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Erika und Jürgen Borchardt

Petermännchen

Der geheimnisvolle Zwerg

1. Auflage 1994

ISBN 978-3-86394-032-4 (E-Book)

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Der geheimnisvolle Zwerg

Einstmals, dreihundert Jahre sind seitdem vergangen, da ereignete sich im Fürstenschloss Schwerin gar Seltsames, ja Ungeheuerliches. Ein geheimnisvolles Männchen erschien plötzlich in den düsteren Kellergewölben und Gängen des altehrwürdigen Schlosses. Es verteilte, hast du nicht gesehen, mir nichts, dir nichts Ohrfeigen! Und verschwand.

Furchtsam flüsterten die Leute, das könnte nur ein Geist sein, der hier sein Unwesen trieb. Manche frohlockten aber auch. Des Erzählens über den geheimnisvollen Zwerg war kein Ende.

***

Und das kam so. Die fürstliche Herrschaft benötigte zu ihrem Unterhalt im Schloss über vierhundert besoldete Bedienstete; Köche, Küchenjungen und Bratenwender, Kaffeesieder, Bäcker und Konditoren, und Essenträger und Wäscherinnen, Plätterinnen und Kammerjungfern und Jäger, Stallmeister und Pferdeburschen, Hofmaler, Musikanten und Tanzlehrer. Und viele, viele andere mehr, darunter auch einen Mundschenk. In seiner feinen Uniform stand er an der Speisetafel und achtete sorgsam darauf, die passenden Getränke für die verschiedenen Speisen vorzuschlagen und rechtzeitig nachzuschenken, wenn der Wein, das Bier oder der Cognac in den Gläsern der Herrschaften zur Neige gingen. Das war zwar eine Tätigkeit wie jede andere auch, solch ein Lakai stand jedoch bei Hofe in hohem Ansehen. Er war in der herzoglichen Rangordnung gleichgesetzt mit Professoren der Universität Rostock und den Bürgermeistern der Städte. Er arbeitete ja unmittelbar vor den Augen der fürstlichen Personen für deren Genuss. Was er servieren ließ, versetzte die Herren zudem meistens in gute Stimmung, so dass er sich auch eines besonderen Wohlwollens erfreute. Es hatte also schon sein Gutes, als Mundschenk den Dienst versehen zu können. Ein Mundschenk des Herzogs Friedrich Wilhelm am Anfang des 18. Jahrhunderts hieß Daniel Gardemin. In Güstrow geboren, entstammte er einer dort ansässigen Lakaienfamilie. Ob dadurch oder durch den Dienst an der herzoglichen Tafel, jedenfalls dünkte er sich was Besseres, wurde hochmütig und rechthaberisch, andere achtete er für gering. Sogar vor Gericht hatte er schon gestanden, weil er über andere schlecht geredet hatte. Verleumdung nannte man das in den Akten. Weil Herr Gardemin jedoch solch hohen Rang bekleidete, bekam er meist Recht. Schließlich wagte es niemand mehr, ihm zu widersprechen, jedenfalls nicht, wenn er im Rang unter ihm stand. Gegen Höhergestellte benahm sich Gardemin jedoch unterwürfig und dienstbar zuvorkommend. Er war eben ein richtiger Lakai.

Manch einem am Hofe war im Herzen der Sinn für Recht und Unrecht geblieben, und er wünschte deshalb insgeheim, der hochnäsige Herr Gardemin möge einmal eine tüchtige Strafe erhalten, die er sein Lebtag nicht vergessen sollte. Selbst einige der Herren hätten sich darüber gefreut. Gar zu sehr katzbuckelte er und redete ihnen zum Munde, was doch gar nicht seine Aufgabe als Mundschenk war. Niemand mochte den Lakaien. Er schien es jedoch nicht zu merken, oder aber es war ihm gleichgültig. Immer unverschämter benahm er sich. Jede Laune ließ er an niedriger Gestellten aus.

