Silvia Wimmer

Karten des Todes

Kriminalroman

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Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© KSB-Media GmbH, Gerlingen

1. Auflage 2013

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Layout: Atelier Reichert, Stuttgart

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783941564510

www.genusskrimi.de

Für Hermann den besten aller Ehemänner
und meine geliebten Söhne
Michael und Nicolas

6

Gugerell und Di Monte schlenderten über den Christkindlmarkt beim Rathaus. So früh am Morgen war noch nicht viel los. Di Monte hatte am Vortag Kekse beim Demel erstanden, um teures Geld. Gugerell war von dieser Geste Di Montes so mild gestimmt gewesen, dass sie endlich zugestimmt hatte, in ihrer Wohnung einen Christbaum aufzustellen. Nun mussten sie Schmuck für den Baum aussuchen. Und nicht zu vergessen, auch noch neue Christbaumkugeln für ihre Mutter, was sie sichtlich nervte.

Sie schaute sich um. Jesus, ist das alles kitschig hier, dachte sie. Dieses ganze Glitzerzeug, wer braucht so was. Na ja, Toni und meine Mutter offensichtlich. »Toni suche du aus. Mir ist es egal. Nur bunt muss der Baum sein. Nicht ein einfarbiger, durchgestylter. So einen will ich nicht. Wenn schon ein Baum, dann einen, wie ihn mein Papa immer gemacht hat, bunt und kitschig.« Gugerell lehnte kurz ihren Kopf an Di Montes Schulter und blickte ihm tief in die Augen. Dann rammte sie ihn ihren Zeigefinger in den Bauch. »Und noch etwas Herzallerliebster, meinen Baum putzt du auf. Ich kann so was nicht. Es genügt, dass ich den Christbaumständer besorgt habe.«

»Jawohl, Frau Generalin«, Di Monte salutierte.

Sie schlenderten von Stand zu Stand und die Päckchen wurden immer mehr. Es begann leicht zu schneien. Und plötzlich griff die weihnachtliche Stimmung auch auf Gugerell über. Sie blieb stehen und schaute sich um. Das Rathaus mit seinen Adventkalendertürchen, der Rathauspark mit seinen bunt aufgeputzten Bäumen, das alles fand sie plötzlich gar nicht mehr so kitschig. Sie seufzte und strich Di Monte sanft über die Wange.

»Toni glaubst du nicht, dass es endlich genug ist. Wir haben schließlich keinen drei Meter hohen Baum, und für die liebe Frau Mama wird es auch genug sein. «

»Na gut, machen wir Schluss Cara. Du wirst so was von staunen, wenn dein Christbaum fertig ist.«

Nächste Station war die Mariahilferstraße, wo Gugerell noch Geschenke für ihre Familie erstand. Sie war sehr erleichtert, als sie alles erledigt hatten. »Diese Straße ist schon unterm Jahr viel zu voll. Aber zu Weihnachten ist sie der reinste Horror.«

»Cara, du wirst es nicht glauben, aber es gibt Menschen, denen einkaufen Spaß macht. Die stört es auch nicht, wenn eine Million Leute unterwegs sind«, lachte Di Monte.

Aber sie hatte genug und wollte einfach nur weg. So entschloss sie sich, dem geschiedenen Mann von Monika Oswald einen Besuch abzustatten. Sie gab Toni einen dicken Kuss und machte sich auf den Weg.

Sie hatte Glück. Ein etwa vierzigjähriger Mann öffnete ihr die Türe und entpuppte sich als der Hausherr Karl Möslinger. Er bat sie in die Wohnung. Drinnen duftete es verführerisch nach frisch gebackenen Keksen. Gugerell schnupperte.

»Meine Frau und die Kinder backen gerade.« Der Mann nahm ihren Arm. »Kommen Sie, gehen wir ins Wohnzimmer.«

»Wow!«, entfuhr es Gugerell.

»Mit so einer Wohnung mitten im zwanzigsten Bezirk hätte ich nicht gerechnet.«

Das Zimmer war riesengroß und in der Mitte teilte eine geschwungene Treppe den Raum in Wohn- und Essbereich. Gugerell ging zum Fenster und blickte auf einen riesigen Garten hinunter.

