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Veronika Immler, Antje Steinhäuser

Generation Yps

Veronika Immler, Antje Steinhäuser

Generation Yps

Das Retro-Lexikon unserer wilden Jugend

Für Fragen und Anregungen:

2. Auflage 2013

© 2010 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH, München, Nymphenburger Straße 86

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagabbildung: unter Verwendung von iStock Bildern

ISBN Print 978-3-86883-340-9

Inhalt

»Licht aus – Spot an!« – Ilja Richter und seine disco

Bewährungsprobe Dia-Abend – Lichtbild- und Reisevorträge

Das kleine Möbelhaus – Einrichten mit Sitzsack, Flokati und Pilzleuchte

Haare gut, alles gut! – Haare und Frisuren

Kleinnager statt Großsäuger – Unsere Lieblingstierserien

Astmuffen, da steh ich voll drauf! – Vom Sprachgeist unserer Jugend

Verschwundene Dinge

Ritsch, ratsch, klick! – Fotos und Fotografieren

»Hier ist Berlin!« – Hitparade mit Dieter Thomas Heck

Aaha, Aaha, Du bist so heiß wie ein Vulkan – Filetstücke der deutschen Schlagerrhetorik

Kragenspeck? Das muss nicht sein! – Hygiene und Kosmetik

Volltanken, bitte! – Ausgestorbene Berufe

Sonntagsbraten, Mittagsschlaf und Nachricht aus Burundi – Das perfekte Wochenende

Chirpy, Chirpy, Cheep, Cheep und Wig-wam bam sham-a-lam – Popmusik der Siebziger

Zwischen Hausarrest und Laisser-faire – Erziehung, Benehmen, Maßregelungen, Tabus

Schwulen-Demo, Playmobil, Klimbim – Wann gab’s was zum ersten Mal in der Bundesrepublik

Wetter schön, Meer warm, Essen gut! – Urlaub

»Möge die Macht mit dir sein!« – Das war Kino!

Legal, illegal, Ikearegal – Persönlichkeitsveränderungen

Legalize Erdbeereis! – Jugendsprüche der Achtziger

Mit Gimmick! – Worauf wir früher scharf waren

Rechtschreibfibel, Zeigestock und Kaba-Brotschmausstulle – Wie wir lesen lernten mit Hans, Suse und Rolf

»Gute Nacht, John Boy!« – Familienserien

»Manni Bananenflanke, ich Kopf – Tor!« – Sport und Fitness

Im Reich der Lycrakobolde und Polyesterzwerge – Kindermode

Freie Fahrt für lofotengrüne rasende Aschenbecher! – Auto und Verkehr

»Bedienen Sie sich selbst!« – Der Lebensmitteleinkauf, Herzstück des Alltags

Zerplatzte Träume – Kein Leben als Frau Cartwright

Daheim: »Kraft in den Teller – Knorr auf den Tisch«, und draußen: nur Kännchen – Essen und Ernährung

Und dann hatten wir den Bandsalat … – Aufnahmetechniken und Kassettenrekorder

Geknautscht, gelackt, gerüscht, gemustert – Der legendäre Look der Erwachsenen

Ein Indianer kennt keinen Schmerz – Verletzungen und Krankheiten

»Harry, hol schon mal den Wagen!« – Kultkommissare

Wenn ich nur so begehrt wär wie der Cornetto Erdbeer – Eis und Süßes

Hossa Hossa und die Stimmung war im Partykeller – Feiern und Feten

Petting statt Pershing – Die besten Siebziger-Sprüche

Die wilde Frische der großen weiten Welt – Leicht und schonend, voll Aroma – wunderbare Werbung!

Lehár trifft Wermelschmied – Die beliebtesten Showmaster und ihre Sendungen

»Das Märrrrrrrchen vom Dorrrrnrrrröschen« – Plattenspieler und Lieblingshörspiele

Bewegende Ereignisse

»Ob ihr recht habt oder nicht, sagt euch gleich das Licht!« – Kinderfernsehen

Freiheit statt Förderprogramm – Spielen und Spiele

Von der Sehnsucht nach telefonlosen Schnüren – Telefonzellen & Fernsprechgeräte

Dieses Buch ist für unsere Eltern und unsere Schwestern Schni, Puschel und Böff

Licht aus – Spot an!

