image

ICH HABE
EINEN TRAUM

image

© 2012 Edel Germany GmbH, Hamburg
www.edel.de

Text-Copyright © 2012 Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG

Projektkoordination: Dr. Marten Brandt

Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg | www.glcons.de

E-Book-Konvertierung: Datagrafix Inc.

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

eISBN 978-3-84190-206-1

INHALT

BARBARA AUER

MARKUS BABBEL

LIRA BAJRAMAJ

BJÖRK

THILO BODE

THOMAS BRUSSIG

BILL BRYSON

MARIANNE FAITHFULL

HARRISON FORD

NELLY FURTADO

BOB GELDOF

TERRY GILLIAM

HARTMUT GRASSL

HILDEGARD HAMM-BRÜCHER

BRITTA HEIDEMANN

HENRY HÜBCHEN

PATRICIA KAAS

AKI KAURISMÄKI

SIBEL KEKILLI

SONJA KIRCHBERGER

KURT KRÖMER

JAMES LAST

VERA GRÄFIN LEHNDORFF

ROSA LOY

BOBBY MCFERRIN

DIETER MEIER

CÈSAR LUIS MENOTTI

KATRIN MÜLLER-HOHENSTEIN

ANNE-SOPHIE MUTTER

GÜNTER NETZER

WOLFGANG NIEDECKEN

JANA PALLASKE

MICKEY ROURKE

BARBARA RUDNIK

KATRIN SASS

BARBARA SCHÖNE-BERGER

PETER SCHREYER

MICHAEL SCHULTZ

MARIETTA SLOMKA

WILL SMITH

BUD SPENCER

INGRID STEEGER

BRITTA STEILMANN

TILDA SWINTON

JASMIN TABATABAI

NADJA UHL

KLAUS WAGENBACH

ALEK WEK

PAUL WELLER

SARAH WIENER

VORWORT

ANHANG

VORWORT

Was erfährt man über Menschen, wenn sie von ihren Träumen erzählen? Und wie sehen die Menschen aus, wenn sie träumen? Seit Mai 1999 erscheinen Antworten auf diese Fragen in der ZEIT, in der Reihe »Ich habe einen Traum«, Woche für Woche und jedes Mal anders.

Das Prinzip, inspiriert durch Martin Luther Kings berühmte Rede und erdacht von Andreas Lebert, ist einfach: Ein prominenter Mensch erzählt von seinem persönlichen Traum (manchmal auch von mehreren) und lässt sich fotografieren, mit geschlossenen Augen, träumend, in schwarz-weiss. Und so sehen wir Berühmtheiten und Menschen, die gerade dabei sind, berühmt zu werden, auf zuvor ungesehene Art und Weise; mal konzentriert, mal entspannt, mal verschmitzt, mal sehr ernst, aber immer in einem intimen Moment. Von Anne-Sophie Mutter bis Björk, von Günter Netzer bis Mickey Rourke, Harrison Ford, Hildegard Hamm-Brücher, Patricia Kaas, Vera Gräfin Lehndorf, Wolfgang Niedecken, Jasmin Tabatabai – sie alle haben uns ihre Träume verraten. Diese Liste ließe sich mit Hunderten von Namen fortsetzen.

Über die Jahre ist die Traum-Serie eine Galerie geworden, die für Zeitgeist-Archäologen künftiger Generationen eine zuverlässige Quelle sein wird. (Für jene Archäologen sei hier vermerkt, dass Yoko Ono gerade noch zum Abnehmen ihrer Sonnenbrille überredet werden konnte und ein berühmter deutscher Rocksänger, der in einem ebenso berühmten Hamburger Hotel wohnt, sich erst Jahre nach dem ersten Versuch ohne seine Sonnenbrille fotografieren ließ.)

Einige haben ihre Träume selbst aufgeschrieben, doch die meisten Traum-Texte entstehen durch Interviews, auch wenn im hektischen Alltag der Stars meist nicht viel Zeit für längere Gespräche bleibt, so erfahren wir doch in vielen Fällen von bislang unbekannten Seiten der Menschen, die uns jeden Tag in den Medien begegnen. Woran das liegt? Einerseits an unseren durch jahrelange Erfahrung geschulten Kollegen, andererseits ist es die ungewöhnliche Situation des Gesprächs: Der Journalist hat bei den Träumen nicht die Rolle des konfrontativen Gegenübers, der mögliche Schwächen und Fehler herausstellen möchte. Er ist ein Helfer, der mit geschickten Fragen Themen aufgreift, Gedanken aufschreibt und ordnet. Und weil das so ist, das habe ich selbst einige Male erlebt, öffnen sich Gesprächspartner, die in ihrem Leben schon Hunderte von Interviews gegeben haben, auf ungewohnte Weise und sind bereit, Dinge zu erzählen, die sie ansonsten gerne für sich behalten. Richtig böse wurde bislang nur Lou Reed, der vor vielen Jahren auf die Frage, wovon er träume, keifte: »Dass mich Journalisten in Zukunft mit solchen Fragen in Ruhe lassen«. Von einer ersten Absage lassen sich die Interviewer aber selten beirren, Isabella Rosselini etwa überlegte fünf Jahre lang, dann sagte sie zu.

