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Sara-Maria Lukas

Hard & Love 2: Keep calm, Lady!

Erotischer Roman

 

© 2017 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamourbooks.com

info@plaisirdamourbooks.com

Covergestaltung: © Mia Schulte

Coverfoto: © Fotolia - Alex Tihonov

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-286-9

ISBN eBook: 978-3-86495-287-6

 

 

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

 

Kapitel 1

 

Mit einer lässigen Handbewegung landet das Telefon auf dem Schreibtisch. Zufrieden hebt Steven Carter die Arme, faltet die Hände im Nacken und streckt sich gegen die Lehne seines wuchtigen Schreibtischsessels. „Bingo. Thank you very much, Mr. Chen.“ Es läuft mal wieder bestens. Nicht mehr lange, dann steht die Carter GmbH auf sicheren, stabilen Säulen, nicht schlecht, nach nur drei Jahren.

Die Gegensprechanlage piept. Seufzend löst Steven seine entspannte Haltung auf und drückt auf den Knopf. „Was gibt’s?“

„Frau Sander hat angerufen, während Sie mit Hongkong verhandelt haben, und bittet um Rückruf.“

„Danke, Karina.“

„Möchten Sie noch einen Kaffee? Ich habe grad einen frischen gekocht.“

„Gerne.“

Während er wählt und wartet, kommt seine Assistentin herein, stellt die Tasse ab, nickt ihm freundlich zu und entfernt sich schnell wieder. Ungeniert betrachtet er ihren prallen Arsch in der engen Jeans. Können nicht alle Frauen so herrlich unkompliziert sein wie sein Mädchen für alles?

An Karina Schulz scheint jede typisch weibliche Veranlagung zur Zickerei vorbeigegangen zu sein. Sie hat lange blonde Haare und zieht sich immer nett an. Sie lächelt freundlich, lässt sich gern mit dem Vornamen anreden, wird rot, wenn er ihr ein Kompliment macht, und strahlt, wenn er ihr einen Strauß Blumen auf den Schreibtisch stellt, weil sie mal wieder für ihn Überstunden gemacht hat. Leider ist sie vergeben und sehr in ihren Freund verliebt. Was soll‘s, denn ziemlich sicher steht sie nicht auf das, was ihm beim Sex Spaß macht.

Es klickt im Telefon und eine barsche Stimme ertönt. „Sander.“

„Carter hier. Guten Tag, Frau Sander. Sie wollten mich sprechen?“

Im Geiste sieht er seine Gesprächspartnerin vor sich und stöhnt innerlich. Elisabeth Sander ist das krasse Gegenteil von Karina Schulz. Eine Karrierefrau, die ihm, allein auf der Tatsache beruhend, dass zu seiner natürlichen Ausstattung ein Schwanz gehört, grundsätzlich misstrauisch gegenübersteht.

„Was soll das mit dieser Einladung?“, poltert sie ungehalten ins Telefon.

Steven schmunzelt und lehnt sich entspannt zurück. „Oh, ich dachte, es ist angenehmer, bei einem guten Essen zu sprechen als am Schreibtisch.“

„Abends? In einem Hotel? Sie schätzen mich falsch ein.“

„Okay, sorry, ich wollte Sie nicht beleidigen. Machen Sie einen Vorschlag.“

„Montag fünfzehn Uhr in Ihrem Büro?“

Steven überfliegt seinen Terminkalender. „Schlecht. Wie ist es mit dem darauffolgenden, also in zwei Wochen?“

„Okay. Und erwarten Sie nicht zu viel Entgegenkommen von mir.“

„Frau Sander, wir wollen doch Geschäfte machen, von denen wir beide profitieren, oder?“

„Dann sind wir uns ja einig. Bis dann, Mr. Carter.“

Sie legt auf. Gott, die Frau ist wirklich extrem. Sobald er sie anlächelt, glaubt sie, er macht sich über sie lustig. Einmal hat er ihr höflich die Tür aufgehalten.

„Ich bin nicht behindert“, war ihr Kommentar, als sie ihm rüde den Türgriff aus der Hand gerissen hat.

Sie besitzt mehrere Läden für Geschenke, Krimskrams und Modeschmuck und verkauft Artikel, die die Carter GmbH aus Asien importiert. Sie hat ständig Angst, übervorteilt zu werden. Er seufzt. Amerikanische Girls sind insgesamt betrachtet irgendwie einfacher gestrickt. Zum Glück gibt es in Deutschland nicht viele Frauen unter seinen Geschäftspartnern. Mit Männern kann man nun mal definitiv vernünftiger reden – und vor allem, ohne ständig Angst haben zu müssen, in ein chauvinistisches Fettnäpfchen zu treten.

Er wirft einen Blick auf die Uhr, steht auf und verlässt das Büro. „Ich bin unten im Marketing.“

Karina sieht kurz von ihrem Schreibtisch auf und nickt. „Okay.“

Ein Stockwerk tiefer betritt er ohne anzuklopfen den Konferenzraum. Acht Gesichter zucken zu ihm herum. Alexander Rottmann, der Teamleiter, steht vorn, unterbricht seinen Satz und sieht ihn irritiert an.

Steven winkt ab. „Lassen Sie sich nicht stören, ich höre nur ein bisschen zu.“

Schräg hinter Emma Marquardt steht ein nicht benötigter Stuhl an der Wand. „Darf ich?“ Er lächelt ihr freundlich zu, und sie rutscht schnell zur Seite, damit er vorbei kann.

