image

Tilo Plöger

DIALOGE MIT AUFGESTIEGENEN MEISTERN

DIE MEISTER DER UMBANDA: BOTSCHAFTEN AN DIE MENSCHEN

Copyright: © 2016: Tilo Plöger

Illustration: Maika Matthis

Umschlag & Satz: Erik Kinting

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

EINFÜHRUNG IN DIE MYTHOLOGIE

Der Ifismus

Die Entstehung des Universums

Der Entstehung der materiellen Welt

Der Mensch zwischen geistiger und materieller Welt

Die geistige Führung des Menschen

Die Energie Axé

Das Wort, der Atem und die Sicht

DIE 16 HAUPT-ORIXÁS

DIE AUFGESTIEGENEN MEISTER

SPIRITUELLE GRUNDLAGEN

Umbanda

Der Aufbau der geistigen Welt

DIE ENTITÄTEN DES WINDRADES UND DER TRINITÄT

Exu 7 Encruzilhadas

Exu Tranca Ruas

Exu Marabô

Exu Gira Mundo

Exu Pinga Fogo

Exu Tiriri

Exu Pombo Gira

Preto Velho

Criança

WEITERE ENTITÄTEN DER UMBANDA

Baianos

Boiadeiros

Marinheiros

Ciganos

Malandros

Linha do Oriente

TRANSKRIBIERTE DIALOGE ........ Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 1 – Der Indianer Caboclo Pena Branca ........... Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 2 - Der Alte Schwarze Vô Rei Congo ............... Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 3 – Der Alte Schwarze Vô Rei Congo .............. Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 4 – Der Alte Schwarze Vô Rei Congo .............. Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 5 – Die Alte Schwarze Vó Catira .... Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 6 – Die Alte Schwarze Vó Catira .... Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 7 – Der Exú Tiriri Lonan ........ Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 8 – Der Exú Tiriri Lonan ........ Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 9 – Der Exú Tiriri Lonan ........ Fehler! Textmarke nicht definiert.

DIALOG NR. 10 – Der Exú Tiriri Lonan ...... Fehler! Textmarke nicht definiert.

NACHWORT

VORWORT

In den USA, in Europa und speziell im deutschsprachigen Raum gibt es seit vielen Jahren vermehrt eine Suche nach „Botschaften aus der geistigen Welt“. Und immer mehr Medien veröffentlichen diese Botschaften in Büchern, Blogs, Newslettern. Schwerpunkt der westlichen Traditionen ist dabei das Channeling, bei dem ein Medium die Botschaften empfängt und mündlich oder schriftlich wiedergibt. Das Medium kommuniziert mit der geistigen Welt, meist mit definierten Entitäten, bleibt aber Herr/Herrin des eigenen Bewusstseins.

In einigen Kulturen, speziell in Brasilien, gibt es seit etwa 100 Jahren eine Bewegung, die aus der Fusion indigen-schamanischer Arbeitsweisen, schwarzafrikanisch-magischer Traditionen und europäisch-alchemistischem Spiritismus hervorgegangen ist. In dieser Tradition „steigen die Geister herab“, das heißt, sie inkorporieren in ihre Medien und übernehmen die Kontrolle über deren Bewusstsein und Bewegungen. Dabei bleibt das Bewusstsein des Mediums selbst voll bis gar nicht, in jedem Fall aber als rein beobachtende Instanz erhalten. Diese Bewegung heißt Umbanda und umfasst mehrere tausend dezentral organisierte Gruppen und einige zehntausend mehr oder weniger aktive Medien.

Die Umbanda ist eine monotheistische Tradition der Praxis. Sie fußt auf den Grundlagen des Candomblé, ohne diese Tradition selbst auszuüben (dafür müssen die Teilnehmer ergänzend zur Umbanda auch im Candomblé selbst verankert sein). Die wesentliche Aufgabe der Umbanda ist die Beratung und Praxis der Nächstenliebe. Im Kern besteht die Praxis der spirituellen Beratung in den „Tempeln“ der Umbanda aus einem oder mehreren Medien, die ihre materielle Hülle geistigen Entitäten zur Verfügung stellen, damit diese durch sie sprechen. In wöchentlichem Rhythmus empfangen diese Entitäten Menschen, die mit ihnen in Dialog treten und mit ihnen Probleme besprechen oder um magische Hilfe bitten. Die Häuser stehen jedem offen und es ist nicht erlaubt und meist auch nicht üblich, für diese Leistungen bezahlt zu werden.

Die Umbanda ist eine Sonderform des Spiritismus, der verschiedene Arten der Inkorporationen kennt. Ein sehr prominentes Beispiel für diese Form der Inkorporationen ist das weltweit bekannte Medium John of God, João de Deus, der selbst allerdings nicht innerhalb der Umbanda verankert ist, sondern sich selbst in einer eher christlichen Tradition sieht.

Was die Umbanda von spiritistischen Sitzungen unterscheidet ist – neben ihren Wurzeln im Candomblé – vor allem die Struktur der geistigen Welt. Werden im Spiritismus mehr oder weniger beliebig alle Geister, Entitäten angerufen, so sind die Struktur, die Hierarchien, die Arbeitsweisen der Entitäten in der Umbanda eindeutig festgelegt. Jedem Medium sind bestimmte Entitäten aus der Trinität oder der Windrose (siehe Erläuterungen unten) zugeordnet, die lebenslänglich mit dem Medium verbunden sind.

Das Interessante und für den Westen ungewöhnliche an diesen Entitäten ist die Arbeitsweise. Sie wirken in archetypischen Linien und sind in Sprache und Handlung überaus konkret. Ihre Persönlichkeiten sind für den Europäer ungewöhnlich, scheinen sie doch den Menschen selbst recht ähnlich zu sein (was sie de facto aber nur sind, um bestimmte Wirkungen zu erzeugen).

Ich selbst begann vor einigen Jahren über einen „Zufall“ intensive Verbindung zu dieser Tradition aufzubauen und entdeckte eine große Mystik sowie große Wahrheiten, die ich als starke Ergänzung meines europäischen Wissens empfand. Ebenso „zufällig“ hatte ich die Freude, im Rahmen eines Aufenthaltes in Brasilien meinen Freund Jefferson Viscardi kennenzulernen.

Jefferson, selbst aktiver Umbandista und Weltenbummler, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Botschaften der geistigen Entitäten in Form von Dialogen aufzunehmen und mit deren Genehmigung zu veröffentlichen. In den vielen Jahren seiner Arbeit nahm er inzwischen etwa 500 Dialoge auf. Sie sind auf seiner Webseite und auf Youtube einzusehen unter „Diálogos com os Espíritos“, Dialoge mit den Geistern. Er sieht es als seine Mission, die Inhalte aufzunehmen und zur Verfügung zu stellen, nicht jedoch zu strukturieren, zu bewerten oder zu übersetzen. Vor diesem Hintergrund ist es für einen Menschen, der nicht portugiesisch spricht und die Tradition nicht kennt, natürlich schwierig, diese Dialoge zu verstehen. Die Dialoge bleiben also weitgehend den bereits mit der Tradition vertrauten Menschen vorbehalten.