Unvergessen, wie Steffi Grafs Traum, in dem sie der Öffentlichkeit erstmals von ihrer großen Liebe Andre Agassi berichtete, einmal um die Welt ging. Und bewegend, wie Ozzy Osbourne davon träumte, besser lesen zu können, um mehr von seiner Sammlung alter, kostbarer Bücher zu haben.

Längst kennen viele Stars den »Traum«, vertrauen ihm und sind bereit, sich zu erklären – mit der Folge, dass die Serie zu den meistzitierten journalistischen Reihen in Deutschland zählt.

Und was wäre der Traum ohne die Fotografen, die aus oft begrenztem Raum und knapper Zeit Bilder zaubern, die man nicht mehr vergisst.

Der langanhaltende Erfolg von »Ich habe einen Traum« ist vor allem zwei Kollegen zu verdanken, die fast von Anfang an ihre schützenden Hände über die Reihe halten, sie pflegen und hegen: den ZEITmagazin-Redakteuren Michael Biedowicz (für die Fotografie) und Jürgen von Rutenberg (für die Auswahl und die Texte). Redaktionen neigen manchmal dazu, selbst an den erfolgreichsten Formaten zu schnell zu ermüden, und beenden sie frühzeitig. Mit den Erfahrungen der Leser hat das nicht unbedingt zu tun, zumal DIE ZEIT jedes Jahr Tausende von neuen Lesern gewinnt. Aus Gesprächen, Leserbriefen und Umfragen unter den Lesern des ZEITmagazins wissen wir, dass der »Traum« von jeder nachwachsenden Lesergeneration neu entdeckt wird, auch weil jede Generation ihre eigenen Träume hat.

Und so verneigen wir uns mit diesem Buch vor dem großen Martin Luther King, der vor fast 50 Jahren, am 28. August 1963, in Washington in seiner legendären Rede unserer Rubrik ihren Namen gab: »I have a dream«.

CHRISTOPH AMEND, ZEITmagazin-Chefredakteur, im Juni 2012

Barbara Auer

»Drei Jahre lang war es mir unmöglich, spazieren zu gehen, weil ich bei jedem Kinderwagen, der mir entgegenkam, in Tränen ausbrach.«

BARBARA AUER

Eigentlich müsste ich in Weihnachtsvorbereitungen ersticken, aber ich komme einfach zu nichts. Wir haben gerade ein altes Haus gekauft, das darauf wartet, von uns renoviert zu werden. Bis letzte Woche habe ich gedreht, dann habe ich mir die Bänder überdehnt, als ich, mit meinem zweijährigen Sohn auf dem Arm, umgeknickt bin. Inzwischen ist so viel schiefgegangen, dass ich mich im Stadium verzweifelter Gelassenheit befinde. Ich bin sicher, einen Teil der Geschenke werde ich erst im Januar verschicken.

Früher lehnte ich wie die meisten Jugendlichen Weihnachten in der Familie ab. Wenn, dann wollte ich diesen Tag mit Freunden teilen. Inzwischen empfinde ich Weihnachten als wahres Familienfest und besonders schön, wenn man es durch die Augen von Kindern sehen kann, egal, ob es die eigenen sind, die von Freunden oder die aus der Familie. In diesem Jahr werden wir mit meinen beiden Stiefkindern, meinen eigenen beiden Kindern und meinen Geschwistern zu fünfzehnt in den Schweizer Bergen feiern. Für mich hat es als Fest der Ankunft von Jesus Christus viel von Nach-Hause-Kommen, von Zu-Hause-Sein.

Ich habe früher nie von Familie geträumt, aber stets von den Kindern, die ich haben wollte. Auch nach der Geburt meines ersten Sohnes Samuel habe ich mich lange nicht als Bestandteil einer Familie begriffen; so wichtig mein Sohn mir vom ersten Tag an war und so innig ich ihn liebte. Erst seit ich erkenne, dass alles andere, auch meine Arbeit, meine Seele nicht wirklich nähren kann, ist mir Familie immer wichtiger geworden. Das erstaunt mich sehr. Damit habe ich nicht gerechnet, das ist zu mir gekommen. Die tiefe Liebe, die man für seine Kinder empfindet, die eine völlig andere ist als die, die man für einen Geliebten fühlt.

