Informationen zum Buch

Du mich auch

Beim 25-jährigen Abi-Jubiläum treffen sich drei Freundinnen von einst wieder: Die brave Evi hat ihrem wunderbaren Gatten und den süßen Kindern zuliebe die Karriere an den Nagel gehängt und ihr Glück in der Küche gefunden. Beatrice hat Vorzeigetochter und -ehemann und jettet für ihren Marketingjob rund um den Globus. Katharina, die einstige Einser-Kandidatin, ist zur Staatssekretärin eines Ministers aufgestiegen und fröhlicher Single. – So weit die Erfolgsgeschichten vom Klassentreffen. Doch am Ende des promillereichen Abends kommt die traurige Wahrheit ans Licht: Alle drei sind von ihren Männern betrogen, ausgenutzt oder sitzengelassen worden. Im Vollrausch der Depression kommen sich die drei Frauen wieder näher. Und sie haben die Nase voll davon, dass auf ihren Herzen herumgetrampelt wird. Sie beschließen, den Spieß umzudrehen – ihre Männer sollen büßen. Und das nicht zu knapp.

Das bisschen Kuchen

Der Feind trägt Größe 34 und hat es auf Nikis Gatten Wolfgang abgesehen. Nach Jahren der molligen Idylle nimmt Niki den Kampf auf: um ihren Mann, ihre Familie – ihren Körper! Sie geht in eine Fastenklinik, wo sie unter Glaubersalz und Schlemmerphantasien leidet. Bis sie Bekanntschaft mit dem Shiatsu-Masseur macht. Sollte Fasten der neue Sex sein? Aber was war noch mal Sex?

Ellen Berg

Du mich auch & Das bisschen Kuchen

Zwei Romane in einem E-Book

 

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Du mich auch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14


Das bisschen Kuchen

Tag null

Tag eins

Tag zwei

Tag drei

Tag vier

Tag fünf

Tag vierzehn

Tag fünfzehn

Tag sechzehn

Informationen zur Autorin

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Ellen Berg

Du mich auch

Ein Rache-Roman

|5|Für meine besten Freundinnen

|7|Kapitel 1

»Unverschämtheit«, murmelte die Frau mittleren Alters und holte einen kleinen Computer aus der Tasche. Ihre dunkelblaue Uniform spannte um die Hüften. Ihr Gesicht hätten selbst freundlichere Zeitgenossen einen schlechten Scherz der Natur genannt. Missmutig tippte sie die Nummer eines nussbraun lackierten Geländewagens ein, der direkt neben einem Halteverbotsschild parkte. Sie wartete ein paar Sekunden. Dann zog sie den frisch gedruckten Zettel aus ihrem Gerät und klemmte ihn hinter den Scheibenwischer.

Beatrice sah die Politesse schon von weitem. Sie beschleunigte ihren Schritt. Ihre Pumps klackerten auf dem Asphalt wie Kastagnetten, ein grünseidener Mantel umwehte sie. Sie war spät dran. Eigentlich war sie immer spät dran. Ein Passant drehte sich nach ihr um. Selbst hier, auf dem elegantesten Boulevard der Hauptstadt, war sie eine aufsehenerregende Erscheinung. So blond, so schlank, so perfekt gestylt, als käme sie von einem Covershooting für die Vogue. Mindestens.

Okay, okay, ein Ticket mehr, dachte Beatrice. Geschenkt. Sie stieg ins Auto und ließ den Motor an, ohne die uniformierte Frau eines Blicks zu würdigen. Doch sie hatte nicht mit deren Hartnäckigkeit gerechnet. In bemerkenswertem Tempo umrundete die Politesse den Wagen und klopfte an die Seitenscheibe. Beatrice ließ die Scheibe herunter.

»Und?«, fragte sie gelangweilt.

Es war purer Hass, der ihr entgegenschlug. Der Hass auf eine Frau, die einen teuren Wagen besaß, beneidenswerte |8|Modelmaße und ein Kleiderbudget, das die Monatsmiete normaler Leute vermutlich um ein Vielfaches überstieg. Und die einfach neben einem Halteverbotsschild parkte. Aber sie war erwischt worden, wenigstens das.

Die Politesse grinste höhnisch. »Pech gehabt!«

Beatrice setzte ihr reizendstes Lächeln auf. »Sehen Sie mal in den Spiegel. Dann wissen Sie, wer von uns beiden Pech gehabt hat.«

Sie ließ die Scheibe wieder hochgleiten und raste davon. Beatrice hatte einen wichtigen Termin. Eigentlich hatte sie immer wichtige Termine. Heute Abend war es allerdings ein ganz besonderer. Sie fuhr bei Rot über die Ampel, eine Farbe, die sie »Dunkelgelb« nannte. Hupend überholte sie eine schwere, schwarze Limousine mit abgedunkelten Scheiben.

»Dicke Karre, aber Slow Motion«, schimpfte sie, während sie die Adresse ins Navi eingab. Seestraße, Kahndorf in Brandenburg. Dieses komische Hotel lag offenbar am Ende der Welt. Auch gut. Sie konnte eine kleine Auszeit vertragen.