»Ich habe ein kleines Immobilienbüro. Dadurch kommt man natürlich auch zu solchen Juwelen. Oben sind die Schlafräume und auch eine große Dachterrasse«, erzählte er stolz. »Aber bitte nehmen Sie doch Platz.«

Gugerell setzte sich auf eine orangerote, sehr gemütliche Couch. »Herr Möslinger, ich komme wegen Ihrer geschiedenen Frau.«

»Das habe ich mir schon gedacht. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Monika ermordet wurde und wenn sie nicht gekommen wären, hätte ich mich am Montag bei Ihnen gemeldet.«

Die Tür ging auf und eine attraktive Frau betrat das Zimmer. »Grüß Gott. Wer sind Sie?«

»Das ist Oberinspektorin Gugerell, Schatz. Sie möchte mit mir sprechen wegen des Mordes an meiner geschiedenen Frau.«

Der Mann legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter. »Meine Frau«, stellte er sie vor.

»Aber vielleicht solltest du dich wieder um die Kinder kümmern. Ich komme schon allein klar.«

Die Frau streifte mit einer raschen Bewegung seine Hand ab und setzte sich neben Gugerell. »Die Kinder habe ich in ihr Zimmer geschickt. Sie spielen brav. Du siehst also, ich habe Zeit.«

»Erzählen Sie mir von Monika Oswald, Herr Möslinger«, sagte die Oberinspektorin.

Der Mann setzte sich seiner Frau gegenüber in einen Sessel. Seine Hände legte er gefaltet in seinen Schoß. »Ja, was soll ich erzählen? Das ist alles schon so lange her. Mit seinen Fingern malte er Muster auf seine Oberschenkel. Er sah seine Frau an, dann begann er zu sprechen. »Also wir haben vor sechzehn Jahren geheiratet. Zuerst war alles toll. Wir verstanden uns sehr gut. Nach ungefähr einem Jahr erzählte mir meine damalige Frau, dass sie ein Kind habe, das bei ihrer Mutter aufwachse.«Er stand auf, stellte sich zum Fenster und wippte nervös mit den Zehenspitzen auf und ab.

»Mein Gott, ich bin eine schlechte Hausfrau«, unterbrach Frau Möslinger die eingetretene Stille. »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee oder Wasser?«

»Nein danke, machen Sie sich keine Mühe«, antwortete Gugerell. »Was geschah dann Herr Möslinger?«

Der Mann drehte sich um und starrte auf seine Frau. »Ich habe Monika angeboten das Kind zu uns zu nehmen. Aber sie ist fast ausgerastet. Nie und nimmer werde sie das Kind zu sich nehmen. Es sei bei der Großmutter sehr gut aufgehoben und ich kenne sie schließlich überhaupt nicht.« Herr Möslinger setzte sich wieder und zeichnete neue Muster auf seine Oberschenkel. »Ich habe daraufhin das Kind nie wieder erwähnt.«

»Hat Frau Oswald damals schon Karten gelegt?« Gugerell beobachtete fasziniert das Fingerspiel des Mannes.

»Nein ... ja ..., ich weiß nicht genau. Manchmal waren Frauen da, mit denen ging sie immer in unser Schlafzimmer. Sie sagte, sie müsse den Frauen helfen und es ginge mich nichts an, was sie da genau tue.« Er stand wieder auf und wanderte in Zimmer hin und her.

»Jetzt setz dich doch hin! Du machst mich ganz nervös!« Frau Möslinger warf ihrem Gatten einen Blick zu, den Gugerell nicht zu deuten wusste.

Der Mann blieb stehen. Mit einem trotzigen Blick auf seine Frau sprach er weiter. »Sie ist mir dann immer öfters damit in den Ohren gelegen, dass ich nicht genug verdiene. Sie wollte einen Mann, der ihr mehr Luxus bieten kann. Kurz und gut, nach zwei Jahren hatte ich genug. Ich ließ mich scheiden. Im Nachhinein gesehen war sie eine kalte hartherzige Person, die nur Geld, viel Geld wollte, sonst nichts.«

»Und dann haben Sie nie mehr wieder etwas von ihr gehört?« Gugerell stand auf.

»Nein, nie mehr. Vier Jahre später habe ich dann meine jetzige Frau geheiratet. Wir haben zwei Kinder und sind sehr glücklich. Nicht wahr Schatz?« Er ging zu seiner Frau und nahm ihre Hand. Frau Möslinger schüttelte seine Hand ab und stand auf.

