Über Paul Theroux

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Paul Theroux, geboren 1941 in Medford, Massachusetts/USA, ist mit mehr als dreißig veröffentlichten Büchern einer der weltweit populärsten Gegenwartsautoren. Weltruhm erlangte er vor allem als Reiseschriftsteller. Daneben verfasste er autobiographisch beeinflusste Romane. Theroux ist seit 2013 Mitglied der American Academy of Science and Arts. Er lebt mit seiner Familie auf Hawaii und auf Cape Cod.

1 Paradise Lost

Ich kenne nichts Erotischeres als Hotelzimmer – Räume der Liebe und des Todes. Buddy Hamstra bot mir einen Hoteljob in Honolulu an und lachte, weil ich ihn so schnell annahm. Ich wollte ein neues Leben beginnen, wie es häufig der Fall ist, wenn jemand an einen fernen Ort flieht. Hawaii war ein Paradies mit viel Verkehr. Im Hotel lernte ich Sweetie kennen, die ebenfalls dort arbeitete. Als wir eines Tages allein im vierten Stock waren, fragte ich, ob sie mit mir schlafen wolle, und sie antwortete: »Ein Teil von mir sehr gern.« Was ist daran komisch? Also haben wir es getan, dann immer öfter und immer im selben, leerstehenden Zimmer 409. Sweetie wurde schwanger, und unsere Tochter kam zur Welt. Da hatte ich also, ein Jahr nach meiner Ankunft, mein neues Leben und fand – wie jener Schriftsteller nach seinem »Knacks« sagte – neue Dinge, um die ich mich kümmern musste. Ich leitete das Hotel Honolulu, achtzig von Ratten angenagte Zimmer.

Buddy, der Hotelbesitzer, sagte: »Wir sind mehrgeschossig.«

Mir gefiel das Wort. Wenn er es sagte, klang es wie eine Bonusleistung.

Die Zimmer waren klein, der Aufzug war schmal, die Lobby winzig und die Bar kaum mehr als ein Verschlag.

»Nicht klein«, meinte Buddy. »Europäisch.«

Wieder einmal war ich ganz unten angekommen, ich war am Ende. Ich hatte eine Schreibblockade, empfand alles als sinnlos. Auf diesen abgeschiedenen grünen Inseln wollte ich mit neunundvierzig versuchen, noch einmal ganz von vorne anzufangen. Ein Freund von mir verwies mich an Buddy Hamstra, und ich bewarb mich um den Posten. Mir ging es nicht um die Sache, sondern um das Einkommen. Ich brauchte einen Job.

»Mein Geschäftsführer ist ein typischer haole – ein bisschen zurückgeblieben«, erklärte Buddy. »Säuft und schnüffelt in den Zimmern der Gäste rum.«

»Das ist nicht gut«, erwiderte ich.

»Und diese Woche ist er endgültig über seinen Schwanz gestolpert.«

»Überhaupt nicht gut.«

»Der Mann braucht dringend eine Therapie«, sagte Buddy. »Schleppt einen ziemlichen Haufen Probleme mit sich rum.«

»Vielleicht gefällt ihm gerade das an einem Hotel – dass er seine Probleme hier abladen kann.«

Buddy sog Spucke durch seine Zähne. »Nett gesagt.«

Die Idee, Zimmer zu vermieten, reizte mich. Wildfremde Menschen, jedes Zimmer erfüllt von ihren Geheimnissen, wie wirbelnder Staub, der in der Sonne tanzt, ihr Schwitzen bei Nacht, das stammelnde Echo ihrer Stimmen und erotischen Phantasien, zweideutige Gerüche, die zurückgelassenen Atome und Partikel all der Menschen, die jemals darin gewohnt hatten. Ein Hotelzimmer ist mehr als ein Symbol der Intimität, es ist der Altar der Intimität, auf dem die Utensilien und vertrauten Fetischobjekte ihrer Rituale zurückbleiben. Wenn ich den Leuten solche Zimmer zuweisen konnte, konnte ich auch ihr Leben beeinflussen, davon war ich fest überzeugt.

Buddy Hamstra war ein großer Mann mit Triefaugen und Shorts, die unter seinem Bauch hingen, ein kurzatmiger Raucher und schwerer Trinker. Sein Spitzname war »Thunfisch«. Er war der Albtraum eines jeden zartfühlenden Menschen, ein Millionär mit dem Ethos eines skrupellosen Ganoven und mit einem bellenden Lachen. Er sagte gerne: »Ich bin nun mal ein Hurensohn.« Er kam vom Festland – aus Sweetwater, Nevada. Aber er gab sich gern vulgärer, als er war. Er hatte diesen verschlagenen Blick, der von einem wachen Verstand zeugte.

»Was ist Ihr Laster, Alkohol oder Gras?«

Wir hatten uns in seiner Hotelbar getroffen. Er hielt einen Cocktail in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand.

»Meine Killerkumpel«, pflegte er zu sagen.

»Ein Bier für mich.«

Wir unterhielten uns über dies und das, über seine Tätowierungen, eine bevorstehende Sonnenfinsternis, die Benzinpreise und woher das Gras stammte, das er rauchte. Aber dann kam er unvermittelt zum Geschäftlichen und fragte: »Haben Sie Hotelerfahrung?«

»Ich habe in vielen Hotels gewohnt.«

Er lachte sein bellendes Lachen. Als ihm die Puste ausging, fiel seine Unterlippe herunter, und er stieß keuchend blauen Rauch aus. Schließlich erholte er sich und sagte: »Hey, ich kenne viele Arschlöcher, aber deswegen bin ich noch lange kein Proktologe.«

Ich gab beschämt zu, dass ich keine Erfahrung mit der Leitung eines Hotels hatte, dass ich Schriftsteller war – ein Schriftsteller gewesen war. Ich hatte Unternehmen bislang nur im Kopf geleitet. Ich nannte ein paar Titel meiner Bücher, weil er danach fragte, aber er kannte keins. Das war mir nur recht. Ich wollte keine Vergangenheit haben.

»Sie können vermutlich gut Namen erfinden«, meinte er. »Als Schriftsteller.«

»Ja, das gehört zu meinem Job.«

»Ist auch im Hotelgewerbe wichtig. Man muss dem Restaurant, der Lounge, dem Festsaal einen Namen geben. Und der Bar.«

Als er die Bar erwähnte, blickte ich auf und stellte fest, dass wir in »Momi’s Paradise Lounge« saßen.

Buddy nahm einen Schluck, behielt die Flüssigkeit eine Weile im Mund und schluckte dann stirnrunzelnd hinunter. »Mein Geschäftsführer ist wirklich ein kompletter Idiot. Und gefährlich.«

»Wieso gefährlich?«

»Hat sich mit einem Gast gestritten. Der Gast stürmt raus, und als er wiederkommt, stellt er fest, dass der Geschäftsführer das Zimmer zugemauert hat, sodass er nicht mehr reinkann. Seine Begründung war, dass das Zimmer vielleicht dem Gast gehört, aber die Türschwelle gehört dem Hotel.«

Ich versuchte mir vorzustellen, wie der Gast die Tür aufriss und vor einer Wand stand, wo eigentlich eine Öffnung sein sollte.