Dieses Buch übersetzt nun erstmalig für den deutschsprachigen Raum einige dieser Dialoge. Die Idee entstand im Rahmen meiner eigenen Buchreihe über den Ifismus, den ich dem deutschsprachigen Raum zugänglich machen wollte. Sie vereint übergreifend Mythologie und Orakel der Traditionen, die der uralten afrikanischen Yorubá-Kultur entspringen (u.a. die Santeria auf Kuba, den Candomblé und die Umbanda aus Brasilien, teilweise Voodoo aus Jamaica und Haiti).

Als Startpunkt habe ich die Gespräche gewählt, die über das Medium Marcos de Jagum aus Rio de Janeiro geführt werden. Dies hat drei einfache Gründe. Erstens kenne ich diesen Priester und geistigen Führer persönlich und bin sehr überzeugt von der Integrität seiner Arbeit und seinem Wissen. Zweitens vereint er selbst die Traditionen des Candomblé und der Umbanda, eine Verbindung, die für das Gesamtverständnis sehr hilfreich ist. Drittens konnte ich so einfach die Genehmigung aller Teilnehmer erhalten, dieses Buch zu veröffentlichen – Jefferson Viscardi, Marcos de Jagum und die Entitäten selbst.

Den Dialogen füge ich keine persönlichen Bewertungen und Analysen zu. Ich habe sie weitgehend im Original übersetzt und lediglich ein paar Erläuterungen in Klammern eingefügt. An der einen oder anderen Stelle habe ich Aussagen zusammengefügt oder ausgelassen, wenn sie sich doppelten. Da es sich um freie Gespräche handelt, teilweise auch um die Bearbeitung von Fragen von Zuhörern, liegt es in der Natur der Sache, dass nicht immer ein roter Faden ersichtlich ist. Doch dies ändert nichts an der Qualität einzelner sowie zusammenhängender Aussagen.

Als Einleitung füge ich ein paar grundsätzliche Erläuterungen zur Tradition des Candomblé und der Umbanda ein. Dies habe ich bei allen Büchern getan, auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen. Doch es ist nicht vorhersehbar, mit welchem Buch ein neuer Leser beginnt. Und ohne Vorkenntnisse werden einzelne Gesprächsabschnitte nur schwer verständlich sein.

Wer der brasilianischen, portugiesischen Sprache mächtig ist, der kann die Dialoge im Original auf Youtube verfolgen und auch andere Medien anhören. Die hier zusammengefassten Dialoge entsprechen den Dialogen der Nummer 392-396, 424-427, 501-506 und wurden zwischen 2014 und 2015 aufgenommen (siehe auch www.dialogocomosespiritos.com).

Die Dialoge wurden meistens in den Räumen der Medien aufgenommen. Im konkreten Fall der unten transkribierten Dialoge, wurden sie in dem Hauptraum des Terreiros (Tempels) aufgenommen, der den vielen Ritualen, Tänzen, Beratungen dient. Häufig waren Menschen anwesend und die Entität adressiert einige Botschaften auch an diese Gruppe. In späteren Interviews greift der Moderator Fragen und Anmerkungen auf, die unbekannte Online-Zuhörer seines YouTube Kanals stellten und die sich auf voran gegangene Gespräche beziehen. Hierzu muss man wissen, dass die Umbanda in Brasilien mit starkem Gegenwind neochristlicher Sekten kämpft, die alle Entitäten verteufelt. Auch die historische Ablehnung der katholischen Kirche prägt viele Aspekte der Diskussion.

Für weitergehende Informationen verweise ich auch auf die nachstehenden Webseiten, die auch zu den anderen Bücher führen.

Tilo Plöger im Jahr 2016

www.ifismus.com

http://www.asenileasala.com

EINFÜHRUNG IN DIE MYTHOLOGIE

Der Ifismus

Was bedeutet Ifismus? Wie im Vorwort angemerkt, ist Ifismus ein Kunstbegriff. Er umfasst definitorisch alle Gemeinsamkeiten der spirituellen afrikanischen Yorubá-Traditionen, die vor ca. 5000 Jahren ungefähr im Gebiet des heutigen Nigeria entstanden sind, und dort die Grundlage der arabischen, ägyptischen und afrikanischen Spiritualität bildeten. Später differenzierten sie sich aus und vermischten sich mit anderen Strömungen, doch auch heute noch sind Einflüsse innerhalb der europäischen und sogar asiatischen Kultur erkennbar (bspw. im I Ging). Über die Sklaverei verbreitete sich diese Kultur später nach Brasilien, Kuba, Jamaica und wurde dort teilweise weiter entwickelt. Der Ifismus umfasst vor allem die mündlich überlieferten Verse des Orakels von Ifá, die die Grundlage aller Deutungen sind. Der Ifismus versteht sich mehr inhaltlich als rituell, mehr abstrakt als konkret. Denn die konkreten Rituale verändern sich mit der Zeit und dem Raum. Die abstrakten Prinzipien jedoch sind weitgehend unveränderlich und bilden die Grundlage jeder rituellen Umsetzung in verschiedenen Kulturkreisen und Epochen.

Die kulturellen Ausprägungen des Ifismus sind streng genommen Religionen, die den gemeinsamen Kult gleicher spiritueller Strukturen und Entitäten aufweisen. Die wesentlichste Gemeinsamkeit dieser Weltreligionen mit Millionen von Anhängern ist das Prinzip von Ifá – die Kommunikation mit der geistigen Welt über das Orakel und die Antworten über die gesungenen Verse. Die aus dem Ifismus entstandenen Religionen in und außerhalb Afrikas, der Candomblé in Brasilien, die Santeria in Kuba, der Voodoo in Jamaica, erfüllen alle Voraussetzungen einer Weltreligion: Millionen Anhänger, eindeutige Glaubensbekenntnisse, stabile Gottesvorstellung, gemeinsame Werte und Rituale u.a. Dennoch bleiben sie im Westen und speziell in Deutschland weitgehend unbekannt und unverstanden.

