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EINLEITUNG

Während der Jahre, die ich in Arabien verbrachte, kam mir niemals der Gedanke, ich könne ein Buch über meine Reise schreiben. Sonst hätte ich genauere Aufzeichnungen gemacht, die mir später nützlich und hinderlich zugleich gewesen wären. Sieben Jahre, nachdem ich Arabien verlassen hatte, zeigte ich Graham Watson einige meiner Fotografien, und er riet mir dringend, ein Buch über die Wüste zu schreiben. Ich wies den Vorschlag zurück, weil ich wußte, daß ich mir damit eine ziemliche Arbeit aufhalsen würde, und weil ich in den nächsten Jahren nicht in Europa seßhaft werden, sondern Länder bereisen wollte, die mich interessierten. Am nächsten Tag kam Graham Watson wieder zu mir und brachte diesmal Mark Longman mit. Nach vielem Hin und Her hatten die beiden mich soweit, daß ich den Versuch wagte. Nun, da ich das Buch beendet habe, bin ich ihnen dankbar; denn die Anstrengung, mir jede Einzelheit wieder ins Gedächtnis zu rufen, hat mir die Bedu, mit denen ich reiste, und das riesige leere Land, in dem ich zehntausend Meilen auf Kamelen zurücklegte, wieder näher gebracht.

Ich kam gerade noch rechtzeitig nach Südarabien. Andere werden dorthin gehen, um Geologie und Archäologie zu betreiben, um Vögel, Pflanzen und Tiere, ja die Araber selbst zu studieren. Aber sie werden in Automobilen reisen und durch Funkgeräte mit der Außenwelt verbunden sein. Sie werden weit interessantere Ergebnisse als ich nach Hause bringen, aber den Geist des Landes und die Größe der Araber werden sie nicht begreifen. Wer heute nach dem Leben suchen wollte, das ich dort geführt habe, wird es nicht finden; denn nach mir kamen die Ingenieure und die Ölsucher. Heute ist die Wüste, durch die ich reiste, von den Spuren der Lastkraftwagen gekerbt und von den Abfällen der Importe aus Europa und Amerika übersät. Aber diese Schändung bedeutet wenig gegenüber der Demoralisierung, die unter den Bedu selbst stattgefunden hat. Als ich unter ihnen lebte, konnten sie sich keinen anderen Lebensstil als den ihren vorstellen. Sie waren keine unwissenden Wilden; im Gegenteil, sie waren die direkten Nachfahren einer uralten Kultur und fanden innerhalb des Gefüges ihrer Gesellschaft die persönliche Freiheit und Selbstdisziplin, die sie für erstrebenswert hielten. Nun vertreibt man sie aus der Wüste in Städte, in denen man für die Tugenden, die sie einst zum Herrenvolk machten, keine Verwendung mehr hat. Kräfte, so unkontrollierbar wie die Hungersnöte, die sie in der Vergangenheit so häufig heimsuchten, haben ihren Lebensrhythmus zerstört. Heute sehen sie sich nicht dem Tod, sondern der Degradierung gegenüber.

Seit ich Arabien verließ, bin ich durch Karakorum und Hindukusch, durch die Berge Kurdistans und die Sümpfe des Irak gereist. Immer hat es mich in abgelegene Gegenden gezogen, die für Automobile nicht zugänglich sind, und wo das Alte sich noch mehr oder weniger erhalten hat. Ich habe einige der großartigsten Landschaften der Erde gesehen und unter bemerkenswerten und fast unbekannten Stämmen gelebt. Aber keine dieser Gegenden hat mich jemals so angerührt wie die Wüsten Arabiens.

Vor fünfzig Jahren bezeichnete das Wort »Araber« im allgemeinen einen Bewohner Arabiens, und häufig meinte man damit den Bedu. Man nannte »Araber« die aus Arabien nach Ägypten und anderen Ländern gekommenen Angehörigen von Stämmen, die noch immer als Nomaden lebten, während andere, die Bauern oder Städter geworden waren, nicht so genannt wurden. In diesem Sinn benutze auch ich das Wort »Araber« und schließe mich also nicht dem in jüngster Zeit mit dem Anwachsen des arabischen Nationalismus entstandenen Brauch an, jeden, dessen Muttersprache das Arabische ist, unbesehen einen Araber zu nennen.

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Die Bedu sind die Kamele züchtenden Nomadenstämme der arabischen Wüste. In England nennt man sie meist Beduinen; das ist ein doppelter Plural, den sie selbst kaum gebrauchen. Ich ziehe die Bezeichnung Bedu vor und habe sie auch in diesem Buch durchgehend angewandt. Die Bedu nennen sich selbst im allgemeinen »die Araber«. Ich spreche von ihnen abwechselnd als von Bedu oder Arabern.

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Im Arabischen ist Bedu die Pluralform, Bedui die Singularform. Der Einfachheit halber habe ich das Wort Bedu für den Singular wie für den Plural benutzt. Um den Leser nicht zu verwirren, bin ich mit den Namen der Stämme ebenso verfahren. Der Singular von Raschid lautet eigentlich Raschdi, von Awamir Amari und so fort.

Ich habe möglichst wenige arabische Worte benutzt. Die meisten in meinem Buch erwähnten Pflanzen haben keine englische Bezeichnung; ich nenne sie mit dem landesüblichen, nicht mit dem botanischen Namen, weil die meisten Menschen etwa das Wort ghaf leichter behalten als das Wort Prosopis spicigera. Auf Seite 16 findet sich eine Liste der arabischen und botanischen Namen aller erwähnten Pflanzen.

Als Vorlage für die große Karte dienten Karten der Royal Geographical Society von meinen arabischen Reisen und einige Informationen von Thomas und Philby. Ich habe diese Karte nach reiflichem Überlegen nicht nach den neuesten Ergebnissen der seither in Arabien geleisteten Forschung geändert oder ergänzt.

Jede fremde Schreibweise arabischer Wörter führt zu Meinungsverschiedenheiten. Ich habe im Interesse des Lesers versucht, diese Wörter möglichst einfach zu halten. So habe ich etwa für den schwierigen Buchstaben Ghain das konventionelle »gh« verwandt. Kenner behaupten, dieser weiche Kehllaut werde ähnlich dem Pariser »r« ausgesprochen. Er erscheint im Namen einer der Hauptfiguren dieses Buches, Bin Ghabaisha. Mit dem »kh« ist unser Rachen-ch wie in Bach, mit dem »q« etwa ein gk gemeint. Das »z« ist ein stimmhaftes s wie im Englischen und Französischen.