»Bei einem anderen Gast – der Typ war allerdings wirklich ein Arschloch – bei dem hat er einen Goldfisch in den Spülkasten gesetzt, damit er das Klo nicht benutzen konnte, aber der Gast hat den Fisch einfach runtergespült. Zur Strafe hat der Geschäftsführer das Badezimmer komplett mit Industrieschaum gefüllt.« Nachdenklich trank Buddy einen Schluck. »Jemand hat ihn gefragt: ›Was hast du eigentlich für ein Problem?‹ Darauf er: ›Wichsen reduziert den IQ, schon gewusst? Mann, ich hätte ein Genie sein können!‹«

In diesem Moment klingelte Buddys Handy. Er ging dran, wobei er mir seine Visitenkarte reichte und mir zuflüsterte, ich solle am nächsten Tag in seinem Haus an der Nordküste vorbeikommen. Dann brüllte er ins Telefon. Als ich hörte, wie er herumbellte, wurde mir klar, wie höflich er zu mir gewesen war.

 

Als ich am nächsten Tag zu ihm kam, starrte Buddy auf einen Fernseher. Er lag reglos auf dem Rücken und wirkte so nur noch bedrohlicher. Er schaukelte in einer Hängematte auf der Veranda seines Hauses, eines großen quadratischen Gebäudes mit Veranden, die wie aufgezogene Schreibtischschubladen aussahen. Das Haus stand unter raschelnden Palmen direkt am Sunset Beach. Bei dem Tosen der Brandung war vom Ton des Fernsehprogramms, das er sich anschaute, nicht viel zu hören, und die Frauen in Badeanzügen auf dem Bildschirm waren nicht halb so attraktiv wie die Frauen am Strand.

»Dieser lolo Geschäftsführer …« fuhr er unvermittelt da fort, wo wir gestern aufgehört hatten. Er verdrehte die Augen. »Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel. Er sieht einen hübschen weiblichen Gast und stellt sich vor. Er begleitet sie auf ihr Zimmer, sie bewundern die Aussicht von ihrem lanai, und dann sagt er: ›Entschuldigen Sie bitte‹, geht auf ihre Toilette und pinkelt geräuschvoll.« Missbilligend schüttelte Buddy den Kopf. »Die Frau ist so fassungslos, dass sie auszieht.«

Während ich ihm zuhörte, beobachtete ich eine Ratte, die am untersten Brett von Buddys großem Haus entlanghuschte.

»Er hat einen professionellen Massagetisch in einem der Zimmer und bietet den Frauen Massagen an. Ab und zu geht er ein bisschen zu weit. Manchen gefällt es, manchen nicht. Es hat Beschwerden gegeben.«

»Ist er denn ausgebildeter Masseur?«

»Er ist ein Casanova mit drei Eiern. Wie gesagt, er ist über seinen Schwanz gestolpert.«

Ich musste unwillkürlich lachen, und Buddy stimmte mit seinem Bellen ein. Bei unserem zweiten Treffen kam er mir noch durchtriebener vor. Sein Spitzname fiel mir ein, als ich ihn in seiner Hängematte schaukeln sah wie ein großer Fisch im Netz. Er presste ein Glas Wodka an die mächtige Wölbung seines Bauches und listete die Fehltritte des Geschäftsführers auf. Der Mann trank und benahm sich ständig daneben. Er griff in die Registrierkasse. Er beleidigte Gäste und benutzte unflätige Ausdrücke. Man hatte ihn schlafend in seinem Büro gefunden. Er hatte eine Schwäche dafür, Gästen, die ihm einen Gefallen getan hatten, Rabatt zu gewähren, deshalb gab es einige Dauerbewohner im Hotel, die man nicht loswurde. Er machte sich einen Spaß daraus, Leuten falsche Wegbeschreibungen zu geben, und rieb sich genüsslich die Hände, wenn sie sich komplett verliefen.

»Diese Woche hat er schon wieder Mist gebaut«, sagte Buddy. »Er hat mit einem weiblichen Gast ein bisschen geflirtet. Sie ist attraktiv, aber sie ist verheiratet – sie macht mit ihrem Mann hier Ferien. Nachdem dieser Nichtsnutz mit ihr geschlafen hatte, fiel sie in Ohnmacht, und er hatte nichts Besseres zu tun, als ihr die Schamhaare abzurasieren. Das musste sie ihrem Ehemann erst mal erklären!« Buddy kicherte und warf mir einen finsteren Blick zu. »Wie finden Sie das?«

Mir liefen vor Lachen die Tränen über die Wangen, und ich konnte nichts sagen. Aber es war mir auch ein wenig peinlich. In der Welt, aus der ich kam, taten die Leute so etwas nicht.

Buddy meinte trocken: »Das Lachen sagt viel über einen Menschen aus.«

Verlegen erwiderte ich: »Den Erzählungen nach scheint er eine ziemlich schillernde Persönlichkeit zu sein, aber ich weiß nicht, ob ich ihn gerne als Geschäftsführer hätte.«

»Sie haben doch gesagt, Schriftsteller könnten sich gut Namen ausdenken«, sagte Buddy. »Wir brauchen einen neuen Namen für die Bar.«

»›Momi’s Paradise Lounge‹ ist doch nicht schlecht.«

»Nein, aber Momi ist meine Ex-Frau. Sie hat früher hinter der Bar gestanden. Wir haben uns kürzlich scheiden lassen. Meine neue wahine, Stella, sie hasst den Namen. Also?«

Er richtete sich in der Hängematte auf. Ich versuchte, mich zu konzentrieren – was bei dem Fernseher, den rollenden Wellen, den Frauen, die im Bikini am Strand lagen, und der herumhuschenden Ratte nicht ganz leicht war.

»Wie wäre es mit ›Paradise Lost‹?«

Buddy schwieg. Er wurde ganz still, aber in seinem Kopf arbeitete es. Schließlich hörte ich ein dumpfes Brummen, wie das Rumpeln eines fernen Motors. Später gewöhnte ich mich daran, dass dies seine Art war, angestrengt nachzudenken. Sein Hirn ratterte wie eine alte Maschine, bis das murmelnde Ergebnis seiner Denkarbeit aus seinem Mund drang. Schließlich flüsterte er: »Das ist der Name von … von was? Einem Lied? Einer Geschichte?«

»Von einem Gedicht.«

»Von einem Gedicht. Das gefällt mir.«

Und damit entspannte er sich. Ich konnte förmlich hören, wie der Mechanismus hinter seiner feuchten Stirn zum Stillstand kam.

»Sie machen das schon.«

Also hatte ich den Job. Lag es daran, dass ich Schriftsteller war? Buddy las keine Bücher, und deshalb musste ihm das gedruckte Wort wie Magie vorkommen. Vielleicht flößte ihm das ja übertriebenen Respekt vor Schriftstellern ein. Er war ein Spieler, und ich war eins seiner Spiele. Er war einer der Letzten seiner Art, ein Schlitzohr im Pazifik. Dass er mich einstellte, war nur ein weiteres Beispiel für seine Tollkühnheit, mit der er so prahlte.

