Astrid M. Helmers

Narben der
Vergangenheit

Ein deutsches Familienschicksal

AQUENSIS
R O M A N

Astrid M. Helmers:

Narben der Vergangenheit –

Ein deutsches Familienschicksal

Copyright by AQUENSIS Verlag Pressbüro Baden-Baden GmbH 2015

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe jeder Art, elektronische Daten, im Internet, auszugsweiser Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsunterlagen aller Art ist verboten.

Lektorat: Gereon Wiesehöfer, Dietmar Günter Helmers

Satz und Gestaltung: Tania Stuchl, design@stuchl.de

Titelmotiv: Milosz_/​depositphotos.com

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN 978-3-95457-146-8

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Narben der Vergangenheit

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In der Praxis von Doktor Pinter hatte sich überhaupt nichts verändert. Frau Pinter war immer noch die Assistentin ihres Gatten. Sie kümmerte sich um die Patienten und war mit einem riesen Pott heißem Kamillentee gerade auf dem Weg von der Küche in den Behandlungsraum. Der Kamillentee war das Mundspülmittel für die Patienten. Die Bohrmaschine ratterte und der Doktor hatte Mühe, mit dem Fuß das Pedal anzutreiben. Er war auch nicht mehr der Jüngste. Das Wartezimmer war immer noch im Flur und wie immer voll. Pam wusste nicht, wie lange es dauern würde, doch sie hatte keine andere Wahl. Pam hatte das Gefühl, dass bei Doktor Pinter die Zeit stehen geblieben war. In anderen Praxen gab es bereits elektrisch angetriebene Bohrmaschinen. Doch sie hatte Vertrauen zu dem alten Arzt und sie wollte sich von ihm behandeln lassen. Röntgen konnte der Doktor nicht, aber er wollte die Wurzel behandeln. Die Spritze und die dazu gehörigen Injektionsnadeln kochte seine Frau auf dem Herd in der Küche eine Stunde gründlich durch. Diese Methode war total veraltet, doch das Ergebnis mit Sicherheit steril. Die Spritzen taten irrsinnig weh, weil die Nadeln dick waren. Die Behandlung wurde erfolgreich beendet. Pam sollte noch einige Male kommen.

Als Pam zu Hause ankam, war Jeff entsetzt.

»Wo warst du? Bei Doktor Pinter? Ich kann es nicht glauben, Pam!«

»Jeff, ich hatte solche Schmerzen, es war unerträglich!«

»Aber Pam, Doktor Pinter ist ein alter Arzt. Seine gesamte Gerätschaft stammt aus dem letzten Jahrhundert!«

»Ich sagte dir doch: Ich hatte wahnsinnige Schmerzen, Jeff! Das Schlimmste waren die Spritzen. Die Injektionsnadeln bei ihm sind dick wie Kuhschwänze und das tut bestialisch weh!« Pam hielt sich die Backe.

»Nächstes Mal gehst Du zu Doktor Horvath. Das ist der beste Zahnarzt, den ich kenne. Seine Praxis ist sehr modern eingerichtet. Er hat sogar eine elektrische Bohrmaschine. Abgesehen davon, kenne ich Doktor Horvath gut.«

»Ich muss auf jeden Fall noch zwei bis drei Mal zur Behandlung gehen. Meinst du, dass ich zu Doktor Horvath gehen kann?«

»Natürlich, Pam. Und der hat seine Praxis mitten in der Stadt, da brauchst du nicht so weit fahren. Wir fahren das erste Mal zusammen. Ich rede mit ihm. Das klappt bestimmt, Pam!«

»Was ich dir noch sagen wollte, Jeff …«

»Schieß los, Pam.«

»Ich glaube, wir bekommen ein Baby!«, sagte Pam etwas kleinlaut.

»Hurra!« Jeff sprang auf, nahm Pam in die Arme und küsste sie ununterbrochen. »Wir bekommen ein Baby, wir bekommen ein Baby!«

Pam sagte dann noch: »Und Lena auch!«

»Was? Lena bekommt auch ein Baby? Das ist ja lustig, gleich zwei Babys in der Familie. Jetzt müssen wir aber sofort heiraten. Ein uneheliches Kind möchte ich nicht. Es sollte schon meinen Namen tragen!«

»Das muss doch nicht unbedingt sein, Jeff. Das Baby kann auch so deinen Namen haben. Meinst du nicht?«

»Nein, nein, ich möchte schon, dass wir heiraten. Auf jeden Fall, Pam!«

Pam war etwas durcheinander, weil Jeff ja nicht wusste, dass sie die Absicht hatte, auszuwandern. Wie sollte sie ihm das beibringen? Im Übrigen hatte Jeff mangelhafte Deutschkenntnisse. Es würde ihr schon etwas einfallen. Eine verdammt verzwickte Situation. Jetzt brauchte sie ihre Mutter. Lya hatte für jeden Fall immer eine Lösung parat. Normalerweise wäre Pam sofort zu ihr gelaufen, doch es war nicht der Augenblick, Jeff alleine zu lassen. Er hatte ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht. Am nächsten Morgen ging Pam wie immer zur Arbeit. Unterwegs schon wurde ihr übel. Nun war es eindeutig, dass sie schwanger war. Trotzdem ging sie ins Büro. Sie war etwas früher da. Der Reihe nach kamen die anderen Kollegen. Als Letzte kam Anna. Als sie ihren Mantel auszog, schauten die anderen Kollegen entsetzt und dann fingen alle schallend zu lachen an. Pam überlegte, was eigentlich los war. Sie sah Anna und fing ebenfalls zu lachen an. Alle schauten auf Anna.

»Was ist denn los, warum lacht ihr mich aus?«, fragte Anna erstaunt.

Als Anna hinunter schaute, musste sie feststellen, dass sie vergessen hatte, ihren Rock anzuziehen. Sie stand im Unterhemd da, ohne Rock. Ruck zuck zog sie ihren Mantel wieder an und lief zur Türe hinaus. Von draußen rief sie:

»Sagt der Chefin, ich laufe schnell nach Hause, um meinen Rock anzuziehen!«

Annas Kollegen lachten sich krumm. So einen komischen Vorfall hatten sie noch nie erlebt. Pam überlegte, ob Anna das Ganze inszeniert hatte? Das konnte nicht sein, denn Anna war eine sehr seriöse Person. Sie war Übersetzerin für russische Sprache.

Pam ging anschließend zu ihrer Chefin und erklärte ihr, dass sie schwanger sei. Heute ginge es ihr besonders schlecht. Die Chefin zeigte vollstes Verständnis und Pam durfte nach Hause gehen.

