M. P. Anderfeldt

Der kleine Vogel des Todes

Eine Halloween-Story

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über M. P. Anderfeldt

Martin P. Anderfeldt, Jahrgang 1974, hat sich nach einem brotlosen Magisterstudium dem Mammon verschrieben und ist Werbetexter geworden.

Wenn er gerade mal keine Werbung macht, schreibt er, was ihm selbst Spaß macht – das sind vor allem Thriller, Fantasy und SciFi. Als Selfpublisher und in Kooperation mit Verlagen und Zeitschriften hat er bereits einige Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht.

In seiner Freizeit reist er gern, trinkt Unmengen Kaffee und treibt zu wenig Sport. M. P. Anderfeldt lebt mit seiner Familie in München.

Impressum

© 2015 der E-Book-Ausgabe Knaur eRiginals

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.

Redaktion: Stefanie Röder

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: © Getty Images

ISBN 978-3-426-43661-5

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1.

Die schmale Gestalt mit der Totenkopfmaske drückte auf den Klingelknopf. Es war spätnachts; so wie es der Kunde gewünscht hatte, um nur ja kein Aufsehen zu erregen. Lisa schnaubte. Sie trat einen Schritt zurück und sah nach oben, zählte. Vier, fünf, sechs Stockwerke. Beinahe alle schienen zu schlafen, zumindest brannte nur in zwei oder drei Wohnungen Licht. Hier fanden wohl keine Halloween-Partys statt, vielleicht waren die Leute, die hier wohnten, ja zu vornehm für so etwas. Schade.

Sie fröstelte und wickelte sich noch enger in ihren Mantel. Minuten später öffnete ihr ein Mann um die fünfzig. Er musterte sie von oben bis unten.

»Süßes oder Saures?«, fragte sie mit Grabesstimme. Dann schob sie ihre Maske hoch und lächelte, so strahlend sie das um drei Uhr nachts und Temperaturen um den Gefrierpunkt eben noch fertigbrachte.

Verständnislos sah der Mann sie an. Okay, das war ja ein super Einstieg. »Na, Sie wissen schon, Halloween …« Ungeduldig hüpfte sie von einem Bein aufs andere. »Lass mich schon rein, Opa.«

»Hm«, brummte er, ohne Anstalten zu machen, sie einzulassen.

Mit Verschwörermiene sah sie sich um, als fürchte sie, belauscht zu werden, kniff die Augen zusammen und raunte: »Ich komme von der Firma S&T …« Ich werde Horst vorschlagen, einen geheimen Erkennungssatz auszugeben. Wie wäre es mit ›Tante Polly hat Schnupfen‹?

Er warf einen Blick auf ihren Rollkoffer. Seine Augen leuchteten auf. »Ah, ich weiß Bescheid. Sie wollen in die Wohnung von Fräulein Rapp.« Er hielt ihr die Tür auf, dankbar schlüpfte Lisa in die Wärme.

Während er die Tür sorgfältig wieder verschloss, sah sie sich ein wenig um. In die Decke versenkte Halogenstrahler erfüllten die Halle mit einem beinahe goldenen Licht. Roter Marmor, Messingarmaturen an den Wänden und der Treppe.

»Ich hatte …«, er sah ihr in die Augen, dann blickte er auf den Boden, »Ich hatte eigentlich mit einem Mann gerechnet.«

Lisa musste sich ein Grinsen verkneifen. Wo haben sie denn den Typen aufgegabelt? »Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss. Aber wenn’s ums Putzen geht, halten die Herren der Schöpfung sich gerne ein wenig zurück.«

Er schaute sie nochmals an, dann drehte er sich wortlos um und ging durch die Halle. Lisa schnitt eine Grimasse und folgte ihm. Ihre Schritte hallten in dem großen Raum. Wie in der Kirche, dachte Lisa, eine Kathedrale des Reichtums. Oder eher eine Gruft. Das passt ja auch viel besser.

»Ich halte nichts von diesen amerikanischen Sitten.« Der Mann wandte sich zu ihr um. »Sie wissen schon … Halloween«, fügte er hinzu. Er sprach das Wort aus, als sei es eine ansteckende Krankheit.