»Das Personal ist hervorragend«, sagte er. »Die erledigen Ihre Arbeit gleich mit, und der Rest ist ein Kinderspiel. Aber ich brauche in dem Laden jemanden, der so aussieht, als wüsste er, was er tut.«

»Ich werde mein Bestes geben.«

»Es ist nicht Astrophysik«, sagte Buddy. »Und außerdem haben Sie grundlegende Qualifikationen.«

»Und welche wären das?«

»Na, Sie sind ein haole vom Festland.« Lachend sank er in seine Hängematte zurück, und ich war entlassen.

Das Wort »Festland« klang hier auf Hawaii in meinen Ohren wie »Planet Erde«.

2 Schiffbrüchige

Wann immer ich eine Sinnkrise hatte – ein altes Problem von mir –, rief ich mir ins Gedächtnis, dass ich ein mehrgeschossiges Hotel führte. Wenn mich die Leute auf Hawaii fragten, womit ich mein Geld verdiente, sagte ich nie: »Ich bin Schriftsteller.« Sie hätten meine Bücher sowieso nicht gekannt. Stattdessen erwiderte ich: »Ich leite das Hotel Honolulu.« Das verlieh mir ein Leben und bei den Schlitzohren einen gewissen Status.

Nachdem ich dreißig Jahre durch die Welt gereist war und mich mit Büchern beschäftigt hatte, wurde ich eingestellt, weil ich ein haole, ein weißer Mann, war. Ich hatte viel verdient und viel verloren: Häuser, Grundstücke, Familie, Freunde. Ich hatte mich von meinen Autos und meiner Bibliothek getrennt. Andere Leute saßen jetzt in den bequemen Sesseln, die ich gekauft hatte, blickten auf die Gemälde, die einst mir gehört hatten.

Um Altersvorsorge oder Ersparnisse hatte ich mich nie gekümmert, ich wollte einfach immer in Bewegung bleiben. Hawaii schien mir ein guter Ort für einen Neuanfang zu sein. Das Hotel war ideal. Buddy verstand mich. Auch er war ein Mann, der in seinem Leben viel verloren hatte – Frauen, Häuser, Geld, Grundstücke, allerdings keine Bücher. Ich musste mich dringend von Fiktionen aller Art erholen, und indem ich mich auf Hawaii niederließ und nicht schrieb, kehrte ich in gewisser Weise in die Welt zurück.

Wir lagen nicht direkt am Strand. Es war das letzte kleine Hotel alten Stils in Honolulu. »Es ist so eine Art Boutique-Hotel«, sagte Buddy. Er hatte es bei einer Wette gewonnen, als Anfang der sechziger Jahre die Flieger begannen, die Kreuzfahrtschiffe abzulösen. Schon damals war das Hotel ein Relikt aus einer vergangenen Zeit gewesen. Da die Grundstückspreise in Waikiki ständig stiegen, waren wir sicher, dass es schon bald jemand kaufen und abreißen würde, um an seiner Stelle eines dieser großen, hässlichen Kettenhotels zu bauen. Die Tatsache, dass wir dem Untergang geweiht waren, schärfte meine Wahrnehmung. Alles, was ich sah und hörte, jedes flüchtige Detail, brannte sich mir ins Gedächtnis ein, und mir entging nichts.

Es gab Dauergäste und ein paar Leute, die den Winter über blieben, aber die meisten Gäste waren Fremde. Wenn sie abreisten, kannte ich sie gut bis sehr gut, je nachdem, wie sehr sie mich interessiert hatten.

»Da ist der Gewinner!«, sagte Keola, der Hausmeister, mit seinem breiten hawaiischen Akzent zu mir, als er mich an meinem ersten Tag willkommen hieß. Aber es gab nicht viel für mich zu tun. Buddy hatte recht gehabt, als er meinte, das Personal würde das Hotel ganz allein schmeißen. Peewee war Küchenchef, Lester Chen meine rechte Hand. Tran und Trey waren Barkeeper. Tran war ein vietnamesischer Einwanderer, Trey, ein Surfer aus Maui, hatte auch eine Rock-Band, Sub-Dude. Früher einmal hatte sie Meat Jelly geheißen, bis die Band-Mitglieder zu Jesus fanden. »Jesus war der erste Surfer, Mann. Er ist übers Wasser gegangen«, erklärte Trey mir mehr als einmal. »Ich surfe für Christus.« Charlie Wilnice und Ben Fishlow waren unsere Saisonkellner. Keola und Kawika machten die Drecksarbeit. Ich mochte sie, weil sie kein bisschen neugierig waren. Sweetie war eine Zeit lang Hausdame. Sie war im Hotel aufgewachsen, weil Puamana, ihre Mutter, auch eins von Buddys Spielzeugen gewesen war.

»In einem kleinen Hotel sieht man das Beste und das Schlechteste an den Menschen«, sagte Peewee. »Ja, klar, wir befinden uns hier auf der Insel, aber eigentlich ist das Amerika. Und manche Leute kommen sogar her, um zu sterben.«

Wir waren zu billig für die Japaner, zu teuer für die Australier, zu weit entfernt für Europa, hatten den Neuseeländern zu wenig zu bieten und nahmen keine Rucksacktouristen auf. Geschäftsreisende mieden uns, es sei denn, sie waren in Begleitung einer Prostituierten. Ab und zu kamen Kanadier. Sie waren höflich und gaben sich bescheiden. Und sie achteten auf ihr Geld. (Ein weiteres Merkmal für naturverbundene Menschen ist übrigens, dass sie keine Witze machen, oder wenn, dann schlechte.) Die kanadischen Gäste nahmen es uns allerdings übel, dass wir die Geographie ihres Landes nicht kannten. Zugleich jedoch waren ihnen die riesigen leeren Flächen mit den ulkigen Namen peinlich. Sie wiesen im Gespräch auch ständig darauf hin, dass sie anders waren, für gewöhnlich indem sie sagten: »Keine Ahnung, ich komme aus Kanada.« Einmal hatten wir eine mexikanische Familie. Man konnte uns nicht unbedingt als kinderfreundlich bezeichnen, aber Peewee hatte recht: Durch unsere Türen ging halb Amerika.

Die Leute redeten. Ich hörte zu. Ich beobachtete. Ich las ein bisschen. Meine Gäste waren nackt. Manchmal überschritt ich ein wenig die Grenzen, und es wurde mein Leben – ein neues Leben, in dem ich Dinge lernte, die mir völlig neu waren.

»Sie haben mir die Halsschlagader ausgeschält«, sagte Clarence Greer zu mir. Der Geschäftsführer eines Hotels auf Hawaii hört viel von medizinischen Eingriffen. Und jede Menge Wetterberichte von zu Hause. Die Scheesers kamen aus International Falls, wo die Temperatur an jenem Tag bei minus achtundzwanzig Grad Celsius lag. Jirleen Cofield brachte mir bei, wie man ein Po’-Boy-Sandwich macht. Wanda Privett gab mir ihr Rezept für Hackbraten und auch noch andere Rezepte, und ich lernte, dass zu vielen amerikanischen Gerichten ein Topf Suppe gehört. Es bekümmerte mich, einen Mann ein Toupet tragen zu sehen. Ich vertraute Menschen, die lispelten. Ein Diabetiker muss aufpassen, dass er sich keine Entzündung am Fuß zuzieht. Besonders kümmerte ich mich immer um Afroamerikaner, da ich sie zu den ältesten Einwohnern Amerikas zählte. Ich versuchte die Traurigkeit von Soldaten, ihre Melancholie zu verstehen. Lag es an der Uniform? An der Frisur? Ich hörte so viele Geschichten, dass ich den Gedanken aufgab, je darüber schreiben zu wollen. Ab und zu ging ein Gast am Tag seiner Abreise die zwei Blocks bis zum Strand und stand dort schluchzend in der Sonne.