Auf dem Weg nach Hause, machte Pam bei ihrer Mutter Halt. Sie gab ihr einen Kuss und sagte: »Ich habe frei bekommen, Mutti, mir ist speiübel!«

»Ja, meine Liebe, das ist nun mal so bei manchen Schwangerschaften! In vier bis sechs Wochen ist alles vorbei!«

»Ich hoffe es, Mutti. Es ist nämlich schrecklich und im wahrsten Sinne des Wortes: zum Kotzen. Wie geht es Lena mit ihrer Schwangerschaft?«

»Ich habe keine Ahnung, Pam. Du kennst ja deine Schwester, sie meldet sich nicht!«

»Wie immer, Mutti, da wird sich auch nie etwas ändern! War es schlimm in Hermannstadt bei Rudis Beerdigung?«

»Sehr schlimm, Pam, schrecklich! Ich bin sehr froh, Dora und Rudolf moralisch etwas unterstützt zu haben. Es ist ja auch meine Pflicht. Sie haben niemanden mehr außer mir. Ich habe es gerne getan, aber es hat mich ebenfalls sehr mitgenommen!«

Lya erzählte Pam die ganze Geschichte mit Rudi. Pam war entsetzt und sagte nur:

»Ich kann nicht verstehen, wieso Rudi immer wieder in solche dubiose Geschichten hinein tappt. Immer ist er schuld gewesen!«

»Er ist doch nicht schuld, Pam!«

»Das meine ich auch nicht, Mutti. Ich meine, dass er immer auf die Tricks von anderen Leuten reinfällt. Merkt er das nicht? Er ist einfach nicht klug genug, beziehungsweise war nicht klug genug!«

»Es tut mir so leid für Dora und Rudolf. Du glaubst es nicht. Sie leiden sehr!«

»Wie geht es Bea, Mutti? Ich habe schon ewig nichts mehr von ihr gehört.«

»Sie war etwas sauer, dass ich nach Hermannstadt gefahren bin. Jetzt hat sie sich wieder ein bisschen beruhigt. Der Typ hat sich einen Trabi gekauft: Sie wäre gerne mit dem Auto herumgefahren. Stattdessen musste sie auf ihre Tochter aufpassen. Da war sie sauer. Aber ich habe immer noch ein Recht darauf, das zu tun, worauf ich Lust habe. Das muss sie verstehen, Punkt.«

»Wieso, hat sie immer noch Ansprüche? Ich denke, du bist bereits volljährig und kannst tun und lassen was du willst!«, sagte Pam und lachte.

»Spotte nicht, Pam, sie tut doch alles für uns!«, antwortete Lya.

»Und du für sie und ihre Tochter. Also seid ihr quitt.«

»Ja, so gesehen hast du Recht! Was ich dir noch sagen wollte, Pam: Rühr keine Zigarette an! Mach das auf keinen Fall! Ist ein guter Rat von mir, mein Kind.«

»Könnte ich gar nicht, Mutti, bei dieser Übelkeit wird mir schon bei dem Gedanken daran schlecht.«

»Auch wenn es dir wieder gut geht, meine ich. Mach das nicht, mein Kind!«

»Mach ich nicht, Mutti, versprochen«, sagte Pam, verabschiedete sich von ihrer Mutter und ging langsam heim.

Pam war in Gedanken. Welch ein Glück, dass Marko und Bea nun einen Trabant hatten. Wie oft schon wollte sie sich von Marko trennen. Sie konnte nur froh sein, das nicht getan zu haben.

In unserer Familie hat es seit den Dreißigern keinen PKW mehr gegeben. Onkel Viktor und Julius waren die Ersten, aber auch die Letzten, die noch ein Auto besessen hatten.

Wie privilegiert. Ob sie und Jeff jemals ein Auto besitzen würden, stand in den Sternen. Gerade jetzt, wo man ihnen die 100 Brillen gestohlen hatte, schien dies unwahrscheinlich. Ein recht großer Verlust, gegen den sie nicht vorgehen konnten. Naja, vielleicht würde ihnen Marko irgendwann mal seinen Trabi ausleihen. Sie mussten es versuchen. Jeff hatte einen Führerschein und war technisch sehr geschickt. Er konnte fast alles reparieren.

In ihren Gedanken vertieft, bemerkte Pam nicht, dass ihr eine Frau mit einer riesigen Tasche entgegen kam. Als die Frau ganz nah war, schlug sie Pam mit aller Kraft die Tasche, in der sich anscheinend ein Metallgegenstand befand, auf den Bauch. Pam schrie laut auf, doch die Frau kümmerte das überhaupt nicht. Sie ging lachend weiter.

»Sind sie verrückt?« Pam brach in Tränen aus. Sie lief so schnell sie konnte.

Jeff war nicht daheim. Pam rief ihre Mutter an und erzählte ihr, was geschehen war.

»Pam beruhige Dich! Die war bestimmt verrückt. Hast du irgendwie Schmerzen? Blutest du?«

»Ich weiß es gar nicht, Mutti, ich weiß es nicht. Ich verstehe das nicht: Wie kann jemand so etwas machen? Ich habe die Frau nicht angesprochen. Ich war in Gedanken versunken. Ich kann das nicht begreifen, Mutti!«

»Beruhige dich, Pam! Ist Jeff zu Hause?«

»Nein, er ist noch nicht zu Hause.«

»Soll ich zu dir kommen, Pam?« Lya war besorgt.

»Ich glaube nicht, Mutti. Ist nicht nötig, ich muss mich langsam beruhigen. Ich blute nicht. Ich habe nur eine enorme Angst«, sagte Pam, die sich aber langsam wieder beruhigte.

»Ich weiß, Pam. Du bist ein kleiner Angsthase. Vergiss diese Verrückte, die nicht weiß, was sie tut. Hast du irgendwelche Schmerzen, Pam? Leg dich ins Bett und versuche, dich weiter zu beruhigen und trink ein Glas Wasser.« Lya redete Pam gut zu.

»Mach ich, Mutti, Küsschen!«

»Grüß Jeff von mir, mein Kind!«

Pam brauchte eine Weile, um den Vorfall zu vergessen oder besser gesagt: zu verdrängen. Sie beruhigte sich bei dem Gedanken, dass diese Frau verrückt sei. Sie dachte nur, dass Mutti wohl Recht hätte. Wie klug Mutti doch ist.

Ein sehr schlechtes Zeichen. Was für ein Schock, dachte Pam. Hoffentlich ist nichts passiert. Als Jeff zurückkam, erzählte ihm Pam, was sich abgespielt hatte. Jeff wurde richtig wütend und fing an zu schimpfen:

»Wo finde ich diese Verrückte? Ich bring sie um! Unser Kind!«

»Jeff, beruhige dich, die ist sicher bereits über alle Berge und mir ist ja nichts zugestoßen! Was denkst du wohl, was für ein Schock das für mich gewesen ist. Da kommt so eine Irre und schlägt auf mich ein! Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mich wieder gefangen habe. Mutti hat mich beruhigt. Wie schön, dass ich sie habe. Mutti hatte ein sehr schweres Leben, doch sie war immer für uns da. Manchmal bin ich neidisch auf Bea, dass sie Mutti immer in ihrer Nähe hat.«

»Vielleicht kommen meine Eltern auch nach Bukarest und dann werden wir sie hier in der Nähe haben.«

»Hast du einen Plan, von dem ich nichts weiß, Jeff?«

»Vielleicht, Pam! Doch das steht noch in den Sternen.«

»Ob sie auf ihr Haus dort im Banat so einfach verzichten können? Schließlich sind sie auch nicht mehr so jung, um ein neues Zuhause 600 Kilometer entfernt aufzubauen.«

»Wir werden sehen, Pam. Es war nur so ein Gedanke von mir.«

»Ich möchte mich gerne ausruhen. Ich bin total aufgewühlt. Kannst du die Musik ausmachen?«

»Natürlich, Pam, schlaf schön!«

Was hat Jeff nur vor, überlegte Pam. Wieso will er plötzlich seine Eltern in der Nähe haben? Pam musste es herausfinden. Jeffs Pläne waren immer wohl überlegt. Was steckte diesmal dahinter? Pam konnte noch nicht ahnen, was Jeff vorhatte. Doch sie würde es wohl irgendwann erfahren. Schließlich würde er irgendwann mit ihr darüber reden müssen. Also mal abwarten.