»Sie wollen schon gehen Frau Oberinspektorin? Dann verabschiede ich mich. Ich muss nach den Kindern sehen.« Sie gab Gugerell die Hand und verließ den Raum.

»Wollen Sie mir noch irgendetwas sagen?«, fragte Gugerell den Mann.

»Nein, ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Kommen Sie ich bringe Sie.« Er ging voran und öffnete für die Oberinspektorin die Türe.

»Auf Wiedersehen.«

Komische Familie dachte Gugerell, als sie sich auf den Weg ins Büro machte. Die Frau war irgendwie abweisend zu ihrem Mann. Wahrscheinlich wollte sie nicht an seine Geschiedene erinnert werden. Aber warum war sie dann nicht bei den Kindern geblieben? Neugier wahrscheinlich. Die wollte sicher wissen, was genau ihr Mann über seine Ex erzählt. Ob nicht vielleicht noch ein bisschen Liebe für Monika Oswald übrig ist. Na ist ja ihre Sache.

Im Büro traf Gugerell nur auf Karatas.

»Ganz einsam heute?«

»Andi hat für heute Schluss gemacht. Wir waren Nachmittag zusammen unterwegs. Ich habe freiwillig das Berichtschreiben übernommen.«

Gugerell ging zur Kaffeemaschine und bereitete zwei Kaffee zu. Sie stellte einen vor Karatas und setzte sich an ihren Schreibtisch.

»Wo wart ihr denn?«

Karatas erzählte, dass sie Vormittag mit dem Chef des Esoterik-Forums telefoniert hatte, um die Adressen der Frömmelnden und der Frau die im Forum immer mit Marouschka gestritten hatte, rauszubekommen. Erst nach langem hin und her, und nachdem der Mann selbst im Koat angerufen hatte und mit Karatas verbunden worden war, sei er bereit gewesen ihr die beiden Adressen zu geben. »Glück für uns«, sagte Karatas. »Sonst hätten wir erst lang und breit herumtun müssen. Weißt, richterlicher Beschluss und so was alles.«

»Und dann?«, fragte Gugerell und steckte sich eine Zigarette an.

Karatas erzählte weiter. Sie und Berger seien daraufhin zu der Frau gefahren. Sie wären nett empfangen worden. Die Frau sei sehr zuvorkommend gewesen. Alles was im Esoterik-Forum passiert sei Teufelszeug. Sie habe einen Auftrag von Gott, davon sei sie überzeugt. Mit diesem abartigen Verhalten Schluss machen, wäre ihre Passion. Deshalb schreibe sie immer diese bösen Stellungnahmen.

»Wieder einmal eine Irre«, sagte Gugerell.

»Ich habe sie dann über ihr Alibi für Dienstag befragt. Sie war etwas entsetzt, dass ich sie so etwas überhaupt frage. Schlussendlich erzählte sie mir, dass sie auf einer Ausflugsfahrt mit ihrer Pfarrei war und zwar zum Gut Aiderbichl. Dort sei jetzt Adventmarkt. Wir waren danach noch beim Pfarrer, der hat das Alibi bestätigt. Also leider nix.«

»Immerhin können wir sie ausschließen. Und was ist mit der Anderen vom Forum. Weißt schon, die immer mit dem Opfer gestritten hat.«

»Habe ich auch die Adresse. Sie wohnt in Bayern, in der Nähe von München.«

Gugerell stand auf und stellte ihre Kaffeetasse in die Spüle. »Ich kenne da einen Kollegen in München. Den werde ich am Montag anrufen. Vielleicht kann er sich darum kümmern.«

»Super. Dann brauche ich an diese Frau nicht mehr denken?«

»Nein«, sagte Gugerell und erzählte nun ihrerseits Karatas vom Besuch bei Möslinger. »So jetzt muss ich aber schnell meinen Bericht schreiben und dann schauen, dass ich nach Hause komm.«

Die beiden Frauen begannen konzentriert zu arbeiten und nach einer Stunde wurde im Büro das Licht gelöscht.

Nachdem Gugerell am nächsten Morgen mit Di Monte einen ausgiebigen Brunch genossen hatte, fuhr sie wieder ins Koat. Das Zimmer lag ausgestorben da und Gugerell freute sich, ungestört noch mal die Akten durchgehen zu können. Die Freude währte allerdings nicht lange. Dann nach kurzem Klopfen wurde die Tür aufgerissen und Hofrat Bender betrat den Raum.