Ilja Richter und seine disco

Als wir Kinder waren, waren Moderatoren alte Herren, die mit großväterlicher Jovialität und dem charmanten Schalk des jung gebliebenen Veteranen durch den heiteren Abend führten, onkelige Helden, die das Herz der Großtante höherschlagen ließen und mit denen man jeden Versicherungsvertrag abgeschlossen hätte, wenn sie denn als Makler aufgetreten wären.

Er war damals der jüngste Entertainer im deutschen Fernsehen, gerade 18 Jahre alt, als er zum ersten Mal die Sendung moderierte, die noch Jahrzehnte später Kult sein und einen Ausdruck der Verzückung auf die Gesichter der Reminiszierenden zaubern sollte: Ilja Richter, der selbst für den schmalsten Konfirmationsanzug zu dünn war und dessen gewagt gemusterte Fliegen aussahen wie Weltallpropeller, präsentierte mit geradezu altmodischer Souveränität einem alsbald hingerissenen Publikum am 13. Februar 1971 die erste disco. Fortan beglückten die deutsche Fernsehnation bis 1982 133 Sendungen, gesendet alle vier Wochen, samstags um 18 Uhr 45, später um 19 Uhr 30, also zur besten Sendezeit, weil der Erfolg so groß war: Im Durchschnitt saßen 20 Millionen Menschen vor den Mattscheiben!

Ich will nicht sagen, dass unser Leben ohne Ilja Richter sinnlos gewesen wäre, aber doch um so viel ärmer! Dieser kokett schmeichelnde Schwarzhaarhelm! Diese Charakternase! Diese leicht angequetschte Stimme! Unverkennbar! »Einen wunderschönen guten Abend, meine Damen und Herren – Hallo Freunde!« Niemand konnte so jovial die Arme ausbreiten wie der junge Berliner. Und mit einem für damalige Verhältnisse entfesselt geschmetterten »Hallo Ilja!« dankte es ihm das Studiopublikum. Das Studio! In orangefarbene Ovale eingefasste Bildschirme, silbern glitzernde Treppenstufen, bunte Scheinwerfer, ein total technisiertes Moderatorenpult und Metallicwände. Und erst das Publikum! All diese furchtbar lustig angezogenen Menschen in bunten Acrylklamotten und mit aus der Fasson geratenen Haaren – »locker-luftig« und »unkompliziert« nannte man den Look, der den Föhn zu einem der wichtigsten Geräte in jedem Haushalt aufsteigen ließ. Und den Föhnfestiger zum wichtigsten Produkt. Gewellt, gewallt, gewuschelt, ohne Föhn wäre Farrah Fawcett-Majors wohl nicht so groß rausgekommen, ohne Föhn hätte Paul Breitner seine Afrowollmütze nicht so bauschig hingekriegt, ohne Föhn wäre der spacige Look eines David Bowie viel sterblicher, viel normaler rübergekommen. Und ohne Föhn hätte auch das disco-Publikum nicht mit so herrlich hingewärmten Schmachtwellen auf den Hartschalensitzen des Studio Hamburg, der Berliner Union Film und des Landesstudios Bayern sitzen können. Ach, dieses Publikum, von denen die meisten scheinbar unbeteiligt dasaßen und zwischendrin gab es mal zwei, drei, die (fast) im Takt mitklatschten, während sie sich mit beseeltem Lächeln umsahen nach den Stars: In hautengen Metallicanzügen, mit Löckchen, Haarbändern, Knautschlackgürteln und mit zum Teil unvorstellbar weiten Ärmeln standen da Suzie Quatro und Costa Cordalis, Abba und Michael Holm, Deep Purple und Katja Ebstein, eine kühne Mischung aus internationalen Pop- und Rock-Hits und deutschen Schlagern, eigentlich unvereinbar, sollte man meinen, aber Alt und Jung sahen sich mit wachsender Begeisterung das allmonatliche Potpourri an, das Ilja Richter dann noch mit seinen Kalauern (»Das Publikum hat die Tribünen voll gemacht und alle hatten ’ne Fahne») und seinen Sketchen, in denen er mit diesen unglaublich schlechten Bluebox-Tricks herumprobierte (unvergessen: Berti Vogts und Ilja Richter singen und tanzen 1975 im Smoking auf einem Fußballfeld, in das sie »geblueboxt« wurden), anreicherte. Manche Stars kamen gar nicht selbst, sondern auf einer Leinwand, die den technischen Charme einer privaten Dia-Vorführung hatte. Darauf wurde ihr Auftritt ausgestrahlt. Aber alle waren hingerissen.

