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Für Ilse

ULRICH KIENZLE

ABSCHIED VON 1001 NACHT

MEIN VERSUCH, DIE ARABER ZU VERSTEHEN.

sagas.edition

3. Auflage 2011

www.sagas-edition.de

INHALT

1     Mit dem Taxi in den Krieg

2     Der Staat ist in Gefahr

3     Auf dem Vulkan

4     Der Rebell, der aus der Wüste kam

5     Die Republik der Mafiosi

6     Die unheimliche Leichtigkeit des Tötens

7     Familienclan mit Flagge

8     Waffenstillstand auf Libanesisch

9     Der Dieb von Bagdad

10   Selbstmord mit Champagner und Kaviar

11   Die Stadt der aufgehenden Hände

12   Aufstand gegen den Pharao

13   Blutiger Sommer

14   Als Märtyrer ins Paradies

15   Mit Dollars und Dischdascha

16   Abschied von 1001 Nacht

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Bildnachweise

Chroniken

KINDER ARABIENS

Kinder Arabiens,
Ähren der Zukunft -
Ihr werdet eure Ketten sprengen.
Tötet das Opium in unseren Köpfen,
tötet die Wahnbilder.

Kinder Arabiens,
lest nicht über unsere unterdrückte Generation.
Wir sind ein hoffnungsloser Fall.
Wir sind wertlos wie die Schale einer Wassermelone.

Lest nicht über uns.
Ahmt uns nicht nach.
Akzeptiert uns nicht.
Akzeptiert nicht unsere Ideen.
Wir sind eine Generation von Gaunern und Schwindlern.

Kinder Arabiens,
Frühlingsregen,
Ähren der Zukunft,
Ihr seid die Generation.
Und Ihr werdet die Niederlage überwinden.

aus: Nizar Qabbani, »Hawamisch ’ala Daftar Al Naksah«, 1967
(dt. »Randbemerkungen zu einem Buch der Niederlagen«)

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MIT DEM TAXI IN DEN KRIEG

Der 6. Oktober 1973 ist ein ganz gewöhnlicher Samstag. Deutschland ist im Rolling-Stones-Fieber – zum ersten Mal nach drei Jahren ist die Band auf Europa-Tour, ein Fest für alle Hippies und Rock’n’Roller.

Der syrische Diktator Hafiz al-Assad feiert an diesem Samstag seinen 43. Geburtstag. Der ägyptische Präsident Muhammad Anwar as-Sadat macht seit Monaten Schlagzeilen: Spektakulär hat er 21000 russische Militärberater aus dem Land geworfen. Und zieht damit einen endgültigen Schlussstrich unter das Kapitel Sozialismus seines Vorgängers Gamal Abdel Nasser. Staatliche Firmen werden privatisiert, ein außenpolitischer Kurswechsel in Richtung USA zeichnet sich ab. Die Spannungen zwischen den Blöcken Ost und West haben wieder zugenommen.

Die islamische Welt begeht den Fastenmonat Ramadan, die westliche feiert die Götter des Rhythm and Blues. Kein Mensch rechnet an diesem Tag mit einem Krieg im Nahen Osten. Umso elektrisierender die Nachricht, die mich am frühen Nachmittag zu Hause erreicht: Mit einem Überraschungsangriff haben die ägyptische und die syrische Armee Israel auf dem Sinai und auf den Golanhöhen attackiert – ausgerechnet am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag.

Die Welt hält den Atem an. Die Russen reagieren verstört, weil sie fürchten, mit Ägypten einen langjährigen Verbündeten zu verlieren. Der neue Nahostkrieg stürzt die Welt, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, in eine gefährliche Krise.

Seit einigen Wochen war ich Auslandschef beim »SDR«-Fernsehen in Stuttgart, zuständig unter anderem für das Auslandsmagazin »Kompass« und die Arabische Welt. Ich fuhr sofort in den Sender. Wir mussten schnell entscheiden. Gerhard Konzelmann, der »SDR«-Nahostkorrespondent, saß in Beirut, von wo aus er die Entwicklung auf dem Golan verfolgte. Der Korrespondent des »Bayerischen Rundfunks«, Edmund Gruber, berichtete für die »ARD« aus Israel. Auf ägyptischer Seite war das »Erste Deutsche Fernsehen« nicht vertreten. Jemand musste nach Kairo.

Aber es gab ein Problem: Der Linienflugverkehr nach Ägypten war sofort nach Bekanntwerden der Kriegshandlungen eingestellt worden. Auch das Nachbarland Libyen wurde nicht mehr angeflogen. Erst am dritten Kriegstag hatten unsere Recherchen Erfolg: Eine russische Transport-maschine, die von Frankfurt nach Tripolis fliegen sollte, war bereit, uns mitzunehmen.

Das Team war längst zusammengestellt und so saßen »SDR«-Kameramann Mike Condé, ein Tontechniker und ich einige Zeit später in einem alten sowjetischen Militärtransporter auf dem Weg in den Nahen Osten. Die Maschine war aus Paris gekommen, mit Journalisten an Bord, vielleicht auch neuen russischen Militärberatern in Zivil, die in Kairo jetzt wieder gebraucht wurden. Eine Hundertschaft bunt zusammengewürfelter Passagiere saß fröstelnd in einem kalten russischen Flieger auf dem Weg in den Krieg. Der Flug kam mir endlos vor.

Tripolis, die heutige Millionen-Metropole, war zu dieser Zeit eine Provinzstadt mit gerade einmal 400000 Einwohnern. Viele Häuser waren noch im italienischen Kolonialstil erbaut, das Öl sprudelte erst seit wenigen Jahren. Die libysche Revolution war vier Jahre alt – und der selbsternannte Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ein noch unbeschriebenes Blatt.