Obwohl sich also durchaus sagen ließe, dass es sich um Religionen handelt, möchte ich im Folgenden und in den anderen Büchern das Wort „Religion“ vermeiden, aufgrund meiner Zielsetzung sowie der schwierigen Konnotation dieses Begriffes. Die Traditionen sind nicht missionarisch, nicht dogmatisch, nicht geschlossen, sie unterscheiden sich in vielen Merkmalen vom gelernten Vorgehen und Selbstverständnis großer Religionen. Sie sollen im Kontext der vorliegenden Ausführungen keinem missionarischen, religiösen Zweck dienen. Im Gegenteil – der Ifismus bietet viel Raum für andersartiges Denken und Glauben. Die meisten Interessierten und Anhänger sind in anderen Religionen groß geworden und mehr oder weniger beheimatet. In Brasilien gibt es Millionen Anhänger des Candomblé – doch noch größer ist die Zahl derjenigen, die einer anderen Religionsgemeinschaft angehören und dennoch regelmäßig das Orakel befragen oder magische Rituale durchführen, um Klarheit und inneres Gleichgewicht zu erfahren.

Der Ifismus bietet allen Menschen je nach Situation und Bedürfnis mystische Erfahrung, Instrumente der Erkenntnis und der Heilung, inhaltliche Anregungen, im Einzelfall eine spirituelle Heimat. Die Tradition selbst sieht sich als offene Tradition, vor allem auch in den Kulturen, in die sie „zwangsexportiert“ wurde. Nicht selten, fast überwiegend, sind Teilnehmer der Rituale katholisch, spiritistisch, etc. ausgerichtet. Vor allem auch die Befrager des Orakels sind häufig spirituell gar nicht oder in völlig anderen Traditionen beheimatet. Und nichts spricht dagegen. Denn auch im deutschsprachigen Raum befragen viele Menschen Astrologen oder Kartenleger, gehen in Yoga-Kurse, verwenden die traditionelle chinesische Medizin und Akupunktur, und bedienen sich vielfältiger spiritueller Techniken aus „fremden“ Traditionen.

Auf konzeptioneller Ebene vermeide ich die bekannten Begriffe Voodoo, Santeria, Candomblé und Umbanda. Zum einen, weil die Ausführungen einen übergeordneten Anspruch haben und nicht auf die eine oder andere Tradition beschränkt sind. Zum anderen, weil die Begriffe in der Allgemeinheit bekannt sind, jedoch undifferenziert verwendet werden und meist negativ konnotiert sind. Bei Voodoo denkt der westliche Mensch zunächst an schwarze Magie und blutige Rituale. Dabei spielt die schwarze Magie bei wohlmeinenden Priestern (Babalorixás, Yalorixás im Candomblé) und Wahrsagern (Babalaô im Candomblé) überhaupt keine Rolle. Und die Rituale sind weder grausam, noch sind sie sinnlos blutig. Sie dienen in aller Regel ausschließlich dem spirituellen Wachstum – schwarze Magie ist ein Missbrauch der Prinzipien dieser Tradition sowie aller anderen spirituellen Traditionen. Ich erwähne die o.g. Strömung nur dann explizit, wenn ich exemplarisch bestimmte Rituale aus dieser oder jener Tradition entnehme.

Was bezweckt der Ifismus? Die Tradition des Ifismus ist ausgerichtet auf den spirituellen Ausgleich des Menschen. Und zwar in Harmonie mit sich selbst, mit seiner Umwelt und damit mit seiner Bestimmung. Universell gesehen sieht der Ifismus den Menschen sowie alle anderen beseelten Wesen in einem Entwicklungsprozess von der Dunkelheit, der Abwesenheit von Licht, in das Licht.

Ein „guter Mensch“ zu werden ist in dieser Tradition die höchste Lebensaufgabe. In der wörtlichen Übersetzung bedeutet ein guter Mensch „auf die Welt kommen, um die Erde zu segnen“. Der Mensch wird also ein guter Mensch, indem er in tiefer Resonanz, Kommunikation sowie Austausch mit seiner Umwelt steht. Dafür muss er unabhängig sein von der äußeren Beeinflussung (davon, was die Außenwelt von ihm denkt) und frei sein in seiner inneren Ausrichtung. Frei von inneren Ängsten und Projektionen, frei von den selbst erschaffenen und genährten „Dämonen“ (Elenini).

Der Ifismus ist zuallererst eine Tradition, die den Menschen auf seinem Bestimmungsweg halten möchte, die ihm auf diesem Weg Kraft, Freiheit, Klarheit und Ausrichtung schenkt. Das Orakel von Ifá ist in diesem Zusammenhang das zentrale Instrument, die Wege und Kräfte des Menschen zu analysieren. Die sich aus dem Orakel möglicherweise ergebenden empfohlenen (magischen) Rituale dienen der Wiederherstellung der inneren und äußeren Balance des Menschen auf seinem Weg. Dies geschieht unter anderem über den Austausch von materiellen und geistigen Energien (Ablösung, Stärkung, Abschwächung) nach magischen Prinzipien.

Welche Möglichkeit bietet der Ifismus dem europäischen Menschen? Zunächst und ganz praktisch bietet die Tradition ein bewährtes, sehr altes Instrument der Erkenntnis an – das Orakel von Ifá. Im Gegensatz zu den bekannteren alchemistischen Orakeln Europas ist das Orakel von Ifá nicht nur ausgesprochen alt und bewährt, sondern auch sehr detailliert in seiner Analyse – und es liefert konkrete Lösungsansätze. Persönlich gefällt mir an diesem Divinationsprinzip, dass es spirituell angebunden ist und von den geistigen Entitäten selbst geführt wird. Sie sind es auch, die im Orakel antworten und sie sind es, die in den magischen Ritualen unterstützen und für den Energieausgleich sorgen. Es ist also ein sehr geschlossenes und angebundenes System.

Des Weiteren ist der Ifismus ein sehr ausgefeiltes Modell der Selbsterkenntnis. Auf dem Weg zu der individuellen Spiritualität und der Entfaltung innerhalb der persönlichen Bestimmung liefert die Tradition sehr viele Ansatzpunkte der Reflektion und Handlung.

Für Menschen, die mystische Erfahrungen schätzen und suchen, ist der Ifismus ein wunderbarer Einstieg. Wer die Tänze erlebt und erfahren hat, wer vielleicht die Gelegenheit bekommt, mit inkorporierten Entitäten zu sprechen, der wird diese Erfahrung sicher nicht vergessen und einen anderen Blick auf die geistige Welt bekommen.

Schließlich beinhaltet der Ifismus eine wunderbare Mythologie, – Erzählungen (wie die Legenden des Olymps), die mit oder ohne hermetische Kenntnisse der größeren Zusammenhänge und tieferen Deutungen einfach schön zu lesen sind.

