Unverwüstlich

Inhaltsverzeichnis

Was marterst du das arme Hirn
Mit Fragen und mit Schlüssen?
Komm her und laß dir von der Stirn
Die finstern Falten küssen!
Mit Sorgen hast du nachgedacht
Dem Laufe dieser Dinge
Und zweifelst, ob der Liebe Macht
Den Weltprozeß bezwinge?

Wenn ich dir in die Augen schau',
Die lieben, klaren Augen,
Dann wissen wir ja ganz genau,
Warum wir für uns taugen.
Wir waren stets uns zugesellt,
Willst du dich recht entsinnen,
Seitdem im Raum sich dehnt die Welt
Und seit die Zeiten rinnen.

Ich glaube, daß du neben mir
Zum Zentrum dich gerichtet
Zuerst, da als Atome wir
Zur Sonne uns verdichtet.
Wir flogen dort schon Arm in Arm
Beim ersten Gravitieren,
Und wurden so gemeinsam warm
Und konnten oszillieren.

Und als der Nebelring in Glut
Geschleudert ward ins Weite,
Nicht sank uns der Atomen-Mut,
Du flogst mir zum Geleite.
Und als die Erde sich geballt,
Da hielt es uns nicht länger,
Uns band der Liebe Vollgewalt
Im Molekül noch enger.

Doch ach, entsetzlich war die Zeit,
Kaum mag ich mich erinnern;
Wir wurden grausam bald entzweit,
Mich trieb es nach dem Innern.
Dann sucht' ich, ach, von Ort zu Ort
Umsonst, die ich erkoren, –
Ich glaubte schon, es riß dich fort,
Als wir den Mond verloren.

So lebten fern wir und allein
Millionen wohl von Jahren;
Mein Herz, mein Herz war ewig dein –
Erst spät hast du's erfahren.
Als das Geschick von dir und mir
Sich endlich ließ erbitten:
In der Grauwacke krebsten wir
Als kleine Trilobiten.

Als in der Kohlenformation
Wir dann uns wiederfanden,
Warst du ein Labyrinthodon,
Ich lag in deinen Banden.
Auf deinen holden Wickelzahn
Sang ich ein Lied alsbalde,
Sah ich dich mir von ferne nah'n
Im Sigillarienwalde.

Im Trias und im Jura auch
Und im System der Kreide
Warst du nach treuer Liebe Brauch
Mir Trost und Augenweide.
Wir wurden endlich miozän
Und Säugetier-gestaltet;
Und selber in der Eiszeit Weh'n
Sind wir uns nicht erkaltet.

Und immer klüger wurden wir,
Als Jahr' auf Jahre gingen;
Ich bin gewiß, nur neben dir
Zum Menschen könnt' ich's bringen.
Denkst du daran, wie um und um
Vor uns die Tiere zagten,
Als wir noch im Diluvium
Den Höhlenbären jagten?

Mit meiner Axt von Feuerstein
Hab' ich in jenen Tagen
Rhinozerosse kurz und klein
Zur Freude dir geschlagen.
In unsrer Höhle saßen wir
Aus Knochen Mark zu saugen,
Und schon wie heute sah ich dir
In die geliebten Augen.

Und wo wir auch im Lauf der Zeit
Noch später uns getroffen,
Du warst allein in Luft und Leid
Mein Sehnen und mein Hoffen,
Ob wir am heil'gen Nilusstrand
Zum Isissterne blickten,
Und ob wir im gelobten Land

Vom Stock die Traube pflückten;
In Aphroditens heil'gern Hain
In stillen Mondesnächten,
Wie in des Zirkus dichten Reih'n
Beim grimmen Todesfechten;
Nach blutiger Barbarenschlacht
Im Flammenschein der Städte,
in deutsche Kirchen düstrer Nacht

Bei Weihrauch und Gebete.
Und heute wieder ganz modern
Lieb' ich dich ohne Maßen.
Ich grüße höflich dich von fern,
Treff ich dich auf den Straßen.
Dein Bild, gemalt vom Sonnenstrahl,
In meiner Tasche trag' ich,
In Versen meine Liebesqual
Dir durch die Reichspost sag' ich.

