Paige Toon

Das verrückte Leben der Jessie Jefferson

Roman

Aus dem Englischen von Gisela Schmitt

image

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Für Ali Harris: Freundin, Autorenkollegin und Vertraute. Ohne deinen Vorschlag, neben meiner üblichen Chick-Lit auch Bücher für Jugendliche zu schreiben, würde es dieses Buch nicht geben. Hab also vielen Dank!

1. KAPITEL

„Jessie! Jessica! Mach die Tür auf!“

Unwahrscheinlich. Ich ziehe noch einmal an meiner Zigarette und schnippe die Asche träge aus dem geöffneten Fenster. Garantiert werde ich nicht wegen meines bescheuerten Stiefvaters eine köstliche Kippe verschwenden.

„Jessie, ich mein’s ernst. Wenn du nicht sofort die Tür aufmachst, tret ich sie ein.“

Oh, Mann. Bleib mal locker, Stu.

„Ich muss mir erst was überschmeißen. Bin in einer Minute da!“, rufe ich.

„Bist du nicht. Du sitzt auf dem Fensterbrett und rauchst und trinkst meinen guten Cider. Der ist nämlich nicht mehr im Kühlschrank.“

Tja. Hätte er ihn wohl besser gar nicht erst reinstellen sollen.

„Dann breche ich jetzt also die Tür auf!“, brüllt er. Es folgt ein lautes Krachen.

Scheiße. Er ist echt sauer.

„Ich bin nackt!“, schreie ich zurück. „Doch wenn du Bock aufs Jugendamt hast, komm ruhig rein!“

„Was fällt dir ein, junge Lady? Wenn das deine Mutter hören würde!“

„Mach keinen Stress, Stu.“ Seine Worte brennen förmlich in meinen Ohren.

Wütend schnippe ich die Zigarette aus dem Fenster und reiße die Tür auf. „Zur Hölle mit Mum! Sie ist tot, sie kann nichts mehr hören!“

Stuarts Gesichtsausdruck rührt mich zu Tränen. Schnell knalle ich ihm die Tür wieder vor der Nase zu und schließe ab, damit er mich nicht in eine seiner erstickenden Umarmungen ziehen kann. Ich werfe mich auf den Fußboden und heule mir die Augen aus dem Kopf. Hoffentlich rafft er jetzt endlich, dass er mich in Ruhe lassen soll.

„Jessie?“, fragt er nach einer kurzen Pause leise.

Pech gehabt. „Lass mich einfach in Ruhe, Stu“, erwidere ich.

„Ich möchte mit dir sprechen.“

„Aber ich nicht mit dir.“

„Jetzt komm schon, Jess. Ich ertrag es nicht, dich so zu sehen. Ich will für dich da sein, das alles mit dir gemeinsam durchstehen.“

„Bitte“, presse ich schluchzend hervor. „Bitte lass mich allein.“

Stille. Ist er weg?

„Das geht nicht, und das weißt du.“

Nein.

„Mach die Tür auf“, versucht er es noch einmal. „Ich hab dir ein Fischstäbchen-Sandwich gemacht.“

Als ob das irgendwas ändern würde. Obwohl … eigentlich könnte ich echt gut ein Fischstäbchen-Sandwich verdrücken.

„Jessie?“, fragt er noch einmal.

Mein Magen knurrt. „Ich bin in einer Minute unten.“ Selbst durch die massive Holztür erscheint es mir, als ob ich seine Erleichterung spüren kann.

„Okay“, entgegnet er sanft.

Sowie ich sicher bin, dass er weg ist, stehe ich auf und stelle mich vor den Spiegel. Meine Nase ist rot, die Augen verquollen. Mein mittellanges, hellblondes Haar ist ein bisschen durcheinander, aber mir gefällt es so. Ich schnappe mir mein Make-up von der Kommode und tue mein Bestes, um die Flecken in meinem Gesicht abzudecken. Dieser elende Stu! Was muss er mich auch zum Heulen bringen! Mein Eyeliner ist komplett verschmiert, die Mascara verlaufen. Ich umrande mir die Augen mit schwarzem Kajal und trage frische Wimperntusche auf. Den pinkfarbenen Lippenstift stopfe ich in meine Hosentasche. Dann setze ich meine schwarze Beanie auf, greife mir meine Camouflage-Jacke und klettere aus dem Fenster.

Es ist erst sieben Uhr abends, also noch nicht dunkel. Dafür ist es ziemlich frisch für Mitte Juni. Ich schiebe die Hände tief in die Jackentaschen und stapfe in Richtung Stadt. Ob jemand von den anderen da ist? Sicherheitshalber checke ich mein Handy – keine SMS. Ich klicke auf meine Posteingangsbox, falls mir eine Nachricht entgangen sein sollte. Ganz oben steht Libbys Mail von gestern. Stirnrunzelnd stecke ich das Smartphone zurück in die Tasche. Keine Lust, ihr zu antworten. Libby war lange meine beste Freundin, nachdem sie mit neuneinhalb Jahren nach Maidenhead gezogen war. Sie will wissen, wie es mir geht. Wäre sie immer noch meine beste Freundin, müsste sie diese Frage nicht stellen. Jeder Volltrottel sieht, dass es mir nicht gut geht.

Vielleicht liegt es an mir, dass wir uns voneinander entfernt haben. Aber ich ertrage es einfach nicht, wie sie und ihre perfekte Familie ihr perfektes Leben führen, während mein eigenes zerbrochen ist. Sie hat ihre Mum, ihren Dad und ihre Brüder. Ich habe niemanden. Und auch wenn ich natürlich weiß, dass es ungerecht ist, nehme ich ihr die Kleinstadtbilderbuchfamilienidylle übel.

Gut, ich habe Stu, doch er ist nicht mein richtiger Vater. Meinen richtigen Dad kenne ich nicht. Er ist nach wie vor der große Unbekannte für mich – seit damals, als ich sieben war und Mum zum ersten Mal nach ihm gefragt habe.

„Spielt doch keine Rolle“, hatte sie geantwortet. „Stuart ist ein viel besserer Vater, als dieser Mann es je hätte sein können.“

Vielleicht stimmt das ja, aber es war dennoch scheiße von ihr, mir nicht zu sagen, wer er ist.

Entschuldigung, Mum. Das war nicht so gemeint. Ich gucke nach oben in den bedrohlich wirkenden Himmel, und plötzlich habe ich Tränen in den Augen. Ich beiße mir auf die Unterlippe, damit sie aufhört zu zittern, und biege nach links in den Park ab.

Ein paar Jungs spielen auf dem kleinen Platz Fußball. Als ich sie beobachte, sehe ich am anderen Ende des Parks, unter den Bäumen, Zigarettenrauch aufsteigen. Ich würde meine Beanie verwetten, dass es Natalie ist. Ich laufe in ihre Richtung, jederzeit bereit umzudrehen, falls ich danebenliegen sollte. Einer der Jungs schießt ein Tor, und seine Freunde jubeln ekstatisch. Als wären wir in Wembley. Ich verdrehe die Augen, denn jetzt reißt auch noch einer von ihnen in bescheuerter Ronaldo-Pose sein Hemd hoch.

