Cover

Über dieses Buch:

Hach, Chris! Süßer, süßer Chris! Franzi ist fast 16 und schon lange in den großen Bruder ihrer besten Freundin verliebt … Nun, endlich, sind sie ein Paar! Aber wer hätte gedacht, dass jetzt nichts einfacher, sondern alles noch viel komplizierter wird? Denn Franzi muss nicht nur mit ihrem eigenen Liebesleben klarkommen, sondern auch noch mit dem ihrer anhänglichen Single-Mutter. Die ist nämlich gerade selbst bis über beide Ohren verknallt – will sich das aber nicht so richtig eingestehen. Franzi muss es irgendwie schaffen, ihre Mutter an den Mann zu bringen! Doch um die nächste Ecke wartet schon ein weiteres Liebeschaos …

Über die Autorin:

Susanne Oswald, Jahrgang 1964, lebt mit Mann und Mops in Neuried, zwischen Elsass und Schwarzwald. Hier schreibt sie und erlebt in ihrer Fantasie so manches Abenteuer. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie eine Senfmanufaktur, die Senferia. Sie träumt von fünf Ziegen und zwei Alpakas, erntet gerne selbst gesäte Tomaten und findet zwischen Steinen und Pflanzen immer wieder neue Geschichten, die erzählt werden wollen. Sobald ihr ein Fundstück in die Hände fällt, setzt sie sich an ein ruhiges Plätzchen und fängt an zu tippen.

Die Autorin im Internet: www.susanneoswald.de und www.facebook.com/AutorinSusanneOswald

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eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelbildmotiv: Thinkstockphoto/Hemera/istock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-076-3

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Susanne Oswald

Liebe heißt Chaos

Roman

jumpbooks

1. Kapitel
Panik vom Feinsten

Chris. Oh, mein süßer Chris. Es fühlte sich so gut an, in seinen Armen zu liegen. Was für ein Glück, dass ausgerechnet meine beste Freundin Lotte so einen schnuckeligen Bruder hat! Genüsslich kuschelte ich mich an seine Brust. Genau so hatte ich es mir vorgestellt: unser erstes Mal! Alles war perfekt. Beinahe hätte ich wie ein zufriedenes Kätzchen geschnurrt.

Seine Hände waren so zärtlich. Sanft berührte er meine Wange und beugte sich zu mir herunter. Ich konnte seinen Atem spüren. Leise flüsterte er mir Koseworte ins Ohr, knabberte an meinem Ohrläppchen und ließ mich wohlig erschauern.

»Franzi, aufwachen. Ich muss mit dir sprechen!«

Meine Hirnwindungen waren zäh wie Kaugummi, und Moms Stimme drang nur langsam in mein Bewusstsein. Ich brummte und drehte den Kopf weg. Nicht stören! Ich kuschle gerade.

Schon rüttelte sie an meiner Schulter.

»Franzi, los jetzt, wach auf! Es ist wichtig!«

Hätte mir eigentlich klar sein müssen, dass Ignorieren nichts bringen würde.

Okay.

Okay, okay, okay.

Eine kluge Tochter weiß, wann sie verloren hat, und mein wunderbarer Traumchris hatte sich ohnehin inzwischen verabschiedet. Zu schade! Aber gleich nachher würde ich den echten Chris küssen, da konnte ein Traum sowieso nicht mithalten. Ich würde mit den Fingern die Konturen seines Gesichts nachfahren, zärtlich in die Tiefe seiner Wangengrübchen stupsen und meine Hände über seinen Hals ganz langsam …

»Franzi, hey!« Wieder ein Schulterrüttler. Weit entfernt von der Sanftheit, von der ich gerade träumte.

Ich seufzte.

Jetzt war Eva, meine Mom, gerade mal zwei Tage aus London zurück, und schon war es um meinen Schlaf schlecht bestellt. Also wirklich. Was konnte es so Wichtiges geben, dass es den Verlust meiner jugendlichen Schönheit wert war? Ich sage nur: Frühaufstehallergie.

Damit war nicht zu spaßen. Wenn es dumm lief, bekam ich Trillionen Pickel und sah in kürzester Zeit aus wie ein Streuselkuchen. Als ob ich das meinem Chris zumuten könnte. Das wäre nicht mal ein vegetarischer Leckerbissen – immerhin bin ich aus Fleisch und Blut. Und Chris ist Vegetarier durch und durch.