„Danke. Reicht schon.“

Alle sehen misstrauisch zu ihm herüber. Klar, denn es ist ungewöhnlich, dass er ohne Ankündigung in eine Sitzung platzt und einfach nur zuhören will. „Machen Sie weiter, beachten Sie mich gar nicht.“

Es gibt einen Grund dafür. Rottmann bringt ihm in den letzten Monaten häufig sehr gute Vorschläge und sorgfältig ausgearbeitete Konzepte, die er angeblich selbst erstellt. Steven glaubt das nicht, denn im persönlichen Gespräch zeigt sich sein Teamleiter nicht besonders kreativ. Nun will er herausfinden, wer in der Abteilung wirklich die guten Ideen hat.

Während Rottmann sich räuspert, in seinen Unterlagen blättert und sichtlich Mühe hat, seinen Faden wiederzufinden, sieht Steven sich um. Die meisten Mitarbeiter kennt er nur flüchtig. Marketing ist nicht gerade sein Fachgebiet, deswegen ist er darauf angewiesen, fähige Leute zu beschäftigen. Bei Einstellungsgesprächen folgt er meist mehr seinem Instinkt als der Aussagekraft von Zeugnissen. In der Regel klappt das gut. Bei Rottmann hat er allerdings den Fehler gemacht, ihn zu übernehmen, als er die Firma kaufte, in der er beschäftigt war, obwohl er von Anfang an nicht die beste Meinung von ihm hatte. Leider sind die Kündigungsschutzgesetze in Deutschland strenger als in New York. Er braucht einen guten Grund, um ihn loszuwerden, und den sucht er jetzt.

Rechts sitzen die jüngeren Frauen der Abteilung, Lina Hartmann, Sabrina Gerstner und die kleine Meier. Die drei sind sicher nicht Rottmanns Ideengeberinnen. Sie machen zwar ihren Job anständig, haben aber kein Interesse an der weitergehenden Entwicklung der Firma, was sicher anders wäre, hätte er statt eines Importgeschäftes eine Diskothek gekauft. Sein Blick wandert nach links. Vielleicht Felix Rawe? Der Junge gefällt ihm gut. Kommt aus einfachen Verhältnissen und hat per Fernstudium die Marketingausbildung neben seinem ursprünglichen Job absolviert. Kein leichter Weg. Aber Rawe würde sich nicht von Rottmann übervorteilen lassen, dafür ist er zu intelligent. Der Junge hat Ehrgeiz und hätte ihn längst selbst darauf angesprochen. Sein Blick fällt auf Emma Marquardt, die sich gerade über ihren Block beugt und Notizen macht. Sie hat die Augenbrauen leicht zusammengezogen und wirkt sehr konzentriert. Jetzt dreht sie den Kopf etwas und mustert ihn aus den Augenwinkeln. Er zieht fragend eine Augenbraue hoch. Sofort starrt sie wieder nach vorn und ihre Wangen röten sich. Schmunzelnd beobachtet er sie. Die erhöhte Durchblutung steht ihr gut. Ja, er ist definitiv der elende Macho, als den Cat ihn immer beschimpft.

Die Marquardt hat er ebenfalls als Bestandteil des Inventars übernommen, als er die Firma vor drei Jahren kaufte. Sie scheint ein ziemlich langweiliges Leben zu führen. Sie ist keine dieser Extrem-Emanzen wie die Sanders, die ständig meinen, Männer wollen sie unterdrücken wie vor zweihundert Jahren, aber auch kein oberflächliches Dummchen, wie einige der anderen Frauen im Team. Die Marquardt arbeitet zuverlässig, fleißig und systematisch, kleidet sich schlicht, zweckmäßig und scheint vollkommen losgelöst von Launen und Stimmungen zu sein. Sie zeigt nie besondere Herzlichkeit oder Fröhlichkeit, ist aber auch nie unfreundlich. Wenn alle Mitarbeiterinnen so angenehm normal wären, wäre es leicht, ein Unternehmen zu führen. Ein bisschen schüchtern scheint sie zu sein, denn sie senkt den Blick, wann immer sie sich begegnen und er sie grüßt. Vielleicht findet sie ihn aber auch einfach nur unsympathisch. Egal. Als Mitarbeiterin ist sie gut, sie muss ihn nicht mögen. Er weiß ihre Loyalität trotzdem zu schätzen. Diese Eigenschaft zählt mehr als oberflächliche Freundlichkeit, bei der man sowieso nie sicher sein kann, ob sie ehrlich gemeint ist.

In Gedanken versunken betrachtet er ihren Körper. Eigentlich viel zu schade für die langweiligen Klamotten, die sie immer trägt. Warum ziehen sich Frauen, die keine vorteilhafte Figur haben, enge Kleidung an, und Frauen, die eine tolle Figur haben, nicht? Er hat das einmal eine Frau gefragt, die eine Nacht bei ihm verbrachte … Es war bei dieser einen Nacht geblieben.

Die Marquardt hat jedenfalls eine klasse Figur. Sie treibt vermutlich Sport. Er mag fitte Frauen, vor allem über seinen Knien. Innerlich grinst er breit. Wenn sie seine Gedanken jetzt lesen könnte, würde sie sicher schreiend flüchten. Sein Blick gleitet nach oben.