Und da bemerke ich Tom Ryder. Amüsiert schüttelt er den Kopf über die Typen. Dann sieht er in meine Richtung. Ich zwinge mich, an ihm vorbei woandershin zu schauen. Vor ein paar Wochen soll er mit seiner Freundin Schluss gemacht haben, aber er wird garantiert nicht lange Single bleiben. Er ist eine Klasse über mir und immer ist irgendeine hinter ihm her.

Mein Puls beschleunigt sich, während ich am Spielfeld vorbeimarschiere und meinen Blick dabei fest auf die vier Personen hefte, die weiter hinten auf der Bank sitzen. Hoffentlich sind es meine Freundinnen, denn wenn ich nun wieder umdrehen müsste, wäre das megapeinlich.

„Hey, Jessie!“ Ich zucke zusammen, als ich Toms Stimme höre – und bete, dass er es nicht bemerkt hat.

„Hi, Tom“, erwidere ich so lässig wie möglich und vermeide es, ihn anzuschauen.

„Bist du etwa hier, weil du mich Fußball spielen sehen willst?“ Statt einer Antwort bekommt er von mir einen vernichtenden Blick. Doch das juckt ihn nicht im Geringsten. Er hat ein derart gutes Selbstbewusstsein, dass er es in Flaschen abfüllen und auf eBay verticken könnte. „Bist du morgen Abend auch bei Mike?“, fragt er und kratzt sich am Kopf. Er hat kurze braune Haare, die ordentlich auf unordentlich gestylt sind.

„Was kümmert’s dich?“, entgegne ich. Allerdings werde ich da sein. Mike ist Natalies älterer Bruder und ein Jahr älter als sie. Ihre Eltern sind am Wochenende weg, also ist Party angesagt!

Tom zuckt mit den Schultern und grinst mich an, und mein Verräter von Herz fängt heftig an zu klopfen.

„Hey!“, höre ich und entdecke Natalie winkend auf mich zulaufen. Gerettet! Ich lächle, als sie mich zu sich herüberwinkt. „Ich wusste ja gar nicht, dass du heute Abend kommen wolltest“, ruft sie.

„Wusste ich auch nicht.“ Ich lasse Tom stehen. Sein brennender Blick verfolgt mich, das spür ich deutlich.

Natalie und ich umarmen uns kurz, danach gehen wir zu den anderen. Leider kann ich nicht anders und wende mich noch einmal um, und genau in diesem Moment kreuzen sich Toms und mein Blick für eine Millisekunde. Doch schon fliegt der Fußball in seine Richtung, und er ist abgelenkt.

Oh Mann, der Typ ist echt süß. Dummerweise weiß er das aber auch.

Ich begrüße die anderen: Dougie, Em und Aaron.

Dougie und Em sind bald mit der Schule fertig. Aaron und Natalie sind in der Klasse über mir und haben auch bald ihren Abschluss. Ich hänge erst seit ein paar Monaten mit ihnen ab, fürchte mich allerdings jetzt schon vor meinem letzten Schuljahr, wenn sie alle weg sind.

„Was wollte Tom denn von dir?“, will Natalie wissen. Sie schaut mich aus ihren blassblauen Augen durchdringend an und schiebt sich ihr langes schwarz gefärbtes Haar aus der Stirn. Auch Em wendet sich zu mir. Sie sieht nicht so knallermäßig aus wie Natalie und hat braunes Haar und einen leicht orangefarbenen Teint.

„Nix. Er hat mich nur gefragt, ob ich morgen Abend auch bei euch bin.“

„Das wird super“, meint Natalie grinsend. „Übernachtest du?“

„Ja, vielleicht.“ Ich muss an meinen Streit mit Stu denken und das Fischstäbchen-Sandwich, das er mir extra gemacht hat, und habe kurz ein schlechtes Gewissen. Mir ist klar, dass er nicht begeistert sein wird, wenn ich morgen Abend weggehe. Natalie schiebt mir ihre Dose Cider rüber. Ich trinke einen großen Schluck, um mich von Stu abzulenken. Nicht, dass ich noch mehr Alkohol bräuchte – ich habe ja schon einiges an Cider intus und immer noch Hunger. Ich gucke rüber zu Tom, der übers Spielfeld jagt.

„Komm, wir gehen zur Seilrutsche“, schlägt Natalie unvermittelt vor und zieht mich auf die Füße. Lachend folge ich ihr.

Nachdem das Fußballspiel zehn Minuten später zu Ende ist, bemerke ich, wie Tom in unsere Richtung schaut, während Natalie gerade den Sitz am Seil hochschiebt und mir in die Hand drückt. Ich lasse mich drauf sinken und rase lachend zur anderen Seite. Als ich mich zu Tom umdrehe, steht er immer noch da und blickt amüsiert zu mir rüber.

„Willst du auch mal?“, rufe ich ihm zu, während ich absteige. Muss am Cider liegen.

Er sagt etwas zu seinen Freunden und setzt sich in Bewegung. Als er bei uns ankommt, stehe ich wieder an der hölzernen Plattform. Natalie sieht mich fragend an. Ich grinse nur und hoffe, dass ich jetzt nicht rot werde.

„Habt ihr gewonnen?“, frage ich Tom, der auf die Plattform springt und mir den Sitz aus der Hand nimmt.

„Na klar.“ Er ist ein bisschen verschwitzt, sieht aber immer noch appetitlich aus. „Ist das Teil hier auch wirklich sicher?“, fragt er.

„Wen interessiert das? Lebe wild und gefährlich!“

Er grinst mich an, mein Herz beginnt zu pochen. Und weg ist er.

„Wooooo!“, schreit er, während seine Kumpel klatschen und grölen.

„Du stehst auf Tom Ryder“, flüstert Natalie mir singend ins Ohr. Ich starre auf seine Oberarmmuskeln, die sich bei seinem Klammergriff gut abzeichnen.

„Wer tut das nicht?“, gebe ich ohne Zögern zurück. Er ist der heißeste Typ der Schule.

Jetzt wollen alle Jungs auch mal fahren. Es bildet sich eine Schlange. Auf einmal ist mir schlecht und ein bisschen schwindelig. Vorsichtig verlasse ich die Plattform.

„Hey, du wärst jetzt dran gewesen“, erinnert mich Tom und schnappt sich das Seil von einem seiner Kumpels. „Die können warten.“

„Schon okay.“ Ich winke ab.

„Alles in Ordnung?“, fragt er stirnrunzelnd.

„Alles gut“, antworte ich und steige den kleinen Grashügel neben dem Spielgerät hoch, um mich hinzusetzen. Er folgt mir und mustert mich kritisch.

„Du siehst gar nicht gut aus.“

Mir ist ja auch schlecht. Geh weg, denke ich. „Alles in Ordnung“, erwidere ich. Zu viel Alkohol, zu wenig Essen, viel zu viel Aufregung. Ich lege den Kopf in meine Hände und versuche, nicht zu kotzen.

„Jessie!“

Aaron und Dougie winken mir panisch zu, während sie über die Wiese zu mir laufen. Sie deuten auf den Parkplatz hinter mir. Aber wegen des Hügels kann ich ihn nicht sehen. Tom guckt an mir vorbei. Bevor er etwas sagen kann, ruft einer der Jungs aus der Schlange: „Was macht denn Mr. Taylor hier?“

Sofort springe ich auf die Füße und erkenne, wie er die Tür unseres kleinen weißen Kombis zuschlägt. Mr. Taylor. Unser Mathelehrer.