Mit Mitte dreißig begann ich davon zu träumen, noch ein Kind zu bekommen. Samuel kam relativ früh, da war ich gerade siebenundzwanzig. Als sich zwei Jahre später bei allen Frauen um mich herum das zweite Kind ankündigte, war ich irritiert und wütend und dachte, wie langweilig, dieses spießig-bürgerliche Modell »Mama, Papa, zwei Kinder« zu imitieren.

Was darauf folgte, waren sehr schwierige und schmerzhafte Jahre. Ich hatte mehrere Fehlgeburten hintereinander und begann meine Gedanken zu bereuen. Wie konnte ich so anmaßend und überheblich sein, mich über den Kinderwunsch von anderen Frauen auszulassen? Drei Jahre lang war es mir unmöglich, spazieren zu gehen, weil ich bei jedem Kinderwagen, der mir entgegenkam, in Tränen ausbrach. Wir hatten jahrelang vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen, und fingen an, uns mit Adoption zu beschäftigen. Als ich nach Jahren mein Trauma überwunden und auf meine Art endlich Frieden mit meinem Schicksal gemacht hatte, wollten wir schließlich ein etwas älteres Kind aus Äthiopien in unsere Familie aufnehmen. Auf einmal, als wir den Gedanken längst aufgegeben hatten, wurde ich plötzlich wieder schwanger. Mit dreiundvierzig. Wir stoppten die Adoption, weil ich befürchtete, ich könnte beiden Kindern nicht gerecht werden.

Heute träume ich von meiner eigenen Großfamilie. Ich träume, dass alle Kinder, die ich in meinem Herzen trage, auch Teil meines aktiven täglichen Lebens sind; sowohl mein äthiopisches Adoptivkind als auch die drei Kinder, die ich verloren habe. Mein Leben wäre das, das ich heute führe, und es wäre doch ein anderes. Wenn es etwas gibt, von dem ich glaube, dass es mir leidtut, dann dies: Nicht noch mehr Kinder bekommen zu haben.

Neben meinem Traum vom Gebrauchtwerden als Mutter in einer erweiterten Großfamilie hatte ich, seit ich denken kann, immer das Bedürfnis nach dem absoluten Gegensatz, nach der totalen Einsamkeit. Der Gedanke, mutterseelenallein auf der Welt zu sein, hat mich schon als Kind fasziniert und ebenso verängstigt. Seit ich wie alle Kinder in den Märchen lebte, die ich las, träume ich von der Verlassenheit düsterer Tannenwälder. Was mich am meisten berührte und anzog, löste in mir zugleich immer auch die größte Angst aus. So sehr ich mir meine Kinder wünschte – auch der Gedanke, Kinder zu haben, ängstigte mich lange.

Diese Zerrissenheit ist symptomatisch für mich und mein Leben. Schon zu Schulzeiten wollte ich etwas Besonderes sein, aber selbst nie in Erscheinung treten. Wäre ich nicht so hübsch gewesen, wäre niemandem aufgefallen, dass ich im Klassenzimmer saß. Ich war furchtbar schüchtern und habe mich oft gefragt, warum ich Schauspielerin geworden bin. Noch heute, auf Elternabenden in der Schule, bin ich tief beeindruckt von den Redebeiträgen anderer, höre erstaunt, worüber Eltern alles informiert sind, und bleibe mit Vorliebe im Hintergrund.

In meinem Traum lassen sich diese meine beiden Sehnsüchte nach Familie und Einsamkeit befrieden, ja regelrecht verbünden zu einem ganz und gar archaischen Bild. Ich träume davon, mich vollends zurückzuziehen vor der Welt. Ganz klein zu werden, in einer riesigen Höhle oder in der Wüste; in einem Raum, in dem das Auge schweifen kann.

Es ist ein Traum von einem Gang, der nichts zu tun hat mit touristisch geprägten Reisen, die Menschen heute in die Sahara unternehmen. Vielmehr erinnert es mich an jene Frau, die vor ein paar Jahren allein zum Südpol marschierte. Eine Frau, die mich ungeheuer fasziniert. Die hat beides!, dachte ich mir. Als sie startete, war sie auch schon über vierzig und hatte drei erwachsene Kinder. Doch ich weiß, dass es die Abenteurerin in mir nicht gibt und dass ich die nötigen körperlichen Voraussetzungen dafür nie und nimmer mitbrächte.

Irgendwann muss ich diesen Weg auf meine Weise antreten. Es ist wie ein Auftrag, der meinem Leben innewohnt und auf seine Verwirklichung wartet. Dabei geht es letztlich natürlich auch um Glauben, unabhängig von der Tatsache, dass ich schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten bin.