Nur ich vermag zu sagen, welche Bedeutung der Anteilnahme und der Unterstützung meiner Mutter zukommt. Ich war neun Monate alt, als sie mich von Addis Abeba mit zur Küste nahm, auf die erste meiner vielen ausgedehnten Kindheitsreisen mit Kamelen oder Maultieren. Da sie selbst den Zauber afrikanischer Reisen kannte, ehe das Reisen dort leicht wurde, hat sie meine Liebe zu Entdeckungsfahrten stets verstanden und mich darin bestärkt.

Bei der Abfassung dieses Buches hat mir Valffrench-Blake höchst dankenswerte Hilfe geleistet. Er hat die ersten Kapitel sofort nach der Niederschrift gelesen und hat das Gesamtmanuskript nicht nur einmal, sondern mehrmals durchgelesen. Sein Verständnis, sein Zuspruch sowie seine ausgezeichneten Ratschläge und kritischen Einwände waren für mich von unschätzbarem Wert. Auch mein Bruder Roderic hat meine Aufzeichnungen mit größter Sorgfalt und Geduld gelesen und mir viele Hinweise gegeben. Ebensosehr habe ich auch John Verney und Graham Watson zu danken; jenem für unschätzbare Ratschläge, diesem für sein Vertrauen auf die Vollendung der Arbeit, an die ich mich auf sein Zureden hin gemacht hatte. Vielen Dank schulde ich auch James Sinclair & Company, Whitehall, für die große Mühe, die sie sich jahrelang mit meinen Fotografien gegeben haben; einige der Ergebnisse sind in diesem Buch zu sehen. Ich möchte auch der Royal Geographical Society für die Hilfe und Ermutigung danken, die sie mir zuteil werden ließ, ehe ich mich auf jene Reisen begab.

Es wäre sinnlos, den Bedu in einem Buch zu danken, das keiner von ihnen jemals lesen wird. Dennoch geht aus ihm klar hervor, daß ich alles denen verdanke, die mich begleitet haben. Ohne ihre Hilfe hätte ich niemals durch das Leere Viertel reisen können. Ihre Kameradschaft schenkte mir die fünf glücklichsten Jahres meines Lebens.

PROLOG

Eine Wolke zieht sich zusammen, Regen fällt, die Menschen leben; die Wolke löst sich auf, ohne Regen zu spenden, und Mensch und Tier sterben. In den Wüsten Südarabiens gibt es keinen Wechsel der Jahreszeiten, kein Steigen und Fallen der Säfte, sondern nur öde Wüsten, in denen nichts als der Wechsel der Temperatur den Lauf der Jahre anzeigt. Es ist ein strenges knochentrockenes Land, das weder Milde noch Behaglichkeit kennt. Dennoch leben dort seit Urzeiten Menschen. Generationen von Nomaden haben an ihren Lagerplätzen verrußte Steine, auf den weiten Kiesebenen ihre kaum mehr erkennbaren Wegspuren zurückgelassen. Anderswo hat der Wind die Fußspuren verwischt. Die Menschen leben hier, weil sie in diese Welt geboren wurden. Das Leben, das sie führen, gleicht dem Leben ihrer Vorväter. Sie nehmen Entbehrungen und Mühsal auf sich, sie kennen es nicht anders.

Lawrence schrieb in seinen »Sieben Säulen der Weisheit«: »Das Leben der Beduinen war hart selbst für diejenigen, die darin aufgewachsen waren, und für Fremde war es entsetzlich der Tod mitten im Leben«. Niemand kann dieses Leben leben und unverändert daraus hervorgehen. Er wird für immer, mehr oder weniger deutlich, das Zeichen der Wüste, das Zeichen des Nomaden tragen; und er wird immer das Heimweh nach diesem Leben spüren, leise oder brennend, je nach seiner Veranlagung. Denn dieses grausame Land kann einen Zauber ausüben, dem ein gemäßigtes Klima nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hat.

Die arabischen und botanischen Bezeichnungen der in diesem Buch erwähnten Pflanzen

Abal Calligonum sp.
Ailqi Dipterygium glaucum Decne.
Arad Salsola cyclophylla Bak.
Birkan Limeum arabicum Friedr. und L. indicum Stocks
Ghaf Prosopis spicigera L.
Had Cornulaca monacantha Del.
Harm Zygophyllum spp.
Harmal Rhazya stricta Decne.
Ilb Ziziphus spina-christi (L.) Willd., Christusdorn
Karia Heliotropium digynum (Forsk.) Aschers ex. C. Christens.
Quassis Cyperus conglomeratus Rottb.
Rahath Eremobium aegyptiacum (Spreng.) Rochr.
Rimram Heliotropium Kotschyi (Bunge) Gürke
Sadan Neurada procumbens L.
Saf Nannorhops arabica Burret, Zwergpalme
Shina Seidlitzia rosmarinus (Ehrenb.) Boiss.
Zahra Tribulus spp.

ÄTHIOPIEN UND DER SUDAN

Als ich im Sommer 1946 südlich von Mekka durch das Hochgebirge reiste, wurde ich mir zum erstenmal der Macht bewußt, welche die Sandwüste über mich hatte. Einige Monate zuvor war ich drunten am Rand des Leeren Viertels gewesen, der weiten Sande, die man auch Rub al-Khali nennt. Ich hatte eine Zeitlang mit den Bedu zusammengelebt, ein hartes, erbarmungsloses Leben; immer hatte ich Hunger und meist auch Durst gehabt. Meine Gefährten waren seit ihrer Geburt an dieses Leben gewöhnt gewesen, ich aber war damals zermürbt von langen Märschen durch windgepeitschte Dünen oder über Ebenen, deren Eintönigkeit die in der Hitze flimmernden Spiegelungen der Fata Morgana noch verstärkten. Die Furcht vor Überfällen hatte uns immerfort gespannt und wach gehalten, selbst wenn uns der Mangel an Schlaf schier übermannte. Stets hatten wir die Gewehre in der Hand, die Augen waren suchend auf den Horizont gerichtet. Hunger, Durst, Hitze und Kälte – ich hatte sie während dieser sechs Monate bis zur Neige gekostet. Ich hatte unter Fremden gelebt, die keinerlei Schwäche duldeten, körperlich und geistig am Rande meiner Kräfte, hatte ich mich oft danach gesehnt, dem allen zu entrinnen.