»Fahren Sie noch, oder halten Sie schon?« Katharina sah im Fond von ihrem Laptop auf und sendete polarkalte Blicke nach vorn.

Der Fahrer ließ sich davon nicht im mindesten beeindrucken. Wie in Trance steuerte er die gepanzerte schwarze Limousine, während er mit seiner Freundin telefonierte. Seine Stimme war zu einem Raunen gedämpft, doch Katharina verstand jedes Wort.

»Schatzilein, ist was Berufliches«, gurrte er. »Nein, heute Abend nicht. Ja, morgen Nachmittag. Kochst du was Schönes? Ziehst du die schwarze Wäsche an? Was? Eine – ÖL-MASSAGE? Wow, wow, wow!«

|9|Einfach ekelhaft, dachte Katharina. Und so was arbeitet ausgerechnet als Fahrer fürs Familienministerium. Nicht auszuhalten war es mit diesem Mann. Aber mit welchem Mann war es schon auszuhalten?

»Finden Sie nicht, es wäre angebracht, Ihr regressives Frauenbild zu überdenken?«, fragte Katharina schneidend.

»Moment, Schatzilein, ja, bleib dran« – der Fahrer drehte sich um, was zu einer Beinahekollision mit einem Motorradfahrer führte – »Frau Dr. Severin? Haben Sie etwas gesagt?«

Solche Männer gehörten ins Frauenhaus. Dreimal täglich die Klos putzen und sich die Geschichten geknechteter Opfer anhören, das könnte den Typen vielleicht kurieren, überlegte Katharina.

»Keine Privatgespräche in der Dienstzeit!«, blaffte sie. »Sonst sitzen Sie demnächst wieder in der Pförtnerloge.«

»Wie Sie wünschen«, erwiderte der Fahrer achselzuckend. Halblaut wisperte er in die Freisprechanlage: »Bist so ein geiler Hase. Muss jetzt Schluss machen. Sie zickt wieder.«

Demnächst kann er sich seine Entlassungspapiere abholen, beschloss Katharina. Dem fehlt es einfach an Respekt. Immerhin gehörte sie zur politischen Elite der Republik. In ihrem dunklen Nadelstreifenanzug und mit ihrem strengen Haarknoten war sie die Verkörperung der selbstbewussten Karrierefrau. Leider entging das diesem verblödeten Steinzeitmacho.

Die Fahrt schien endlos. Katharina telefonierte. Katharina checkte ihre Mails. Katharina verschickte SMS an Parteifreunde. Handynetworken. Das machten Politikerinnen heutzutage so.

Nach einer Ewigkeit bog der Wagen in einen holprigen Feldweg ein. Sie ließ ihr Handy sinken und klappte den Laptop |10|zu. Auf der rechten Seite kam ein See in Sicht, auf der linken ein Parkplatz. Mitten auf dem Weg stand ein roter Kleinwagen. Der Fahrer hupte ihn an. Keine Reaktion. Leise fluchend setzte er zurück, umfuhr das Auto und kurvte eine geschwungene Auffahrt hoch. An deren Ende, auf einem kleinen Hügel, stand ein rosafarbenes Schlösschen. Mit Säulen und Zinnen und Türmchen. Wie eine XXL-Version von Barbies Traumhaus.

»Gefunden!«, strahlte der Fahrer. »Schlosshotel Seeblick. Soll ich Sie hineinbegleiten?«

Zwischen zusammengekniffenen Lippen stieß Katharina hervor: »Danke. Frauen können im einundzwanzigsten Jahrhundert mehr als kochen, nuttige Wäsche anziehen und Ölmassagen verabreichen. Und sie können ganz allein auf eine Party gehen.«

Der Fahrer verzog keine Miene.

Evi saß schon länger in ihrem kleinen roten Auto, mit abgestelltem Motor. Sie hatte überhaupt keine Lust auszusteigen. Nicht einmal der aufdringliche Huper hatte sie aus ihrer Antriebsschwäche reißen können. Wenn sie ehrlich war: Ihr graute vor dem Abend. Im Grunde war ihr ganzes Leben grauenhaft. Aber sie hatte nun mal zugesagt, an dem Treffen teilzunehmen. Und ihre preußische Erziehung gebot ihr, dass sie jetzt nicht kneifen durfte.

Sie drehte den Rückspiegel so, dass sie sich betrachten konnte. Diese verhuschte kleine Person, die aus ihr geworden war. Das spießige Muttchen. Eine Lachnummer vom Scheitel bis zur Sohle. Die Frisur eine Dauerbaustelle, das Kleid ein Sack, die Schuhe wie geschaffen für ausgedehnte Bergwanderungen.

|11|Warum war ihr das alles nicht schon zu Hause aufgefallen? Warum stellte sie erst jetzt fest, dass sie völlig falsch angezogen war, dringend zum Friseur musste und in einer Verfassung war, in der man am besten ins Bett ging und die Nacht durchheulte? Ganz zu schweigen vom üppig wuchernden Fettgewebe, das ihr den Charme einer Presswurst verlieh. Mit den Mengen von Anticellulitegels in ihrem Badezimmer hätte man den Grand Canyon glätten können. Nur, dass das Zeug bei ihr leider nicht wirkte.