Tripolis war meine erste Begegnung mit der Arabischen Welt. Hier funktionierte so ziemlich alles anders. Telefonieren mit Deutschland? Ein Ding der Unmöglichkeit. Hotels? Fehlanzeige. Würden wir Kairo jemals erreichen? Zum ersten Mal erlebte ich hier auch arabische Geschäftstüchtigkeit, die Fähigkeit, in Ausnahmesituationen schnell und unbürokratisch zu reagieren. Wir brauchten kein Hotel. Wir verbrachten die Nacht im Taxi.

In Ermangelung öffentlicher Verkehrseinrichtungen hatten die libyschen Taxifahrer kurzerhand eine Taxibrücke nach Kairo eingerichtet. Sie fuhren ihre Passagiere bis nach Alexandria und reichten die Reisenden – Diplomaten, Geschäftsleute, Geheimdienstler, Journalisten – dort an ihre ägyptischen Kollegen weiter. Dieses Geschäftsabkommen bedurfte keiner Verträge.

Schon seit Tagen waren diese Fahrer unterwegs. Und in entsprechender Verfassung. Sie witterten das Geschäft ihres Lebens. Unser Taxifahrer schien mit seinem alten »Peugeot 404« in einer Art symbiotischer Trance verbunden zu sein. Er fuhr nicht, er glitt, wie von unsichtbarer Hand geführt. Immer im vierten Gang, langsam, um Sprit zu sparen, wie er uns versicherte. Der »Peugeot 404« war damals der Käfer Nordafrikas. Er lief und lief und lief. Verzweifelt versuchten wir, uns mit dem Mann zu verständigen. Er sprach kein Englisch, wir kein Arabisch. Seine Augen wurden immer glasiger, seit Kriegsausbruch war er unterwegs – und hatte kaum geschlafen. Schon den sechsten Tag. Tripolis, Tobruk, El-Alamein, Alexandria. Immer hin und zurück. 1600 Kilometer eine Strecke, über löchrige Straßen und Sandpisten. Wie die meisten seiner Kollegen hielt er sich mit Haschisch bei Laune.

Wenige Stunden nach unserer Abfahrt tauchte das erste Wrack am Straßenrand auf. Unser Fahrer lachte und stieß ein unverständliches »Aouthbillah!« aus. Wie ich später erfuhr, ein beliebtes arabisches Stoßgebet, das »Gott bewahre!« bedeutet. Gottes Hilfe konnten wir gut brauchen. Immer wieder sahen wir ausgebrannte Fahrzeuge. Die völlig übermüdeten Fahrer waren von der Strecke abgekommen und verunglückt. Damit uns kein unheroisches Ende drohte, ließen wir unseren Fahrer nicht mehr aus den Augen. Was macht er? Schläft er ein? Wir versorgten ihn mit Wasser und Tee. Wir unterhielten ihn. Schwäbische Witze schienen ihn aufzuheitern. Aber wahrscheinlich hatte auch ich auf der langen Fahrt begonnen, zu halluzinieren.

Schließlich erreichten wir Salloum, die Grenzstation zu Ägypten. Stunden später erschien El-Alamein am Horizont, ein kleines Nest am Mittelmeer, wo die Wüste bis ans Meer heranreicht. Ein geschichtsträchtiges Stück Erde. Ich musste an Erwin Rommel denken, den »Wüstenfuchs«, meinen schwäbischen Landsmann, Vater des späteren Stuttgarter Oberbürgermeisters. Rommel war hier in der Wüste stecken geblieben, eine der kriegsentscheidenden Niederlagen während des Zweiten Weltkriegs. Der »Peugeot 404«, zum Glück, lief und lief. Jahrelang hatte das ägyptische 6000-Seelen-Städtchen mit seinen britischen und deutschen Soldatenfriedhöfen vom Kriegsgräbertourismus gelebt – bis 1966 Erdölvorkommen gefunden wurden, die dem Ort einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung bescherten.

Jetzt lagen noch 110 Kilometer vor uns bis Alexandria, der Millionenstadt am Mittelmeer, eine der ältesten Städte der Menschheit. Im Altertum war Alexandria eine strahlende Metropole. Kleopatra, die letzte Pharaonin, regierte von dort aus Ägypten und führte ihr wüstes Leben mit Mord, Inzest und blutigen Machtspielen. Mehrere hunderttausend Schriftrollen, die in der weltberühmten großen Bibliothek und im Museion gelagert waren, begründeten den Ruf Alexandrias als Stadt des Wissens und machten sie zum geistigen Zentrum – aber auch zum begehrten Spielball der Mächte. Alle, die am Mittelmeer einmal die Macht hatten, sind hier gewesen. Die Griechen, die Römer, die Kreuzritter, die Türken, zuletzt die Briten. Und bei jeder Eroberung gingen historische Denkmäler verloren. London und New York schmücken sich heute noch mit den beiden einst unter Kleopatra erbauten Obelisken, die den Vorplatz des Kaisareions zierten.

Alexandria steht für die große Geschichte und die große Tragik der Arabischen Welt. Und selbst an das laszive Alexandria der 1950er-Jahre, das Lawrence Durell in seinem Alexandria-Quartett beschrieben hatte, erinnerte nichts mehr. Damals lebten Juden und Ägypter noch friedlich zusammen. Eine Metropole des Glamours. Jetzt war die Stadt nur noch ein Schatten ihrer selbst. Dazu passte, dass die alte, von Nasser abgehalfterte Elite hier ihrem Ende entgegendämmerte. Sie lebte vom Verkauf ihrer alten Empiremöbel-Kopien an europäische Antiquitätenhändler. Dunkle Figuren organisierten diese dubiosen Geschäfte.