Nun aber stand ich in Assir auf einem Berghang in fast 3000 Meter Höhe, der mit wilden Olivenbäumen und Wacholder bepflanzt war. Ein Bach schäumte den Hang hinab. Sein eiskaltes Wasser war willkommener Gegensatz zu dem spärlichen bitteren Wasser der Wüste. Hier blühten wilde Blumen, Jasmin und Geißblatt, Heckenrosen und Primeln. Hier gab es terrassenförmig angelegte Felder, auf denen Weizen und Gerste, Wein und Gemüse wuchsen. Tief unter mir, im Osten, verschleierte ein gelber Dunst die Sandwüste. Aber gerade dorthin schweifte meine Phantasie, und ich plante neue Reisen. Und ich grübelte über jenen seltsamen Zwang nach, der mich in ein Leben zurückzog, das kaum zu ertragen war. Hätte ich in einem Londoner Büro gearbeitet und von Freiheit und Abenteuern geträumt, wäre das verständlich gewesen; hier aber hatte ich doch alles, was ich nur wünschen konnte, und zu weit angenehmeren Bedingungen. Doch mein Gefühl sagte mir, daß es gerade die Härte des Wüstenlebens war, die mich dorthin zurückzog. Es war die gleiche Kraft, die Menschen in das Polareis, ins Hochgebirge und aufs Meer zieht.

Es käme der Annahme einer Herausforderung gleich, wenn ich jetzt in das Leere Viertel zurückkehrte, und ich würde meinen Kräften das Äußerste zumuten, wenn ich lange dort bliebe. Dort gab es noch sehr viel unerforschtes Gebiet. Das Leere Viertel war einer der wenigen Orte, an denen ich einem inneren Zwang gehorchen könnte, dorthin zu gehen, wo noch kein anderer gewesen war. Mein bisheriges Leben hatte mir alle Voraussetzungen für eine derartige Reise gegeben. Das Leere Viertel bot mir Gelegenheit, mich als Entdecker hervorzutun. Aber ich glaubte, daß es mir noch mehr bieten könne, daß ich in jenen öden Wüsten den Frieden, den die Einsamkeit bringt, und bei den Bedu die Kameradschaft inmitten einer feindseligen Welt finden könne. Viele, die sich in gefährliche Gegenden wagen, haben diese Kameradschaft unter Angehörigen der eigenen Rasse gefunden; einige wenige finden sie leichter bei Menschen anderer Länder. Gerade die Verschiedenheit trennt zwar, sie bindet jedoch auch um so enger. Ich fand jenen Kameradschaftsgeist bei den Bedu. Ohne ihn wären meine Reisen ein sinnloser Opfergang gewesen.

Ich habe mich häufig gefragt, ob die Erklärung für diesen abstrusen Zwang, der mich aus meinem Heimatland in die Wüste des Ostens treibt, vielleicht in meiner Kindheit zu finden sei. Vielleicht ist sie in den tiefen Schichten meines Bewußtseins zu suchen: – in den Reisen durch die Wüsten Abessiniens; in der Erregung, die ich verspürte, als ich im Alter von drei Jahren meinen Vater eine Oryx-Antilope schießen sah; in der undeutlichen Erinnerung an Kamelherden an der Tränke; im Geruch des Staubes und der blühenden Schirmakazien in der Sonnenglut; im Geheul der Hyänen und Schakale, das sich aus der Finsternis um das Lagerfeuer erhob. Aber diese Erinnerungen verblassen hinter späteren Erinnerungen an das abessinische Hochland, wo ich meine Kindheit verlebte, bis ich fast neun Jahre alt war.

Es war eine ungewöhnliche Kindheit. Mein Vater war der Britische Gesandte in Addis Abeba, und dort wurde ich 1910 in einer der Lehmhütten geboren, in denen damals die Gesandtschaft untergebracht war. Als ich nach England kam, hatte ich bereits Dinge erlebt, die nur wenige Menschen in England jemals gesehen hatten. Ich hatte die Priester in Timkat vor der Bundeslade zum gedämpften Klang silberner Trommeln tanzen sehen, ich schaute zu, wie die Würdenträger der äthiopischen Kirche in vielfarbigen prunkvollen Roben die Wasser segneten. Ich war dabei, wie während des Großen Aufstands von 1916 die Armeen zum Kampf aufbrachen. Tagelang zogen sie über die Ebene vor der Gesandtschaft. Ich hatte das Klagegeheul gehört, als Ras Lul Segeds Armee beim Versuch, den Vormarsch des Negus Michail aufzuhalten, vernichtet wurde. Und ich war Augenzeuge der Jubelfeiern gewesen, die den endgültigen Sieg verkündeten. Ich hatte die triumphale Rückkehr nach der Schlacht von Sagale erlebt, wo, nur fünfzig Meilen nördlich von Addis Abeba, in verzweifeltem Einzelkampf die Armeen des Nordens und des Südens einen Tag lang ineinander verkrallt waren.

Jeder Feudalherr war von Söldnern seiner Provinz umgeben gewesen. Die gemeinen Soldaten waren weiß gekleidet, die Häuptlinge aber prangten in vollem Kriegsschmuck mit Kopfputzen aus Löwenmähnen, in leuchtenden Samtmänteln, die von Gold- und Silberstickerei starrten, in langen, bunten Seidengewändern, und führten gewaltige Krummsäbel mit sich. Alle trugen Schilde, die zum Teil versilbert oder vergoldet waren, und viele schwangen ihre Gewehre. Die Zulukrieger, die vor Tschaka paradierten, und die Derwische, die sich vor Omdurman zum Kampf formierten, können kaum barbarischer ausgesehen haben als diese erregte Menschenmenge, die den ganzen Tag lang zum Donner der Kriegstrommeln und den gellenden Stößen der Kriegshörner um den königlichen Pavillon wogte. Das war keine feierliche Truppenparade. Diese Menschen waren eben aus einem verzweifelten Kampf um das nackte Leben zurückgekehrt, und die Erregung jener hektischen Stunden kochte noch immer in ihnen. Das Blut auf den Gewändern, die sie den Toten abgenommen und ihren Pferden übergehängt hatten, war kaum getrocknet. Sie wogten vorüber, die Reiter in Staubwolken gehüllt, das Fußvolk heftig drängelnd. Waffenschwingend und ihre kühnen Taten laut verkündend, stürmten sie die Stufen zum Thron hinauf, wo die Hofmeister sie mit langen Stäben zurücktrieben. Über ihren Köpfen flatterten und tanzten zwischen funkelnden Speerspitzen unzählige Fahnen. Ich entsinne mich eines kleinen Jungen, wohl kaum älter als ich, den man im Triumph vorbeitrug. Er hatte zwei Männer getötet. Ich erinnere mich an den Negus Michail, den König des Nordens, den man in Ketten vorbeiführte, einen Stein auf der Schulter zum Zeichen der Unterwerfung ein alter Mann in schlichtem schwarzem Burnus, den Kopf von einem weißen Tuchfetzen umhüllt. Der bewegendste Augenblick dieses ungeheuer erregenden Tages trat ein, als plötzlich die Trommeln verstummten und in der tödlichen Stille Hunderte von Männern in zerfetzter weißer Alltagskleidung langsam durch die endlose Schlange wartender Soldaten schritten, an ihrer Spitze ein Jüngling. Es war Ras Lul Segeds Sohn, der die Überreste der väterlichen Armee zurückbrachte, die fünftausend Mann stark in die Schlacht gezogen war.