Ist ja gut, ich bereue meinen Spruch schon. Und die Maske. Und dass ich leichtsinnigerweise als Frau geboren worden bin. »Ich eigentlich auch nicht. Schon gar nicht seit dieser NSA-Sache.« Sie hob vielsagend die Augenbrauen, doch er hatte sich bereits umgedreht.

»Ich muss nur schnell den Schlüssel holen.« Er sperrte eine unscheinbare graue Tür auf, die so gar nicht in das noble Ambiente passte, und verschwand darin. Während sich die Tür langsam schloss, war Lisa unsicher, ob sie mit hineingehen oder vor der Tür warten sollte. Sie entschied, zu warten. Drinnen klapperte es, und er sagte etwas. Hatte er mit ihr gesprochen? Vorsichtig öffnete sie die Tür. Eine nackte, gelbe Glühbirne erleuchtete einen winzigen, vollgestopften Raum mit ihrem warmen Licht. Auf dem Schreibtisch stand eine abgestoßene rote Keramiktasse mit der Aufschrift Who’s the Boss? neben einem winzigen Fernseher, der ohne Ton lief. Irgendeine Dokumentation. Gib’s zu, du hast bestimmt bis eben noch Pornos geschaut. An den Wänden hingen Notizzettel und Post-Its aus, wie es schien, hundert Jahren.

»Kaffee?« Der Hausmeister zeigte auf eine Thermoskanne, die auf dem Boden stand.

Lisa winkte ab. »Ich hatte zu Hause erst einen. Wenn ich noch einen trinke, werde ich zu zittrig.« Um ihre Aussage zu unterstreichen, hielt sie beide Hände vor das Gesicht und zitterte übertrieben.

»Verstehe.« Er holte eine Zigarettenschachtel hervor, auf der in verschnörkelten Lettern das Wort Dusenberg zu lesen war. »Zigarette?«

»Nein, danke.«

»Klar. Ihr jungen Leute seid alle Nichtraucher. Kein Wunder, dass man nirgendwo mehr rauchen darf. Im ganzen Haus ist inzwischen Rauchverbot. Ich darf auch nur noch hier … Wahrscheinlich sollte ich dafür dankbar sein, dass ich immerhin nicht raus in die Kälte muss. Oder noch nicht.« Missmutig sah er sich um. Er klopfte auf den Boden der Schachtel, holte mit dem Mund eine Zigarette heraus und zündete sie an. Im Nu war der kleine Raum völlig verqualmt.

Lisa räusperte sich. »Der Schlüssel …?«

»Ach so, natürlich.« Er überreichte ihr einen unbeschrifteten Sicherheitsschlüssel. Er fühlte sich warm an. Warum nicht gleich? Hatte er den die ganze Zeit in der Hand gehalten?

»Danke.« Vermutlich langweilt er sich und will einfach quatschen, die arme Sau. Aber irgendwie ist das auch nicht mein Problem, oder? Ich habe meine eigenen Probleme. Zum Beispiel die Zwischenprüfung. Statistik. Nächste Woche. Mist, Mist, Mist. Wenn ich gewusst hätte, dass man da so viel rechnen muss, hätte ich nie angefangen, Psychologie zu studieren.

»Soll ich Ihnen den Weg zeigen?«

»Rauchen Sie nur zu Ende. Ich werd’s schon finden.«

»Nein, nein.« Er blies Rauch durch seine Nase und drückte die kaum begonnene Zigarette im Aschenbecher aus.

2.

Kurz darauf standen sie gemeinsam im Fahrstuhl. »Es muss … es muss beim Dekorieren passiert sein. Sie wollte eine Halloween-Party feiern, hat die Polizei gesagt.« Nachdenklich sah er sie an.

Erzähl schon, Alter, dachte sie. Alle wollen immer erzählen. Bringen wir’s hinter uns. »Das habe ich auch gehört.«

»Sie war noch so jung. Eine lebenslustige Frau. Wie Sie.«

Was weißt du denn von mir? Oh, ich vergaß, die Tote mochte wohl auch Halloween. Und war weiblichen Geschlechts. Verstehe, wir haben unglaublich viel gemeinsam.