Mir aber stand der Sinn nicht nach Historischem. Die Gegenwart war verwirrend genug. Alles kam mir merkwürdig vor – die Menschen, der Verkehr, die Gerüche. Wenig begriff ich von dem, was um mich herum passierte. Ich sprach kein Wort Arabisch und konnte die Schrift nicht lesen. Verzweifelt versuchte ich, Informationen über den Kriegsverlauf im Sinai und auf dem Golan zu bekommen – und stieß überall auf taube Ohren. Das Misstrauen gegenüber Ausländern war groß, jeder konnte ein israelischer Spion sein. Alles wurde immer unheimlicher.

Am frühen Abend starteten wir zur letzten Etappe, den letzten 200 Kilometern nach Kairo. Als es dunkel wurde, begann für uns ein Abenteuer der besonderen Art: Das ägyptische Taxi fuhr ohne Licht! Die ägyptischen Behörden hatten Verdunklung angeordnet, es war streng verboten, die Fahrzeugbeleuchtung einzuschalten – wir befanden uns schließlich im Krieg. Bald war es stockfinster – was unseren Fahrer nicht davon abhielt, über die Pisten zu rasen wie ein Wahnsinniger. Nur alle 50 bis 100 Meter schaltete er kurz das Fernlicht an, um zu sehen, wo wir uns befanden. Dann sah man Kamele über die Piste trotten und Kühe und alle möglichen Schatten. Zum ersten Mal erlebte ich bei dieser Nachtfahrt diese besondere Spezies der ägyptischen Taxifahrer. Genau wie unser erster war auch dieser Taxifahrer von einer Haschischwolke umhüllt. Gott sei Dank sprach er einige Brocken Englisch. So konnte er uns wenigstens erklären, warum er raste. Er war der festen Überzeugung: Je schneller er sein Ziel erreichte, desto weniger Sprit verbrauchte sein Wagen. Längst hatte er die Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt. Ägyptische Taxifahrer haben ihre eigene Logik. Meine Angst auf dieser Reise lässt sich nur schwer beschreiben – mehr Angst kann man im Krieg nicht haben.

Irgendwie kamen wir an. Mitten in der Nacht, nach 31 Stunden Fahrt und 2300 Kilometern über libysche und ägyptische Landstraßen. Und die Überraschung: Kairo lag in einem Lichtermeer! Die angeordnete Verdunklung hatte offensichtlich nur für Taxis gegolten, die in den Augen der Ägypter wohl bedeutend interessantere Kriegsziele darstellten als eine beleuchtete Großstadt.

Wir waren im »Nile Hilton« einquartiert, im ersten ägyptischen Fünf-Sterne-Hotel. Es war schon während der Nasser-Zeit gebaut worden. Ein Prestigeprojekt. Treffpunkt der Kairoer Elite. Im Coffeeshop, der 24 Stunden geöffnet hatte, verabredete man sich an den Nachmittagen. Hier wurden Geschäfte verhandelt, Intrigen gesponnen, Schicksale besiegelt und Nachrichten ausgetauscht. In prunkvollen Bankettsälen feierten die oberen Zehntausend ihre Hochzeiten und so manches mehr. Das »Nile Hilton« war das heimliche gesellschaftliche und politische Zentrum von Kairo – und nach unserer Taxifahrt eine Art zivilisatorisches Paradies. Nie zuvor hatte ich in einem so großen und luxuriösen Zimmer geschlafen.

Am nächsten Morgen, dem achten Kriegstag, mussten wir uns beim Informationsministerium melden. Bei der Registrierung wurde uns bewusst, dass die ägyptische Bürokratie auf 5000 Jahre Erfahrung zurückblickte. Ab sofort hatten wir einen Aufpasser, wir waren unter Kontrolle.

Kairo entpuppte sich als lärmende, staubige, zusammengewucherte Riesenmetropole mit einem ganz eigenen Geruch. Eine ätzende Mischung aus Billig-Benzin und Smog. Der Verkehr in Kairo war ein einziges Chaos. Man stand mehr, als dass man fuhr, trotz infernalischen Gehupes. Von Hand gezogene, vollgepackte Karren, Kamelkarawanen, Eselfuhrwerke, stinkende Motorräder, klapprige Busse, Taxis – viele dieser Kairoer Fortbewegungsmittel sahen aus, als kämen sie direkt aus dem Museum. Unser Aufpasser verbot Aufnahmen von Eselkarren.

Noch mehr als Stadt und Hotel aber begannen mich bald die Entwicklungen in meinem Körper zu beeindrucken: Ich hatte libysche Feinde im Bauch. Irgendwo, an einem Stand an der Sandpiste, hatten wir »Ful« gegessen, ein arabisches Bohnengericht. Meine Gedärme rebellierten, ich bekam hohes Fieber. Trotzdem raffte ich mich auf, täglich einen »Tagesschau«-Bericht zu produzieren. Der Hausarzt des »Nile Hilton« verschrieb mir graue Tabletten, die nicht halfen. Rückblickend scheint es mir, als hätte ich den ganzen Oktoberkrieg auf der Toilette verbracht. Zu allem Übel gab mir mein Kollege Heinz Metlitzky vom »Zweiten Deutschen Fernsehen«, den Rat: »Da hilft am besten ›Omar Khayyam‹.« Ägyptischer Rotwein. Als Trollinger-Fan schien mir das plausibel. So lernte ich »Omar Khayyam« kennen. Der alles noch verschlimmerte.

In Kairo war vom Krieg fast nichts zu spüren. Der spielte sich weit entfernt auf dem Golan und im Sinai ab. In Kairo herrschte Alltag. Die Geschäfte waren geöffnet, die Menschen gingen ihrer Arbeit nach. Die Straßen waren voll. Nur die Kaffeehäuser auffallend leer. Es war Ramadan, Fastenzeit. Zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang dürfen Gläubige nicht essen, trinken und rauchen. Nur für Soldaten macht der Prophet eine Ausnahme. Muslimische Vorschriften werden gelegentlich pragmatisch ausgelegt.

