Alfried Längle

Existenzanalyse

Existentielle Zugänge der Psychotherapie

Alfried Längle

Existenzanalyse

Existentielle Zugänge der Psychotherapie

Geleitwort

Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen aufgrund einer weitgehend als unfassbar erlebten Komplexität gesellschaftlicher Prozesse – in industriellen, ökonomischen, Informations-, religiösen, machtpolitischen, bürokratischen und anderen Bereichen – darum ringen, die „Welt“ auf eine für sie überschaubare Ordnung zu reduzieren. Dabei gerät aber allzu oft Essenzielles aus dem Fokus. Bereits vor Jahrzehnten hat Viktor Frankl den globalen Verfall sinn- und wertgeleiteter Orientierung mit den Worten beschrieben: „Im Gegensatz zum Tier sagt dem Menschen kein Instinkt, was er muss, und im Gegensatz zum Menschen in früheren Zeiten sagt ihm keine Tradition mehr, was er soll – und nun scheint er nicht mehr recht zu wissen, was er eigentlich will“ (Frankl, 1981, S. 24).

Eine Orientierung am Wesentlichen scheint mir nun, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, noch weit schwieriger geworden zu sein. Denn die eben angedeutete erhebliche Zunahme von Komplexität mit den ökonomischen Auswirkungen der Globalisierung und der kognitiven Zerfaserung in „sozialen Netzwerken“ nimmt Menschen zunehmend die Erfahrung, mit dem, was sie tun, auch etwas Sinnvolles und Wertvolles bewirken zu können. Im Gegenteil: Zwischen dem Einwirken in komplexe Netze und einer erkennbaren Reaktion als „Antwort“ wird nur noch selten ein Zusammenhang erfahren – eine Konstellation, die Martin Seligman als „erlernte Hilflosigkeit“ beschrieben hat. Menschen sollen zudem allzu oft primär nur noch funktionieren – preiswert und reibungslos: Eine eigene Stellungnahme, die sinnvolle Entfaltung mit dem so eingepassten Tun, ist kaum gefragt oder wird sogar eher als störend gebrandmarkt.

Von dieser Entwicklung ist auch die Psychotherapie in zweierlei Hinsicht betroffen: Zum einen muss sie sich mit den in diesem Klima wuchernden Symptomen auseinandersetzen. Fraglos gab es immer schon eine Vielfalt ungünstiger Bedingungen und entsprechende pathologische (d. h. leidvolle) Entwicklungen; aber manche heutige Formen und Dynamiken von Depression, Burn-out, Anpassungsstörungen oder Ängsten haben zunehmend mit diesen skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun. Zum anderen aber ist auch die Ausübung von Psychotherapie den Kräften unterworfen, welche aus einer globalisierten und ökonomisierten Welt erwachsen sind: Auch im Bereich von Medizin und Psychotherapie wird alles nur noch mit der Elle kurzfristig kalkulierbarer ökonomischer Effizienz gemessen. Und der Drang nach möglichst einfachen Antworten hat inzwischen auch die administrativen und bürokratischen Einrichtungen durchdrungen, die die Psychotherapie und ihre Rahmenbedingungen verwalten, strukturieren und bestimmen.

Ist diese Sehnsucht nach Reduktion und Simplifizierung der Welt in der Bevölkerung quasi als Coping-Reaktion auf die herausfordernde Komplexität noch allzu verständlich, so hat dies für professionelle Therapie problematische Auswirkungen. Eine Maßnahme, die nachweisbar in wenigen Sitzungen zunächst ein bestimmtes Ziel erreicht – etwa die Arbeitsfähigkeit eines Menschen wiederherzustellen –, erscheint aus der Perspektive dieses Zeitgeistes fraglos effizienter als andere Vorgehensweisen, die mehr Sitzungen benötigen würden, um damit dann ggf. Ziele zu erreichen, die sich einfacher Operationalisierbarkeit dadurch entziehen, dass sie nachhaltiger angelegt und daher mit den komplexen weiteren Lebensgeschehnissen verwoben sind. Es ist daher nur allzu verlockend, dem komplexen und schwierigen Diskurs über die Frage, was der Gesundung von kranken Menschen dient, auszuweichen und sich an leicht und kurzfristig beurteilbare „Fortschritte“ zu halten. Psychotherapie wird dann mittels eines stark reduzierten Messsystems erfasst, abgebildet und hinsichtlich ihrer Effizienz beurteilt.