Ihre Haut am Hals und im Gesicht wirkt, als ob sie weicher und zarter wäre als bei anderen Menschen. Das ist ihm sonst nie aufgefallen. Klar, sonst sitzt er ja auch nicht hinter ihr und betrachtet sie. Plötzlich reizt es ihn, mit dem Finger über ihre Wange zu streichen, um zu fühlen, ob dieser Eindruck richtig ist. Sie hält sich im Sitzen gerade, sodass ihre Brüste trotz der langweiligen weiten Bluse gut zur Geltung kommen. Es muss ein Vergnügen sein, diese Taille mit beiden Händen … vielleicht sollte er sie doch mal einladen, nett essen zu gehen und … Im Bett würde sie vielleicht …

Okay, Schluss jetzt. Ganz sicher keine gute Idee. Emma Marquardt gehört zu der Sorte intelligenter Frauen, die sich nicht auf einen gewöhnlichen Mann wie ihn einlassen, nur weil er zufällig ihr Boss ist. Und wenn doch, dann könnte er mit einer solchen Frau ja gar nicht umgehen. Worüber sollten sie sich schon unterhalten? Er trägt zwar Anzüge und hat eine Firma gekauft, das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass er Gespräche mit ihr führen könnte, die sie interessant findet. Und sowieso, man geht nicht mit seiner Angestellten aus! Was sind das überhaupt für dämliche Überlegungen?

Er zwingt seine Aufmerksamkeit zurück auf den nicht besonders mitreißenden Vortrag seines Teamleiters und streicht sich seufzend die Haare zurück. Er arbeitet zu viel. Eindeutig. Sonst käme er gar nicht auf eine so abwegige Idee, über ein Date mit Emma Marquardt nachzudenken. Er sollte am Wochenende mal wieder in den Rosenclub fahren. Vielleicht kommt Jason oder einer der Zwillinge mit. Andreaskreuze, devote Subbis und Strafböcke passen besser zu ihm als komplizierte Dates mit intelligenten Frauen. Nicht umsonst bezeichnet Cat ihn neben dem Macho auch als Neandertaler.

Eine Weile schafft er es, sich auf das Meeting zu konzentrieren, dann lehnt die Marquardt sich zurück und der sanfte Hauch eines leichten Parfüms erreicht seine Nase. Angenehmer Duft. Er beugt sich unauffällig etwas mehr in ihre Richtung und schnuppert noch einmal.

Soviel er weiß, lebt Emma allein. Vielleicht sollte er sie mal in den Rosenclub mitnehmen. Bei dem Gedanken bricht er fast in lautes Gelächter aus. Beim Anblick von Peitschen und Rohrstöcken würde Emma Marquardt vermutlich in Ohnmacht fallen. Bestimmt wartet sie auf einen niveauvollen, intelligenten Mann, der abends mit einem guten Buch in der Hand im Sessel hockt oder mit ihr zu Kunstausstellungen und ins Theater geht.

Wieder ein Seitenblick von ihr. Er muss sich ein Grinsen verkneifen. Es ist ihr unangenehm, dass er schräg hinter ihr sitzt.

Jetzt räuspert sie sich und hebt die Hand.

Rottmann runzelt unzufrieden die Stirn. „Ja, Emma, was ist?“

„Die Zahlen stimmen nicht. Das sind die vom letzten Jahr, in diesem Frühjahr stiegen die Kosten der Onlineshops.“

„Warum habe ich dann keine aktuellen Zahlen?“ Rottmann klingt äußerst gereizt.

„Ich habe sie dir schon vor einigen Wochen gemailt, aber ich kann sie gerne nachher noch mal schicken.“

„Okay, aber vergiss es nicht wieder.“

Emmas Augen werden schmal. Sie strafft die Schultern und öffnet den Mund, doch bevor sie antworten kann, winkt er schon ungeduldig mit der Hand. „Wir klären das später.“

Amüsiert beobachtet Steven, wie ihre Wangenmuskeln arbeiten. Sie scheint stinksauer zu sein. Aber anscheinend hat sie den Durchblick über das Marketing der Firma. Vielleicht kann sie ihm zu den Informationen verhelfen, die er sucht. Er wird sie bei Gelegenheit unauffällig ausfragen.

Sein Handy vibriert. Ungeduldig zieht er es aus der Tasche. Susan. Fuck, die hat er ganz vergessen.

„Entschuldigung, ich muss leider schon wieder los.“

Er winkt kurz und verlässt den Raum.

„Hi Susan, Darling, tut mir leid. Ich kann noch nicht weg.“

„Oh nein! Ich sitze hier fertig angezogen und habe mich so auf die Party gefreut!“

„Sorry, du musst allein gehen. Ich habe zu viel zu tun.“

„Aber es ist DIE Eröffnung des Sommers! Da kannst du mich doch nicht solo hinschicken!“

„Es ist nur eine ganz normale Nachmittagsparty mit den gleichen langweiligen Leuten wie immer. Sei nicht böse, Sweetheart, ich habe noch zu viel Arbeit auf dem Schreibtisch. Ich komme heute Abend zu dir, okay?“

„Wenn du jetzt nicht kommst, brauchst du dir heute Abend auch nicht die Mühe machen. Es ist wirklich nicht fair, mich so hängen zu lassen.“

„Okay, dann vergiss es, heute und in Zukunft. Susan, ich denke, unser Arrangement ist damit beendet.“

„Wie bitte?“

Er legt auf, stöhnt und wirft einen verzweifelten Blick Richtung Neonlampe unter der Decke. Fuck! Das war jetzt nicht die feine Art, allerdings definitiv überfällig. Nur aus Bequemlichkeit hat er dieses Verhältnis nicht schon längst beendet. Verhältnis? Es war ja nicht mal eins! Er hat sich, wie gewohnt, von Anfang an auf nichts Festes eingelassen, doch so nach und nach ist sie immer anhänglicher geworden. Okay, Susan ist beim Sex willig und anschmiegsam, aber ihre dämlichen Partys und Freunde gehen ihm schon lange auf die Nerven, und ein halbwegs sinnvolles Gespräch haben sie in den drei Monaten, in denen sie sich regelmäßig getroffen haben, nicht ein einziges Mal geführt.