Der Krieg tobte vor allem in den Zeitungen, mit Fotos von siegreichen Kämpfern. Und mit Schlagzeilen auf den Titelseiten, die ich nicht lesen konnte. Zum Glück gab es die »Egyptian Gazette«, eine englischsprachige Zeitung mit einer fast 100 Jahre alten journalistischen Tradition. Doch auch hier nur Propaganda: »Victory! Victory! Victory!«

Nur so viel war sicher: In den ersten beiden Tagen des Krieges hatten die Ägypter tatsächlich die Bar-Lew-Linie überschritten, die Sicherheitslinie der Israelis. Es war ihnen gelungen, ihre Gegner mit einem massiven Überraschungsangriff zu überrumpeln. Sadats Schachzug, die 21000 russischen Militärberater aus dem Land zu schicken, hatte sich als clevere Kriegslist entpuppt. Niemand in Israel hatte mit einem Angriff gerechnet.

Sadats Ziel war es, die sechs Jahre zuvor im Sechstagekrieg von Israel eroberten Gebiete auf den Golanhöhen und auf dem Sinai zurückzugewinnen. Der Sechstagekrieg war für die arabischen Armeen die absolute Demütigung gewesen, vernichtender hätte die Niederlage nicht ausfallen können. In einem neuen Krieg sollte die arabische Ehre wieder hergestellt werden. Mit martialischen Mitteln. Innerhalb der ersten zwei Tage überrollten 800000 ägyptische, 150000 syrische und 60000 irakische Soldaten mit 4000 Panzern, 2000 Artillerieeinheiten und 800 Kampfflugzeugen die völlig überraschte und deutlich kleinere israelische Armee. Es sah nach einem arabischen Triumphzug aus. Während wir in Kairo auf einen Besuch an der Front warteten, wütete im Sinai die größte Panzerschlacht seit dem Zweiten Weltkrieg. Das aber erfuhr ich erst zu Hause.

In Kairo herrschten Nachrichtensperre und Zensur. Unabhängiger Journalismus war in Ägypten unbekannt. Die Regierung besaß das Informationsmonopol. Es geschah nur, was sie geschehen ließ. Doch dann passierte an der Front etwas, das die Planer im Informationsministerium nicht mehr unter Kontrolle hatten.

Anfragen für Frontbesuche prallten gegen eine Wand des Schweigens. Wo überhaupt befand sich die Front? Die anwesende Weltpresse war frustriert. So fuhren wir, um uns die Zeit zu vertreiben, zu den Pyramiden. Das war gestattet. Was als touristischer Ausflug gedacht war, entwickelte sich zum Scoop. Als wir ankamen, wummerte die Artillerie in der Ferne. Man konnte den Krieg schon an den Pyramiden hören! Das war eine riesige Überraschung und eine Top-Nachricht! Denn das bedeutete: Die Propaganda der Ägypter stimmte nicht. Es konnte keine Rede mehr davon sein, dass sie den Krieg gewannen. Im Gegenteil: Die israelischen Truppen waren bis auf 100 Kilometer an Kairo herangerückt.

Ich hatte eine schöne Kulisse für meinen »Tagesschau«-Aufsager: die Pyramiden von Giseh. Der Gefechtslärm an den Pyramiden, so sagte ich in die Kamera, sei ein Beleg dafür, dass die ägyptische Siegespropaganda eine Lüge sei. Und als Beweis hielt ich mein Mikro in die Luft und das registrierte den Kriegslärm an den Pyramiden.

Das Blatt hatte sich gewendet. Auf den Golanhöhen hatten die Israelis die Syrer zurückgedrängt, im Sinai war es General Ariel Scharon nach einer Befehlsverweigerung gelungen, zwischen zwei ägyptischen Einheiten durchzubrechen und den Suezkanal, die alte Waffenstillstandslinie, zu überqueren. Die Israelis hatten die ägyptischen Truppen eingekesselt und standen tatsächlich 100 Kilometer vor Kairo. Die Welt hielt den Atem an. Die USA befürchteten ein Eingreifen der Sowjetunion, setzten ihre Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft und ihre Truppen an den deutschen Ostgrenzen in Bewegung. Ein dritter Weltkrieg drohte.

Die Ägypter aber hatten kein Interesse daran, die Presse über den wahren Verlauf der Kriegshandlungen zu informieren. Äußerst trickreich ging das Informationsministerium mit der Situation um. Der versammelten Weltpresse wurde offiziell angeboten, Film- und sonstiges journalistisches Material einmal täglich mit einem Militärflugzeug nach Rom auszufliegen, wo die Berichte an die jeweiligen Redaktionen der einzelnen Länder überspielt werden sollten. Deadline täglich 19 Uhr. Ein scheinbar großzügiges Angebot.

Jeden Abend spielten sich deshalb unglaubliche Szenen vor dem Informationsministerium ab. Alle großen US-amerikanischen Sender waren vertreten. »ABC«, »NBC«, »CBS« konkurrierten heftig um die beste Story. Das französische Fernsehen, das »Zweite Deutsche Fernsehen«, die Italiener, die »BBC«. Eine Hundertschaft Journalisten versuchte jeden Abend um 19 Uhr in großer Hektik, ihre Filme und Berichte abzuliefern. Die übliche Torschlusspanik – Journalisten werden immer spät fertig. Erst recht im Krieg. In buchstäblich letzter Sekunde wurden die Aufsager in die Kameras gesprochen, denn die Beamten des Informationsministeriums waren unerbittlich. Nach 19 Uhr wurde nichts mehr angenommen. Eine veritable Kriegskomödie – wie sich später herausstellen sollte.