Mir gefiel es auf Hawaii, weil es für mich ein leerer Raum war. Außer Landbesitz gab es keine Macht, und es gab keine Gesellschaft, die den Namen wert war, nur eine Hackordnung. Zwar existierte eine soziale Leiter, aber sie war nicht zu erklimmen, und je höher die Leute auf ihr standen, desto alberner wirkten sie, weil jeder auf Hawaii ihre Geheimnisse kannte. Auf so kleinen Inseln gibt es kaum Privatsphäre, weil man sich ständig begegnet.

Hawaii besteht aus aktiven und erkalteten Vulkanen, blauem Himmel und weitem Ozean. Wie auf den meisten Inseln im Pazifik ist alles »Rand«, es gibt keine Mitte. Alles ist seicht, eng, eine Ansammlung grüner Schüsseln, die ins Meer gestülpt wurden, und die weißen Schaumstreifen der Brandung umgeben poröse Berge, eingehüllt in einen dichten grünen Faltenwurf, unter dem alles verborgen bleibt.

In der Zeit, als die Inseln unbewohnt und so üppig bewachsen wie das Paradies waren, herrschte hier ein friedliches Nebeneinander von Tieren und Pflanzen. Dann kamen die Menschen. Als Chaucer die Canterbury Tales schrieb, traf die zweite und größte Welle von Polynesiern in ihren Katamaranen ein, jubelnd vor Erleichterung darüber, dass sie endlich Land gefunden hatten. Sie erklärten es zu ihrem Besitz, aber eigentlich waren sie nur Schiffbrüchige. Sie errichteten eine Gesellschaft aus Königen und Untertanen. Menschen wurden geopfert und verspeist. Sie beteten die Götter des Feuers und des Wassers an, die sie mitgebracht hatten. Das erste Eisen auf Hawaii wurde von Captain Cooks Schiffen gestohlen – man riss so viele Nägel aus den Planken, dass die Schiffe nicht mehr seetüchtig waren. Mit dem Eisen wurden die Holzschnitzereien der Inselbewohner kunstfertiger. Aber nicht nur in dieser Hinsicht veränderten sich die Inseln nach der Ankunft der ersten Kanus. Die Polynesier hatten Hunde und Schweine mitgebracht, die ersten Weißen brachten Gewehre und Tripper. All das begann plötzlich, und in diesem Beginn lag bereits der Verfall begründet. Zu der Zeit, als ich dort war, konnte die Hälfte der Bevölkerung nicht einmal schwimmen, und von ihrer eigenen Geschichte wussten die Menschen kaum etwas.

Und dann war da noch die Sonne. Ihr Strahlen war trügerisch, und doch betrachteten wir das Sonnenlicht als unser wichtigste Kapital. Insgeheim glaubten wir: »Wir sind gesegnet, weil die Sonne jeden Tag scheint. Diese Inseln sind ein Ort der Reinheit wegen der Sonne. Sie hat uns tugendhaft gemacht.«

So wie die Meteorologen im Fernsehen auf dem Festland sich persönlich für das Wetter verantwortlich fühlten, glaubten wir, der Sonnenschein sei unser Verdienst, als ob wir ihn entdeckt hätten und weitergeben könnten. »Fremder, sei mir dankbar für diesen sonnigen Tag« – das war unsere Haltung Touristen gegenüber. Die Sonne galt uns, und wir teilten sie mit diesen fremdländischen Flüchtlingen aus dunklen, bewölkten Ländern. Der typische hawaiische, frevlerische Gedanke, den wir jedoch nie aussprachen, war: »Wir sind gut wegen der Sonne. Wir sind besser als unsere Gäste. Wir sind sonniger.«

Dieser Dünkel machte uns sorglos und nachlässig. Trotz der Palmen waren die Menschen hier genauso grausam, gewalttätig und hinterlistig wie anderswo, aber sie waren langsamer und wirkten dadurch sanfter. Aus der Nähe betrachtet waren die Inseln unordentlich, unorganisiert und sensationell vermüllt, mit bröckelnden Klippen, zu vielen verwilderten Katzen und Stränden, die von der tosenden Brandung nach und nach ins Meer gesogen wurden. Unser Geheimnis war, dass wir Hitze hassten und die Sonne mieden. Die Gäste hatten am Schluss Sonnenbrand auf Nasen und Schultern, Sommersprossen, Sonnenstich und Melanome, während wir uns im Schatten aufhielten.

»Es heißt, das Motto Hawaiis sei: Hele I Loko, Haole ’Ino, Aka Ha’awi Mai Kala – geh nach Hause, du haole vom Festland, aber lass dein Geld hier«, sagte Buddy. »Aber das echte Motto ist noch lustiger. Ua Mau Ke Ea O Ka Aina I Ka Pono – das Leben des Landes ist auf ewig von Rechtschaffenheit geprägt. Einen Scheiß ist es!«

 

In der Woche, in der ich anfing, stellte Buddy seine Besuche im Hotel ein. Ich war froh darüber, weil er mich ständig mit dem Satz vorstellte: »Hey, er hat ein Buch geschrieben!«

Ich hasste das. Außerdem musste ich meinen Job lernen. Als Lehrer war Buddy denkbar ungeeignet, weil er ständig betrunken war. Wie jeder Trinker litt er unter Stimmungsschwankungen und Launenhaftigkeit. Er wiederholte sich ständig und vergaß das meiste, was man ihm erzählte.

Um mir eine Freude zu bereiten, versuchte er lustig zu sein, aber auch das ging einem nur auf die Nerven. Ich kannte alle Pointen. Der Mann an der Bar, der sagt: »Ich habe immer gedacht, ich bin ein Cowboy, aber Gottchen, ich glaube, ich bin eine Lesbe.« Oder, mit einem schrecklichen mexikanischen Akzent vorgetragen: »Wenn Gott gewollt hat, dass wir es essen, warum hat er es dann nicht wie einen Taco aussehen lassen?« Der Elefant, der zu dem nackten Mann sagt: »Wie kannst du durch so ein kleines Ding atmen?« Die Witze des Chefs sind die Prüfungen des Angestellten.

Ein paar Tage nachdem ich angefangen hatte, im Hotel zu arbeiten, lud Buddy mich in sein Haus ein, um mir seine neue Frau Stella vorzustellen, die ich noch nicht kannte. Sie sagte, sie käme aus Kalifornien.

»Sie ist das Werkzeug meiner Lust«, erklärte Buddy und reichte mir eine Platte mit Brownies. »Hat Stella gebacken. Ist Gras drin.«

Ich nahm einen und knabberte daran, während Buddy sie heiser lobte und behauptete, sie hätten seine Lunge gerettet.

»Gehen Sie manchmal schwimmen?«, fragte ich ihn.

»Gefährliche Strömung«, erwiderte er nuschelnd.