Ich träume von einem anderen Alleinsein, anders als man sonst allein ist. Ich fühle mich immer ganz sicher, wenn ich nur mit mir bin. Aber in meinem Traum würde sich auch dieses Gefühl noch einmal lösen. Weil das »Ich« plötzlich nicht mehr wichtig ist, wenn man aufgeht in der Schöpfung und wieder eins mit ihr wird. Letztlich schließt sich da wieder der Kreis zu meinen Kindern und zur Familie, weil ich dieses Einssein mit der Schöpfung das letzte Mal bei der Geburt gespürt habe. Das absolute Mit-sich-allein-Sein ist aber auch der letzte Augenblick, bevor der Mensch stirbt. Vielleicht ist es die Sehnsucht danach, dieses Moments schon im Leben teilhaftig zu werden.

22. DEZEMBER 2004
AUFGEZEICHNET VON ANDREA THILO

FOTO VON CHRISTIAN SCHAULIN

BARBARA AUER wurde 1959 in Konstanz geboren. Sie studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg. 1981 gab sie ihr Debüt als Theaterschauspielerin. Bekannt wurde sie Ende der achtziger Jahre durch ihre Rollen in Fernsehfilmen. Seit 2005 spielt sie die Kriminalpsychologin Lisa Brenner in der Krimiserie Nachtschicht. Im Frühjahr 2012 war sie in der TV-Produktion Das Ende einer Nacht zu sehen. Barbara Auer hat zwei Söhne und lebt mit dem Kameramann Martin Langer in Hamburg.

Markus Babbel

»Heavy-Metal-Star statt Fußballer? Einen großen Vorteil hätte das: Ich hätte nie mehr Auswärtsspiele. Du spielst immer für vierzigtausend Zuschauer, nie gegen vierzigtausend.«

MARKUS BABBEL

Meine Karriere als Musiker begann, als ich in jungen Jahren einmal die Flöte meiner Schwester in die Hand nahm. Und damit endete die Karriere auch. Die Töne, die da rauskamen, machten mir klar, wie viel musikalisches Talent ich habe: gar keines. Aber je weniger man etwas kann, desto mehr träumt man davon. So unmusikalisch ich bin, so sehr liebe ich Musik. Heavy Metal ist mein Ding. Metallica, AC/DC, die harten Sachen; ich habe sie alle im Konzert gesehen. Und wenn dann die E-Gitarre aufheult, der Sänger mit seiner rauen, tiefen Stimme loslegt, wenn der Beat des Schlagzeugs schneller und lauter wird und mich mit in eine andere Welt reißt, dann kommt unweigerlich der Gedanke: Das wäre was – du ein Musikstar.

Ich sehe die Rocker neben mir im Publikum, ihre dicken Bierbäuche, ihre Kutten, wie wir Metaller sagen: die mit Nieten bestickten Lederjacken. Ich sehe die harten Jungs unten im Parkett, direkt vor der Bühne, wie sie headbangen, wie sie ihre langen Haare wild durch die Luft fliegen lassen. Ich selbst greife zur Luftgitarre, weil die Hände irgendwohin müssen, so sehr steckt die Musik mich an. In solchen Momenten träume ich, ich hätte eine echte Gitarre in der Hand, ich wäre es, der da oben auf der Bühne der Manchester Arena oder der Münchner Olympiahalle steht. Es spielt: Metallica, die beste Heavy-Metal-Band der Welt. Am Schlagzeug: Lars Ulrich. Leadguitar: Kirk Hammett. Gesang und E-Gitarre: Markus Babbel. Ich brülle: »Manchester, how are you tonight?« Achttausend Leute antworten, und ihr Geschrei kann nur eins bedeuten: Sie sind bereit. Dann die ersten Gitarrentöne, jeder im Publikum erkennt das Lied: I can’t remember anything / Can’t tell if this is true or dream / Deep down inside I feel to scream; es ist »One«, Metallicas großer Hit. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn du die Menge zum Toben bringst?

Wann immer mich Leute auf einem Konzert sehen, sind sie überrascht. Fußballprofis erwartet man doch eher auf einer Popveranstaltung, bei Robbie Williams oder so. Und ich sehe ja auch nicht gerade wie der klassische Metaller aus: keine langen Haare, keine Tätowierungen, kein Leder. Was die Leute aber vor allem verblüfft, ist, dass einer, der selber Star ist und angehimmelt wird, gleichzeitig auch Fan ist. Ich halte das für normal. Jeder hat seine Idole. Nur weil ich Fußballprofi bin, also den Traum von so vielen Menschen lebe, höre ich doch nicht auf, selbst zu träumen. Einmal habe ich Fernando von Arb getroffen, den Sänger von Krokus, wir haben zufällig den gleichen Anwalt. Ich habe Krokus schließlich sogar ein klein wenig bei der Promotion ihrer neuen Scheibe geholfen, und als dann auf ihrer Platte Almost 13 die Widmung stand: »Thanks to Markus Babbel«, da war ich so stolz wie ein Fußballfan, der ein Originaltrikot von Michael Owen ergattert.