Die Ägypter nämlich legten die Berichte der Weltpresse täglich, pünktlich um 19 Uhr, in einen Lagerraum. Die versprochene Kuriermaschine ist während des Krieges nie abgehoben. In Washington und Rom, in Paris und London warteten die Redaktionen auf Nachrichten aus Kairo. Und in Hamburg und Stuttgart wusste niemand, ob wir überhaupt angekommen waren. An einen Kontakt nach Deutschland war in einer Zeit ohne Internet und Mobiltelefon nicht zu denken. Das Telex war lahmgelegt. Und das Telefonsystem in Kairo, dieser Weltstadt mit damals vier, fünf, heute 20 Millionen Einwohnern, war so veraltet, dass man auch zu Friedenszeiten und selbst für ein Ortsgespräch stundenlang auf eine Verbindung warten musste. Deshalb hatten die Menschen dort auch ihr eigenes Kommunikationssystem entwickelt: Mit Radlern und Motorradkurieren wurden Botschaften innerhalb der Stadt übermittelt. Ich hatte in den zwei Kriegswochen fast ein Dutzend Filme für die »Tagesschau« gedreht. Und es war mir gelungen, alle pünktlich abzuliefern. Keiner davon ist in Deutschland angekommen.

Gipfel der ägyptischen Cleverness war eines Tages das Angebot des Informationsministeriums, uns Journalisten doch noch in Frontnähe zu bringen. Mit Bussen wurden wir ins Niltal kutschiert – und tatsächlich hatte hier einmal eine israelische Bombe eingeschlagen. Die Munitionsreste lagen am Boden herum und über diese gefährlichen Winzlinge beugten sich jetzt die Reporter und versuchten, daraus eine Kriegsstory zu machen. Vergeblich.

Wie wir erst später erfuhren, hatte es sich bei dieser Sightseeing-Tour um ein geschicktes Ablenkungsmanöver der Ägypter gehandelt. An diesem Tag war nämlich der sowjetische Ministerpräsident Alexei Nikolajewitsch Kossygin in Kairo gelandet – zu Verhandlungen angesichts des für Ägypten dramatischen Kriegsverlaufs. Und um dieses Treffen geheim halten zu können, hatte man die Weltpresse in die Wüste geschickt. Eine erneute Niederlage gegen den Erzfeind Israel durfte es nicht geben. Zumindest durfte es in Ägypten niemand erfahren.

Nach 18 Tagen ging der Krieg ziemlich sang- und klanglos zu Ende. Am 24. Oktober 1973 trat der UN-Waffenstillstand in Kraft. Ich rief ein Taxi für die Rückreise – und das Informationsministerium lieferte das reichlich angesammelte Film- und Tonmaterial pünktlich zum Kriegsende in Rom ab. So konnten zwei meiner »Tagesschau«-Beiträge und einer für den »Weltspiegel« doch noch gesendet werden. Die kümmerliche Ausbeute von zwölf Kriegstagen.

Das Ergebnis des Krieges war paradox. In Israel führte er zur Traumatisierung der Öffentlichkeit, hatte die israelische Armee bis dahin doch als unbesiegbar gegolten. Die massiven Verluste unter den israelischen Soldaten, 2550 Tote, zwangen die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir im April 1974 zum Rücktritt. So funktioniert Demokratie.

Die Verlierer in Ägypten aber feierten die Niederlage als Sieg, Sadat als Retter der arabischen Ehre. So funktioniert Diktatur. Dabei war der angebliche Sieg ein Trugbild, eine Fata Morgana, die ja eine Luftspiegelung durch Ablenkung des Lichtes ist. Nach diesem Prinzip hatten auch die ägyptischen Propagandisten gearbeitet: Sie lenkten von der Niederlage am Ende des Krieges ab, indem sie sich auf die Siege der ersten Kriegstage konzentrierten. So wurde der Tag des Kriegsausbruchs, der 6. Oktober, zum nationalen Mythos. Erstmals war es einer arabischen Armee gelungen, die israelischen Streitkräfte zurückzudrängen. Sie hatte, wenn auch nur zwei Tage lang, die Bar-Lew-Linie überwunden und die Israelis vor sich hergetrieben – das hatte es davor nie gegeben. Und dieser Mythos wird bis heute gepflegt. Der 6. Oktober ist für die Ägypter der Tag der Wiederherstellung ihrer Würde. Ein Feiertag. Tag der Streitkräfte. In Kairo wurde eine Brücke nach dem 6. Oktober benannt, eine Zeitschrift nennt sich »6. Oktober« und eine ganze Stadt in der Nähe Kairos trägt dieses Datum als Namen.

Zwei Jahre nach Kriegsende wurde ich, mittlerweile Nahostkorrespondent, eingeladen, von den Dreharbeiten eines ägyptischen Kinofilms zu berichten: »Die Überquerung des Suezkanals«. Ein Heldenepos. Der Mythos des »6. Oktober« ist zum Gründungsmythos der nachnasseristischen Zeit geworden. Obwohl die Ägypter nur eine Schlacht, nicht aber den Krieg gewonnen hatten, war der Oktoberkrieg für Sadat ein großer politischer Erfolg, Symbol eines neuen arabischen Selbstbewusstseins. Durch diese propagandistische Meisterleistung suggerierte er Stärke und hoffte, mit seiner Politik der »Infitah«, der wirtschaftlichen und politischen Öffnung, den aufkommenden Islamismus einzudämmen und die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung zu befrieden.

Doch die Ruhe währte nicht lange: Im Januar 1977 gingen wütende Demonstranten in Kairo, Alexandria und anderen Städten des Landes auf die Straßen, um gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise zu protestieren. Der Tahrir-Platz, der Platz der Befreiung, wurde schon damals zum Symbol der Rebellion. Schon damals waren mit den »Brotunruhen« massive Forderungen nach politischen, sozialen und ökonomischen Veränderungen verbunden. Der Oktoberkrieg hatte wirtschaftlich nichts gebracht. Und nur durch den brutalen Einsatz des Militärs konnte dieser Aufstand niedergeschlagen werden. Sadats Propagandablase war geplatzt. Auf den Tag genau acht Jahre nach Ausbruch des Krieges wurde Muhammad Anwar as-Sadat von einem Attentäter erschossen, bei einer Militärparade am 6. Oktober 1981.