In der Tat: »Licht aus – Woammmmm! … Spot an – Yeaaaaaaah!«, war das Ereignis des Monats; gerade hatte ein glücklicher Gewinner ein Kofferradio und ein anderer einen Plattenspieler zugesagt bekommen, und dann: Im Kegel des Scheinwerfers bekam die Nation in den meisten Fällen eine verschüchterte Bundesbürgerin zu sehen, die mit motorisch bedenklichen Bewegungen dem Publikum zuwinkte und extrem gehemmt wirkte. Ilja Richter trat erst hervor, nachdem die erste Band oder der erste Interpret aufgetreten war: Die Familienmitglieder wippten mit dem Fuß und die heranwachsenden Kinder sagten: »Find ich super«, aber was ging wirklich in uns vor? Ilja Richter weckte die Discokanone in jedem von uns, in Viersen an der Aller, in Coburg, in Todtnauberg, erfüllte uns mit Sehnsucht nach dem, was wir uns unter dem Leben eines Stars und seiner hinreißenden Musik vorstellten.

Bewährungsprobe Dia-Abend

Lichtbild- und Reisevorträge

Alle wussten, es würde ein quälend langweiliger Abend werden. Aber einer Einladung zu einem privaten Lichtbildervortrag nicht nachzukommen, war in den Siebzigern ein gesellschaftliches Tabu. Dafür gab es keine gültige Ausrede. Reisen ins Ausland waren noch etwas ganz Besonderes und wer sich dafür nicht interessierte, deklassierte sich einfach in deutschen Bildungsbürgerkreisen. Die privaten Dia-Abende waren in keiner Weise als heiteres, geselliges Beisammensein zu verstehen, vielmehr dienten sie dem Gastgeber als Plattform, auf der er sich vor den Bekannten mit unzähligen schlechten Bildern als polyglotter Weltenbummler präsentierte.

Gezeigt wurden die meist orangestichigen, unscharfen Lichtbilder stets im repräsentativen, mit schweren Vorhängen verdunkelten Wohnzimmer der Gastgeber. Die Gäste nahmen auf der weichen Sitzlandschaft Platz und waren bereits nach der Getränkebestellung und zwei Rollgriffen in die bereitgestellten Erdnüsschen in einen narkoseartigen Ruhezustand versetzt. Wahrscheinlich, um das gepflegte Wohnzimmer nicht wie eine Abstellkammer wirken zu lassen und den freien Blick auf die massive Schrankwand nicht zu verstellen, machte sich der Herr des Hauses traditionell erst nach dem Eintreffen der Gäste an die Aufstellung der Leinwand. Ob der Mechanismus der Leica-Standardleinwand tatsächlich so diffizil war, sei dahingestellt. Erfahrungsgemäß waren mit dem Aufbau der äußerst widerspenstig scheinenden Projektionsfläche zu guter Letzt jedoch immer mindestens drei bis vier Personen beschäftigt. War diese dann endlich gehisst, dünstete sie auch schon ihren spezifischen Lösungsmittelgeruch ins voll besetzte Wohnzimmer und versetzte so die letzten wach gebliebenen Zuschauer in Trance. Mit dem Erlöschen der Wohnzimmerbeleuchtung und dem einsetzenden Brummen des Projektorgebläses war man dann felsenfest überzeugt, sich nie mehr ohne fremde Hilfe aus der Sitzlandschaft erheben zu können. Als Alternative zur stinkenden Leinwand blieb die Projektion auf die cremefarbig gestrichene Wohnzimmerwand, auf der normalerweise verschiedene Landschaftsbilder in Öl oder Gestecke mit Gewürznelken hingen. Wenn dann beim Lichtbildervortrag das gelbstichige Gesicht der weit gereisten Gastgeberin an der Wand aufschien und die in der Wand verbliebenen Nägel wie Warzen aus der raufasergenoppten Haut ragten, war das meistens das Einzige, woran man sich später noch gerne amüsiert erinnerte.

