiefel, eine Jeans, das Jeanshemd, zweimal Unterwäsche, ein Pullover, die flachen Schuhe, all diese Sachen sind ungenutzt geblieben.

Wenn ich daran denke, dass ich dieses ganze Zeug umsonst mitgeschleppt habe und morgen früh zum Bus tragen muss, wird mir ganz anders.

Jetzt geht es erst einmal zum Telefonhäuschen und dann ins "Hedin’s Oe“, Enddorn, wohin ich gern gelaufen wäre, hat sich erledigt, weil es inzwischen zu spät ist.

Ich bringe nach dem Telefonieren das Fahrrad weg, gehe noch zur Theke, um ein Bier zu trinken und mich zu verabschieden und bleibe sitzen.

Warum eigentlich nicht? Hier ist es ruhig, das Essen schmeckt, was will man mehr?

Mit Frau Rothert, der Wirtin, komme ich ins Gespräch. Dabei erfahre ich, dass ungefähr die Hälfte aller Gäste aus Berlin kommt, ungefähr ein Viertel sind Hamburger und der Rest aus Süddeutschland. Halt, nicht zu vergessen die große Anzahl aus Sachsen und Thüringen, die erst ins Ausland fuhren, um jetzt aber wieder ihre alte Insel Hiddensee schön zu finden.

Ich denke, sie haben Geschmack, eine Insel mit Charme, Beschaulichkeit, Ruhe, Ursprünglichkeit, eine Insel zum Verlieben.

 

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6. April 1996

6.45 Uhr, der Wecker klingelt.

Ich mache mich frisch, packe die letzten Sachen ein und marschiere los.

Die Sonne geht gerade auf. Ich bin zwar zwanzig Minuten zu früh, aber was macht das schon. Dann kommt der Bus, ein Vorkriegsmodell, das aber treu und zuverlässig seine Dienste verrichtet.

Ein Insulaner, achtzehn Jahre jung, der heute auf Rügen seine Führerscheinprüfung machen will und ich, sind die ersten Fahrgäste. Es geht zunächst nach Grieben, wo tatsächlich zu dieser frühen Morgenstunde schon zwei Personen, eine ältere Frau mit ihrem Enkelsohn, auf den Bus warten.

Die letzten dreihundert Meter in den Ort muss der Bus rückwärts fahren, weil er im Dorf nicht wenden kann, da die Straße gerade erneuert wird.

Im Hafen sehen wir, wie sich die Autofähre von Schaprode den Weg durch den zugefrorenen Bodden bahnt. Zwanzig Minuten später ist die Fahrrinne schon wieder zugefroren und unser Schiff hat zu kämpfen.

Die Busfahrt von Schaprode nach Bergen dauert vierzig Minuten und geht gemütlich über Land.

Am Bahnhof entnehme ich dem Fahrplan, dass der Zug bis Leipzig fährt und in Berlin-Schönefeld hält.

Nachdem ich erneut in Berlin angerufen habe, beim ersten Anruf habe ich die Schlafenden aus den Betten geklingelt, und in Erfahrung brachte, dass Schönefeld als Abholbahnhof geeignet ist, löse ich in Bergen die Zusatzfahrt nach und begebe mich zum Bahnsteig.

Berlin ist für mich Zwischenstation, weil meine Frau bei ihrer Schwester zu Besuch ist.

Der Zug kommt, ich suche mein Abteil und muss feststellen, dass zwei alte Damen bereits Platz genommen haben, natürlich eine der Damen auf meinem reservierten. Ohne dass ich aber etwas sagen muss, steht die Ältere der beiden auf, es stellt sich später im angeregten Gespräch heraus, dass es die 86-jährige Mutter der Jüngeren ist, und wechselt ihren Platz. Ich erfahre während der kurzen Zeit bis Stralsund folgendes: Mutter und Tochter wohnen jetzt seit etwa vierzig Jahren in Haan bei Düsseldorf. Da die Tochter der Tochter, also die Enkelin der 86-jährigen, mit ihrem Mann in die Nähe von Greifswald gezogen ist, wird sie häufig von ihrer Mutter und Oma besucht, zumal die Mutter auf Rügen geboren ist und dort auch noch ein großes Grundstück besitzt.

Stralsund ist erreicht und wir verabschieden uns herzlich, die Oma drückt mich spontan an ihr Herz, als ich mich anbiete, ihr aus dem Zug zu helfen. Sie ist gehbehindert.

Über Greifswald und Züssow erreicht der Zug Anklam und fährt weiter nach Pasewalk durch weites, flaches Land. Riesige Felder, durch kleine Ansammlungen von Birken und Kiefern unterbrochen.

