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Andreas Pittler

Die Spur der Ikonen

Kriminalroman

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2017

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © costadelsol / Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5324-3

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog

Beinahe lautlos bog der Ford Taunus vom Mitter­steig in die Neugasse ein. Langsam rollte er die große einschüchternde Mauer entlang, an deren Zinnen vereinzelt Suchscheinwerfer angebracht waren, die periodisch gespenstische Lichtkegel auf die andere Straßenseite warfen. Die Fenster auf der Westseite waren allesamt dunkel, jene auf der Ostseite gar nicht erst zu sehen. Auf halber Strecke zur Margareten­straße hielt der Wagen an.

»Und du bist dir sicher, dass es hier ist?«, fragte der Beifahrer, der nervös nach den Scheinwerfern Ausschau hielt. Der Lenker des Fahrzeugs zündete sich gelassen eine Chesterfield an. »Glaubst du, ich mach das zum ersten Mal, oder was?«

»Ich frag ja nur«, gab sein Spezi kleinlaut zurück. »Und jetzt?«, ließ er sich nach einer kurzen Pause erneut vernehmen.

»Jetzt warten wir«, statuierte der andere, während er gemächlich den Rauch der Zigarette ausblies.

Minuten vergingen, die dem einen wie eben Minuten, dem anderen aber wie Stunden vorkamen. Der Fahrer griff nach seiner Zigarettenschachtel und hielt sie dem Jüngeren unter die Nase. »Da. Nimm eine. Das beruhigt.« Kurz ward von der rechten Fahrzeugseite aus Widerspruch erwogen, doch dann griff der Mann schweigend zu und zündete sich umständlich selbst eine Zigarette an. Gleich darauf unterdrückte er aufsteigenden Husten, dafür ein mitleidiges Lächeln des Älteren erntend. »Scheiß di ned an, Bua«, kam es gönnerhaft im lokalen Idiom aus dessen Mund, »uns kann ja nix passieren. Im schlimmsten Fall erwischt’s die Ostler.«

»Und wenn die da oben auf uns schießen?« Die Anspannung des Jüngeren klang durchaus nicht ab.

»Na was soll sein? Ich geb Vollgas. In 100 Metern sind wir auf der Margaretenstraße, und dann können die uns gar nichts mehr.« Er kurbelte das Fenster hinunter und klopfte am Glasrand Asche ab. »Wir verschwinden im ›Renz‹ – und die Ostler in Sibirien. Das ist alles.«

Der Gedanke an das verruchte Nachtlokal mit seinen nackten Mädchen schien den Jüngeren endlich ein wenig zu beruhigen. Der Ältere ahnte, welche Gedanken seinem Partner durch den Kopf gingen. »Wie’s auch kommt: Dir legt heute nur die Mitzi die Handschellen an.«

Die Maria war der Star unter den Schönen der Nacht. Abend für Abend strippte sie auf der Bühne der Erotik-Bar in der Ramperstorfer Gasse. Und gegen einen kleinen Aufpreis durfte man dann mit ihr nach hinten gehen, um privat mit ihr ein Gläschen Schampus zu leeren. Ehe man sich, entsprechendes Entgelt vorausgesetzt, auch selbst entleeren durfte. Je nach Höhe der Summe vor ihr, auf ihr oder in ihr. Und der Beifahrer spürte, dass sich nun auch der letzte Körperteil, der bislang noch nicht angespannt gewesen war, versteifte.

Beide starrten angestrengt durch die Finsternis. Der Fahrer warf einen Blick auf seine Seiko. »Jetzt wurdert’s langsam Zeit«, ließ er sich vernehmen. Was die Nervosität seines Kumpanen nicht gerade verringerte.

