Die Quittung

Die Quittung

Tony Cassella–Trilogie – 2

Larry Beinhart

Deutsch von Jürgen Bürger

Inhalt

Impressum

Widmung

Einleitung

Prolog

Da geht es hin, das Viertel

Teil 1

1. Haben Sie einen Bergman gesehen?

2. Frankly Ferns

3. Eine polnische Hypothese

4. Bergmanesque

5. Ein Schicksal schlimmer als der Tod

6. Vorspiel

7. Gummis

8. Gewissenhaft

9. Muggles

10. Par-lay Anglais?

11. Rock ’n’ Roll

12. Ich gestehe

13. Verfassungsmäßige Rechte

Teil 2

14. Nebelkerze

15. Der andere Mario Cuomo

16. Der merkwürdige Fall des Philip Buono

17. Reaganomics

18. Schlachtplan

19. Santino Scorcese

20. Strumpfhose

21. Die Beichte

22. The Badlands

23. Ein Vorschlag

24. Juni

25. Geistliche Herren

26. Reggae

27. Santino redet

28. Bekehrung

29. Brief an die Times

30. Je Ne Regrette Rien

31. Die Schildkröte

32. Hypothekenzahlungen

33. So einfach

34. Joseph P. D’Angelo

35. Eine stillschweigende Abmachung

Teil 3

36. Faith

37. Handauflegen

38. Ein Erzengel

39. Das Imperium schlägt zurück

40. Flawless

41. Eine groteske Geschichte

42. The White Rapper

Epilog

Glossar

Über den Autor

Mehr Beinhartes…

Prolog zu »Der Wechsel«

Für Anne Beinhart

so viel Liebe und wenig Vertrauen

und Irving Beinhart

mit sehr klarem Blick, aber eben anders

Dies ist ein Roman. Jede Ähnlichkeit mit wirklichen Personen, lebenden oder toten, oder mit Firmen und ihren Namen, ist rein zufällig.

Es gibt allerdings einige Ausnahmen. Dieses Buch spielt 1984. Der Kunstgriff, zum Beispiel einen Präsidenten Donald Doogun (zuvor Profibasketballer und Sportkommentator) zu erfinden, erscheint ebenso umständlich wie so zu tun, als wären die New York Most, die Daily Ochs und die World Herald Tribune & Sun die drei großen New Yorker Tageszeitungen.

Deshalb ist Mr. Reagan in diesem fiktiven Universum Präsident, seine Zitate stammen tatsächlich von ihm und die Politik seiner Regierung wird, so hoffen wir, korrekt dargestellt. Selbstverständlich ist seine Beziehung zu fiktiven Charakteren, wie zum Beispiel zu Attorney General Gunderson, frei erfunden. Artikel und Berichte über fiktive Personen, die wirklich existierenden Publikationen zugeschrieben werden, sind ebenfalls frei erfunden. Rock Promoter Matt E. Silver erscheint mit seiner Erlaubnis. Mr. Meeses kurzer Auftritt entspricht – mitsamt der Unterschlagung des offensichtlichen Datums – den offiziellen Verlautbarungen.

Prolog

Januar 1984

Da geht es hin, das Viertel

Der Bronx Park liegt unmittelbar südlich vom Woodlawn Cemetery. Dort befinden sich die New York Botanical Gardens und der berühmte Bronx Zoo, wo Tiger manchmal einen Wärter fressen.

Ein Weg dorthin ist die Seventh Avenue/Broadway-Linie. In Manhattan verläuft sie unterirdisch, in der Bronx oberhalb der Straßen, und man nennt sie kurz die El. Sie rattert auf siebzig Jahre alten Eisenbögen dahin. Fensterlose, ausgebrannte Gebäude starren den Fahrgast an. Wo früher einmal Kinder nach Hause gelaufen sind, um, von vier soliden Wänden umgeben, Mommas Leber mit Zwiebeln zu essen, gibt es heute nur noch Trümmergrundstücke.

Das ist nichts Neues. Der Bürgermeister hat im Fernsehen erzählt, dass die Bronx wieder ganz groß rauskommen wird. Jetzt oder bald oder irgendwann. Aber Ende Januar bekäme man die Sozialwohnungen, Apartments, Mietskasernen, die braunen Sandsteinhäuser leer, indem man den Leuten einfach ein Gratisticket an einen warmen Ort anbietet. Nicaragua. Beirut.

Selbst Arthur Scorcese, der gerade warm und bequem in seinem zweitürigen weißen Lincoln Continental mit der langen Motorhaube durch die Ruinenlandschaft rollte – und der in den meisten Fällen genau wusste, welche Häuser von ihrem Besitzer und welche von ihren Bewohnern abgefackelt worden waren –, hätte da nicht nein gesagt. Obwohl Arthur wirklich am liebsten nach Arizona gegangen wäre – was er auch schon seit drei Jahren versuchte. Der Sunbelt. Warm, sauber und immer noch eine einigermaßen klare Rassentrennung.

Der Tag hatte mit großen Erwartungen begonnen, und positiven noch dazu. Arthurs Vater, Santino »The Wrecker« Scorcese, lebte jetzt in Manhattan, mit dem Auto knapp zwanzig Minuten von Arthurs Haus in Long Beach auf Long Island. Die Feds nannten Santino mit Vorliebe »The Wrecker«, ließen keine Gelegenheit dazu ungenutzt verstreichen, nachdem sie den Spitznamen durchs Abhören seines Telefons erfahren hatten – und kein einziges Mal machten sie darauf aufmerksam – oder hat man das vielleicht schon mal in der Daily News gelesen? – dass der Spitzname absolut treffend war, denn Santino hatte einen sehr großen Finger in der Abschlepp-Branche und besaß mehrere Schrottplätze.

Das war die letzten drei Jahre eine echt große Freude gewesen, weil Santinos Wohnsitz das Dannemora State Penitentiary war, irgendwo in der Eiswüste zwischen Nirgendwo, Nirgendwo und Kanada. Eine sechzehnstündige Fahrt auf dem New York State Thruway, mit Raststätten, wo der Kaffee nach Styropor schmeckte und wo sie es geschafft hatten, sogar den Pfeffer, den man auf das nach Pappe schmeckende Essen streute, nach Pappe schmecken zu lassen: Wahrscheinlich eine Verfeinerung des gleichen Verfahrens, mit dem man Kaffee das Koffein entzieht. Oder, fast genauso schlimm, quer durch die Stadt, an der anderen Seite raus zum People Express in Newark, weiter nach Burlington, Vermont, nach Avis, dann auf zweispurigen, vereisten Straßen, mit ständig 35 Stundenkilometer fahrende Holztransportern, quer durchs Land.

