Eine wahre Geschichte zur lehrreichen Unterhaltung armer Fräulein aufgeschrieben von

Armut, Reichtum,
Schuld und Buße
der Gräfin Dolores

Dem Schutzgeist bleibt ein treuer Sinn ergeben,
Der ihn erhob aus einer dunklen Zeit,
Auf lichten Flügeln singend hinzuschweben
In hohem Frieden über leeren Streit;
So ward auch mir ein hochgesellig Leben,
Wo sich die Worte leicht zum Lied gereiht,
Mein Lied und ich, wir bleiben treu ergeben
Dem der uns hat durch Melodie geweiht,
Die aus dem vollen Herzen einsam weinet
Und wie ein Nordlicht tief bedeutend scheinet.

Erstes Kapitel

Das fürstliche Schloß und der Palast des Grafen P...

Vor einer kleineren Residenzstadt des südlichen Deutschlands erscheinen dem Reisenden, der die große Heerstraße vom Gebürge herabfährt, zwei große hervorragende Gebäude von ganz verschiedener Bauart und Umgebung. Einem altertümlich getürmten und geschwärzten, von Wassergräben umzogenen Schlosse gegenüber, schimmert ein freier, leichter, heiterer, flachgedeckter italienischer Palast im schönsten Grün eines weiten Gartens, so auffallend vorleuchtend mit hellen Marmorfarben und großen glänzenden Fenstern als glücklicher Nebenbuhler, als eine neue fröhlige Zeit neben einer verschlossenen ängstlichen alten, daß diese Bemerkung sehr wahrscheinlich jedem beim ersten Anblicke eingefallen sein mag. Der gleich nahe Wunsch mit den Bewohnern der fröhligen Zeit näher bekannt zu werden, um mit ihnen in allem Überflusse der schönen Bergwildnis und des reichen mannigfaltig bebauten Tales sich zu erfreuen, verschwindet eben so schnell, wie die Furcht vor dem düster vergitterten Schlosse, sobald sich die Reisenden beiden Gebäuden hinlänglich genähert haben, um alles Einzelne daran zu unterscheiden. Das schwarze Schloß, wohlunterhalten und dauerhaft, mit seinen vorspringenden spitzen Türmen, mit seinen kleinen spitzigen Doppelfenstern, mit dem großen steinernen Wappen über dem Tore, vor allem mit seinen kleinen bunten Gärtchen in den Turmecken, wo vielleicht schöne Fürstentöchter unter selbst gezognen Blumenlauben die vorüber wandernden Ritter belauschen, dies Ganze macht einem das wunderliche Gefühl, das die Leute romantisch zu nennen pflegen, es versetzt uns aus der sonnenklaren Deutlichkeit des guten täglichen Lebens in eine dämmernde Frühzeit, die auch uns erweckt hat und der wir heimlich noch immer mit erster Liebe anhangen und gedenken, ungeachtet es schon lange Mittag geworden und vielleicht bald wieder Nacht werden kann. Sind wir von diesem Gefühle durchdrungen, so scheint der kunstreiche Palast auf seinen schlanken Marmorsäulen, mit seinen nackten Götterbildern, die bis zum Dache hinaufgestiegen in einem Reihentanze erstarrt zu sein scheinen, wie eine leere fremdartige Zauberei, die der Zauberer aufgegeben, nachdem sie Götter und Menschen betört hatte. Auch scheint bei näherer Besichtigung alles an diesem Palaste den zerstörenden Elementen überlassen; der Wohlstand, der darin lange einheimisch gewesen sein mag, hat sich durch viele gewaltsame Auswege Luft gemacht, um zu verschwinden; die Fenster des untern Geschosses sind meist eingeschlagen; oder mit innern Fensterladen notdürftig geschlossen; das lückenvolle Dach hat große Stücken der Gesimse losweichen lassen; die Laden der Dachfenster schlagen im Winde nachlässig auf und zu; das zierliche eiserne Geländer, das den Vorhof schließt, ist des größten Teils seiner vergoldeten Blätter von mutwilliger Hand beraubt; die eisernen Türen liegen ausgehoben daneben, vom hohen Grase überwachsen; die Wände sind von Kindern mit Soldaten und von Soldaten mit den Namen ihres Regiments bezeichnet. Der Reisende sieht ärgerlich davon weg und nach dem Lustgarten, der den Palast umschließt und hinter demselben zu einer prachtvollen Anhöhe sich erhebt. Alles grünt da, alles singt, alles ist wild verwachsen, das Auge unterscheidet nicht, ob das halb eingestürzte Haus auf dem Gipfel des Berges eine absichtliche oder zufällige Ruine; neben den amerikanischen Sträuchern stehen wenige amerikanische Kartoffeln, wahrscheinlich in kindischer Nachahmung des Feldbaus; in den öden großen Baumgängen springen wilde Kaninchen schnell verschwindend umher, sie treiben da ungestört ihren kleinen Bergbau, wie die Vögel ihren Luftbau der Nester auf allen dichteren Baumwipfeln. Arme halbnackte Kinder, wahrscheinlich aus den Nachbarhütten, jagen sich in dem ausgetrockneten Bette des Springbrunnens, nachdem sie ihre Ziegen an Pfählen zwischen den einzelnen Schnörkeln des Buxbaums angebunden haben, der auf dem großen Platze hinter dem Palaste, wie eine von der Hand des Schicksals halbausgewischte bedeutende Schrift, den Reisenden lange vergeblich raten läßt, bis eins der Kinder alles mit ein paar Worten erklärt, es heiße Hektor und Sophie, die Vornamen des Grafen und der Gräfin von P., die dieses Schloß erbaut. Diese Kinder, diese Ziegen und ein paar Lämmer, die sich menschenfreundlicher zu jenen halten, reinigen den Garten von Kraut und Unkraut, von Blumen und Dornen.