Die »Brotunruhen« des Jahres 1977 sind vom Militär in zwei, drei Tagen zerschlagen worden. In den Köpfen der Menschen aber lebten sie weiter. Mit Facebook und Twitter hat die Internetgeneration die Proteste neu organisiert. Einer der Aufständischen des Jahres 1977, der damals 20-jährige Ala’a al-Aswani, Sohn des Anwalts und preisgekrönten Schriftstellers Abbas al-Aswani, wurde 2004 einer der Begründer der Bürgerbewegung »Kefaya«.

Es ist ein neues, ein anderes Ägypten, das 2011 auf dem Tahrir-Platz demonstriert. Junge Leute, Intellektuelle, Blogger, Frauen, Moslembrüder, Rapper, bunt gemischt. Sie fordern Arbeitsplätze, das Ende der Korruption, Demokratie. Nicht den islamistischen Gottesstaat und nicht die Zerstörung Israels. Sie haben genug von den alten Sprüchen und Heldenmythen und den angeblich gewonnenen Schlachten. Mubarak, im Oktoberkrieg noch Chef der Luftwaffe, ist in ihren Augen ein trauriger Held. Ein ganz gewöhnlicher orientalischer Diktator, der sich auf die übliche Weise bereichert hat. Die Menschen in Ägypten haben die Nase voll von Politikern wie ihm, von Krieg, Armut und sozialer Ungerechtigkeit. Sie wollen ankommen im 21. Jahrhundert. »Kefaya!«, lautet ihre Parole. »Es reicht!«

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DER STAAT IST IN GEFAHR

»Der Weltgeist weht, wo er will.« Ein subversiver Satz, wie aus Granit gemeißelt. Frei nach einem der bekanntesten Tübinger Studenten: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Der hatte von 1788 bis 1793 in dem idyllischen Neckarstädtchen studiert. Ende der 1950er-Jahre begann der Geist besonders heftig zu wehen, auch in Tübingen. Hinter den harmlos erscheinenden Fachwerkkulissen werkelten Studenten konspirativ an Umsturzstrategien, aufgeregte SDSler träumten sogar von nichts Geringerem als der Weltrevolution.

Andere machten es sich leichter. Sie begnügten sich mit dem Traum von einem Leben jenseits alter Konventionen. Und dafür gab es einen Ort: die Studentenkneipe von »Tante Emmile«. Eine konkrete Utopie. Wer von Tante Emmile, der 80-jährigen Wirtin, in die Kneipe gelassen wurde, der nahm sich ein Bier und legte das in die Kasse, was er für richtig hielt. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Ein »Wirtschaftsmodell«, das in der engen, geldorientierten schwäbischen Welt Aufsehen erregte. Dabei war Tante Emmiles Kneipe kein antikapitalistischer Versuch. Es hatte sich einfach so ergeben. Und irgendwie kam die Wirtin mit ihrem Geld zurecht. Für viele Tübinger Studenten war sie, wegen ihres lockeren Umgangs mit Geld und guten Sitten, der Mittelpunkt ihres Studentenlebens. Die Kneipe war ihre »Wohnstube«.

Tübingen in den 1950er-Jahren war ein beschauliches Städtchen. Der Neckar schlängelte sich durch die Altstadt, vorbei an jahrhundertealten Fachwerkhäusern, an denen der Krieg spurlos vorüber gezogen war. Die intakte Kulisse hatte Tübingen einem mutigen Mann zu verdanken: Standortarzt Theodor Dobler. Der hatte kurz vor Kriegsende die Kapitulation vor den anrückenden Franzosen bewirkt und so die Zerstörung der Stadt verhindert. Idylle pur: die Platanenallee mit den uralten Bäumen und dem »Seufzerwäldchen«, wo Studenten ihre ersten Sexerfahrungen sammelten. Die »Neckarfront«, wo sich die mittelalterlichen Häuschen verschlafen an das Flussufer reihen. Die 500 Jahre alte Stiftskirche und gegenüber das »Cottahaus«, ehemaliger Sitz des berühmten Verlages von Schiller und Goethe. Als wäre nichts geschehen.

Nur: Wo früher Hegel und Hölderlin studiert hatten, lehrten jetzt Walter Jens, Theodor Eschenburg und der Philosoph Ernst Bloch. Ihre Vorlesungen glichen happeningartigen Kultveranstaltungen, in völlig überfüllten Hörsälen – die Tübinger Uni war ein »Campus of Excellence«. Als junger, aufsteigender Star unter den Dozenten galt Iring Fetscher, später, in den 1960er- und 70er-Jahren der Karl-Marx-Experte an der Frankfurter Uni. Bei ihm hatte ich mich zum Studium der Politikwissenschaften eingeschrieben. Und nach dem Philosophikum machte er mir Hoffnungen: »Probieren Sie doch mal einen Übergangsjob zu finden, später können Sie dann zu mir nach Frankfurt kommen.« Dort war ihm die Professur in Aussicht gestellt worden. Also habe ich es beim Fernsehen des »Süddeutschen Rundfunks« probiert. Journalismus und Film hatten mich schon immer interessiert. Die Kombination aus beidem, der »Fernsehjournalismus«, war durchaus eine Alternative zu einer akademischen Karriere.