Sie fingerte ein Taschentuch aus ihrer abgegriffenen Handtasche und rieb die Schminke von ihrem Mund. Es hatte keinen Sinn. Selbst ein Chanel-Lippenstift konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Mundwinkel steil nach unten zeigten und ihre Augen rettungslos verquollen waren. Der tränentreibende Ehestreit war das Abschiedsgeschenk ihres Gatten gewesen, bevor sie losgefahren war. Netter Versuch, eigentlich. Immerhin zeigte er nach langer Zeit mal wieder Interesse.

Sie sah auf die Uhr. Halb acht schon. Seit sieben war drinnen im Hotel vermutlich der Teufel los. Nach den zahllosen Autos auf dem Parkplatz zu schließen, musste die alte Crew ziemlich vollzählig sein. Ihr Herz klopfte. Warum hatte sie den verdammten Brief nicht einfach ungeöffnet entsorgt? Warum hatte sie die Einladung gelesen und pflichtbewusst ihr Kommen angekündigt?

Ein nussbrauner Geländewagen näherte sich von hinten und raste so haarscharf an ihr vorbei, dass eine Ladung Sand auf der Windschutzscheibe landete. Evi drehte den Rückspiegel wieder in die korrekte Position. Sie war am Ende. Und das Schreckliche war: Jeder würde es merken. Sie kannte ihn ja, den Mitleidsblick, mit dem man sie streifte, wenn sie |12|ausging. Wenn sie überhaupt ausging. Sie hatte sich längst abgewöhnt, auf irgendwelchen Partys rumzustehen.

So richtig wohl fühlte sie sich nur in ihrer Küche. Landhausstil, frühe Neunziger, altmodischer ging’s nicht. Aber sie liebte diese Küche. Sehnsuchtsvoll dachte sie an den Apfelkuchen, den sie am Nachmittag gebacken hatte. Für die Kinder. Die Kinder, die sich kaum noch zu Hause aufhielten, weil sie ihre Freunde spannender fanden als das trauernde Muttertier. Gleich würde sie aussteigen. Nur ein paar Minuten noch. Sie richtete sich sehr gerade auf und wischte sich eine Träne von der Wange.

|13|Kapitel 2

»Liebe Schülerinnen, liebe Schüler! Äh, liebe Ehemalige!« Es piepste. Es piepste sogar ganz gewaltig. Der grauhaarige Herr mit den Schuppen auf dem Jackett schraubte aufgeregt an seinem Mikro herum. »Ich heiße Sie im Namen des gesamten Kollegiums herzlich – piieeeps – willkommen zum fünfundzwan… – pieppiep – …zigsten Jubiläum Ihres …«, er drehte den Zettel in seinen verschwitzten Händen um, »… Abiturs!«

Stolz auf seine rednerische Leistung hob er die Arme und nahm den Mix aus Applaus, Gelächter und Pfiffen entgegen wie ein depressiver Rockstar. Vor ihm standen etwa hundert Damen und Herren, die diese Bezeichnungen überhaupt nicht verdienten. »Ausziehen!«, kreischte eine Frau. »Pornoooo!«, grölte ein Mann. Die Stimmung hatte schon jetzt den Pegel eines Junggesellenabschieds erreicht.

Kopfschüttelnd begutachtete Oberstudiendirektor Hans-Walter Meier seine Schüler von einst. Sie standen dicht gedrängt in einem festlich geschmückten Bankettsaal mit Stuck an den Wänden und rotsamtenen Stühlen. Das Stimmengewirr schwoll stetig an. Es war ein Fehler gewesen, bereits zur Begrüßung Sekt zu kredenzen, so viel war sicher. Er schaute in die Menge, auf der Suche nach Gesichtern, an die er sich erinnerte. Ah ja. Evi Diepholt, die altkluge Musterschülerin. Und Beatrice Kramer, das kleine Luder. Er hatte den grässlichsten Beruf der Welt.

Meier räusperte sich. War es nicht immer ein aufsässiger Jahrgang gewesen? Die beschlagnahmten Haschzigaretten auf der Schultoilette fielen ihm wieder ein. Die Alkoholexzesse |14|auf den Klassenfahrten. Die Knutschereien im Halbdunkel, wenn im Biologieunterricht Filme vorgeführt wurden. Eine unzähmbare Bande. Und das war sie immer noch.

»Ruhe bitte!«, rief er mit sich überschlagender Stimme. »Ich bitte um Auf-merk-sam-keit!« Piiiieeeeep.

Er hatte sich eine wohlklingende Rede ausgedacht. Mit Goethe-Zitaten, geschönten Erinnerungen und ein paar verlogenen Sentimentalitäten. Die Rede konnte er knicken.

»Hiermit, äh, erkläre ich … das Buffet für … für eröffnet!«, krähte er in letzter Verzweiflung.

Frenetischer Jubel brandete auf. Kellner flitzten umher und sorgten für mehr Sekt, während sich die Gästeschar in Richtung Buffet schob. Es roch bereits penetrant nach Bratensauce. Oberstudiendirektor Hans-Walter Meier war Vegetarier. Ächzend kletterte er von der Bühne, wo die Musiker gerade ihre Instrumente aufbauten.