Schon wieder bimmelt das Handy. Fuck!

„JA!“

„Ho, Brauner, ganz ruhig.“

Steven stöhnt. „Ian, sorry, ich dachte, es wäre Susan.“

Sein Bruder lacht trocken. „Susan! Die kleine Kurvige mit den großen Titten? Wow. Welch herzlicher Tonfall!“

Steven räuspert sich. „Ich hab sie gerade nicht so nett abserviert.“

„Die passt auch nicht zu dir, Bruderherz. Du brauchst was Handfestes, nicht so eine komische Tussi.“

„Ich brauche gar keine. Die einen versteht man nicht, die anderen sind pseudoemanzipiert, die dritten dumm und die vierten eine Nummer zu schlau für die eigene Intelligenz.“

Ian schnaubt. „Du und deine Frauen.“

„Fass dich erst mal an die eigene Nase.“

Steven hat fast den Fahrstuhl erreicht. „Okay, ich hab zu tun, warum rufst du an?“

„Ich will wissen, ob du zu Cats Geburtstag auf dem Hof bist. Und wir müssen über ein Geschenk nachdenken.“

„Ja, klar bin ich da. Hat Logan keine Idee? Schließlich ist sie seine Freundin.“

„Lo schenkt was extra. Ich glaube, er hat Ringe gekauft.“

„Ringe? So wie Verlobung? Bindung? Treue schwören?“

„Yap.“

„Wow. Was sagen Tyler und Jason? Haben die keine gute Idee? Ich meine, ihr seht doch jeden Tag, was sie gebrauchen kann.“

„Wir dachten, wir schenken ihr einen Gutschein für Wellness und Beauty, diesen Kram, den Frauen machen, für die Fingernägel und so. Da kennst du in Hamburg doch bestimmt ein paar Adressen.“

Steven lacht laut auf. „Sie soll sich aufdonnern lassen? Das ist für unsere Cat kein Geschenk, sondern eine Strafe!“

Ian seufzt. „Wahrscheinlich hast du Recht, es ist wohl eher keine gute Idee. Denk mal nach, vielleicht fällt dir ja was ein.“

 

Begleitet von einem theatralischen Seufzen legt Lina ihre Stirn auf der Schreibtischplatte ab. „Hast du Aspirin dabei?“

Emma steht vor ihr und verschränkt die Arme vor der Brust. „Wieso deponierst du nicht mal eine Großpackung in deiner Schublade? So oft, wie du während der Woche versackst, würde sich das lohnen.“

„Keine schlechte Idee, am besten lege ich sie direkt neben die Kondome. Dann denke ich daran, schon prophylaktisch eine zu nehmen.“

Emma kichert und setzt sich gegenüber an ihren Schreibtisch. Lina hebt das Gesicht, stützt sich mit dem Kinn auf die übereinandergelegten Hände und zieht einen Schmollmund. „Was ist daran witzig? Und könntest du BITTE etwas leiser reden?“

„Wenn du das für notwendig befindest, hast du Sex nur betrunken oder die Tätigkeit an sich verursacht dir Kopfschmerzen. Beides sind Schlussfolgerungen, die rein psychologisch betrach…“

„Sorry, Babe. In meinem momentanen psychologischen Zustand kann ich deinen komplizierten Gedankengängen gerade nicht folgen.“

„Dir ist nicht zu helfen.“ Seufzend wühlt Emma in ihrer Tasche, steht auf, füllt ein Glas mit Wasser, lehnt sich an Linas Schreibtisch und hält es ihr entgegen. „Hier, teure Kollegin. Immer zu Diensten.“

Lina schluckt die Tablette und greift zum Wasserglas. „Danke. Der Boss hat dich übrigens vorhin im Meeting angestarrt.“

Emma zuckt ein ganz kurzer prickelnder Blitz durch den Körper. „Carter? Quatsch, warum sollte er das tun?“, fragt sie betont gelangweilt.

„Vielleicht steht er auf Frauen wie dich.“

„Frauen wie mich? Was soll das denn heißen?“

Lina grinst. „Diszipliniert, immer ordentlich, nie verkatert.“

Emma verdreht die Augen und winkt ab. „Du spinnst. So viel Auswahl, wie der hat, interessiert er sich garantiert nicht für so was Langweiliges wie mich.“

Lina lehnt sich zurück. „Hab gehört, er mag Peitschen und Fesseln.“

„Steven Carter?“ Emma lacht. „Kniend vor einer Domina? Nicht wirklich, oder?“

„Haha, nein, eher umgekehrt. Der lässt knien.“

„Sagt wer?“

„Eine Freundin von der Müller arbeitet bei der Reinigungsfirma, die hier sauber macht, und die hat erzählt, beim Boss im Papierkorb liegen immer mal wieder Quittungen, von Sexshops zum Beispiel.“

Emma verdreht die Augen. „Was für ein Schwachsinn. Ich will nichts mehr davon hören.“ Energisch greift sie zum Aktenordner neben sich, schlägt ihn auf und steckt die Nase hinein. Nicht auszudenken, wenn Lina die Röte in ihrem Gesicht auffällt. Sie ist gerade feucht geworden. Oh Mann! Wie eine pubertierende Fünfzehnjährige, die für ihren Mathelehrer schwärmt. Musste Lina jetzt so was erzählen? Emma träumt doch sowieso schon diesen peinlichen Kram und kann Steven Carter deshalb kaum in die Augen sehen, wenn sie sich mal zufällig im Flur begegnen. Fast jede Nacht, beim Einschlafen, oder besser gesagt davor, während sie sich selber streichelt, fantasiert sie von ihrem Chef und von Fesseln und von Peitschen und … Jetzt wird das noch schlimmer! Schluss! Themenwechsel. Sofort!