Sie schlief ein und träumte nur wirres Zeug. Plötzlich schrie jemand. Pam sprang fast aus dem Bett.

»Was ist los, Pam? Um Gottes Willen!«

»Ich hatte einen Albtraum!«

»Was hast du denn geträumt«, fragte Jeff.

»Ich habe die Frau in meinem Traum gesehen, sie wollte unser Kind töten!«

»So ein Blödsinn, es ist doch nichts passiert. Und diese Frau wirst du nie wieder in deinem Leben sehen. Mach dir keine Sorgen. Solltest du nächstes Mal zu deiner Mutter gehen, schau genau hin. Wenn so ein Idiot kommt, geh sofort auf die andere Straßenseite! Ist alles in Ordnung?«

»Das werde ich sowieso machen. Darüber hatte ich bereits nachgedacht, Jeff!«

»Komm, Pam, heute bereite ich das Abendbrot vor. Bleib im Bett!«, sagte Jeff stolz.

»Wunderbar, da freue ich mich schon darauf. Meinst du, es wird was?!« Pam bekam einen Lachkrampf.

»Ich werde mir Mühe geben!«

»Wie geht es dir, Pam?« Lya war am Telefon.

»Gut, Mutti, es ist alles in Ordnung! Hast du etwas auf dem Herzen, Mutti?« Pam wusste, dass Lya meistens nur dann anrief, wenn sie ein Problem hatte. Sie wollte einfach nicht stören.

»Lena hat sich gemeldet.«

»Da bin ich aber überrascht, Mutti! Und was will sie?«, fragte Pam überrascht.

»Dieser Typ da, dieser … wie heißt er noch?«

»Jonny, Mutti, Jonny.«

»Ach ja, dieser Jonny also, er will das Kind von Lena haben, will sie aber auf keinen Fall heiraten!!«

»Reg dich nicht auf, Mutti. Ich werde mit ihm reden. Morgen kann ich nicht, aber übermorgen fahre ich hin und spreche mit ihm. Ich weiß ja, wo der Typ arbeitet.«

»So ein Prolet! Ich verstehe das nicht, gerade hatte er groß erzählt, wie er Lena liebt – und jetzt das hier! Ihr solltet auch heiraten, Pam, das gehört sich so.« Lya war sauer.

»Machen wir, Mutti. Auf jeden Fall. Auch wenn ich momentan keine Lust auf, Heiraten‹ habe.«

»Wieso denn das, Pam?«

»Ich weiß es nicht, Mutti. Vergiss es!«, sagte Pam.

»Tschüss dann, meine Liebe, ich muss Magdalena von der Schule abholen.« Lya legte auf.

Wie dumm, dachte Pam. Diese Männer sind schon merkwürdige Geschöpfe. Doch ohne sie geht es auch nicht. Sie hatte keine große Lust mit dem Typen, Lenas Freund, zu reden, doch sie hatte es Lya versprochen.

Zwei Tage später fuhr Pam mit der Straßenbahn in die Werkstatt, in der Jonny arbeitete. Er war da. Pam sprach ihn auf das Thema an.

»Guten Tag, Jonny, wie geht es dir?«

»Danke der Nachfrage. Was willst du?«

»Du bist aber sehr direkt, Jonny.«

»Du bist doch nicht die lange Strecke hierher gefahren, um mich zu fragen, wie es mir geht. Also schieß los!«, sagte Jonny leicht aufbrausend.

»Ich wollte fragen, wann ihr heiratet. Wir könnten ja eine Doppelhochzeit organisieren«, sagte Pam scheinheilig.

»Ach ja? Du willst eine Doppelhochzeit, Pam? Ist aber sehr merkwürdig. Sonst bist du ja nicht immer sehr nett zu mir. Jetzt plötzlich eine Doppelhochzeit? Soll ich dir das wirklich glauben?«, fragte Jonny.

»Wir können es ja probieren, Jonny. Es ist nie zu spät.«

»Liebe Pam, lass mich in Ruhe. Halt dich heraus aus unserem Leben. Ich habe keine Lust auf Familie und schon gar nicht auf eine wie eure. Lass uns bitte in Ruhe und komm nie wieder zu meiner Arbeitsstelle. Du hast hier nichts zu suchen! Hast du das verstanden, Pam?«

»Danke für deine klaren Worte. Nun wissen wir wenigstens, welchen Stellenwert unsere Familie und überhaupt, Familie‹ bei dir haben! Tschüss!«

Pam drehte sich um und ging schnurstracks davon. Was für ein Trottel, dachte sie. Im Prinzip hat er Recht. Es ist nicht mein Problem. Nur, was würde Lena dazu sagen? Ob ihre Intervention richtig war?

Tatsächlich meldete sich Lena und schimpfte wie ein Rohrspatz. Haltet euch aus meinem Leben heraus, war der Kern der alles andere als freundlich klingenden Botschaft gewesen.

Pam war entschlossen, sich nie wieder einzumischen. Warum denn auch? Hatte sie nicht genügend andere Sorgen? Diese beiden Schwangerschaften waren auf jeden Fall ein Hindernis für die geplante Auswanderung. Es war nicht sehr gut gelaufen, aber es war nun mal passiert. Davon abgesehen, hatten sie nicht einmal die benötigten Formulare für die Auswanderung erhalten. Es war also noch nichts passiert. Wie es weiter gehen würde, ahnte kein Mensch.

Lena war bereits im fünften Monat schwanger. Bei einer Routinekontrolle teilte ihr die Frauenärztin mit, es sei eine sehr komplizierte Schwangerschaft. Ein Kaiserschnitt wäre nicht zu vermeiden. Pam dagegen ging es sehr gut.

Jeff hatte mit Edith und ihrem Gatten Eduard eine Reise in die Tschechoslowakei geplant. Immer mit dem Hintergedanken, irgendwann mal das Geld für ihren Traum, einen PKW zu besitzen, zusammen zu haben. Natürlich sollte Pam mitreisen, es gab ja keine Bedenken bezüglich ihrer Schwangerschaft. Der Arzt hatte das bestätigt.

Sie besaßen bereits alle Routine im Verreisen. Sie kauften ein, das Abteil in dem MITROPA-Schlafwagen war das gleiche wie beim letzten Mal, alles klappte.

Neu war indes, dass sie unbedingt auch Bratislava kennen lernen wollten. Bratislava (oder auch Preßburg), die ehemalige Hauptstadt der Slowakei, war interessant und verfügte über eine große Geschichte und viel Tradition. Eine Universitätsstadt mit gotischem Dom, Barockpalästen, ehemalige Krönungsstadt der ungarischen Könige und der größte Donauhafen der CSSR – all das war Bratislava.

Die Reise verlief problemlos. Sie freuten sich auf den Höhepunkt der Reise. Bratislava.

Aber Pam ging es plötzlich schlecht. Sie hatte große Schmerzen und Blutungen. Edith pochte darauf, in ein Krankenhaus zu gehen. Ein schwieriges Prozedere, denn keiner wusste, wie so etwas im Ausland funktionieren würde. Sie mussten sich durchfragen. Glücklicherweise gab es immer wieder Leute, die Deutsch sprachen. Edith hatte Jeff und Eduard gebeten, sich heraus zu halten, das sei »Frauensache«. Sie würde sich um die Angelegenheit kümmern. Es war bereits später Nachmittag, als Edith in der Hotelrezeption einen wichtigen Hinweis bekam und schließlich auch die Telefonnummer einer Frauenklinik ganz in der Nähe.