Der erste See, mehr noch ein Teich, wird sichtbar. Er ist zugefroren.

Die Wälder werden größer. Laubbäume übernehmen vorübergehend die Oberhand. Und dann wieder Felder, in weiter Ferne ein kleiner Ort. Rehe, wie kann es anders sein und Felder, so weit man schauen kann.

Hinter Pasewalk wird das Gelände leicht hügelig, ein Flüsschen schlängelt sich durch die Landschaft.

Sechzehn Windräder drehen sich langsam in der Brise, Stromgewinnung mit neuer Technik. Ein Greifvogel schwebt majestätisch durch die Luft, getragen von seinen Schwingen.

Auf den Feldern die ersten Schwäne ein untrügliches Zeichen, dass Wasser in der Nähe ist. Dann der erste große See und dann reihen sie sich wie eine Perlenkette aneinander, mal rechts, mal links von der Eisenbahnstrecke.

Ich pendle vom linken zum rechten Fenster und wieder zurück, um so viel wie möglich zu sehen.

Der Zug fährt zu schnell, um alle landschaftlichen Schönheiten zu erhaschen und nicht schnell genug, um nach Berlin zu kommen.

Nach Berlin, dem Ende einer eindrucksvollen, erlebnisreichen, empfehlenswerten Reise und Wanderung.

 

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Wanderung von

Havelberg nach Rheinsberg

 

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Anreise nach Havelberg

9. August 1996

Das Abenteuer beginnt.

Mit dem ICE von Hamm nach Hannover, Abfahrt um 7.23 Uhr, es wird eine schnelle und unterhaltsame Fahrt.

Eine alte Dame sitzt in meinem Abteil. Sie ist in Thüringen zu Hause und erzählt mir, wie wunderschön der Spreewald sei. Ob mein Vorhaben nicht langweilig ist, so ganz allein durch flaches Land zu laufen. Und gefährlich, da man ja jetzt so einige schlimme Sachen hört.

Dann ist Hannover erreicht. Weil ich noch etwas Zeit bis zur Weiterfahrt habe, begebe ich mich auf den Bahnhofsvorplatz.

– Vor Taschendieben wird gewarnt! –

Eingedenk dieses Hinweises und den mir noch im Ohr klingenden Worten meiner Reisebegleitung, vermute ich in jeder Person, die sich mir nähert, Gefahr und wechsle jedes Mal die Seite, auf der ich mich gerade befinde.

Schließlich ist es Zeit, zum Zug nach Stendal zu gehen und einzusteigen. Die Abfahrt ist pünktlich. Den Übergang zum "Osten" erkennt man sofort am "Ta-Tack, Ta-Tack,Ta-Tack“ und weil neben der Bahnlinie eine neue Trasse gebaut wird, schnurgerade bis Stendal.

Hier muss ich in den Bummelzug nach Schönhausen/Elbe umsteigen.

Der Bahnhof ist verwaist, zwei Frauen von einer Reinigungsfirma säubern den Bahnsteig und liebkosen den Bahnhofskater. Offensichtlich kennt er sie.

Gerade fährt ein Güterzug mit Panzerspähwagen und Panzern ein und hält an, in dieser, bis zum Horizont flachen Landschaft. Zehn Panzerspähwagen, zwölf Panzer, ein Güterzug und ich.

Die Uhr zeigt 12.10 Uhr, die Weiterfahrt findet mit dem Bus statt, der gerade ankommt, pünktlich auf die Minute.

Es ist ein Schulbus, voll, bis auf einen Platz, den bekomme ich. Ein Erstklässler fragt: "Wo kommen Sie her?"

"Aus Hamm in Westfalen!"

"Au, kennen Sie das Westfalenstadion?“

"Klar kenne ich das. Bist du ein Borussenfan?"

"Ja, und Deutschland!"

Dann erreichen wir den ersten Ort. Er kommt mir irgendwie bekannt vor. Klar, die Kirche mit dem Storchennest. Wir sind in Klietz. Hier war ich schon einmal, es hat sich nichts verändert. Die Fahrt geht weiter. Jedes Mal, wenn wir in eine Ortschaft fahren, Kopfsteinpflaster. Der Bus, ohnehin nicht das neueste Modell, Knüppelschaltung, Zwischengas, rappelt und klappert in allen Fugen.

Frische Luft bringt die offene Tür. Für den Busfahrer eine zusätzliche Konzentration, denn immer wenn ein Schüler seinen Sitzplatz verlässt und nach vorn pirscht, muss er schleunigst die Tür schließen. Pfffft, Tür zu, Steppke weg, schschscht, Tür auf, pfffft, zu, schschscht, auf.