Santino sollte noch weitere zwei Jahre dortbleiben. Er war wegen einer Bundesgeschichte eingelocht worden, hatte aber außerdem ein Verfahren wegen Verletzung von Bewährungsauflagen laufen, würde also auch noch eine Weile in einem Staatsgefängnis sitzen. Aus Dannemora entlassen, würde er für weitere fünf Jahre in einen Bundesknast verlegt, wahrscheinlich nach Danbury.

Arthur selbst war sauber. Nicht so, wie Reis weiß oder der Papst heilig ist, aber so sauber, wie man eben sein konnte, wenn man im Großraum New York in der Baubranche war. Den größten Teil seiner Geschäfte machte er in Nassau County, also war er außerdem Republikaner.

Natürlich hatte er seinen Tag um den Besuch bei seinem Dad herumorganisiert, der für neun Uhr morgens angesetzt war. Anschließend würde er in die Bronx fahren, um sich mit zwei Typen zu treffen, die es wichtig fanden, dass er sich mit ihnen traf. Auch das war gute Terminplanung. Danach würde er sich ein paar Baustellen ansehen, die ihm gehörten, nur für den Fall, dass der Bürgermeister recht und die Gegend ihr großes Comeback erlebt hatte, als er gerade mal einen Moment nicht hingesehen hatte. Er glaubte es eigentlich nicht, weil er erst gestern dort gewesen war, und die Bronx so schlecht aussah, wie die Bronx eben aussehen kann, nämlich wie ein Haufen Scheiße.

Von dort aus konnte er über die Throgs Neck Bridge nach Hause fahren, dem dichten Berufsverkehr entgehen und den Long Island Expressway meiden, diesen siebzig Meilen langen sechsspurigen Parkplatz, und dabei gemütlich darüber nachdenken, was ein throg wohl war.

Natürlich hatten die Feds wieder alles versaut. So eine kleinliche und rachsüchtige Bande. Sie verschoben den Termin mit Santino und verlegten so das Vater-Sohn-Treffen auf den Nachmittag. Was Arthur aber erst herausfand, als er im Gerichtsgebäude am Foley Square eintraf. Nachdem er den Lincoln auf einem Parkplatz abgestellt und dafür bezahlt hatte. Die Feds behaupteten, sie hätten versucht, ihn anzurufen.

Arthur wusste, dass das Quatsch war, weil er nämlich einen brandneuen Pager besaß. Es war ein Weihnachtsgeschenk von seiner Familie – Angelina, seine Frau, Santino II, sein fünfjähriger Sohn, und Krystal, seine Zweijährige, die er abgöttisch liebte, trotz des bescheuerten Namens, auf dem Angelina bestanden hatte, aus Dallas oder Dynasty oder vielleicht aus einer dieser tagsüber ausgestrahlten Serien, die sie ständig sah; er konnte sich nie merken welche. Der Pager war keiner von diesen altmodischen Piepern, sondern ein Wunder moderner Mikrochiptechnologie. Auf der Oberseite hatte er ein rotes Digitaldisplay, das Arthur die Nummer verriet, von der aus man versucht hatte, ihn zu erreichen – vorausgesetzt, der Anrufer gab den richtigen Code ein. Einzige Voraussetzung war eine gewisse Kooperationsbereitschaft, und er hatte den Feds extra einen eigenen Code gegeben für die kurze Zeit, die Santino in der Stadt war, weil er nämlich genau wusste, dass sie diese Scheiße mit ihm abziehen würden. Und jetzt war plötzlich alles im Eimer, und er würde genau zur Rushhour auf der LIE rumstehen. Was für eine kleinliche und rachsüchtige Bande.

Es gab noch ein billigeres Modell, bei dem die Zahlen auf dem Display grün leuchteten, aber Angelina hatte das Beste gekauft.

Er nahm das kleine Gerät von seinem Gürtel, um es zu bewundern. Und um zu sehen, ob es vielleicht aktiviert worden war, er das Piepsen verpasst hatte und eine Nummer auf der Anzeige stand, die er anrufen sollte. Da war keine Nummer. So wie er jetzt im großen, weichen Sitz des Continental saß, war es schwierig, das Ding wieder unter seinem immer dicker werdenden Bauch am Gürtel zu befestigen, also klemmte er es an die Innentasche seiner Jacke.

Je näher er dem Park kam, desto besser wurden die Gebäude. Beim letzten Block vor dem Park war die Veränderung so offensichtlich, dass sie von einem Diagramm hätte stammen können. Es war nicht gerade wie das obere Ende der Fifth Avenue am Central Park, aber ein Mensch, der etwas auf sich hielt, konnte dort leben. Hausmeister wischten die Flure, und Mieter bauten die Toiletten nicht aus, um sie weiter zu verkaufen.

Arthur bog ab und fuhr den Park entlang, bis er gegenüber des 2400er Blocks, Park East, zwischen Waring und Mace eine Parklücke fand.

Er war früh dran. Er schaltete den Motor aus und das Radio an. Ein Oldie-Sender. Mick Jagger sang irgendwas über shelter just a shot away, während Arthur die Daily News hinten aufschlug, beim Sportteil. Er war über die Knicks empört, die zu blöd waren, um Mullin von St. John’s abzuwerben, der ein neuer Larry Bird werden würde.

Zehn Minuten später rollte ein Buick langsam die Straße hinunter und hielt ein Stück hinter ihm. Little Louie Mangiafrino saß am Steuer. Frank Felacco, den Arthur als früheren Kompagnon seines Vaters kannte, saß auf dem Beifahrersitz. Fat Freddy Ventana saß hinten.

Arthur drückte auf den Knopf, der die Zentralverrieglung löste. Fat Freddy stieg aus dem Buick, dann folgte Felacco.