Es zischt der Dampf, es saust das Rad,
Es regt sich ohne Endnis.
Es ringt die Welt mit Wort und Tat
Nach freier Selbsterkenntnis.
Und wenn zu neuem Leben wir
Hier wiederum erwachen,
Dann fahr' ich durch die Luft mit dir,
Sturmgleich, im Flügelnachen!

Jahrhundertmärchen

Inhaltsverzeichnis

Will die Knospe noch immer nicht springen? Jetzt muß doch bald die ersehnte Stunde kommen, da sie sich öffnet, daß er hinausblicken kann und die lichten Sterne schaun und das Land, das er vor allem liebt – – Dauert denn ein Jahrhundert so lange, selbst für einen kleinen Kulturgeist, der sonst durch die Zeiten fliegt wie ein Sonnenblick durch den Weltraum?

Aber er sitzt ja im Gefängnis! Da kann er nichts tun als träumen, träumen von dem letzten frohen Tage, an dem er draußen war, träumen von dem nächsten, der nun kommen muß – – Regt sich die Knospe noch nicht? Ach, nur in der seltenen Neujahrsnacht, wenn ein neues Jahrhundert anfängt, dann ist ihm ein Tag der Freiheit gegönnt. Dann durchschaut er mit seinen hellen Geisteraugen die Dinge und Menschen nah und fern. Und dann hat er wieder ein Jahrhundert Zeit, nachzudenken, wie es wohl das nächste Mal sein wird.

Ungeduldig pocht er mit den kleinen Geisterfäusten an die Wand des grünen Gefängnisses. Und da sie nicht weichen will, faltet er die Flügel zusammen und träumt wieder.

Wie wird es diesmal draußen aussehen? Wie mag's seinem guten Freunde gehen, den sie den Michel nennen? Eigentlich ist der ja dran schuld, daß der kleine Kulturgeist eingesperrt wurde. Es ist freilich schon lange her – –

Damals war er ganz vergnügt umhergeflogen, weit hinweg von sonnigen Geländen bis zu den dunkeln Fichten am Nordmeer. Dort sah er einen Riesenknaben ausgestreckt, der schlief zwischen den Muscheln am flachen Strande, seine starke Faust umklammerte den entwurzelten Stamm einer jungen Fichte, und wild hingen ihm die blonden Locken über die geschlossenen Augen. Sofort war der Kleine von dem jungen Riesen entzückt. Die Augen wollte er sehen, die Augen! Und rasch schob er die Haare vom Antlitz zurück.

Aber das war gerade der Zauber. Die Lider aufreißen, daß es hervorquoll wie ein Himmel blauen Lichts, aufspringen und lockenschüttelnd, den Baumstamm schwingend hinwegtoben, das hatte der Riesenjunge im Augenblick getan. Erschrocken starrte ihm der kleine Kulturgeist nach. Doch da hatte ihn auch schon jemand an den Flügeln und schüttelte ihn. Das war der Genius der Menschheit selbst.

»Was fällt dir ein«, herrschte der ihn an, »meinen weisen Zauber zu brechen? Der Junge sollte noch schlafen, bis er verständiger geworden ist. Nun hast du mir tausend Jahre Geschichte ruiniert! Jetzt läuft der Bengel hin und schlägt mir den kranken Onkel Römerreich tot und die alte Erbtante Antike und versteht doch ihr Testament noch gar nicht zu lesen! Das wird ein schönes Mittelalter werden! Aber dich, vorwitziger Schwarmgeist, will ich zur Strafe in die Fichte im Zauberwald sperren. Nur in der Neujahrsnacht eines neuen Jahrhunderts öffnet sie eine Knospe, und dann magst du hinausgucken, und sonst nicht!«