Den langatmigen Vortrag hielt immer der Herr des Hauses, während die Ehefrau im Off, neben der Sitzgruppe, auf einem beigestellten Holzstuhl Platz fand, um dehydrierte Gäste im Notfall schnell mit süßlichem Liebfrauentrost von der Mosel zu versorgen. Nur auf ausdrückliche Aufforderung ihres referierenden Ehemanns kam sie zu Wort, um etwa zum Wechselkurs von vor drei Jahren Stellung zu nehmen oder gemeinsam mit ihrem Gatten nach dem Namen der flüchtigen Reisebekanntschaft aus Dings zu suchen, die man im letzten Urlaub zufällig auf Naduweißtschonwo getroffen hatte.

Pro Magazin blieb etwa jedes dritte Bild im Projektor hängen, jedes fünfte stand Kopf oder war seitenverkehrt eingeordnet, was den schon halb ins Koma gefallenen Dia-Abend-Opfern vollkommen egal gewesen wäre – nicht aber dem leidenschaftlichen Hausherrn, der jedes Mal über fünf leblose Beinpaare kletterte, um das Dia unbedingt seitenrichtig zu präsentieren, und dabei auch gleich noch versuchte, das Bild durch beherztes Drehen am Projektorobjektiv doch noch scharf zu kriegen. Ganz gefürchtet waren Ansagen wie: »Schalt doch noch mal zurück!« Oder: »Was man jetzt gerade nicht auf dem Bild sieht …« Oder auch: »Das waren jetzt die Bilder der ersten Woche unserer vierwöchigen Reise …«

Nach dem ersten Magazin war die Luft im hermetisch abgeriegelten Salon bereits dermaßen verbraucht, dass auch der wohlwollendste Zuhörer aus purem Sauerstoffmangel mit akuter Lidschwere und massiven Gähnattacken zu kämpfen hatte. Der Tanz der Staubkörner im Lichtstrahl des Projektors ließ befürchten, dass die Luftqualität in der Sofagegend auch nicht viel besser sein würde und man diesen Abend höchstwahrscheinlich nur mit schwersten körperlichen Schäden überleben würde. Die ersten Gedanken, ohnehin freiwillig aus dem Leben scheiden zu wollen, kamen spätestens dann auf, wenn man im Halbdunkel acht weitere bereitgestellte Magazinkästen entdeckt hatte, während Gastgeber Karl-Heinz fünf Minuten lang ein nichtssagendes, verwackeltes Landschaftsbild stehen ließ und dabei in monotoner Stimmlage bis ins Detail ausführte, wie Ehefrau Hannelore an diesem Tag nach ihrer Lesebrille suchte, sie bereits gestohlen wähnte, um sie dann doch am späten Abend in ihrer Handtasche wiederzufinden.

Irgendwann wurde dann scheinbar völlig unvermittelt das Wohnzimmer vollilluminiert. Zerknitterte, fahle, teilweise übereinanderliegende Gestalten versuchten sich mit verkniffenen Augen wieder an das Licht zu gewöhnen, sich aus den Kissen zu graben und eine einigermaßen aufrechte und würdige Position einzunehmen. Der träge, aber durchaus erlösende Abschlussapplaus bedeutete auch immer die unmittelbare Auflösung des Dia-Abends, der, realistisch betrachtet, eigentlich den Namen Dia-Nacht verdient gehabt hätte.

Überschwänglich bedankten sich auch die Gäste, die bereits nach den ersten zehn Bildern eingenickt waren, für den außergewöhnlich interessanten Vortrag. Obwohl den Gastgebern unmöglich das laute Geschnarche entgangen sein konnte, nahmen Karl-Heinz und Hannelore offensichtlich zutiefst geschmeichelt die Dankesworte entgegen und versprachen ganz fest, auch nach ihrem nächsten Urlaub wieder zu einem Lichtbildervortrag einzuladen. Falls man selbst nicht zuvorkam. Schließlich saß man bereits seit Monaten mit Pinzette und Pinselchen am Leuchtpult und schnitt begeistert die sonnengelben Spanien-Urlaubsbilder für die Plastikklemmrahmen zu. Gab es denn etwas Schöneres, als mit der Kabelfernbedienung in der Hand sein Wohnzimmer in einen Hörsaal zu verwandeln, mit einem Taschenlämpchen auf wichtige Details im Bild hinzuweisen, gemeinsam mit Freunden, Nachbarn und Bekannten in Erinnerungen zu schwelgen und die Gästeschar bei billigem Wein und ein paar Nüsschen mal so richtig zu beeindrucken?