»Gut gemacht«, sagte ein verwitterter älterer Herr im Tweedanzug und klopfte ihm auf die beschuppte Schulter. Er war der Lateinlehrer des Jahrgangs gewesen und sichtlich froh, dass nicht er die undankbare Rolle des Zeremonienmeisters spielen musste. »Schade nur, dass man Ihren Auftritt nicht recht zu schätzen wusste. Tja. Homo homini lupo, der Mensch ist des Menschen Wolf.«

»Ekelhafte Meute«, knurrte Meier. »Aus denen ist nix geworden. Sieht man ja.«

Am Buffet war man da ganz anderer Meinung. Unter Freudengeheul fielen sich Männer in die Arme, die einander als Halbwüchsige nie hatten ausstehen können. Lautstark prahlten sie mit ihren Erfolgen.

»Hey Sven, geil, dich zu sehen. Ich zock an der Börse. Die erste Mio hatte ich schon mit zwanzig. Und du?«

|15|»Hautarzt. Lauer Job, fette Kohle.«

»Loser. Schon mal von Gesundheitsreform gehört?«

»Ach nee. Und du von Finanzkrise?«

Die weiblichen Gäste dagegen beäugten einander erst einmal stumm. Ihr Wettbewerb fand an der Mode- und Beautyfront statt. Faltenstatus, Hüftumfang und Outfit wurden im Sekundentakt gescannt. Der Konkurrenzkampf war so erbittert wie bei einem Casting. Sie waren Frauen. Sie waren Anfang vierzig. Und wer in den letzten zehn Jahren nicht jede Menge Geld, Schweiß und Disziplin in sein Erscheinungsbild investiert hatte, fiel hier gnadenlos durch. Aber natürlich fand sich ausnahmslos jede weit besser konserviert als alle anderen. Jede. Außer Evi.

Evi hatte das Desaster der gescheiterten Rede mit Schrecken verfolgt. Warum waren die alle so gemein? Sie verstand es nicht. Ihre gute Erziehung hätte ihr niemals erlaubt, einen ehemaligen Lehrer von der Bühne zu johlen. Sie war und blieb eben die höhere Tochter. Etwas abseits stand sie da und drehte ihr volles Sektglas in den Händen. Sie hatte nicht einmal genippt.

Freudlos nahm sie den Saal in Augenschein, die üppigen Blumenarrangements, die Papiergirlanden, die große silberne »25« über der Bühne. Immerhin hatte sie es bis hierher geschafft. Eine halbe Stunde noch und dann Abmarsch, nahm sie sich vor. Sie hatte hier nichts verloren.

Plötzlich zerriss eine schrille Stimme ihre trüben Gedanken. »Eviiii? Oh my god, bist du’s wirklich?«

Sie zuckte zusammen. Entgeistert starrte sie in das Gesicht einer Fremden. Deren hochblondiertes Haar war zu einem rasanten Bob gefönt, eine cremig glänzende Bräune lag auf dem unwirklich glatten Gesicht. Und weder das grünseidene |16|Designerkleid, der kostbare Schmuck noch die Wolke erlesenen Parfums ließ einen Zweifel offen, dass sich ein illustrer Hotelgast in dieses Inferno verirrt hatte. Die Frage war nur: Woher kannte die fremde Frau Evis Namen?

»Sweetheart, erkennst du mich denn gar nicht? Hallo? Be-a-trice! Trio fatal! Na?«

Aus dem Dämmer längst vergessener Tage stieg eine vage Erinnerung in Evi hoch. Das Trio fatal. Der verwegenste Mädchenclub der Schule. Katharina die Große, Bella Beatrice und Evi Forever. So hatten sie sich genannt. Es war Millionen Jahre her. Und das hier sollte wirklich Beatrice sein?

»Come on, wir nehmen einen Drink«, sagte das glamouröse Wesen. »Ich kann’s gebrauchen. Dreimal hab ich mich verfahren, weil mein Navi dieses verstaubte kleine Hideaway nicht finden konnte.«

Vor Evis innerem Auge gewann eine Gestalt Kontur. Beatrice. Das Mädchen mit den roten Haaren. Die extravagante »Hochgeschwindigkeitsschlampe«, wie die Jungs sie verächtlich genannt hatten. Weil sie flirtete wie ein Vorstadtvamp und keinen zweimal ranließ. Extravagant war Beatrice noch immer. Nur die blonden Haare und das polierte Gesicht waren neu.

»Oh, Beatrice, nett, dich zu sehen«, sagte Evi lahm. Nie hatte sie sich unscheinbarer und übergewichtiger gefühlt als neben dieser mondänen Frau.

»Und, was machst du so?«, fragte Beatrice. Ihr Blick glitt über Evis Notfrisur, dann über das biedere graue Kleid, um schließlich an den geländegängigen Schuhen hängenzubleiben.