Und so saß denn der Kleine im grünen Kerker. Wenn aber der Tag der Freiheit kam, dann sah er die Dinge mit Verstand an; denn er war jetzt nachdenklich geworden. Und den Riesenjungen, der inzwischen herangewachsen war, besuchte er gern. Dem war's auch nicht immer gut gegangen. Der totgeschlagene Onkel ging in langer Kutte als Geist in seinem Hause um, und Michel mußte sich hübsch still und folgsam ducken. Und vorgestern, als Geistchen das vorletzte Mal draußen war, da hatten sie den Michel ganz windelweich geschlagen, da saß er zusammengebückt und festgeschnürt und schlief. Aber das letzte Mal, da war's schon besser. Zu einem Manne war er erstarkt; Arme und Füße waren noch gefesselt, den Kopf aber trug er wieder aufgerichtet, groß leuchteten die blauen Augen, doch nicht mehr wild, die Locken waren von der Stirn zurückgestrichen, und Gedanken sah man darunter gehen – wunderbare, tiefe Gedanken, wie sie der Menschheit noch nie erblüht waren – –

Ja, das war überhaupt ein herrlicher Tag!

Wie er an dem Hause vorüber kam und in das Zimmer spähte, wo die beiden Dichter miteinander sprachen. Das war eine neue Welt!

Der Große, dem die Götteraugen so siegreich strahlten, als schaue er die Zukunft vor sich wie eine offene Tempelhalle, – das war Goethe.

Und der andere, der den Kopf in die Hand stützte und nachsann, – das war Schiller.

Und vor ihm das aufgeschlagene Buch mit dem gelehrten Titel, – das war von Kant.

Wovon sprachen sie doch? O, er erinnerte sich wohl. Er hatte ja ein Jahrhundert Zeit gehabt, darüber nachzudenken.

Von der Menschheit sprachen sie, von dem großen Jahrhundert, das mit dieser Nacht vorübergerauscht war. Von der Menschheit, die nun zum ersten Male mündig geworden sei, da sie das neue Wort begriffen hatte: »Bestimme dich aus dir selbst!«

Ja, sie hatte sich aus sich selbst bestimmt, den Spukgeist vertrieben und die lebendige Natur befragt, die Millionen Welten, die draußen im unendlichen Nachtraum strahlten, die grünen Fluren und das wogende Meer und den Berge gebärenden Erdball.

Und sich selbst hatte sie befragt, nach ihrem Recht und nach ihrer Pflicht. Da klang aus ihrer eigenen heiligen Tiefe der befreiende Ruf: Du sollst! Handle gut aus Achtung vor deinem Gesetz! Handle gut um der eigenen Würde willen, die dem Menschen gebührt, einem jeden! Das Unabänderliche und das Unerreichbare, vereine es in dir, daß es golden leuchte im freien Spiel der Seele! Verschmilz es im schönen Scheine zum Ideal, daß es dich packe mit der warmen Wirklichkeit des Gefühls, daß es dich durchflute und läutere mit dem heiligen Schauer, der dem Augenblick Dauer verleiht! Vertrauend blick hinein ins Gewirr der Arbeit, daß du das Ganze schon siehst, wo noch die Rüststücke splittern, daß du selbst dich aufbaust zur Menschenhöhe!

So schauten diese Männer in das kommende Jahrhundert.

Und das Jahrhundert schaute auf sie, auf die Unsterblichen, die einer neuen Menschheit ihren Odem eingehaucht hatten.

Glückliches Land, das diese Männer sein nennen durfte! Glückliches Jahrhundert, an dessen Wiege diese Götterpaten die unvergänglichen Gaben zurückließen, die drei ewigen Lampen der Freiheit, der Würde, der Schönheit – – –

Wieder sind hundert Jahre vorüber. Auf dem Werk jener Gewaltigen fußend, welch erhabene Genien müssen am Ende des neuen Jahrhunderts wandeln, müssen dem zwanzigsten den Gruß des Willkomms singen und sagen? O wenn die Knospe endlich sich öffnete!