Fat Freddy war kein Negativname wie beispielsweise Tiny für einen Gorilla. Fat war wirklich fett, und als er sich vorbeugte, schließlich sogar fast in die Hocke ging, um den kleinen Hebel zu finden, der den Vordersitz nach vorn kippen ließ, war das für ihn eine große Anstrengung. Bei den Verrenkungen, die er veranstalten musste, um sich durch das niedrige Trapez gebildet aus Rückenlehne, Dachschräge und Türrahmen auf den Rücksitz zu manövrieren, bot er keinen anmutigen Anblick. Auf seiner Krawatte klebte Butter.

Frank, ungeduldig und in seinem Kaschmirmantel zitternd, hatte eine normale Figur, war sogar eher dünn. Er musste immer Diät halten, weil er Diabetiker war. Mit zweiundsechzig, zehn Jahre älter als Freddy, dreißig älter als Arthur, bewegte er sich zwar langsam, aber mit Würde.

Bob Dylan jammerte irgendwas über Leute, die Spaß an dir haben und an Chrompferdchen. Arthur schaltete das Radio aus. Freddy ließ sich grunzend auf den Sitz plumpsen. Frank klappte die Rücklehne des Beifahrersitzes mit einer verärgerten Geste zurück, stieg schnell ein und schloss die Tür.

»Lange nicht gesehen«, sagte Frank. »Wie geht’s denn so?«

»Okay, und selbst?«

»Ich habe meine Spritzen, behalte meinen Zucker im Auge. Du weißt schon. Man lebt … Netten Wagen hast du da, stimmt’s, Freddy?«

»Ja, netter Wagen«, sagte Freddy.

»Danke«, sagte Arthur.

»Wie geht’s Santino?«

»Dem geht’s gut. Du weißt schon.«

»Harte Sache«, sagte Frank. »Zehn Jahre, nur, weil er per Ferngespräch etwas Strafbares verabredet hat.«

»Ja«, sagte Arthur, »aber die hatten insgesamt – wie viel? – achtzehn Anklagepunkte. Ich denke, das war wohl derjenige, der am harmlosesten klang. Du weißt ja selbst, wie Momma ist, was die Nachbarn betrifft. Wenn er also schon vor Gericht musste, dann …«

»Aber es war wirklich eine gute Idee«, sagte Frank. »Synthetisches Kokain. Scheiß die beschissenen Spics in ihren Buden ein. Santino hat erzählt, die Nazis hätten das Zeug erfunden. Du weißt schon, im Zweiten Weltkrieg.“

»Aber trotzdem hat es in allen Zeitungen gestanden«, sagte Arthur. »Hundert Millionen Dollar. Was für eine Scheiße! Hast du schon mal was gesehen, das hundert Millionen Dollar wert ist? «

»Nee«, sagte Frank. »Du schon mal, Freddy?«

»Nee, noch nie«, sagte Freddy.

»Die Feds«, sagte Frank. »So sind die Feds. Weißt du, die rechnen dir aus, was Zeugs wert ist, wenn’s in kleine, kleinere und immer kleinere Portionen aufgeteilt und schließlich in Alufolie unten auf der Avenue D für einen Dime verkauft wird. So kommen die nämlich auf diese Summen und fühlen sich wie die großen Helden.«

»Die tun alles, um mich zu schikanieren«, sagte Arthur.

»Jedenfalls«, sagte Frank, »es war eine wirklich gute Idee. Ich hatte übrigens auch ein bisschen was investiert.«

»Echt?«

»Ja. Viele von uns hatten. Was ist mit dir, Artie?«

»Äh, ich engagier mich nie bei so was … das weißt du doch, Frank.«

»Tja, ist wahrscheinlich auch gut so, schätz ich. Jedenfalls, ich war nicht der Einzige, verstehst du, eine Menge von uns hatten bei deinem Vater Geld angelegt. In ganz verschiedenen Sachen.«

»Ich weiß nicht viel über seine … finanziellen Angelegenheiten.«

»Nein, nicht?«, sagte Frank, wobei er weder gläubig noch ungläubig klang.

»Ich weiß nur«, fuhr Arthur fort, »dass die sein gesamtes gottverdammtes Vermögen eingefroren haben.«

»In echt jetzt?«, sagte Frank.

»Ja. Ja. Von wegen RICO und die ganze Scheiße von wegen Continuing Criminal Enterprise. Soll ich dir was erzählen? Dann pass mal auf. Mich haben die auch in diese Scheiße mit reingezogen. Die haben nichts gegen mich in der Hand, weil es nichts gibt, was sie in die Hand kriegen könnten, und trotzdem haben sie jeden Nickel, den ich besitze, einkassiert.«

»Wieso? Du bist doch sauber?«

»Als ich mit meinem Ding angefangen habe, mit dem Baugeschäft«, sagte Arthur, »also, naja, da hat Santino mir zehn geliehen, um die Sache in Gang zu bringen. Tja, und jetzt behaupten die Feds, dass dieses Geld angeblich aus illegalen Geschäften und einem fortgesetzt kriminellen Unternehmen stammt, was bedeutet, das behaupten die wenigstens, dass alles, was ich verdiene, wofür ich mir den Arsch aufreiße, auch zu dieser Sache gehört. Hast du so eine Scheiße schon mal gehört? Mein Haus … also, ich arbeite wie ein Beklopppter, um die beschissene Hypothek abzuzahlen. Und die Feds, die haben sich das erste Pfandrecht auf mein Grundstück und das Haus gesichert.«

»Das ist hart«, sagte Frank. »Stimmt‘s, Freddy?«

»Ja, ziemlich hart.«

»Ich hab sogar noch was Schlimmeres gehört«, sagte Frank. »So ein kolumbianischer Spic, ich glaub, es war unten in Lauderdale, der hat sich ein Los gekauft. Ein Zwei-Dollar-Los, wie du’s bei jeder Tombola in der Kirche kriegst. Jedenfalls, er gewinnt einen Cadillac. Kann ein Seville gewesen sein, kann aber auch ein Coup de Ville gewesen sein, keine Ahnung. Tja, du kennst ja diese Spics … Als Erstes kaufen die sich immer eine ausländische Karre, also hat er wahrscheinlich schon einen Mercedes und einen Porsche und braucht den Caddie nicht. Also schenkt er den seinem Vater. Was, wie ich finde, eine nette Geste von dem Mann ist, wenn man bedenkt, wie die Kids heutzutage so sind.

