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Anna Martach

Alpendoktor Daniel Ingold #27: Daheim ist, wo das Herz spricht

Cassiopeiapress Bergroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Daheim ist, wo das Herz spricht

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 27

von Anna Martach

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 105 Taschenbuchseiten.

 

Besuch aus Amerika in Hindelfingen! Der junge Peter Neuberg besucht seine Urgroßeltern – und findet seine deutschen Wurzeln. Dazu verliert er sein Herz an die fesche Meike, was aber zu einigen Spannungen und Verwicklungen führt. Der Herbst in den Bergen ist gefährlich – Daniel Ingold vollbringt eine dramatische Rettungsaktion am stürmischen Gebirgsfluss, und am Ende wartet eine große Überraschung auf die beteiligten Familien.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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Ein heftiger Herbststurm wirbelte Blätter auf, trieb strömenden Regen durch die Gegend und brachte einen ersten Vorgeschmack auf die dunkle Jahreszeit, denn an diesem Tag war es in Hindelfingen noch nicht richtig hell geworden. Natürlich schirmten die umliegenden Berge, allen voran der majestätische Grimsteig, das malerisch gelegene Tal immer etwas ab. Doch schon seit dem frühen Morgen hingen dicke schwere Wolken, aus denen es unablässig regnete, über dem idyllischen Ort.

Zusammen mit einem heftigen Windstoß drängte Doktor Daniel Ingold durch die automatische Tür des wunderschön gelegenen Seniorenheimes, was der Einfachheit nach Altenstüberl hieß. Zwei- bis dreimal pro Woche machte er hier die Runde, betreute medizinisch die rund achtzig Insassen, von denen die meisten noch recht gut dabei waren. Aus den verschiedensten Gründen war es den älteren Leuten nicht möglich, im Kreise der Familie oder noch in einer eigenen Wohnung zu leben. Hier im Altenstüberl wurden sie liebevoll betreut, und einige von ihnen übernahmen ab und zu sogar noch wichtige Aufgaben. Schließlich konnte man hier auf weitreichende Erfahrungen zurückgreifen, niemand war überflüssig, nur weil die Jahre an ihm zehrten. So wie die Jugend von Hindelfingen in der Jugendgruppe dafür sorgte, dass bedürftige Personen Hilfe fanden, so wurden öfter Opa oder Oma für die Kinderbetreuung gebeten, oder die Volkshochschule veranstaltete Kurse, in denen alte Gewerke gelehrt wurden, und dafür gab es nun mal keine besseren Leute als die Senioren von Hindelfingen. Das gab auch den älteren Menschen das Gefühl, nicht nutzlos zu sein, außerdem hatten die jüngeren Leute längst verstanden, dass sie von dieser Einrichtung nur profitieren konnten. Es ging ja nicht nur darum, dass zum Beispiel Kinder für ein paar Stunden versorgt und betreut waren, es gab auch eine Menge Tipps und viel Wissen, welches gern vermittelt und auch angenommen wurde.

So war ein fröhliches Hin und Her entstanden, Jung und Alt fühlten sich wohl mit dieser Regelung.

Der Arzt hatte meist viel Spaß mit den Bewohnern im Seniorenheim. Nur wenige von ihnen klagten permanent über ihre verschiedenen Zipperlein. Meist nahmen sie die unvermeidlichen Altersbeschwerden mit einem gewissen Gleichmut hin und versuchten häufig mit skurrilem Humor von ihren Problemen abzulenken.

Zu diesen Menschen gehörte auch das Ehepaar Fischbachler. Sophie und Alfred waren weit über achtzig und standen jetzt kurz vor der Diamanten-Hochzeit. In letzter Zeit hatte Sophie jedoch massive Probleme mit dem Herzen, und Alfred machte sich große Sorgen. Die schon immer schlanke schmale, zierliche kleine Frau litt unter Ödemen, Schlaflosigkeit, Herzrasen und innerer Unruhe, dazu kam eine hartnäckige Arthritis, und alles in allem hatte der Körper Mühe in einem gewissen gesunden Gleichgewicht zu bleiben.

Daniel behandelte Sophie schon längere Zeit und war immer wieder erstaunt über ihre Geduld und Ruhe. Doch die beiden alten Leutchen hatten heute einen besonderen Grund zur Freude.

„Unser Urenkel kommt morgen“, berichtete Sophie, während Daniel die üblichen Untersuchungen vornahm.

„Ach, wie schön für Sie. Wo wohnt er denn sonst?“, erkundigte sich der Arzt, der nicht über alle Einwohner des Altenstüberls informiert war.