»Es überrascht mich, dass Buddy Sie nicht zur Geschäftsführerin des Hotels gemacht hat«, sagte ich zu Stella. »Sie sind eine großartige Köchin, und Sie haben die grundlegende Qualifikation – Sie kommen vom Festland.«

»Aber Sie haben auch die andere wichtige Qualifikation«, warf Buddy ein und tippte mir auf die Brust. »Sie verstehen mich!«

Ich lächelte ihn an, um zu zeigen, dass ich ihn keineswegs verstand.

»Dieser dämliche Geschäftsführer, von dem ich Ihnen erzählt habe …« fuhr er fort.

Ich nickte, dachte an das aggressive Verhalten des Mannes, seinen Massagetisch, die Schnitzer, die Trunkenheit, die blöden Witze. Der Casanova mit den drei Eiern.

»Das war ich!«

Er erwartete von mir, dass ich ihm gratulierte, weil er mich hereingelegt hatte, und ich tat ihm den Gefallen. Aber ich hatte es sowieso schon vermutet, weil die Leute im Hotel darüber tuschelten. Was mich jedoch überraschte, war, dass er offensichtlich das Gefühl hatte, ich könne den Job besser machen. »Ein Mann, der keinen Fehler macht, arbeitet auch nicht.« Aber es warteten noch weitere Überraschungen auf mich, und sie lehrten mich, vorsichtig zu sein. Ich hatte um ein neues Leben gebeten, aber ich begriff bald, dass es viele Leben bedeutete – Frau, Kind, die Welt dieser Inseln und meine Irrtümer.

3 Vogelstimmen

Ich hatte Keola, den Hausmeister, zunächst als nicht neugierig eingestuft, doch ich schien mich getäuscht zu haben. Ich sah, wie er Abfalleimer in die Mülltonne in der Gasse neben dem Hotel entleerte. Ein paar Blätter Papier flogen heraus. Er hielt inne und schnappte sie sich mit seinen großen, plumpen Fingern. Statt sie jedoch wegzuwerfen, betrachtete er sie. Lächelnd begann er zu lesen, wobei er die Blätter dicht vors Gesicht hielt. Ich war schockiert. Als er sah, dass ich ihn beobachtete, bedachte er mich mit einem Blick, den die Einheimischen als Stinke-Auge bezeichnen.

Später nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte ihn, warum er die Blätter gelesen habe. Aber er leugnete es. Es sähe nur manchmal so aus, als ob er läse, behauptete er, weil er an »plötzlich auftretenden Blackouts« litte. Im Übrigen wisse er überhaupt nicht, wovon ich rede.

»Mit meinem Kurzzeitgedächtnis stimmt nämlich auch was nicht, Boss. Das gibt es oft auf den Inseln. Wirklich übel.«

Eine Woche später saß ich in meinem Büro und hörte durch das offene Fenster die Stimmen von Keola und Kawika, die im Blumenbeet am Swimmingpool Unkraut jäteten.

»Eh, wo warst du gestern?«

»Eh, arbeiten.«

»Ich hab dich angerufen.«

»Ich hör das nie.«

»Eh, du bist sowieso nie da.«

»Bist du bekloppt, Bruder?«

Fasziniert lauschte ich. Ihr Akzent hörte sich an wie kreischende Vögel.

»Dachte, wir gehen nach Makaha, bisschen wellenreiten.«

»Hab den blöden Rasen gemäht. Rasenmäher war kaputt.«

»Wie?«

»Die Stange.«

»Eh, ich hab nichts mehr zu tun.«

»Das Gras war ganz schön hoch. Hab vielleicht geschwitzt, meine ganze Hose war nass. Danach hab ich Bäume geschnitten.«

Zwei Vögel, die auf einem Ast zwitschern. Ein paar Tage später unterhielten sie sich wieder.

»Da war so ein Typ. Ist beklaut worden.«

»Wer war das?«

»So ein haole

»Und wer hat ihn beklaut?«

»Ein anderer haole

»Verdammte haoles

»Das sind die Drogen.«

»Ja.«

»Die haben Schulden.«

»Ja. Wie hat er’s denn gemacht?«

»Hat sich im Baum versteckt.«

»Oben auf dem Baum?«

»Nein, dahinter. Kommt eine wahine mit einer Tasche. Er sagt: ›Das ist meine!‹ Er schnappt sich die Tasche, und wahine schreit los.«

»Das sind die Drogen.«

»Nimmt das Bargeld und kauft batu

»Batu. Chrystal Meth. Pakalolo

»Pakalolo – nicht schlimm. Batu – schlimm.«

Ich saß am Fenster, verfolgte das Gekreisch und tat so, als ob ich arbeitete.

An einem anderen Tag:

»Eh, aber der Typ.«

»Welcher Typ?«

»Der neue Typ.«

»Der haole, ja. Der ist besser.«

»Er sieht akamai aus.«

»Aber redet wie Professor.«

»Ja. Aber alle loben ihn.«

»Die wahine wird immer rot.«

»Das Zimmermädchen?«

»Nein, die Hausdame.«

»Aber Thunfisch ist großes Schlitzohr.«

»Mann, absolut pilau luna

»Und warum lacht er dauernd, wenn er uns sieht?«

»Trottel. Der hat doch nichts zu tun.«

»Ja.«

»Ja.«

»Mein Job ist viel zu schwer.«

»Trinkt dauernd Bier und quatscht.«

»Und wir schwitzen.«

»Ja.«

»Ja.«

»Mann, der haole hat ein großes Buch.«

»Ich hab nie ein Buch bei ihm gesehen.«

»In seinem Büro.«

»Dem Büro von dem Typ?«

»Ja. Im Büro vom haole. Großes Buch. Professor-Buch.«

»Eh, bestimmt nicht leicht zu lesen.«

»Für den haole ganz leicht.«

»Ja.«

»Ja. Aber wart ab, der haole wird auch noch ein Schlitzohr.«

»Verdammt großes Schlitzohr.«

So redeten sie und hörten gar nicht wieder auf, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass sie über mich und meinen Tolstoi sprachen.

4 Rose

Geschichte ist das, was anderen Leuten geschieht. Der Rest von uns lebt und stirbt nur, sieht Nachrichten, hört sich allen möglichen Quatsch an und erinnert sich an die Namen. Niemand erinnert sich an uns, obwohl wir manchmal von solchen größeren Ereignissen oder öffentlichen Figuren gestreift werden. Mein Boss, Buddy Hamstra, war eine Berühmtheit, weil er viele von den Prominenten, die Hawaii besucht hatten, kannte. Er redete über sie, als müsse er beweisen, dass diese kleinen Inseln zur großen Welt gehörten und er in ihr eine historische Rolle spielte. 1927 war Babe Ruth in diesem Hotel abgestiegen, noch vor der Renovierung, als das Haus nicht höher als eine Kokospalme war. Auch Will Rogers hatte hier gewohnt. Buddy hatte Golf gespielt mit einem anderen Schlitzohr, Francis Hyde I’i Brown, der Halb-Hawaiianer war. Francis Brown wiederum hatte Bob Hope gekannt, der regelmäßig auf die Inseln kam. Buddy hatte auch die Schauspieler von Gidget goes Hawaiian beherbergt.