Was meinst du? Dass ich als Rockstar ein leichteres Leben hätte als ein Fußballprofi? Party statt Training, meinst du, was?! Nun, wenn ich die Geschichten der Metaller von früher höre, da schien ja zu gelten: Je mehr Drogen die nahmen, desto besser. Aber ob das nicht hauptsächlich Mythen sind? So eine Tournee ist ein riesiger Akt, jeden Abend zweieinhalb Stunden volle Pulle, über Monate; ich kann mir nicht vorstellen, dass die dann noch Kraft haben, Nacht für Nacht Orgien zu feiern und Hotels zu zerlegen. Einen großen Vorteil hätte es allerdings, Heavy-Metal-Star statt Fußballheld zu sein: Ich hätte nie mehr Auswärtsspiele. Du spielst immer für vierzigtausend Zuschauer, nie gegen vierzigtausend.

Musik an – das ist morgens das Erste, was ich mache. Muss auch nicht gleich Heavy Metal sein, so früh am Morgen. Ich höre mir schon auch Pop an, Prince finde ich okay, Rock wie von U2 sogar sehr gut. Aber spätestens im Auto auf dem Weg zum Training dann die harten Sachen, zumindest wenn ich alleine im Wagen bin. Es passiert schon mal, dass ein Freund und Kollege wie Didi Hamann bei mir mitfährt, ich mache die Stereoanlage an, zuletzt hatte ich eine CD von Stained drinnen – da fällt der Didi vom Glauben ab. Für viele ist Heavy Metal nur ein aggressiver Krach, aber mich – und jetzt werden sicher einige sagen, der Babbel spinnt –, mich beruhigt Heavy Metal. Mir gibt das eine innere Zufriedenheit. Wenn ich allein mit meiner Musik im Auto bin, da rase ich nicht mit zweihundert durch den Ort, nein, da gleite ich dahin, ruhig, ausgeglichen, glücklich. Und die Boxen brummen, dass der Wagen wackelt. Du musst Heavy Metal laut hören, da muss richtig Druck dahinter sein, damit du es genießen kannst. Wobei, letztens war ich auf dem AC/DC-Konzert in Manchester, ich hatte einen sensationellen Platz, zehn Meter von der Bühne weg, allerdings auch nur zehn Meter von den Boxen. Das war so laut, nach dreißig Minuten musste ich rausgehen. Vielleicht werde ich alt?

Aber beim nächsten Metallica-Konzert werde ich trotzdem wieder dabei sein, und zwar diesmal unten auf dem Parkett, ganz nah an der Bühne, mitten drin im Auge des Orkans. Das habe ich noch nie gemacht – das ist einer der kleinen Träume, den ich mir auf jeden Fall erfüllen will. Oder einmal Metallica persönlich kennenlernen. Vor zwei, drei Jahren bin ich mit meinen Kumpeln nach einem ihrer Konzerte in München ins Fantasy nach Neuaubing gefahren, weil wir dachten, wir würden die Band dort treffen. Es gibt doch immer diese After-Concert-Partys, und wir waren uns sicher, Metallica würden ihre im Fantasy feiern. Das war die einzige Heavy-Metal-Disco in München. Jetzt gibt es sie leider nicht mehr, vor einem Jahr wurde sie abgerissen, ein Trauertag für uns Metaller. Aber damals waren wir uns sicher: Metallica gehen nach ihrem Konzert ins Fantasy – wohin sonst? Tja, dort standen wir dann – und am nächsten Tag erfuhr ich von Tina, der Frau von Didi Hamann, sie habe Metallica im P1 getroffen. Im P1! Das ist Münchens Schicki-Disco; der letzte Ort, wo du Metallica erwarten würdest. Tina wusste von meiner Leidenschaft und hat versucht, wenigstens Autogramme für mich zu kriegen. Erst wollten die Bodyguards sie gar nicht durchlassen: »Geh weg, du Groupie!« Doch Tina war hartnäckig. Beim Autogrammschreiben müssen sich die Jungs allerdings einen Spaß erlaubt haben. Das war ein Gekritzel! Da konnte ich beim besten Willen kein Ulrich, kein Hammett herauslesen.