Endlich, dachte Edith. Sie rief in der Klinik an und hatte Glück. Die Schwester in der Aufnahmestelle sprach Deutsch.

»Wir haben hier einen Notfall«, sagte Edith. »Mit wem spreche ich, bitteschön?«

»Hier spricht Schwester Theresa von der Frauenklinik Preßburg.«

»Oh, Schwester Theresa, bin ich froh, dass Sie Deutsch sprechen. Meine Freundin hat große Blutungen und Schmerzen. Was sollen wir tun? Sie braucht dringend Hilfe!«

»Wie ist Ihr Name und der Ihrer Freundin?«

»Mein Name ist Edith, meine Freundin heißt Pam.«

»Wo sind Sie gerade und aus welchem Land kommen Sie?«

»Wir wohnen im Hotel Bratislava, wir kommen aus Siebenbürgen, Rumänien.«

»Bleiben Sie im Hotel, ich schicke einen Krankenwagen.«

»Wir können auch laufen, Schwester Theresa.«

»Auf keinen Fall! Wenn wir Sie mit dem Krankenwagen abholen, haben Sie keine Kosten zu tragen. Sollten Sie selber kommen, sind sämtliche entstehenden Kosten von Ihnen zu tragen. Der Krankenwagen wird in 15 Minuten im Hotel sein. Bitte warten Sie unten in der Halle.«

»Darf ich mich auf Sie beziehen, Schwester Theresa?«

»Selbstverständlich. Ich werde unten bei der Aufnahme sein.«

»Danke, Schwester Theresa. Dankeschön!«

Edith legte auf und lief in Pams Zimmer.

»Pam, mach dich fertig, in 15 Minuten ist der Krankenwagen da.« Edith erklärte Pam und Jeff die Kostenangelegenheit.

»Danke, Edith, ich weiß gar nicht, ob wir das bezahlen könnten. So viele Kronen hätten wir nicht.«

»Diese Schwester Theresa ist ein Goldschatz«, sagte Edith.

Der Krankenwagen war da, Pam und Edith fuhren mit, die Männer liefen.

In der Klinik wartete Schwester Theresa bereits, sie erledigte die gesamten Formalitäten. Pam wurde sofort von einer sehr netten, jungen Ärztin untersucht, die leider kein einziges Wort Deutsch sprach. Schwester Theresa blieb dabei, um zu übersetzen.

Die Ärztin untersuchte Pam gründlich. Sie schüttelte den Kopf und flüsterte Schwester Theresa irgendetwas. Pam konnte nichts verstehen. Die Gesten der Ärztin kamen ihr spanisch vor, doch sie konnte sich keinen Reim daraus machen. Schwester Theresa half Pam vom Stuhl und sagte:

»Sie sollten diese Nacht auf jeden Fall in der Klinik bleiben, die Ärztin macht sich große Sorgen.«

»Was ist denn passiert, Schwester Theresa? Bitte sagen Sie mir, was passiert ist!«

»Frau Doktor kann Ihnen momentan nichts Genaueres sagen. Auf jeden Fall sieht es nicht sehr gut aus.«

»Was sieht nicht gut aus? Schwester, bitte sagen Sie mir die Wahrheit!«

»Es könnte sein, dass Sie das Kind verlieren, Pam. Aber sicher werden wir das erst morgen wissen. Sie haben zu viel Blut verloren und eben auch Fruchtwasser.«

»Oh mein Gott, wie Mutti!« Pam fing an zu weinen.

»Pam, bitte weinen Sie nicht, das tut Ihnen nicht gut! Warten Sie ab. Es gibt noch Hoffnung, wenn auch nur wenig.«

»Möchten Sie eine Beruhigungsspritze?«

»Nein, bitte nicht, ich möchte keine Spritzen und keine Medikamente!«

»Ist in Ordnung, Pam, dann bringen wir Sie in ein Zimmer. Ich werde noch eine Weile bei Ihnen bleiben, meine Schicht ist schon lange vorbei. Morgen in aller Früh bin ich bei Ihnen, Pam.«

Sie brachten Pam mit der Trage in ein Zimmer. Pam schaute sich entsetzt um und traute Ihren Augen nicht. Sechs Betten, sechs Frauen in verschiedenem Alter.

»Hier? Schwester Theresa?«

»Wir haben leider keine anderen Zimmer, die ganze Klinik ist total überfüllt. Es tut mir sehr leid, Pam. Vielleicht morgen früh. Es kann sein, dass morgen etwas frei wird.«

»Oh mein Gott!« Pam war verzweifelt.

»Wollen Sie vielleicht doch ein Schlafmittel, Pam?«

»Nein, bitte, bitte nicht!« Pam wusste, dass Medikamente in der Schwangerschaft nicht geeignet waren. Sie wollte keine Medikamente, ebenso hatte sie ab dem ersten Tag der Schwangerschaft keine Zigarette mehr angerührt. Sie hoffte immer noch, dass sie ihr Kind behalten würde.

Schwester Theresa streichelte Pam die Stirn und sagte:

»Versuchen Sie zu schlafen, Pam.«

Aber Pam konnte kein Auge zudrücken. Tausend Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Immer wieder dachte sie an den Jungen, ihren Bruder, damals in Mühlbach, der kurz nach der Geburt starb. Wie traurig Mutti doch gewesen sein muss, damals als der Bub starb. Wie wollte Mutti den Buben taufen, welchen Namen sollte er eigentlich haben? Das hatte Mutti nie gesagt. Bestimmt nicht wie Papa, Julius, das ist kein schöner Name! Welchen Namen sollte mein Kind eigentlich bekommen? Dafür müsste ich wissen, ob es ein Mädchen oder ein Bub wird. Das werde ich kurzfristig machen! Eigentlich ist das jetzt auch alles egal. Nun ist wichtig, dass mein Kind gesund zur Welt kommt. Es darf mir und meinem Kind nichts passieren! Ich bin doch immer so stark gewesen, jetzt muss ich noch stärker sein! Mutti war damals auch stark. Und auch die Male danach! Wie viel Mutti doch in ihrem Leben leiden musste! Sie hatte gelernt, sich über die kleinen Dinge zu freuen. Sie hat Magdalena und nun noch ein Enkelkind, egal ob Mädchen oder Bub.

Sie schaute zur Decke, doch es war stockdunkel, nur die kleinen Lichtlein an den Betten konnte man sehen. Für Notfälle gab es einen Knopf, den man betätigen konnte.

Endlich konnte Pam ein wenig dösen.

Plötzlich wachte sie mit einem schneidenden Schmerz im Unterleib auf. Sie unterdrückte einen Schrei, obwohl sie merkte, dass nicht alle Frauen schliefen. Pam suchte verzweifelt den Knopf für den Notruf, fand ihn aber nicht. Die Frau aus dem Bett nebenan klingelte. Die Schmerzen wurden unerträglich. Pam wälzte sich vor Schmerzen und plötzlich merkte sie, dass sie sehr stark blutete. Ihr wurde schwarz vor Augen und zwischen ihren Beinen war irgendetwas. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Sie konnte auch nicht sehen, was da eigentlich vor sich ging. Endlich kam eine Schwester. Sie deckte Pam ab und sagte:

»Schnell, klingeln Sie noch einmal, es muss schnell noch eine Schwester kommen!«

Es kamen noch zwei Schwestern und ein Arzt mit einem Kasten voller Instrumente. Die Frauen aus den anderen Betten schauten neugierig auf Pam, doch sie blieben in ihren Betten.