»Zachary Scott – der Cowboy-Darsteller –, den kannte ich gut«, sagte Buddy. »Er war oft hier.«

Ich erwiderte: »Seine Ex-Frau ist mit John Steinbeck durchgebrannt.« Aber das imponierte Buddy nicht besonders. Von Steinbeck hatte er noch nie etwas gehört.

Buddy hatte für Zachary Scott eine einheimische Freundin gefunden. »Sie haben den horizontalen Hula getanzt.« Er erzählte so etwas so freundlich und unkompliziert, dass daran absolut nichts Verwerfliches zu sein schien und er eher wie ein Heiratsvermittler als wie ein Zuhälter wirkte.

Eine Anfrage dieser Art bekam er Anfang 1962, als Sparky Lemmo darum bat, ihm ein »einheimisches Mädchen« zu besorgen. Sie sollte jung, hübsch und willig sein. Buddy bat um eine genauere Beschreibung, und Sparky erklärte, sie müsse den Abend mit einem Würdenträger verbringen, der mit seiner offiziellen Entourage im Kahala Hilton übernachtete. Der Mann reiste inkognito, und er war so mächtig, dass er nicht auf dem Honolulu Airport gelandet war, sondern auf einem der anderen Flughäfen – es gab dreizehn auf der Insel Oahu, einschließlich der militärischen Landeplätze. Der »Würdenträger« war in einer Limousine mit getönten Fenstern zum Kahala gebracht worden.

»Howard Hughes?«, fragte Buddy.

Hughes machte damals solche Geschichten, mit seinen Millionen und seinem Privatjet. Aber Sparky gab nichts preis, und nur ein leichtes Zögern, als Buddy den Namen erwähnte, ließ darauf schließen, dass es Howard Hughes gewesen sein könnte.

Aber es hätte auch jeder andere sein können. Berühmte Leute kamen nach Hawaii, und berühmte Leute lebten hier. Doris Duke lebte auf Black Point, Claire Boothe Luce auf Diamond Head, Lindbergh war in Maui, Jimmy Stewart hatte eine Ranch hoch über Kona, Elvis war Stammgast. Berühmte Leute hatten berühmte Freunde.

»Bing Crosby?«, fragte Buddy. Crosby spielte Golf auf Hawaii.

Sparky ignorierte ihn einfach. Er wiederholte, der Mann wolle ein einheimisches Mädchen, eine Insel-Schönheit.

»Ha!«, triumphierte Buddy. »Im Kahala können sie also keine wahine besorgen. Dafür muss man ins Hotel Honolulu kommen!«

Es gefiel ihm, dass man etwas von ihm wollte, denn schon damals hatte der Ruf seines Hotels arg gelitten. Seine »Pretty Polynesia Show« – tahitische Mädchen, die bei ihm auf der Veranda tanzten – war Nepp und überzeugte die Leute nur davon, dass Buddy ein Schlitzohr war. Aber weil er eins war, wusste er nur zu gut, wie schwach Männer werden konnten. Er sagte zwar: »Ich musste nie dafür bezahlen«, aber er kannte die Unerbittlichkeit des Verlangens.

»Verrat mir, wer der Typ ist«, sagte Buddy.

Man sah Sparky an, dass er es nur zu gerne preisgegeben hätte. Aber er erwiderte: »Es ist ein sehr wichtiger Mann. Du musst ein Mädchen finden, das ihn nicht erkennt.«

»Würde ich ihn denn erkennen?«, fragte Buddy.

»Hör mal, die Sache ist dringend. Und keine Nutte. Sie muss vor allem freundlich sein. Eine kleine Kokosnuss-Prinzessin.«

Es gab nur ein Mädchen, das dafür in Frage kam. Puamana Wilson, die ständig im Hotel herumhing und behauptete, sie suche Arbeit. Buddy hatte sie aufgenommen und kümmerte sich um sie. Sie war in einem Kloster auf dem Festland zur Schule gegangen, dort aber weggelaufen und versteckte sich noch immer vor ihrer Familie in Hilo. Ab und zu ließ er sie unter Peewees Schutz in der Küche arbeiten, damit sie sich nicht so oft in der Bar aufhielt. Er hielt sie in einem Hinterzimmer unter Verschluss, um ein Auge auf sie zu haben. Wenn sie keinen Ärger machte, würde er sie vielleicht heiraten, wenn sie ein bisschen älter war. Sie war vielleicht gerade mal zwanzig, ein lustiges Mädchen mit Sommersprossen, aber sie hatte schon so einiges durchgemacht, wie Buddy wusste. Sie war süß, nicht besonders intelligent und äußerst attraktiv, in der halb spröden, halb kecken Art der Inselmädchen. Und sie war willig. Aber Buddy wollte sie auf jeden Fall zurückhaben, und das sagte er auch.

Puamana wurde aus der Küche gerufen. Selbst verschwitzt und mit Schürze sah sie hinreißend aus.

»Du wirst drüben in der Stadt gebraucht«, sagte Buddy.

»Was soll ich tun?«

»Sei einfach nur nett.«

Sie verstand sofort, er brauchte es ihr nicht erst zu erklären.

Während sie sich wusch und umzog, bot Sparky Buddy ein Trinkgeld an, aber Buddy winkte ab. Die Vorstellung, dass dies ein kommerzielles Arrangement sein sollte, beleidigte ihn. Es sei eine Sache unter Freunden, erklärte er.

Mit einer Blume hinterm Ohr, bekleidet mit einem traditionellen pareo, fuhr Puamana mit Sparky Lemmo ins Kahala. Buddy schlief schon, als sie zurückkam. Als er sie später in der Küche sah – sie hatte sich umgezogen und trug wieder T-Shirt, Schürze und Gummilatschen –, fragte er sie, wie es gewesen sei.

»Ein wundervolles Zimmer«, sagte Puamana. »Eine Suite.«

Es sah Puamana ähnlich, nur das Zimmer zu erwähnen und nichts über den Mann oder das Geld zu sagen. Also fragte Buddy sie direkt.

»Er war begeistert.«

Mehr sagte sie nicht. Sie wurde immer stiller und blieb in ihrem Zimmer, als brütete sie etwas aus. Sechs Wochen später sagte sie Buddy, sie sei schwanger. Als das kleine Mädchen zur Welt kam, erklärte Puamana: »Sie ist eine hapa – halb von der Insel, halb haole.« Puamana nannte sie Ku’uipo, »Süße«, und mit der Geburt wurde sie eine hingebungsvolle Mutter. Sie hörte auf zu flirten, sparte ihr Geld und tat alles für ihre Tochter, ein niedliches Kind, das schon kreuz und quer durch die Hotellobby lief, bevor es ein Jahr alt war, und Hula-Bewegungen machte, ohne hinzufallen.

Im selben Jahr wurde Präsident Kennedy ermordet. Sparky kam im Hotel vorbei und traf Buddy Hamstra betrunken und weinend an. »Ich habe mit dem Typ zusammen im Pazifik gekämpft.« Was gelogen war.

»Das war der Mann, um den sich Pua im Kahala Hilton gekümmert hat«, sagte Sparky.

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Buddy.

Die Geschichte wirkte so unpassend an einem Tag, an dem eine ganze Nation um diesen Mann trauerte.

»Na ja, die Wahrheit werden wir wohl nie erfahren«, meinte Buddy.

Kurz darauf fragte er Puamana, ob der Mann im Kahala Sweeties Vater gewesen sein könnte.