Jens Jeremies, mit dem ich bei Bayern München und in der Nationalelf gespielt habe, hat immer gesagt: »Bei mir auf der Hochzeit wird Udo Jürgens spielen.« Was sagst du? Ob das ein Gag war? Nein, nein, der Jens ist ein echter Schlager-Fan. Und auf seiner Hochzeit hat tatsächlich Udo Jürgens gespielt, da war eine Stimmung – sensationell. Das wäre es natürlich: Metallica auf meiner Geburtstagsparty. Aber ich befürchte, das wird weder zu organisieren, geschweige denn zu bezahlen sein. Aber wie heißt es immer: Träumen darf man ja.

This terrible silence stops me / Now that the war is through with me / I’m waking up, I can not see … Wenn sie »One« spielen auf dem Metallica-Konzert, und ich sehe all die dicken, starken Rocker um mich herum, träume ich auch schon mal: Ach, wenn ich so wäre. Wenn ich solche Oberarme hätte, solche Muskeln. Mit den langen Haaren habe ich es ja einmal versucht. Als ich vierzehn war. Sah leider nach gar nichts aus bei mir, und außerdem hat der Kopf wie verrückt gejuckt, wenn ich beim Fußball ins Schwitzen kam. Heute denke ich manchmal noch: Komm, jetzt machst du dir wenigstens irgend so ein Tattoo auf den Oberarm, wie es die harten Metaller haben. Ich war schon öfters wirklich kurz davor. Aber das ist ja die Crux von uns Träumern: Irgendwann wachen wir auf, irgendwann kommt immer der Punkt, an dem wir zu uns selbst sagen: Mensch, Markus, hör auf zu träumen, und sei vernünftig!

27. DEZEMBER 2001
AUFGEZEICHNET VON ROLAND RENG

FOTO VON RONALD DICK

MARKUS BABBEL, geboren 1972, Europameister von 1996, von 1991 bis 2000 beim FC Bayern München (zwischenzeitlich an den HSV ausgeliehen), von 2000 bis 2004 beim englischen Erstligisten FC Liverpool, träumte für die ZEIT davon, als Heavy-Metal-Star zu rocken. Dann lähmte eine Nervenkrankheit mit dem Namen Guillain-Barré-Syndrom seine Beine, seine Arme, Teile des Gesichts. Nach seiner Genesung wurde er an die Blackburn Rovers ausgeliehen und ging 2004 zum VfB Stuttgart, mit dem er 2007 in seiner letzten Saison als Spieler Deutscher Meister wurde. Im Anschluss arbeitete er als Trainer in Stuttgart und Hertha BSC, seit Februar 2012 trainiert er die TSG 1899 Hoffenheim.

Lira Bajramaj

»Ich wollte so sein wie Prinzessin Diana.«

LIRA BAJRAMAJ

Es ist der 17. Juli, in Frankfurt laufen die letzten Minuten des Endspiels gegen Brasilien. Wir bekommen einen Freistoß zugesprochen. Melanie Behringer, Inka Grings und Kim Kulig stehen am Ball, ich stehe in der gegnerischen Mauer, versuche, die Brasilianerinnen zu irritieren. Der Freistoß wird schnell ausgeführt. Der Ball segelt in den Sechzehn- Meter-Raum, die gegnerische Abwehr bekommt ihn nicht unter Kontrolle, und eine meiner Mitspielerinnen bringt ihn irgendwie über die Torlinie. Wir haben die Weltmeisterschaft gewonnen!

Aber bevor ich den Sieg so richtig genießen kann, reißt mich eine laute Stimme zurück in die Realität: »Lira, nicht träumen! Weiter geht’s!« Die Stimme gehört unserer Trainerin. Ich stehe tatsächlich in der Mauer, aber es ist Juni, noch läuft die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft, wir trainieren gerade Standardsituationen.

Im Spiel ist keine Zeit für Träumereien. Dennoch habe ich viele Träume. Ein Leben ohne Träume wäre öde. Sie gehören zum Leben, die kleinen und die großen, die uns Menschen antreiben.

Ich bin in einem kleinen Dorf im Kosovo geboren, wir sind von dort geflohen, als der Krieg auf dem Balkan eskalierte. Ich war fünf Jahre alt. Mein Vater hat damals von einem besseren Leben für seine Familie geträumt, und diesen Traum hat er wahr gemacht. In gewisser Weise ist meine Karriere ein Teil dieses Traums meines Vaters, auch wenn er anfangs dagegen war, dass seine Tochter Fußball spielt, und ich mich heimlich zum Training schleichen musste.

In den ersten Jahren in Deutschland habe ich davon geträumt, eine berühmte Sängerin, Tänzerin oder Schauspielerin zu sein wie die Stars, die ich im Fernsehen sah. Oder noch besser: eine Prinzessin. Ich war fasziniert von Prinzessin Diana und wollte so sein wie sie.