Helmut Hammerschmidt war damals »SDR«-Chefredakteur. Er hatte gerade das TV-Magazin »ANNO – Filmberichte zu Nachrichten von gestern und morgen« entwickelt, aus dem später »Report« hervorgehen sollte. »ANNO« war das konservative Gegenmodell zum linken »Panorama«, das wiederum eine Kopie des gleichnamigen »BBC«-Magazins war. Hammerschmidt gehörte zu den Pionieren des politischen Magazinjournalismus in der Bundesrepublik. Mit ihm wurde ich am Telefon verbunden. Und zu meiner Verblüffung sagte er kurz und bündig: »Kommen Sie vorbei. Wir brauchen Leute, die was können.«

Ich konnte nichts und landete eine Woche später trotzdem beim »SDR«. Zu dieser Zeit war gerade das »Zweite Deutsche Fernsehen« gegründet worden, man schrieb das Jahr 1962 – und was ich nicht wusste: Viele »ARD«-Mitarbeiter waren zum neuen Sender nach Mainz abgewandert, auch, weil dort besser bezahlt wurde als beim knauserigen Spätzlesender. Der »SDR« litt unter Personalmangel.

In Tübingen hatte ich zusammen mit anderen den studentischen Filmclub gegründet und mich in diesem Zusammenhang mit Kameraführung, Schnitt und Montage beschäftigt. Das sollte sich als Vorteil erweisen gegenüber den neuen Kollegen, die meist aus Zeitungsredaktionen kamen und mit dem noch jungen Medium nicht viel anfangen konnten. Innerhalb von 14 Tagen bekam ich meine erste Chance, obwohl ich für meine Bewerbung nur Gedichtinterpretationen von Karl Krolow eingereicht hatte: Mein Fernsehstart war ein Nachrichtenfilm für die »Abendschau«.

»Abendschau«-Chef war damals Walter Mechtel. Sein Motto: »Nicht reden. Machen!« Und so schickte er mich ohne jede journalistische Ausbildung auf die Autobahn, die baden-württembergische Polizei hatte von der Regierung einen »Porsche« als Dienstwagen spendiert bekommen. Eine tolle Bilderstory. »Die Polizei muss so schnell sein wie die Gangster. Oder schneller«, meinte der damalige Polizeiminister Hans Filbinger.

Aber mein erster Film für die »Abendschau« wäre auch fast mein letzter geworden. Und das kam so: Die »Abendschau« wollte einen neuen Sprecher testen – ausgerechnet bei meinem ersten Beitrag. Der Neue war Anfänger. Wie ich. Vor der Sendung war er mit zitternden Knien in der Redaktion erschienen und ich hatte ihm noch den Tipp gegeben: »Trinken Sie doch ein Bier. Das beruhigt.« Das war, wie sich herausstellen sollte, das Dümmste, was ich hatte tun können. Die »Abendschau«, eine allabendliche Livesendung, begann. Im Studio kündigte der Moderator meinen Beitrag an, in der Regie gab Walter Mechtel das Signal an die Bildmischerin, den Film zu starten. In der Sprecherkabine saß der junge Sprecher und sollte, ebenfalls live, den Text zum Beitrag einsprechen. Ich saß neben ihm, um ihm mit Handzeichen seine Einsätze zu geben. Wir waren beide nervös. Dann leuchtete die rote Lampe auf. Wir waren auf Sendung. Aber der Sprecher sprach nicht. Ich stupste ihn an. Keine Reaktion. Ich gestikulierte wie ein Wilder – doch angesichts des Millionenpublikums vor den Bildschirmen versagte ihm die Stimme. Und auch das Bier hatte wohl begonnen, seine Wirkung zu entfalten. Beharrlich schwieg er, paralysiert saß er vor seinem Text, wie das Kaninchen vor der Schlange.

In meiner Verzweiflung schrie ich: »Sie Arschloch, jetzt reden Sie endlich!« Dass wir auf Sendung waren, hatte ich vergessen. Da hörte ich über Kopfhörer den entsetzten Walter Mechtel aus der Regie: »Das ist jetzt über den Sender gegangen! Sind Sie wahnsinnig!« Und ich brüllte – noch immer auf Sendung – in breitem Schwäbisch zurück: »Da kann doch ich nichts dafür! Der schwätzt ned!«1 Dann, nach einer unendlichen Pause, begann der Sprecher zu sprechen – mittlerweile viel zu spät. Mühsam hechelte er den Bildinformationen hinterher. Nichts stimmte mehr. Es war eine Katastrophe. Als ich nach der Sendung schweißgebadet aus der Sprecherkabine kam, war ich von meiner bevorstehenden Entlassung fest überzeugt. Doch Mechtel entließ den Sprecher und gab mir eine zweite Chance.

Walter Mechtel war einer der vielen Verrückten der ersten Fernsehjahre. Ein blonder Hüne, der Maßanzüge trug und teure »BMW«-Modelle fuhr – und dessen Frauengeschichten noch heute Legende sind. Sein Jurastudium hatte er zu Beginn des Krieges abbrechen müssen. Als Wehrmachtsoffizier im besetzten Frankreich hatte er dem Journalisten Hans Habe zur Flucht verholfen. Der schloss sich den US-Streitkräften an, kam als US-Offizier nach Deutschland zurück und erhielt von den Alliierten den Auftrag, die Presselandschaft in Deutschland neu aufzubauen. So konnte er sich bei Walter Mechtel revanchieren und machte ihn, nach dessen Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, zum Chefreporter der »Münchner Illustrierten«. Von dort wechselte Mechtel später zur »Bunte« nach Offenburg, bevor er Chef der »Abendschau« beim »SDR« in Stuttgart wurde.

Hans Habe hatte Mechtels großes journalistisches Talent entdeckt – das aber begann zunehmend unter seinen Affären und den damit verbundenen Eifersuchtsanfällen zu leiden. Die Attacken wurden manisch, phasenweise lebte er nur noch von Whiskey und Zigaretten. Eines Tages sank er ohnmächtig vom Steuer seines Wagens, an einer roten Ampel, mitten in Stuttgart. Mechtel hatte einen Sinn für dramatische Auftritte. Dieser jedoch übertraf alles. Die Leute hupten und schrien, Walter Mechtel lag bewusstlos auf dem Fahrersitz. Bis der Notarzt kam und ihn ins Krankenhaus brachte. Eine menschliche Tragödie. Als Mechtel wieder zu sich kam, war er misstrauisch geworden gegenüber jedermann und weigerte sich, mit irgendjemandem vom »SDR« zu sprechen – außer mit Hans Bausch, dem Intendanten. Der fuhr, um den Redaktionsbetrieb in der »Abendschau« aufrecht zu erhalten, täglich zu Mechtel ins Krankenhaus, um mit ihm die Sendung des nächsten Tages zu besprechen.