Für eine solche Beurteilung scheinen Forschungsdesigns, die dem „Goldstandard“ der „randomized controlled trials“ (RCT) genügen, der Königsweg zu sein: Unter sauberen Laborbedingungen lässt sich damit nämlich experimentell prüfen, ob klar definierbare Ursachen ebenso klar definierbare Wirkungen haben und bei der Bekämpfung klar definierbarer Störungen messbare Erfolge erbringen. „Objektiv“ erfasste Befunde lassen sich so zu „wissenschaftlich“ berechneten Zahlen verdichten. Eine solche Sicht suggeriert, dass man auf langwierige Diskurse über die „Wirksamkeit“ von Psychotherapie verzichten könne. Statt sich mit der Pluralität von Lebensvorstellungen und Menschenbildern auseinanderzusetzen, die letztlich für die Beurteilung von Relevanz und Qualität einzelner Psychotherapieverfahren wesentlich sind, muss man nur noch auf „Fakten“ und „Ergebniszahlen“ verweisen. Und die Auswahl dessen, was Therapeuten lernen sollen und tun dürfen, lässt sich mit einem solchen Ansatz wissenschaftlich korrekt berechnen.

Dass auf einem solchen Weg bevorzugt – um nicht zu sagen: überwiegend – solche therapeutischen Ansätze als „wirksam“ erscheinen, die in ihrer klinischen Vorgehensweise diesem methodischen Forschungsmuster folgen (oder sich ihm zumindest für die Beurteilung unterwerfen), liegt auf der Hand. Durch die Brille und mit dem Werkzeug einer bestimmten Forschungsmethodologie lässt sich die Überlegenheit der so gemessenen Effizienz in der Anwendung operationalisierbarer, manualisierter Therapieprogramme unter Laborbedingungen fraglos wissenschaftlich nachweisen.

Aber Psychotherapie findet in der Praxis nicht unter Laborbedingungen statt. Und das Leben der Patienten lässt sich noch viel weniger aus einem so eingeengten Blickwinkel angemessen erfassen. Schon vom Zeit- und Entwicklungshorizont her kann man dem oben skizzierten RCT-Ansatz kritisch entgegenhalten, dass sich ein menschliches Leben über größere Zeiträume erstreckt, als dies in üblichen Katamnesestudien abgebildet wird – ja, es ist sogar bedeutend länger als die in der Arbeitswelt zugebrachten Jahre. Für solche Zeitrahmen gibt es praktisch keine Studien, die brauchbare wissenschaftliche Aussagen über die langfristige Wirksamkeit eines Psychotherapieverfahrens zulassen. Und wir wissen noch weniger darüber, welche Verfahren im Hinblick auf den gesamten Lebenslauf wirklich am effektivsten sind – ja, wir hätten nicht einmal seriöse Designs, um einen so isolierten Aspekt wie die Wirksamkeit einer durchgeführten Psychotherapie aus der Komplexität der Lebensdynamik und der Vielfalt der Einflüsse herausschälen zu können.

Anders als unter einer experimentell-wissenschaftlichen, darf unter einer psychotherapeutischen Perspektive aber noch viel grundsätzlicher problematisiert werden, ob wir menschliches Leben überhaupt „erfassen“ wollen, d. h. ob eine „erfassende“ Haltung und Vorgehensweise wirklich die einzige oder adäquateste oder hilfreichste ist, mit der Psychotherapeuten die Begegnung mit ihren Patienten gestalten. Oder aber, ob die Entwicklung des Menschen – auch die Entwicklung hin zur Gesundung und Transformation von leidvollen Er-Lebensmustern – nicht genauso gut oder gar besser in einer Förderung der Antwortmöglichkeiten auf die allgemeinen und je spezifischen Fragen des Lebens bestehen könnte – einschließlich einer verantworteten Stellungnahme hierzu. Und ob es nicht anthropologisch begründete Grundmotivationen im Leben des Menschen gibt, die es für einen solchen Heilungsweg erfordern, dass sich der Mensch mit seiner Weise, „in der Welt zu sein“, auseinandersetzt. Bei einer solchen Auseinandersetzung steht dann nicht nur die Erwägung von Prinzipien und Erkenntnissen aus dem (ggf. über viele Generationen gewonnenen) Erfahrungsschatz anderer Menschen in unserer Kultur im Zentrum. Vielmehr geht es um eine Begegnung von Person zu Person, in welcher die wesentlichen eigenen Potenziale und aktualisierten Gewordenheiten erfahren und stimmig dazu zur Sprache gebracht werden können.