Uns beängstigen schon fürstliche Schlösser, die bloß zum Sommeraufenthalte bestimmt, den größeren Teil des Jahres mit hellpolierten, aber verschlossenen Fenstern stille ohne Bewohner mit offenen Augen im Schlafe zu liegen scheinen, da alles Grün umher wacht und rauscht, alle Quellen rieseln, alle Gänge offen stehen; schon diese ungeheueren Anstalten zum Leben ohne Leben erfüllen uns mit der wehmütigen Ahndung einer unbewußt um uns her geschehenen Völkerwanderung, die uns allein unter Fremden zurückgelassen hat, – und was ist diese Wehmut gegen den Schmerz, diese Völkerwanderung wirklich beendigt zu finden, was hoch gestanden tief gestürzt zu finden und die Kleinen wild und höhnend darüber herfallen zu sehen, ohne zu wagen, sich gleicher Höhe zu nahen; wenn sich gemeine rohe Armut über die Trümmer fremder Pracht und Bildung triumphierend lustig macht, unwissend an den Kunstdenkmalen zerstört, weil die Besitzer nicht mehr die Kraft haben zu schützen und zu erhalten, was sie vom Überflusse geschaffen hatten – und darum wendete ich mich schmerzlich von einem Kreise lumpiger Barbarenkinder fort, die dort im Lustgarten des gräflichen Palastes an einem schönen Amor in Marmor, der schlafend unter einer Rosenlaube ruhte, die schändliche Art von Geißelung wiederholten, die ihnen in roher Erziehung zu einer scherzhaften Strafe geworden. Vergebens war mein Pochen an allen Türen, ob denn keine einzige Seele in dem großen Hause, die diesen Frevel, den ich gestört, auch bestrafte, einsam und immer schneller und ungeduldiger hallte mein Schritt, wie von einer Schildwache die abzulösen vergessen, unter den Säulen des Eingangs, daß die Schwalben aus ihren Nestern im Laube der korinthischen Säulen ausflogen, vielleicht um zu schauen, ob es gewittere. Mir war so schwül zu mute und ich dachte nicht, daß in den oberen Zimmern zwei junge Gräfinnen versteckt wären, bei denen mir alles üble Wetter so leicht übergegangen wäre; ich stieg wieder in meinen Wagen und dachte, besser daß ein Wetterstrahl alle Kunstwerke in einem Augenblicke vernichte, ein Feind sie entrisse, als daß sie in vielen Jahren vor den Augen der Völker, die sie nicht verstehen, nicht in heiliger Sitte bewahren, verderben und geschändet werden; denn wer das Schöne zerstört, oder dessen Zerstörung duldet, kann es nie heiligen und erzeugen, wohl aber selbst der, welcher es gar nicht anders, als aus sich und der freien Welt gekannt hat.

Erstes Kapitel

Geschichte der beiden Gräfinnen in der Abwesenheit des Grafen Karl. Klelia reist nach Sicilien

Das Schloß und die übrigen Lebensverhältnisse unsrer beiden armen Gräfinnen hatten sich während dieses Winters durch die Freigebigkeit des Grafen, der ihnen auf dem bekannten Wege durch den Gastwirt beinahe seinen ganzen Wechsel sendete, und nur das Notdürftigste für sich behielt, bedeutend bequemt und verschönert. Gegen die Bitten der eingezogenen Klelia hatte Dolores ein Paar Zimmer des besten Stockwerkes in Ordnung gebracht, zwar möglichst sparsam mit altertümlichen Zimmergeräte aus dem fürstlichen Schlosse, das eben versteigert wurde, aber doch anständig genug, um wieder Gäste zu empfangen. Sie fühlte seit den sechs Wochen, deren sie in des Grafen Gesellschaft froh geworden ein Bedürfnis der Geselligkeit; sie erneute die alten Bekanntschaften mit den vornehmen Stadtbewohnern, da fand sie manchen jungen Mann recht schön angewachsen, dem sie schon als Kind geneigt gewesen; diese mochte sie nicht vermeiden und ihre Gläubiger ließen sich nicht abweisen und so fanden sich oft unerwartet die Zimmer ganz voll, sie aber war der schöne Mittelpunkt aller dieser Bemühungen. Klelia war wohl auch schön zu nennen, aber der ganze Ernst ihrer Erscheinung rückte sie über die Ansprüche des größeren Haufens hinaus; keiner wagte sich ihr mit einer leeren Schmeichelei, oder mit einem bloßen Flickworte der Unterhaltung zu nähern, darum fand sie mancher zu kalt, zu gescheit und wenig unterhaltend. Dolores stellte gern jede Sonderbarkeit recht grell aus, sie fühlte sich erleichtert, wo sie dem allgemeinen Sinne für das Passende und Gefällige auf eine ungemeine Art getrotzt hatte; die Männer kannten ihren Vorteil über jedes Mädchen der Art, sie mußte ihnen viel ärgere Sonderbarkeiten durchgehen lassen; beides war der frommen Klelia verhaßt, ja sie würde die Gesellschaften vielleicht ganz gemieden haben, wenn ihre Gegenwart der Schwester nicht wohltätig gewesen wäre, um die verschiedenartigen Menschen in Zaum zu halten. Diese verschiedenartigen neuen Eindrücke, welche die Gesellschaft auf die Gräfin Dolores machte, verdrängten den Grafen immer mehr aus ihren herrschenden Gedanken; ihre Briefe zeigten davon keine Spur, die Feder führte sie unbewußt immer wieder in die alte Gegend zurück und dem Grafen war alles herrlich, was ihn daran erinnerte. Ihr Gefühl schlug überhaupt hell und laut an nach der Art wie es berührt wurde, aber der Nachklang dieser Klocke ging in den nächsten Schlag des Hammers über und vermischte sich damit; die Zärtlichkeit, die der Graf in ihr erweckt hatte, überraschte sie jetzt in der Nähe jedes liebenswürdigen Mannes; nun fühlte sie sich freilich so an ihn gebunden, daß sie dies zu keiner eigentlichen Äußerung kommen ließ, aber junge Leute in unsern Tagen verstehen sich schon auf Blicke, und also machte sie ihnen wenigstens falsche Hoffnungen und des Grafen Bild verschwand allmählig so weit, daß sie ihre Karikatur aufsuchen mußte, um sich seiner zu erinnern. Eine schöne fromme Seele ist wie das Tüchlein der heiligen Veronica, auf welchem das Bild des Geliebten ohne Malerkunst in ewiger Treue abgedrückt bleibt, alles ist ihr reine Erinnerung von ihm, unverschönert, denn das bedarf er nicht, unverhäßlicht, denn das leidet sie nicht; dagegen erscheint eine leichte Weltseele als ein Spiegel, der freilich alles Nahe, das Schöne und Häßliche mit einer Lebendigkeit faßt, daß es ganz davon aufgenommen scheint, aber nur das Sichtbare berührt sie, jenseit eines schmalen Gebürges liegt ihr schon eine Ferne, die sie nicht verbinden kann, und über alles Vergangene fährt auslöschend eine Sündflut her. Wie treu bewahrte Klelia ihre Freundschaft zu dem Grafen, während ihn Dolores tagelang in ihren Umgebungen vergaß, und wie töricht legte sich der Graf, der Meinung seiner Mutter eingedenk, daß nie bloße Freundschaft zwischen verschiedenen Geschlechtern gefunden werde, jene Äußerungen warmer Freundschaft als eine unselige Liebe aus, die sich selbst nicht verstände und die er bekämpfen müsse. Diese kalten Briefe wirkten vielleicht mehr, als die äußerlichen Vorteile und die Rücksichten auf ihre Gesundheit, sie zur Annahme eines Vorschlags zu bestimmen, der sie ihrer Schwester und dem Grafen auf längere Zeit entriß. Eine ihrer Basen, die würdige Frau eines Schweizer-Obersten in Sicilien, war von ihrem Manne zu einer schnellen Abreise dahin bestimmt; da ihre Kinder gestorben, so wünschte er ein Paar seiner ärmeren Anverwandten sich zu gewöhnen, und in sein Haus zu nehmen, um ihnen den Mitgenuß seiner reichlichen Einnahmen und seines angenehmen Hauses zu schenken, wenn er ihnen gleich kein bedeutendes Vermögen hinterlassen könne. Sie machte den beiden Gräfinnen den Vorschlag, ihr Glück in jenen entfernten schöneren Klimaten zu versuchen. Wir wissen, was Klelia zu der Annahme dieses Vorschlages bestimmte, auch die schmerzliche Erinnerung an ihre Eltern und das Unerträgliche von fremden Wohltaten zu leben, hatten Anteil an dem Entschlusse; wie sehr erstaunte sie aber, als Dolores ganz rücksichtlos sich auch für die Mitreise erklärte. Das Fremdartige des Unternehmens reizte sie, daß sie viele, und viele von ihr sprechen würden; der blaue Himmel, die Musik, der Karneval, endlich die Kunstdenkmale, an denen sie ihr Malertalent ausbilden wollte, der ganze Feststaat, den tausend Beschreibungen um den Namen Italia gelegt haben, das alles rauschte vor ihr über, und die vernünftigen Vorstellungen der Schwester, eine nahe vorteilhafte Heirat mit einem geliebten Manne der bloßen Neugierde nicht aufzuopfern, gnügten ihr nicht davon abzustehen, die Obristin mußte ihr, nachdem sie die Umstände erfahren, den Platz in ihrem Wagen ausdrücklich versagen. Wir, die wir den Ausgang kennen, wünschen sie wäre dem Winke ihrer Natur gefolgt, der Natur, die sich in ihrer Sehnsucht und Laune selten ungestraft widersprechen läßt, denn sie allein weiß, was sie will, wir aber wollen, was wir nicht wissen.