»Schwester Theresa! Schwester Theresa!«, rief Pam.

»Schwester nicht da!«, sagte der Arzt.

»Mein Kind, mein Kind?«, rief Pam verzweifelt.

»Tot!«, sagte der Arzt.

»Einfach so, tot! Das kann nicht sein! Bitte sagen sie mir, was los ist!«, bat Pam.

»Muss schlafen, viel Blut verloren! Können nichts machen!«, sagte der Arzt.

Pam fing an zu weinen. Die Schwestern versorgten sie und der Doktor gab Pam eine Beruhigungsspritze.

Pam fiel in einen tiefen Schlaf mit vielen ungereimten Albträumen.

Sie träumte von Dämonen, Hexen, von ihrer Kindheit, der Schulzeit, den Freunden aus Mühlbach und Hermannstadt, von den Verstorbenen, alles wild durcheinander. Sie beruhigte sich erst, als ihr im Traum ihre Mutter erschien, die sie wie immer tröstete und ihr Mut machte. Sie hatte wie immer tröstende Worte für sie parat, nahm sie in ihre Arme und linderte ihre Schmerzen.

Dann war es plötzlich morgen und als sie die Augen öffnete, stand Schwester Theresa da, hielt ihre Hand und lächelte sie an.

»Guten Morgen, Pam. Haben Sie sich wenigstens etwas ausgeruht nach der schlimmen Nacht?«, fragte sie.

»Ich kann es noch immer nicht fassen! Ich kann es noch immer nicht glauben, Schwester Theresa!« Pam weinte.

»Ja, mein Kind, so ist das Leben. Darüber kann nur Gott allein bestimmen! Das können wir nicht entscheiden.«

»War es ein Junge oder ein Mädchen, Schwester?«, fragte Pam, die immer noch weinte.

»Ein Mädchen, Pam. Es war ein Mädchen. Leider ist unsere Medizin noch nicht so weit, um solche Frühgeburten zu retten. Das wird mindestens noch 20 Jahre dauern, bis wir so weit sind.«

»Hat meine Tochter noch gelebt, Schwester?«

»Ich weiß es nicht, Pam, ich war nicht dabei. Es ist ein Sternenkind.«

»Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Es ist vorbei, Schwester Theresa, es ist vorbei.«

»Sie müssen jetzt gesund werden, Pam, Sie sind jung und können noch viele Kinder bekommen.«

»So viele wollte ich eigentlich nicht mehr bekommen. Eine Tochter hätte mir vielleicht gereicht. Naja, ich weiß es nicht. Momentan bin ich unendlich traurig. Muss ich noch lange hier in der Klinik bleiben?«

»Laut Aussage des Arztes, zwei bis drei Tage. Wir rechnen nicht mit Komplikationen«, sagte Schwester Theresa.

»Ich werde Sie sehr vermissen, Schwester Theresa«, sagte Pam.

»Ich Sie auch, Pam. Sie sind eine wunderbare Frau! Haben Sie Geschwister?«

»Ja, zwei Schwestern.«

»Sind sie genau so wunderbar wie sie?«

»Auf jeden Fall! Meine jüngere Schwester Lena erwartet ebenfalls ein Kind. Ich hoffe, sie wird mehr Glück haben als ich.«

»Mit Sicherheit, Pam, mit Sicherheit. Ich muss mich jetzt um meine anderen Patientinnen kümmern. Ruhen Sie sich aus, Pam. Sie brauchen sehr viel Ruhe. Ich habe das eben auch ihrem Gatten, Herrn Jeff, gesagt. Ich habe das Gefühl, er ist sehr ungeduldig.«

Schwester Theresa verließ das Zimmer. Pam schaute ihr lange nach. Was sie wohl gemeint hat, als sie sagte, Jeff sei ungeduldig? Zwei bis drei Tage noch, das ist eine sehr lange Zeit. Pam dachte, sie sollte jetzt schlafen, um sich schneller zu erholen.

Zwei Tage später durfte Pam die Klinik verlassen. Sie bekam ein Stück Papier, ein halbes Blatt ungefähr, mit einem von Hand geschriebenen tschechischen Gekritzel darauf, das kein Mensch entziffern konnte.

»Schwester Theresa, könnten Sie mir kurz übersetzen, was in diesem Attest steht?«, fragte Pam, als sie sich verabschiedeten.

»Das ist einfach ein Nachweis, um eine Abtreibung auszuschließen, falls sie jemand darauf ansprechen sollte. Wie wir wissen, sind in Ihrem Land momentan Abtreibungen verboten.«

»Ich danke Ihnen, Schwester Theresa. Was ich gerne noch wissen wollte: Was haben Sie gemeint, als sie sagten, Jeff sei ungeduldig?«

»Er hat einfach herumgemeckert. Wegen einem Geschenk für seine Mutter. Das schien ihm sehr wichtig zu sein. Da habe ich ihm ein paar Takte erzählt, die er nicht so bald vergessen wird. Vergessen Sie es. Es war wichtig, dass er auch mal einen Dämpfer bekommen hat, glauben Sie es mir, Pam!«

Pam fing herzhaft an zu lachen.

»So gefallen Sie mir besser, Pam. Lachen tut Ihnen gut.«

»Ich würde mich so gerne bei Ihnen revanchieren, Schwester Theresa! Was könnte ich Ihnen Gutes tun?«

»Mich nicht vergessen, Pam. Das wäre wie ein Geschenk für mich. Leben Sie wohl und bleiben Sie gesund!« Schwester Theresa drehte sich um und ging gehobenen Hauptes in die andere Richtung. Pam schaute ihr noch lange nach, dann ging sie Richtung Ausgang, wo Jeff auf sie wartete.

Edith und Eduard waren bereits zurückgereist.

Am nächsten Tag reisten Pam und Jeff ebenfalls ab. Sie verließen Preßburg und waren froh, wieder daheim zu sein. Pam hatte Jeff nichts über das Gespräch mit Schwester Theresa erzählt. Doch sie fasste den Entschluss, sich von Jeff zu trennen. Das Kind hätte vielleicht ihr Leben verändert, doch jetzt konnte sie sich voll auf die Auswanderung konzentrieren. Ohne Jeff wäre sie wieder frei, und niemand würde sie an ihren Plänen hindern. In den drei Tagen im Krankenhaus hatte sie festgestellt, dass ihre Liebe zu Jeff ganz enge Grenzen hatte. Es war nicht die große Liebe, auf die sie nicht verzichten konnte. Pam war froh, Jeff nicht geheiratet zu haben, nun brauchte sie nicht wieder einen Scheidungskrieg mitzumachen. Was wird Lya dazu sagen? Am nächsten Tag, als Jeff nicht zu Hause war, rief Pam ihre Mutter an:

»Ich bin es, Mutti, ich umarme dich ganz lieb!«

»Seid ihr wieder da? Hallo mein Schatz!«, sagte Lya.

»Mutti, es ist etwas ganz Trauriges in Preßburg passiert! Ich habe mein Kind verloren!«

»Das ist ja schrecklich, Pam!«

»Ich habe mich gerade vom Schock etwas erholt, Mutti, fang jetzt nicht du auch noch an zu heulen!«

»Das tue ich nicht, ich habe das einige Male erlebt. Das ist schrecklich, mein Kind!«

»Mutti, ich habe noch eine schlechte Nachricht!«

»Und das wäre?«, fragte Lya.