»Ich habe in dem Monat mit keinem anderen geschlafen«, entgegnete sie.

Buddy kniff die Augen zusammen. Er sagte: »Weißt du etwas über ihn?«

»Den haole?« Puamana lächelte bei der Erinnerung an den Mann, der mit ihr in jener Nacht Liebe gemacht hatte. »Er war vom Festland.«

»An mehr erinnerst du dich nicht?«

Sie konzentrierte sich, und an ihrem Lächeln merkte er, dass eine weiteres Bild auftauchte.

»Er hatte ein wunderschönes Bett«, sagte sie leise lachend. »Aber im Bett wollte er es nicht. Wir haben es in der Badewanne getan. Er lag im warmen Wasser und ich auf ihm. Und danach ist er aufgestanden und hat sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt.«

»Das hast du mir nie erzählt.«

»Es war verrückt.« Noch etwas fiel ihr ein. »Er hat gesagt, er hat einen schlimmen Rücken.«

Dieses eine Detail, die sogenannte »Weiße-Haus-Stellung«, kannte jeder, der etwas über Kennedy wusste. Obwohl Puamana ein unschuldiges Inselmädchen gewesen war, als sie ihm begegnete, und obwohl sie eine liebevolle Mutter war, schien dieser One-Night-Stand doch etwas bei ihr angerichtet zu haben. Als sie in die Prostitution abdriftete, kümmerte Buddy sich noch mehr um das kleine Mädchen, Sweetie, und für eine Zeit wurde sie unter dem lockeren Adoptionssystem der Inseln seine hanai-Tochter.

Diese Geschichte erzählte Buddy mir fast dreißig Jahre später, als ich mich schon längst in Sweetie verliebt hatte und wir selber ein Kind hatten. Sweetie wollte sie gern Taylor, Brittany oder Logan nennen. Logan? Ich schlug Rose vor, und Sweetie willigte ein, ohne zu wissen, dass dies der Vorname der Urgroßmutter väterlicherseits unserer Tochter war.

5 Taufe

Das Buch, das die hawaiischen Angestellten wegen seines beachtlichen Umfangs als »Professor-Buch« bezeichnet hatten, war meine Penguin-Ausgabe von Anna Karenina, die ich in den ersten Monaten im Hotel Honolulu immer dabeihatte, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit meine Nase hineinstecken zu können. Hawaii war sonnig und schön, aber für einen Außerirdischen wie mich war es nur ein gottverlassener, sonnendurchglühter Ort, bis ich die Liebe fand.

Das Problem mit dem dicken Taschenbuch war, dass es nicht zu verbergen war, zumal es in der feuchten Luft noch mehr anschwoll. Alle Bücher werden in der Seeluft dicker.

Ich saß da und betrachtete die großen sanften Wellen, die auf Waikiki zurollten, sich aus der glatten See erhoben und Reihen bildeten, die sich kurz vor der Küste zu weißen Gipfeln aufrichteten, um sich dann über dem Strand zu ergießen und zu vergehen und im nassen Sand zu versickern. Es sah aus, als ob weit draußen in der Ferne eine riesige, unsichtbare Hand im Meer rührte, das Wasser in Bewegung versetzte und so die Wellen erschuf, die in Schönheit endeten.

Mein Tolstoi wurde als Handicap angesehen und schrie in den Augen der Angestellten geradezu nach spöttischen Bemerkungen. »Was machst du mit dem Ding?« – »Immer beschäftigt, was?« – »Ist ja größer als die Bibel«, sagte Keola eines Tages, bevor er den Rasensprenger so positionierte, dass er an die Wände meines Hauses spritzte und mich durch das Fenster nass machte. Auch das Buch war feucht geworden und schwoll noch ein wenig mehr an. Da der Rücken inzwischen krumm geworden war, wurde es sogar noch dicker, als es wieder trocken war.

Ich sagte zu Keola, der den Fackel-Ingwer an der Poolwand wässerte: »Ein Mann geht zum Arzt, weil er wissen will, wie es um ihn steht. ›Wie krank bin ich?‹, fragt er. Der Arzt antwortet: ›Ich will es mal so sagen: Fangen Sie kein dickes Buch mehr an.‹«

Verwirrt grinsend drehte Keola sich um und fragte: »Hä?« Dabei richtete er unwillkürlich den Schlauch auf mich und spritzte mich und mein Buch schon wieder nass. Er war eine schlichte Seele. Manchmal zog er den gekrümmten Stachel aus dem Schwanz eines Skorpions, nahm das Tier in den Mund, und wenn er dann einen Fremden anlächelte, schlüpfte der Skorpion aus seinem Mund und kroch über seine staubige Wange. »So sieht der Teufel aus.« Keola hatte zu Jesus gefunden.

Ein heißer Tag nach dem anderen verging in Waikiki, und ich konnte »Pearly Shells«, »Tiny Bubbles« und »Lovely Hula Hands« nicht mehr hören. Ich war immer noch allein und ledig und glaubte immer noch, ich finge ein neues Leben an, obwohl nichts neu schien. Ich war Rimbaud, der als Angestellter in Abessinien schwitzte. Dem Leben als Schriftsteller hatte ich entsagt. All die Schriftsteller, die aufgehört hatten zu schreiben, um sich anderen Tätigkeiten zu widmen, waren meine Schutzheiligen: Melville, Rimbaud, T.E. Lawrence, Salinger und Tolstoi. Ab und zu kam Buddy vorbei, um etwas Geschäftliches mit mir zu besprechen. Eines Tages ging es darum, wie wir den in die Jahre gekommenen Schauspieler Jack Lord einmal in der Woche ins Hotel locken könnten (mit kostenlosem Essen und Getränken), damit Madam Ma, die Journalistin, die bei uns residierte, die Tatsache in ihrer Zeitungskolumne erwähnen konnte. Möglicherweise würden Leute im Hotel absteigen, nur um im selben Zimmer zu wohnen wie der frühere Star von Hawaii Five-O. Aber Lord, der sehr zurückgezogen lebte, spielte nicht mit. Buddy sagte: »Tom Selleck geht immer ins Black Orchid, aber George Harrison lebt auf Maui. Das wäre doch ein tolles Thema für eine Kolumne. ›Beatle speist im Hotel Honolulu.‹«

»Was können wir ihm denn bieten?«

Wir aßen gerade rotes klebriges poi, fettes Kalua-Schwein und dazu kalte Makkaroni. Buddy kaute und lächelte. Wie Wronski in meinem Buch hatte er prachtvolle weiße Zähne, aber die Probleme hatte er von Oblonski.

»Ich dachte an ein Buffet mit Festpreis zum Sattessen«, erwiderte er und leckte sich das poi von den Fingern. Ohne Luft zu holen, fuhr er fort: »Bekommst du keine Kopfschmerzen, wenn du solche Bücher liest?«

»Ich würde Kopfschmerzen bekommen, wenn ich sie nicht lesen würde.«

Es war die Zeit, als ich gerade frisch begonnen hatte, Sweetie nachzustellen. Ich wartete auf eine Gelegenheit, mit ihr ausgehen zu können, aber ich wollte nicht zu offensichtlich vorgehen, weil es mir peinlich war, eine Angestellte zu umwerben. Um indirekt etwas über sie zu erfahren, fragte ich Buddy nach ihrer Mutter.