Auch bekannt als Stuart – mein Stiefvater.

Scheiße, Scheiße, Scheiße.

„Ich geh dann mal“, murmele ich und verschwinde, ohne mich noch einmal umzudrehen. Hinter mir höre ich die Leute lachen und Witze reißen. Vor mir taucht Stu auf.

Ich kämpfe immer noch mit dem Brechreiz, während ich in den Wagen steige, doch als Stuart mit unterdrückter Wut losfährt, kann ich den Drang nicht mehr zurückhalten.

„Halt an!“, presste ich keuchend hervor, reiße die Tür auf und übergebe mich auf den Seitenstreifen.

Er sagt kein Wort, aber das ist auch nicht nötig. Seine Enttäuschung spüre ich auch so.

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen wache ich mit hämmernden Kopfschmerzen auf. Unterhalb der Vorhänge dringt Licht ins Zimmer. Langsam richte ich mich auf, erhebe mich vorsichtig und schiebe die Vorhänge zurück. Ein strahlend blauer Himmel begrüßt mich, die bedrohlichen Wolken von gestern haben sich verzogen. Wird auch Zeit, dass endlich mal wieder die Sonne scheint. Wahrscheinlich würde ich mich sogar freuen, wenn mir nicht so fürchterlich schlecht wäre. Ein Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken.

„Steh auf, Jessie, sonst kommst du zu spät zur Schule!“

An Stus Tonfall merke ich, dass er mir noch nicht verziehen hat.

„Ich bin schon auf!“, rufe ich zurück.

„Dann sei in zehn Minuten unten zum Frühstück“, sagt er entschieden.

Ich gebe keine Antwort.

„Jessie?!“

„Ja, okay“, schreie ich gereizt.

Mein Magen brennt. Wenn ich auf eins keine Lust habe, dann auf Essen. Auch wenn es mir danach wahrscheinlich besser ginge.

Ich habe keine Zeit mehr, mir die Haare zu waschen, also dusche ich nur schnell, flechte mir einen absichtlich unordentlichen Zopf und schlüpfe in meine Schuluniform – das grün-weiß karierte Kleid, das etwas höher über dem Knie endet als vorgeschrieben. Ich hasse dieses Ding. Zum Glück sind bald Sommerferien, dann kann ich endlich tragen, was ich will.

Mein Magen macht sich schon wieder bemerkbar, diesmal allerdings hat es nichts mit meinem Kater zu tun. Die Sommerferien machen mir Angst. Solange Schule ist, habe ich wenigstens etwas Ablenkung. In dem Klamottenladen, in dem ich jobbe, habe ich mir schon ein paar Extraschichten gesichert, aber das wird nicht reichen. Wir wollten eigentlich alle zusammen nach Spanien fahren – Mum, Stu und ich. Mum hat in der Woche vor ihrem Tod alles gebucht. Natürlich habe ich gemeckert, weil ich keine Lust hatte, nur mit ihr und Stu zu verreisen. Daraufhin hatte sie vorgeschlagen, Libby einzuladen mitzukommen.

In meinem Hals bildet sich ein Kloß, den ich schnell runterschlucke. Ich will nicht schon wieder heulen. Nicht jetzt.

Ich tappe runter in die Küche, wo Stuart vor dem Toaster steht. Einen Moment bleibe ich im Flur stehen und stelle mir vor, er wäre Mum. Wenn ich die Augen zu einem Spalt zusammenpresse, könnte es fast sie sein, die darauf wartet, dass der Toast herausspringt.

„Erdnussbutter oder Marmite?“, würde sie fragen. Ich öffne die Augen, damit das Fantasiebild verschwindet, und betrete die Küche.

„Toast oder Müsli?“, will Stuart wissen, ohne mich anzuschauen.

Er ist eindeutig immer noch sauer. „Toast, bitte“, antworte ich vorsichtig.

Der Toast springt raus und er legt ihn auf einen Teller.

„Butter kann ich selbst draufmachen“, sage ich, um ihn etwas zu besänftigen.

Er hält mir den Teller hin und dreht sich wieder um, um für sich selbst zwei Scheiben zu toasten. Ich stelle mich nervös neben ihn. Wortlos schiebt er mir die Butter rüber.

Ich bin nur eins siebenundsechzig groß und zierlich. Stuart überragt mich also um fünfzehn Zentimeter. Sein kurzärmeliges T-Shirt betont seinen schlaksigen Körper zusätzlich. Er hat dunkles ungekämmtes Haar und trägt eine schwarze Hornbrille. Ich finde, er sieht aus wie ein totaler Streber, aber manche Mädchen von der Schule finden ihn echt heiß. Streber-Chic nennt man das wohl.

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“, fährt er mich so plötzlich an, dass ich vor Schreck zusammenzucke.

„Musst du mich so erschrecken, Mann?“

„Mir reicht es jetzt langsam, Jessie.“ Er sieht mich an und wedelt mit dem Buttermesser in seiner Hand. „Was soll das, dass du einfach aus dem Fenster kletterst und abhaust, ohne mir etwas zu sagen?“

„Stu. Leg. Das. Messer. Weg“, meine ich langsam und versuche, ernst zu bleiben. Aber er blickt mich irgendwie hasserfüllt an, und mein Drang zu kichern löst sich in Luft auf. „Wenn du die Schnauze voll hast von mir, dann schmeiß mich doch raus! Ich meine, immerhin bin ich nicht deine Tochter!“, knalle ich ihm an den Kopf. „Daraus hat Mum ja zum Glück nie einen Hehl gemacht, bevor sie sich hat umbringen lassen!“

Sein wütender Blick weicht einem reumütigen Ausdruck. „Hey“, meint er, aber ich lasse ihm keine Chance, auszusprechen, sondern raffe meine Schultasche und stürme zur Tür hinaus.

„Jessie!“, ruft er mir noch nach, doch ich bin schon weg.

Das war dumm, denke ich, während ich den Rucksack aufsetzte und den kleinen Vorgarten unseres Häuschens aus den siebziger Jahren hinter mir lasse. Jetzt muss ich zur Schule laufen, und das sind ein paar Kilometer.

Auf dem Weg komme ich bei Libby vorbei. Damit sie mich nicht sieht, wechsele ich absichtlich die Straßenseite. Ich starre auf den Bürgersteig vor mir, doch am Ende siegt die Gewohnheit, und ich werfe einen Blick auf ihr Heim. Sie wohnt in einem großen, frei stehenden Haus, das viel schöner ist als unser kleines schäbiges Reihenhäuschen. Ihre Mutter mag Gartenarbeit – das merkt man. Die Hecken sind ordentlich geschnitten, die Beete voller bunter Blumen. Der graue BMW von Libbys Dad glitzert in der Einfahrt in der Sonne. Kurz schaue ich durchs Küchenfenster. Libby mit ihrem rötlich-braunen Pagenschnitt hockt mit dem Rücken zu mir am Küchentisch, flankiert von ihren Brüdern. Sie haben alle die gleiche Haarfarbe. Plötzlich taucht ihre Mutter am Fenster auf. Sie strahlt, als sie mich entdeckt. Rasch schaue ich weg, damit sie mir nicht zuwinkt.