Auf der Stelle wurde Evi drei Zentimeter kleiner. Die Sache war klar: Beatrice hatte die Schlacht so gut wie gewonnen. |17|Aber Feigheit vor dem Feind war das Letzte, sagte Evis Vater immer. Contenance wahren! Haltung annehmen!, hatte er ihr eingeschärft. Während sie ein Schluchzen unterdrückte, straffte Evi sich unwillkürlich. Los jetzt, lächeln. Na, also. Geht doch.

»Ich habe das große Los gezogen!«, strahlte sie. »Ein wunderbarer Mann, zwei wohlgeratene Kinder, was will man mehr? Wir leben in einer Villa im Grunewald, genau das, wovon ich immer geträumt habe. Du weißt schon, die weiße Villa mit den viktorianischen Säulen und dem Park, in dem ich Rosen züchte.«

Beatrice runzelte die Stirn, wovon infolge der regelmäßigen Botoxinjektionen nur ein millimeterfeines Anheben der Augenbrauen zu sehen war. Es stimmte, Evi hatte immer von so einem Haus gesprochen. Und von der Familie, die sie dereinst gründen wollte. Dummerweise sah sie nicht gerade aus wie eine Frau, die ihre Träume verwirklicht hatte.

»Freut mich für dich«, sagte Beatrice höflich.

»Und du?«, erkundigte sich Evi.

Das gehörte sich schließlich so. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Umständlich kramte sie ein Taschentuch heraus und betupfte sich damit das Gesicht.

Beatrice legte los. »Honey, ich arbeite als Presenterin in einer Agentur. Koordiniere die Guidelines, mache Consulting und Controlling. Meine Kernkompetenz ist Concept Supervisor. Du weißt schon, Branding tunen, Kunden toasten, das übliche Business. Immer hart an der Deadline, bis zum nächsten Newsflash. Demnächst lasse ich mich vielleicht outsourcen, damit der private Cashflow stimmt. Du verstehst?«

Evi verstand kein Wort. Ein Schweißgerinnsel lief ihren |18|Rücken entlang. Wenn sie nicht bald floh, war alles aus. Lange konnte sie die Komödie nicht mehr spielen.

»Ab an die Bar!«, rief Beatrice munter. »Bella Beatrice braucht dringend einen Sundowner. Man nennt mich jetzt übrigens Bea-Bee. Die fleißige Biene. Du verstehst? Bea? Bee?«

»Klingt spannend«, lächelte Evi verlegen. »Aber das mit dem Drink wird leider nichts. Ich trinke nie, wenn ich fahre.«

»Wie jetzt?« Beatrice stemmte die Hände in die Hüften. »Übernachtest du denn nicht hier? Der olle Meier sagte mir eben, die ganze Truppe hätte gebucht. Oh my god! Der hat bestimmt Angst, dass wir austicken wie damals bei den Klassenfahrten. Weißt du noch?«

Evi wusste nicht weiter. Natürlich hatte sie ihren Koffer dabei. Aber den würde sie unausgepackt wieder mit nach Hause nehmen. Nach Hause. Sie schluckte.

»Also dann …«

»Eviiii!« Mit einem spitzen Schrei stürzte eine Frau im Nadelstreifenanzug auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen. »Evi Forever! Du lieber Himmel, ich habe dich sofort erkannt!«

Beatrice stutzte, dann riss sie die Arme hoch. »Yeah! Katharina die Große, Evi Forever und Bella Beatrice! Das Trio fatal is back!«

Eine peinliche Pause entstand. Sie waren ein verschworenes Dreiergespann gewesen. Damals, als Teenager. Alles hatten sie geteilt, Schulstress, Schminktipps, ersten Liebeskummer. Wie Sekundenkleber hatten sie zusammengehalten, getreu ihrem Motto: »Für immer, für ewig, für uns!«

Ein Vierteljahrhundert war das her. Beim Abiturball hatten |19|sie noch beschlossen, für immer zusammenzubleiben. Doch es kam anders. Die rituellen Treffen wurden seltener, die ausgedehnten Telefonate auch, und schließlich verloren sie einander aus den Augen. Die Freundschaft von einst war in Vergessenheit geraten, so wie der Schulstress, die Schminktipps und der erste Liebeskummer.

Es war Beatrice, die die Situation rettete. »Gehe ich richtig in der Annahme, dass wir Staatssekretärin Dr. Katharina Severin vor uns haben, bekannt aus Funk und Fernsehen, die Hoffnung der Familienpolitik?«

»Könnte man so sagen«, antwortete Katharina geschmeichelt. »Gerade haben sie mich zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Mit steilen Karriereoptionen. Und was macht ihr so?«

Die Herablassung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Da hieß es mithalten. Eingehend berichteten Evi und Beatrice von ihrem grandiosen Leben. Katharina hörte konzentriert zu. Ihr blasses Gesicht mit den winzigen Sommersprossen war ungeschminkt und kaum gealtert. Die Haut schimmerte wie Porzellan. Eine Rose aus Stahl, dachte Evi, während Beatrice sich vornahm, später nach Katharinas Schönheitschirurgen zu fragen.

»Hört sich doch ganz gut an«, sagte Katharina obenhin, als die beiden fertig waren.