„Na, in Amerika natürlich“, erwiderte die Frau stolz.

„Ach, den Urenkel meinen S’? Kennen S’ den Burschen überhaupt schon?“

„Nein, der Bub ist ja schon da drüben geboren. Als unsere Tochter mit ihrem Mann damals bei dem schrecklichen Unfall gestorben ist, sind der Ludwig und die Barbara, was ja unsere Enkelin ist, ausgewandert. Die haben dann da drüben eine Menge Geld gemacht, der Ludwig hatt’ ja hier Bäcker gelernt und dort einige Geschäfte eröffnet. Aber so, wie’s ausschaut, hat der Peter jetzt ein bisserl Heimweh nach einer Heimat, die er gar net kennt. Er will halt schaun, wo seine Wurzeln sind, hat er geschrieben. Und ein Foto hat er geschickt. Da, schauen S’ her.“

Alfred nahm voller Stolz ein Foto von der Anrichte. Es zeigte einen jungen dunkelhaarigen Mann vor einem teuren Auto in einer gepflegten Wohngegend.

„Na, dann wünsch’ ich Ihnen beiden viel Freude mit dem Peter. Hier ist das Rezept für die Digitalis-Tabletten und noch was zum Entwässern für den Körper. Wenn was ist, dann wissen S’ ja, wo ich zu finden bin.“ Der Doktor überreichte das Rezept, und die beiden netten alten Leute bedankten sich herzlich. Der Arzt verabschiedete sich, für heute warteten weitere sechs Patienten auf ihn. Trotzdem war er relativ früh fertig. Als er schon fast den Ausgang erreicht hatte, holte ihn Meike Valentin ein.

Die fesche junge Frau arbeitete hier als Sekretärin im Seniorenheim, und ihre Aufgaben gingen längst weit über das hinaus, was im Rahmen einer Sekretärin lag. Für viele der alten Menschen war sie zur Freundin und Vertrauensperson geworden. Sie verbrachte auch viel von ihrer eigenen Freizeit hier und kümmerte sich um diejenigen, die nie Besuch bekamen. Sie erledigte Besorgungen und hörte vor allem gerne und lange zu.

Jetzt hatte Meike es sich zur Aufgabe gemacht, für Fischbachlers das Fest der Diamanten-Hochzeit vorzubereiten.

„Wart’ mal einen Moment, Daniel, hast wohl einen Augenblick Zeit?“

Meike besaß goldbraunes Haar und dunkelbraune Augen, volle rote Lippen und eine frische klare Haut. Sie war schlank, ohne dünn zu wirken, ihr Temperament war auffallend, und sie sprudelte häufig über vor Ideen. Der Arzt hatte sie vor kurzer Zeit erst lange behandeln müssen, und noch immer lag sein Blick kritisch auf ihr. Ein Rückfall war noch immer nicht auszuschließen, auch wenn Meike allein diesen Gedanken weit von sich wies. Ihr Lächeln war ansteckend, und nicht nur der Arzt fragte sich, warum sie bis heute keinen festen Freund hatte. Das lag jedenfalls nicht an den Mannsbildern, die sich reihenweise darum bemühten, eine Verabredung mit ihr zu erhalten. Sie hatte bisher jedoch alles abgelehnt, und niemand konnte so recht einen Grund dafür erkennen. Ihre Eltern schimpften manchmal schon gutmütig, dass es heutzutage keine Märchenprinzen mehr gab, die auf einem weißen Ross auftauchten und die Prinzessin ins Märchenland holten. Meike pflegte bei solchen Gelegenheiten zu lachen und darauf zu verweisen, dass der Rechte schon eines Tages kommen würde. Sie fühlte sich wohl und zufrieden bei der Arbeit und dem Umgang mit den Menschen, auch wenn ihr Vater es begrüßt hätte, wäre sie in seine Firma eingetreten und hätte hier organisatorische und geschäftliche Aufgaben übernommen, die sie mühelos zu seiner Nachfolgerin machen würden.

Schwester Maria Emanuela, die Leiterin des Heims, war jedoch froh und dankbar über diese tatkräftige Hilfe und wusste gar nicht, wie sie jemals ohne Meike zurechtkommen würde, sollte die junge Frau einmal die Stellung wechseln oder tatsächlich heiraten und damit aufhören wollen.

Das alles lag jedoch noch in ferner Zukunft, und niemand verschwendete einen Gedanken daran.

„Kann ich was für dich tun, Meike, bist krank?“, fragte Daniel besorgt und freundlich.