Und ehrfurchtsvoller Schauer durchzittert das Herz des kleinen Gefangenen.

Und da – siehe – es wächst, es dehnt sich das grüne Gewölbe – und es schimmert von außen – –

Die Knospe springt auf – o Seligkeit! Offen liegt der Himmel, liegt Land und Meer – und alles auf einmal umfaßt der Geisterblick.

Er starrt und starrt. Die Genien sucht er, die großen Unsterblichen, die das Geheimnis des neuen Jahrhunderts zu verkünden wissen, der Zeit, die sie selbst geschaffen – rein und klar, wie es nimmer zuvor die Menschheit vernommen.

Er starrt vergebens, er findet sie nicht. Sie sind nicht da – nicht ein einziger ist da.

Und dem kleinen Kulturgeist rinnen die Tränen herab. Große, runde Tränen, aus denen der weite Himmel glänzt.

Und wie sie fallen, zerstieben sie in Millionen Tröpfchen. Demantstaub ist über die Erde gestreut, und das ganze Land leuchtet.

Wie anders sieht es nun aus!

Millionen und aber Millionen Sternchen schlingen ihre Strahlen ineinander. Sie ergänzen sich, sie verstärken sich zu mildem Lichte.

Und nun erblickt er die neuen Menschen. Wie das ineinander wirkt, wie sich das zusammenschließt, wie das hinübergreift über die Erde mit Riesenarmen, die allen gemeinsam gehören, auch dem Kleinsten! Dort jagt es durch die Lande, dort dampft es über das Meer, dort zuckt es Kunde, redet Sprache im Augenblick durch Fernen, zu denen die Schnellpost Tage brauchte. Das sind die neuen Nerven in einem neuen Riesenleib, das sind die neuen Riesen, die lebendig gewordene Natur in einem großen Willen, das sind die Riesen der Arbeit, der Pflicht, der Hoffnung.

Die großen Genien schweben leuchtend im Äther, aber im Lande schafft ein großes Volk – – – Und nun erblickt der kleine Kulturgeist seinen Freund, den Michel. Höher noch ragt der mächtige Kopf, aber auch die Arme sind frei, und mutig umfassen sie den Erdball. Nur noch die Füße sind gefesselt.

Der Genius der Menschheit schwebt vorüber.

Fragend fleht zu ihm das Geistchen:

»Warum willst du meinem Freunde nicht auch die Füße lösen?«

Der aber winkt majestätisch:

»Hüte dich, hüte dich! Hast du noch immer nicht Geduld gelernt? Marsch mit dir hinein in die Knospe! Dort harre, was dein nächster Tag dir bringen wird.«

Der gefangene Blitz

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Ich bin geboren –

»Geboren? Was ist das wieder für ein Unsinn? Eine von den Dummheiten der Menschen, worauf sie sich noch etwas einbilden. Ich bin nicht geboren, bin niemals geboren worden. Oder bist du vielleicht geboren, altes Zählwerk?«

»Tick-tack, tick-tack«, sagte die Uhr im Zählwerk des elektrischen Stroms.

»Sprich deutlicher, ich verstehe dich nicht«, rief die Glühlampe.

»Weiß nicht, ob ich geboren bin«, antwortete die Uhr. »Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Aber ich habe schon viele Glasbirnen, wie du bist, sich zu Tode brennen sehen, also werden sie wohl auch geboren worden sein.«

»Rede nicht so dumm! Bin ich die Glasbirne? Bin ich der Kohlenfaden? Du freilich, du bist ein trauriges Federwerk, du wirst aufgezogen, sonst läufst du ab. Aber ich – ich bin ganz etwas anderes.«

»Tick-tack, tick-tack –«

»Jetzt freilich haus' ich in einer Glühlampe, jetzt leucht' ich nur auf den Tisch hier, auf die blauen Hefte und auf die weißen Bogen, und auf den Menschen – Aber einst – Soll ich dir's erzählen?«