Evi fühlte sich zunehmend unwohl neben ihren furchtbar erfolgreichen Freundinnen. »War schön, dass wir uns mal wiedergesehen haben.« Sie improvisierte aufs Geratewohl. »Leider muss ich los. Ich bekomme« – sie holte Luft – »Besuch. Übernachtungsgäste. Deshalb …«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, fiel Katharina ihr ins Wort. »Da treffen wir uns nach fünfundzwanzig Jahren, |20|und du willst schon wieder den Abflug machen? Ich habe sogar eine Strategiesitzung im Familienausschuss abgesagt!«

»Und ich ein Skype-Meeting mit chinesischen Managern!«, trumpfte Beatrice auf.

Evi hatte Derartiges nicht vorzuweisen. Kleinlaut suchte sie nach plausibleren Ausflüchten, doch es gab keine. »Aber, aber …«

»Nichts aber«, bekräftigte Beatrice. »Dein ›wunderbarer Mann‹ und deine ›zwei wohlgeratenen Kinder‹ werden es ja wohl mal eine Nacht ohne dich aushalten, oder?« Sie zwinkerte Katharina zu.

Nicht nur eine Nacht, dachte Evi. Die würden nicht mal merken, wenn ich eine ganze Woche wegbliebe.

»Komm schon«, sagte Katharina. »Heute zeigen wir den Jungs, wo die Wurst wächst. Wie in alten Tagen.«

»It’s raining men!«, fiel Beatrice ein. »Hallelujah!«

Zusammen mit Katharina hakte sie Evi unter, und gemeinsam schleiften sie ihre widerstrebende Freundin zur Bar. Die war ein dämmriges Gewölbe mit genoppten Ledersofas und nachgedunkelten Landschaftsgemälden an den Wänden. Am Tresen lungerten ein paar Herren herum, die sich gegenseitig mit Erfolgsgeschichten überboten. Gerade waren sie bei ihren Autos angekommen. Der Barkeeper zapfte unablässig Bier, das mit Getöse geleert wurde.

Das Trio steuerte einen ruhigen Tisch in der Ecke an. Beatrice hob lässig drei Finger und rief dem Barkeeper zu: »Caipi! Aber pronto please!«

»Echt jetzt? Caipirinha?«, gluckste Katharina.

»Warum nicht? Um eine unfallfreie Syntax müssen wir uns wohl nicht mehr kümmern«, lachte Beatrice. »Oder |21|willst du etwa auf die Bühne schlüppern und eine Rede halten? Goodness, den Meier haben sie doch schon gegrillt! Wisst ihr noch, wie er uns das Schwimmen beibringen wollte? Und immer sein Gebiss am Beckenrand ablegte? Der ist schon durchs Wasser gepflügt, als Jopi Heesters noch sein Seepferdchen machte.«

»Nee, nee, keine Rede«, winkte Katharina ab. »Ich habe heute schon drei Reden gehalten.«

Beatrice rollte mit den Augen. Katharinas Arroganz konnte einem ganz schön auf die Nerven gehen.

»Wollt ihr denn nichts essen?«, meldete sich Evi zu Wort.

Ihr Magen war ein gähnend leerer Abgrund. Sie hatte vor lauter Aufregung den ganzen Tag nichts gegessen, und die Düfte des Buffets verhießen so einiges. Außerdem konnte man immer etwas lernen für daheim, wenn man auswärts aß. Fand Evi.

»Essen?« wiederholten Beatrice und Katharina im Chor.

»Ja! Habt ihr gar keinen Hunger?«

Beatrice verzog den Mund. »Low-carb-Diät.«

»Und ich hatte schon meinen abendlichen Müsliriegel im Wagen«, fügte Katharina hinzu. »Der Fahrer besorgt ihn immer für mich.«

Jetzt bestand der Chor aus Evi und Beatrice. »Du hast einen – Fahrer?«

»Nee, einen Neandertaler, der sein Hirn in der Hose spazieren fährt. Dafür muss ich nie einen Parkplatz suchen.«

»Krass«, sagte Beatrice.

Dann kamen die Getränke.

Evi wollte protestieren, doch sie traute sich nicht. Alkohol hatte sie noch nie vertragen, schon gar nicht auf nüchternen Magen. Aber wenn sie jetzt nicht mitmachte, würde sie |22|noch jämmerlicher dastehen als sowieso schon. Ergeben griff sie nach dem Glas, in dem eine gefährlich aussehende Flüssigkeit die Eiswürfel leise knacken ließ.

Beatrice prostete ihren Freundinnen zu. »Für immer, für ewig, für uns!«

Zu dritt wiederholten sie ihre alte Parole: »Für immer, für ewig, für uns!«

Und nun? Alle drei wunderten sich insgeheim, wie unterschiedlich sie doch waren. Damals, in der Schulzeit, war es ihnen nicht aufgefallen, aber im Laufe der Jahre hatten sich die Kontraste verschärft. Nun saßen sie fremdelnd da, drei Frauen, drei Lebensentwürfe, drei Welten. Ein unbefangener Beobachter hätte kaum vermutet, dass es etwas gab, was sie einst verbunden hatte.