Pflichtschuldig rang sie sich ein Lächeln ab. »Ich habe mal gelesen, dass die meisten Unfälle im Haushalt passieren.« Ganz schön dämlich, so etwas zu sagen. Aber allmählich sollte ich jetzt wirklich mit meiner Arbeit anfangen. »Waren Sie schon in der Wohnung?«

Er hob abwehrend die Arme. »Ich? Noch nie. Schon gar nicht seit dem Unfall. Die Polizei hat ja alles verplombt.« Er zeigte auf ihren Koffer »Sind da eigentlich normale Putzsachen drin?«

»Na ja, ziemlich normale. Wir haben ein paar Reiniger, die wir von Spezialfirmen beziehen, die anderen können Sie in jedem Drogeriemarkt kaufen.« Lächelnd fügte sie hinzu: »Das ist übrigens die dritthäufigste Frage, die mir gestellt wird, wenn ich von meinem Job erzähle.«

»Was sind denn die beiden häufigsten Fragen?«

»Warum machst du das? und Hast du schon mal etwas gefunden, was die Spurensicherung übersehen hat?.« Die Fahrstuhltür öffnete sich.

»Und?« Sein breites Grinsen ließ einen glänzenden Goldzahn erkennen. Er hielt die Hand vor die Lichtschranke, damit die Tür offen blieb. Anscheinend wollte er gleich wieder nach unten fahren. Umso besser.

Lisa trat aus dem Aufzug, dann wandte sie sich zu ihm um. »Antwort erste Frage: Ich brauche das Geld. Putzen mit Gruselzulage, sagt mein Freund immer. Antwort zweite Frage: Nein, keine Chance. Aber ich habe bisher sowieso nur bei Unfällen geputzt.« Na ja, zumindest hauptsächlich, ergänzte sie in Gedanken. Horst, ihr Chef, hatte gesagt, dass für eine Stadt dieser Größe ganz schön viel zu tun war in letzter Zeit. Lisa schnaubte belustigt.

Das bedeutete aber nicht, dass der Job immer Spaß machte – so wie bei der alten Frau, die erst gefunden worden war, nachdem sie vier Wochen in der Wohnung gelegen hatte … allein bei dem Gedanken daran wurde ihr übel. Gut, dass sie vor der Arbeit nichts gegessen hatte.

»Es ist die letzte Tür hinten links. Sie finden mich unten, wenn Sie was brauchen.«

3.

Lisa machte das Licht an und schloss sorgfältig die Tür hinter sich. Die Verplombung hatte sie achtlos geöffnet.

Sie blieb im Eingangsbereich stehen und holte tief Luft. Die Wohnung war der absolute Hammer. Hell, freundlich, modern. Genau so, wie Lisa später einmal wohnen wollte – nur dass Sie natürlich lieber in New York oder Paris leben würde als in einer verschlafenen Universitätsstadt. Im Flur hing ein riesiges Schwarz-Weiß-Foto, das eine junge Frau zeigte. War das etwa die Tote? Wenn sie es war, war sie wirklich sehr hübsch gewesen. Zumindest auf dem Foto, mit Make-up und Bildbearbeitung konnte man ja einiges drehen. Eitel war sie aber auf jeden Fall gewesen, denn wer hing sich schon das eigene Konterfei in die Wohnung? ›Deine Sünde ist Eitelkeit.‹ Aus welchem Horrorfilm war das noch? Saw? I, II oder III? Wie viele Teile gab es eigentlich? Oder war es doch aus Sieben? Sie nahm sich vor, Marc zu fragen. Damit kannte er sich doch aus. Zumindest damit.

Sie ging weiter und kam sich dabei vor wie ein Eindringling, ein Gefühl, das sie verunsicherte, irgendwie aber auch berauschte. Ohne dass es einen Grund gab, bewegte sie sich schleichend durch die Wohnung, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu machen.

Alle Türen standen offen, ein wenig gruselig war es schon, an all den dunklen Räumen vorbeizugehen. In einem Krimi würde sich der Mörder bestimmt noch irgendwo hier verstecken. Oder er wäre just heute zurückgekehrt, um seine Spuren zu verwischen. Lisa schüttelte grinsend den Kopf. Nein, ein Sturz von einer Leiter ergab keinen Stoff für eine Folge CSI. Außerdem war die Frau bereits vor vier Tagen gestorben. Der lauernde Mörder wäre längst verdurstet. Und warum sollte er jetzt noch seine Spuren verwischen, wo die Polizei doch sowieso längst da gewesen war?