»Warum fragst du erst? Du wirst mir's ja doch erzählen.«

»Du magst recht haben, langweiliger Zähler! Es kann nicht jeder Tag und Nacht nur Tick-Tack machen. Ja, es gibt Zeiten, in denen ich gern rede; muß ich doch oft so lange schweigen! Aber wenn ich glühe, so red' ich auch. Und wenn du's nicht hören willst, werd' ich's dem Menschen dort erzählen, obgleich er geboren ist.«

»Dem? Und der soll dich verstehen?«

»Ob er mich versteht? Ich leuchte ihm ja doch.«

»Das mußt du –«

»Mußt? Ärgre mich nicht! Unterbrich mich nicht immer! Ich schwinge eben, da muß sein Gehirn mitschwingen. Dann sieht er die Dinge rings umher. Das ist unsre Sprache. Farbe, Farbe! Die geb' ich! Hast du nie gesehen, wenn er in die blauen Hefte schreibt, da fließt es rot aus seiner Feder, und auf der Stirn ist ein dunkler Streifen, und sein Gesicht wird ganz bleich. Aber wenn er in das kleine schwarze Buch schreibt, da schreibt er schwarz, und seine Wangen röten sich und seine Augen leuchten blau.«

»Was du nicht alles weißt! Aber jetzt schreibt er auf die großen Bogen. Das verstehst du nicht.«

»Wie? Ich könnt's nicht lesen? Wir Geister vom Äther durchstrahlen die Welt, unser Wissen reicht weit wie des Vaters Riesenarm. Dort auf dem großen Bogen steht ein Gesuch, eine Bitte, man möge ihm etwas gewähren um – seine Gesundheit – da bei der starken Inanspruchnahme seiner – ja seiner –«

»Siehst du! Du kannst es nicht lesen.«

»Ich kann es lesen, ich will nur nicht! Ich mag das Wort nicht!«

»Was ist es denn?«

»Laß mich! Auf dem andern Blatt steht, wer er ist. ›Ich, Karl Theodor Matthof, bin geboren zu Waidenburg als Sohn des Kaufmanns Emil Matthof und seiner Ehefrau Karoline, geborene –‹ Schon wieder eine geborene! Ich hab' es satt! Ich bin nicht geboren, ich nicht! Höre mich!

Droben im Raum, wo die Planeten schwingen, da weckt mich die Mutter, die dampfende Erde, vom Schlummer auf, so oft sie den Vater, den endlosen Äther, in ihrem tanzenden Wirbel küßt. Da ström' ich hernieder, da steigen die Lüfte, da ball' ich die Dünste zu wogenden Wolken, da jag' ich den Sturm in der Sommernacht zu heißer Begierde – so wach' ich und lebe!«

»So wach' ich und lebe.« So schrieb der Mensch in seinen Lebenslauf, dessen Anfang auf dem Papier stand. Dann faßte er sich an den Kopf, sah erstaunt auf die Worte, die er geschrieben hatte, schob das Blatt zur Seite und warf die Feder fort.

Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und ließ die Hände müßig herabsinken. Seine großen, klaren Augen aber richteten sich auf den milden Schein der Lampe über seinem Tische, und es war, als ob die Lampe immer weiter und weiter hinausrückte. Da glitten die Achsen seiner Augen langsam auseinander, bis sein Blick in unendlicher Ferne haftete, und die Nähe war ihm entschwunden.

Die Lampe zuckte mit einem triumphierenden Aufleuchten zu dem Zählwerk hinüber und sprach weiter:

»Ich bin nicht geboren – ich wachte nur auf und werde schlummern und wieder wachen. – Siehst du dort auf dem Bilde die weißen Spitzen über die dunklen Felsen ragen? Siehst du aus dem Gletscher den Bach entspringen? Erkennst du den geborstenen Stamm der verkrüppelten Kiefer? So sah es aus, wo ich zuerst erwachte.