Die Entstehung des Universums

Der Ifismus ist eine monotheistische Tradition. Am Anfang war Olodumaré. Er ist der allmächtige, allwissende, allgegenwärtige, zeitlose Gott. Er existiert in drei Ausprägungen (Manifestationen): Olorun, Eledumaré und Olofi. Olorun ist der Herrscher des Himmels und wird mit der Sonne assoziiert (Olo = Herrschen). Eledumaré ist der große Erschaffer, der Erzeuger des Universums, der Welt, des Lebens. Olofi ist der Mittler zwischen der geistigen Ebene Orún („Himmel“) und der materiellen Ebene Ayé („Erde“). Die drei Ausprägungen werden umgangssprachlich häufig synonym verwendet und Olodumaré gleichgesetzt, was genau genommen nicht korrekt ist.

Olodumaré ist der Erschaffer und Begründer von allem, so auch der Trennung von Himmel und Erde. Er ist unmittelbar an der Entstehung der geistigen Ordnung beteiligt, überträgt dann Aufgaben an von ihm geschaffene Entitäten, insbesondere die Orixás und die Odus. Die Orixás erschaffen gemeinsam die Erde und das Leben auf der Erde (Olodumaré haucht den Menschen allerdings dann selbst das Leben ein). Sie gestalten die Kommunikation zwischen Menschen und geistiger Welt, sie sorgen für die Umsetzung von Karma. Die Odus, auch Propheten oder Erzengel genannt, definieren die Wege, auf denen die Menschen gehen. Olodumaré hält materielle und geistige Welten zusammen und grenzt sie voneinander ab. Er mischt sich nicht in das Leben ein. Seine Aufgabe beschränkt sich auf die Strukturierung der wesentlichen Prinzipien – die Umsetzung der Aufgaben überträgt er an die von ihm geschaffenen Entitäten.

Ausgehend von dem monotheistischen Gott entfaltet sich die Welt. Symbolisch und in den einzelnen Schritten ist erkennbar, dass es bei der Entstehungsgeschichte inhaltliche und strukturelle Parallelen zu den bekannten großen Religionen der Welt gibt. Es ändern sich lediglich die Formen der Illustration und Überlieferung. In einem ersten Schritt der Selbstentfaltung Gottes entsteht zunächst die Polarität (Dualität) in der Form eines Gott-Vaters und einer Gott-Mutter, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. In der griechischen Mythologie sind das Zeus und Hera, in der afrikanischen Yorubá-Mythologie sind das Oxalá und Odudua. Diese sind die ersten sogenannten Orixás.

Viele Missverständnisse kreisen um dieses mythologische Paar. Da sämtliche spirituelle Prinzipien in Form von gesungenen Gebeten (Orikis) und gesungenen heiligen Versen (Itans) weitergegeben werden, besteht ein großer Spielraum für Interpretationen. In Kenntnis grundlegender hermetischer Grundlagen (Dualität u.a.) ist die Auslegung jedoch sehr eindeutig. Oxalá ist die erste und oberste Entität des „Pantheons“ der Orixás. Er steht für die archetypisch männliche Seite der Entstehungsgeschichte, also die geistige Welt. Odudua ist der weibliche Aspekt Gottes und steht archetypisch für die Entstehung der materiellen Welt. Die mythologischen Kämpfe zwischen Odudua und Oxalá müssen vor diesem Hintergrund interpretiert werden.

Auf der geistigen Ebene entstehen mit und nach Oxalá die Orixás in ihrer Gesamtheit. Die Orixás sind keine Götter, auch wenn sie umgangssprachlich und leider auch in vielen Büchern so beschrieben werden. Es gibt nur einen Gott im Ifismus und der heißt Olodumaré. Die Orixás sind Qualitäten der geistigen Welt. Sie spiegeln sich auf der materiellen Welt wider. Und es sind die Qualitäten, die den Menschen ausmachen und definieren. Sie stehen – analog zu den „Pantheons“ der Griechen, Römer, Ägypter – für archetypische Qualitäten, also Eigenschaften wie Liebe, Ordnung, Durchsetzung, Veränderung, Kommunikation, Fülle, und viele weitere. Sie beinhalten sowohl die Eigenschaften selbst, wie auch ihre Polaritäten als Umkehr bzw. „Fehlen von“.

Die Orixás besetzen nicht nur Qualitäten. Sie besetzen auch Beziehungen zwischen diesen Qualitäten im Sinne von Spannungsfeldern, Komplementaritäten. Dies wird mythologisch in den Erzählungen ihrer Zusammenarbeit und Auseinandersetzung deutlich.

Den Orixás werden subsidiär zu ihren Qualitäten materielle Eigenschaften zugeordnet: Objekte, Symbole, Pflanzen, Tiere u.a., die in der rituellen Umsetzung von Magie, Heilung, Tanz und Gebet relevant sind. Diese Zuordnungen sind Informationsanalogien und dürfen nicht absolut und wörtlich genommen werden. Sie unterliegen regionalen und zeitlichen Anpassungen, die solange zulässig sind, wie die Prinzipien gewahrt werden. Der Orixá Oxalá wird beispielsweise immer weiße Entsprechungen haben – Rituale mit vielen anderen Farben, Rituale mit Alkohol und viel tierischem Blut sind mit hoher Wahrscheinlichkeit verfälscht und entsprechen nicht der Qualität dieses Orixás.

Die Eigenschaften und die Beziehungen der Orixás werden mythologisch über Itans wiedergegeben. Itans sind heilige Verse, die sich im Orakel offenbaren, dessen Deutung dem Wahrsager, dem Babalaô (= Vater des Mysteriums), vorbehalten ist. Die Itans sind kurze Erzählungen bzw. Verse, die Eigenschaften, Beziehungen und konkrete Anweisungen der Orixás offenbaren. Vergleichbar mit Märchen und mythologischen Erzählungen der germanischen, griechischen, ägyptischen Götter stehen diese Erzählungen für archetypische, allgemeingültige hermetische Grundsätze. Sie stehen aber auch ganz konkret für rituelle Zuordnungen von Gegenständen, Farben, Pflanzen, Elementen, Tieren.

Die Itans offenbaren sich innerhalb von 256 sogenannten Odus. Die Odus sind, neben den Orixás, die zweite Kategorie von Entitäten, die die karmafreie Ebene der geistigen Welt besetzen. Die Odus werden synonym als Propheten oder Erzengel bezeichnet. Sie stehen für definierte Energiestrukturen des Universums, für definierte Wege. In Abgrenzung zu den Qualitäten der Orixás sind die Strukturen der Odus unabhängig von dem Menschen und allem Materiellen. Sie existieren nicht IM Menschen, sondern sie beeinflussen ihn und sind die Grundlage dafür, dass sich die menschlichen Qualitäten entfalten und entwickeln können. Bildlich gesprochen sind die Odus die Autobahn, der Mensch ist das Auto. Und das Orakel ist die Navigation, die Positionen, Staus, Wegstrecken aufzeigt.