»Evi und ich ankern ja im beschaulichen Hafen der Ehe«, sagte Beatrice, nachdem sie eine Weile in ihrem Drink gerührt hatte. »Und du, Katharina?«

»Nichts für mich.« Katharina lächelte nadelfein. »Ich meine, die Familie ist selbstverständlich der Nukleus der Gesellschaft, die unverzichtbare Keimzelle allen sozialen Lebens. Aber einer muss ja die Arbeit machen. Ich bin vierundzwanzig Stunden im Dienst. Da kann man keine Breichen kochen, Apfelkuchen backen und dem Herrn Gemahl abends den Rücken kraulen.«

Beim Stichwort Apfelkuchen zuckte Evi. »Aber macht das auf die Dauer nicht ein bisschen einsam?«, fragte sie.

»Ich ziehe Freundschaften vor«, erklärte Katharina. »Besonders Arbeitsfreundschaften. Der Familienminister zum Beispiel ist mein engster Vertrauter.« Sie machte eine Kunstpause, um die Verblüffung der beiden auszukosten. »Er ist ein starker professioneller Partner. Ich recherchiere für ihn, |23|arbeite Dossiers aus. So etwas ist weit befriedigender als die Isolationsfolter einer konventionellen Zweierbeziehung.«

»Na, na!« Beatrice rührte etwas schneller in ihrem Drink. »Mein Mann ist jedenfalls sensationell – one in a million! Er verwöhnt mich, wo er kann, und hält mir den Rücken frei. Unsere Tochter ist sowieso schon aus dem Haus. Total tough, die Kleine. Sie studiert Jura.«

»Schick sie mal vorbei, wenn sie ein Praktikum machen will«, sagte Katharina gönnerhaft.

Beatrice wirkte mit einem Mal angespannt. »Nicht nötig«, flötete sie. »Die Praktika sind längst history. Nächste Woche geht sie nach Cambridge. Ist irre teuer, aber eine unverzichtbare opportunity zum Networken. Think global, sage ich immer. Sorry, Katharina, aber was soll sie hier in der Provinz?«

Der Punkt geht an Beatrice, stellte Evi fest, die den Schlagabtausch fasziniert verfolgt hatte. Die beiden spielten in derselben Liga. Und waren fest entschlossen, einander auszustechen. Evi dagegen war längst aus dem Rennen. Das machte die Sache für sie wesentlich einfacher.

Verstimmt strich sich Katharina über die festgezurrten Haare. Sie setzte eine randlose Brille auf und sah zum Tresen hinüber. Immer schön von Niederlagen ablenken, war ihre bewährte Taktik.

»Der leicht verfettete Blonde auf elf Uhr. Ist das nicht Bernd, der Schrecken unserer Mädchenblüte?«

Sie hatten damals eine Geheimsprache gehabt, so wie die tollen Kerle in den Agentenfilmen ihrer Jugendzeit. Elf Uhr, das hieß: geradeaus, etwas links. Wie auf Kommando sahen sie zum Tresen.

Sofort löste sich ein stämmiger Mann aus der Runde, der |24|die Blicke der drei Frauen aufgefangen hatte. Breitbeinig baute er sich vor ihnen auf.

»Na, immer noch zusammengetackert?«, fragte er. »Hui. Der flotte Dreier. Da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll!«

Er grinste herausfordernd.

»Der Bernd, sieh an«, sagte Beatrice kühl. »Früher konntest du nicht mal eine Chipstüte aufreißen. Und jetzt gleich drei Mädels auf einmal? Vergiss es!«

Sofort vereiste seine Miene. »So was Überspachteltes wie du hätte bei mir sowieso nie eine Chance. Und ich stehe auch nicht auf Übergrößen und Emanzen in Nadelstreifen. Wirsing.«

Er drehte sich abrupt um und kehrte an den Tresen zurück, wo er mit Gelächter empfangen wurde.

»Typen wie der gehören auf DIN A4 gefaltet«, grantelte Katharina.

Evi war einfach nur sprachlos. Natürlich war Bernd zu weit gegangen. Doch auch in solch heiklen Momenten siegte stets ihr gutes Herz. Evi gehörte zu den sanftmütigen Menschen, die nicht einmal Spinnen töten, sondern sie gewissenhaft hinaus in den Garten tragen.

»Einen schönen guten Abend, die Damen! Darf ich mich zu Ihnen gesellen?«

Die drei hätten sich fast erhoben, so wie früher. Oberstudiendirektor Meier stand vor ihnen, ein Glas in der Hand. Sehr standfest sah er allerdings nicht mehr aus. Offenbar war er es nicht gewohnt, lauwarmen Sekt zu trinken.

»Bitte. So setzen Sie sich doch«, antwortete Evi und machte eine einladende Handbewegung. »Ist uns eine Ehre.«

Sichtlich erleichtert hockte sich der Lehrer auf einen Sessel. |25|Der Abend war für ihn ein einziges Survival Camp. Er hatte sich den großen Auftritt erhofft, jedoch feststellen müssen, dass er nur der Statist in einem lärmenden Chaos war. Aber wenigstens an diesem Tisch wusste man, was sich gehörte.

