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Anna Martach

Alpendoktor Daniel Ingold #25: Unerwünschte Komplikationen

Cassiopeiapress Bergroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Unerwünschte Komplikationen

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 25

von Anna Martach

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.

 

Familie Enttorf ist neu in Hindelfingen. Doch Sohn Lukas leidet an einer seltenen Krankheit. Nun soll sich zeigen, ob Doktor Daniel Ingold die Behandlung übernehmen und vielleicht sogar Linderung verschaffen kann. Allerdings ist das nicht das einzige Problem, mit dem die Familie zu kämpfen hat.

 

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Es waren unbekannte Personen, da gerade die Praxis von Doktor Daniel Ingold betraten. Eine ganze Familie sogar, was schon ungewöhnlich war. Vater, Mutter und zwei Kinder.

Hermine Walther, der gute Geist der Praxis, die von allen nur Minchen genannt wurde, schaute den Leuten freundlich fragend entgegen. Das musste die Familie sein, die das alte Haus von der Friederike Senner bezogen hatte. Gut, dass frisches Blut nach Hindelfingen kam, und gut auch, dass auf diese Weise das schöne alte Fachwerkhaus nicht dem Verfall preisgegeben wurde.

Minchen erinnerte sich. Diese Leute kamen aus der Stadt, hatten das Haus zu einem günstigen Preis gekauft, und der Vater arbeitete irgendwo in einer großen Firma im Schichtdienst. Natürlich stammten diese Informationen von Vreni Kollmannberger, und der Himmel mochte wissen, woher sie diese Neuigkeiten hatte. Aber so war es ja immer, nichts geschah in Hindelfingen, ohne dass Vreni darüber Bescheid wusste.

„Enttorf ist mein Name“, stellte sich nun der Mann vor. „Ich – wir sind wegen unseres Buben hier, dem Lukas. Ist‘s möglich, rasch einen Termin beim Herrn Doktor zu bekommen?“

„Eine gute halbe Stunde wird‘s dauern“, erklärte die ältere Sprechstundenhilfe nach einem Blick auf den Jungen. Der wirkte blass und krank, bestimmt hatte niemand etwas dagegen, wenn sie die Reihenfolge der Patienten ein wenig durcheinanderbrachte. Hier bestimmte Minchen, was getan wurde, und sie hatte beim Lukas das untrügliche Gefühl, dass der Bub schwer krank war. Da musste er nicht länger als unbedingt nötig im Wartezimmer sitzen. Und die Frau wollte denjenigen sehen, der etwas dagegen hatte.

Auch Maria, ihre junge Kollegin, betrachtete das Kind mitleidig, nahm aber gleich die notwendigen Unterlagen heraus, um eine Karteikarte mit Anamnese, also der Krankengeschichte, und allen anderen notwendigen Daten anzulegen.

Siegfried Enttorf war erstaunt, dass die Wartezeit so kurz sein sollte, schließlich war das Wartezimmer voll.

„Wir brauchen aber jetzt keine Sonderbehandlung, da sind doch bestimmt noch Patienten ...“, begann er zögernd, aber Minchen winkte resolut ab.

„Die verstehen das schon, wenn‘s pressiert. Und bei dem Buben, denk‘ ich, tut Eile wohl not.“

Dankbar schaute die Mutter Lena auf die ältere energische Frau. So dauerte es tatsächlich nicht einmal eine halbe Stunde, bis die vier ins Sprechzimmer geführt wurden, wo Doktor Ingold sie freundlich begrüßte. Er musterte die Karteikarte und runzelte die Stirn.