Das kleine Möbelhaus

Einrichten mit Sitzsack, Flokati und Pilzleuchte

Sitzsack

Sie hießen Fat Boy, Wolke und Sitting Bull und sahen aus, als müsste man augenblicklich Rückenbeschwerden darin bekommen, aber die Dinger waren verdammt bequem und gehörten in den Siebzigern bis in die Achtziger hinein quasi zum guten Ton. Wer etwas auf seine Einrichtungskünste hielt, flatschte sich einen der Kaventsmänner aus robuster Kunstfaser in die Wohnräume und riskierte das Styroporkügelchendesaster, falls einer der Trumms doch mal kaputtging.

Schalenstuhl

Die waren nun wirklich unbequem, weil sie nicht mal ein Quentchen nachgaben, sondern auf ihrer Form beharrten wie alte störrische Weiber auf ihrer Meinung. Aber: die Farben! Das Wort »orange« musste neu definiert werden und das Wörtchen »grell« gleich auch. Auf dem Aluminiumfuß thronte die formschöne Sitzschale, und in ihr war man selbst eingepfercht wie die Füllung im Pralinéhohlkörper. Beliebte Kombi: Hartschale mit kreischend bunter Komplettpolyesterpolsterung.

Beistelltisch

Ein Wort wie ein Komamittel. Bis Luigi Colani und seine Kollegen die Wüste begrünten. Beistelltische mutierten zu geschwungenen, überraschenden, multifunktionalen Designamusements, die farbenfroh den Kunststoff präsentierten, aus dem sie geformt waren und den Teewagen endgültig in die Sanatorien verbannte.

Flokatiteppich

Das Symbol für den Einrichtungsstil der Siebziger! Nur echt von griechischen Hirten, aus naturfarbener Schafwolle mit einem Flor, in dem Walnüsse und Flummis unauffindbar werden können. Ein geduldiger Dreckfänger – aber das nahm man gern in Kauf. Nichts belegte ausdrucksstärker den Willen zur Lebensart, zur Kuschelhöhle, zum Rückzug in die eigene Welt. Der Flokati machte den harten Boden zur Liegewiese. Manche hängten sich ein Exemplar auch an die Wand. Nur Banausen kaufen die neumodischen Webwerke in Farben wie »Latte macchiato« und »Rubinrot«.

Fototapete

Nüchternheit und Langeweile ade! Es durfte sich hineingeträumt werden: In die Bergwelt der Alpen, in die Weite der kanadischen Wälder, in Südseeinselwonnen. Optischer Steigbügelhalter war die Fototapete, die in beeindruckenden Dimensionen ganze Wände schmückte. Herbstliches Laub, Sahara-Sandmassen und Wattwelten. Die Horizonterweiterung per Fototapete war in jedem Reihenmittelhaus möglich und wurde zu einer überaus beliebten Interior-Design-Maßnahme.

Couchgarnitur

Sofa und Sessel, womöglich mit schwerem Samt bezogen und troddelbehangen, sowie streng-kantige Dunkelholzregale waren einmal: Wohnlandschaften wollte man, Orte, die den neuen Wohlstand, die gesellschaftliche Befreiung, all die Wünsche, die erweckten Gelüste und die Träume spiegelten, erschaffen aus neuen Materialien – dies herrliche Plastik, dieser grandiose Kunststoff – geformt in allen denkbaren Rundungen, bespannt mit Kunstleder, Knautschlack, Polyester und Velours, in allen Farben des Regenbogens erstrahlend! Wohnzimmer verwandelten sich in orange-grün-gelbe Fläz-Paradiese, Lunger-Lounges, die noch heute manchen Chillout-Zoner neidblass werden lassen. Krönung des Reviers der Sinnlichkeit: Individuell kombinierbare Polsterelemente mit beliegbaren Rückenlehnen und Schneidersitzoase. Entfesselte Muster auf Wänden, Tapeten, Vorhängen, Bezügen und Kissen, die eher an optische Täuschungen, an Marihuana-Räusche, an Kammerflimmern des Auges erinnerten. Optical Art für jeden! Psychedelisches Design im Rausch der Geometrie, die mit einem Mal der Interieur-Sinnlichkeit zuarbeitete. Der wohlverdiente Feierabend, den man vornehmlich aufrecht sitzend verbracht hatte, war zur ganz persönlichen Lümmelphase geworden.