Klelia reiste mit schwerem Herzen aus dem väterlichen Hause, Dolores hatte ihre Ermahnungen nicht anhören wollen, sie ließ ihr ein schriftliches Vermächtnis, das diese zerstreut und weinend über ihr Schicksal wohl durchlas, aber in keiner Hinsicht beachtete. Statt der Erinnerung zu folgen, allen den Gesellschaften zu entsagen, die ihrem künftigen Leben meist ganz unangemessen, suchte sie sich vielmehr für alle entbehrte italienische Luft zu entschädigen. Die Stadtbälle, die sie sonst aus gemeinsamen Stolze wie ihre Schwester verschmäht hatte, wurden ihr ganz notwendig; sie wollte sich eben so in Kleidern auszeichnen, wie sie durch Schönheit hervor leuchtete, und so verschwendete sie sehr schnell, was der Graf sich abgespart, und was die Obristin ihr verehrt hatte. Auch ihre Lust am Reiten kam ihr wieder; sie wußte, wie verhaßt dies dem Grafen an Frauen war, der darin einen besondern Trotz gegen die öffentliche Meinung ahndete, die an kleineren Orten Deutschlands gewöhnlich hinter den Reiterinnen herlacht und jeden kleinen Unglücksfall mit Spott wiederholt und vergrößert. Natürlich schrieb sie ihm nichts von dem allen, sie suchte die einsamen Stunden eines allgemeinen Überdrusses auf, wo die Sehnsucht nach seinem vertraulichem Umgang ihr wiederkehrte, um ihm so schmachtend, so süßtraurend zu schreiben, wie eine Braut des Himmels; es war das gar keine absichtliche Verstellung, sie hätte aber wahrlich keine andre Zeit dazu finden können und in den Stunden war es ihr Ernst. Eins unterscheidet das reine Gemüt und das große Talent, die Einheit seines ganzen Daseins, mannigfaltig wie Gottes Welt. Das kleinliche Gemüt ist gleich dem besten Menschenwerke aus widersprechenden Stücken zusammengesetzt, unter denen manches herrlich sein kann, aber es muß aus dem Zusammenhange herausgerissen sein, um ganz gewürdigt zu werden.