„Ich seh‘ grad, dass der Lukas an einer seltenen Erkrankung leidet. Nun sind S‘ neu hier am Ort, und ich würd‘ mich freuen, wenn S‘ mir Vertrauen schenken wollen. Aber ein bisserl mehr muss ich natürlich schon wissen. Ich geb‘ zu, mit einem solchen Fall hab ich bisher noch nix zu tun gehabt. Da wäre es ausgesprochen hilfreich, wenn S‘ die Unterlagen vom vorherigen behandelnden Arzt dabei hätten. Sonst kann ich die allerdings auch anfordern. Vielleicht könnten S‘ mir auch ein bisserl was erzählen.“

„Net nötig, das mit den Unterlagen“, erklärte Siegfried Enttorf und gab dem Arzt einen dicken Umschlag. „Das können S‘ sich aber sicher in aller Ruhe durchlesen. Wir sind jetzt nur hier, weil der Lukas neue Schachteln mit Medikamenten braucht. Was er bisher bekommen hat, steht auf der letzten Seite. Aber ich hab mir gedacht, dass S‘ bestimmt net einfach ein Rezept ausstellen werden, ohne den Patienten wenigstens mal gesehen zu haben.“

„ Da haben S‘ allerdings richtig gedacht. Verstehen S‘ mich bitt‘schön recht, ich hege kein Misstrauen gegen meine Kollegen, und ich bin sicher, dass der Bub bisher gut behandelt wurde. Aber ich kann net einfach ohne Untersuchung Medikamente verordnen, von denen ich selbst net genau weiß, was sie bewirken. Wenn S‘ also nix dagegen haben, tät‘ ich den Lukas gern erst mal selbst untersuchen.“

Siegfried zuckte die Achseln. „Ich hab mir gedacht, da könnten S‘ einfach die Diagnose übernehmen. Wollen S‘ sich wirklich die Arbeit machen ...?“

„Ich würd‘ mir etwas seltsam vorkommen, tät‘ ich das net“, erwiderte Daniel ernst. „Und wie schon gesagt, hab ich‘s bis jetzt noch nie mit einem Fall von Neutropenie zu tun gehabt. Da muss ich mich schon vergewissern, dass ich bei der Diagnose auch nix übersehe.“

Enttorf warf einen Blick zur Uhr. „Dann würd‘ ich S‘ bitten, mich zu entschuldigen, mir wird die Zeit knapp. Aber meine Frau Lena bleibt dabei. Wenn S‘ dann also noch weitere Fragen haben, gibt‘s keine Probleme.“

Er verabschiedete sich mit einem liebevollen Klaps von Lukas, schaute seine Frau kurz an und ging dann davon. Daniel wunderte sich ein bisschen, dass das hübsche kleine Mädchen offensichtlich von beiden Elternteilen übersehen wurde, während Lukas, ein schmächtiger blasser Sechsjähriger, der sich eng an seine Schwester drückte, die wohl zwei oder drei Jahre älter war, alle Aufmerksamkeit erhielt.

Sorgfältig nahm der Arzt hinter einem Wandschirm die notwendigen Untersuchungen vor. Auch wenn es sich „nur“ um ein Kind handelte, so entstand doch durch die einfache Abschirmung ein Stück Privatsphäre.

Der Bub hatte die Untersuchungen schon mehr als einmal hinter sich gebracht und ließ sie auch dieses Mal geduldig über sich ergehen.

„Magst deine Schwester wohl sehr“, fragte der Arzt halblaut, dem das Benehmen der ganzen Familie etwas seltsam vorkam.

Lukas nickte.

„Na, dann wirst wohl bald gut auf sie aufpassen müssen. Sobald die Burschen erst einmal feststellen, dass sie ein ganz schön fesches Madl ist, werden sie ihr hinterherlaufen wie dem Rattenfänger von Hameln.“

Der Junge kicherte. Er schien nicht oft zu lachen. Armes Kind, dachte Daniel. Und auch armes Madl. Die wurde scheinbar an die Seite gestoßen, weil sich alles auf den Buben konzentrierte.