Was Wunder, daß ich während meiner Schulzeit von Afrika träumte. Ich las jedes Buch über afrikanische Reisen und Abenteuer, das mir in Hände kam, die Bücher von Gordon-Cumming, Baldwin, Bruce, Selous und vielen anderen. Ich verschlang Rowland Wards »Records of Big Game« und ich hätte eine Prüfung in afrikanischer Fauna spielend bestanden, während ich in Latein wiederholt versagte. In der Schulandacht beschwor ich die Bilder meiner Kindheit herauf, die Berge, die meinen Horizont gesäumt hatten, Zuqala, Fantali, Wotschertscher, Furi und Managasha. Diese Namen verursachen mir heute noch brennendes Heimweh. Ehe ich in die Schule kam, hatte ich außer meinen Brüdern kaum ein europäisches Kind gesehen. Nun sah ich mich einer feindseligen und unbegreiflichen Welt gegenüber. Die strengen Konventionen, denen Schulknaben sich unterzuordnen haben, waren mir fremd, und ich hatte entsprechend zu leiden. Ich erzählte von den Dingen, die ich gesehen und getan hatte, und prompt nannte man mich einen Lügner. Ich traute mir kaum zu, mit meinen Mitschülern Schritt halten zu können, und war meist einsam. Glücklicherweise kam ich dann nach Eton, für das ich eine tiefe, dauernde Zuneigung faßte. Mit Zwanzig kehrte ich nach Abessinien zurück. Haile Selassie hatte es nicht vergessen, daß mein Vater in den kritischen Tagen des Großen Aufstands seinen kleinen Sohn, den heutigen Kronprinzen, in der Gesandtschaft versteckt gehalten hatte. Als dem ältesten Sohn meines Vaters schickte er mir eine persönliche Einladung zu seiner Krönung, und so fuhr ich im Gefolge des Herzogs von Gloucester nach Äthiopien. Wir landeten in Djibuti. Ich bin wohl kaum jemals so unbeschreiblich glücklich gewesen wie in der Nacht, durch die unser Zug nach Addis Abeba rollte. Als ich wieder die Gesandtschaft betrat, war mit einem Schlag mehr als die Hälfte meines Lebens ausgelöscht. Nur mit Mühe vermochte ich mich auch nur an die jüngste Vergangenheit zu erinnern. Ich konnte nicht glauben, daß elf Jahre vergangen waren, seit ich das letztemal den Hügel hinter der Gesandtschaft erstiegen und den blauen Rauch aus den Dienerschaftsunterkünften in die kalte, klare Luft aufsteigen gesehen oder den schrillen Schreien der Raubvögel über den Eukalyptusbäumen gelauscht hatte. Jeden Vogel, jede Pflanze, ja die einzelnen Steine erkannte ich wieder.

Während zehn hektischer Tage nahm ich an Umzügen, Zeremonien und Staatsbanketten teil, und schließlich war ich Zuschauer, als Haile Selassie, der König der Könige, vom Patriarchen gekrönt wurde. Gekrönt, gewandet und gesalbt zeigte er sich seinem Volk, ein König aus der langen Reihe, die sich auf Salomon und die Königin von Saba zurückführt. Ich blickte auf Straßen hinab, in denen die Stammesangehörigen aller Provinzen seines Reiches sich drängten. Ich sah wieder die Schilde und die leuchtenden Gewänder, deren ich mich aus meiner Kindheit erinnerte. Aber die Außenwelt war eingebrochen, und ich gewahrte das Menetekel. Ich begriff, daß Bräuche, Überlieferungen und Riten, die hochgehalten und geehrt worden waren, bald abgeschafft würden, daß die üppige Farbigkeit, die dieses Schauspiel auszeichnete, auf immer aus diesem Land verschwinden werde. Schon sah man ein paar Automobile in den Straßen, die den Wechsel ankündeten. Man sah Journalisten nach vorn drängen, um den Kaiser auf dem Thron und die Priester beim Tanz zu fotografieren. Einer schob mich rücksichtslos beiseite und rief: »Platz da für die Augen und Ohren der Welt!«

Ich war aufgewachsen mit dem Traum von Großwildjagd und Forschungsexpeditionen, und nun, wieder in Afrika, war ich entschlossen, fort in die Wildnis zu gehen. Ich hatte ein Gewehr mitgebracht. Eines Tages, während einer Pause zwischen den Krönungsfestlichkeiten, fragte ich auf der Treppe zur Gesandtschaft Oberst Cheeseman, den bekannten Forscher, ob es in Abessinien noch etwas zu erforschen gebe. Er meinte, ungeklärt sei lediglich noch der Verlauf des Awash-Flusses, der in der Nähe von Addis Abeba auf der Ebene Akaki entspringt, in die Danakil-Wüste fließt und nie das Meer erreicht. Diese Unterhaltung machte mich auf das Danakil-Land neugierig, dessen Bewohner Geschlechtsteile sammelten wie die Kopfjäger Köpfe. In sechs Wochen wurde ich wieder in Oxford erwartet, aber ich konnte zumindest bis zur Grenze dieses Landes vordringen und mich umsehen. Mit Hilfe von Oberst Sandford, einem alten Freund meiner Familie, stellte ich eine Karawane zusammen. Als ich gerade aufbrechen wollte, erklärte mir Sir Sidney Barton, der britische Gesandte, er sei nicht sehr glücklich darüber, daß ich allein in dieses völlig unverwaltete und gefährliche Gebiet reise, und schlug mir vor, mich statt dessen einer von ihm arrangierten Jagdexpedition anzuschließen. Ich war ihm für dieses Angebot dankbar, wußte aber, daß ich die Verwirklichung meiner Knabenträume für immer aufgab, wenn ich es annahm. Das würde bedeuten, daß ich die Flinte ins Korn warf, noch ehe ich angefangen hatte. Unbeholfen versuchte ich ihm zu erklären, was auf dem Spiel stand. Daß ich allein dorthin müsse, um die Erfahrung zu sammeln, die ich brauchte. Er verstand mich sofort, wünschte mir alles Gute, und als ich das Zimmer verließ, rief er mir nach: »Paß gut auf dich auf. Es wäre peinlich für uns, wenn die Danakil dich unmittelbar nach der Krönung verhackstückten. Das würde alles wieder verderben.«

Als ich die erste Nacht vor meinem Zelt saß, Ölsardinen aus der Büchse stocherte und zusah, wie meine Somal die Kamele vom Fluß herauftrieben, damit sie sich neben dem Zelt lagerten, da wußte ich, daß ich um keinen Preis irgendwo anders hätte sein wollen. Einen Monat lang reiste ich durch ödes, feindseliges Land. Ich war allein, es gab niemanden, den ich hätte um Rat fragen können. Wenn wir auf feindliche Stämme stießen, würde mir niemand helfen können; wenn ich krank würde, konnte mich niemand verarzten. Ich hatte Männer, die mir vertrauten und meinen Befehlen gehorchten; ich war verantwortlich für ihre Sicherheit. Oft war ich müde und durstig, und manchmal hatte ich Furcht und fühlte mich verlassen, aber ich schmeckte die Freiheit und lernte eine Lebensform kennen, aus der es kein Zurück mehr geben konnte.