»Ich will mich von Jeff trennen! Kann ich mit Sack und Pack zu euch kommen?«

»Natürlich, mein Kind, meine Tür ist für euch immer offen! Das weißt du doch!«

»Ich habe das Gefühl, du freust dich!«

»So direkt nicht, wollen wir mal sagen, ich bin nicht traurig darüber. Jetzt kannst du dich voll auf die Auswanderung konzentrieren. Habe ich dir gesagt, dass ich schon meine Kleider gepackt habe?«

»Ach so? Das ist aber lustig! Wie willst du die Sachen aufbewahren?«

»In Kisten, mein Kind. Ich habe gehört, dass jede Person eine Kiste mit 60 Kilo mitnehmen darf!«

»Wir müssen erst die Formulare haben, dann die gesamten Papiere einreichen. Wenn wir die Genehmigung haben, dann ist die Zeit zum Packen gekommen. Du bist etwas zu früh!«

»Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Jedes Mal, wenn ich etwas einpacke oder umpacke, habe ich ein Gefühl der Freiheit, ich fühle mich wie ein anderer Mensch. Sobald ich hier weg bin, werde ich der glücklichste Mensch der Welt sein. Endlich in Freiheit zu leben, das muss wunderschön sein. Soll dir Bea beim Umzug helfen? Ich kann mit ihr reden!«

»So viel Gepäck habe ich nicht, Mutti!«

»Wann willst du kommen?«

»Ich weiß es nicht! Ich weiß nicht, wie ich es Jeff beibringen soll!«

»Oh! Jeff weiß es noch nicht?«

»Er will seine Eltern nach Bukarest holen. Ich denke, wenn er zu seinen Eltern fährt, kann ich weg!«

»Findest du das in Ordnung, Pam?«

»Nicht ganz, Mutti, aber durch die Geschichte mit unserem Sternenkind ist ein Riss in der Beziehung zu Jeff entstanden. Wir reden kaum noch miteinander!«

»Du musst es wissen, mein Kind! Sag mir, wenn du etwas brauchst!«

Lya legte auf und Pam war froh, dass ihre Mutter nicht böse war und wie immer Verständnis hatte.

Pam dachte darüber nach. Was war denn eigentlich passiert? Sie hatten in der letzten Zeit wenig miteinander geredet und trotzdem war es passiert. Hatte sie Jeff nicht geliebt oder nicht genügend geliebt? Warum wollte sie dann ein Kind mit Jeff?

Ach ja, da war doch noch diese Nacht, als Jeff etwas Böses geträumt hatte und aus dem Bett direkt zum Fenster lief, als ob er hinausspringen wollte. Was war denn eigentlich passiert damals in der Nacht? Es war schon merkwürdig gewesen. Hatte sie Angst bekommen? Oder war sie erschrocken? Ja, zu Tode erschrocken. Es hätte ja sein können, dass Jeff wirklich zum Fenster hinausspringen wollte, unbewusst! Er war wie ein Schlafwandler, oder war er sogar ein Schlafwandler? Sie wachte auf, es war mitten in der Nacht, da war Jeff bereits mit einem Fuß auf dem Fensterbrett, und sie hatte ganz laut geschrien: »Jeff, Jeff, was ist passiert! Spring nicht, bitte!« Dann drehte er sich ganz ruhig um und sagte leise: »Ich spring doch nicht aus dem Fenster, was redest du da?« Pam stockte das Herz. In diesem Augenblick hatte sie verstanden, dass er gar nicht mitbekommen hatte, was wirklich passiert war. Am nächsten Tag hatte Pam mit einem vertrauten Arzt darüber gesprochen. Das nennt man in der Medizin »Somnambulismus«. Es sei ein psychischer Automatismus wie bei einer Hypnose. Der Nachtwandler bekommt seine Aktion gar nicht mit. Manche springen sogar in den Tod, ohne es zu bemerken. Es ist schlichtweg eine Krankheit. Wusste Jeff, dass er krank war? Oder hatte er ihr seine Krankheit verschwiegen?

Da war doch noch die Geschichte damals in Preßburg, über die sie sich so wahnsinnig aufgeregt hatte. Das Geschenk für seine Mutter, eine Bagatelle, schien ihm wichtiger gewesen zu sein als der Verlust seines Kindes! Oder hatte sie das falsch empfunden? Hatten sie sich in so kurzer Zeit auseinandergelebt? Oder war es so, dass sie sich von der Trauer in ihrem Herzen noch nicht erholt hatte?

Sie muss stark sein, das Leben geht weiter, und sie hat doch noch so viel vor! Das Wichtigste ist schließlich die Freiheit, die sie bald in ihrer neuen Heimat leben darf.

Pam fuhr zusammen. Das Telefon klingelte und weckte sie aus ihren Gedanken. Es war Lena: »Ich bin es, Lena! Hast du einen Moment Zeit für mich, Pam?«

»Hallo Lena, was ist denn los? Du klingst etwas komisch!«

»Es geht mir richtig dreckig, Pam!«

»Wie soll ich das verstehen? Ist dir übel, Lena?«

»Nein, überhaupt nicht, das ist bereits vorbei. Ich habe Probleme mit der Schwangerschaft! Mein Ärztin sagte mir, ich darf keinerlei schwere Arbeit erledigen, nicht laufen, nichts heben, nicht zu lange liegen, nicht zu lange laufen, im Prinzip gar nichts tun. Wie soll ich das machen?«

»Kann dir Jonny nicht helfen, Lena?«

»Jonny ist doch nie da! Der arbeitet den ganzen Tag!«

»Was willst du machen?«

»Ich dachte, vielleicht kannst du mir ein wenig helfen!«

»Ich habe ein Problem, Lena. Ich bin gerade dabei, Jeff zu verlassen!«

»Ach! Das ist doch wunderbar, da kannst du zu uns ziehen! Ich meine für eine Weile, bis mein Kind da ist! Wie wäre das?«

»Na ja! Ich weiß nicht, ob das die richtige Lösung ist. Jonny und ich, wir sind nicht unbedingt die besten Freunde seit unserem letzten Gespräch!«

»Jonny ist nicht nachtragend, bestimmt nicht. Er wird sicher froh sein, wenn du mir etwas unter die Arme greifen kannst! Komm, gib dir einen Ruck! Ich brauch dich, Pam!«

»Ist nichts Neues, Lena, ihr findet mich immer, wenn ihr mich braucht!«

»Sei nicht gehässig, Pam! Hilfst du mir oder nicht?«

»Ist in Ordnung, Lena, aber nur bis dein Baby da ist. Ich will keine Schuldgefühle!«

»Wann kannst du kommen?«

»Am Wochenende, Lena! Ich muss erst meine Sachen bei Mutti lagern. Bist du etwas beruhigter jetzt, Lena?«

»Auf jeden Fall. Ich danke dir von ganzem Herzen, Pam!«

»Sprich mit Jonny und kläre die Angelegenheit bitte, bevor ich komme!«

»Ist in Ordnung! Tschüss Pam, bis dann!«

Pam legte den Hörer auf und dachte, wie lieb Lena doch sein konnte, besonders wenn sie sie brauchte. Bei einer so komplizierten Schwangerschaft braucht sie Hilfe. Wir brauchen kein zweites Sternenkind in der Familie. Das wäre ein Drama. Sie würde sehr darunter leiden.

Pam packte ihre Sachen und verschwand aus der gemeinsamen Wohnung. Sie brachte ihre Sachen zu Lya und fuhr mit zwei Koffern zu Lena. Jeff hatte keine Ahnung, er wurde nicht informiert. Natürlich brachte ihn diese Ad-hoc-Handlung zur Weißglut. Er fuhr sofort zu Lya.