Das grundlegende Ordnungssystem des Ifismus ist zusammenfassend die Verbindung von Entfaltung und Bewegung über die Dualität und die Trinität. Hierfür stehen symbolisch und archetypisch die Orixás und die Odus, die „Götter“ und die „Wege“. Der Mensch wird in seinem Wesen und auf seinem Bestimmungspfad über diese beiden Dimensionen definiert und beschrieben (Abbildungen 1 und 2).

Jede Situation, jede Fragestellung kann auf die Interaktion von Orixás und Odus – von Qualitäten und Strukturen – zurückgeführt werden. Die Befragung und Arbeit mit dem Orakel folgt dieser Logik. Im Orakel zeigen sich die relevanten Wege und die Qualitäten, die diese Wege bestimmen. Es heißt, Odus und Orixás würden im Orakel persönlich antworten. Der Befrager ist lediglich das Medium, dessen sich die geistige Welt bedient. Folgt der Analyse der Situation in einem zweiten Schritt die Ableitung des Handlungsbedarfes, so offenbaren sich diese Antworten in Tausenden von Versen, den Itans, die sich innerhalb der Odus manifestieren und vom Babalaô interpretiert werden müssen.

Es sind insgesamt 16 Odus, die die Energiestrukturen bestimmen. Sie werden als Strichcodes kodiert und gelten als das älteste duale Prinzip der Menschheit. Vermutlich bilden sie die Grundlage für das chinesische I Ging (dessen Hexagramme eine Verkürzung des Systems von Ifá darstellen). Die 16 Odus treten stets paarweise auf – entweder als Doppelung und Verstärkung (die Odu Mejis) oder als Kreuzung in der Interaktion (zwei unterschiedliche Odus). So entstehen die 256 Odus – 256 ist das rechnerische Ergebnis aller möglichen Interaktionen (16x16 Kombinationsmöglichkeiten). In der Literatur und in der Überlieferung werden die 16 Haupt-Odus (Verbindung mit sich selbst) auch Propheten genannt und die Kreuzungen untereinander als Jünger bezeichnet.

Image

Abbildung 1

Image

Abbildung 2

In Südamerika und wohl auch auf Kuba spielt die Mythologie der Odus eine der Mythologie der Orixás eher untergeordnete Rolle. Man kennt sie eher aus den Auslegungen der Orakel. Odus werden kaum noch als eigene Entitäten wahrgenommen und rituell eingebettet. Und doch ist die Kenntnis dieser Mythologie entscheidend für das Verständnis des Orakels und der geistigen Struktur. Diese „Unterordnung“ der Bedeutung der Odus gegenüber der Bedeutung der Orixás zeigt sich auch in der Verwendung der Orakel. Das traditionelle alte Orakel von Ifá betont die 256 Odus und arbeitet mit allen Nuancen und Offenbarungen dieser Odus. Das neuere Orakel Merindilogun fokussiert sich auf die 16 Haupt-Odus und auf die Orixás, die sich auf ihnen manifestieren. Da in Brasilien fast nur noch das Merindilogun gespielt wird, ist ein Fokus auf die Auseinandersetzungen des Lebens zu beobachten. Die Frage nach dem Sinn des Lebens (ein Schwerpunkt des alten Orakels von Ifá) tritt zusehends in den Hintergrund. Die Frage nach konkreten Probleme (ein Schwerpunkt des Merindiloguns) tritt in den Vordergrund.

Analog zu der numerologischen Struktur der 16 Haupt-Odus existieren 16 Haupt-Orixás. Anders jedoch als bei den Odus, bei denen die Entfaltung hermetisch sauber und unstrittig abgeleitet werden kann (mathematisch als Potenz von 2: 2-4-16-256, inhaltlich als geschlossener Zyklus), ist bei den Orixás die Ableitung problematischer und weniger eindeutig zu begründen. Einerseits muss aus einer hermetischen Logik heraus jedes „Pantheon“, jede Entfaltung des Geistigen einer Potenz aus 2 entsprechen. Andererseits gibt es in Afrika faktisch unzählige Namen für denselben oder ähnlichen Orixá. Auch finden sich unterschiedliche Schwerpunkte der mythologischen Konnotationen und Wertschätzungen. Dies ist offensichtlich ein Ergebnis mündlicher Überlieferungen und regionaler Anpassungen.

Aus der kulturellen Notwendigkeit der Vereinigung verschiedener Traditionen einerseits (in der Sklavenzeit wurden die Volksstämme bewusst vermischt und die Familien zerrissen – die zusammen gewürfelten Gemeinschaften mussten ihre individuellen Traditionen harmonisieren) und der hermetischen Notwendigkeit der Wiederherstellung der Zweierpotenzlogik im Orakel andererseits hat sich eine 16er-Struktur der Orixás mehr oder weniger durchgesetzt. Andere Orixás werden heute als „Qualitäten“ dieser Haupt-Orixás identifiziert, sie „antworten“ über diese Haupt-Orixás entsprechend ihrer Aspekte. Deswegen findet man viele Orixás mit Zweitnamen oder „Nachnamen“, beispielsweise Oxalá als Oxaguiã oder Nanã Buruku im Doppelnamen.

Im Zuge der vorliegenden Darstellung von Mythologie sowie Instrumenten des Ifismus wurde sowohl auf Konsistenz wie auch auf Historie geachtet. So habe ich Wert darauf gelegt, möglichst in sich schlüssige Bausteine (aus einer Hand, aus einer Region, aus möglichst älterer Überlieferung, in der Praxis bewährt, nach Rückkopplung mit erfahrenen Priestern) zu verwenden, diese aber zu ergänzen oder punktuell zu korrigieren, wo immer sie gegen das Prinzip der hermetischen Konsistenz verstießen. Da es keine geschlossene Spiritualität gibt und jede Spiritualität in sich eine Entwicklung bedeutet, ist es grundsätzlich kein Widerspruch, wenn verschiedene Richtungen bestimmte Techniken anders deuten und anwenden. Zumal nach dem Prinzip der Resonanz die geistige Ebene immer in dem System antwortet, in dem sie angerufen wird. Deswegen funktionieren verschiedene Orakelsysteme für eine gleiche Fragestellung – jedes Orakel in seinem System und mit dem ihm eigenen Profil (mit spezifischer Deutung).