Mein Herz schlägt schneller, und ich laufe schneller. In mir wüten Traurigkeit und Bedauern. Libbys Mum hat mich immer wie ein Familienmitglied behandelt. Aber jetzt haben ich und Libby nichts mehr gemeinsam. Falls wir jemals Gemeinsamkeiten hatten. Man muss sich ja nur ihr Haus ansehen, den Wagen ihres Vaters, die fröhliche Versammlung rund um den Küchentisch. Ich bin kein Teil dieser Familie. Ich habe überhaupt keine Familie.

Das Problem mit einem Stiefvater, der an der Schule arbeitet, die man selbst besucht, ist leider, dass man ihm nicht lange ausweichen kann. Immerhin schaffe ich es bis zur ersten großen Pause, dann stellt Stu mich im Gang vor den Physikräumen.

„Immerhin besitzt du die Liebenswürdigkeit, zur Schule zu gehen“, begrüßt er mich.

Ich verdrehe die Augen.

„Wag es ja nicht, nach Schulschluss einfach zu verschwinden. Wir müssen uns unterhalten.“

„Okay, aber heute Abend bin ich nicht da“, informiere ich ihn.

„In letzter Zeit warst du abends ziemlich oft weg. Ich würde sagen, heute bleibst du mal zu Hause“, erwidert er nur und fixiert mich mit einem strengen Blick, bevor er zu seinem Klassenraum marschiert.

Das werden wir ja sehen.

Ich mache mich auf den Weg zu meinem Physikraum und sehe Tom und Chris, einen seiner Fußballkumpels, auf mich zukommen. Schnell senke ich den Kopf. Hoffentlich haben sie nicht mitgekriegt, dass ich gestern Abend im Park noch gereihert habe. Wie megapeinlich wäre das denn!

„Hey, Jessie!“, ruft Tom. Zögernd bleibe ich vor dem Klassenzimmer stehen. Er grinst frech, dann deutet er mit dem Kopf in die Richtung, in die Stu verschwunden ist. „Hast du Ärger?“

Ich zucke mit den Schultern. „Kann sein.“

Chris wirft Tom einen fragenden Blick zu und verzieht sich. Was hat das nun wieder zu bedeuten?

„Hast du etwa Hausarrest bekommen?“, will Tom wissen.

„Das soll er mal probieren.“

„Das heißt, du kommst heute Abend zur Party?“

„Na klar.“ Will er etwa, dass ich komme?

„Cool. Also dann bis später“, meint er lächelnd und rennt Chris hinterher.

Ich habe plötzlich Schmetterlinge im Bauch. Eigentlich sollte mich das ärgern – tut es aber nicht. Steht Tom Ryder, der heißeste Typ der Schule, etwa auf mich? Ich drehe mich um und stoße prompt mit Libby zusammen.

„Autsch!“, ruft sie.

„Pass doch auf!“, fahre ich sie an und schiebe mich an ihr vorbei in die Klasse.

Ihr Blick verrät, dass ich sie mit meiner pampigen Bemerkung verletzt habe, und sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich hasse es, wie sie es immer schafft, dass ich mich schlecht fühle. Das war schon so, als Mum noch am Leben war. Immer wenn ich Streit mit Mum hatte, schlug Libby sich auf ihre Seite, nie auf meine. Sie fand, ich solle nicht dauernd anfangen zu streiten, sondern dankbar sein, dass meine Mum so cool ist. Jetzt muss ich ihretwegen immer daran denken, was ich alles für selbstverständlich genommen habe, aber ich möchte nicht daran erinnert werden. Noch ein Grund, warum ich mich in letzter Zeit von Libby fernhalte.

Laut quietschend ziehe ich meinen Stuhl zurück, lasse mich darauffallen und wappne mich für das bevorstehende Elend einer Physikstunde. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Libby sich still und leise neben Amanda Blackthorn setzt. Amanda strahlt sie an, woraufhin Libby ihr Lächeln schüchtern erwidert. Amandas beste Freundin Maria ist vor Kurzem weggezogen. Die Position steht also nun zur Verfügung. Ich wette, dass Libby sie bekommt. Amanda wohnt gleich um die Ecke von ihr, und ihr Leben ist genauso perfekt wie Libbys. Die beiden passen viel besser zusammen, als ich und Libby es jemals getan haben. Gern würde ich sagen, dass es mir egal ist. Nur wäre das gelogen.

Nach der Schule warte ich neben Stuarts weißem Fiat auf dem Lehrerparkplatz. Er biegt mit ernster Miene um die Ecke und scheint einen Moment lang überrascht, mich zu sehen. Wahrscheinlich hat er damit gerechnet, dass ich nicht da sein würde. Später. Erst will ich ihn ein bisschen in falscher Hoffnung wiegen.

Wann bin ich eigentlich so ein Miststück geworden?

Ich schätze mal, an dem Tag, an dem meine Mum nicht zu meiner Geburtstagsparty auftauchte.

Plötzlich tut mein Herz weh vor Traurigkeit, und ich versuche, den Schmerz in Wut umzuwandeln. Ich stoße mich vom Wagen ab und begrüße Stu mit einem wütenden Blick.

„Lass dir ruhig Zeit“, sage ich.

„Steig ein“, antwortet er und schließt auf.

Widerwillig tue ich, was er sagt.

„Wie war dein Tag?“, erkundigt er sich.

„Ist jetzt Small Talk angesagt?“

„In Ordnung“, sagt er abrupt. „Lassen wir das. Dann sag mir doch einfach, wann du damit aufhören willst, dich permanent selbst fertigzumachen?“

Verächtlich sage ich: „Soll das ein Witz sein?“

Jetzt sieht er mich direkt an. „Niemand kann dir so wehtun wie du dir selbst, weißt du?“

„Willst du mich verarschen? Mir könnte ein Serienmörder das Herz herausreißen!“ Ich werde laut. „Und das meine ich durchaus ernst“, füge ich hinzu, weil es mir manchmal so vorkommt, als ob der Tod meiner Mum genau das mit mir gemacht hat. Im übertragenen Sinne. „Ich könnte vergewaltigt oder ermordet werden oder … Oder …“ Von einem Fenster erschlagen werden, das aus dem vierten Stock eines Gebäudes auf mich stürzt, während ich einen Geburtstagskuchen abhole …

Ich schlucke mein Schluchzen herunter und will nur noch aussteigen und wegrennen, ganz weit weg von hier. Stuart legt seine Hand auf meinen Arm. Ich sehe das Mitleid in seinen Augen und will ihn abschütteln, aber mir fehlt die Energie. Also sitze ich einfach nur da und heule.

„Jessie … Wein ruhig, das ist okay. Ich vermisse sie auch“, sagt Stuart liebevoll. „Ich bin für dich da.“

Ach ja? Und für wie lange? Warum sollte er sich jetzt noch länger um mich kümmern? Er war ja nur wegen meiner Mum da.

Das stimmt nicht, widerspricht eine kleine Stimme in meinem Kopf, die ich aber sofort abschalte. Weil er nicht mein Dad ist. Egal, was Mum mir einreden wollte. Ich habe ihn ja auch nie Daddy genannt, sondern immer nur Stu.