Sie schüttelte den Kopf, dass die lockigen dunklen Haare nur so flogen.

„Nein, kann ich mir auch gar net leisten. Es geht um die Fischbachlers. Die zwei sind ja nun schon ältere Leutchen, und da werden wir die Feier doch relativ klein halten. Aber natürlich ist das ganze Altenstüberl daran beteiligt, außerdem wird der Bürgermeister kommen, und der Herr Pfarrer hält hier die Messe. Aber ich mach’ mir ein bisserl Sorgen, weil der Urenkel kommen soll. Wird die Aufregung da wohl net zuviel werden? Die Sophie hat’s schließlich mit dem Herzen.“

„Ich denk’, die zwei werden das gut überstehen“, meinte der Arzt zuversichtlich. „Aber sag mal, du kennst ja von einem jeden hier die Lebensumstände. Haben Alfred und Sophie sonst keine Verwandten mehr? Ich find’s ja schon traurig, dass Ludwig und Barbara Neuberg net auch kommen.“

„Oh, die wollen auch noch kommen, hat mir der Alfred erzählt. Aber wohl erst in einem halben Jahr oder so, da geht wohl das Geschäft vor. Ich geb’s ja zu, ich weiß net so recht, was ich davon halten soll. Nach allem, was ich so höre, hat die Familie Neuberg ziemlich viel Geld. Da find’ ich’s schon ein bisserl traurig, dass net überhaupt öfter mal jemand kommt. Schließlich haben Alfred und Sophie sich liebevoll um die beiden gekümmert nach dem schrecklichen Unfall. Ich verlange ja net gleich, dass Sophie und Alfred sofort auch nach Amerika geholt werden, aber besuchen könnt man die zwei doch sicher öfter mal.“

„Verlangst da net doch ein bisserl viel, Meike? Wenn die Angehörigen bei anderen Leuten hier in der Gegend das net mal schaffen, ihre Eltern und Großeltern zu besuchen, dann kannst bei Verwandten so weit weg sicher kaum mehr erwarten. Das ist auch net unbedingt eine Frage des Geldes.“

Sie seufzte. „Da magst auch wieder recht haben, ich sehe das Elend ja nun alle Tage und sollt’ es eigentlich besser wissen. Aber nochmals zur Feier. Ich hab mir gedacht, es wär’ für die beiden ganz schön, mit der Kutsche mal durch Hindelfingen zu fahren. Könntest vielleicht mit dem Vorderegger reden, ob der die Pferde dafür zur Verfügung stellt?“

„Freilich, gern. Ich glaub’ sogar, eine Kutsche hat der auch, der Friedrich leiht die bestimmt her. Eine schöne Idee ist das, ich will nur hoffen, dass das Wetter besser ist an dem Tag.“

„Naja, um diese Zeit muss man halt mit Sturm rechnen, aber ein paar schöne Herbsttage gibt es ja alleweil noch. Hoffen wir das Beste. Ist sehr lieb von dir, dass du mir diese Arbeit abnimmst. Danke.“

„Ach, ist doch keine Arbeit. Und schließlich ist’s was Besonderes, so lang verheiratet zu sein.“

„Ja, wennst dich beeilst, schaffst das vielleicht auch noch“, neckte sie ihn.

„Du musst grad reden“, gab er zurück, wohl wissend, dass ganz Hindelfingen nur darauf wartete, dass endlich eine Verlobung zwischen ihm und der reizenden Tierärztin Bernie Brunnsteiner stattfand. „Solang du net endlich selbst mit einem Herzallerliebsten ankommst, hast gar keinen Grund über andere Leut’ zu lästern. Oder tät’s da doch schon wen geben?“

„Wieso? Hat die Vreni was erzählt? Dann wird's Zeit, dass ich auch weiß, mit wem ich gehe“, spielte sie auf die größte Klatschbase von Hindelfingen an, die häufig schon Gerüchte in die Welt setzte, bevor überhaupt was passiert war.

Daniel lachte auf. „Ich bin da net so ganz auf dem Laufenden, was die neuen Gerüchte angeht. Aber du wirst am besten wissen, ob da was ist. Ich geb’ dir Bescheid, wenn ich mit dem Vorderegger gesprochen hab. Pfüat di, Meike.”

Daniel machte sich endgültig auf den Weg nach Hause. Erst als, er später gemütlich in seinem Wohnzimmer saß, in die prasselnden Flammen des Kaminfeuers starrte und dem Sturm draußen lauschte, kam er selbst ein bisschen zur Ruhe.