„Wo warst du gestern Abend?“, fragt sie beiläufig.

„Abschiedsfete bei meinem Bruder. Der geht für drei Monate nach Japan. Und da war so ein blonder Typ, Surfer, braun gebrannt, Muskeln. Mmh …“ Linas Lippen verziehen sich zu einem verträumten Lächeln.

Emma zieht amüsiert eine Augenbraue hoch. „Ein Surfer im Juni in Hamburg? Was will der hier? Über die Alsterwellen reiten?“

„Er ist nur zu Besuch, kommt aus Kapstadt und reist übermorgen wieder ab.“

Emma nickt. „Also wieder mal eine Bekanntschaft mit Zukunftsperspektive.“

Lina verdreht die Augen. „Nein, Mama, wieder mal ein affengeiler One-Night-Stand.“

Emma schüttelt den Kopf, stellt den Aktenordner ins Regal und kehrt an ihren Platz zurück. „Ich werde nie verstehen, was dich daran reizt.“

„Und ich werde nie verstehen, wie du es ohne Sex aushältst. Ich meine, wirklich, ganz im Ernst, ich bewundere deine Intelligenz, deine Disziplin und deinen Ehrgeiz im Job, aber du musst doch auch …“, sie macht eine fahrige Wischbewegung mit der Hand, „diese gewissen Bedürfnisse haben.“

Emma zuckt gleichgültig die Schultern. „Selbst ist die Frau.“

„Und das reicht dir?“

„Bevor ich mich irgendeinem Typen an den Hals werfe.“

 

„Feierabend!“ Seufzend schaltet Lina den Computer aus. „Kommst du mit zu mir? Du hast meine neue Wohnung noch gar nicht gesehen. Ich kann uns einen Salat machen.“

Emma tippt weiter Zahlen in ihre Tastatur und schmunzelt, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. „Musst du nicht Schlaf nachholen?“

„Quatsch, bin wieder topfit. Also, was ist?“

Emma kennt ihre Kollegin viel zu gut. Misstrauisch hebt sie das Gesicht und zieht die Augenbrauen zusammen, sodass sich eine dicke Falte auf ihrer Stirn bildet. „Was willst du von mir?“

Lina lächelt sie aus ihrem ebenmäßigen, sorgfältig geschminkten und natürlich mehrmals täglich nachgebesserten, Gesicht unschuldig an, während sie mit den Fingern die goldblonden langen Haare zurückstreicht. „Was soll ich denn wollen?“

„Schatzilein, du hast gestern gefeiert, bist am Ende des Meetings fast eingeschlafen, brauchtest mittags Tabletten, um denken zu können, und heute Abend soll ich mit zu dir kommen? Ohne Grund?“

Lina legt den Kopf schief und zeigt ihr freundlichstes Grinsen. „Na ja, wenn du vielleicht nur mal eben meine Waschmaschine anschließen könntest, während ich den Salat schnippele?“

Emma verdreht die Augen. „Es ist peinlich, wie unselbstständig du bist.“

Lina grinst. „Ich weiß. Ich wollte meinen Nachbarn fragen, aber der ist nie da und jetzt stapelt sich die Wäsche, und es muss was passieren, wenn ich übermorgen noch einen frischen Slip anziehen will.“

Seufzend winkt Emma ab. „Okay, ich komme mit. Aber nicht so lange.“

Lina strahlt. „Super! Ich liebe dich!“

 

Eine Stunde später hockt Emma in Linas engem Badezimmer und schraubt den Abwasserschlauch der Waschmaschine an den Anschluss unter dem Waschbecken. Warum tut sie sich das an? Warum kann sie nie Nein sagen? So ein Mist!

Lina steckt den Kopf durch die Tür. „Ich habe lieber eine Pizza bestellt, ist auch gut, oder?“

Emma seufzt. „Ja, klar. Dein Abflusssieb war so gut wie verstopft. Hier! Sieh es dir an! Du musst die Taschen deiner Hosen ausräumen, bevor du wäschst, dann passiert so was nicht.“

„Oh Mist. Wenn ich dich nicht hätte!“

Emma pustet sich eine Haarsträhne aus der Stirn und zeigt auf die Maschine. „Sieh mir zu, damit du das beim nächsten Mal selber kannst.“

Lina hebt abwehrend die Arme. „Oh nein, das ist nichts für mich. Ich habe zwei linke Hände und empfindliche Fingernägel, ich könnte das Ding jetzt nicht mal zuschrauben.“

Emma verdreht die Augen. „Du bist verwöhnt, Madame.“

Lina macht einen Kussmund, schmatzt laut und dreht sich zur Tür. „Komm ins Wohnzimmer, wenn du fertig bist, ich mache uns einen Sekt auf.“

„Ich bin mit dem Auto da!“, ruft Emma ihr hinterher.