Dort traf ich die Stämme im Urwald der Berge, sie krachten und stürzten, und prasselnd warf ich den eisigen Hagel ins Tal hernieder. O wilde Luft, o goldene Freiheit! Ich war das Wetter, ich war der Blitz! Von Wolke zu Wolke sprang ich im Lichtleid, von der Wolke fuhr ich hinab zum Boden im schmetternden Strahl, die Felsen spaltend, und aufwärts wieder zur dunklen Wolke strömt' ich im Spiele der Äthergeister. Du altes, armes Uhrwerk, was weißt du von des Ätherkindes himmlischer Freiheit? Kennst du die stille, schwüle Julinacht mit dem schweren, sehnsüchtigen Blumenduft, wenn die verliebten Mondstrahlen über die Halme der Wiese gleiten? Dann schmiegt' ich mich innig an die ruhende Luft und lockte sie schmeichelnd empor, und wie wir schwebten engumschlungen, weinten wir Tränen der Wonne. Die kleinen Nebeltröpfchen, von meinem heißen Atem gescheucht, ballten sich im Mondenglanz zur weichen Rundung der weißen Wolke.«

Der Mensch in seinem Stuhle seufzte leise. Er griff wieder nach der Feder, aber den großen Bogen und den Stoß blauer Hefte schob er unwillig beiseite. Er nahm sein kleines Buch und schrieb hinein. Und die Lampe sprach weiter:

»Im Sonnenschein hüllt' ich mich spielend in den Schleier des Staubbachs. Da schaut' ich Menschen im einsamen Bergtal. Seltsamen Weg bauten sie, die Felsen sprengend; über die Schlucht warfen sie die schlanke Brücke. Eiserne Schienen lagen am Boden, weit gedehnt. Da glitt es sich herrlich bergauf, talab, viel leichter und glatter, als wenn ich zuckend die Lüfte zerteilte. Dann spannten sie glänzende, rotfunkelnde Drähte über den Schienen in der Höhe. Die lockten mich mächtig, auf ihnen zu gleiten, wenn ich in brausenden Wettern über die Höhen einherfuhr. Und doch war's, als erlahmte mir die Kraft, sobald ich ihnen nahte. Als ob ein unbekanntes Gebot mich hinderte, im freien Spiel zwischen Wasser und Wolken einherzutanzen. Mich warnte die Mutter Erde, ihre Stimme hört' ich drohend im Donner, mit dem sie mich anrief, wenn ich in meinen Launen tobte.

›Störe nicht Menschenwerk! Störe nicht Menschenwerk!‹ So klang die Warnung.

Ich verstand nicht, was sie meinte.

›Warum nicht?‹ fragt' ich zurück. ›Was sind die Menschen?‹

›Deine Herren und meine.‹

Ich hört' es mit Staunen und Schaudern. ›Herren? Warum Herren? Bin ich nicht der strahlende Äthersohn, der über die Höhen blitzt, wie es ihm beliebt? Was will der Mensch, der im Staube stöhnt, der kurzlebige Wurm, was will er mir gebieten?‹

›Und wollt' ich dir's sagen, würdest du mich verstehen? Drum hör' und glaube die Warnung. Selbst in schwerer Erfahrung wirst du immer lernen, warum er dein Herr ist, nur daß er es ist. Leicht und sorglos ist dein Sinn, wohl hast du die Macht, doch deine Macht ist Spiel. Seine Macht aber ist Arbeit.‹

›Arbeit? Was ist Arbeit?‹ fragte ich übermütig. Und aus der Wolke sprang ich hinab zum Boden durch den Stamm einer hohen Fichte, daß lodernd die Flamme emporschlug.