Und dann kommen sie dem Jungen mit dieser RICO-Geschichte, genau wie bei dir, und sie behaupten, dass die zwei Dollar, mit denen er bei der Tombola das Los gekauft hat, Geld wäre, das er durch Dealen mit Koks verdient hätte – als könnte er nicht mal zwei Bucks von der Straße aufheben –, und sie beschlagnahmen den Cadillac seines Vaters. Kannst du dir so was vorstellen?«

»Ja, das kann ich«, sagte Arthur aufgebracht. »Bei mir haben sie gar nichts bewiesen. Bei mir wissen sie, dass sie nix beweisen können. Aber bis ich beweisen kann, dass sie mir nichts beweisen können, was ich jetzt schon seit zwei Jahren versuche, ist alles, was ich besitze, entweder eingefroren oder beschlagnahmt. Wenn ich mal auf eine Münztoilette gehen will, muss ich erst den Richter um Erlaubnis bitten.«

»Hast du eine Ahnung«, sagte Frank, »wie viel Kohle dein Vater uns schuldet?«

»Ich hab euch doch schon mal gesagt …«

»Wenn man all die Geschäfte mitrechnet, in denen er die Finger drin hatte?«

»… seine Geschäfte waren allein seine Sache, nicht meine.«

»Zwei von den ganz großen«, sagte Frank. »Sechs Nullen, verstehst du? Plus minus ein paar Hunderttausend.«

»Das ist eine Menge Geld«, sagte Arthur, gleichzeitig beeindruckt und eingeschüchtert.

»Ja, stimmt. Eine Menge Geld, stimmt’s nicht, Freddy?«

»Eine Menge Geld«, sagte Freddy. »Total.«

»Siehst du … Freddy findet das auch eine Menge Geld«, sagte Frank.

Diese überflüssige Bemerkung stand für ein paar ansonsten stille Augenblicke im Raum. »Wollt ihr«, sagte Arthur schließlich, »dass ich deswegen irgendwas unternehme?«

»Nee«, sagte Frank, schüttelte den Kopf. »Wir wissen ja, dass du Kohle in der Größenordnung nicht hast.«

»Und wie ich schon sagte …«

»Wie du schon sagtest«, sagte Frank, blickte weiter stur geradeaus. »Obwohl die Feds, also, die sehen das anders. Du hast selbst gesagt, er hätte dir für deinen Einstieg zehn hingeblättert. Ich finde, das klingt bescheiden, weißt du, für einen Mann mit der finanziellen Ausstattung deines Vaters. Und mit seiner Großzügigkeit. Also, wenn ich einen Jungen hätte, und dazu noch die Verbindungen deines Vaters … Aber du sagst es und ich glaub’s dir.«

»He, was redest du da? Willst du zehn Riesen von mir?«

»Nee, nee …«, begann Frank.

»He, ist schon in Ordnung«, sagte Arthur. »Fahr runter zum Foley Square, bring die Feds dazu, mein Geld freizugeben, und schon kannst du’s haben. Ich finde das ein bisschen abgefuckt, aber wenn du unbedingt willst …«

»Langsam, Junge. Ich rede hier von zwei Millionen. Glaubst du vielleicht, ich hätte Lust, wegen einem Hühnerscheiß wie zehntausend durch die beschissene Bronx zu gurken, im Januar? He! … Was meinst du, Freddy?«

»Die beschissene Bronx im Januar«, sagte Freddy.

Auf der anderen Straßenseite trat el super Carlos Ortiz aus dem Haus, um das Eis vom Bürgersteig zu hacken. Die beiden Wagen fielen ihm auf, weil der Lincoln hinter seinem Honda Civic stand, dem ersten fabrikneuen Wagen, den er je besessen hatte und den er noch vier Jahre und sechs Monate abzahlen musste.

»Sie werden deinen Vater vor die Grand Jury bringen, mit diesem Sonderstaatsanwalt … wie heißt der Kerl noch gleich? Ein jüdischer Anwalt … Freddy?«

»Keine Ahnung«, antwortete Freddy. »Ein jüdischer Anwalt eben.«

»Fenderman. Stanley Fenderman«, sagte Frank. »Richtig?«

»Ja«, sagte Arthur.

»Wieso?«

»Keine Ahnung. Wieso?«, sagte Arthur.

»Tja«, sagte Frank, »hat er’s vielleicht satt, noch länger da oben zu leben, oben in Dannemora, praktisch schon im verfickten Kanada? Glaubst du, das isses?«

»He, was für ein Scheiß ist das jetzt, Frank? Ich meine, was für ein Scheiß soll das werden? Fragst du mich, ob mein Vater vor der beschissenen Grand Jury singen wird, oder was?«

»Ich erkundige mich bei dir nach dem Gesundheitszustand deines Vaters. Nach seiner, naja, geistig-seelischen Verfassung, seinem Geisteszustand. Ein Mann, der drei Jahre hinter sich hat und noch sieben weitere vor sich … also, seine Perspektive, sein Blickwinkel, der kann sich irgendwie verändern.«

»Ich weiß nicht. Ich war noch nie im Knast. Du schon«, sagte Arthur. »Was meinst du? Freddy, der war doch schon mal im Knast. Was meint Fat Freddy dazu?«

»Freddy«, sagte Frank, »na los, sag, was du dazu meinst.«

»Keine Ahnung, Frank. Ich hab nie länger als maximal achtzehn Monate gesessen.«

»Dann sag du’s mir, Artie«, meinte Frank, »glaubst du, Santino spekuliert vielleicht auf vorzeitige Entlassung?«

»Ich respektiere dich, Frank, das tue ich wirklich«, sagte Arthur, »aber hör endlich auf mit dieser Scheiße. Mein Vater, der hätte doch sofort in das Kronzeugen-Programm einsteigen können und keinen einzigen Tag sitzen müssen. Das weißt du. Das muss ich dir nicht erst sagen. Außerdem, wer bist du, mir Fragen über Santino zu stellen? Ich sag dir was … wenn du irgendeinen Grund hast, irgendwas zwischen dir und ihm, was dir das Recht gibt, mich diese Scheiße zu fragen, dann geh und frag ihn doch selbst.«

»He.« Frank hob abwehrend die Hand und sprach leise weiter. »Es gibt nichts, worüber wir streiten müssten. Ich habe den größten Respekt vor deinem Vater. Ich finde, Santino ist ein loyaler Typ, auf den man sich voll verlassen kann. Ich bin nur gekommen, um dir und ihm einen Gefallen zu tun.«

»Einen Gefallen?«

»Wenn dein Vater, also, wenn er seine Zeit abgesessen hat, ich wette, er würde dann gern rauskommen und sehen, dass alles klar, alles bestens ist. Dass er keinem Menschen mehr irgendwas schuldet … Meinst du nicht auch, das würde ihm gefallen?«

»Ja«, grunzte Arthur und fragte sich, welche Gegenleistung dafür wohl fällig war.