Die Zigaretten waren längst aufgeraucht, als beide ein schleifend-knarzendes Geräusch vernahmen. Der Fahrer richtete sich auf und spähte durch die Windschutzscheibe. Etwa zehn Meter vor ihnen wurde ein Kanaldeckel verschoben. »Das sind sie«, zischte er. Er öffnete die Fahrertür und trat ins Freie. Aus der Öffnung in der Straßenmitte blickte ihn ein neugieriges Augenpaar an, das in einem stiernackigen Glatzkopf steckte. Der Fahrer sah kurz nach den Suchscheinwerfern, dann nickte er. Behände kletterte der Kahle aus dem Kanal und lief geduckt auf das Auto zu. Auch der Fahrer ging, ohne zu wissen, warum er dies eigentlich tat, in die Knie. »Willi«, stellte sich der Mann aus dem Osten vor. »Auch Willi«, antwortete der Fahrer automatisch. Natürlich hieß er nicht so, aber der Zoni musste ja nicht alles wissen. »Wir haben da drüben 30 Ikonen gelagert. Einige davon sind bei euch ein Vermögen wert. Wo ist die Kohle?« Der falsche Willi deutete auf den Kofferraum. Der echte Willi nickte. Dann eilte er zurück zum Kanal und pfiff hinein. Er wartete einen Augenblick, dann bückte er sich weiter nach unten und griff nach etwas, das er sodann auf die Straße legte. Mit einem schnellen Wink gab er dem Fahrer zu verstehen, er möge zu ihm kommen. Gemeinsam mit seinem Kompagnon schleppte dieser mehrere Bündel zum Auto. Er öffnete den Kofferraum und legte das erste Paket hinein. Dann erst schlug er die Stoffe, in welche die Ikonen eingeschlagen waren, beiseite, um zu prüfen, ob er auch die richtige Ware bekommen hatte. Er kannte sich zwar nicht sonderlich mit alten Gemälden aus, aber die auf den gebeizten Holzbrettern aufgepinselten Heiligendarstellungen sahen ohne Frage alt aus. Er ging also davon aus, dass er von den Zonis nicht übervorteilt worden war. Als Nächstes zählte er die Bündel. Es waren sechs, inklusive jenem, das Willi der Zoni ihm in diesem Moment brachte. Anhand der Wölbungen konnte er feststellen, dass sich in jedem fünf Bilder befanden. Also 30 insgesamt, wie vereinbart. Er ging zurück zur Fahrerseite, hob die Rückbank an und entnahm dem darunter befindlichen Hohlraum eine kleine Tasche. »Da«, sagte er zu Willi, »10.000 West-Schilling. Wie vereinbart.« Der Zoni stockte. »Mark! Es waren 10.000 West-Mark vereinbart. Nicht Schilling.«

Der falsche Willi zuckte mit den Schultern. »Davon weiß ich nichts. Das müssen deine Chefs mit meinen Chefs abklären.«

»Du willst mich wohl bescheißen«, brauste der echte Willi auf. Noch ehe sein Gegenüber reagieren konnte, traf sie beide ein Lichtkegel. »Hier spricht die Volkspolizei«, hörten sie aus einer ihnen unbekannten Richtung. »Scheiße«, fluchte der Glatzköpfige und tauchte ohne weiteres Wort unter dem Auto weg. Sein Westkollege stellte sich demonstrativ ins Licht und hielt seinen westösterreichischen Pass in die Höhe. »Regt euch nicht auf, Burschen, ich g’hör da her.«

Möglichst gelassen stieg er wieder in den Taunus, in den sich sein Kompagnon bereits geflüchtet hatte. Während er den Motor startete, sah er im Augenwinkel, wie Willi der Zoni über sich den Kanaldeckel zuzog. Es konnte ihm rechtschaffen egal sein, ob der Schmuggler am anderen Ende des Kanals bereits von der Staatssicherheit erwartet wurde oder nicht. Das einzig Entscheidende war: Er hatte die Ikonen. Und das um ein Siebentel des vereinbarten Preises. Besser hätte es gar nicht laufen können.

Er bog nach links in die Margaretenstraße ein und fuhr dann gemächlich in Richtung Gürtel. »Mitzi?«, fragte er in die Richtung des Beifahrers. »Mitzi!«, bestätigte der.