»Na Gugerell, so einsam heute. Aber brav, dass du am Sonntag arbeitest.« Er setzte sich an Bergers Schreibtisch.

»Guten Morgen Herr Hofrat«, begrüße die Oberinspektorin ihren Chef. »Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?«

»Na, danke Kinderl, seit Neuestem will mein Magen nicht mehr so, wie ich will. Versage mir schon seit drei Tagen den Kaffee. Meine Frau behauptet, ich bin seitdem grantig. Was aber nicht stimmt. Zumindest meistens nicht«, grinste er.

»Das tut mir aber leid. Waren Sie schon beim Arzt, Herr Hofrat.«

»Geh, wegen jedem Dreck lauf ich doch nicht gleich zu den Quacksalbern. Du weißt ja Gugerell, die mag ich gar nicht so gern.«

Die Oberinspektorin, der seine Abneigung für Ärzte bekannt war, schmunzelte. »Sie wollen sich sicher über die Erfolge bei unserem derzeitigen Fall erkundigen, oder?«

»Ja Mädel, das auch. Aber primär wollte ich schauen, ob du da bist.«

Er holte aus seiner Hosentasche ein kleines Kuvert hervor, das er ihr überreicht. »Das Christkind hat da etwas für dich gebracht.«

»Aber Herr Hofrat …«, Gugerell errötete ein bisschen. »Wie komme ich zu der Ehre?«

»Ist eh nix Besonderes. Habe ich selbst geschenkt bekommen.Meine Frau und ich können leider nicht. Da dachte ich an dich und Di Monte.«

Gugerell öffnete das Kuvert und fand zwei Karten für die Staatsoper am sechsten Jänner. »Super, Rigoletto! Meine absolute Lieblingsoper. Und die Plätze erst, mittlere Loge erste Reihe. Herr Hofrat ich bin sprachlos.«

Gugerell stand auf und küsste den Hofrat, mit dem sie eine lange, sehr gute Zusammenarbeit verband, auf die Wange. »Danke, da wird sich der Toni auch freuen. Der Herzog war nämlich die Lieblingspartie seines Vaters. Sie wissen ja, der war Tenor am Stadttheater Klagenfurt.«

»Ja Kinderl, ist schon gut«, wehrte Hofrat Bender ab. »Aber jetzt erzähl mir ein bisschen was vom Fall.«

Gugerell weihte ihren Chef in die Neuigkeiten ein. Er kannte zwar ihre Berichte, liebte es aber ganz besonders alles in einem persönlichen Gespräch noch einmal erläutert zu bekommen.

»Die Tochter des Opfers müsst ihr wirklich beobachten. Und fahre am Montag noch einmal zur Nachbarin, dass so eine fesche Person keinen Verehrer gehabt haben soll, kann ich mir nicht vorstellen.«

»Das habe ich mir sowieso vorgenommen, Herr Hofrat.«

»Und Kinderl, den Ex-Mann schau dir auch noch einmal genau an. So wie du das erzählst, ist bei diesem Ehepaar etwas nicht ganz koscher. Und das Alibi von diesem Kartenleger, wie hieß der doch gleich?«

»Johannes Resch, im Fernsehen Hermes.«

»Ja genau, Hermes. Das Alibi ist bombensicher?« Hofrat Bender erhob sich.

»Ja, seine Kundin schwört Stein und Bein, das sie zur Tatzeit bei ihm war.« Auch Gugerell stand auf.

»Also Gugerell, ich wünsche dir und Di Monte schöne Weihnachten und einen guten Rutsch. Ich habe jetzt einmal Urlaub, komme erst am Siebenten wieder. Und auch alles Gute an Berger und Karatas. Aber Gugerell wirklich ausrichten, nicht vergessen.«

»Herr Hofrat, wo werd ich denn.«

»Na Kinderl, die Jüngste bist auch nicht mehr«, zog sie Hofrat Bender auf.

»Herzlichen Dank, das habe ich jetzt gebraucht. Trotzdem auch Ihnen und Ihrer Frau alles Gute und einen guten Rutsch.« Gugerell lachte ihren Chef an. Er nickte ihr noch einmal zu und ging.

Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch, zündete sich eine Zigarette an und nahm sich erneut die Akten vor. Plötzlich wurde die Tür schwungvoll aufgerissen.