»Und wir verlangen nichts«, sagte Frank, »was dein Vater nicht auch tun würde, verstehst du?«

»Natürlich, Frank, klar, wenn du das sagst.«

»Es wäre wirklich gut für deinen Vater, wenn er diesem Sonderstaatsanwalt nichts erzählt, ganz besonders nicht über Gunderson.«

»Über Randolph Gunderson?« Genau gegen den ermittelte die Grand Jury. Und zwar auf seinen eigenen Wunsch. Um die »verleumderischen und aus der Luft gegriffenen Gerüchte« zum Schweigen zu bringen, dass seine Geschäfte, bevor er der Regierung beigetreten war, irgendwas anderes als untadelig gewesen seien.

»Wie viele Gundersons kennst du, Artie?«

»Du willst also, dass mein Vater kein Wort über den Attorney General of the United States verliert, unseren Justizminister« Die Gerüchte hatten unmittelbar nach Gundersons Bestätigung durch den Senat begonnen.

»Ja, genau, der Chef aller Feds«, bestätigte Frank.

»Was könnte Santino denn über Gunderson sagen?«

»Dein Vater hat seinen Namen nie erwähnt?«

»Er hat den Namen, naja, manchmal erwähnt, klar. Aber du weißt doch, wie er ist. Wenn er mit anderen Zockern übers Wochenende nach Atlantic City rausgefahren ist, und die sich dann Sinatra kommen lassen, wie sie’s eben so tun, damit man sich toll fühlt, nachdem man hundert Riesen verloren hat, dann ist er immer nach Hause gekommen und hat gesagt: Ich und Frank dies und Ich und Frank das. Einmal hatten sie Diana Ross da, die hat ein paar Liedchen für vielleicht gerade mal fünfzehn Leutchen geträllert, und jeder wurde ihr persönlich vorgestellt. Man hätte denken können, mein alter Herr hätte mit Diana eine Nummer geschoben. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass sie das besonders gereizt hätte. Außerdem, hast du ihn schon mal von sich und dem Bürgermeister reden hören? Wie dicke die beiden sind? Tja, ich weiß verdammt gut, dass das nicht stimmt. Also, er hat Gunderson mal erwähnt, klar, aber was soll’s?«

»He, wenn nicht mehr dahintersteckt, dann ist’s überhaupt kein Problem. Stimmt’s nicht, Artie?«

»Was immer du willst, Frank«, erwiderte Arthur müde.

»Du behauptest also, du wüsstest nichts über deinen Vater und R. G.?«

»Ich hab meine eigenen Probleme«, sagte Arthur. »Wie tief steckt er mit drin?«

»Frag deinen Vater«, sagte Frank.

»Mein Vater erzählt mir, was er mir erzählen will. Was soll der Wirbel wegen Gunderson überhaupt?«, sagte Arthur, und fragte sich, ob bei der Sache vielleicht irgendwo ein Ansatzpunkt war, irgendein kleines Druckmittel, um den schweren Fuß der Bundesbehörden von seinem eigenen, ehrlich verdienten Geld wegzukriegen. Und ihn nach Arizona umziehen zu lassen.

»Artie, Artie«, sagte Frank in diesem Tonfall, der klarmachte: Wir sind nicht dumm, wir müssen solche Dinge wissen. »In welchen Geschäften hat Gunderson die Finger mit drin? Wo hat er das ganze Geld für den Wahlkampffond des Präsidenten her?«

»Reden wir über was Bestimmtes?«, fragte Arthur.

»Vielleicht reden wir ja überhaupt nicht«, sagte Frank scharf. »Außer darüber, wer wem wie viel schuldet.«

Auf ihren Gehstock gestützt verließ Mrs. Estelle Schmulowitz das Mietshaus auf der anderen Straßenseite und wollte zur White Plains Road, um sich ein Hühnchen zu kaufen. Sie nickte kurz – und ein bisschen widerwillig – Ortiz zu, der ihr mit einem fröhlichen buenos dias antwortete.

Vom Park den Block hinunter näherte sich Mrs. Inez Rodriguez. Gegen die Kälte gut eingepackt sah sie aus wie eine dunkelrot und golden gestreifte Schneefrau. Hinter sich her schleifte sie ihren vierjährigen Sohn Paco, der aussah wie ein Teddybär in einer dicken kastanienbraunen Windel. Paco wiederum zerrte seinen Schlitten hinter sich her.

»Du willst also meinem Vater ausrichten«, sagte Arthur, »dass du die zwei Mio vergisst, wenn er nicht über Gunderson redet.«

»Ja«, sagte Frank. »In der Scheißkarre hier wird’s langsam kalt. Warum machst du nicht mal die Heizung an?«

»Klar«, entgegnete Arthur. Er beugte sich vor, um den Zündschlüssel zu drehen.

Als der Motor ansprang, purzelte der neue Pager, das Geschenk von Angelina, Santino II und Krystal, aus seiner Jackentasche. Franks Blick folgte dem fallenden Gegenstand. Arthurs Hand schnellte vor, um sein Spielzeug noch zu erwischen, bevor es auf den Boden fiel. Es sah wie etwas aus, das er verstecken wollte.

»Der Arsch ist verwanzt«, brüllte Frank. »Leg ihn um, Freddy.«

Das war eine Sache, die der fette Mann immer noch schnell und effizient erledigen konnte. Die .38er kam aus seinem Schulterhalfter. Als Arthur sich wiederaufrichtete, vielleicht im Begriff, irgendwas zu sagen, drückte Freddy ab. Die Kugel drang von hinten in Arthurs Schädel ein, hübsch genau in der Mitte. Vorn kam sie wieder raus und nahm dabei den größten Teil seiner Stirn mit.