„Kannst dich wieder anziehen, schaut ja alles recht gut aus“, erklärte der Doktor nach einer Weile. Er hatte sich Notizen gemacht und würde später die Berichte der Kollegen aufmerksam studieren. Für ihn war Neutropenie Neuland, und er wollte sich später am Abend genauer damit beschäftigen und alles an Informationen einholen, was ihm möglich war. Nun wollte er ein Rezept ausschreiben, denn soweit er es sagen konnte, war die Medikation korrekt.

„Sagen S‘, Herr Doktor, gibt‘s da bei der Medizin auch noch andere Möglichkeiten?“, fragte Lena Enttorf nun und knetete etwas nervös ihre Hände. „Schauen S‘, einige der Medikamente müssen wir selbst bezahlen, außerdem braucht der Bub auch besondere Nahrungsmittel, und das alles ist sehr teuer. Wir sind net grad wohlhabend, wir haben so eben unser Auskommen. Deshalb haben wir uns auch entschlossen hier das Haus zu kaufen, es erscheint uns billiger, als wenn wir zur Miete wohnen, denn die monatliche Belastung für die Hypothek ist erträglich. Außerdem sollte der Lukas net in der Stadt leben, da ist es net gut für ihn. Hier draußen ist die Luft besser. Deshalb wär‘s schon eine Erleichterung ...“ Sie brach ab und schaute Daniel hilfesuchend an.

„Noch kann ich gar nix dazu sagen, Frau Enttorf. Erst mal will ich mir selbst ein Bild über die Erkrankung machen. Aber ich hätt‘ da einen Vorschlag. Kommt der Lukas denn wohl bis morgen aus mit seiner Medizin?“

Sie nickte.

„Dann kann ich Ihnen morgen sicher schon mehr sagen. Vielleicht hab ich bis dahin ja was gefunden, mit den gleichen Wirkstoffen, was net so teuer ist, Generika halt. Diese Medikamente können wesentlich preiswerter sein, weil da die Lizenzen abgelaufen sind, die sonst dafür sorgen, dass die hohen Kosten für die Forschung der Originale sich auch im Gewinn niederschlagen. Sobald die Rechte erloschen sind, können andere Firmen aber diese Rechte erwerben und so ein neues Medikament produzieren, bei dem nur der Wirkstoff der gleiche ist wie beim Original. Ich will sehen, was da zu machen ist. Kommen S‘ einfach morgen noch mal her. Ich sag Minchen Bescheid, dann tät‘s auch keine lange Wartezeit geben.“

Die Frau wirkte unendlich dankbar. Sie strich dem Buben über den Kopf, während Daniel sich zu dem Dirndl beugte.

„Und wie heißt diese reizende junge Dame?“

„Theresa“, kam es leise.

„Ein hübscher, sehr alter Name, der ganz prima zu dir passt. Ist ein bisserl lästig, dass sich alles um den Lukas dreht, was? Aber ich versprech‘s dir, wir werden versuchen, ihn wieder gesund zu machen.“

„Das wär‘ das Beste“, erwiderte sie sehr vernünftig. „Ich hab den Lukas nämlich gern, und wenn er wieder gesund wird, dann streiten Mama und Papa auch bestimmt net mehr.“

„Theresa“, rügte die Mutter und schaute den Arzt um Entschuldigung bittend an. „Sie hat das net so gemeint“, setzte sie fast flüsternd hinzu.

„Ich verstehe das schon, Frau Enttorf. Das ist alles sehr belastend für die ganze Familie. Dann wollen wir einfach versuchen, ob wir‘s zum Besseren wenden können.“

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass S‘ sich die Mühe machen wollen. Aber wir wollen niemandem zur Last fallen.“

Er lächelte zuversichtlich. „Eine Last würd‘s nur dann, wenn jemand sich net helfen lassen will, obwohl‘s möglich wär‘. Aber hier hab ich doch noch Hoffnung.“

Theresa und Lukas schauten sich an und lächelten. Hier schien alles ein bisschen anders als vorher in der Stadt. Vielleicht war es doch eine gute Entscheidung der Eltern gewesen hierherzuziehen.