Wenn man solchen Fragen nachgeht, kommt man auch zu anderen Antworten und Betrachtungsweisen dessen, was für die Psychotherapie bedeutsam ist, als wenn man sich primär an einer Laborwirksamkeit bestimmter Vorgehensweisen orientiert. Und hier setzt das vorliegende Werk von Alfried Längle an: In dem Spektrum psychotherapeutisch hilfreicher Ansätze mit ihren je spezifischen Verstehens- und Vorgehensweisen zeigt er einen an existentiellen Fragen ausgerichteten Zugang zur Psychotherapie auf: die Existenzanalyse.

Wie Längle in dem Buch deutlich herausarbeitet, hat für einen solchen existentiellen Zugang zur Psychotherapie Viktor Frankl ganz besonders essenzielle, begründende Beiträge geleistet. Jedoch haben wir es Längle zu verdanken, auf diesem Boden stehend die Existenzanalyse nicht zuletzt durch die Erweiterung und Ausdifferenzierung um die Aspekte seiner „Personalen Existenzanalyse“ zu einer Psychotherapierichtung entwickelt zu haben, die international große Beachtung gefunden hat. Wie für heutige Psychotherapieansätze typisch, kann die Existenzanalyse dabei einerseits als eigenständiger Ansatz betrachtet werden, der zudem andere Ansätze zunehmend beeinflusst und angeregt hat. Andererseits lässt sie sich unter der Fragestellung der Zuordnung zu den großen psychotherapeutischen Grundorientierungen, die in machen Diskursen eine wichtige Rolle spielen, eher dem Spektrum der humanistischen Psychotherapieansätze zurechnen. Wobei auch dies wiederum eher eine akademische Frage ist, als dass damit dem Anliegen von Therapeuten oder Patienten irgendwie Rechnung getragen würde.

Entstanden ist dieses Buch aus der Umstrukturierung und Erweiterung eines Buchteils, in dem vor knapp einem Jahrzehnt Alfried Längle eine systematische Darstellung seiner „Existenzanalyse“ vorgetragen hat (Längle/Kunz 2008). Dies nun in überarbeiteter Form als eigenständiges Werk zu publizieren, kommt dem Wunsch vieler Studierenden und Fachkollegen entgegen, sich aktualisiert speziell mit diesem Ansatz auseinandersetzen zu können. Denn gerade unter Psychotherapeuten wächst die Kritik an der oben skizzierten Dominanz einer rein an der Forschungslogik von RCT-Studien orientierten Psychotherapie – bei aller Wertschätzung der gerade unter restringierten Bedingungen erfolgreichen Anwendung solcher Programme, sofern und soweit der damit verbundene Anspruch maßvoll und nicht mit Alleinvertretungsrhetorik vorgetragen wird. In der psychosozialen Profession wächst der Wunsch, dem Bedürfnis vieler Patienten nachzukommen, ihnen bei der Erhellung der existentiellen Herausforderungen ihres Lebens fundierte Hilfe anbieten zu können.

Die in diesem Band vorgetragene phänomenologische Betrachtungsweise und die daraus resultierenden Vorgehensweisen der Existenzanalyse laden dazu ein, den Blick auf den Menschen mit seinen Potenzialen und seinem Leiden nicht generalisiert, sondern individualisiert zu richten und dabei das je Einmalige, Persönliche und Einzigartige zu betonen. Diese verstärkte Anwendung der Phänomenologie kennzeichnet auch die Weiterentwicklung der Existenzanalyse von Längle und eine Weiterführung des ursprünglichen Ansatzes von Frankl.

Eine Einführung in die Grundfragen und Vorgehensweisen der Existenzanalyse wird mit diesem Werk von Alfried Längle geboten und ermöglicht Interessierten eine Auseinandersetzung mit solchen grundlegenden Fragen des Menschen. Schon aus diesem Grunde – und zur Korrektur gegenwärtiger Fehlentwicklungen in unserer Profession – wünsche ich dem Buch eine weite Verbreitung und die Anregung zu intensiven Diskursen über das Spektrum und die Voraussetzungen psychotherapeutischer Tätigkeit.