Arthur kippte nach vorn. Sein Arm schlug gegen den Schalthebel und schob die Automatikschaltung aus der P– in die D–Stellung. Der große, schwere Continental machte einen Satz nach vorn und krachte gegen Carlos Ortiz’ Wagen. Obwohl Carlos die Handbremse angezogen und einen Gang eingelegt hatte, war der Gewichtsunterschied doch so groß, dass der Lincoln den Honda auf den Wagen davor schob, bei beiden Fahrzeugen die Stoßstangen zerknautschte und Scheinwerfer und Rücklichter zersplitterte.

Frank beugte sich zu Boden. Er riss den Pieper unter Arthurs Füßen weg, dann stieß er die Tür auf und sprang hinaus. Little Louie, der in solchen Dingen Erfahrung hatte, wartete bereits mit laufendem Motor. Er öffnete die hintere Tür des Buick, damit Frank schnell reinschlüpfen konnte.

Fat Freddy allerdings hatte ein Problem. Das Aussteigen war noch schwerer als einzusteigen. Auf der Fahrerseite konnte er nicht raus, weil Arthur Scorceses Leiche den Weg versperrte. Also wuchtete er sich grunzend auf die Beifahrerseite. Dann musste er sich – im Sitzen – vorbeugen, um an den Hebel zu kommen, der die Rückenlehne des Vordersitzes nach vorn klappen ließ.

Sobald Frank im Wagen saß, ließ Louie den Buick losrollen. Freddy befand sich mit Ausnahme seines Kopfes immer noch komplett im Lincoln. »He, Frankie«, brüllte er genau wie Andy Devine immer gebrüllt hatte, wenn Wild Bill davongaloppierte. »Warte auf mich!«

Louie bemerkte, dass er tatsächlich einen der Lebenden zurückgelassen hatte. Also setzte er zurück.

Carlos hatte den Schuss ignoriert. Aber als er das Splittern der Rücklichter hörte, spitzte er die Ohren. Carlos reagierte immer auf das Geräusch, das Metall macht, wenn es zusammengequetscht wird, wusste er doch mit seiner fatalistischen Latino-Seele, dass dieses schreckliche Geräusch eines Tages ihm gelten würde. Was diesmal denn auch der Fall war.

»Kommt sofort zurück«, brüllte er, als er sah, wie die Schänder seines geliebten Honda sich aus dem Staub zu machen drohten.

»Mach hinne, Fettarsch!«, knurrte Frank.

Freddy quetschte und zwängte sich in einer Art Halbdrehung aus der Tür, stolperte dann. Carlos schnappte sich seinen Eishacker, einen hölzernen Besenstiel mit einem zwanzig Zentimeter breiten Metallkeil am Ende, und kam über die Straße gerannt. Inez Rodriguez blickte vorsichtig in beide Richtungen. Da sich nirgends ein Fahrzeug bewegte, begann sie mit der Überquerung der Straße. Sie zog Paco hinter sich her. Paco zog seinen Schlitten.

»Schwing die Keulen, du dummer Arsch!«, brüllte Frank zu Freddy hinüber.

»Ich versuch’s ja«, antwortete Freddy, einen Fuß im Lincoln, eine Hand auf der vereisten Straße. Er rappelte sich auf, stolperte los und stürmte wie ein wütendes Nashorn mit dem Kopf voran in den Buick. Kaum befand sich sein massiger Körper im Wagen, nur noch die Füße hingen draußen, die Zehen Richtung Boden gedreht, fuhr der Buick auch schon los.

Carlos kam genau in dem Augenblick schlitternd und rutschend an, als Louie aufs Gas trat. »Ihr Arschlöcher von Autofickern!« brüllend zerschmetterte Carlos mit einem brutalen Schlag mit seinem Eishacker ihre Rücklichter. Während sie entkamen, hob er den Eishacker, so grimmig und wild wie ein Lanzenträger seiner aztekischen Vorfahren, und schleuderte ihn wie einen Wurfspeer hinter ihnen her. Er traf die Heckscheibe. Doch der Eishacker rutschte ab wie ein indianischer Speer vom kastilischen Stahl der Konquistadoren–Rüstung.

Inez Rodriguez schaute auf, als Carlos brüllte. Sie sah den Buick einen Blitzstart hinlegen, herumschleudern und dann direkt auf sich zu donnern. Sie erstarrte, als sich das Metallungeheuer auf sie stürzte. Und auf ihr Kind. Sie packte Paco und stieß ihn aus der Gefahrenschneise. Paco griff nach seinem Schlitten. Schaffte es nicht.

Louie wich seitlich aus, als Inez sich gerade in Bewegung setzte. Inez spürte lediglich den Luftzug. Der Schlitten hatte weniger Glück. Paco heulte, als er zersplitterte. »Gottverdammt beschissene maricones«, kreischte Inez.

»Oooh, diese Nachbarschaft«, meinte Mrs. Estelle Schmulowitz mit einem tiefen Seufzer zu ihrem Gehstock.

Teil 1

Februar 1984

1

Haben Sie einen Bergman gesehen?

Neunzig Prozent des Universums werden vermisst.

New York Times, Wissenschaftsteil

Luis, der Hausmeister, hatte eine Nachricht unter der Tür durchgeschoben, in der er mich bat, unseren Vermieter Jerry Wirtman anzurufen. Glenda, die Frau, mit der ich zusammenlebe, war sauer. Sie fand, dass die Nachricht an sie hätte adressiert sein müssen. Völlig richtig; der Mietvertrag lief auf ihren Namen. Das war, sagte sie, ein Zeichen von Respektlosigkeit ihr als Frau gegenüber.

Wayne bekam von nichts was mit. Er las den Wissenschaftsteil der New York Times. Der Wissenschaftsteil erscheint jeden Dienstag, so dass die Times Anzeigenplatz an Firmen zu vergeben hat, die Computer verkaufen. Wann immer ein besonders verlockendes Geschäft auftaucht, informierte uns Wayne. Wir sind uns bewusst, dass wir als Familie schon für unter 2000 Dollar ins Computer-Zeitalter eintreten können. Wayne ist zehn.

Es war eine geruhsame Zeit. Ohne Ärger, ohne Angst.