Zweites Kapitel

Graf Karls Rückkehr zur Gräfin Dolores. Mißvergnügen und Streit

Unserm befreundeten Grafen gaben endlich die Osterferien volle Freiheit zu seiner Braut hinzuwandern, jeden Tag hatte er bis dahin an seiner Türe ausgestrichen, alles war voraus eingepackt, geordnet, der Abschied war genommen, und einsam wie ein Pilger nach heiligen Orten, voll Gedanken fromm und rein, in denselben alten an der Sonne verschossenen grünen Husarenkleidern, schritt er eifrig über Berg und Tal, ohne Umsehens, schweigend in sich, dem hohen Ziele seiner Wallfahrt zu. Und wie er sich dem näherte, immer höher schlug ihm sein Herz, und als er wieder auf dem Felsen saß, wo er Sie zuerst belauscht, wie sie Linnen begossen: weicher kann kein König sitzen, der lange vertrieben seinen Thron fest und unbesetzt wiederfindet. Die Sonne stand ihm im Abendscheine gerade gegenüber, sie blendete ihn und erweckte vor seinen Augen eine Welt von Blumen, wie es kaum die Morgensonne vermag; endlich konnte er hinuntergehen, wo ihn das Linnen sonst geblendet; er wischte sich die Augen, so viele springende Funken erschienen vor ihm. Endlich unterschied er Dolores, wie sie mit verbundenen Augen zwischen einer Zahl junger Herren und Mädchen ein Haschen spielte. Was war unschuldiger als dieses Kinderspiel und doch gehörte es nicht zu ihr, wie er sie gekannt, wie sie sich und ihre Stimmung und ihre Lebensweise in ihren Briefen dargestellt hatte; sie hatte sich in einen Edelmut und Heiligkeit verwegen hinein geschrieben, die sie nun jeden Augenblick ableugnen mußte; die Briefe waren kein Schattriß von ihr, sondern eine abgestreifte glänzende Haut, von der sie sich gern zu gewissen Zeiten befreite, um dann um so gelenkiger in ihrer eigentlichen Natur sich zu bewegen. Das alles bemerkte der Graf mit einem tiefen Ingrimm, den er noch nie in sich gespürt; fluchte als sie einen jungen Mann erhaschte, der sich lange wehrte, bis sie die Binde sich von den Augen gerissen und ihn erkannt hatte. Nun kniete der junge Mann vor ihr nieder und sie verband ihm die Augen und spielte dann so artig mit den Händen vor ihm herum, ihn zu prüfen, ob er sehen könne, bis er die eine Hand ergriff und einen Kuß darauf drückte; nun sprang der Mann gleichgültig auf und das Spiel begann in der bekannten Art. Der Graf dachte, wie dankbar er für solche Gunst würde gewesen sein, und da träumte er sich so hinein, daß seine Neigung die Eifersucht bald niedergekämpft hatte. Jetzt wurde sie wieder gefangen und augenverbunden; er freute sich an ihren zierlichen Bewegungen, und als er sich an der Mauer möglichst genähert hatte, lief sie einmal wild suchend so schnell nach der Gegend, daß der Luftstrom, das feine weiße Kleid so dicht anwehete, daß der ganze Umriß ihres schönen Wuchses deutlicher, als er ihn je gesehen, ihm entgegentrat: welche Fülle im schönsten Ebenmaße! Jetzt hielt er sich nicht mehr, er sprang über die Mauer und mischte sich unter die laufende Menge, der es nicht befremdlich war, noch durch einen Gast vermehrt zu werden.

Der Graf nahm sich absichtlich so ungeschickt, daß Dolores ihn fing, wie war sie überrascht, als sie heißatmend ihre Binde lüftete, ihren Geliebten zu sehen, aber leider wie verändert. Das ärmliche eingezogene strengfleißige Leben hatte ihm wohl etwas von der Frische genommen, in der er das erstemal erschien, und die Liebe, die in ihm verschlossen, und die Sonne, in der er selig träumend, ihrer gedenkend, oft stundenlang gelegen, hatten ihn gebräunt; mehr aber entstellten ihn in ihren Augen die verschossenen Kleider, die schmutzige Wäsche und vor allem die Vergleichung mit gar vielen schöneren, größeren Männern, die sie unterdessen kennen gelernt und die ihn zum Teil in der Gesellschaft neugierig umstanden. Damals in ihrer Einsamkeit war er ihr als der Schönste erschienen, so hatte sie ihn allen ihren neuen Bekannten beschrieben, damals hatte sie ihm rücksichtlos, weil niemand sie störte, jede Liebkosung gewährt, jetzt wäre ihre große Vertraulichkeit leicht ein Gegenstand übler Nachrede für die Mädchen der Gesellschaft geworden; das alles wirkte auf sie, ohne daß sie es einzeln deutlich dachte; so froh sie erst aufjauchzte bei seinem Anblicke, so folgte gleich eine verwundernde Stille. Der Graf wollte sie küssen, sie kam ihm etwas mit dem Munde entgegen, dann zog sie ihn wieder zurück; der Kuß kam zustande, aber wie ein Wappenabdruck, wenn das Siegellack schon kalt geworden; genug die Wonne, die er in ihrem ersten Gruße erwartete, die fand er nicht. Das machte ihn nachdenkend, statt der tausend Dinge, die sich ihr vorher mitteilen wollten, fiel ihm jetzt kaum ein unbedeutendes Wort ein zum herzlichen Gruße. Die Lebhaftigkeit der Dolores suchte das auszugleichen, und zu vergüten; sie neckte alle, sie neckte ihn und suchte sich vor ihrem Geliebten in der ganzen Pracht ihrer neuen geselligen Ausbildung zu entfalten, die bei Mädchen des Alters häufiger als bei Männern in eine Art unbändigen Geschwätzes übergeht. Es war ein böser Streich, den ihr die Eitelkeit spielte; dem Grafen schien es ein entsetzliches Geschrei ohne allen Sinn und Geschick, ein dummdreistes Zudecken der Verlegenheit mit Verlegenheit, unzierlich, leer und absprechend; es schien ihm, all und jeder fände darin seine Stelle, nur er nicht mit seiner Gesinnung, mit seinem Ernst, mit seiner Laune – und nun schmerzte ihn die Abwesenheit der guten Klelia doppelt, die sicher alle schreiende Farben dieses Bildes in einen milden Schatten gestellt hätte. Gern wäre er mit Dolores einige Augenblicke allein gewesen, aber sie gab keine Gelegenheit dazu; und da die Gäste keine Lust bezeigten, sich seinetwegen zu beurlauben, so entfernte er sich ihretwegen, indem er eine Ermüdung nach langer Reise vorschützte. Dolores glaubte daran und merkte nichts von seinem Unmute; sie horchte, was jeder von ihm sagen würde und lobte ihn allen mit vieler Beredsamkeit, bis einer ihr so heimlich schmeichelnd sagte: Ich weiß nicht, ob sie schöner oder gütiger sind, aber das weiß ich ihr Geist setzt alles durch, macht die Stummen geistreich; gestehen sies nur, sie selbst können nicht blind sein? – Sie lächelte und die Unterredung war aus, die Gesellschaft ging aus einander und einer sprach heimgehend zum andern: Schade, hätte das hübsche Mädchen Geld, so brauchte sie den ungeschliffenen Grafen nicht zu heiraten; lieben kann sie ihn unmöglich, ich habs ihr wohl angemerkt. – Nun da gibts gute Zeit für uns junge Leute, meinte scherzend ein alter Hagestolz.

Graf Karl sah die Gesellschaft die Straße herunter bei sich vorüber gehen, er hatte sich eine Wohnung in der Nähe der Gräfin gemietet; er würfelte mit seinen Gedanken in Gedanken, ihm war es einerlei, ob er etwas oder nichts geworfen; in dieser Gesinnung sind die folgenden Verse damals von ihm ins Tagebuch geschrieben.

Da steh' ich an meinem Fenster,
Und sehe doch nicht heraus,
Da gehen so viel Gespenster,
Die tauschten mein Liebchen mir aus.
Das sind so geistreiche Männer,
Die sprachen mit Liebchen so tief,
Bis sie von allem die Kenner,
Was in der Seele noch schlief.