Pilzleuchte

Es war eine kleine Revolution: Nicht mehr Kronleuchter und Stehlampe hatten die leuchtende Oberhand, sondern die runden Hauben in undezenten Farbtönen und Materialien, die fürs Vererben nun wirklich nicht hochwertig genug aussahen – die aber den Wohnzimmern der Siebziger den letzten Schliff verliehen. Hochmoderne Lichtquellen, die ihre Kollegen aus Schmiedeeisen, Messing, Zinn und Kupfer in die Ecke verwiesen.

Schrankwand

Sie waren praktisch und suggerierten dank ihrer aufgelockerten Machart eine gewisse Eleganz und Lässigkeit. Ganz im Gegensatz zu Großmutters Buffet, das an Wuchtigkeit kaum zu überbieten war, hatte die Schrankwand etwas Filigranes, geradezu Freigeistiges: Einzurichten war sie ganz nach Belieben, nicht nur mit Büchern und Porzellan, sondern mit Dual-Plattenspieler, Bonbondose mit Korkdeckel und Kompaktkassettensammlung. Die altherrenhaften Asbach-Uralt-Schwenker konnte man hinter einer der hier und da locker integrierten Türen verschwinden lassen. Eine Ausgabe der EMMA hingegen machte sich modern auf der Freifläche, in der Nähe der Rattan-Obstschale, die gern mal mit neumodischen Angeboten wie Kiwis und Mangos bestückt war. Würfelförmige Kofferradios standen ebenso für die ultimative Befreiung vom Volksempfänger wie für den modischen Geist ihrer Besitzer und wurden auch gern als Stellhinchen eingesetzt.

Jugendzimmer

Die Jugendzimmer erbrachten gemeinhin den Beweis, dass es möglich war, ein komplettes Möbelstück aus Plastik herzustellen. Besonders hübsches Detail: das Vollplastikfurnier, nicht mal in Holzoptik, sondern in ehrlichem, purem Plastik, wahlweise in Rallye-Gelb, Kalahari-Beige, Indian-summer-Orange, Manila-Grün oder Senegal-Rot. Mit Kantenschutz aus weißem Plastik für Schrank, Bett, Schreibtisch und Allzweckkommode – und alles war irgendwie ineinander verschachtelbar oder aneinander verschraubbar, so hatten die windigen Stücke besseren Halt.

Teppichfliesen

Da es vornehmlich in Jugendzimmern auch auf dem Boden praktisch sein sollte, bekamen den Staubfänger Flokati nur die, die ihre Eltern mit viel Einsatz genervt haben; die anderen kriegten eine Komplettauslage mit Teppichfliesen (Fachausdruck: geschnittene Bahnenware) in Mausbraun, Steingrau, Olivgrün, Rostrot oder Granitblau. Die machten zwar Brandblasen beim Drüberrutschen und mit nacktem Bein hat niemand darauf sitzen können, weil’s viel zu kratzig war, aber sie waren sehr einfach zu reinigen und im Falle eines allzu hartnäckigen Flecks einzeln austauschbar. Aber Obacht: Mit diesen Quadraten aus Nadelfilz holte man sich kein ganz geringes Risiko ins Haus: Von den Schürfwunden einmal abgesehen, die sie bei unsachgemäßer Berührung hervorrufen konnten, neigten sie zum Schrumpfen (das sah mehr als bescheiden aus) und zum sogenannten »Schüsseln«: Die Kanten und Ränder bogen sich auf, bildeten also eine Schüssel, und das war die Stolperfalle par excellence.