Genau wie ich.

Also fast – irgendwie.

Ursprünglich hatte ich geplant, die Zeit zu nutzen, in der meine Mutter in England weilte, um eingefleischte – hihi, ich muss immer noch über den doofen Wortwitz lachen – Vegetarierin zu werden. Eine bessere Gelegenheit hätte ich mir nicht wünschen können.

Mom ließ mich nämlich nie allein – bis auf dieses eine Mal. Volle zwei Wochen! Ich wurde wirklich erwachsen. Cool. Echt.

Okay, okay, im Laufe der momfreien Tage dann doch nicht komplett cool, und so erstrebenswert war es in Wirklichkeit gar nicht, erwachsen zu sein. Fast erwachsen genügte vollkommen. Das gab mir die Möglichkeit, die nervigen Seiten des Erwachsenseins nicht alle tragen zu müssen. Doof darfst du sein, du musst dir nur zu helfen wissen. Jetzt, nachdem die Wogen, die ich in der momfreien Zeit ausgelöst hatte, sich wieder als sanftes Alltagsplätschern präsentierten – Eva hatte den Haushalt wieder im Griff, und alles war im Lot –, könnte ich mir durchaus auch vorstellen, demnächst wieder ein bisschen Freiheit zu genießen.

Unterm Strich war es so schlecht ja doch nicht gewesen.

Dann könnte ich auch einen neuen vegetarischen Anlauf nehmen. So richtig sattelfest war ich leider immer noch nicht, wenn es um fleischlose Ernährung ging. Besonders, wenn die Duftschwaden frisch gekochter Hühnersuppe unter der Tür hindurch in mein Zimmer schlüpften, verlor mein Verstand doch immer wieder gegen meine Fleischeslust. Für den Genuss eines Tellers Hühnersuppe nahm ich die Last auf mich, eine Hühnermörderin zu sein. Pfui! Ja, ich schämte mich dafür. Aber nicht genug, um es zu lassen. Echt ein Wunder, dass Chris mich trotzdem mochte.

Überhaupt war das mit Chris und mir ein Wunder. Ich hatte mich ihm von meiner allerschlechtesten Seite präsentiert, hatte mich bei jeder Gelegenheit zum Oberdeppen gemacht und ihm dann auch noch – als Höhepunkt aller Romantik – quasi vor die Füße gekotzt. Und er? Liebte mich. Einfach so. Mit allen Peinlichkeiten.

Leider hatten wir kaum Gelegenheit gehabt, unsere Liebe auch auszuleben. Kaum waren wir zusammen, da war Moms Londonaufenthalt auch schon vorbei gewesen, und es war Schluss mit Freiraum.

Vielleicht konnte ich mit Gustav sprechen, damit er Mom wieder auf Geschäftsreise schickte? Immerhin hatte ich nach ein paar kleineren Anlaufschwierigkeiten das Leben als Hausherrin eigentlich ganz gut gewuppt. Ich meine, hey, für das Chaos konnte ich doch echt nichts. Immerhin hatten Trude und Erwin, unsere Goldfische, überlebt. Kater Paul auch. So what?

Vermutlich hatte ich bei Gustav aber schlechte Karten. Er war zwar Moms Chef, aber wenn es um sie ging, tanzten Herzchen in seinen Augen. Vermutlich würde er alles dransetzen, damit sie ganz und gar in seiner Nähe blieb.

Und ich wusste was, was Mom nicht wusste.

Ich war inzwischen hinter ihrem Rücken Gustavs Vertraute geworden. Wir hatten uns während ihrer Dienstreise angefreundet. Er hatte sogar bei mir um ihre Hand angehalten. Als großzügige Tochter musste ich ihm selbstverständlich die Erlaubnis erteilen. Schließlich durfte ich mich dem Glück meiner Mutter nicht in den Weg stellen. Ja, ich gebe es zu, ganz uneigennützig war meine Zustimmung nicht. Wenn Mom mit Gustav beschäftigt wäre, hätte sie nicht so viel Zeit, sich in mein Liebesleben einzumischen. Dass ich demnächst ein eigenes und höchst feines Liebesleben haben würde, stand außer Frage. Es sei denn, die Pickel durch die Frühaufstehallergie würden es verhindern. Und wieso? Nur weil Mom eine Panikattacke nach der anderen hatte.