Später hat sich dann der Fußball in meine Träume geschlichen. Mit siebzehn habe ich mein Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert. Das war hammergeil! Von da an war mir klar, ich will noch ganz viel erreichen, ich will Turniere gewinnen. Es ist ein unglaublich tolles Gefühl, wenn Träume in Erfüllung gehen. Ich kann gar nicht genug davon bekommen, möchte es wieder und wieder erleben.

Es gibt auch einen Traum für die Zeit nach dem Fußball. Ich stelle mir gerne vor, dass ich nach meiner aktiven Laufbahn mit meinem Mann und unseren Kindern in Mönchengladbach lebe, in der Nähe meiner Eltern. Sicher, ich könnte auch davon träumen, in Miami Beach zu leben, mit einer Villa am Strand wie P. Diddy. Aber ich träume lieber von etwas, das ich tatsächlich erreichen kann. Zu meinem Traumhaus gehört ein großer Garten mit einem Pool, am Wochenende grillen wir dort, meine Kinder gehen in den Sportverein. Möglicherweise habe ich dann auch mein eigenes Kosmetikstudio, im nächsten Jahr möchte ich eine Ausbildung zur Visagistin beginnen. Ein schöner Traum, der aber noch in der Ferne liegt, meine Karriere steht ja erst am Anfang. Und vor mir liegt eine WM, die ich unbedingt gewinnen will.

22. JUNI 2011
AUFGEZEICHNET VON JÖRG BÖCKEM

FOTO VON THOMAS RABSCH

FATMIRE »LIRA« BAJRAMAJ kam 1988 in Gjurakovc im heutigen Kosovo zur Welt, fünf Jahre später siedelten ihre Eltern nach Deutschland über. Als Fußballerin spielte sie für Mönchengladbach, Duisburg und Potsdam, 2011 wechselte sie zum 1. FFC Frankfurt. Mit der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen wurde sie 2007 Weltmeister. 2011 wurde sie zur Fußballerin des Jahres gewählt.

Bjork

»Ich glaube, man kann mit vielen Instrumenten gute Musik machen. Aber bei einer Sache sind wir alle Experten, ohne uns dessen überhaupt bewusst zu sein: bei der Stimme.«

BJÖRK

Früher bin ich sehr oft per Anhalter gereist. Ich weiß nicht, ob das irgendwo anders so gut geht wie in lsland. Trampen war ein großartiger Test für mich. Wenn man immer sicher und unter Freunden ist, in einer vertrauten Umgebung, erfährt man viele Dinge nicht. Wenn man aber zu jemandem ins Auto steigt, den man nie zuvor gesehen hat, erfährt man einiges über sich selbst. Einmal bin ich ganz um lsland herum gefahren. Ich hatte wenig Geld dabei – und als ich wiederkam, hatte ich mehr als bei meiner Abreise. Überall, wo ich hinkam, bot man mir Arbeit an. Die ersten Leute, die mich mitnahmen, hatten kurz zuvor einen Wasserlauf mit Lachsen geerbt. Aber sie hatten noch nie geangelt. Ich zeigte ihnen, wie das geht. Dann passte ich eine Woche lang auf ihre Kinder auf, während sie fischen gingen. Sie bezahlten mich dafür. Ich fuhr weiter und kam zu einem Café am nördlichsten Punkt von lsland, wo nur eine einzige Frau lebte, die dort arbeitete. Ein Verwandter von ihr war gestorben. Sie bat mich, den Laden zu hüten, damit sie zur Beerdigung fahren konnte. Also blieb ich für eine Woche. Und so ging es weiter. Als ich zurückkam, hatte ich die ganze Zeit gearbeitet. Aber ich hatte auch mehr Energie.

Mit dreizehn kaufte ich mir von meinem ersten selbstverdienten Geld ein Zelt. Ich hatte schon als Teenager ein reges Sozialleben und spielte in vielen Bands. Wenn ich meine Ruhe brauchte, stellte ich mich an die Straße. Ich fuhr nicht besonders weit, vielleicht ein paar Autostunden. Dann ging ich ein paar Stunden von der Straße weg und baute mein Zelt auf. Ich war manchmal einfach zwei, drei Trage draußen, ganz allein. Ich hatte einen Beutel Haferflocken, einen Beutel Kaffee, einen Löffel, einen Topf und einen Gaskocher dabei. Das war genug. Man kann in der Nähe eines Flusses campieren. Wenn man Hunger hat, kocht man sich ein paar Haferflocken, oder man angelt. Am liebsten aber wanderte ich und sang dabei. Mal laut, mal leise, manchmal flüsterte ich auch nur.