Ich wische mir mit dem Arm Rotz und Tränen ab und schniefe laut. Stumpf starre ich aus dem Fenster. „Fahren wir jetzt nach Hause, oder was? Wenn mich jemand hier mit meinem Mathelehrer sitzen sieht, kann ich gleich einpacken.“

Stuart lässt den Motor an. Doch bevor er losfährt, sagt er zu mir: „Du kannst mich weiter wegschubsen, aber du wirst mich nicht los. Das musst du wissen.“

Die Tränen brennen in meinen Augen, als wir vom Parkplatz rollen.

Am Abend schließen Stuart und ich einen wackligen Waffenstillstand. Er ist klug genug, mich nicht dazu zu zwingen, mit ihm am Küchentisch zu sitzen und mich beim Abendessen mit ihm zu unterhalten. Stattdessen nehmen wir die Schüssel Spaghetti Bolognese mit ins Wohnzimmer und essen vor dem Fernseher. Er sagt auch nichts, als mir ein paar Spaghetti mit Soße auf den Teppich flutschen. Er erlaubt mir sogar, eine meiner Trash-Sendungen zu gucken, die er hasst. Eigentlich könnte man sagen, dass ich relativ zufrieden bin, wäre da nicht im Hinterkopf der Gedanke an Natalies und Mikes Party. Da muss ich unbedingt hin – selbst wenn der Dritte Weltkrieg ausbricht. Mal sehen, ob Stuart es mir erlaubt, wenn ich mich an seine Bedingungen halte. Die Tatsache, dass ich vorhin im Auto zusammengebrochen bin, könnte ihn etwas sanfter gestimmt haben.

„Danke fürs Abendessen“, sage ich.

„Gerne“, erwidert er und sieht mich misstrauisch an.

„Stu …“

„Du bleibst heute Abend zu Hause.“

„Bitte, Stu.“ Ich schalte den Fernseher auf stumm.

„Nein, Jessie.“ Er bleibt hart.

„Wieso denn nicht?“ Ich versuche, ruhig zu bleiben. Es wird leichter, ihn zu überzeugen, wenn ich nicht ausraste.

„Weil du in letzter Zeit zu oft die Nacht zum Tag gemacht hast. Du kannst ruhig mal einen Abend zu Hause bleiben. Natalie und deine anderen neuen Freunde haben keinen guten Einfluss auf dich.“

„Haben sie wohl“, blaffe ich.

„Ich mache mir Sorgen um dich.“

„Ist nicht nötig.“

„Ach nein?“ Er sieht mich prüfend an.

„Nein. Ist es nicht.“ Ich betrachte meine Hände und den abgesplitterten Nagellack.

„Du bist erst fünfzehn, Jessie“, glaubt er mich erinnern zu müssen. „Ich bin verantwortlich für dich, ob es dir passt oder nicht. Ich möchte nicht, dass du dich in Gefahr bringst.“

„Seit wann bringe ich mich in Gefahr?“

„Wie nennst du es denn, wenn du rauchst und trinkst und Gott weiß was anstellst?“

„Wir reden hier von einer Party bei einer Freundin.“ Ich bemühe mich wirklich, nicht laut zu werden. Damit würde ich nur das Gegenteil erreichen. „Ich weiß, dass ich in letzter Zeit ein bisschen schwierig war, aber das ist ja wohl kaum verwunderlich …“ Schon wieder ein Kloß im Hals. Dann muss ich wenigstens nicht schauspielern. „Ich brauche einfach ein bisschen Ablenkung.“

„Gut. Gucken wir zusammen einen Film und essen Eis.“

„Echt, Stu! Ich bin doch kein Baby!“, sage ich wütend.

Er sieht mich stirnrunzelnd an.

„Ich werde schon auf mich aufpassen. Und nichts trinken.“ Nicht viel, füge ich im Geist hinzu. „Du kannst mich ja hinfahren und abholen.“

„Oh, vielen Dank“, erwidert er sarkastisch. „Da hab ich aber Glück, dass ich den Chauffeur spielen darf.“

„Bitte!“ Ein letzter Versuch, ihn auf meine Seite zu ziehen. Wenn der auch misslingt, gehe ich eben ohne seine Zustimmung.

Er nimmt mir die Fernbedienung ab, schaltet den Ton wieder ein und starrt auf den Bildschirm.

„Bitte“, flehe ich noch einmal.

Als keine Antwort kommt, nehme ich das als Zustimmung. „Danke!“, jubele ich, stehe auf und drücke ihm einen gespieltfreudigen Kuss auf die Wange. Dann renne ich schnell nach oben, um mich fertig zu machen. Zum Glück hält er mich nicht davon ab.

3. KAPITEL

„Und denk dran: keine Zigaretten, kein Alkohol“, ermahnt Stu mich. Wir sind bei Natalies Haus angekommen, aber ich habe ihn gebeten, noch ein Stückchen weiter zu fahren.

„Versprochen“, behaupte ich und strecke die Hand nach dem Türgriff aus.

„Ruf an, wenn ich dich vorher holen soll, sonst bin ich spätestens um halb zwölf da. Ich vertraue dir, Jessie. Bitte enttäusch mich nicht.“

Na toll. Jetzt macht er mir auch noch ein schlechtes Gewissen.

„Schon gut“, sage ich mit verdrehten Augen und steige aus, drehe mich aber noch mal zu ihm um. „Danke fürs Fahren.“ Ich zwinge mich zu einem Lächeln, doch sein zweifelnder Blick entgeht mir nicht.

Die Absätze meiner Booties klackern auf dem Bürgersteig. Ich trage meine karamellfarbenen Shorts, in denen meine Beine schön braun aussehen, und ein cremefarbenes Top mit Spitzenmuster an den langen Ärmeln. Die Haare sind offen, und ich habe sie absichtlich wild geföhnt. Dazu dunkles Make-up und blassrosa Lippenstift. Hoffentlich weiß Tom diesen Aufwand zu schätzen.

Dem Getöse nach zu schließen, das bis auf den Bürgersteig dringt, ist die Party schon in vollem Gange. Hoffentlich sind die Nachbarn nicht da. Natalies Eltern sind ziemlich entspannt, deswegen mag ich sie. Sie schwirren nicht dauernd um einen rum und versuchen, einen zu bemuttern, damit es einem nur ja gut geht – so wie Libbys Eltern. Es würde mich nicht wundern, wenn sie Natalie sogar erlaubt haben, die Party zu feiern, auch wenn die Nachbarn sich in der Vergangenheit mehrfach über den Lärm solcher Veranstaltungen beschwert haben. Diese blöden Spaßbremsen.

Ich drücke auf die Klingel. Eine Minute später öffnet Natalie die Tür, eine Kippe in einer Hand, eine Dose Cider in der anderen. Gut, dass Stu schon weg ist.

„Jessie!“, quiekt sie, zieht mich ins Haus und schlägt die Tür hinter mir zu. Sie hat die Haare zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt, ein paar Strähnen tanzen wild um ihr Gesicht. Sie trägt ein schlichtes schwarzes Top und schwarze Shorts, dazu Wedges.

„Schick!“, sagt sie und meint damit meine Hose. „Du siehst super aus!“, ruft sie mir über die laute Musik hinweg zu.

„Du auch!“, schreie ich zurück.

„Ich dachte, du hättest Hausarrest.“

„Stu hat seine Meinung geändert. Ich wär aber eh gekommen. Er kann mir nichts verbieten.“

„Klar. Das hätte ich mir denken können.“ Sie lacht und führt mich in die Küche. Im Vorbeigehen werfe ich einen Blick ins Wohnzimmer, wo ein paar Gestalten auf den Sofas lümmeln und ein DJ mit Kopfhörern an einem Pult steht. Ich winke Natalies Bruder Mike zu, er winkt träge zurück. Keine Spur von Tom.