»We will, we will rock you!«, grölte Karatas und zuckte dabei rhythmisch mit Kopf und Schultern. Sie erschrak, als sie Gugerell sah und ihre Wangen färbten sich knallrot. »Entschuldige Kathi, habe nicht gewusst, dass du heute auch kommst.«

»Was ist mit dir?« Die Oberinspektorin grinste. »Ist die wilde Jugendzeit zurückgekehrt?«

Verlegen setzte sich Karatas an ihren Schreibtisch. »Nein, ich war gestern mit meinen Brüdern im Musical. Weißt schon, das Queen-Musical ›We will rock you‹. Seitdem geht mir die Melodie nicht mehr aus dem Kopf.«

»Deine Brüder waren mit?«, fragte Gugerell, die wusste, dass Karatas Familie noch nie in einem Theater war.

»Ja, weil ein Türke die Hauptrolle spielt. Das wollten sie unbedingt sehen.«

»Ich weiß, der ist Spitzenklasse. Toni und ich waren auch schon in der Vorstellung. Und wie hatʼs deinen Brüdern gefallen?«

»Supergut. Sie werden jetzt öfter mal in ein Musical gehen, haben sie beschlossen. Ich glaube, ich muss auch noch einmal hin. Der Hauptdarsteller ...«, sie küsste ihre Fingerspitzen. »Wow, der schaut so was von gut aus. Was für ein Mann«, seufzte sie, stand auf und ging zur Kaffeemaschine. »Auch einen?«

»Ja, wenn du schon dabei bist.«

Die junge Gruppeninspektorin brachte Gugerell die Kaffeetasse und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. »Nachher war ich so aufgedreht, dass ich mir im Fernsehen noch ›Die Karten lügen nicht‹ angeschaut habe. Zufällig war der Hermes auf Sendung. Ich sag dir Kathi, die Oswald hat recht gehabt. Der ist so ein Scharlatan. Der kennt sich mit den Karten überhaupt nicht aus.«

»Wieso weißt du das«, fragte Gugerell und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.

»Weil in der Sendung immer auch die Karten eingeblendet werden. Der erzählt den Anrufern lediglich das was sie hören wollen. In den Karten ist meistens ganz was anderes gestanden.

Ich habe extra gut aufgepasst.« Karatas fuhr ihren Computer hoch.

»Einer hat ihn gefragt, ob er bald sein Haus verkaufen wird. Hermes hat die Karten gelegt und dann geschaut und geschaut, aber kein Wort gesagt. Letztendlich hat der Kunde dann gefragt, ob Hermes noch lebe. Er sprach dann endlich weiter. Lauter Blödsinn allerdings. Der ist wirklich eine Schande für die Sendung. Ich schreibe noch eine kurze Notiz für die Akten. Wer weiß, vielleicht brauchen wir das noch. Dann gehe ich wieder heim.«

»Wegen dem hättest aber am Sonntag nicht kommen zu brauchen.« Gugerell legte ihre Füße auf den Besucherstuhl und vertiefte sich wieder in die Akten.

Als Karatas fertig war, entschloss sich die Oberinspektorin für diesen Tag ebenfalls Schluss zu machen. Sie wurde jedoch vom Läuten ihres Mobiltelefons aufgehalten. »Kind!«, schrie ihre Mutter in den Hörer. »Warum rührst du dich denn nicht. Was ist, sind diese Verbrecher schon gefasst. Wann bekomme ich meinen Schmuck wieder?«

»Mama, bitte, wenn es was Neues gibt, melde ich mich schon.Schau es gibt in Wien ungefähr zwölftausend Einbrüche im Jahr und nicht einmal dreißig Prozent davon werden aufgeklärt.«

»Deine Statistik ist mir völlig gleichgültig. Schließlich haben die anderen Verbrechensopfer ja keine Polizistin als Tochter. Bei mir ist das schließlich etwas anderes. Also bitte klär den Fall endlich auf, damit ich meinen Schmuck wieder bekomme.«

»Bitte, Mama! Erstens kläre ich gar nichts auf, das machen meine Kollegen. Und außerdem gibt es keine Spuren, somit wirst du wahrscheinlich Pech haben.«

»Das ist doch die Höhe!«, schrie Frau Groher. »Wozu hat man denn eine Polizistin in der Familie. Du willst mir nur nicht helfen.«

»Mama. Ich kann ...« Weiter kam Gugerell nicht. Ihre Mutter hatte wütend aufgelegt. »Auch gut.« Sie schnappte sich ihren Mantel und ging.