›Hüte dich!‹ rief die Mutter zürnend. ›Störe nicht Menschenwerk, daß du nicht lernen mußt, was Arbeit sei. Hüte dich, daß du nicht arbeiten mußt. Denn deine Arbeit wird nicht sein wie des Menschen Arbeit. Wohl hört' ich von einem dunkeln Rätsel, daß des Menschen Arbeit zur Freiheit leite. Deine Arbeit aber würde Knechtesarbeit sein. Hüte dich, Menschenwerk zu stören!‹

›Hüte dich!‹ Immer umtönte mich die Warnung bei meinen Spielen. Arbeit – Arbeit! Das mußte wohl etwas Schreckliches sein. Aber was ist schrecklich? Von Menschen hört' ich das Wort, als ich einst durch die metallne Stange an ihrem Fenster vorbeiglitt, ich sah sie zitternd im Zimmer stehen, und so war in mir ein dunkles Gefühl, daß hier etwas sei, das mir fremd war. Aber ich verstand es nicht, ich kannte es nicht. Was sollte schrecklich sein? Der tiefe Abgrund des Gebirges, wenn die Lawine hineinstürzte? Ich schwebte darüber. Der dunkle Raum droben, der ohne Ende ist? Dort wohnt mir der Vater, der Ätherfürst, dort winken die Sonnen sich Botschaft zu. Also unten im Tal, wo die Menschen wohnen? Dort haust die Arbeit. Wie mochte sie aussehen? Gewiß jene langen, geraden, viereckigen Streifen, bald schwarz, bald grün, bald gelb, die sich drunten über die Ebene und über die Hügel zogen, das wird die Arbeit sein. Sie lagen immer fest am Boden, sie rührten sich nicht – das mochte wohl schrecklich sein. Und so ein Streifen sollt' ich werden? Das war häßlich. Und doch, so hatte die Mutter gesagt, der Mensch ist dein Herr, seine Macht ist die Arbeit. Mein Herr? So sollte er durch die Arbeit mein Herr sein? So mußte die Arbeit doch etwas Besseres sein als ich? Wer löst mir das Rätsel? Oft ruht' ich lange im kalten Luftraum und grübelnd vergaß ich der treibenden Wolken und der leuchtenden Funken. – – Und es war doch Unsinn, daß der Mensch mir gebieten sollte – etwa durch die Felder da unten? Unsinn!

Im Wirbelsturm fuhr ich hinaus aufs Meer und in rasendem Tanze zog ich die Wogen herauf in meine Wolke und blitzte aus dem schäumenden Trichter und fragte das Meer: ›Was ist die Arbeit?‹

›Küste! Küste!‹ klang es dumpf zu mir herauf.

Da merkte ich, daß ich nicht viel erfahren würde. Denn ›Küste‹ ist sein Horizont, und was darüber geht, das heißt alles ›Küste‹ beim Meere.

›Was ist der Mensch?‹ fragte ich weiter. ›Ist er unser Herr?‹

›Daß ich nicht wüßte‹, gurgelte das Meer. ›Es schwimmt zwar hier und da so etwas herum, aber es tut mir nicht weh. Übrigens ist der Mensch meistenteils tot. Als Fischfutter nicht zu verachten. Was heißt überhaupt ›Herr‹? Sei nicht so spitzfindig. Küste! Küste!‹

Da saust' ich wieder davon. Mit dem Meere ist nicht viel los. Es ist eine zu große, schwerfällige Masse. Wen könnt' ich wohl fragen?

Menschenwerk mußte ich suchen, denn meine Genossen wußten nicht mehr als ich. Aber Menschenwerk dürft' ich nicht stören. Die Schienen vielleicht? An ihnen war ich hingeglitten, ohne sie zu schädigen. Doch sie konnten nicht reden, das hatte ich schon gemerkt. Wie wäre es mit dem roten Draht? Ob ich es wagte? Ich fand keine Ruhe.

Es war zu dumm! Ein einziger Gedanke störte mich bereits in meiner Freiheit. Ob das schon Arbeit war? Ob vielleicht die Arbeit eben das bedeutete, daß mir die freie Luft gestört war – –