Trotz früher Morgenstunde fuhr ein Blitz in meine müden Hirnwindungen.

Vielleicht wäre Gustav die Zweisamkeit ja was wert? So eine eigene kleine Franzi-Wohnung zum Beispiel?

Aber ob dafür fast erwachsen reichen würde? Von komplett erwachsen hatte ich die nächste Zeit die Nase voll.

Es war schon cool, dass ich mich seit Moms Heimkehr nicht mehr mit Müllabfuhrterminen und Katzenfutter rumplagen musste. Ich geb es zu, das Leben mit Mom, die mir notfalls den Hintern hinterhertrug, hatte durchaus auch Vorteile – zumindest, wenn eben diese Mom mir nicht gerade den Schlaf raubte.

Ich schickte den Ideenblitz wieder dorthin, wo er hergekommen war, und grub meine Nase tiefer ins Kissen.

»Fraaanziiii! Jetzt wach endlich auf!«

Mom rüttelte an meinem Arm.

Ächz! Beinahe wäre ich wieder weggeschlummert, aber gegen meine hysterische Mutter war kein Kraut gewachsen.

Träge hob ich den Kopf ein bisschen aus dem Kissen.

»Was denn? Können wir nicht später reden?« Ich blinzelte, kniff die Augen aber sofort wieder zu. Mom hatte für Festbeleuchtung gesorgt.

»Nein«, kam prompt ihre Antwort. »Jetzt. Wir müssen jetzt reden. Später bin ich vielleicht tot.«

Ihre Stimme zitterte.

Tot. Soso.

Seit Gustav ihr am Sonntag von der Ballonfahrt erzählt hatte, drehte Mom am Rad. »Ach du meine Güte« und »Gustav ist doch völlig verrückt« hatte ich in den letzten knapp zwei Tagen ungefähr eine Trillion Mal gehört. Von daher ließ mich die Ankündigung von Moms baldigem Ableben erst mal kalt.

»Kein Problem. Ich spreche auch mit dir, wenn du das Sterben hinter dir hast. Hauptsache, du lässt mich weiterschlafen.«

»Franzi!«

Ups. So klang echte Empörung. Zeit aufzugeben. Ich drehte mich mit einem Ruck um und setzte mich hin. Das grelle Licht der Deckenlampe stach mir in die Augen und zerstörte garantiert sämtliche Sehzellen. Nach 5,8 Sekunden ließ der Schmerz etwas nach.

»Also gut«, sagte ich und gähnte. »Ich bin wach. Was gibt es denn so Dringendes?«

Moms Blick flackerte.

»Franziska, du weißt, dass ich dich sehr, sehr liebe.« Sie nahm mein Gesicht in beide Hände und kam ganz nah an mich ran. Beinahe Nase an Nase. »Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben.«

Jaja, schon recht. Ich sagte nur: Gustav! Das heißt, nein, genau das sagte ich nicht, weil Mom ja keine Ahnung hatte, dass ich eine Ahnung hatte … also schwieg ich. Mom hingegen redete weiter.

Dabei wusste ich schon seit Monaten, dass ihre Gefühlsschmetterlinge Walzer tanzten. Inzwischen übten sie sogar den Hochzeitswalzer, nur Mom schnallte einfach null und nichts.

Sie saß da neben mir auf der Bettkante wie ein zusammengefallenes Soufflé.

»Wenn du darauf bestehst, dann sage ich selbstverständlich diese Ballonfahrt ab.« Sie knibbelte ihre Finger, und zwischen den Worten tanzte verzweifelte Hoffnung. Jetzt nahm sie mein Gesicht in ihre Hände und starrte mich an. Flehend.

Hallo? Wie bitte? Absagen? Gustavs und meinen wunderbaren Plan über den Haufen werfen?

Wir hatten Moms Geschäftsreise genutzt, um endlich mal Tacheles zu reden und die Liebe der beiden in die richtige Spur zu bringen. Es war nämlich so, dass Mom dachte, dass ich dachte, sie dürfe sich nicht mehr verlieben. Was für ein Quatsch.

In Mom hatte sich die Überzeugung festgesetzt, dass ich keinen Mann in ihrem Leben dulden würde. Echt jetzt. Erwachsene sind so unflexibel.