Es war der entscheidungsvollste Monat meines Lebens. Als ich nach Oxford zurückkehrte, verdrängten jene Bilder alle anderen Gedanken. Ich sah wieder die Gruppe von Danakil, die sich auf ihre Speere stützten, schlanke, anmutige Gestalten in kurzen Lendentüchern, die lockige Frisur mit Butter eingeschmiert. Ich sah eine Niederlassung aus kleinen kuppelförmigen Hütten und die schrägen Sonnenstrahlen in den Staubwolken, als die Herden bei Sonnenuntergang eingebracht wurden. Ich sah den trägen trüben Fluß und das Krokodil, das sich auf einer Sandbank sonnte; den Wasserbüffel, der aus dem Tamariskendschungel zur Tränke herabkam; den Kudustier mit den prachtvollen spiralförmigen Hörnern, dessen Silhouette im schwindenden Licht vor dem Himmel stand; die verzweifelte Flucht der Oryx-Antilope, die ins Herz getroffen war; die Aasgeier, die regungslos lauernd am Himmel standen, bereit, zu den andern, die plump die Beute umhüpften, hinabzustoßen. Ich sah, wie auf einem Fries, Affen auf einer Klippe hocken. Ich fühlte wieder die Sonne auf mein Hemd brennen, ich fühlte die Kühle der Morgendämmerung, ich schmeckte den Kamelurin im Wasser. Ich hörte den Gesang meiner Somal am Lagerfeuer, das Brüllen der Kamele, die beladen wurden. Ich war entschlossen, zurückzugehen und zu erforschen, was es mit dem Awash-Fluß auf sich hatte. Aber es war die magnetische Kraft des Unbekannten und nicht die Liebe zur Wüste, die mich in die Danakil-Wüste zurücklockte. Noch immer glaubte ich, mein Herz im abessinischen Hochland verloren zu haben, und hätte es dort noch ein anderes unerforschtes Land gegeben, ich hätte es gewißlich der Wüste vorgezogen.

Drei Jahre später kehrte ich in Begleitung von David Haig-Thomas nach Abessinien zurück, um das Danakil-Land zu erforschen. Wir reisten zunächst zwei Monate auf Maultieren durch das Arussi-Gebirge, weil wir die Männer, die uns begleiteten, erst einmal unter leichten Bedingungen erproben wollten, ehe wir sie in die Danakil-Wüste mitnahmen. Wir zelteten auf Berggipfeln, deren Hänge mit Baumheide bewachsen waren, oder noch höher, zwischen mannshohen Senezien, wo Wolken sich zusammenballten und wieder zerflossen und uns nur hin und wieder kurze Blicke auf die Grabensenke schenkten, die dreieinhalbtausend Meter unter uns lag. Wir reisten tagelang durch Wälder, wo schwarz-weiße Kolobus-Affen in schlingpflanzenumrankten Bäumen spielten, wir ritten über die hügeligen Weiten, in denen der Webbi Schibeli seinen Ursprung hat. Wir kamen durch einige der schönsten Gebirgsgegenden Abessiniens. Dann stiegen wir aus dem Tschertschergebirge hinunter bis zum Rand der Wüste. Die warme Luft umspielte uns und raschelte in den trockenen Blättern der Akazienbüsche. In jener Nacht brachten meine Somal-Diener mir aus einem Nomadenlager in der Nähe eine Schale mit Kamelmilch. Tiefe Zufriedenheit erfüllte mich. Ich war bereits der Wüste verfallen, ohne es noch zu wissen.

Die Danakil-Wüste liegt zwischen der äthiopischen Hochebene und dem Roten Meer nördlich der Bahnlinie, die Addis Abeba mit Djibuti an der Küste verbindet. Ein grausames Land mit einem grausamen Ruf. Hier wurden irgendwo gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die drei Expeditionen von Munzinger, Giulietti und Bianchi vernichtet. Nesbitt hatte es mit zwei Gefährten 1928 von Süden nach Norden durchquert. Sie waren die ersten Europäer, die lebend aus dem Innern des Danakil-Landes zurückkehrten, aber drei ihrer Diener waren ermordet worden. Nesbitt schilderte diese bemerkenswerte Reise später in seinem Buch »Desert and Forest«. Die Feindseligkeit der Stämme hatte ihn daran gehindert, dem Lauf des Awash-Flusses ganz zu folgen, und er hatte weder das Sultanat Aussa erforscht, noch die Frage gelöst, wo und wie der Fluß verschwindet.

Die Danakil sind ein Nomadenvolk, ähnlich den Somal. Sie besitzen Kamele, Schafe, Ziegen und Rinder, und die reichen Stämme haben auch einige Pferde, die sie zu Überfällen benutzen. Dem Namen nach sind sie Mohammedaner. Das Ansehen eines Mannes gründete bei den Danakil in der Hauptsache auf seinen Leistungen als Krieger; es richtete sich danach, wie viele Männer der einzelne umgebracht oder verstümmelt hatte. Dabei war es nicht nötig, einen andern im offenen Kampf zu töten. Um Ansehen zu bekommen, bedurfte es lediglich einer entsprechenden Sammlung abgeschnittener Genitalien. Jeder umgebrachte Gegner berechtigte den Krieger zum Tragen eines bestimmten Schmucks, einer Straußenfeder oder eines Kamms im Haar, eines Ohrrings, eines Armbands, oder eines bunten Lendentuchs. Man konnte auf einen Blick erkennen, wie viele Männer der einzelne getötet hatte. Die Danakil bestatteten ihre Toten in Hügelgräbern und errichteten den Hervorragendsten kleine Steineinfassungen als Denkmäler. Vor jedes Denkmal stellten sie eine Reihe aufrechter Steine, deren jeder ein Menschenopfer des Toten symbolisierte. Das ganze Land war voll von diesen unheimlichen Gedenkstätten, und vor manchen standen bis zu zwanzig Steine. Ich fand es etwas beunruhigend, von den Danakil angestarrt zu werden, da sie meinen Wert als Trophäe abzuschätzen schienen, so wie ich unter einer Herde Oryx-Antilopen nach dem Tier mit dem schönsten Gehörn Ausschau hielt.