Für mich ist jeder Mensch, wenn er singt, etwas Besonderes. Selbst wenn er im Fußballstadion steht und »Olé, olé, olé!« ruft. Ich hoffe natürlich, dass er noch mehr kann. Aber Singen muss nicht technisch perfekt sein. Singen ist einfach ein großartiges Gefühl. Ich mag es zum Beispiel, wenn ich mit Freunden ein paar Drinks hatte und wir zu singen beginnen. Wir machen einfach Geräusche mit unserem Mund.

Das klingt etwa so:

»A-ah, A-a-ah.«

»o-oh, o-oh, o-oh.«

»U, ah, U-U-ah.«

»Tsssst Tsssst, Tssst.«

»Tschk Tschkahh.«

Wenn man das als Gruppe macht, bringt es großen Spaß, nach einer Weile verliert man sich völlig darin. Besonders Leuten, die es nicht so oft tun, gibt schon der körperliche Aspekt des Singens enormes Wohlbefinden.

In letzter Zeit habe ich mich von immer mehr Instrumenten und Werkzeugen verabschiedet. Ich wollte etwas finden, das weiter zurückreichte als Politik, weiter als Religion. Bei manchen Liedern dachte ich an eine Zeit vor zehntausend Jahren. Ich stellte mir vor, wie wir alle nackt und mit langen Haaren in einer Höhle sitzen und zusammen singen. Vielleicht verflechten sich dabei unsere Haare miteinander. Aber auch in der Gegenwart gibt es solche Momente. Oft, wenn ich mit meinen Freunden in einer Bar sitze, stellen wir fest, dass wir die Außenwelt nicht mehr brauchen. Wir drehen einfach die Musik ab und singen. Da sind wir schon in unserer Höhle.

Ich glaube, man kann mit vielen Instrumenten gute Musik machen. Aber bei einer Sache sind wir alle Experten, ohne uns dessen überhaupt bewusst zu sein: bei der Stimme. Du bekommst einen Telefonanruf, vielleicht von einem Sachbearbeiter deiner Bank, und du kannst dir sofort vorstellen, was für eine Art Mensch das ist. Sein Alter und Geschlecht. Ob er vielleicht müde ist, ärgerlich oder glücklich. Ob er vielleicht schon seit Jahren schlechte Laune hat. In dieser Hinsicht ist jeder von uns ein Profi. Mit unserer Stimme drücken wir uns ununterbrochen aus. Säuglinge machen zuerst »auoauoau aoau maoaoao«. Diese Art von Geräuschen. Sie erkunden die Möglichkeiten. Irgendwann entdecken sie, dass sie schreien können. Dann probieren sie, wie weit sie gehen können.

Früher dachte ich, Politik sei unwichtig für die Musik. Ob die Grünen an der Macht sind oder eine andere Partei – das verändert nicht die Gestalt der Berge. So sollte auch Musik bleiben, was sie ist, fand ich. Vielleicht hat die weltpolitische Entwicklung der letzten Jahre mich doch stark beeinflusst. Ich will nicht die ganze Zeit Angst vor Terroristen haben oder an George Bush denken. Ich möchte dem eine bessere Art entgegensetzen, wie man seine Zeit verbringen kann.

Politiker glauben, neunzig Prozent der Menschen sollten die Welt mit ihren Augen sehen. Aber ihr Standpunkt repräsentiert vielleicht drei Prozent der Menschheit. Die anderen siebenundneunzig Prozent sind Menschen, die sehr hart arbeiten und versuchen, zu überleben. Menschen machen Musik, die schlecht ist. Oder gut. Menschen machen Sport, sie erzählen gute und schlechte Witze. All diese anderen Dinge geschehen in der Welt. Politik ist nicht die einzige wichtige Sache. Pflanzen wachsen, Berge existieren. Das Universum macht sein Ding. In New York habe ich vor zwei Jahren ein Haus gefunden, eine halbe Stunde von Manhattan entfernt. Es steht im Wald, an einem Fluss. Wann immer ich will, kann ich in die Stadt fahren und kosmopolitisch sein. Einmal die Woche ziehe ich hochhackige Schuhe an, trage Lippenstift auf und bin urban. Ich mag Extreme. Aber ein paar Stunden später muss ich da wieder raus.

In lsland habe ich eine Hütte an einem See. Dort habe ich viele meiner Stücke aufgenommen. Die Natur ist mein Tempel. Und meine Religion zugleich. Aber sie ist nicht so konstruiert wie eine von Menschen gemachte Religion, nicht so kompliziert und machtorientiert. Natur hat keine Regeln. Natur ist Natur. Natur sagt nicht: Der Berg ist größer als der Baum. Oder: Der Mond ist größer als der See. Diese Art Vergleich ist in der Natur lächerlich. Wenn man allein in der Natur ist, wird man Teil von ihr. In Kulturen, wo die Menschen überwiegend in Städten leben und kaum Kontakt zur Natur haben, neigen sie dazu,