Wasserbett

Sie gehörten zu den wichtigsten Symbolen der Befreiung aus Zwängen und Hemmungen, vielfach verkannt, verpönt, verlacht: Wasserbetten! Bislang hatten starre hölzerne und gusseiserne Gestelle die Last schwerfälliger Matratzen getragen. Schlafen musste der Mensch nun mal, da legte er sich drauf, ruhte und zeugte gelegentlich ein Kind. So weit, so unauffällig. Die Tür zum Schlafzimmer blieb penibel geschlossen. Das war kein Thema, kein Anschauungsobjekt. Da wurde dezent-gehemmt geschwiegen. Bis das Wasserbett den Fokus aufs Schlafen legte und von bis dato völlig ungeläufigen Dingen wie »Antischwerkraftwirkung«, »Schwebeschlaf«, »Wasserschlaf« und »Schlafen mit Niveau« die Rede war. Man fürchtete, dass die Einstiegswelle den Partner quasi aus dem Bett spült und dass eine undichte Naht einen schlimmeren Schaden verursacht als eine Springflut. Und man überwand seine Ängste, viele jedenfalls. Mitte der Siebziger hatte das Wasserbett seinen Siegeszug durch bundesdeutsche Schlafzimmer bereits mit Erfolg hinter sich.

Gardine mit Goldkante

Auf bodenlange Gardinen sollte ein gepflegter Haushalt nicht verzichten. Und eine Goldkante sollte der Fensterbehang schon haben, das hat Marianne Koch uns überzeugend nahegelegt. Drunter machten es nur Proleten. Der mit goldenem Garn angekettelte Bleibandabschluss ist bis heute ein Zeichen für Qualität und Langlebigkeit, und für Lichtechtheit, Formbeständigkeit und Pflegeleichtigkeit, jawohl. Wer Marianne Koch so reinen Herzens und guter Hoffnung und noch besserer Absicht hat sprechen hören und lächeln sehen: »Die mit der Goldkante« – so sanft, so wissend –, der musste ihr glauben; der bekam nicht nur eine hochwertige Gardine, nein, dem wurde verheißungsvoll in Aussicht gestellt, dass auch Sauberkeit, Behagen und Sicherheit fortan einen festen Platz in seinem Heim haben würden.

Gartenstühle mit Schnurbespannung

Sahen neu ganz geckig aus, waren aber eigentlich eine Unverschämtheit: Die PVC-Plastikschnüre schnitten in die Rückseite der Oberschenkel und derangierten die Kleidungsstoffe oder aber hinterließen ein unschönes Abdruckmuster auf der nackten Haut, das sich von weiß über dunkelrot zu rosa verfärbte und noch stundenlang zu sehen war. Nach drei sonnigen Tagen begann die Farbe der PVC-Schnüre auszubleichen und besonders an den Stellen, an denen sie um das Metallgestell des Stuhles gewickelt war, eine erbärmliche Pastellfärbung anzunehmen. Durch einen Wechsel aus Sonne und Regen mürbe geworden, begannen dann die ersten Schnüre zu reißen, was den Stuhlnutzer in einem Gefühl der Unsicherheit wiegte und vollends nach Hempels Terrasse aussah.

Makramee-Eule

Die Makramee-Eule hing überall. Weil aber auch jeder, der nicht selbst zur großen Siebzigerjahre-Blütezeit dieser Knüpftechnik (zu Zeiten der Kreuzritter war sie auch schon einmal sehr beliebt gewesen) beitrug, mindestens eine Schwester oder eine Mutter hatte, die ständig im Bastelshop neue Hanfknäuel in Erdtönen erstand, um daraus Eulen, Untersetzer oder Blumenampeln zu machen. Heijeijei, gut, dass Geschmack sich wandelt.

Klappzahlenwecker

Sie sahen aus wie wissenschaftliche Hilfsgeräte von Commander Spock und die ganze Nacht machte es in regelmäßigen Abständen »schrrpp, schrrpp, schrrpp«. Das Gerät war modisch gerundet und vornehmlich in quietschgelb oder -orange im Angebot. Unter www.klappzahlenwecker.de gibt es im Internet sogar ein Klappzahlenwecker-Museum, das die schönsten Modelle aus der Versenkung geholt hat. Je nach Güteklasse dauerte es zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, bis mehr Klappzahlen am Boden des Gehäuses lagen, als noch auf dem Drehrädchen saßen.