Unglücklicherweise bekam David Haig-Thomas auf unserer Reise durchs Gebirge akute Kehlkopfentzündung. Da er zu krank war, um mich in das Danakil-Land zu begleiten, verließ ich ohne ihn das Lager am Awash am 1. Dezember in Begleitung von vierzig Abessiniern und Somal, die alle mit Gewehren ausgerüstet waren. Natürlich konnten wir uns den Weg durch das Land, das vor uns lag, nicht erzwingen; ich hoffte jedoch, daß man uns für zu stark halten würde, um lediglich der Beute wegen auf uns Jagd zu machen. Achtzehn Kamele trugen unsere Vorräte. Da ich dem Flußlauf folgen wollte, rechnete ich nicht mit Wassermangel. Wir brachen so rasch wie möglich auf, da ich gehört hatte, daß die äthiopische Regierung mir die Reise untersagen wollte.

Die Danakil unterteilen sich in Adaaimara und Assaaimara. Die weit mächtigeren sind die Assaaimara. Sie bewohnen die Gaue Badhu und Aussa. Alle Stämme ringsum zittern vor ihnen. Das Dorf der Adaaimara, das wir nach vierzehn Reisetagen erreichten, war kurz zuvor überfallen und mehrere Menschen getötet worden. Die Bewohner warnten uns vor dem Betreten von Badhu. Die Assaaimara würden uns umbringen, wenn wir den Engpaß zwischen Felswand und Fluß in der Grenze von Badhu passieren würden. Wir durchzogen diese Enge heimlich bei Dämmerung. Wir machten dann halt, luden die Kamele ab und errichteten mit dem Gepäck und den Kamelsätteln rasch einen Wall um das Lager, das hier auf einer Seite vom Fluß geschützt wurde. Schon nach kurzer Zeit umdrängten uns aufgeregte Assaaimara, die alle Waffen und meist Gewehre trugen. Drei Jahre zuvor waren an dieser Stelle zwei Griechen und ihre Diener umgebracht worden. Da wir einen Angriff erwarteten, bezogen wir bis zum Morgengrauen Stellung. Am nächsten Tag überredeten wir nach endlosen Debatten einen ausgemergelten und beinah blinden Alten, der in Badhu über großen Einfluß verfügte, uns Führer und Geiseln zu besorgen. Alles schien zur allgemeinen Zufriedenheit geregelt, da traf kurz vor Sonnenuntergang ein Brief der Regierung ein. Er war von einem Häuptling an den andern weitergegeben worden, bis er uns erreicht hatte. Sein Eintreffen verursachte bei den Danakil gewaltige Aufregung, und sie versammelten sich in großer Zahl um ihren alten Häuptling. Der Brief war in amharischer Sprache geschrieben, weshalb ich ihn übersetzen lassen mußte und den Inhalt nicht vertuschen konnte. Ich wurde angewiesen, auf der Stelle umzukehren, da unter den Stämmen ein Krieg ausgebrochen sei, und man versicherte mir mit Nachdruck, daß ich unter keinen Umständen versuchen dürfe, nach Badhu zu gehen, wo ich mich im Augenblick befand. Die Hälfte meiner Leute bestand auf unserer Rückkehr, die anderen wollten mir die Entscheidung überlassen. Ich wußte, daß man uns angreifen und vernichten würde, wenn ich diesen Befehl ignorierte und zahlenmäßig geschwächt weiterreiste. Mir war klar, daß ich zurück mußte, aber es war bitter, daß meine Pläne scheitern sollten, zumal wir so erfolgreich in das Badhugebiet eingedrungen waren und damit die erste große Schwierigkeit auf unserer Reise überwunden hatten.

Auf dem Rückweg kamen wir an den Ruinen eines großen Adaaimara-Dorfes vorbei. Die Assaaimara hatten eine Abordnung von sieben alten Männern in dieses Dorf geschickt, um einen Streit wegen des Weidelandes zu schlichten. Die Dorfbewohner hatten sie üppig bewirtet und in der darauffolgenden Nacht hinterrücks überfallen. Nur ein Mann, dessen Wunden ich in Badhu verarztete, war entkommen. Die Assaaimara hatten daraufhin das Dorf angegriffen und einundsechzig Männer getötet. Dies hatte den jüngsten Stammeskrieg ausgelöst.

Ich begab mich nach Addis Abeba und verlor sechs kostbare Wochen, bis es mir gelang, die Regierung zu überreden, mich nach Badhu zurückkehren zu lassen, und dies erst, nachdem ich eine schriftliche Erklärung abgegeben hatte, die sie aller Verantwortung für meine Sicherheit enthob. Bei meiner Rückkehr stellte ich fest, daß meine Männer an einem Fieber erkrankt waren, das an den Ufern des Awash häufig auftritt. Sie waren niedergeschlagen, und einige von ihnen bestanden darauf, ausgezahlt zu werden.

Als Gegenleistung für die Erklärung hatte die Regierung sich bereit erklärt, einen alten Mann namens Miram Muhammad aus dem Gefängnis zu entlassen und ihm zu gestatten, mich zu begleiten. Er war der Oberhäuptling der Badhustämme. Einige Monate zuvor hatte er die Regierung aufgesucht und war von dieser als Geisel für das gute Verhalten seiner Stämme zurückbehalten worden. Seine Weigerung im Gefängnis, für meine Sicherheit während meiner Anwesenheit im Badhugebiet zu bürgen, hatte meine Rückberufung veranlaßt. Seine Begleitung sicherte mir nun günstige Aufnahme im Badhugebiet und zumindest eine Empfehlung an den Sultan von Aussa.

Während unsres Aufenthalts in Badhu wohnte ich mehrere Tage im Dorf des jungen Häuptlings Hamdu Uga. Er hatte ein bezauberndes Lächeln und ausgezeichnete Manieren und war ein höchst angenehmer Gesellschafter. Obgleich kaum dem Knabenalter entwachsen, hatte er vor kurzem drei Männer an der Grenze von Französisch-Somaliland ermordet, nun feierte er diese Leistung mit einem Gelage, das gerade bei meiner Ankunft in seinem Dorf abgehalten wurde. Drollig affektiert trug er die Straußenfeder, die ihm nun zustand. Zwei Tage nach unsrer Abreise wurde sein Dorf von einem anderen Stamm überfallen, und als ich mich nach Hamdu Uga erkundigte, erfuhr ich, daß man ihn getötet hatte.