„Einen darfst du!“

Als die Maschine betriebsbereit und das Werkzeug aufgeräumt ist, wäscht sie sich die Hände. Kritisch mustert sie sich im Spiegel. Ob sie die Haare wieder ganz kurz schneiden sollte? Praktisch war das ja. Anfang des Jahres hat sie sich eine Kurzhaarfrisur verpassen lassen. Inzwischen sind die von Natur aus glatten kastanienbraunen Haare gerade so weit nachgewachsen, dass sie sie hinter die Ohren klemmen kann. In die Stirn und halb über die Augen fallen ein paar lange Ponyfransen, die jetzt allerdings in alle Richtungen abstehen. Egal. Sie trocknet ihre Hände und geht ins Wohnzimmer, um sich auf einen Sessel niederzulassen. Lina drückt ihr ein Glas in die Hand. „Ich danke dir von Herzen! Prost!“

„Prost.“ Die Gläser klirren aneinander und sie trinken.

Lina leckt sich über die Unterlippe. „Mmh, ich liebe dieses Zeug.“

„Dass es dir schon wieder schmeckt?“

Lina zwinkert. „Gestern habe ich Schampus von der Brust dieses Traumtypen geleckt.“

„Pah“, Emma schüttelt sich angeekelt, „rede bloß nicht weiter!“

Kichernd wirft Lina den Sektkorken in ihre Richtung. „Ach Emmilein, du weißt ja nicht, was du alles verpasst. Du bist viel zu vernünftig.“

Emma fischt den Korken von ihrem Schoß und legt ihn auf den Tisch. Gott, wie sie diese Sprüche hasst! „Ach Linilein, ich bin nun mal schon erwachsen. Ich werfe mich keinem einfach so an den Hals“, ahmt sie ironisch den Tonfall ihrer Kollegin nach.

Lina neigt den Kopf, macht schmale Augen und tippt mit dem Zeigefinger auf den kleinen Couchtisch. „Ich denke, du hast Schiss, Komplexe oder so was. Du traust dich einfach nicht. Deshalb ziehst du dich auch immer so düster und langweilig an, damit bloß keiner deine tolle Figur sieht und dich anflirtet.“

„So ein Quatsch!“ Emma winkt entschieden ab. „Ich habe einfach keine Lust auf Typen, die nichts im Kopf haben und Frauen wie Sexobjekte behandeln.“

„Schätzchen, du hast ja keine Ahnung, wie geil es ist, ein Sexobjekt zu sein.“ Lina lehnt den Kopf zurück und nimmt mit verklärtem Blick einen Schluck Sekt.

Emma legt die Hand auf ihre Schulter und schüttelt sie. „Frau! Hast du denn kein bisschen Ehrgefühl?“
„Was willst du? Ich kann doch geilen Sex haben und mich von den Männern verwöhnen lassen? Was ist daran schlimm? Es macht Spaß! Ich liebe es, wenn ein Typ Kraft hat und mich nimmt und …“

„Hör auf!“

Lina grinst. „Emma, dir ist bloß noch nie der richtige Typ begegnet, der, der dich nur ansieht und du bekommst weiche Knie, der, der dich küsst wie ein Erdbeben und dich willenlos macht.“

„Nein, ein Außerirdischer ist mir wirklich noch nie begegnet“, entgegnet Emma trocken und zeigt zur Tür, weil es klingelt. „Träum weiter von deinen chauvinistischen Alpha-Affen, vielleicht ist der Pizzamann ja auch einer. Der sorgt wenigstens für einen vollen Magen.“

 

Der Motor brummt gleichmäßig leise und im Radio spielen sie romantische Liebeslieder. Der Himmel ist sternenklar und aus den Augenwinkeln sieht Emma den strahlenden Mond. Seufzend dreht sie die Musik lauter und summt mit. Gibt es denn überhaupt keine romantische Liebe gepaart mit echter Kameradschaft? Nur Hormone, Sex und Coolness? Natürlich möchte sie auch nicht allein sein, aber so sein wie Lina? Nein, niemals würde sie sich so benehmen.

Ob der Boss sie wirklich beobachtet hat? Quatsch, Lina wollte sie bloß aufziehen. Genervt trommelt Emma mit den Fingern aufs Lenkrad. Sie sollte öfter andere Männer kennenlernen, aber wenn sie mal abends ausgeht – seufzend betrachtet sie ein verliebtes Pärchen auf dem Bürgersteig - funktioniert es nicht, weil sie nämlich alle Männer, die ihr begegnen, mit Steven Carter vergleicht. Immer sieht sie sein verdammtes Gesicht vor ihrem inneren Auge. Ständig dieser miese, unfaire Kampf gegen die Hormone. Die wollen unbedingt Sex mit Steven Carter, ausschließlich mit Steven Carter, und zwar nicht normalen Sex, sondern den, über den ihre Mutter nur hinter vorgehaltener Hand sprechen würde. Das ist wirklich so lächerlich, so kindisch, so unreif! Jeden Tag kämpft sie um Selbstbeherrschung, aber sie schafft es nicht, ihn aus ihrem Kopf zu vertreiben. Dabei spricht alles gegen ihn! Steven Carter ist nicht nur ihr Boss, sondern auch der arroganteste Obermacho, den sie je getroffen hat! So einen will sie doch gar nicht und trotzdem: Jedes Mal, wenn sie in sein kantiges, schönes Gesicht mit dem Barschatten und den geschwungenen Lippen sieht, pulsieren leichte Stromstöße in die unteren Regionen ihres Körpers, und jeden Abend drängen seine braunen Augen sich ungewollt in ihre Einschlafgedanken, zusammen mit Bildern, in denen er zärtlich ihre Wange streichelt und sie liebevoll an seine breite Brust zieht … nachdem er sie mit grauenvoll geilem Lustschmerz gezwungen hat, sich ihm hinzugeben. Es ist zum verrückt werden! Sie will diesen Scheiß nicht! Ganz sicher nicht!