Eine verliebte Mutter war genau das Richtige für mich. Gerade jetzt, wo ich endlich meinen Traumtypen eingefangen hatte. Das war harte Arbeit, und ich gedachte, den Erfolg bis in den großen Zeh hinein auszukosten. Eine Mutter, die ihre Nase in mein Liebesleben steckte, konnte ich jetzt überhaupt nicht brauchen.

Gustav kam also genau richtig. Dann wäre sie mit eigenem Kram beschäftigt, und ich könnte in aller Ruhe an meinem Chris knabbern – oder wonach auch immer uns der Sinn stand. Nur weil ich den Typen, den sie vor Jahren angeschleppt hatte, ein bisschen aufs Korn genommen hatte, hieß das doch nicht, dass es bis in die Ewigkeit so bliebe. Hey, erstens bin ich eine Frau und zweitens ein Teenager, niemand auf der ganzen Welt hat also mehr Recht als ich, seine Meinung zu ändern. Die Welt ändert sich nun mal. Alle 0,12 Sekunden gibt es eine Veränderung. Und bei weiblichen Teenies öfter. Sehr oft. Über meine Anti-Mamas-Liebesleben-Phase war ich längst hinaus. Aber nichts da. Mom gab mir überhaupt keine Chance, ihr das klarzumachen. Nur weil der Typ damals so viel Humor hatte wie ein eingefrorener Hummer und sich nach meinem Einsatz (ich sage nur: Spinat fliegt prima, und Zahnpasta ist gut für Schuhe) aus unserem Leben gebeamt hatte, war das Thema Liebe für Mom tabu. Sie glaubte wirklich, ich sei blind. Mütter!

Genau deshalb hatte ich mit Gustav gemeinsam den Plan der Pläne geschmiedet, und mit etwas Glück käme Mom innerhalb kürzester Zeit unter die Haube. Gustav war nämlich total okay. Ein Chef zum Verlieben sozusagen. Verliebt war Mom sowieso schon lange – ihr fehlte es nur an Mumm, mir gegenüber diese Liebe einzugestehen.

Jetzt drehte meine heimlich total verknallte Mom komplett durch.

Ich schob meine Müdigkeit zur Seite.

»Mom, jetzt hör aber auf. Du bist ja hysterisch. Ich will, dass du in diesen Ballon steigst und dich köstlich amüsierst. Capito? Darf ich dich daran erinnern, dass du schon seit einer Ewigkeit oder sogar noch länger, genau davon träumst?«

»Aber …« Mom atmete tief durch und entließ mein Gesicht endlich wieder in die Freiheit. »Ach, Franzi. Träumen ist doch etwas komplett anderes. Im Traum kann man sich alles vorstellen. Ich habe im Leben nie damit gerechnet, dass dieser verrückte Traum Realität werden könnte. Was ist, wenn der Ballon abstürzt? Wenn er Feuer fängt oder es Probleme bei der Landung gibt? Da kann so viel passieren, erst neulich habe ich …«

»Halt!«, rief ich, packte meine durchgedrehte Mutter sanft an den Schultern und schüttelte sie leicht durch. »Erde an Eva, Erde an Eva, jemand zu Hause?« Ich wartete ein paar Sekunden. »Mom, jetzt komm mal wieder runter. Ballon fahren ist sicherer als Auto oder Fahrrad fahren. Selbst Fußgänger leben gefährlicher. Es gibt sogar Statistiken, die das belegen. Vergiss jetzt mal alle Was und Wenn und sieh zu, dass du fertig wirst. Gustav ist bestimmt jeden Moment da, um dich abzuholen.«

Mom schniefte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Vielleicht hast du recht. Aber, Kind, hör zu. Falls doch etwas passiert: Ich habe gestern Abend mein Testament geschrieben. Von Hand, mit Datum und Unterschrift, so dass es auch gültig ist. Wenn mir etwas geschieht, soll es dir an nichts fehlen. Natürlich hast du Omama, aber bei ihr kannst du nicht bleiben, ich glaube, das wäre nicht gut für euch beide. Sie ist ja nicht mehr die Jüngste, vermutlich wäre sie mit der Verantwortung für einen 15-jährigen Teenie überfordert.«