Sechs Wochen später war ich in Galifagi an der Grenze von Aussa und kampierte dort am Rand eines dichten Waldes. Die hohen Bäume erstickten unter Schlinggewächsen, das Gras war grün und hoch, kaum ein Sonnenstrahl drang in mein Zelt. Welch ein Unterschied zu der Welt der braunen Ebenen, des verdurstenden Dornengestrüpps, der zersprungenen, von Wüstenlack geschwärzten Felsblöcke, die wir gerade hinter uns hatten! Hier hatte Nesbitt den Sultan Muhammad Yayu getroffen und die Erlaubnis erhalten, seine Reise fortzusetzen. Aber er hatte die Lavawüste in nördlicher Richtung durchqueren, nicht in die fruchtbaren Ebenen von Aussa vordringen wollen. Wie schon sein Vater, fürchtete auch Muhammad Yayu alle Europäer und mißtraute ihnen. Das war durchaus natürlich, hatte er doch miterlebt, wie die Franzosen und Italiener den gesamten Küstenabschnitt, der nur aus Lavafeldern und Salzsteppen besteht, besetzt hatten. Und natürlich glaubte er nun, daß jede europäische Macht danach trachte, die reichen Ebenen Aussas zu erobern, sobald sie von deren Existenz Kenntnis bekam. Vor Nesbitt war keinem Europäer vom Sultan sicheres Geleit zugesagt worden, weshalb man sie auch alle umgebracht hatte. Bis zu meiner Ankunft in Aussa hatte ich mit der Anarchie unter den Stämmen rechnen müssen, aber nun sah ich mich einem Autokraten gegenüber, dessen Wort Gesetz war. Wenn wir hier starben, dann auf Befehl des Sultans und nicht durch eine zufällige Begegnung mit Stammeskriegern im Busch.

Man wies mich an, in Galifagi zu bleiben. Gerüchte schwirrten durch das Lager. Am Abend des dritten Tages hörten wir fernen Trompetenklang. Der Wald lag nach dem Untergang der Sonne und vor dem Aufgang des Vollmondes schweigend in der Dämmerung. Ein Bote traf ein, der mir mitteilte, daß der Sultan mich erwarte. Wir folgten dem Boten auf gewundenen Pfaden tiefer in den Wald hinein und kamen schließlich auf eine große Lichtung. Auf der gegenüberliegenden Seite standen etwa vierhundert Männer. Alle hatten Gewehre in der Hand, und ihre Patronengurte waren gefüllt. Sie trugen Dolche, ihre Lendenschurze leuchteten weiß im Mondlicht. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Vor ihnen saß auf einem Schemel ein kleiner dunkler Mann mit bärtigem ovalem Gesicht. Er war ganz in Weiß gekleidet, trug ein langes Hemd und hatte über die Schultern einen Schal hängen. In seinem Gürtel stak ein Dolch mit silbernem Griff. Als ich ihn auf arabisch begrüßte, erhob er sich und bedeutete mir, auf einem zweiten Schemel Platz zu nehmen. Mit einem Wink entließ er seine Männer. Sie zogen sich bis zum Rand des Waldes zurück, wo sie sich schweigend niederhockten.

Ich wußte, daß alles, auch unser Leben, vom Ausgang dieser Unterredung abhing. Sie verlief völlig anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Der Sultan sprach sehr ruhig, mein Somalführer dolmetschte. Wir tauschten die üblichen Höflichkeiten aus, und er fragte, wie meine Reise gewesen sei. Er sprach wenig und lächelte nie. Es gab lange Gesprächspausen. Sein Gesichtsausdruck war empfindsam und stolz und herrscherlich, aber nicht grausam. Er erwähnte, daß ein Europäer, der im Dienst der Regierung gestanden hatte, vor kurzem nahe der Bahnlinie von Stammeskriegern getötet worden sei. Später erfuhr ich, daß es ein Deutscher gewesen war, der bei der äthiopischen Grenzkommission gearbeitet hatte. Nach etwa einer Stunde sagte mir der Sultan, er wolle mich am nächsten Morgen wiedersehen. Nicht mit einem einzigen Wort hatte er nach meinen Plänen gefragt. Ich kehrte ins Lager zurück, ohne auch nur ahnen zu können, was nun geschehen würde. Am nächsten Morgen trafen wir uns an der gleichen Stelle. Im Tageslicht sah die Lichtung wie jede andere Waldlichtung aus, das Bedrohliche der vergangenen Nacht war verschwunden.

Der Sultan erkundigte sich, wohin ich wolle, und ich sagte ihm, ich hätte vor, dem Lauf des Flusses bis zu seinem Ende zu folgen. Er fragte mich, was ich suche, ob ich für die Regierung arbeite und vieles andere mehr. Auch ohne die zusätzliche Schwierigkeit des Dolmetschens wäre es kompliziert gewesen, diesem mißtrauischen Tyrannen meine Liebe für Entdeckungen klarzumachen. Man verhörte meinen Führer und den Danakil, der mich seit Badhu begleitete. Schließlich gewährte mir der Sultan die Erlaubnis, dem Fluß durch Aussa bis zu seinem Ende zu folgen. Weshalb ich diese Erlaubnis erhielt, die er keinem Europäer zuvor gegeben hatte, weiß ich nicht.

Zwei Tage später stieg ich auf einen Berg und blickte über Aussa. Es war seltsam, sich vorzustellen, daß nur fünfzig Jahre zuvor ein großer Teil Afrikas noch gänzlich unerforscht gewesen war. Seither aber waren die Forscher, Missionare, Händler und Verwalter beinah überallhin gedrungen. Dies hier war einer der letzten noch unbekannten Winkel. Unter mir lag eine quadratische Ebene von etwa fünfzig Kilometern Durchmesser. Dunkle, kahle Berge schlossen sie auf allen Seiten ein. Im Osten stürzte ein Steilhang in die Wasser des vierundzwanzig Kilometer langen Adobad-Sees. Die nördliche Hälfte der Ebene bedeckte dichter Wald. Aber es gab auch breite Lichtungen, auf denen ich Schafe, Ziegen und Rinder weiden sah. Weiter südlich erblickte ich einen großen Sumpf und freie Wasserflächen, dahinter zeichnete sich eine Kette vulkanischer Berge ab.

Wir folgten dem Fluß durch den Wald. Es ging an weiteren Seen und Sümpfen vorüber, bis zum andern Ende von Aussa. Es war ein faszinierendes Gebiet, und ich wäre gern wochenlang dort geblieben, aber unser Begleiter drängte zur Eile. Ich hatte vom Sultan die Erlaubnis erhalten, durch dieses Gebiet zu ziehen, nicht aber darin zu verweilen. Der Awash beschreibt einen Bogen um die Vulkane von Djira, fließt dann wieder in die Wüste und endet dort im Salzsee von Abhedad. Der Fluß macht die lange Reise von den Akaki-Ebenen, um hier in dieser toten Welt zu enden. Und auch ich war von so weit her gekommen, um nun 750 Quadratkilometer salziges Wasser zu sehen, auf dem rote Algen wie eine Blutkruste schwammen. Träge Wellen schwappten über den zähen, schwarzen Schlamm der Uferränder, und zwischen den Basaltfelsen lief heißes Wasser in den See. Es war ein Ort der Schatten, aber nicht des Schattens. Erbarmungslos brannte die Sonne herab, und die ausgeglühten Felsen reflektierten die sengende Hitze. Kleine Schwärme von Sumpfvögeln, die kreischend das Ufer entlang flogen, unterstrichen nur noch die Trostlosigkeit, waren es doch Zugvögel, die nach Belieben fortfliegen konnten. Einige wenige Zwergalligatoren, deren Wuchs zweifellos infolge des Salzwassers, in dem sie lebten, verkümmert war, beobachteten uns aus starren gelben Augen. Sie symbolisierten den Geist dieses Ortes.