Als er am Nachmittag so überraschend in die Teambesprechung geplatzt ist und sich ausgerechnet schräg hinter ihr auf einen Stuhl setzte, hat sie so weiche Knie bekommen, dass sie nicht hätte aufstehen können. Die ganze Zeit über prickelte sein Duft nach Mann und Aftershave in ihrer Nase, und ihr liefen Schauer über den Rücken, weil sie ständig glaubte, seine Augen auf sich zu spüren.

Er ist ihr Chef und würde im besten Fall verächtlich schmunzeln, wenn er von ihren vorpubertären Sehnsüchten wüsste. Romantik und BDSM! Hach! Es ist so unmöglich, kindisch und trotzdem kann sie seit drei Jahren nicht anders! Sie erinnert sich noch gut, als der gebürtige Amerikaner den maroden Importhandel gekauft hat und sie ihn zum ersten Mal sah. Der Blick aus seinen Augen traf direkt in ihren Unterleib und seitdem himmelt sie ihn heimlich an. Vielleicht sollte sie mal zum Psychoklempner gehen. Der Macho ist wirklich überhaupt nicht ihr Typ!

Steven Carter ist ein knallharter Geschäftsmann, scheinbar ohne echtes Privatleben. Allerdings sieht man ihn immer wieder mit wechselnden kichernden Frauen am Arm. Er wirkt mit seinen breiten Schultern, der schlanken Figur, seiner beeindruckenden Größe und diesem knackigen Arsch gemeinerweise unglaublich attraktiv. Seine Unterarme sind doppelt so dick wie ihre. Adern und Sehnen zeichnen sich deutlich unter der Haut ab, wie bei Männern, die schwere körperliche Arbeit leisten. Wenn er, so wie heute, ohne Anzugjacke und mit lässig aufgekrempelten Ärmeln herumläuft, glotzt sie auf diese Unterarme und wird augenblicklich feucht. Und wenn sie nachts im Bett liegt, stellt sie sich seine eine große Hand auf ihrer Pobacke vor, während die langen Finger seiner anderen Hand ihre Brustwarzen zwirbeln. Nein, das kann sie nicht mal einem Psychologen erzählen.

Linas Tratschgeschichte fällt ihr wieder ein. Ob es stimmt? Ob Steven Carter tatsächlich auf BDSM steht? Man weiß in der Firma nichts über sein Privatleben, außer dass er nicht verheiratet ist.

Er lacht selten, ist immer konzentriert und weiß ganz genau, was er will. Wenn er zornig ist, wird sein Gesicht unter den fast schwarzen Haaren zu einer unbeweglichen Maske. Er verliert nie die Fassung, schreit nie rum, im Gegenteil, seine Stimme wird ruhig, leise und schneidend. Emma seufzt. Schon wieder muss sie an das Meeting vom Nachmittag denken. Dieser Moment, als sie ganz aus Versehen in seine Richtung sah und er eine Augenbraue hochzog. Es waren heiße Blitze durch ihren Körper geschossen. Ihr Puls rumorte in ihrem Kitzler und ihre Knie und Finger zitterten um die Wette. So was passiert ihr dauernd, wenn sie mit ihm zu tun hat, was zum Glück nicht oft der Fall ist.

Insgeheim träumt sie davon, ihn zu beeindrucken, aber eben ganz anders als andere Frauen. Sie will seine Anerkennung für ihre Arbeit, für ihre Intelligenz und guten Ideen. Dafür kämpft sie jeden Tag, doch bisher hat er noch kein einziges Mal auf ihr Engagement reagiert.

Ihr Traum ist, dass sie ihm auf Augenhöhe begegnet, weil sie gut in ihrem Job ist, sie will, dass er sie respektiert und anziehend findet, weil sie intelligent ist und nicht nur an Friseur, High Heels und Sex denkt. Sie will, dass er sie achtet und ernst nimmt, weil sie anders ist als diese dummen, oberflächlichen Gänse, die täglich mit ihm flirten und dann … ach wäre das schön … dann soll er sich in sie verlieben.

Kopfschüttelnd schimpft sie sich eine Idiotin. Sie müsste schon den Job kündigen, um den Steven-Carter-Fluch loszuwerden, doch das steht natürlich überhaupt nicht zur Diskussion. Allein die Vorstellung, ihn nicht mehr zu sehen, ist noch schlimmer als das unglücklich Verliebtsein.

Kapitel 2

 

„Schon gleich zehn! Wo bleibt sie denn wieder?“

Emma runzelt beim Blick auf den leeren Arbeitsplatz gegenüber die Stirn. In diesem Moment klingelt ihr Handy. Lina steht auf dem Display, also meldet sie sich mit einem rüden „Wo steckst du?“.

Als Antwort kommt nur ein seltsames Krächzen.

„Lina! Hey, was ist los?“

Noch ein Krächzen.

„Wie bitte?“

Aus dem Krächzen wird ein heiseres Flüstern. „Ich bin krank.“

Emma stöhnt genervt. Erst ein paar Tage ist es her, dass sie bei der verkaterten Lina die Waschmaschine klar gemacht hat und nun schon wieder diese Jammerei. „Mal wieder Prosecco-krank?“, fragt sie ironisch süffisant.