Wichtig ist dennoch, dass jede Veränderung, Entwicklung, Option in sich konsistent sein muss. Sollte ein Leser beispielsweise bei der Anwendung des Orakels andere Bücher zugrunde legen oder eigene Erfahrungen einbringen wollen, so möchte ich nur den Hinweis geben, dass das System in sich schlüssig sein muss – vollständig, richtig, widerspruchsfrei. Sonst funktioniert das System nicht sauber. Und da nur wenige Menschen eine solide hermetische Ausbildung haben, empfehle ich, auf bestehende Konzepte zurückzugreifen, die sich in der Praxis bewährt haben und von erfahrenen und kundigen Menschen geschrieben wurden. In der Anlage zu diesem Buch befindet sich eine Auswahl von Autoren die – allerdings in anderen Sprachen – in ihrer Absicht, Fähigkeit und Erfahrung sehr integer und professionell sind. Ich selbst verfahre nach dem Prinzip, dass ich nur Systeme anwende und weiterentwickle, die ich in ihren Grundlagen verstanden habe. Alles andere wäre fahrlässig.

Bezogen auf die Orixás verwende ich im Folgenden 16 Orixás als Grundlage für alle Anwendungen. Viele der in der Literatur aufgeführten anderen Orixás finden sich als Qualitäten/Aspekte dieser Orixás wieder. Typisch für diese 16 Orixás ist, dass sie während ritueller Tänze „Besitz“ ergreifen von einem Teil der Tänzer (sofern dafür bestimmt und immer nur bestimmte Orixás pro Tänzer entsprechend seiner individuellen Konstellation). Dieser Vorgang ist keine Inkorporation im engeren Sinn, zumal meistens das Bewusstsein des Menschen erhalten bleibt. Es heißt im brasilianischen Candomblé, die Orixás würden zu Tänzen in dem Tänzer „aufblühen“ (= aflorescer). Es handelt sich eher um eine Manifestation als eine Inkorporation. Dies entspricht auch der Grundidee des Ifismus, nach der die Orixás Teil von uns Menschen sind und umgekehrt der Mensch in ihnen eine geistige Entsprechung erfährt. Es sind keine entfernten Entitäten, die uns steuern, sondern sie sind unsere eigene Essenz mit einer Entsprechung im Geistigen. Der Mensch besteht aus Bestandteilen dieser Qualitäten und die Orixás bestehen aus der Summe aller Qualitäten des Universums.

Neben den 16 Orixás verbleiben noch einige Orixás, die eine gesonderte Rolle im Universum einnehmen und nicht als Aspekt des Menschen gesehen werden dürfen. Hierzu zählt beispielsweise Orunmilá-Ifá als Entität der spirituellen Kommunikation und Divination. Und es zählen dazu einige Entitäten, die u.a. bestimmte geographische Merkmale (Berge, Flüsse, ...) oder Aspekte der materiellen und geistigen Welt, wie Erde, Himmel, etc. symbolisieren. Diese werden zur Vereinfachung nicht oder nur am Rande dargestellt, sollen aber kurz der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Diese Orixás spielen im Orakel keine Rolle (Ausnahme natürlich Ifá als Herrscher des Spieles und Hüter der Mysterien) und manifestieren sich auch nicht während der Tänze.

Unterhalb der karmafreien Ebene der Orixás und Odus befindet sich die Ebene des Karmas. Alle diese Ebene bewohnenden Entitäten sind dem karmischen Prinzip von Ursache und Wirkung, Austausch und Bewegung ausgesetzt und unterworfen. Ihre Wirkung und ihre Entwicklung sind davon abhängig, dass Karma existiert. Neben vielen Entitäten, auf die hier nicht weiter eingegangen wird (Devas, etc.) wirken hier vor allem die verstorbenen Seelen, die nicht mehr inkarnieren, aber noch im Karmaprozess selbst eingebunden sind (Karma findet auch auf der geistigen, nicht inkarnierten Ebene statt). Das ist die Ebene der aufgestiegenen Meister, die in unterschiedlicher Struktur auch auf die materielle Welt Einfluss nehmen. Es ist auch die Ebene der verstorbenen Seelen, der Eguns, die sich noch im Inkarnationsprozess befinden (Abbildung 3).

Im traditionellen Ifismus Afrikas existiert ein ausgeprägter und sehr differenzierter Kult der Eguns, der Ahnen. Interessanterweise finden sich hier viele spiritistische Elemente wieder, allerdings in deutlich strukturierterer Weise als in den eher beliebigen Séancen des Spiritismus. Die Eguns werden angerufen und können – ähnlich wie im Spiritismus – inkorporieren, also zeitlich befristet die Kontrolle über das Bewusstsein und die Bewegungen der Tänzer übernehmen. Dies allerdings nur, wenn sie sich noch in der „Zwischenwelt“ befinden. Ahnen oder verstorbene Priester, denen die Ehre erwiesen wird und die ihren Zyklus abgeschlossen haben, inkorporieren nicht mehr.

Image

Abbildung 3

In einer Fortentwicklung dieser Tradition der Eguns und im Synkretismus mit dem europäischen Spiritismus vor allem aus Frankreich entwickelte sich in Brasilien die Tradition der Umbanda, die als streng abgegrenzt vom Candomblé, aber auch als sehr komplementär dazu gesehen werden muss und deswegen hier als Teil des Ifismus definiert wird (eine Fortentwicklung der Rituale der Eguns und der Strukturierung der karmischen Geist-Ebene). Typisch für diese Tradition ist, dass sich verstorbene, nicht mehr inkarnierende, aber noch im karmischen Prozess befindliche Entitäten (Meister) in geordneten und abgestimmten Rollen verbinden und so als individuelle Entitäten wie als Kollektiv bei der Umsetzung von Karma unterstützen.

Die Entitäten der Umbanda arbeiten in zwei Strukturen. Sie stehen alle unter der Führung von Exú, dem Orixá der Kommunikation und des karmischen Austausches. Die eine Struktur arbeitet im Kontext des Medizinrades und verändert Energiestrukturen. Die andere Struktur bildet eine Trinität und erzeugt Bewegung (Abbildung 4).

Die erste Struktur, die im Kontext des Energieflusses im Medizinrad zu verstehen ist, besteht aus 7 Entitäten, die 7 von 8 möglichen Himmelsrichtungen und lenken von dort aus die Energie. Die 8. Himmelsrichtung bleibt frei, da sie dem Ein- und Austritt der Energie dient. Jedes Thema, jedes Problem, jede Aufgabe durchläuft alle 7 Veränderungspunkte. Nach jedem Schritt wird überprüft, ob die Aufgabe erfolgreich bestanden wurde. Erst dann wird sie für die nächste Stufe freigegeben. Anderenfalls wird die Energie zurückgelenkt und durchläuft den Prozess erneut.