Osnabrück, September 2015

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Kriz

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

A    Warum Existenzanalyse (EA)?

1    Was ist Existenzanalyse?

2    Entstehungsgeschichte der EA

3    Heutige Entwicklung der EA

4    Existenzanalyse und die Hauptströmungen der Psychotherapie

5    Existenzanalyse – eine existentielle Psychotherapie

6    Forschung und Evaluation

B    Existenzanalyse als Frage an das eigene Dasein – eine Einführung in    die Grundlagen

Teil I: Die Grundhaltung für erfüllende Existenz: die phänomenologische Offenheit

1    Dasein in dieser Welt – eine existentielle Herausforderung

2    Die Suche nach dem Zugang zum Sein in der Welt

3    Warum Phänomenologie? – Zur Begründung der Methodik

4    Die Dynamik des „Geworfenseins“ – oder warum Dasein auch „Aufgabe“ ist

5    Personsein in der Welt: die „doppelte Realität“ des Menschen

6    Die dialogische Veranlagung des Menschen

7    Menschsein heißt infrage stehen

Teil II: Der existentielle Schritt: leben mit innerer Zustimmung

1    Leben ist Antwort geben

2    Antwort geben erschließt die Existenz

3    Zustimmung – die Basis aller Antwort

4    Zustimmung verschafft Präsenz

Teil III: Existenzanalytische Selbstreflexion: sich als gefragt erleben

1    Existentielle Selbstverwirklichung

2    Die Fragen, in denen der Mensch steht

2.1    Meine Welt

2.2    Mein Leben

2.3    Mein Selbst

2.4    Mein Sinn

3    Spur zum Lebenssinn

C    Existenzanalyse als Methode – Verständnis und Zugang zum Menschsein

1    Das traditionelle Menschenbild der EA im Spannungsfeld der Existenz

1.1    Das dreidimensionale Menschenbild nach Frankl

1.2    Die anthropologischen Aufgaben der Existenz

2    Die Struktur und Dynamik der Existenz

3    Die existentiellen Grundmotivationen (GM) im Überblick

4    Die erste Grundmotivation – Dasein-Können als Grundbedingung der Existenz

4.1    Was steht infrage?

4.2    Was ist zu tun?

4.3    Die Voraussetzungen für das Dasein

4.4    Der Grund des Seins

4.5    Der Umgang mit dem Sein

5    Die zweite Grundmotivation – Leben-Mögen als Beziehungsfrage der Existenz

5.1    Was steht infrage?

5.2    Was ist zu tun?

5.3    Die Voraussetzungen, um Leben zu mögen

5.4    Der Grund des Lebensgefühls

5.5    Der Umgang mit dem Leben

6    Die dritte Grundmotivation – Selbst-sein-Dürfen als Frage nach der Person in der Existenz

6.1    Was steht infrage?

6.2    Was ist zu tun?

6.3    Die Voraussetzungen, um „sich selbst sein zu können und zu dürfen“

6.4    Der Grund des Selbstseins

6.5    Der Umgang mit dem Selbstsein

7    Die vierte Grundmotivation – das Handeln-Sollen als Vollzug der Existenz

7.1    Was steht infrage?

7.2    Was ist zu tun?

7.3    Die Voraussetzungen, um sinnvoll handeln zu können

7.4    Der Grund des Sinns

7.5    Der Umgang mit dem Sinn

8    Das Prozessmodell der EA – die Personale Existenzanalyse (PEA) …. 124

9    Die phänomenologische Haltung

10  Die Psychodynamik

D    Existenzanalyse als Therapie

1    Existentielles Verständnis von psychischer Störung bzw. Krankheit

2    Diagnostik

3    Einteilung der psychischen Störungen bzw. Krankheiten nach Schweregrad

4    Wirkung existenzanalytischer Psychotherapie

5    Verhältnis von unspezifischer zu spezifischer Therapie

6    Therapieerfolg aus der Sicht der Existenzanalyse

7    Therapeutische Beziehung und Begegnung

8    Existenzanalytische Tests

8.1    Existenzskala (ESK)

8.2    Test zur existentiellen Motivation (TEM)

8.3    Existentielle Lebensqualität (ELQ)

E    Die behinderte Existenz – Verständnis und Behandlung psychischer Störungen

1    Angststörungen

1.1    Angst und Phobie

1.2    Panik

1.3    Zwang

2    Depression

3    Hysterie

4    Kontextstörungen

4.1    Sucht

4.2    Suizidalität