»Puamana ist die einzig wahre ›Ukulele Lady‹«, sagte er. »Sie hat als Kokosnuss-Prinzessin angefangen.«

»Allzu intelligent ist sie nicht, oder?«

»Bei dir klingt das, als ob das was Schlechtes wäre.«

»Vermutlich ist sie Analphabetin.«

»Bücher sind nicht alles. Sie hat mana, wie ihr Name schon sagt. Spirituelle Energie.« Schniefend fuhr Buddy fort: »Je länger du hier auf Hawaii lebst, desto mehr begreifst du, dass der niedrige IQ einer Frau Teil ihrer Schönheit sein kann.«

»Aber deine Frau ist sehr klug.«

»Stella ist nicht meine Frau, sie ist meine wahine, meine Bettgenossin. Aber du hast recht, wenn ich fremdgehen würde, würde Stella mich umbringen. Sie ist wirklich eine erstaunliche Frau.«

Ich hätte ihm gerne gesagt, dass er Oblonski ähnelte, nur um zu sehen, wie er darauf reagieren würde. Aber als wir nach dem Mittagessen vom Speisesaal zur Lobby gingen, sagte Buddy: »Komm mal mit. Ich möchte dir etwas zeigen.« Er kniete sich an den Pool, und ich hockte mich neben ihn. »Siehst du da unten das dunkle Ding, am Abfluss?«

Ich beugte mich vor, sah aber nichts. Als ich mich noch weiter vorbeugte, stieß Buddy mich ins Wasser.

»Voll darauf reingefallen«, sagte Buddy, als ich wieder auftauchte und triefend aus dem Pool kletterte.

Seitdem musste Buddy anscheinend immer, wenn er mich sah, an diesen Zwischenfall am Pool denken. Und mehr denn je erinnerte er mich an Tolstois Oblonski. Er hatte einen gewissen besonderen Ausdruck, als ginge ein verhaltenes Strahlen von ihm aus. Das war Oblonski, als er mit Lewin zu Mittag aß, Austern schlürfte und über Liebe und Ehe redete, ohne seine Affäre mit der französischen Gouvernante zu erwähnen.

Ebenfalls in dieser Zeit sagte Keola: »Jesus ist der Herr. Ich wäre in großer pilikia ohne Jesus.« Ich las nach, was Lewin über seinen Glauben sagte: Was wäre wohl aus mir geworden und wie würde ich leben, wenn ich nicht jene Glaubenswahrheiten hätte, nicht wüsste, dass man für Gott und nicht für seine eigenen Bedürfnisse leben muss? Ich würde rauben, lügen, morden.

Wie Lewin hatte auch Keola zu Jesus gefunden, und sein Glaube rührte mich so sehr, dass ich ihn eines Tages, als ich seine Reparatur des Trinkbrunnens bei den Toiletten überprüfte, unwillkürlich danach fragte. Seine leidenschaftliche Antwort erstaunte mich.

»Jesus ist wie Essen. Wenn du nicht isst, stirbst du«, antwortete Keola, während er die Mutter am Wasserhahn mit einer letzten Umdrehung festzog. »Männer und Frauen sollen heiraten. Auf Hawaii wollen wir nicht schwul heiraten. Hey, Schwule machen mir nichts aus. Ich vergebe ihnen, wenn sie bereuen. Manche Leute sind so dumm. Wir sind Menschen, keine Affen. Ich sag der Schule ja nicht, was sie unterrichten soll, aber die beschissene Lüge, dass wir von den Affen abstammen, ist nur wieder eine Methode, Gott aus dem Weg zu gehen. Versuch mal zu trinken, Boss.«

Gehorsam beugte ich mich über den Trinkbrunnen, und das Wasser rann mir übers Gesicht und stieg mir in die Nase.

»Das ist gut für dich«, sagte Keola.

Er wollte wissen, ob ich wiedergetauft sei. Ich erwiderte, ich sei als Kind getauft, ob das nicht ausreiche?

Er lachte nur das freudlose, mitleidige Lachen des wiedergetauften Christen. »Du wirst nie errettet! Du bist ein Sünder. Liest den ganzen Tag nur Bücher, schlimme Bücher wie das da.«

»Der Mann, der das Buch geschrieben hat, hat komischerweise dasselbe gedacht.«

»Ein haole

»Ja, das könnte man so sagen. Auf jeden Fall hat Tolstoi zu Jesus gefunden, wie du.«

»Besser ist es, wiedergetauft zu werden. Lass dich taufen. So.« Er spritzte mir Wasser ins Gesicht. »Tauch unter!«

Als er Kawika sah, der mit einem Fünf-Liter-Eimer voll klebrigem Reis in jeder Hand vorbeikam, zwinkerte Keola und winkelte die Arme an wie ein Bodybuilder. »Hey, Rambo!«, rief er.

Als Rimbaud in Harar war, schrieb er nach Hause: »Ich bin erschöpft und gelangweilt … Führe ich nicht ein verfluchtes Leben, ohne Familie, ohne Freunde, ohne intellektuelle Gefährten, verloren inmitten dieser Menschen, deren Los man gerne verbessern möchte und die doch nur versuchen, mich auszubeuten … Ich muss ihr Geschwätz mitplappern, ihre schmutzige Nahrung essen, ihren Verrat und ihre Dummheit erdulden! Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist meine Angst davor, so zu werden wie sie, so isoliert, wie ich lebe, und abgeschnitten von allen intellektuellen Gesprächen.«

Mir gefiel Keolas hemdsärmelige Interpretation der Taufe: Tauch unter!

Trey, der Barkeeper, sagte: »Hältst du die Samoaner für mutig? Nur wenn sie zu mehreren sind. Alleine sind sie feige. Sie sind groß, aber nicht mutig. Denk dran.«

Er spritzte schäumendes Sodawasser in meinen Drink, das mir übers Kinn lief.

Peewee, der Küchenchef, meinte: »Popolos gehen im Pool unter.« Popolos war das einheimische Wort für Schwarze. »Da kannst du jeden Rettungsschwimmer fragen. Irgendetwas ist mit ihnen – sie bleiben nicht oben.«

»Die Brüder surfen nicht«, warf Trey ein.

Bei solchen Gesprächen fragte ich mich, warum ich den Job überhaupt übernommen hatte, und wieder dachte ich an meinen Roman und seine verdichtete, überhöhte Welt: Wronski, der in einem fesselnden, schmerzlichen Moment über Annas Eifersucht nachdenkt. Er betrachtete sie, wie jemand eine abgerissene und verwelkte Blüte betrachten würde, in der er mit Mühe jene Schönheit wiedererkennt, um derentwillen er sie abgerissen und vernichtet hat. Und trotz alledem fühlte er, dass er damals, als seine Liebe noch stärker war, vermocht hätte, diese Liebe aus seinem Herzen zu reißen, wenn er es ernstlich gewollt hätte. Doch jetzt, da es ihm, wie im gegenwärtigen Augenblick, schien, dass er keine Liebe zu ihr empfinde, wusste er, dass das Band, das ihn mit ihr verknüpfte, nie würde zerrissen werden können.

»Dieses Professor-Buch hält dich auf Trab, was?«, sagte Keola.