Wir hatten, gemessen an New Yorker Verhältnisse, viel Platz. Zwei Schlafzimmer in der Upper West Side. Vorkriegsbau, entstanden noch bevor die Bauherren dahintergekommen waren, wie Profite maximiert werden konnten, indem man die Raumhöhe verringerte, die Zimmer kleiner und die Wände dünner machte sowie auf Wandschränke verzichtete. Wir hatten sogar eine echte Küche. Die Zeit und stabile Mietpreise hatten die Wohnung in ein gutes Geschäft verwandelt. Ein sehr gutes Geschäft. Für New Yorker Verhältnisse.

Mein Einkommen kommt immer noch sehr unregelmäßig rein. Allerdings auch wieder regelmäßig genug, um uns die Illusion finanzieller Stabilität zu erlauben. Mein Partner und ich hatten sogar damit angefangen, unsere Honorare zur Bank zu bringen und uns dann wöchentlich zu bezahlen. Genau wie richtige Leute mit richtigen Gehältern.

Also, da war ein Zuhause. Und eine Beziehung. Seit sieben Jahren. Keine Liebestaumel, keine Dämonen der Lust. Aber ein gesundes Maß an Sex, ausreichend Zuneigung für Stabilität, genug Platz in Wandschränken, damit wir nicht das Gepäck der Vergangenheit und die Ängste der Zukunft oben auf dem Fernseher deponieren mussten.

Jerry Wirtmans Nachricht hatte, wie sich herausstellte, nichts mit der Vermieter-Mieter-Beziehung zu tun. Er hatte von Luis, dem Hausmeister, gehört, dass ich Detektiv war. Luis war schon immer sehr von meinem Beruf beeindruckt gewesen. Genau wie Wayne hat er diesbezüglich ein paar sehr kindische und romantische Vorstellungen. Wirtman war interessiert, vielleicht, wahrscheinlich, möglicherweise, nachdem wir die Angelegenheit besprochen hatten, meine Dienste in Anspruch zu nehmen.

Ich sagte ihm, dass das erste Gespräch gratis wäre. Das erste, was er mich fragte, als ich zu ihm kam, war, ob ich irgendein Problem damit hätte, für einen Vermieter und gegen einen Mieter zu arbeiten.

Die Detektei D’Angelo Cassella erhält die verschiedensten Jobs, doch unsere hart erkämpfte Illusion der Stabilität halten wir dank vier Klienten aufrecht: Zwei Scheidungsanwälte, eine Anwaltskanzlei, die sich um alles Mögliche kümmert, und einen der letzten noch übrig gebliebenen Männer Brooklyns, die geschäftsmäßig Kautionen für andere stellen, Alan Bazzini. Aber Bazzini redete davon, sich zur Ruhe zu setzen. Er wollte nach Sanibel, Florida. Oder nach Tucson, Arizona. Ohne Bazzini würden wir an einem dreibeinigen Tisch dinieren.

Also log ich. Ich sagte, nein, es machte mir überhaupt nichts aus.

»Vermieter haben eine schlechte Presse«, sagte er. Er hatte etwas Weiches, war eher pummelig als fett, nicht nervös, aber immer in der Defensive. »Ja, wirklich, das ist so. Wenn die Leute keine Vermieter haben wollen, sollen sie doch in die Vororte ziehen oder in eine Genossenschaft eintreten. Wird irgendeine andere Branche so behandelt? Na?«

»Hab noch nie darüber nachgedacht«, sagte ich neutral.

»Sie wohnen in einem meiner Häuser. Kneble ich Sie vielleicht?«, fragte Wirtman. »Nein«. »Frieren Sie im Winter? Nein. Meine Heizung läuft immer auf vollen Touren. Die Leitungen sind in Ordnung. Die Fahrstühle funktionieren. Die Sicherheit ist gut. Die Flure werden immer sauber gehalten. Jemand beschwert sich, wir kümmern uns um das Problem. Und das trotz Mietpreisstabilität, Mietpreisbindung, gewerkschaftlich organisierten Hausmeistern, gewerkschaftlich organisierten Portiers, Inspektoren, die die Hand aufhalten, Müllmännern, die die Hand aufhalten. Man gibt sich Mühe, einen Hausmeister zu finden, der kein Alkoholiker, kein Junkie, kein Dieb ist und der Englisch spricht. Man versucht es.«

»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte ich.

»Manchmal komme ich richtig in Fahrt«, sagte Wirtman und schenkte mir ein dümmliches kleines Lächeln. Es war ein nettes Lächeln.

»Mietpreisbindung«, sagte er, ging das nächste Thema an. »Verstehen Sie was von Mietpreisbindung? Von Mietpreisstabilität?«

Jeder in New York tut das. Das ist eine der Tatsachen des Lebens, die noch wichtiger ist als die Versagensquote von Kondomen. Die Mietpreisbindung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt. Das war schon in Ordnung, als eine Inflationsrate von vier Prozent hoch erschien. Dann begann der Dollar sich wie ein Peso aufzuführen, und die Mieten blieben so weit hinter den steigenden Kosten zurück, dass die Haus- und Grundbesitzer in der Lage waren, mit einiger Aussicht auf Erfolg auf Aufhebung der Mietpreisbindung zu klagen. Jedes Mal, wenn eine der Mietpreisbindung unterliegende Wohnung frei wurde, kam sie auf den freien Markt. Früher. Dann trat ein neues System mit dem Namen Mietpreisstabilisierung in Kraft, das gleichmäßige Erhöhungen bei jeder Erneuerung oder Verlängerung des Mietvertrags zu einem Prozentsatz erlaubt, der durch den Ausschuss für Mietpreisstabilisierung festgelegt wird. Dieser Prozentsatz, auf den man sich nach viel Geschrei von Hausbesitzern und Mieterorganisationen einigt, soll den Vermietern einen fairen Gewinn erlauben, allerdings nicht mehr. Wenn eine der Mietpreisstabilisierung unterworfene Wohnung leer wird, ist ein größerer Sprung der Miete nach oben zulässig, wenn auch immer noch in gewissen Grenzen. Daher bestimmt sich die Höhe der Miete dadurch, wie lange die Wohnung schon stabilisiert ist und wie viele Mieterwechsel es schon gegeben hat.

Es gibt immer noch ein paar Wohnungen mit Mietpreisbindung. Die Mieter zahlen Summen, die noch aus jener Zeit stammen, als die U-Bahn noch einen Nickel kostete und eine Unze Gold 35 Dollar wert war.