Das haben sie aufgewecket
Noch eh' es recht wachen konnt,
Und haben sich mit genecket,
Als wenn der Mondschein sich sonnt,
Die Seel ist ihr ausgetauschet,
Sie war mir ja sonst so lieb.
Wo nun ihr Geschrei mir rauschet,
Da mein' ich, es werde so trüb.

Ich hatte so fromm sie verlassen,
Als trostlos ins Städtlein ich ging,
Sie tät noch so heimlich da spaßen,
Ich mußte ihr messen den Ring;
Zwar lang mußt im Städtlein ich warten
Bis ich ein Ringlein ihr fand,
Der Feinen und der Vielzarten,
Das paßte an ihre Hand.

Da bin ich auf Freunde gestoßen,
Und sagt es doch keinem nicht,
Warum die Tränen mir flossen
Froh über mein Angesicht.
Und will es auch keinem hier sagen,
Warum ich nun traurig und stumm,
Denn alle Worte versagen,
Wo alles geht so dumm.

Denn wie ich zurückgekommen,
Da saßen so viele beim Schmaus,
Die hatte sie aufgenommen,
Mir blieb da kein Plätzchen im Haus.
Da fehlt es an Schüssel und Teller,
Zwar gab sie das Beste mir gern,
Doch waren die andern viel schneller,
Es sorgten für sich nur die Herrn.

Sie hatten sich selber geladen,
Und rühmten sie alle so sehr,
Das muß ihr wahrlich noch schaden,
Daß sie so vorlaut wär;
Sie hat den einen geschlagen,
Er wußte gar nicht warum,
Den andern auf Händen getragen,
Ich saß da betreten und stumm.

Da hat mich der eine betrogen,
Gar heimlich um meinen Ring,
Ihn auf ein Bändlein gezogen
Im Kreise er da ging;
Ich kann wohl beten und singen,
Doch weiß ich nicht für was,
Vor Ärger möchte ich springen,
Wenn das noch heißt ein Spaß!

Was steh ich und sinn' über andre,
Und bin nicht recht bei mir,
Viel lieber geh' ich und wandre,
Viel tausend Meilen von hier;
Viel tausend Meilen und weiter
Geh' über und unter im Meer,
Drin steht eine Himmelsleiter,
Ach wer nur im Himmel erst wär.

Kaum hatte er diese Worte geschrieben, so übte die Ermüdung ihr Recht; er warf sich unausgezogen auf den Sessel am offenen Fenster und betrat die ersten Stufen der Himmelsleiter, auf denen sich der Mensch ohne zu schwindeln erhalten kann. Frische Jugend, reich an Hoffen, wie der Frühling an blauen Blumen, jeder Morgen weckt neue für die abgeblühten am Abend, deren Stelle kaum mehr zu finden, unzählige Knospen warten noch ungeduldig auf ihre Entfaltung! Am Morgen, der ihn aus schönem Traume zum schöneren Leben erweckte, war des jungen Mannes Gram von der Brust, die am offenen Fenster voll Tau hing, bald mit diesem hinweggesonnt; der Wind trieb das Zimmer voll Blüten aus dem Schloßgarten her; die Ebene von den einzelnen Baumreihen der abgeteilten Gärten durchschnitten, wo jeder Zweig ihm altbekannt, hallte vom alten Jubel; er schalt seinen Argwohn, der ihm den Genuß der ersten Freude getrübt hatte, eine Torheit, eine Krankheit, eilte hinunter im vorbei rauschenden Flusse sich rein zu baden und aus zu frieren. Als er so im Flusse gegen den Strom sich zu erhalten strebte, sah er ferne in dem gräflichen Schlosse ein Fenster sich öffnen; es war Dolores, die er wohl zwischen den Gesträuchen durch, aber sie nicht ihn erkennen konnte; wie Tantalus spannte er die Arme nach ihr aus, und dachte mit seliger Zuversicht: Du siehst mich nicht, du schönster Apfel der ganzen Flur und meine Hände können dich nicht erreichen und doch bist du mein, bald mein und ich bin bei dir; wohl mir, daß ich nicht bin wie die Erle und wie die wilde Rose neben mir, die auch ihre Ärme zu dir ausstrecken; ich kann wandeln über Berg und Tal, durch Luft und Wasser und bald bin ich bei dir, und du reichst mir die Hand! Wir wollen nicht lächeln, daß ein Mensch sich einmal freut ein Mensch zu sein, verfluchen es doch so viele und verleugnen es. Er zog sich zierlich an, Weste und Pantalons von rot und weißgestreiftem Sommerzeuge, eine rund geschnitten Jacke von leichtem grünen Tuche; so trat er in das Zimmer der Gräfin, die ihn in einem gegen die gestrige Pracht allzu sehr vernachlässigten, durchgestoßenen Morgenanzuge von dem fatalen Zeuge, das Sanspeine genannt wird, empfing; doch ganz die alte in Liebenswürdigkeit und Zutraulichkeit. Mit vieler Laune spottete sie über einen großen Teil der Gesellschaft, die ihr nur zur Zerstreuung wegen der Abwesenheit ihrer Schwester dienen sollte. Der Graf deckte nun ein Paket auf, wonach sie neugierig geblickt hatte; oben auf lag der Verlobungsring, den er ihr aus der Nachlassenschaft seiner Mutter verehrte: die zwölf Apostel jeder mit seinem Zeichen bildeten in halberhabener Silber Arbeit den Reifen; in ihrem Kreise glänzte in Golde Christus in einem Strahlenscheine hoch erhaben, in seinen Händen Kelch und Brot: alles von sehr schöner Arbeit, aber freilich nicht im neuesten Stile; er übergab ihn ihr als das liebste Geschenk unter allem, was er je besessen; sie tat zwar ihm zur Liebe, als wenn er ihr lieb sei, doch dachte sie mit Ärger daran, daß sie ihn in Gesellschaft nicht würde tragen können; steckte ihn aber an und bewahrte ihn. Dann übergab er ihr eine ganze Reihe der zierlichsten Nonnenarbeiten, die er in einem Kloster am Wege mit großer Freude erkauft hatte; es waren teils feingemalte Heilige auf zerstochenem Papiere, ein kleines elfenbeinernes Tabernakel, Marienbilder aus seidenen Läppchen zusammengesetzt, geweihte Rosenkränze, eine Menge kindlich zierlicher kirchlicher Pracht. Auch hierüber mußte sie sich aus Anstand freuen, sie hatte aber etwas viel Angenehmeres, allerlei neuen Putz erwartet, auch wußte sie nichts mit diesen artigen Kleinigkeiten anzufangen, zu denen sie weder Andacht noch Spiellust fühlte; sie konnte sich nicht zufrieden geben über den gewaltigen Fleiß, der auf so was Unnützes verwendet, und schon diese Äußerung war ihm unangenehm, der ganz gerecht den Fleiß hochachtete der so unbedeutende Stoffe zu beleben vermocht hatte. Dolores hatte aber während des einen Winters regelmäßiger Stadtvergnügungen sehr viel von der innern Freudigkeit vergessen, die aus sich selbst und geringen Anlässen schöpft; zu einer Klaviermusik hätte sie nicht mehr tanzen können; um sie anzuregen gehörte wenigstens eine Gesellschaft von zehnen, die alle auf sie achteten, und wenigstens die Gegenwart eines Menschen, der ihr ganz unbekannt und dessen Aufmerksamkeit sie an sich ziehen wollte. Wie unglaublich nutzt die tägliche Mittelstufe der Gesellschaft, die stets sich beachtet um nicht in Lust oder Schmerz abzuirren, die selbst überlassene Freude auf, mit Hamlet möchten wir jungen Mädchen, die wir darin erblicken, zurufen: geht in ein Nonnenkloster – statt an den Spieltisch zu gehen. Schon darum reizen uns die Landfräulein, die nur auf wenige Wochen in die Stadt kommen, weil sie wie die Beurlaubten unter den Soldaten vor den steten Diensttuern eine große Munterkeit bewahren, auch gewinnen die meisten Menschen durch Reisen in sehr verschieden gebildete Länder bloß darum ein gewisses poetisches Wesen, weil ihnen der Unwert vieler Verhältnisse unwiderlegbar einleuchtend geworden; ihr eignes Vaterland überrascht sie mit manchem, was sie sonst übersehen und verachtet. Diese Betrachtungen geben wir als Leichenrede jener artigen Sächelchen, die der Graf zum Geschenke brachte und ein Paar Tage darauf die Heiligen mit Schnurrbärten und Schönpflästerchen schrecklich bemalt bei Dolores antraf, die von dieser Arbeit ausruhend, sich vor Lachen nicht zu lassen wußte. Ihre Gleichgültigkeit dagegen hatte ihn gekränkt, aber dieser Mißbrauch war nicht zu ertragen; er zerriß alles mit großer Wut und warf es zum Fenster hinaus, sie lachte immer mehr und schlug scherzend mit dem Rosenkranze auf ihn. Ich glaube der Teufel lacht aus dir, sagte er zuletzt, das Schweigen hätte ihm das Herz abgestoßen; er flog aus dem Zimmer fort nach Hause, da setzte er sich nieder und überdachte was er getan, wie ein Missetäter, der bald seine Strafe erwartet und sich selbst dafür überliefert. Aber die Heiligkeit der Wahrheit durchzuckte ihn auf einmal, auch sein höchstes Glück wollte er keiner Lüge danken, nicht auf Schmeicheleien sich erborgen; er fühlte sein Recht und wollte es ihr in einer leichten Allegorie deutlicher machen, und dazu schrieb und übersandte er ihr die beigefügte kleine Erzählung:


Das Heidenmädchen

                  Der Sohn des Himmels und der Erde
Sah, aus der Weihnacht Abendrot,
Ein schönes Kind bei einer Herde,
Und keiner da Geschenke bot.

Der Glaube war noch nicht gedrungen
Zu diesen spät erschaffnen Aun,
Denn von den Felsen ganz umschlungen,
Konnt' wenig Sonne überschaun.

Doch freut die Kleine sich am Lichte,
Das neu durch Felsenschatten strahlt,
Sie hat so gar ein lieb Gesichte,
Ein edles Blut die Wangen malt.

Sie muß im Lichte zierlich springen,
So glatt und weich schien ihr das Grün,
Und zu dem holden Echo singen;
Der Herr will sie zum Glauben ziehn.

Es sprengt der Herr mit Strahlenzügen
Die Ziegen ihr weit auf den Fels,
Sie klettert sorgsam nach den Ziegen,
Er zeigt den Weg im Blick des Hells.

Hin über die bemoosten Platten
Sie wagt sich, schaut ein andres Land,
Da will ihr Herz vor Schreck ermatten,
Denn alles scheint vor ihr in Brand.

Da stehen tausend kleine Tische
Mit bunten Lichtern rings besteckt,
Und Brot und Wein steht im Gemische,
Schön Meßgewand die Tische deckt.

Und statt der Puppen heilge Bilder,
Bewohnen dieses Paradies,
Und Kinder ziehen sanft und milder
Und sehn wie dies so herrlich ließ.

Das Mädchen sieht's und meint ihr eigen,
Was ihr kein andrer wehren will,
Doch bald sich viele Knaben zeigen,
Die bitten drum in Demut still.

Der eine will ihr Händchen küssen,
Dem wirft sie Äpfel ins Gesicht;
Der will sie schön mit Reden grüßen,
Dem hält sie in den Mund das Licht.

Doch einer kommt mit Witz zu streiten,
Da nimmt sie alle heilgen Bild',
Beginnt sie närrisch umzukleiden,
Verliert sie dann im Spiele wild.

Was so viel tausend Engel säten,
Zerstört das Kind aus Unverstand,
Worum viel fromme Kinder beten,
Geschenk des Herren ist ihr Tand.

Da kam der Herr zu ihr gegangen,
Als armes Kindlein angetan,
Und tät nach etwas nur verlangen,
Was sie verworfen und vertan.

Da fand sie leer die reichen Tische,
Die Lichter waren fast verbrannt,
Es dampften schon die Buxbaumbüsche –
Noch fand sie was, das sie nicht kannt.

Es war die Rute, die vergoldet
Mit leeren Nüssen ausgeziert,
Die gibt sie ihm so unverschuldet,
Dem Herren, dem sie nicht gebührt.

Es nimmt der Herr die goldne Rute
Und zeigt sich, wie er einst erschien,
Gegeißelt, daß vom roten Blute
Auf Erden rote Rosen blühn.