Als Gugerell die Wohnungstür aufschloss, kamen ihr die Katzen laut miauend entgegengelaufen. Charly hüpfte wie ein Gummiball auf und ab und Primadonna lief, während sich Gugerell auszog, dreimal laut maunzend vor und zurück. »Was ist denn los. Seid ihr übergeschnappt?«

Sie befreite ihren Fuß, der von Charly umklammert wurde und ging ins Wohnzimmer. Mit einem Ausruf der Überraschung blieb sie stehen. In einer Ecke stand der Baum, glänzend, bunt und glitzernd. Die beiden Katzen saßen davor und starrten entzückt miauend auf die bunten Kugeln.

»Aber nicht mit dem Christbaumschmuck spielen«, warnte Gugerell. Ihre Stimme klang ein bisschen rau vor Rührung. Aber zu spät. Charly und Primadonna hatten je eine Kugel anvisiert und gaben ihr einen Stoß. Dann sprangen sie vor Freude laut miauend, in die Höhe, wobei sie noch etliche Kugeln in Bewegung setzten. »Aus, nein!«, schrie Gugerell mit strenger Stimme, wobei sie sich aber das Lachen verbeißen musste. Zu komisch war die ganze Szenerie.

Die Katzen schlichen mit gesenkten Köpfen aus dem Zimmer.

Die Oberinspektorin rief bei Di Monte an und bedankte sich für den schönen Baum. Nach einem langen, liebevollen Telefongespräch ging sie mit einem guten Krimi ins Bett.

7

Ausgeschlafen und gut gelaunt kam Gugerell ins Büro. Karatas saß schon vor dem PC und forschte im Esoterik-Forum.

»Guten Morgen«, sagte die Oberinspektorin und ließ sich in ihren Sessel fallen. »Gibst du mir bitte den Namen und die Adresse von der Frau im Esoterik-Forum, weißt schon die aus Bayern.«

»Morgen, Chefin. Du bist aber heute gut gelaunt.« Karatas zog einen Zettel aus ihrer Lade und legte ihn Gugerell auf den Tisch.

»Ich weiß auch nicht. Habe gut geschlafen und bin sogar in der Früh rechtzeitig, ohne Wecker munter geworden. Vielleicht habe ich schon die senile Bettflucht.« Sie schnappte sich das Papier und holte ihr Notizbuch aus der Tasche. Nach einigem Suchen wurde sie fündig. »Ah, da ist er ja, der Kollege aus München.«

»Müssen wir da nicht um Amtshilfe ansuchen?«, fragte Karatas.

»Geh, wenn man jemanden kennt, erspart man sich das ganze Brimborium. Ich rufe den Kollegen jetzt einfach an und fertig.« Gesagt getan. Nach einer Viertelstunde Plauderei legte sie den Hörer auf. »So, geschafft. Er wird sich mit der Dame in Verbindung setzen und uns dann zurückrufen.«

»Das hat ja schnell geklappt.« Karatas streckte sich. »Woher kennst du den Kollegen eigentlich?«

»Wir waren zusammen bei einem Fortbildungsseminar über Stalker. Gute Kontakte muss man pflegen, dann geht manches leichter. Ob es allerdings schnell geht, werden wir erst noch sehen.«

Resolut wurde die Tür aufgerissen und Berger betrat mit einem lauten »Guten Morgen, schöne Damen« den Raum.

»Auch so gut gelaunt heute?«, fragt Karatas. »Was ist los, ist das schon die Weihnachtsstimmung?

»Vielleicht ein bisschen.« Die Oberinspektorin lächelt verträumt.

»Oha, weiß ich irgendwas nicht, Chefin?«

Berger lehnte sich mit verschränkten Händen an Gugerells Schreibtisch und sah sie fragend an.

»Na, wieso, was soll sein?« Sie stand auf und ging zum Kühlschrank. »Ich habe ganz vergessen, seit gestern steht ja schon ein Kuchen für euch da.« Sie nahm die Sacherschnitten heraus und stellte sie auf den Tisch.