»Es gibt Leute, die missbrauchen das System«, sagte er. »Zwölf C.«

»Zwölf C?«

»Die Bergmans«, sagte er.

»Bergmans?«

»Haben Sie schon mal einen Bergman gesehen?«

»Ob ich schon mal einen Bergman gesehen habe?«

»Haben Sie schon mal«, wiederholte er sehr eindringlich, »einen Bergman in Zwölf C gesehen?«

»Tut mir leid«, antwortete ich. »Ich glaube, ich kann nicht ganz folgen.«

»Natürlich haben Sie noch keinen Bergman gesehen. Seit fünfzehn Jahren hat kein Mensch mehr einen Bergman gesehen. Aber der Name auf dem Mietvertrag für Zwölf C lautet … Bergman. Seit zwanzig Jahren schon lautet er Bergman.« Er lächelte nicht mehr. Er sah traurig aus. »Seit der Mietpreisbindung«, seufzte er.

»Damit wollen Sie sagen, dass die Bergmans immer noch den Mietvertrag halten, aber gar nicht mehr dort wohnen.«

»Sehen Sie hier, sehen Sie sich das hier mal an …«

Scheck

»Für zwei Schlafzimmer. Oberste Etage. In einem guten Haus. Einem sauberen Haus. Einem sicheren Haus. Mit Fahrstühlen. Missbrauch. Das ist Missbrauch. Durch arglistige Täuschung. Missbrauch durch arglistige Täuschung.«

Falls die Bergmans untervermieteten, machten sie einen Reibach von mindestens einem Riesen pro Monat. Wenn Wirtman die Wohnung wieder an sich bringen konnte und sie auf dem Wohnungsmarkt anbot, konnte er die Miete um irgendwas zwischen 800 und 1000 Prozent anheben.

»Könnten Sie mir den Beweis bringen«, sagte er, »dass diese Bergmans irgendwo anders leben?«

»Sollte das tatsächlich der Fall sein, werde ich es wahrscheinlich können, ja. Haben Sie noch weitere Informationen über diese Leute?«

»Ja. Sie wohnen hier, seit es das Haus gibt.«

»Haben die Bergmans sich jemals schriftlich um eine Wohnung beworben?«

»Ja, aber das ist uralt«, erwiderte er. Er nahm das Blatt aus der Akte.

Bewerbung

»Bin ich ein Ausbeuter? Ein Blutsauger? Ein Dracula-Vermieter?«

»Ich denke nicht«, sagte ich.

»Die«, sagte er, »diese Bergmans, die bestehlen mich, das sind die wahren Diebe. Ich habe ein Recht auf richtige Mieter. Also, was verlangen Sie?«

In der Regel nehme ich 250 Dollar pro Tag. Ich bin schon mal runtergegangen, aber meistens gehe ich rauf. Ich sagte 350 pro Tag, fünfzehn die Woche, und machte ihn darauf aufmerksam, dass die eigentlichen Kosten durch die Spesen entstehen könnten. Für ihn war die Sache mehr als 20.000 Dollar pro Jahr wert, aber trotzdem wollte er mit mir feilschen.

»Mr. Wirtman, Sie sind doch anscheinend ein netter Mann«, sagte ich. »Und Sie sind völlig im Recht. Das ist wichtig für mich. Aber die Sache ist doch die, es gibt eine Gewerkschaft …«

»Wie jetzt? Eine Detektiv-Gewerkschaft?«

»Nun, sie nennt sich Gilde, aber unter dem Strich läuft’s aufs Gleiche raus. Ich verstoße gegen die Mindestgebührensätze, und damit kann ich mir eine Menge Ärger einhandeln.«

»Eine Gewerkschaft. Wer hätte das gedacht …«

»He, die gibt’s heute doch überall. Die Ärzte haben ihre AMA. Luis, der Hausmeister, der hat auch eine Gewerkschaft.«

»Wusste ich nicht.«

»Mir sind die Hände gebunden«, meinte ich achselzuckend.

»Gewerkschaften. Genau deshalb fährt heute doch jeder ein japanisches Auto. Was die diesem Land angetan haben … Gott sei Dank haben wir jetzt endlich einen Präsidenten, der ihnen die Stirn bietet.«

»O ja«, sagte ich.

»Okay. Machen Sie sich an die Arbeit. Aber behalten Sie die Spesen im Auge.«

»Sicher doch«, antwortete ich. Gott sei gedankt für die Private Investigators Guild. Eines schönen Tages sollten wir tatsächlich mal eine auf die Beine stellen.

Es war ein ziemlich simpler Fall. Der erste Schritt bestand wie immer in der Überprüfung der Kreditwürdigkeit.

Es gibt mehrere Multi-Millionen-Dollar-Firmen, die uns im Auge behalten und die über uns gesammelten Informationen mit Gewinn verkaufen. Diese Daten sind vertraulich und dürfen nicht weitergegeben werden ohne unsere ausdrückliche Erlaubnis, die wir – zum Beispiel – jedes Mal dann erteilen, wenn wir einen Kredit beantragen.

Ich benutzte die TRS Inc., da deren Computer für Thayer Sturdivon, seines Zeichens Hacker, am leichtesten zu knacken ist. Ich musste bis 15 Uhr warten. Thayer kommt vorher nicht aus der Schule. Er ist in der elften Klasse.

Im Kino tragen Leute, die sehr schlau sind, immer Brillen auf großen geformten Nasen, und viel zu große, sackartige Klamotten von Sears schlottern um ihre mageren Körper. Thayer hat eine Menge Bizeps und eine ausgeprägte Oberschenkelmuskulatur, was er durch Muscleshirts und Designer-Hosen deutlich betont; seine Haare sind modisch kurz.

Village VoiceTony Lamas

Er wollte sich mit mir treffen. Warum wollte er mir erst sagen, wenn wir uns trafen.

Ich fragte, wann. Er schlug vor, dass wir uns gegen acht auf ein Glas treffen sollten. Um sechs hatte ich eine Verabredung zum Squash. Mit duschen und allem hatte es keinen Sinn, zwischen den beiden Verabredungen noch nach Hause zu gehen.

»Ist in Ordnung, passt«, sagte ich.

Er nannte mir den Namen der aktuell angesagtesten In-Kneipe der West Side.