„Sind schon viele Leute da?“, erkundige ich mich.

„Nein, aber es ist ja auch erst acht.“

Sofort bin ich alarmiert. Was, wenn er nicht kommt?

„Was willst du trinken?“

Ich bräuchte echt was zur Beruhigung. Cider oder Wodka. Doch dann fällt mir Stu ein. Ich hab es ihm versprochen …

„Cider?“, schlägt sie vor.

„Lieber eine Cola“, sage ich entschieden.

Sie lacht und reicht mir aus dem Kühlschrank eine Dose Cider. Dann schnappt sie sich eine Flasche Wodka und lässt sie über meinem Glas kreisen.

„Vielleicht später.“ Schnell kralle ich mir das Glas, bevor sie eingießen kann.

„Komm, gehen wir raus“, sagt sie und stellt die Flasche ab. Natalie dirigiert mich zu den bodentiefen Fenstern, die zum Garten führen. „Ich hab allen gesagt, dass drin nicht geraucht werden darf, und was mache ich?“ Draußen streift sie die Asche an einem Busch ab.

Dougie und Em sitzen an einem Tisch. Ihre Gesichter werden von Kerzen in bunten Gläsern erhellt, die auf dem Tisch stehen. Ich setze mich zu ihnen.

Es überrascht mich immer wieder, wie entspannt ich in dieser Runde bin – obwohl alle älter sind als ich. Früher kannte ich alle zwar vom Sehen, auch Dougie und Em, habe aber nie mit ihnen gesprochen. Libby hatte immer ein bisschen Angst vor ihnen, aber ich nie.

Komischerweise liegt es auch an Libby, dass ich plötzlich mit ihnen abhänge. Vor etwa einem Jahr war das. Libby hatte einen Zahnarzttermin und musste während des Unterrichts weg, damit ihre Mutter sie abholen konnte. Hinterher erzählte Libby mir, wie sie beim Warten auf ihre Mum Natalie und Aaron beim heimlichen Rauchen überrascht hätte. Sie meinte, Natalie hätte sie eingeschüchtert. Ich hielt das für übertrieben, doch am nächsten Tag in der Schule rempelte Natalie Libby auf dem Gang an. Dann drehte sie sich um und deutete mit zwei Fingern auf ihre Augen, wie um zu sagen: „Ich hab dich im Blick.“ Libby wäre vor Angst fast gestorben. Ich war so wütend, dass ich Natalie hinterherlief und rief: „Was soll der ganze Mist? Wenn sie dich verraten wollte, hätte sie das schon längst getan!“

In diesem Moment kam Mrs. Rakemann vorbei und wir verzogen uns alle.

Am folgenden Wochenende waren wir auf einer Geburtstagsparty von einem Freund. Der ganze Jahrgang war eingeladen. Seine Eltern haben ziemlich viel Kohle, also gab es ein Riesenfest im Rugby-Club. Es waren auch jede Menge Leute aus der Stufe über uns da. Libby war wie immer nicht sonderlich erpicht darauf hinzugehen – sie zog einen Mädelsabend zu Hause vor –, aber ich überredete sie mitzukommen. Ehrlicherweise hatten wir uns da wohl schon etwas auseinandergelebt. Es war mir nur noch nicht klar. Ich dachte, dass auch Libby langsam erwachsen wurde, so wie ich, aber sie schlug leider eine vollkommen andere Richtung ein.

Wie dem auch sei: Natalie und die anderen waren auch auf dieser Party, und Libby bekam Schiss, als sie sie sah. Ich versicherte ihr, dass ich auf sie aufpassen würde und sie sich keine Sorgen machen solle. Doch später, als wir zusammen aufs Klo gingen, kam Natalie aus einer der Kabinen. Sie stand vor dem Spiegel und erneuerte ihr Make-up, als ich aus der Toilette kam. Ich ignorierte sie und zog meinen Lippenstift nach. Auf einmal spürte ich ihren Blick im Spiegel.

„Was ist?“, blaffte ich sie an und bedachte sie mit einem wütenden Blick.

„Die Farbe steht dir echt gut“, sagte sie zu meiner Überraschung.

„Kannst du gern mal ausprobieren“, bot ich ihr an.

„Danke.“ Sie nahm den Lippenstift, trug sich etwas auf und gab ihn mir ausgerechnet in dem Moment zurück, als Libby aus der Toilettenkabine kam. Sie war blass und wirkte besorgt. Doch Natalie würdigte sie keines Blickes.

Später begegneten wir uns noch einmal, an der Bar. „Hast du Kippen?“, fragte sie mich.

„Ich rauche nicht.“

„Musst du mal versuchen. Könnte dir gefallen“, schlug sie mit frechem Grinsen vor.

Ich zuckte nur mit den Schultern.

Danach war sie in der Schule netter zu mir. Manchmal grinste sie mir zu, wenn wir uns im Gang begegneten. Eines Tages bekam ich mit, wie sie Handzettel verteilte, und als ich an ihr vorbeiging, gab sie mir einen. Es war die Einladung zu einer Hallo-ween-Party bei ihr zu Hause. Natalies Eltern würden an dem Tag nicht in der Stadt sein. Libby hatte keine Lust, aber wieder schleppte ich sie mit.

An diesem Abend war sie echt schlecht drauf. Die Leute auf der Party waren aus der Stufe über uns oder sogar zwei Stufen über uns, und viele von ihnen rauchten und tranken Alkohol. Libby wollte einfach nur nach Hause, aber ich amüsierte mich. Das war mal was anderes. Diese Leute waren cool, die Musik war gut, und ich war stolz darauf, dass wir – oder besser gesagt ich – eingeladen worden waren.

Libby musste aufs Klo und wollte nicht allein gehen, also begleitete ich sie, obwohl ich es absolut lächerlich fand. Auf dem Weg begegneten wir Natalie, und ich fragte sie, wo das Bad ist.

„Oben“, antwortete sie. „Hey, ich mag deine Hörner“, meinte sie dann zu mir und grinste. Ich trug an dem Abend ein schwarzes Teufelskostüm mit glitzernden roten Hörnern.

Libby ging die Treppe hoch und sah sich nervös nach mir um.

„Ich komm gleich nach“, rief ich ihr zu und wandte mich wieder Natalie zu. „Und ich mag dein Tattoo“, erwiderte ich und deutete auf ihren Arm. Ein Fake-Tattoo von einer Spinne. „Hat das wehgetan?“, fragte ich mit gespielt ernster Miene.

„Ist nicht echt“, blaffte sie.

„Kein Scheiß, Sherlock?“, erwiderte ich grinsend.

Sie lachte. „Erwischt. Ich hätte aber gern ein echtes. Und meine Eltern sind zwar echt entspannt, nur so entspannt dann leider auch nicht … Hey, soll ich dir ein paar Leute vorstellen?“, fragte sie plötzlich.

Ich fand es irgendwie gemein, Libby allein zu lassen, aber sie hing schon den ganzen Abend wie eine Klette an mir, und Natalie war echt nett. Sie nahm mich mit raus und stellte mir Em und Dougie vor, dann zündete sie sich eine Zigarette an.