Image

Abbildung 4

Jede Himmelrichtung (jeder Arm) steht unter einer speziellen Führung von einem von 7 möglichen Orixás aus dem „Pantheon“ von 16 (die anderen Orixás wirken nur mittelbar auf diesen Prozess ein). Es existieren 7 Archetypen dieser Entitäten (einen für jeden der 7 Energien der 7 Orixás), die in jeweils 7x7 nachgelagerten Hierarchien geordnet und geführt arbeiten. Jede einzelne Entität kann für sich alleine gesehen einem der 16 Orixás zugeordnet sein, bei stets fester Führung durch einen Haupt-Orixá der jeweiligen Himmelsrichtung und unter der Aufsicht bzw. im Auftrag von Exú (dem Orixá der Durchsetzung von Karma). Die Entitäten mit den auf den ersten Blick merkwürdigen Namen wie Tranca-Ruas (Straßen-Verschließer), 7 Encruzilhadas (7 Kreuzungen), Marabô, Pinga-Fogo (Feuertropfen), Gira-Mundo (Weltendreher), Tiriri, Pomba-Gira (Zigeunerin) übernehmen definierte karmische Aufgaben, die im Detail im Kapitel über die aufgestiegenen Meister im Buch über die Mythologie beschrieben werden. Sie stehen den Menschen über ihre Inkorporationen direkt zur Verfügung, um ihnen Fragen zu beantworten und magisch aktiv zu werden (im Sinne einer Beeinflussung der Wirklichkeit über die „Manipulation“ von Energie auf der geistigen Ebene).

Die zweite Struktur arbeitet in der Form eines Dreieckes (Trinität) und erzeugt Bewegung. Hier arbeiten drei Entitäten: Der Preto Velho (wörtlich: Alter Schwarzer), die Caboclo (Indianer) und die Criança (Kind). Sie besetzen die Grundenergien der Demut, der Einfachheit und der Reinheit und übernehmen vor allem in der rituellen Umsetzung der Umbanda wichtige Aufgaben (u.a. Ritualmeister, Lehrer, Beschützer und Reiniger).

Die Tradition der Umbanda ist eine Teilstrukturierung des Spiritismus, der eher wahllos Entitäten und Verstorbene anruft. Und sie ist eine Fortentwicklung der Egun-Tradition, da sich diese Entitäten einer geistigen Ordnung und einer systematischen Arbeit unterwerfen. Aus Sicht der Umbanda existiert eine Vielzahl von Eguns (mit und ohne Inkarnationszyklus). Nicht mehr inkarnierende Entitäten strukturieren sich in verschiedenen Traditionen und übernehmen dort spezifische Aufgaben. Im Zusammenhang mit dem Ifismus ist es wichtig zu verstehen, dass sich die unter der Umbanda beschriebenen Entitäten den Gesetzmäßigkeiten dieser Energien verschreiben und dort konsistent arbeiten. Es besteht kein Anspruch auf Ausschließlichkeit (im Gegenteil, die Umbanda weist explizit darauf hin, dass es viele weitere Systeme gibt, in denen Entitäten wirken), jedoch sollte eine Vermischung mit anderen spiritistischen Elementen innerhalb der gleichen Rituale vermieden werden.

Weshalb ist die Kenntnis dieser kosmischen Struktur wichtig? Weil sie die Grundlage der Interpretation der Orakel darstellt (Orixás und Odus) und somit des Verständnisses unserer Existenz. Und weil sie die Basis für die rituelle Magie ist – keine Magie, keine Heilung wird ohne die geistige Ebene durchgeführt.

Soweit ein erster Abriss der Struktur und Funktionsweise der geistigen Welt(en), die im Detail in anderen Büchern vertieft dargestellt werden. Ausgehend von dieser Struktur der geistigen Welt stellt sich die Frage, wie und mit welchem Zweck sich das Universum entfaltete und wie das Leben mythologisch entstanden ist.

Der Entstehung der materiellen Welt

Nach Entstehung der Strukturen und der Qualitäten, somit auch der Ebene von Odus und Orixás, erfolgt zunächst die Trennung der geistigen und der materiellen Welt u.a. mit der Entstehung von Karma. Im Auftrag von Olodumaré entstehen Himmel und Erde, Orun und Ayé. Die Orixás werden in diesem Zusammenhang beauftragt Welt und Leben zu erschaffen. Sie benötigen dazu zwei Anläufe und entfernen sich nach dem letzten Anlauf von der Erde und der direkten Einmischung in das weltliche Geschehen.

Die Trennung von Himmel und Erde kann in Analogie zum Sündenfall gesehen werden – der Mensch erfährt die Restriktionen von Raum und Zeit, und wird für die Dauer des irdischen Lebens an die Materie „gekreuzigt“. Jenseits des irdischen Lebens erfahren die Seelen immer noch die Restriktion des Karmas, nicht jedoch des Materiellen. Karma, Materie und Kappung der direkten Kommunikation und Einwirkung der geistigen Welt (Schleier der Isis in der ägyptischen Mythologie) sind die gemeinsamen Elemente des „Sündenfalles“ vieler spiritueller Traditionen.

Der Rückzug der Götter steht in Analogie zu der mythologischen Entwicklung der griechischen Götter, die sich zunächst sehr aktiv in das Geschehen einmischen, sich dann jedoch schrittweise zurückziehen und dem Menschen den freien Willen zurückgeben. Damit einhergehend etablieren die Götter eine neue Form der Kommunikation mit der geistigen Welt – vor allem über das Orakel.

Mit der Entstehung des Ayé entsteht Karma. Auf dieser Ebene gibt es stets einen Austausch von Energien. Nichts entsteht ohne Ausgleich. Es entstehen die uns bekannten Prinzipien, die meist mythologisch in Erzählungen und Mythen wiedergegeben werden. Es entstehen die vier Elemente, die Erde, die Tiere, die Pflanzen, die Menschen. Es entsteht vor allem das Leben, das mit der geistigen Welt u. a. über die Atmung in Verbindung steht. Und es entsteht das Wort als Beginn aller materiellen Manifestation.

Die Ebene des Karmas wird von vielen Lebensformen (Entitäten) besetzt, sowohl im materiellen wie auch im nicht materiellen Sinn. Materielle und immaterielle Formen sind miteinander verbunden über Leben und Tod, Entstehung und Auflösung. Auf der geistigen Ebene wirken zum Beispiel die verschiedenen Strukturen der verstorbenen Seelen und der aufgestiegenen Meister. Auch andere Geistwesen wirken auf dieser Ebene und von dieser geistigen Ebene in die materielle hinein.