Sein Haupt hängt schwach, er kanns nicht tragen,
Sein Blick ist jammervoll gesenkt,
Er spricht: »So willst auch du mich schlagen,
Die ich so reichlich hab' beschenkt.«

Was sie verworfen und zertreten,
Sieht sie mit andern Augen an,
Des Herrn Geschenk in den Geräten
Zeigt sich im einfach tiefen Plan.

Im Wein, im Brot sein Angedenken
Und seiner Mutter heilig Bild,
Sie muß den Blick zur Erde senken,
Manch heilig Bild dort auf sie schilt.

Sie schauet rings zu ihren Füßen
Sein kunstreich Werk, das sie zertrat,
Zusammen hätte bleiben müssen,
Des Spieles Lust, der ernste Rat.

Des Buxbaums Flechtwerk war die Kirche,
Der glatte Fels war der Altar,
Doch öde steht nun das Gebürge,
Die Kirche ist verbrannt sogar.

Das Kind will nach den Gaben langen
Und sammeln, was es erst verwarf;
Da wacht es auf und sieht mit Bangen
Sich ganz verschneiet, kalt und scharf.

Es kommt ein Tag, doch ohne Klarheit,
Die Kälte mit Entsetzen spricht:
Was du versäumet ist die Wahrheit,
Was du verspielet ist das Licht.

Diese allegorische Dichtung wurde der Gräfin treulich überliefert, aber sie verstand kein Wort davon; sie las es von hinten rückwärts, es war ihr unbegreiflich, denn beinahe hatte sie den Vorfall mit den kleinen Heiligenbildern über eine Komödie ganz vergessen, die sie aufführen wollte. Es ist mit den Dichtungen überhaupt das Eigene, daß viele Mädchen wie mit einem scharfen Striche von dem Verständnisse gewisser Arten ganz abgesondert sind, ganz insbesondre von allen, die ihrem Wesen und ihrer Natur zu nahe rücken, um in ihrer Bedeutung ihnen erfreulich zu werden; Schmeicheleien verstehen sie dagegen in dem allerbarockesten, unverständigsten Wortgepolter, und Bosheiten gegen Bekannte ebenfalls; am meisten scheuen sie sich vor wirklich ernsthaftem Ernst und scherzhaftem Spaß, weil beide durch die oberflächliche Schminke ihres gewohnten Lebens hindurch brechen. Nach langem Lesen brachte sie endlich heraus, der Graf halte sich für unsern Herrn Jesus, weil sie mit dem Kinde bezeichnet sei; daß jede Dichtung etwas für sich Bestehendes sei, wenn sie auch Beziehungen auf ein gewisses Ereignis habe, das war ihr nie in den Sinn gekommen. Sie lachte der ganzen Sache und ließ sie auf sich beruhen; sie wartete auf den Grafen um sich über ihn aufzuhalten, er kam nicht, da er keine Antwort erhalten. Sie wartete mit Ungeduld, zuletzt ärgerte sie sich über ihn; er machte, daß sie eine Gesellschaft versäumte, wohin sie mit ihm gehen sollte; zuletzt fielen ihr allerlei Reden einer sehr fatalen Stadtmamsell ein, die ihr von dem alten Knecht Ruprecht, der sich nirgend mehr sehen läßt, nämlich von der Tirannei der Männer viel erzählt hatte und wie man sie erziehen müsse. Sie empfand bald Mitleiden mit ihrem eigenen Unglücke, weinte über ihr Schicksal, das sie einem so harten Manne verbunden; endlich erschien sie sich selbst als Heldin, sie wolle sich zeigen in ihrer Stärke, sie wolle ihre Nachgiebigkeit unterdrücken, was solle in der Ehe erst daraus werden, wenn es schon so schwer im Brautstande begonnen. Also entwickelte sich der hochmütige Eigensinn, das törigte Vertrauen zu sich, an welchen sie endlich zu Grunde gehen mußte. Der Graf war indessen viel unglücklicher als seine Beleidigerin; oft glaubte er ihr zu viel getan zu haben, immer wartete er auf eine Nachricht von ihr; langsam schlich ihm der erste Tag dahin und hätte ihn sein Wirt, der ihn für krank hielt, nicht ungefragt mit Essen versorgt, er hätte gehungert. Den zweiten Tag reifte sein Entschluß, auf und davon zu ziehen; aber wohin sollte er, es schien ihm die Sonne nur hier, hier nur konnte er atmen. Der Krieg fiel ihm wohl als Zerstreuung ein, wie so manchem Unglücklichen, aber er kannte ihn aus der Nähe, was er eigentlich sei, keine immerwährende Folge kühner Unternehmungen, großer Begebenheiten, mächtiger Taten, ungeheurer Kräfte; das ist ein Traum aus Dichtern, er ist reizend. In Wahrheit ist aber der Krieg, wie er jetzt geführt wird, ein langweiliges Warten auf etwas, das nie erscheint; denn am Ende ist die Schlacht selbst nur ein Abwarten, daß der andre davon laufen mag, und dieses traurige Warten in der nüchternsten Gesellschaft, in der kleinlichsten Schererei, bei den rohesten Schandtaten, unter den größten Ekelhaftigkeiten und Krankheiten, würde es nicht eine unermeßliche Zeit in ihm gelassen haben, seinem Kummer nachzuhängen? Das ganze Kriegswesen kann nur durch einen unwiderstehlichen Trieb nach Auszeichnung belebt und geheiligt werden; darum haben wir auch immer bemerkt, daß alle, die ohne Zwang aus einem bloß wohlwollenden Triebe sich darin einließen, unglücklich und ungeschickt waren; nicht das Schwert soll die Welt belehren, denn wer das Schwert zieht, der soll durch das Schwert umkommen. Am dritten Tage kam ihm der Gedanke, wenn er mit Dolores auch nicht glücklich leben könne, so wolle er doch für ihr Glück leben; ihre Sehnsucht nach dem Vater entlockte ihr wahrhaft Tränen; sie hatte ihm erzählt, daß ein Gerücht erschollen, er sei in Ostindien; er beschloß ihn aufzusuchen und zurück zu bringen. Gleich schrieb er die nötigen Briefe an die Vormünder, deren Verwaltung bald zu Ende lief. Die Briefe waren noch nicht gesiegelt, als der alte ehemalige Bediente der Gräfin mit einem besorgten Gesichte zu ihm ins Zimmer trat; er grüßte ihn in ihrem Namen, wozu er keinen Auftrag hatte, und fragte ihn, ob er krank sei; er sehe wirklich blaß aus, seine Gräfin sei seinetwegen in großen Sorgen gewesen; es habe ihr nichts geschmeckt, sie habe immer geweint. Der Schmerz rollte dem Grafen wie ein Mühlstein vom Herzen, Tränen der Freude fielen neben Tränen der Verzweiflung auf seine Hand und sein eigenes Auge, das sie geweint, konnte sie nicht unterscheiden; ihm war alles vergessen, er gab sich von allem die Schuld, seinem törigten Ausdeuten einer unbedeutenden Ungeschicklichkeit, – wie konnte er Vorsicht bewahren, der noch nie eine Erfahrung gemacht, sondern seine Klugheit meist auf den Erfahrungen anderer gestützt hatte.