„Nein! Richtig krank. Grippe.“

„Ach so. Tut mir leid. Da hast du dir aber einen unpassenden Zeitpunkt ausgesucht. Samstag ist doch das Sommerfest!“

„Bis dahin bin ich wieder fit. Heute ist schließlich erst Donnerstag.“

Emma schüttelt den Kopf. „Eine Grippe dauert eine Woche. Das hat meine Oma schon immer gesagt.“

Lina schnieft laut ins Telefon. „Hör mal, Emma, könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Soll ich dir Medikamente besorgen?“

Wieder schniefen und husten. „Nein, in der Wohnung meines Bruders müssen die Blumen gegossen werden. Ich war gestern schon nicht da, und er bringt mich um, wenn seine kostbaren Gewächse die drei Monate, in denen er verreist ist, nicht überleben.“

Emma verdreht genervt die Augen. „Kann das nicht ein Nachbar machen? Oder deine Mutter?“

„Ich erreiche niemanden und es liegt für dich fast auf dem Weg. Werner-von-Siemens-Straße, Hausnummer zehn.“

„Und wo bekomme ich einen Schlüssel her?“

„Liegt in einem Blumentopf versteckt auf der Terrasse.“

„Terrasse? Ich dachte, dein Bruder hat eine Wohnung?“

„Er wohnt im Parterre. Wenn du die drei Stufen zum Gartentisch unter der Markise hochgehst, steht links ein blau lackierter Blumentopf mit einem Farn drin. Den hebst du an und darunter liegt der Schlüssel.“

„Was muss ich noch wis…“

Es klopft kurz, die Bürotür geht auf und Steven Carter steht vor ihr.

„Ich muss Schluss machen, Lina, ich melde mich nachher.“ Das Handy purzelt auf die Schreibtischunterlage. „Guten Morgen, Herr Carter.“

Sein Anblick ist umwerfend. Seine Haare kräuseln sich etwas, ein paar Strähnen fallen in seine Stirn. Das gibt ihm ein jugendlich freches Aussehen. Zu allem Überfluss hat er wieder die Anzugjacke ausgezogen und die Ärmel seines weißen Hemdes lässig aufgekrempelt. Eine protzige Armbanduhr lenkt ihren Blick auf seinen kräftigen Unterarm und die wunderschöne Hand mit den langen Fingern.

Verdammt! Was will der Oberboss in ihrem Büro?

Erst jetzt sieht sie die schlanke, rothaarige Frau im engen schwarzen Bleistiftrock, die hinter ihm im Türrahmen stehen geblieben ist.

Er räuspert sich. „Guten Morgen, Frau Marquardt. Sind Sie heute allein?“

„Ja, Frau Hartmann hat gerade angerufen. Sie ist krank.“

Er nickt und winkt die junge Frau heran, die sofort auf ihren High Heels so nah neben ihn stöckelt, dass sich ihre Arme berühren. Er legt eine Hand leicht auf ihren Rücken. „Das ist unsere neue Praktikantin, Frau Gmeiner.“

Die geschätzte Achtzehnjährige sieht mit einem schmachtenden Lächeln zu ihm auf. „Eve reicht doch, Steven.“

Oh Gott! Was für eine dumme Kuh!

Carter räuspert sich. „Äh, ja, Eve. Das ist Frau Marquardt.“ Er guckt wieder zu Emma. „Eve sollte eigentlich heute meiner Assistentin über die Schulter schauen, aber das geht nicht, weil wir bis mittags in einer vertraulichen Telefonkonferenz sitzen. Können Sie …?“

Emma will am liebsten genervt mit den Augen rollen, das tut sie natürlich nicht. „Kein Problem.“

Er zeigt die Andeutung eines Lächelns. „Danke.“

Während er sich schon zur Tür dreht, rotieren Emmas Gedanken in Lichtgeschwindigkeit. Ihr Herz schlägt reflexartig schneller. Soll sie es wagen? Die Gelegenheit nutzen?

„Herr Carter, entschuldigen Sie.“

Er bleibt stehen. „Ja?“

„Äh, haben Sie zufällig, ich meine, konnten Sie sich vielleicht schon meine Mappe mit der Kampagne für Österreich ansehen?“

Seine Stirn bildet eine Falte. „Welche Mappe?“

„Ich habe sie Herrn Rottmann gegeben und der wollte Sie Ihnen … Aber macht ja nichts. Sicher hatten Sie noch keine Zeit.“

Einen Moment lang mustert er offensichtlich irritiert ihr Gesicht, dann dreht er sich abrupt wieder zur Tür. „Sorry, ich bin jetzt leider in Eile, aber ich werde mit Rottmann sprechen.“

Emma winkt ab. Ihr Gesicht ist so heiß, dass man wahrscheinlich auf ihren Wangen Spiegeleier braten könnte. Was bildet sie sich bloß ein? Als ob er nichts Wichtigeres zu tun hat! „Kein Problem. Ist doch auch absolut nichts Dringendes.“

Er nickt ihr kurz zu und schließt die Tür hinter sich.

Emma nimmt die beiden Stapel Blätter auf ihrer Arbeitsfläche und schüttelt sie so lange, bis sie einen ordentlichen Haufen ergeben, um gleich danach irritiert daraufzustarren. Verdammt, was tut sie denn da? Ärgerlich sortiert sie alles wieder in die ursprünglichen zwei Stapel auseinander.

Eve grinst. „Er kann einem ganz schön den Kopf verdrehen, was?“

„Wie bitte?“

„Steven! Am Anfang ist es mir auch so gegangen.“

Carter GmbH