„Auch eine?“

„Wieso nicht?“, sagte ich, aber natürlich musste ich husten. Die anderen lachten.

„Trink mal was“, schlug Natalie vor und reichte mir ein Glas, von dem ich dachte, es wäre Cola drin. Cola mit Wodka, wie sich herausstellte. Mir wurde ein bisschen schwummerig davon. Kurze Zeit später tauchte Libby auf. Schockiert registrierte sie, mit wem ich lachend und scherzend am Tisch saß.

„Meine Mum ist auf dem Weg“, erklärte sie steif.

„Hast du sie etwa angerufen?“, fragte ich ungläubig und verdrehte angewidert die Augen, als sie nickte. „Meine Güte, Libby!“

Danach verstanden wir uns eine Weile nicht so gut, aber wir überwanden es noch mal. Doch dann starb Mum, und plötzlich war alles scheiße.

Erstaunlich war, wie schnell die Wut meine Traurigkeit überflügelte. Zuerst zog ich mich in mich selbst zurück. Niemand konnte mich trösten – ich war eine Waise und fühlte mich so einsam wie nie zuvor. Und dann flippte ich aus. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich schon viele Unterrichtsstunden verpasst, aber jetzt fing ich an zu schwänzen, obwohl Stu darauf bestand, dass ich wieder zur Schule gehen sollte. Eines Tages lief ich im Park Natalie und Aaron über den Weg. Es war leicht, mich ihnen anzuschließen. Sie fragten nicht nach Mum. Sie wollten nicht, dass ich ihnen mein Herz ausschütte, nur damit sie sich selbst hinterher auf die Schulter klopfen und sagen konnten: „Wir waren für die arme Jessie da.“ Genau das tat Libby nämlich. Dauernd wollte sie wissen, wie es mir geht, umarmte mich und schaffte es so jedes Mal, dass ich heulen musste. Dabei wollte ich nicht permanent bemitleidet werden. Mit ihrem Getue sorgte sie dafür, dass ich mich mies fühlte, und erin-nerte mich immer wieder daran, was ich verloren und als so selbstverständlich angesehen hatte.

Natalie und die anderen taten das nicht. Es machte Spaß, mit ihnen abzuhängen. Sie waren fröhlich. Sie waren neu für mich und ließen mich meinen Schmerz für eine Weile vergessen. Das tun sie immer noch.

Es klingelt an der Haustür, und meine Gedanken werden unterbrochen. Natalie reicht mir ihre Kippe.

„Halt mal kurz, Jessie.“

Den ganzen Abend geht das so. Natalie rennt zur Tür, Mike bleibt auf dem Sofa hocken. Als sie im Haus verschwindet, nehme ich schnell einen Zug von ihrer Zigarette. Sofort bekomme ich Lust auf Alkohol. Ach, was soll’s? Ein paar Gläser schaden nicht. Stu wird es schon überleben. Außerdem habe ich eins meiner Versprechen bereits gebrochen, wozu mich da noch an das andere halten? Ich gehe in die Küche und schnappe mir die Wodkaflasche. Als Natalie zurückkommt, gieße ich mir gerade ein.

„Ich wusste es!“, ruft sie begeistert.

Ich gucke an ihr vorbei. Tom und Chris stehen im Flur.

„Hey, Jessie“, begrüßt mich Tom, und wir sehen uns an.

„Hi.“ Ich gebe Natalie ihre Kippe zurück und trinke einen Schluck von meinem Drink. Die Wärme, die in diesem Moment meinen Körper durchflutet, mag vom Alkohol kommen, aber ich glaube eher, Toms Anwesenheit hat etwas damit zu tun.

Zwei Stunden später bin ich total gut drauf. Wir sind im Wohnzimmer, die Musik ist voll aufgedreht, jede Menge Leute tanzen. Tom ist, glaube ich, draußen, aber bisher habe ich dem Drang erfolgreich widerstanden, ihm wie ein kleines Hündchen hinterherzulaufen. Inzwischen sind so um die fünfzig bis sechzig Leute da, einige von ihnen nebenan im Fernsehzimmer, wo Natalie gerade das Karaokespiel SingStar in Mikes PlayStation einlegt. Ich bin beschwipst genug, um mitzumachen. Praktisch, denn Natalie wollte mich sowieso dazu verdonnern.

„Los, du bist mit Singen dran!“, schreit sie und zerrt mich ins Zimmer nebenan.

„Willst du mich etwa herausfordern?“, frage ich grinsend.

„Hallo? Bin ich bekloppt? Wer will gegen Jessie antreten?“, ruft sie in das voll besetzte Zimmer, wobei sie meine Hand hochreißt, als wäre ich der Champion. Ein paar betrunkene Jungs melden sich grölend, und sie zerrt den Typen, der ihr am nächsten sitzt, auf die Füße, einen derangierten Oberstufler, der mit einer ihrer Freundinnen zusammen ist.

„Welches Lied?“, fragt Natalie.

„Das kann er aussuchen“, erwidere ich generös und nicke meinem Herausforderer zu. Seinen Namen hab ich vergessen, aber das ist auch egal, denn ich werde ihn sowieso in Grund und Boden singen. Alkohol tut meinem Selbstbewusstsein sehr gut.

„Irgendwas Rockiges oder Indie“, sagt er zu Natalie, die schon das Menü durchgeht.

Perfekt.

„I Believe In A Thing Called Love“, ruft er plötzlich, als er den Song von The Darkness entdeckt. Interessante Wahl.

Eine Minute später ist der ganze Raum am Jubeln und Lachen, und die Hälfte der Leute singt mit. Es ist absolut sensationell. Ich schaffe zwar nicht die Höchstpunktzahl, weil der Song nicht ganz ohne ist, aber immerhin erlange ich den Titel „Superstar“, während mein Konkurrent sich mit „Möchtegern“ zufriedengeben muss. Ich muss mehr getrunken haben, als mir bewusst ist, wenn ich mich so hervorragend amüsiere. Normalerweise singe ich nie vor anderen Leuten – und jetzt ist gerade auch noch Tom reingekommen. Okay, ich bin definitiv betrunken, denn ich stehe immer noch hier.

Ich versuche, ihn nicht anzusehen, während mein nächster Herausforderer „Celebrity Skin“ von Hole auswählt. Das Lied beginnt, und ich versuche, Courtney Love alt aussehen zu lassen. An Natalies bewundernder Miene sehe ich, dass ich echt gut bin. Natürlich gewinne ich schon wieder, und nun riskiere ich auch einen Blick über meine Schulter. Tom steht lässig, mit verschränkten Armen, an die Wand gelehnt da. Er trägt schwarze Jeans und ein hellgraues T-Shirt und sieht besser aus als je zuvor. Er grinst mir zu und hebt eine Augenbraue.

Eine Gruppe Mädchen schiebt lachend eine aus ihrer Mitte nach vorn, damit sie gegen mich antritt. Ich streiche mir das Haar aus dem Gesicht und bin bereit für mein nächstes Opfer. Leider wählt sie „Never Tear Us Apart“ von INXS, und ich verliere den Boden unter den Füßen. Nicht dieser Song. Alles, nur nicht dieser Song.

Zum letzten Mal habe ich dieses Lied auf Mums Beerdigung gehört. Es war eins ihrer Lieblingslieder.