Drittes Kapitel

Versöhnung beider und Hochzeit

Die Briefe waren schnell zerrissen, er eilte die geliebte Dolores wieder zu begrüßen; er glaubte, sie werde ihm einige Worte der Entschuldigung sagen, aber sie lächelte, als er eintrat, und sie lächelte so schön, daß er über die schöne Bosheit entzückend hätte verzweifeln mögen. Er wollte sich ihr erklären, aber sie mied die Gelegenheit, sie zog ihn auf über seine Lust, ein Jesus zu werden, wie sie es nannte, aber so artig, daß er nicht böse werden konnte; ernsthaft warf sie ihm seinen plötzlichen Unwillen vor, scherzend verzieh sie ihm; er umfaßte sie und seufzte, und doch ward ihm dabei so wohl, daß er sein Schicksal dem ihren ergab und dieser Tag entschied ihre künftige Herrschaft über sein besseres Selbst. Ihre eigene Unruhe lähmte seine eigene Tätigkeit, seine eignen Beschäftigungen; sie beschäftigte ihn mit ihrem Nichts und seine höhere Bestimmung, sein Streben nach Reinheit und Vollendung in allem, was er trieb, ward ihr ein Scherz müßiger Stunden, und wurde er einmal ernstlich böse, so brauchte sie nur von einer Reise nach Sicilien vor ihrer Verheiratung zu denken, um ihn zu besänftigen. Ihr frischer Reiz ihre unendliche Anmut, selbst in allem dem, was sie gegen seine Gesinnung tat, vermochten noch jedes aufsteigende Mißverhältnis wie junge Zweige zur Laube zusammen zu beugen, die Versöhnung war immer noch reicher als der Streit, und jede neue Vertraulichkeit weckte noch immer heftigere Neugierde; aber je stärker diese äußere Gewalt sie jetzt noch zusammenhält, desto mächtiger wird alles aus einander sprengen, wenn sich diese innere Verschiedenheit erst ganz kennen gelernt. Dolores liebte wirklich manches in dem Grafen, aber sie konnte keinen Menschen im Ganzen lieben mit allen Eigentümlichkeiten, sich selbst etwa ausgenommen. Er verehrte und pflegte ihre Besonderkeiten mit solcher Liebe, daß er sich häufig überredete ihre Fehler und Unarten seien auch verkappte, ihr eigentümliche Trefflichkeiten, er schätzte Fehler, die sie bei einer freundlichen Vorstellung gern abgelegt hätte und die eigentlich nur von irgend einer Gesellschafterin angenommen, seit ihr guter Engel Klelia sie nicht mehr bewachte. So schien sie zuweilen leidenschaftlich zu spielen, eigentlich nur um eine leere Stunde zu töten, der Graf aber überredete sich, nachdem er sie ganz ohne Eitelkeit gegen alle Arme freigebig gefunden, darin eben zeige sich ihr höherer Charakter, daß sie gern ihr Glück versuche; sie fühle sich dem Schutze der höheren Mächte näher. Oft übte sie böse Nachrede, bloß weil andern das gefiel, er achtete es als eine besondere Stärke der Beobachtung, als eine besondere Reinheit in ihr, die nichts Böses in ihrer Nähe litte. War er einmal streitig mit ihr, so gedachte er des alten Sprichworts: was sich liebt das neckt sich; kurz es gibt ein Labyrinth von Gedanken, wie er in sich alles an ihr als gut und weislich auszulegen bemüht war. Mitten in diesen Kometenbahnen der Liebe rückte das planetarische Jahr zu seinem Ende, das seine Minderjährigkeit beschlossen hatte; er verzieh den Vormündern wegen ihres guten Willens, wo sie ihm geschadet hatten und übernahm selbst die Verwaltung seiner Güter. Lange genug von eigennützigen Verwaltern nach der Strenge des Gesetzes bewirtschaftet, fanden seine Leute in ihm eine väterliche Unterstützung zu allem Guten; der Schulen nahm er sich selbst an; von der künftigen Zeit hoffte er alles, darum wollte er sie selbst unterrichten, wenigstens zuweilen zu Aufsicht seiner Schullehrer; da ward nicht soviel darauf gesehen, ob die Bursche schreiben konnten, aber das Andenken deutscher Ehre, heiliger und großer Menschen, das ward in ihr Herz geschrieben. Nach diesen ersten Einrichtungen, zu denen auch die Verzierung seines Landschlosses gehörte, kehrte er zu Dolores zurück, beladen mit einer prachtvollen Aussteuer. Erst war es sein Plan, sie auf sein altes Stammschloß zu führen, um dort die Hochzeit zu feiern, aber sie wußte ihn so rührend an ihr erstes Erkennen zu erinnern, daß er von den Summen, die während der Vormundschaft gesammelt worden, ihren väterlichen Palast sich zum Eigentum kaufte; er bekam ihn wohlfeil von den Schuldnern, obgleich teurer, als sie ihn jedem andern würden gelassen haben. Der unerwartete Todesfall eines reichen Lehnsvetters setzte den Grafen in den Besitz eines großen Vermögens, indem er seine Güter in angenehmer Nähe, um das Dreifache vermehrte. Schnell richtete er sich recht artig ein; eine große Hochzeit weihete das herrliche Haus zu beider Glücke ein, wie sie hofften, wie ihnen von allen Gästen vorausgesagt wurde, die in einem artigen Schäferspiele die Geschichte des Grafen und der Gräfin, wie er sie oft erzählt hatte, darstellten. Was sie beide dabei fühlten, was sie in ihrem Herzen gelobten, was ihnen blieb für ein Glück, nachdem die Gesellschaft auseinander gegangen, können wir weder ermessen noch beschreiben; sie waren beide sorgenlos und jung und hatten lange des Tages und der Nacht geharret.

Viertes Kapitel

Der Graf und die Gräfin reisen aufs Land. Der häßliche Baron und die tolle Ilse

1