»Eva-Maria Diepholt, Beatrice Kramer, Katharina Severin, richtig? Sie drei waren die vielversprechendsten Schülerinnen des Jahrgangs«, seufzte er. »Intelligent, interessiert, und wie man hört«, er deutete eine Verbeugung in Katharinas Richtung an, »hat Ihr enormer Fleiß Sie ganz nach oben gebracht.«

Katharina lächelte selbstzufrieden. »Könnte man so sagen.«

»Und das, obwohl Sie, nun ja, genau genommen aus eher kleinen Verhältnissen stammen«, fügte Meier hinzu.

»Aus der bildungsfernen Schicht«, verbesserte Katharina ihn scharf. »Und Sie sollten jedem mit Respekt begegnen, der die Durchlässigkeit einer demokratisch verfassten Gesellschaft demonstriert, um sich einen Platz in der politischen Elite zu erobern.«

Eine Zornesfalte erschien zwischen ihren akkurat gezupften Augenbrauen. Es ärgerte sie maßlos, dass Meier sie an ihre Herkunft erinnerte. Evi wusste, dass Katharina es immer als wunden Punkt empfunden hatte, dass ihr Vater Maurer war und ihre Mutter putzen ging. Sie hatte diese vermeintliche Schmach mit brennendem Ehrgeiz kompensiert. Von ihrer Vergangenheit wollte sie jedenfalls nichts mehr wissen.

»O ja, sicher, Sie sind ein schönes Beispiel dafür, dass wirklich jeder es schaffen kann«, beeilte sich Meier, seinen Fehler wiedergutzumachen. Dann wechselte er rasch das Thema.

|26|»Und Sie, Evi? Ich darf doch wohl noch Evi sagen? Wie geht es dem Herrn Vater? Seiner großzügigen Spende verdanken wir ja unsere neue Turnhalle. Ein beeindruckender Mann.«

»Bestens«, murmelte Evi.

Es war ihr mindestens so unangenehm wie Katharina, dass Meier sie auf ihre Familie ansprach. Auf ihre vermögende, einflussreiche Familie, deren Erwartungen sie nie entsprochen hatte. Ihr Vater hatte ganz selbstverständlich angenommen, Evi werde mindestens einen Nobelpreis für atemberaubende wissenschaftliche Leistungen erhalten. Stattdessen sah er seine Tochter weitgehend untätig an der Seite eines Emporkömmlings, den er nicht ausstehen konnte.

Meier lächelte vertraulich. »Wenn ich fragen darf, Evi, welchen Karriereweg haben Sie eingeschlagen?«

Evi hüstelte. »Den rosenumrankten Weg der Hausfrau und Mutter.«

»Ach.«

Das anschließende Schweigen war drückend wie eine aufziehende Gewitterfront. Ohne dass er ein Wort sagte, wussten alle drei, was er dachte: Da hatte er sich so viel Mühe mit dieser Einserschülerin gegeben, der Hoffnung seines öden Lehrerlebens, und sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als zur heimischen Servicekraft zu mutieren. Was für eine Enttäuschung. Betreten spielte Evi mit ihrem Ehering.

»Sehen Sie, wir alle haben etwas aus unserem Leben gemacht«, unterbrach Beatrice die Stille, die eingetreten war. »Ich bin Managing Director bei einer Agentur, Dollar & Dime heißt sie, die kennen Sie bestimmt, Consulting, Controlling, Concept Supervisor, Branding tunen, Kunden toa…«

|27|»Allerhand«, unterbrach Meier sie. »Offen gestanden hatte ich mir bei Ihnen immer Sorgen gemacht. Sie waren ja als Schülerin, wie soll ich sagen, ziemlich leichtlebig.«

»Wie bitte?«

»Entschuldigung, in vino veritas, der Wein hat meine Zunge gelöst. Nichts für ungut. Aber Ihre kurzen Röcke und der lockere Umgang mit den Jungs und …« Er kam ins Stocken.

Beatrice kniff angriffslustig die Augen zusammen. In ihr brodelte es, das war nicht zu übersehen. Sehr langsam und sehr laut sagte sie: »Dieser Typ ist wie Herpes. Ungeheuer lästig und geht nie wieder weg.«

Erschrocken fuhr Evi zusammen. Sie wusste nicht, was schlimmer war: Meiers taktlose Bemerkungen oder Beatrices flapsiger Spruch.

»Herpes?« Meier begriff den Satz erst nach längerem Nachdenken. Als sein sektumspültes Stammhirn ihn endlich als Beleidigung klassifiziert hatte, sprang er auf, als hätte ihn ein Skorpion gebissen.

»Ich weiß, wann ich gehen muss!«, rief er aus.

»Verbindlichsten Dank, dass Sie uns nicht weiter belästigen«, setzte Beatrice nach. Betont beiläufig nahm sie einen Schluck Caipirinha, während Meier davonschlich.

»Das verspricht ja, ein netter Abend zu werden«, sagte Katharina und orderte die nächste Runde.

Beatrice lehnte sich zufrieden zurück. »Speedlästern. Wie in alten Zeiten. I love it!«