Haare gut, alles gut!

Haare und Frisuren

1971 musste der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt wirklich eingreifen. Die jungen Wehrpflichtigen, die beim Morgenappell in Deutschlands Kasernenhöfen antraten, sahen aus, als wäre ihnen zum Frühstück ein Schluck schnell wirkendes Haarwuchsmittel in den lauwarmen Pfefferminztee gekippt worden. Die Rekrutengesichter waren hinter zugezogenen Echthaargardinen verschwunden und die Barette thronten albern auf wild wuchernden Pilzköpfen. Schmidt zeigte sich seinen modebewussten Soldaten gegenüber jedoch tolerant. Er bestellte kurzerhand 750 000 Haarnetze und niemand musste gezwungen werden, sich von seiner individuellen Langhaarfrisur zu trennen. Denn wichtiger, so Schmidts Meinung, sei schließlich, was unter der Mähne stecke. Die olivgrünen »Zwiebelsäcke«, wie die formschönen Netzhauben schnell unter den Soldaten hießen, mussten von da an von Langhaarträgern beim Umgang mit Waffen und Gerät und im »Feld« getragen werden. Auf den Spott aus dem Ausland musste man – wen wundert’s – nicht lange warten. Schnell wurde die deutsche Luftwaffe als »German Hairforce« verballhornt und der Haarnetzerlass, bereits ein Jahr nach seiner Einführung, schnell wieder aufgehoben. Bis heute darf männliches Kopfhaar weder die Uniform noch den Hemdkragen berühren, um das Ansehen des deutschen Militärs nicht zu gefährden. Die offizielle Begründung damals war allerdings, dass die mangelnde Belüftung unter den Haarnetzen bei langen Haaren schnelle Verfettung, Infektionen und Parasitenbefall fördere. Wenn man sich heute Bilder von Fußballprofis aus dieser Zeit ansieht, drängen sich tatsächlich schnell Assoziationen von Brutstättenparadiesen und Gelegenestern auf. Paul Breitners Afrowollmütze hätte sogar mehreren Kleinsäugerfamilien Lebensraum bieten können. Auch Günter Netzers Glatthaarhelm (»Netzteil«) stand dem in nichts nach. Die Haare wuchsen überall, auch im Gesicht. Wenn nicht als Vollbart (Gesichtshecke), dann zumindest als eindrückliche Schläfentapeten (Koteletten). Rudimentäres Imponierfell ließ (zumindest Fußballer) männlich, wild und unzähmbar erscheinen. Der Erfolg gab den Weltmeistern von 1974 recht – oder waren die Endspielgegner aus den Niederlanden damals aus anderen Gründen unkonzentriert? Aus den knappen Trikothöschen der deutschen Elf schoben sich muskulöse Fußballerbeine, die wie in Schamhaarleggings steckten, während die Spieler animalisch durch die Arena trabten. Das Brusthaar quoll nicht nur bei den Profisportlern aus den Hemden, auch Schlagersänger präsentierten stolz ihre Dekolleté-Flokatis aus bewusst tief ausgeschnittenen Polyester-Glitzerblüschen. Nach der renitenten Wildwuchsphase, die in den Sechzigern bestimmt so manchen Friseursalon in den Konkurs getrieben hat, wurde irgendwann das lang gezüchtete Fell gepflegt, gebürstet, gegelt, gewässert, gekräuselt und geföhnt! Frauen, die eben noch überzeugt Kommunen- und Studentenprotestfrisuren getragen hatten, saßen nun stundenlang unter Trockenhauben, bis die Ohren rot glühten. Showgrößen wie ABBA und The Sweet setzten da, sowohl für Frauen als auch für Männer, ganz neue Trends. Die Dauerwelle für Männer wurde salonfähig. Lange lockige Mähnen hingen wie Cockerspanielohren an den prominentesten Köpfen. Wer dem Frontmann von Boney M., Bobby Farrell, nacheiferte, ließ sich sogar eine Miniplikrause legen. Das große Vorbild für die perfekte Föhnfrisur war allerdings Farrah Fawcett (Jill Munroe, eine der heißen Polizistinnen in der Vorabendserie Drei Engel für Charlie