Die Welten sind miteinander verbunden und bedingen sich wechselseitig. Sie koexistieren und finden nebeneinander, miteinander, ineinander verschränkt statt. Aus Sicht des Menschen mit seiner Restriktion von Raum, Zeit und Materie besteht keine direkte Kommunikationsmöglichkeit zur geistigen Welt. Deren Entitäten greifen nicht aktiv in das Leben ein, sondern müssen dafür „aktiviert“ werden (gebeten). Die Kommunikation mit den geistigen Ebenen erfolgt u. a. über Channeling, Inkorporationen (Spiritismus), Divinationstechniken (Orakel) und persönliche innere Anbindung. Die Beeinflussung dieser Ebenen mit entsprechender Rückwirkung auf die materielle Realität erfolgt über das Austauschprinzip der Magie (Veränderung des Materiellen über das Geistige und umgekehrt).

Viele wichtige Symbole des Ifismus sind auf die Entstehung der Welt und des Lebens zurückzuführen. Die Echse als Symbol für den ersten Bewohner auf der Erde, der den „Lebenscheck“ durchführt. Das Huhn als das Tier, das die Samen über die Erde streute. Und viele andere ...

Es gibt viele Parallelen zwischen den strukturellen Annahmen der Entstehung der Welt und den heute breit akzeptierten Annahmen der Physik. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen:

imageDie Entstehung des männlichen und weiblichen Aspektes aus Oxalá und Odudua. Diese Trennung des Geistigen und des Materiellen, des Qualitativen und des Quantitativen, des Lichtes und der Dunkelheit entspricht in der Physik der Dualität der Energie als Welle und als Teilchen, sowie der speziellen Bedeutung des Lichtes. Licht ist eine der elementarsten Dimensionen der Physik. Nichts ist schneller als das Licht, auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt verschwinden Zeit, Raum, die Trennung an sich. Licht begrenzt und führt gleichzeitig zusammen. Die Energie wiederum ist gleichzeitig Materie und Welle, am klassischen Beispiel des Elektrons festgehalten. Die Aufspaltung in Welle und Teilchen entspricht der Aufspaltung des Göttlichen. In beiden Perspektiven ist die erfahrene Eigenschaft der Energie ein Ergebnis der Absicht, des persönlichen Fokus. Experimente belegen jeweils die Seite der Energie, auf die sie ausgerichtet werden – beide Wahrheiten koexistieren und sind miteinander verbunden.

imageDie Entstehung von Odu und Orixá. Die Struktur erschafft die Qualität. In der Physik entsteht der Urknall aus einer Energiematrix. Die Energiestruktur des Universums ermöglicht die Entstehung einer bestimmten Form von Qualität. Sie bestimmt ihre Ausdehnung, ihre Richtung. Auch geht man heute davon aus, dass die subjektiv erfahrene Realität aus einer Matrix heraus entsteht. Aus einem „Meer von Möglichkeiten“ entsteht eine Realität in Abhängigkeit von der Absicht des Beobachters. Es manifestieren sich jedoch nur die Möglichkeiten, die sich in konsistenter Logik zur Energiematrix befinden. Struktur schafft Qualität, schafft Realität. Dabei ist Kausalität eher eine wahrgenommene Eigenschaft als eine Bedingung – viel wichtiger für die Schaffung von Realität ist die Absicht.

Welt und Leben sind mit dieser kurzen Darstellung mythologisch erschaffen. Doch nach welchen spirituellen Prinzipien wird sichergestellt, dass nach der Erschaffung die Entwicklung der Welt und des Lebens in und auf ihr tatsächlich stattfindet?

Der Mensch zwischen geistiger und materieller Welt

Das wesentliche Ziel unseres Lebens besteht daraus, einen guten Charakter zu formen. Ein guter Charakter heißt auf Yorubá „iwa-pele“, abgeleitet von „i wa ope ile“. Die bedeutet etwa „ich komme die Erde zu grüßen/segnen“. Ein guter Charakter ist also verbunden mit der Fähigkeit zur Kommunikation und Kommunion mit der Umwelt. Dies setzt einen Gleichklang von Innenwelt und Außenwelt voraus.

Die innere Welt des Menschen besteht auch im Ifismus aus dem Gleichgewicht von Körper, Geist und Seele – von Ara, Egbe und Ori. Körper, Geist und Seele werden allerdings im Ifismus etwas anders definiert und zugeordnet. Der Körper Ara ist konzeptionell vergleichbar zu den indischen Modellen. Er steht über Energiezentren im Austausch mit der emotionalen Ebene Egbe und der mental-geistigen Ebene Ori. Das Prinzip der Chakren sowie der sie verbindenden Meridiane sind in ähnlicher Form auch im Ifismus bekannt. Hinzu kommen spezifische Zuordnungen einzelner Körperteile und Sekrete. Sie alle werden emotionalen und geistigen Ebenen zugeordnet, und stehen in Resonanz zu den geistigen Ebenen der Orixás.

Eine Besonderheit auf der körperlichen Ebene ist die Rolle der Lebensmittel. Diese sind mythologisch eng mit den Orixás verbunden, was dazu führt, dass – als Faustregel – alle einem persönlichen Orixá zugeordneten Lebensmittel als rituelle und heilende Lebensmittel gesehen werden. Ihr Verzehr wird in der Regel verboten. Vor allem nach einer Einweihung sind es diese zugeordneten Lebensmittel, die häufig zu Unverträglichkeiten führen und vermieden werden. Über die Ernährung und Verwendung von Lebensmitteln und vor allem aller Pflanzen für Ernährung, Rituale oder „Medizin“ stellt sich die Verbindung Körper-Geist her.

Egbe definiert die emotionale Seite des Menschen. Egbe sitzt im Herzen Ocum und steht analog zu vielen anderen Traditionen mit diesem in Korrespondenz. Im Detail ist das Verständnis der Konzepte für Ara und Egbe eher für die rituelle Umsetzung von Magie und Kult relevant, weswegen sie an dieser Stelle verkürzt wiedergegeben wird. Zentral und von herausragender Bedeutung für das Verständnis des spirituellen Gleichgewichtes ist allerdings das Konzept des „Kopfes“, das im Ifismus eine – im Vergleich zu europäischen Konzepten – deutlich erweiterte Bedeutung hat.

Ein afrikanisches Sprichwort der Yorubá besagt, dass „die Spiritualität (der Geist) dir nichts geben kann, was dein Kopf nicht annimmt“. Wie wir die Welt sehen, sagt viel über das aus, was wir selbst sind und wie wir uns selbst sehen. Wenn wir in einer unsicheren Welt stehen und nicht wissen, wohin wir wie gehen sollen, dann müssen wir die richtigen Dinge tun. Einen guten Charakter forme ich, wenn ich die richtigen Dinge von innen heraus tue, zentriert und in Harmonie mit meiner Bestimmung. Im Gegensatz dazu steht die Reputation: Eine gute Reputation baue ich auf, wenn ich mich bei meinen Entscheidungen von der Vorstellung der Gemeinschaft leiten lasse. Dann handle ich von außen nach innen, bin also fremdgesteuert.