»Wow, das schaut ja gut aus«, sagte Berger und nahm sich sofort ein Stück. »Süß, die passen ja total gut zu unserem Fall mit den vielen Sternen und Monden.«

Karatas griff ebenfalls zu. Berger hatte seinen Kuchen bereits verschlungen und griff nach dem nächsten. »Das schmeckt ja …, wie im Himmel.« Er leckte sich genüsslich die Finger. »Aber um wieder auf das Thema zurückzukommen, du schaust so zufrieden aus.«

»Der Toni hat gestern den Christbaum aufgeputzt, während ich im Büro war. Ich wollte ja eigentlich keinen haben, aber der Baum ist wirklich superschön geworden. Kitschig und bunt, so wie ihn mein Vater immer geschmückt hat«.

»Ja, ja, Chefin du bist in letzter Zeit viel ausgeglichener. Ans Kuchen bringen mussten wir dich auch erst wieder erinnern.« Berger ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich. »Der ist mir nämlich schon sehr abgegangen.«

»Andi, du bist ein verfressenes Mannsbild, das habe ich dir aber sowieso schon öfter gesagt.«

Berger beugte sich zu Gugerell hinüber und betrachtete intensiv ihr Gesicht. »Du hast eine so schöne Haut in letzter Zeit«, sagte er und grinste.

»Was soll das jetzt wieder heißen?« Gugerell tippte sich an die Stirn.

»Na, hast du noch nie gehört, was die Joan Collins immer sagt?«

»Nein, was denn?«

»Regelmäßiger Sex durchblutet die Haut und macht sie schönrosig.«

Berger kicherte und Karatas versuchte sich das Lachen zu verbeißen.

»Lachtʼs nur ihr Deppen«, sagt Gugerell schmunzelnd. Sie zwickte Berger in die Wange. »Weißt Andi ich denke mir schon die ganze Zeit, der Andi ist so blass, hoffentlich ist er nicht krank. Jetzt weiß ich wenigstens, dass ich mir keine Sorgen machen muss.«

Karatas konnte sich nicht mehr beherrschen und brüllte los. Berger und die Oberinspektorin fielen ein. Als das Telefon läutete, bemühten sie sich um Kontenance und Gugerell hob ab, lauschte kurz und begann wieder unkontrolliert zu lachen. »Entschuldige … ich kann jetzt nicht … rufe dich später zurück«, schrie sie und schmiss den Hörer auf. »Der ..., Toni ..., hat ..., hat ..., mir gerade ..., gesagt, dass er ..., er ..., heute bei mir schläft«, prustet sie los.

Woraufhin das Gelächter weiterging, bis ihnen die Tränen kamen. Als sich alle wieder halbwegs beruhigt hatten, stand Karatas auf. »Ich glaube, wir brauchen jetzt noch einen Kaffee, damit wir wieder normal werden.«

Als alle ihren Cappuccino hatten und Gugerell und Berger sich eine Zigarette anzündeten, wischte sich die Oberinspektorin die Lachtränen aus den Augen. »Ah, das tut gut, einmal so richtig herzhaft zu lachen. Aber jetzt zur Arbeit. Andi wir fahren noch einmal zur Nachbarin des Opfers. Apropos Nachbarin, da fällt mir grade ein ich soll euch vom Hofrat schön grüßen lassen. Er wünscht euch schöne Weihnachten und einen guten Rutsch. Er ist in Urlaub und kommt erst am Siebenten wieder zurück.«

»Und wieso kommst du beim Thema Nachbarin auf den Hofrat?«

»Weil er gestern gemeint hat, wir sollen heute noch einmal dorthin fahren, darum.« »Also kommst mit, Andi.«

»Natürlich Chefin. Ich lass dich doch nicht allein zu dem bissigen Mannsbild fahren, sonst gibst ihm vielleicht noch was Giftiges zum Essen, wenn er dich nervt.« Berger grinst schon wieder.

»Hör auf, mir immer alles vorzuhalten, Andi. Du hast ein Gedächtnis wie ein Elefant.«

»Genau Chefin, das braucht man auch bei der Polizei.« Berger drückte seine Zigarette aus. »Also los gehtʼs.«

Langsam erhob sich die Oberinspektorin. »Dilek du hältst bitte hier die Stellung. Falls der Kollege aus Bayern anruft, sagst ihm ich rufe zurück.«

»I want to break free«, sang Karatas und seufzte.