Ich schnaubte empört. Als ob ich schwierig wäre. Außerdem war ich fast 16 und konnte sehr gut auf mich selbst aufpassen. Immerhin hatte ich das gerade erst zwei Wochen lang bewiesen, während Mom in London ihren Stars hinterhergejagt war. Okay, also mehr oder weniger gut. Ich dachte an die Scherben, das fliegende Popcorn und die etwas aus dem Ruder gelaufene Party. Aber Mom ließ sich durch das Schnaufen und meinen empörten Gesichtsausdruck ohnehin nicht aus der Bahn werfen. Sie redete weiter. »Deshalb habe ich gestern mit Conni telefoniert. Sie wäre bereit, dich als Pflegetochter anzunehmen. Du könntest zu Lotte ziehen. Unser Haus würde vermietet werden und damit die Kosten …«

Es klingelte. Was für ein Glück! Mir schwirrte der Kopf, und ich brauchte Schlaf. Dringend.

»Prima. Du hast also mein komplettes Leben geregelt und dafür gesorgt, dass es mir in den nächsten hundertfünfzig Jahren an nichts fehlt. Das ist doch eine klare Ansage. Dann steht deinem Vergnügen ja jetzt nichts mehr im Weg. Wie wäre es, wenn du endlich schaust, dass du fertig wirst. Gustav wartet!«

Mom seufzte, schniefte, knutschte mein Gesicht ab und zögerte immer noch.

»Raus jetzt! Hab Spaß und lass mich schlafen«, fauchte ich sie extra forsch an. Ich warf mich auf mein Kissen zurück und zog mir die Decke über den Kopf.

Kurz darauf hörte ich das leise Klacken der Tür und Moms Schritte, wie sie die Treppe runterging. Herrje, was für ein Theater.

Ich versuchte, wieder einzuschlafen. Vielleicht konnte ich ja mit dem Traum da weitermachen, wo ich unterbrochen worden war? Aber Mom hatte ganze Arbeit geleistet. Ich war wach.

Dienstag, 1. Mai

6.02 Uhr – ich fass es nicht!

Meine Güte, sind Erwachsene albern. Jetzt hat Mom es tatsächlich geschafft, mich um meinen Schönheitsschlaf zu bringen. Prima. Sie ist auf dem Weg zum ultimativen Vergnügen mit ihrem Chef und künftigen Mann, und ich sitze hier: mitten in der Nacht und hellwach! Das ist einfach unfair. Was mach ich jetzt?

2. Kapitel
Denn erstens kommt es anders …

Missmutig schlurfte ich in die Küche, wo Kater Paul mir von der Eckbank verschlafen zublinzelte. Wie in Trance kippte ich Wasser in die Maschine und löffelte Kaffeepulver in den Filter. Während der Kaffee in die Kanne blubberte, quetschte ich mich neben den dicken Kater, stützte den Kopf auf die Hände und überlegte.

Vielleicht sollte ich Lotte anrufen und zu einem quasi nächtlichen Frühstück überreden? Immerhin schuldete sie mir noch ein paar Antworten. Seit zwei Tagen leuchtete sie wie eine Christbaumkugel von innen – eine Christbaumkugel mit knallrotem Knubbelohr – und druckste herum.

Ihr armes Ohr! Echt eine gefährliche Angewohnheit, diese Ohrknubbelei. Irgendwann würde sie zur einohrigen Lotte werden, wenn sie so weitermachte. Vielleicht könnte sie dann bei Til Schweiger anheuern und »Einohrlotte« mit ihm auf die Leinwand bringen. Ich kicherte ein bisschen in mich hinein.

Mit einem letzten Sprutzen und Keuchen meldete die Maschine: Dienst verrichtet! Ich schlurfte hin, schenkte ein und schleppte mich müde auf die Eckbank zurück. Die Kaffeeschwaden umwaberten meine Riechzellen und weckten zumindest einen kleinen Teil meiner Lebensgeister. Paul beobachtete mich misstrauisch – er hatte wohl Bedenken, dass ich ihm den Kaffee über das Fell kippen würde –, und meine Gedanken spazierten wieder zu Lotte.

War ja klar, was sie so zum Leuchten brachte. Dazu musste man kein Hellseher sein. So verliebt, wie sie und Benni durch die Welt schwebten. Bennis Mutter war oft unterwegs – das hieß: sturmfrei! Deshalb ging ich fest davon aus, dass Lotte inzwischen … aber natürlich wollte ich es hören. Und zwar mit Einzelheiten.