Natalie sieht mich an. Sie lächelt. Aber sie weiß natürlich nicht, was dieses Lied für mich bedeutet. Als meine Mutter starb, war ich noch nicht mit ihr befreundet. Sie war nicht auf der Beerdigung, sie kannte meine Mum nicht einmal. So viel dazu. Natalie ist eine neue Freundin, Teil meiner Zukunft, nicht meiner Vergangenheit. Anders als Libby.

Libby hat meine Mum immer vergöttert und sie jedes Mal verteidigt, wenn ich mich über sie beschwert habe. Sie sagte, Mum wäre genau wie ich. Sie würde für ihre Musik leben und wäre im Herzen jung geblieben, Freigeist und Rockerbraut. Sie behauptete immer, meine Mum und ich könnten Freundinnen sein. Aber ich wollte keine Freundin, ich wollte eine Mutter. So eine wie Libbys Mum. Eine, die lecker kocht und sich um den Garten kümmert und ihrem Alter entsprechende Kleidung trägt. Nicht eine, die permanent erfolglos versucht, Musik auf ihren Computer runterzuladen.

Ich war sehr gemein zu Mum deswegen, und jetzt ist sie nicht mehr da, und ich werde ihr niemals sagen können, wie leid es mir tut. Und dass ich sie lieb hatte. Dass ich sie vermisse.

Es schnürt mir die Kehle zu. Keine Chance, dass ich dieses Lied singe. Stattdessen renne ich aus dem Zimmer, noch bevor die erste Textzeile erscheint. In einer Zeile heißt es: „We could live for a thousand years“.

Meine Mutter hat noch nicht mal vierzig geschafft.

Ich laufe raus in den Garten. Ganz hinten steht eine Bank. Ich muss jetzt allein sein, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Als ich mich setzen will, fahre ich zusammen – Tom ist mir gefolgt.

„Alles okay?“, fragt er besorgt, als ich mich auf die Bank fallen lasse und mir die Tränen abwische.

„Wird schon wieder“, murmele ich. Er hockt sich vor mir auf den Boden. Sein Gesicht ist direkt vor meinem.

„Was ist denn los?“ Hier im Dunkeln sehen seine Augen noch brauner aus.

„Das Lied.“ Ich schniefe. „Es erinnert mich an meine Mum.“

Keine Ahnung, warum ich ihm das erzähle. Es fällt mir ganz leicht. Dabei spreche ich in letzter Zeit mit niemandem über Mum.

Er schluckt. Dann steht er auf, und ich denke, er geht weg, weil er nichts davon hören will, aber stattdessen setzt er sich neben mich.

„Es ist vollkommen in Ordnung, dass du weinst. Ich weiß, es ist nicht dasselbe, aber als mein Vater uns damals verlassen hat, habe ich, glaube ich, ein halbes Jahr lang jeden Tag geweint. Vielleicht auch öfter.“

„Ich wusste nicht, dass dein Dad weg ist“, sage ich leicht schockiert.

Er dreht sich zu mir, sieht mir aber nicht in die Augen. „Schon vor über einem Jahr hat er uns sitzen lassen.“

„Wohin ist er denn?“

„USA. Mit irgendeiner Tusse, mit der er schon drei Jahre eine Affäre hatte.“ Er klingt verbittert.

„Oh, Mann“, sage ich. „Und seitdem hast du ihn nicht mehr gesehen?“

Er starrt auf seine Hände. „Keine Lust. Weil meine Mum am Boden zerstört war.“

„Aber eigentlich würdest du ihn schon gern sehen, oder?“, stelle ich fest und komme mir erstaunlich nüchtern vor in Anbetracht der vielen Wodkas, die ich gekippt habe.

Tom schüttelt den Kopf. „Das könnte ich nicht.“

Ich habe so eine Ahnung, dass er es sehr wohl könnte, nur aus Loyalität seiner Mum gegenüber will er es nicht. Das macht ihn mir noch sympathischer. „Das tut mir sehr leid.“

„Jess!“, höre ich Natalie rufen. „Bist du da draußen?“

„Ja!“, rufe ich müde zurück.

Sie läuft den Gartenweg entlang und bleibt stehen, als sie Tom sieht. „Alles okay?“, will sie wissen.

„Mir geht’s gut“, antworte ich. Zu meiner Bestürzung erhebt Tom sich.

„Dann lass ich euch jetzt mal allein“, meint er.

Fast will ich „Bleib doch hier!“ rufen, doch Natalie nimmt sofort seinen Platz ein. Mein Herz krampft sich zusammen, als ich ihn zurück zum Haus schlurfen sehe.

„Was haben die anderen gesagt?“, frage ich niedergeschlagen, sobald er verschwunden ist.

„Mach dir darüber keine Gedanken. Alle dachten, du müsstest kotzen.“

„Na super.“

„Hast du?“

„Nein!“ Ich bin entrüstet. „Mir kamen nur plötzlich traurige Erinnerungen.“ Ich erspare mir weitere Details.

„An deine Mum?“, fragt sie ängstlich.

„Ja. Aber lass uns bitte nicht weiter darüber reden, sonst heul ich gleich wieder“, bitte ich sie.

„Alles klar.“ Sie scheint erleichtert. Ein Beweis mehr, dass sie keine Tröster-Tante ist.

„Was hat Tom zu dir gesagt?“, fragt sie neugierig.

„Nicht viel.“

„Tut mir leid. Ich wäre nicht dazwischengeplatzt, wenn ich gewusst hätte, dass er bei dir ist“, entschuldigt sie sich.

„Red kein’ Müll.“

Sie stupst mich an. „Noch was zu trinken?“

„Nein, ich glaube, ich lass es gut sein für heute.“

„Angst vor Mr. Taylor?“, zieht sie mich auf.

„Ein bisschen“, gebe ich zu.

„Dann wenigstens eine Kippe? Ich hab zwar keine mehr, aber ich kann dir eine schnorren.“

Ich lächle. „Nein, schon okay.“

„Du kannst echt verdammt gut singen“, sagt sie unvermittelt breit grinsend und hält mir die Hand zum Abklatschen hin. „Wir sollten eine Band gründen.“

„Ach echt?“ Ich grinse auch und klatsche sie halbherzig ab. „Und welches Instrument übernimmst du?“

„Keine Ahnung. Ich hämmere einfach im Hintergrund auf ein Schlagzeug ein.“

„Das klingt doch gleich nach einem Nummer-Eins-Hit“, bemerke ich trocken.

„Vielleicht spielt Tom ja Gitarre?“, überlegt sie und stupst mich noch mal. „Er steht total auf dich.“

„Komm, gehen wir wieder rein“, entgegne ich lächelnd.

In der Küche mache ich mich auf die Suche nach etwas Essbarem. „Ich darf auf keinen Fall betrunken nach Hause kommen“, erkläre ich Natalie, die Chips und Kekse aus dem Schrank holt. „Wie viel Uhr ist es überhaupt?“ Stu wollte mich um halb zwölf abholen kommen. Ich sehe mich nach einer Uhr um, weil mein Handy in meiner Handtasche in Natalies Zimmer ist. Auf der Mikrowelle steht null Uhr dreißig.

„Scheiße!“, fluche ich. „Geht die Uhr richtig?“

„Nein“, beruhigt sie mich. „Die stimmt nie.“