4.3    Sexualstörungen

4.4    Beziehungsstörungen

5    Persönlichkeitsstörungen

6    Psychosomatik

7    Psychosen

8    Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

F    Existenzanalytische Behandlungsmethoden

1    Umgang mit Aggression

2    Biografische Methode

3    Dereflexion

4    Einstellungsänderung

5    Existentielle Wende

6    Paradoxe Intention

7    Personale Existenzanalyse (PEA)

8    Personale Positionsfindung (PP)

9    Phänomenologische Dialogübung („Sesselmethode“)    

10  Perspektiven-Shifting

11  Sinnerfassungsmethode (SEM)

12  Willensstärkungsmethode (WSM)

13  Trauerbegleitung

14  Psychologische Schuldbearbeitung

15  Verzeihen

16  Bereuen

G   Organisatorisches

1    Die Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse

2    Andere Vereinigungen

3    Die Ausbildung in Existenzanalyse (GLE-International)

4    Nützliche Adressen

5    Literaturempfehlung

Verwendete Literatur

Stichwortregister

Namensregister

Vorwort

Humanistische Psychotherapien haben ihren Namen deshalb, weil sie sich in ihrer Arbeit auf das spezifisch Menschliche im Menschen beziehen und das, was den Menschen ausmacht, stets im Blick zu behalten versuchen. Diese Therapieformen setzen daher an den Fähigkeiten der Person an und arbeiten vor allem mit deren personalen Ressourcen.

Existenzanalyse stellt in diesem Rahmen eine Akzentuierung des existentiellen Zugangs zum Menschen dar. Als existentielle Vorgangsweise wird primär die Freiheit des Menschen fokussiert. Das läuft in der konkreten Arbeit darauf hinaus, ihn in seiner inneren Zustimmung zu seinem Handeln zu unterstützen. Über diesen Weg werden die wichtigen Inhalte der humanistischen Psychotherapie – wie Verantwortung, Beziehung und Kongruenz, Selbstentfaltung und Sinn, Dialog und Begegnung – aktiviert.

Dieses Buch gibt Einblick in den Aufbau und die Arbeitsweise der existentiellen Psychotherapie. Existenzanalyse hat ihren Ursprung in der Logotherapie Viktor Frankls. Die Weiterentwicklung, die in den letzten 35 Jahren stattgefunden hat, geht aber über das ursprüngliche logotherapeutische Konzept, das auf der Sinn-Orientierung aufgebaut war, hinaus und stellt es auf eine breitere Basis. Dies erweiterte das Verständnis der Existenz, und es veränderte das Menschenbild und die praktische Vorgangsweise so grundlegend, dass man in der modernen Existenzanalyse von einem neuen Paradigma sprechen kann. Die Entwicklung umfasst v. a. die phänomenologische Fundierung der Arbeits- und Forschungsweise, aber auch den expliziten Einbezug der Psychodynamik und verstärkt auch des Körpers sowie die Entwicklung zahlreicher Methoden. Das auffallendste Merkmal der modernen Existenzanalyse sind das Strukturmodell mit den vier personal-existentiellen Grundmotivationen sowie das phänomenologisch begründete Prozessmodell, die Personale Existenzanalyse.

Das vorliegende Buch stellt in dieser erweiterten und überarbeiteten Fassung ein aktuelles Standardwerk der modernen Existenzanalyse dar. Die Existenzanalyse, die hier vertreten wird und in der Internationalen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (Wien) organisatorisch beheimatet ist, ist national und international bereits so weit verbreitet, dass sie im Rahmen der existentiellen Psychotherapien weltweit die größte Gruppierung darstellt.

Mit diesem Buch ist der Wunsch verbunden, dass diese phänomenologische Sichtweise des Menschen und des Umgangs mit dem Menschen weiteren Raum in der Psychotherapie und Beratung gewinnt. Es geht dabei nicht um eine Ideologie, sondern ein Verständnis des Menschen, das in seiner Offenheit des Sehens aus dem Menschen selbst gewonnen wurde und dem Menschen als Person in seiner Eigenständigkeit und Würde den größtmöglichen Raum zu geben versucht

Wien, im November 2015

Alfried Längle