Chris und ich würden auch, da war ich sicher. Leider hatten wir einfach nie unsere Ruhe. Hier bei mir gluckte ständig Mom herum. Seit ihrer Londonreise war sie eine regelrechte Klette geworden. Voll das schlechte Gewissen. Sie wollte jetzt viel Zeit mit mir verbringen. Mir zeigen, wie wichtig ich ihr war. Sie tat so, als sei ich durch die zwei Wochen ohne sie traumatisiert. Himmel und Hölle, wenn ich ein Trauma hatte, dann vermutlich, weil meine Mutter mir nicht von der Pelle rückte. Höchste Eisenbahn, dass Gustav die Sache in die Hand nahm. Ich sah auf die Uhr. Ob sie wohl schon im Ballon den Himmel unsicher machten? War sie freiwillig eingestiegen, oder hatte Gustav ihr vorher K.-o.-Tropfen einflößen müssen? Aber nein, so etwas würde Gustav natürlich nie machen! Vermutlich würde er sie eher einfach so lange küssen, bis sie in seinen Armen völlig willenlos wurde. Hach! Ich dachte an Chris. An seine Lippen. Seine Hände. Die Grübchen, in die ich mich stürzen wollte, und an seine Gletscheraugen, die ich aber natürlich nicht sehen konnte, wenn wir uns küssten – da hatten wir die Augen geschlossen. Ich jedenfalls. Ob Chris mit offenen Augen küsste? Hm. Beim nächsten Knutschen musste ich zwischendurch unbedingt mal blinzeln, um das rauszufinden. Wenn wenigstens Lotte jetzt hier wäre, dann könnten wir die Sache erörtern. Vielleicht gab es ja wichtige Gründe, die Augen offen zu lassen? Fühlte sich ein Kuss dann anders an? Jetzt küsste ich schon zwei Wochen mit nur kurzen Unterbrechungen und hatte noch keinerlei Forschung betrieben. Sobald unsere Lippen andockten, versagte mein Denkvermögen. Ob es Mom auch so ging? In ihrem Alter? Konnte man mit beinahe 40 noch so verliebt sein? Ich meine, ja, verliebt waren die beiden, das stand außer Frage. Aber wie war das mit Sex? Neulich lief erst eine Talkshow: Sex im Alter. Wie lange konnten Männer überhaupt? Wuä. Schnell schob ich den Gedanken beiseite. Mir meine Mutter und Gustav beim Sex vorzustellen, war nicht gerade das, was ich morgens um sechs brauchte. Weder um sechs noch zu sonst einer Zeit.

Schnell nahm ich einen Schluck Kaffee und konzentrierte mich wieder auf andere Dinge.

Natürlich hatte ich versucht, Moms Gewissensbisse für mich zu nutzen, aber dummerweise versagten ihre Schuldgefühle, wenn es um neue Klamotten für mich ging. Mom war soo uncool. Echt. Sie hatte null Plan, was ein Mädchen heutzutage alles brauchte. Immer hielt sie mir vor, was ich schon alles bekommen hätte. Dabei war das ein Tropfen in heißem Wüstensand. Ich konnte doch nicht jede Woche die gleichen Outfits präsentieren. Wenn ich ständig meine Taschengeldreserven angreifen musste, wovon sollte ich mir dann Schminkzeug holen? Wenn ich Lotte nicht hätte und ihr umwerfendes Nähtalent, ich wäre verloren! Der Gedanke an Lotte brachte mich wieder zum Thema zurück.

Ich konnte nicht fassen, dass sie »es« getan hatte und es mir nicht erzählte. Mir – ihrer allerallerbesten Freundin. Dachte ich zumindest. Aber wo die Liebe hinfällt, hört die Freundschaft wohl auf. Wer eine solche Freundin hat …

Wobei – wenn es das war, was ich vermutete, wieso knubbelte sie dann immer noch wie wild? Irgendetwas stimmte da nicht.

Ich stand auf, goss mir einen zweiten Kaffee ein und setzte mich wieder zu Paul. Mein Handy piepte. Nanu?