»Wo ist sie?«, brüllte Jeff, ohne zu grüßen.

»Guten Tag, lieber Jeff! Was ist denn los? Du schneist hier herein, ohne zu grüßen? Das kenne ich gar nicht von dir!«

»Guten Tag, Lya! Entschuldigung! Ich bin wahnsinnig aufgebracht!«

»Das habe ich mitbekommen, Jeff! Was ist los?«

»Gerade das wollte ich von dir wissen, Lya!«

»Du siehst doch, sie ist nicht da, lieber Jeff!«

»Bitte sag mir, Lya, wo ist Pam!«

»Ich weiß es nicht genau, Jeff! Ich wüsste auch nicht, ob ich dir das sagen darf! Schließlich ist es eure Angelegenheit, in die ich mich nicht einmischen will!«

»So sollten wir nicht auseinandergehen, Lya. Warum hat Pam mir das angetan?«

»Da bin ich absolut deiner Meinung, Jeff. Doch es ist nicht meine Entscheidung und auch nicht meine Aufgabe, mich in eure Angelegenheiten einzumischen! Setzt euch zusammen und regelt eure Probleme! Sei mir bitte nicht böse, Jeff, doch ich muss Magdalena von der Schule abholen. Es ist bereits spät!«

»Darf ich morgen noch einmal kommen? Vielleicht sagst du mir dann, wo Pam ist!«

»Lass sie ein paar Tage in Ruhe, Jeff, sie hat unter dem Verlust ihrer Tochter sehr gelitten! Gib ihr etwas Zeit. Redet vernünftig miteinander und streitet euch nicht! Streit vergiftet jede Beziehung!«

»Danke, Lya, es hat mich wenigstens ein klein wenig beruhigt! Auf Wiedersehen, bis morgen dann!«

Lya hatte nicht die Absicht, Magdalena von der Schule zu holen, sie wollte bloß Jeff abwimmeln. Magdalena wollte alleine heimkommen. Lya lächelte! Eine kleine Notlüge, dachte sie!

Für Pam war die neue Situation eine riesige Umstellung. Sie mochte Jonny nicht besonders, doch sie wollte unbedingt Lena helfen. Lena jammerte den ganzen Tag. Sie konnte nicht heben, nicht lange stehen, keinerlei Anstrengung, musste ständig liegen. Pam konnte das nicht verstehen. Andererseits überlegte sie, ob nicht die vielen Strapazen während der Reise in die Tschechoslowakei der Grund ihrer Frühgeburt gewesen waren. Sie wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um Lena zu helfen. Sie soll so ein Drama nicht erleben. Nach außen war Pam stark und zeigte sich lässig. Innerlich jedoch trauerte sie um ihr Sternenkind. Jeff wollte sie nicht mehr sehen. Plötzlich empfand sie sogar eine Aversion gegen Jeff. Ein komisches Gefühl!

Lena hatte ihre Arbeit gekündigt. Sie saß den ganzen Tag herum und nörgelte nur. Nach der Arbeit kaufte Pam ein, sie machte die Wohnung sauber, kochte und erledigte den gesamten Haushalt. Mit Jonny hatte sie sich arrangiert. Sie sprachen wenig miteinander, zur Abwechslung spielten sie abends Karten. Jeder dachte sich seinen Teil. Hoffentlich kommt das Baby bald, denn das ist kein Leben für mich, dachte Pam.

»Es wird einen Kaiserschnitt geben!«, verkündete Lena, als sie von der Ärztin nach Hause kam.

»Ach, das ist aber nicht so schön!«, meinte Pam.

»Was interessiert dich das? Ob es schön ist oder nicht, das ist meine Sache!« Lena war wie immer gereizt und giftig.

»Lena, ich bin hier, um dir und deinem Kind zu helfen! Schnauz mich bitte nicht an.«

»Entschuldigung, so war das nicht gemeint!« Lena war es etwas peinlich.

So ging es tagein tagaus.

In der Zwischenzeit hatte Jeff herausgefunden, wo sich Pam aufhielt. Er rief sie an und versuchte, sie zu überreden, wieder nach Hause zu kommen. Doch Pam erklärte ihm, dass Lena sie jetzt brauchte, und dass sie ihr helfen würde, solange es nötig war. Wenn alles vorbei sei, würde sie weitersehen. Die kleinen Ersparnisse wollte Jeff mit Pam teilen.

»Ich bringe dir das Geld vorbei! Wann kann ich kommen, Pam?«

»Wann du möchtest, Jeff, ich bin abends nach 17 Uhr zu Hause!«

Zwei Tage später stand Jeff vor der Tür. Er versuchte noch einmal, Pam zu überreden, zu ihm zurückzukommen. Doch Pam blieb hart. Sie war froh, dass alles friedlich verlaufen war. Jeff gab ihr anstandslos ihren Anteil des gemeinsamen Geldes. Beim Abschied sagte Jeff etwas sehr Merkwürdiges. »Pam, vergiss nicht, Lenas Kind ist nicht dein Kind! Bleib nüchtern!«

Pam hatte lange über Jeffs Worte nachgedacht. Was er wohl gemeint hat? Natürlich ist es nicht mein Kind, dachte Pam, aber ich darf doch Lenas Kind lieben genau wie ich meines geliebt hätte! In diesem Augenblick war ihr klar geworden, wie gerne sie doch ihr eigenes Kind geliebt, gepflegt, verwöhnt, erzogen hätte, wie sehr sie doch ihr Sternenkind vermisste. Sie stand noch einige Minuten weinend da, bevor sie wieder in die Wohnung ging. Hoffentlich hatte sie niemand beobachtet. Lena konnte nichts bemerkt haben, sie war zu sehr auf ihre Schwangerschaft konzentriert.

»Na, hat er sich damit abgefunden?«, fragte Lena.

»Ich denke schon, Lena! Er ist halt traurig, wie ich auch!«

»Wie? Du bist traurig, Pam?« Lena lachte.

»Ich bin traurig, weil wieder eine Beziehung in die Brüche gegangen ist. Es hätte ja auch schön oder eine gute Ehe sein können! Wer weiß es? Bist du nur wegen dem Kind mit Jonny zusammen, Lena?«

»Ja, Pam, Jonny ist nicht der Traummann, den ich mir gewünscht habe! Er ist nicht meine große Liebe, Pam!«

»Ist das wirklich dein Ernst, Lena? Ich bin entsetzt!«

»Vergiss, was ich dir gesagt habe, Pam, bitte!«

»Bist du nicht glücklich mit Jonny, Lena?«

»Komm! Wir müssen das Abendessen vorbereiten, Pam!«

Jonny kam nach Hause. Er hatte eine wichtige Neuigkeit. Er begrüßte Lena und Pam. Dann fing er an zu berichten.

»Ich habe heute einen tollen Typen kennen gelernt! Einen ausländischen Studenten. Die kommen zu uns, um zu studieren, und bleiben vier bis fünf Jahre. Der Staat unterstützt sie, bis sie das Studium beenden. Ich habe gehört, dass auch von uns Studenten im Austausch in verschiedene kommunistische Länder reisen dürfen. Natürlich sind es ausschließlich Kinder von Parteibonzen. Der Typ heißt Carlos, er kommt aus Kuba!«

»Was willst du damit sagen, Jonny?«, fragte Lena.

»Ja, diese Typen beziehungsweise Austauschstudenten machen natürlich auch Geschäfte hierzulande!«

»Was haben wir mit diesen Geschäften zu tun, Jeff?«, wollte Pam wissen.