Einige der Danakil in meiner Begleitung erzählten mir, hier hätten ihre Väter eine Armee von »Türken« vernichtet und deren Gewehre in den See geworfen. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um Munzingers Expedition, die 1875 vernichtet worden war.

Ich überquerte die Grenze von Französisch-Somaliland und war Gast von Kapitän Bernard in dem Fort, das er in Dikil befehligte. Er und die meisten seiner Männer sollten wenige Monate später den Tod finden, als Plünderer aus Aussa sie in einen Hinterhalt lockten. Von Dikil aus reiste ich durch die Lavawüste an die Küste nach Tadjura. Bislang waren die Stämme eine Bedrohung gewesen, nun war es das Land selbst. Es war bar jeden Lebens und jeder Vegetation, ein Chaos aus grotesk geformten, zerklüfteten Felsen, den Überresten unzähliger Erdbeben, des Auswurfs der Erde, der einst ihre Oberfläche versengt hatte. Diese tote Landschaft erschien mir wie die Vision der endgültigen Verödung einer abgestorbenen Welt. Zwölf Tage lang erkämpften wir uns den Weg, bergauf, bergab, über scharfkantige Laven, durch Schluchten und an Kratern vorbei. Wir berührten das Assalbecken, das hundertzwanzig Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Der blauschwarze Spiegel dieses Sees ruht inmitten einer gewaltigen Salzebene, die weiß und glatt ist wie eine Eisfläche und hinter der in dichten Reihen Vulkanberge stehen, mit Decken aus schwarzer und rostroter Lava. Wir hatten Glück. Vor kurzem hatte es ein wenig geregnet, die Wasserlöcher waren aufgefüllt. Aber als wir Tadjura erreichten, waren vierzehn meiner achtzehn Kamele an Erschöpfung gestorben.

Ich war ruhelos. Drei Jahre lang hatte ich diese Reise vorbereitet. Nun war sie vorüber, und die Zukunft schien leer. Ich fürchtete mich davor, in die Zivilisation zurückzukehren; denn das Leben dort kam mir nach den Aufregungen der letzten acht Monate öde und grau vor. In Djibuti spielte ich mit dem Gedanken, die Dau de Monfrieds zu kaufen. Ich hatte seine Bücher »Aventures de Mer« und »Secrets de la Mer Rouge« gelesen und mit dem Danakil gesprochen, der mit ihm gesegelt war. Mich faszinierte de Monfrieds Bericht von einem freien und gesetzlosen Leben.

Ich kehrte jedoch nach England zurück und ging dann in den Verwaltungsdienst des Sudans. Anfang 1935 kam ich nach Khartum. Ich war vierundzwanzig Jahre alt. Beinahe die Hälfte meines Lebens hatte ich in Afrika verbracht, aber in einem Afrika, das sehr anders war als dieses. Khartum kam mir vor, als hätte man die Villenkolonien einer englischen Kleinstadt einfach mitten in den Sudan verpflanzt. Ich haßte die gegenseitigen Besuche und den Austausch von Visitenkarten, die schmucken Villen, die Asphaltstraßen, die schnurgeraden Straßen von Omdurman, die Verkehrszeichen und die öffentlichen Bedürfnisanstalten. Ich sehnte mich nach dem Chaos, den Gerüchen, der Unordnung und dem turbulenten Leben des Marktplatzes von Addis Abeba, ich wünschte mir Farbe und Wildheit, Entbehrung und Abenteuer. Wäre ich in eine der Städte beordert worden, ich hätte zweifellos nach wenigen Monaten enttäuscht meinen Abschied genommen; aber Charles Dupuis, der Gouverneur von Darfur, schien mich zu verstehen und forderte mich für seine Provinz an. So kam ich nach Kutum im nördlichen Darfur, wo ich unter Guy Moore arbeitete, einem Mann von großer Menschlichkeit und großer Einsicht. Er war aus den Wüsten des Irak, wo er gegen Ende des ersten Weltkriegs Beamter gewesen war, in den Sudan gekommen. Er sprach gerne von seiner Zeit bei den Arabern, und seine Erinnerungen beeindruckten mich tief. Wir waren die einzigen Engländer im ganzen Distrikt, der mit seinen 30 000 Quadratkilometern der größte des Sudan war. Das Wüstenland bewohnte eine kleine, aber sehr verschiedenartige Bevölkerung von etwa 1 80 000 Seelen. Da gab es arabische Nomadenstämme, Berbernomaden, Negerbauern in den Bergen, und im Süden arabische Bagara, die Rinder halten und sich in der Derwischarmee als die tapfersten Kämpfer ausgezeichnet hatten.

Ich verbrachte die meiste Zeit auf Kamelreisen. Im Danakil-Land hatte ich Kamele als Lasttiere benutzt, nun ritt ich sie zum erstenmal. Die Distriktkommissare reisen meist mit einem Bagagetrain von vier oder fünf Kamelen, die mit Zelten, Lagerzubehör und Konserven belanden sind. Guy Moore lehrte mich, leicht zu reisen und zu essen, was das Land bietet. Gewöhnlich reiste ich in Begleitung von drei oder vier Angehörigen örtlicher Stämme, ich hielt mir keine Diener, die nicht aus der Gegend waren. In den Dörfern bewirteten uns die Dorfbewohner, sonst bereiteten wir ein einfaches Mahl aus Haferbrei und aßen alle aus einer Schüssel. Ich schlief im Freien auf dem Erdboden neben meinen Dienern und sah mehr und mehr diese als Gefährten und nicht als Dienstboten an. Als ich Kutum verließ, besaß ich einige der schönsten Reitkamele im ganzen Sudan, sie interessierten mich weit mehr als die zwei Pferde in meinem Stall. Auf einem dieser Kamele ritt ich in dreiundzwanzig Stunden 185 Kilometer weit, und wenige Monate später legte ich die Strecke von Djebel Maidob nach Omdurman, eine Entfernung von 720 Kilometern, in neun Tagen zurück.