Eine SMS. »Liebling, bitte vergiss nicht: Conni ist für dich da. Ich hab dich lieb, mein Schatz. Denk immer dran! In fünf Minuten starten wir. Kuss, Mama«

Oh-oh. Es schien, als würde Moms Angst sich auf die Nachricht übertragen. Beinahe glaubte ich, die Buchstaben zittern zu sehen. Bestimmt würde Mom in den nächsten Minuten vor Freude jauchzen – wenn sie erst mal die Panik überwunden hätte und in Gustavs Armen läge. Falls sie bis dahin noch lebte und nicht vorher einen Herzinfarkt bekommen hatte. Ich hätte ihr eine Papiertüte mitgeben sollen, für den Fall, dass sie hyperventilierte. Das sah man doch immer in den Filmen. Wann er sie wohl fragen würde? Gleich nach dem Start? Oder erst kurz vor der Landung? Hoffentlich hatte er an alles gedacht: Sekt und die Ringe. Bestimmt würde Mom der Ring gefallen. Immerhin hatten Lotte und ich bei der Auswahl geholfen. Ich grinste und freute mich jetzt schon unbändig auf den Bericht, den Mom und Gustav mir liefern würden. Vielleicht sollte ich sie getrennt voneinander vernehmen? Dann bekäme ich die gleiche Situation aus zwei Perspektiven und könnte mir ein umfassendes Bild machen. Fast bedauerte ich, dass ich Gustavs Einladung abgelehnt hatte. Aber nein. Der Moment gehörte den Turteltäubchen ganz allein.

Wer konnte schon ahnen, wie es weitergehen würde? Vielleicht gefiel Mom die Ballonfahrt so gut, dass sie ein Ballonfahrt-Junkie wurde. Dann könnte ich später immer noch mitfahren. Oder ich würde mir meinen Heiratsantrag auch in einem Ballon machen lassen.

Heiratsantrag! Wow! Da mussten aber noch ein paar Jährchen vergehen – so schnell hatte ich dann doch nicht geplant, meine Freiheit aufzugeben. Spaß haben konnte man schließlich auch ohne Hochzeit.

Da ich nicht vorhatte, bis zur Hochzeitsnacht eine eiserne Jungfrau zu bleiben, zog ich meine Kladde zu mir und studierte die angefangene Liste.

Wichtig für den Moment der Momente:

Kondome

Kerzen

Musik

frische Bettwäsche

saubere Füße

Handy aus

Hm. So weit war alles klar. Für Kondome hatte Omama gesorgt. Ich hatte die coolste Omama auf der ganzen Welt. Auch wenn das mit den Kondomen für mich reichlich peinlich gewesen war. Uff. Da wurde ich rot, wenn ich nur dran dachte. Was mussten mir die Mistdinger auch aus der Hosentasche rutschen? Und wieso hatte nicht – wenn es schon so sein musste – wenigstens Lotte die Dinger finden können. Aber nein. Das wäre nicht franzilike gewesen. Wenn schon Fettnapf, dann bitte mit Anlauf und beiden Füßen gleichzeitig. Deshalb hatte also Chris die Kondome gefunden und mir wiedergegeben. Und ich war gestorben. Echt. Vermutlich saß ich gar nicht in Wirklichkeit hier am Küchentisch, sondern mein Geist. Ich war gestorben an der Peinlichkeit des Augenblicks und hatte mich einfach nur geweigert, das Haus zu verlassen. Genau wie der kleine Professor in Hogwarts.

Bevor ich weiter an diesen fatalen Abend denken musste, konzentrierte ich mich lieber wieder auf die wichtigen Fakten im Hier und Jetzt. Was gab die Liste noch her? Kerzen und Musik waren sowieso Standard, die waren auch für ausgiebige Knutschzeiten unerlässlich. Nächster Punkt. Mein Bett könnte einen neuen Bezug vertragen, da feierten Kekskrümel mit Colaflecken eine Party. Das würde ich nachher gleich erledigen.

Füße. Meine Füße waren geschrubbt und hatten ein Peeling bekommen. Zart wie ein Babypopo und bereit, geküsst zu werden. Seit ich in einem Liebesfilm gesehen hatte, wie der Typ seiner Liebsten am Zeh knabberte, wollte ich unbedingt wissen, wie sich das anfühlt.

Natürlich hatte ich es schon selbst ausprobiert. Aber verdammt, die Füße sind so weit unten. Ich kam zwar damit an mein Gesicht, dafür hatte ich aber einen Knoten in den Beinen und eine ausgerenkte Kniescheibe. Insgesamt nicht empfehlenswert.

Dann hab ich Lotte gefragt. Wozu hat man schließlich eine beste Freundin? Aber die hat nur gequietscht, ist rot angelaufen und hat sich strikt geweigert.