Zu den vielen Bediensteten am Hofe gehörten seit längerem auch kleingewachsene Menschen, zur Belustigung der Herren und Damen als Hofnarren gehalten. In der höfischen Rangordnung aber fanden sie nicht einmal Erwähnung. Und sie waren doch witzig und belesen und klug, oftmals sehr feinsinnig. Und empfindsam.

Über den Hofzwerg seines Herrn machte sich der Herr Mundschenk des Herzogs Friedrich Wilhelm des Öfteren lustig. Er demütigte das Männchen, wo er konnte, am liebsten im Beisein anderer. In grimmiger Ohnmacht biss sich der Zwerg heimlich auf die Lippen, und seinen Zorn versteckte er hinter einem Scherzwort. So gelangte er oftmals lachend aus der Reichweite des boshaften Lakaien. Wehren durfte er sich nicht, das wäre ihm schlecht bekommen. Vergessen konnte der kleine Mann die Kränkungen jedoch auch nicht.

Eines Abends, bei einer Gesellschaft im Ballsaal trieb es der Mundschenk gar zu arg mit dem Zwerg. Gardemin trat ihm wie unabsichtlich mit dem spitzen Absatz auf den Fuß. Der Kleine schrie laut auf vor Schmerz. Der Mundschenk sah sich jedoch ganz scheinheilig um und fragte laut: „Hat sich hier etwa ein Ferkel verlaufen? Es quiekt ja so.“ Das war zwar bloß einer seiner üblichen Scherze, mit denen er den Hofstaat kaum noch erheiterte, aber er hatte die Aufmerksamkeit erst einmal auf sich gelenkt. Man wartete gespannt, was nun folgen würde. Wenig später lockte er den Zwerg wieder heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Als der Kleine sich umwandte und loslief, stellte Gardemin ihm ein Bein, dass er stolperte und hinfiel und sich die Nase blutig schlug. „Was bist du wieder eilig, du Narr!“ höhnte sein Peiniger von oben herab. „Glaubst wohl, die hohen Damen vergehen schier vor Sehnsucht nach dir? Welcher der Schönen soll denn heute die Ehre zuteil werden, von dir umarmt zu werden? Seid nur nicht gar zu verschwenderisch mit Eurer Gunst, edler Herr!“ Er schlug sich auf die Schenkel und lachte wiehernd. Und mit ihm wieherte der feine Kreis der hohen Herrschaften. Welch ein gelungener Scherz. Dem Kleinen dröhnte das Gelächter wie Donner in den Ohren, und Tränen der Ohnmacht schossen ihm in die Augen. Es schien aber, sie kämen vom Lachen, so hatte er sein Gesicht verzogen. Und er entgegnete offenbar ganz keck: „Seid unbesorgt, mein Herr! Nach Euch nur steht mir der Sinn, oh Sonne meines Herzens.“ Wieder wollte der Hofstaat schier bersten vor Lachen, diesmal über den Kammerlakaien. Niemand bemerkte, dass der Narr eigentlich gar keinen Spaß gemacht hatte.

In dieser Nacht kam dem Zwerg ein wahrlich geistreicher Einfall. Er würde den Mundschenk strafen, ohne von ihm erkannt zu werden. Nicht einmal ahnen sollte Gardemin, wer hinter den Streichen steckte. Und auch die anderen Diener, die der Herr Kammerlakai demütigte, würden ihren Spaß haben.

Es spukt im Schloss

Es war spät geworden in dieser Nacht. Gardemin begab sich als einer der letzten Schlossbewohner endlich zur Ruhe, des Schlafes schon sehr bedürftig. Die Herren hatten wieder tüchtig gezecht. Müde langte er in seiner Kammer an, hängte die Perücke einfach über die Stuhllehne, streifte die Livree ab, schlüpfte ins Nachthemd, legte sich ins Bett, löschte die Kerze auf dem Nachtschrank, zog die Nachtmütze über beide Ohren und drehte sich auf die Seite. So schlief er immer am ehesten ein.