»Ja, wir können eben auch ein Geschäft mit denen machen!«

»Was für ein Geschäft können wir mit denen machen Jonny?«, fragte Lena.

»Ihr seid aber sehr naiv! Wir können über Carlos ein Auto kaufen. Da brauchen wir nicht zehn Jahre auf einen Wagen zu warten, und es ist auch noch ein ausländisches Fabrikat. Das ist wesentlich besser als unser Renault!« Jonny war begeistert.

»Entschuldige, Jonny, der Renault ist doch auch ein ausländisches Fabrikat!« Pam war stolz, dass sie Kenntnisse über ein ausländisches Fahrzeug hatte.

»Komm, Pam, der Renault wird doch hier im Lande hergestellt. Hast du nicht gehört, wenn man das Auto kauft, muss man als erstes in die Werkstatt fahren, um alle Schrauben anziehen zu lassen, damit der Wagen nicht auseinanderfällt? Willst du so ein Auto haben? Ich nicht, auf keinen Fall!«, sagte Jonny und alle drei lachten laut.

»Ist Carlos ein seriöser Mensch, Jonny«?, fragte Lena.

»Auf jeden Fall Lena! Sollten wir das Geschäft mit ihm machen wollen, muss er das Geld vorher schon haben. Er muss ja das Auto gleich beim Kauf bezahlen. Leider haben wir momentan nicht genügend Geld für ein Auto!«

»Also, dann können wir auch kein Auto kaufen!«, meinte Lena.

»Wie wäre es, wenn wir ein Auto zusammen kaufen, halbe-halbe?«, fragte Pam.

»Keine schlechte Idee, Pam! Jeder bekommt den Wagen wöchentlich abwechselnd!«

»Ich habe gerade das Geld, also meinen Anteil, von Jeff bekommen. Da kann ich mich beteiligen. Selber kann ich mir kein Auto leisten! Ich vertraue dir, Jonny, du kannst mit mir rechnen!«

»Das ist schön, Pam. Also sage ich Carlos, er soll uns einen Wagen besorgen! Wann kannst du mir das Geld geben, Pam?«

»Wann du willst, Jonny.«

»Ich glaube, wir machen ein gutes Geschäft!«

»Hoffentlich!«, sagte Lena.

Jonny konnte es kaum erwarten, mit Carlos zu sprechen. Er werde mit Carlos auch über die Automarke reden. Besonders wichtig war zu wissen, wann Carlos das Auto kaufen konnte. Vermutlich in den Semesterferien, wenn er seine kleinen und großen Geschäfte tätigte. Ganz legal war dieses Geschäft nicht. Carlos verdiente an einem Auto viel Geld. Das war natürlich auch Jonny klar. Wer machte heute ein Geschäft ohne Gewinn? Schließlich hat Carlos auch Kosten. Die Fahrt, die Überführung des Wagens und eben auch Übernachtungskosten, Benzin für die Rückfahrt und vieles mehr.

Jonny, Lena und Pam waren glücklich, bald einen Wagen zu besitzen. Ein Auto! Ein Traum, der bald in Erfüllung gehen würde. Bea und Marko hatten bereits ein Auto. Es war ein wunderbares Gefühl.

»Wie hast du dir das vorgestellt? Wie sollen wir das machen mit dem Auto, Jonny? Wann willst du den Wagen haben und wann soll ich ihn bekommen?«, fragte Pam.

»Ich würde Folgendes vorschlagen: Eine Woche hast du den Wagen, eine Woche wir. Natürlich wird es auch Ausnahmen geben. Wenn du oder wir den Wagen zwischendurch brauchen, ändern wir die Zeitabschnitte. Nun, ich glaube, wir werden keine Probleme miteinander bekommen. Wichtig ist, dass Lena endlich ihr Baby bekommt und natürlich, dass alles gut verläuft. Ich bin gespannt, ob es ein Mädchen oder ein Bub sein wird. Schließlich ist es egal. Gesund muss das Kind sein!«, sagte Jonny und himmelte Lena an.

Schau mal an! dachte Pam wie lieb doch mein künftiger Schwager sein kann.

»Natürlich Jonny, natürlich!«

»Mir ist wieder schlecht! Ich habe wieder Schmerzen!«, stöhnte Lena.

Immer das Gleiche, dachte Pam. Die kann auch nur noch jammern. Pam dachte an ihre Schwangerschaft, die ja alles andere als leicht gewesen war. Aber so viel hatte sie nicht gejammert. Nun ist sie ja da, um zu helfen, und alles andere spielte keine Rolle mehr.

Wenn Lena nur eine kleine Tasche tragen musste, ging es schon los.

»Kann ich dir helfen, Lena?«, fragte Pam.

»Nein, nein, ist schon gut! Kannst du mir ein Glas Wasser bringen, Jonny?«, fragte Lena, indem sie ihn ganz unglücklich anschaute.

»Natürlich, Lena, natürlich!« Jonny sprang auf und holte ein Glas Wasser.

»Ich habe einen richtigen Stich im Bauch! Was soll das bedeuten, Pam, was kann das sein? Ich habe richtig Angst!«, jammerte Lena.

»Wir sollten jetzt ins Bett gehen. Du bist sicher müde, Lena. Heute warst du lange auf den Beinen. Komm, lass uns schlafen gehen, ich bin ebenfalls todmüde!« Pam versuchte, Lena zu beruhigen.

»Ich glaube, es hat keinen Sinn, die Schmerzen werden immer stärker! Ich ruf die Ärztin an! Wo ist diese verdammte Telefonnummer!? Jonny, hilf mir bitte, die Telefonnummer zu finden! Wo habe ich diesen blöden Zettel hingelegt?«

»Setz dich Lena, ich suche den Zettel, der kann doch nur in deiner Tasche sein! Du wolltest die Telefonnummer immer greifbar haben!« Jonny wurde nervös.

»Ich zieh mich schon mal an, Lena, und bring dir die Klamotten. Ich helfe dir beim Anziehen!« Pam sprang auf und half Lena in die Kleider.

»Jetzt könnten wir gut ein Auto gebrauchen! Leider haben wir es noch nicht! Ein Taxi ist um diese Zeit ausgeschlossen. »Kannst du laufen, Lena?«, fragte Jonny.

Lena war bereits am Telefon.

»Guten Abend, Frau Doktor! Bitte entschuldigen Sie die Störung, Sie haben gesagt, ich darf Sie jederzeit anrufen. Ich glaube, es ist etwas passiert, oder sind das die Wehen? Ich weiß es nicht genau! Muss ich ins Krankenhaus? Wie, sofort? Meinen sie, es ist dringend? Ja, aber wir müssen laufen, ein Taxi gibt es hier nicht! Wie, Sie kommen mich abholen, mit Ihrem Auto? Jetzt, sofort? Wir warten unten vor dem Eingang und … danke schön, Frau Doktor, ich danke Ihnen von ganzem Herzen! In zehn Minuten, danke schön!« Lena legte den Hörer auf und rief Jonny zu:

»Sie ist in zehn Minuten unten am Eingang. Ich bin so froh, dass sie überhaupt zu Hause war.«

»Das ist aber eine tolle Frau, hat sie dich während der gesamten Schwangerschaft behandelt, Lena?«

»Ja, sie hat mir auch erklärt, dass es Probleme geben kann und dass das Kind früher kommen wird!«

»Schnell, beeilt euch!« rief Jonny.

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