Aber Walter Mechtels Eifersucht war nicht mehr zu besänftigen. Er war skurril geworden. Nach einem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt schickten ihn die Ärzte zur Kur – und der Sender von dort direkt nach Vietnam. Noch heute halten sich hartnäckig Gerüchte, dass seine Entsendung in den Krieg nicht aus journalistischen Gründen erfolgte. Einige Wochen später kam er aus Asien zurück – mit einem hervorragenden, hoch gelobten Film im Gepäck, dem ersten kritischen Bericht über den Krieg in Vietnam: »Der schmutzige Krieg«. Nun standen die Hierarchen des »SDR« vor der heiklen Aufgabe, diesen Mann sinnvoll zu beschäftigen – möglichst fern der Landeshauptstadt.

Seit 1955 hatten die »ARD«-Anstalten begonnen, ihre Auslandskorrespondentenplätze aufzubauen. Als 1963 der »Weltspiegel« erstmals in der »ARD« ausgestrahlt wurde, hatte die Auslandsberichterstattung eine eigene Plattform erhalten. Auslandskorrespondent war damals ein absoluter Traumjob. Die Auslandskorrespondenten waren die Stars des jungen Fernsehens, die Herren der Welt-Bilder. Arabien war damals noch ein weißer Fleck auf der Landkarte der »ARD«. Mit den zunehmenden Konflikten aber musste die Nahost-Berichterstattung ausgeweitet werden. Was lag näher, als Walter Mechtel als Nahostkorrespondenten nach Beirut zu schicken. So eröffnete er am 1.März 1966 das Nahostbüro der »ARD«.

Als Mechtel in Beirut anfing, soll eine seiner ersten Fragen gewesen sein: »Wo lässt der libanesische Präsident seine Anzüge schneidern?« Gleich zehn Anzüge bestellte er daraufhin beim Schneider des Staatschefs, und wenn er mit diesen changierenden Renommierteilen in der Stuttgarter Redaktion auftauchte, waren alle etwas peinlich berührt. Auch sonst war er wählerisch geworden. Das in Stuttgart neu eröffnete Schlosshotel »Solitude« empfand er als unter seinem Niveau. Es musste München sein, und dort der »Bayerische Hof«. Jeden Tag fuhr er zum Schneiden seiner Filmbeiträge zwischen Stuttgart und München hin und her, mit seinem schnellen »BMW«.

Als Journalist im Nahen Osten machte er bald Schlagzeilen. Ein Jahr nach Eröffnung des Beiruter Büros deckte er eine Geschichte auf, die um die Welt ging: Am 26. September 1962 war im Königreich Jemen Muhammad al-Badr von nasseristischen Offizieren gestürzt worden. Kurz darauf geriet die neue Arabische Republik Jemen in einen siebenjährigen Bürgerkrieg, bei dem Ägypten die Republikaner und Saudi-Arabien die Royalisten unterstützte. Die Ägypter setzten Giftgas ein – und Walter Mechtel hatte dieses spektakuläre Verbrechen aufgedeckt.

Es waren grauenvolle Bilder, die er der Weltöffentlichkeit in seiner Reportage präsentierte: Soldaten und Tiere, jämmerlich erstickt und in der Hitze der jemenitischen Wüste aufgedunsen. Giftgas war ein Tabuthema und entsprechend war die propagandistische Wirkung. Ein Riesenskandal. Es ist davon auszugehen, dass Mechtel danach als Feind auf der Liste des ägyptischen Geheimdienstes stand.

Als er einige Zeit nach diesem Scoop wieder in den Jemen flog, um über die Sezessionisten im Südjemen zu berichten, und in Aden einen Brief an seine damalige Freundin einwerfen wollte, benutzte er die Straße vom Hotel zum Postamt, die zu dieser Zeit als »Todeszone« galt. Dass Walter Mechtel dies nicht wusste, ist eher unwahrscheinlich. Ob er absichtlich über diese Todesmeile ging, bleibt sein Geheimnis. Auf dem Weg zum Postamt von Aden, am 18. November 1967, wurde er erschossen – von einem jemenitischen Nationalisten, der sich später mit dem Mord im Fernsehen brüstete. Ich habe die Nachricht aus der »Tagesschau« erfahren. Zu sehen war Mechtel, der gekrümmt auf der Straße lag, die Hand nach seiner Brille ausgestreckt. Der erste ermordete deutsche Fernsehkorrespondent.

Nur einige Jahre zuvor hatte er mich zu meinem ersten eigenen Auslandsabenteuer ermutigt. Zu Beginn der 1960er-Jahre drohte in Zypern, am Südostrand Europas, ein Bürgerkrieg. Im November 1963 hatte der zyprische Präsident Makarios eine Verfassungsänderung vorgeschlagen, die unter anderem die Abschaffung des Vetorechts der Türken vorsah. Die türkische Regierung in Ankara protestierte. Als griechisch-zyprische Polizisten einen Monat später ein Massaker unter türkisch-zyprischen Zivilisten anrichteten, war dies der Auftakt zu einem blutigen Bürgerkrieg. Eine direkte militärische Konfrontation zwischen den NATO-Partnern Griechenland und Türkei drohte, ein lokaler Konflikt begann zu einer Weltkrise zu eskalieren. Das Thema reizte mich.

Ich kannte einen jungen Kameraassistenten beim »SDR«. Der wollte eigentlich in die Türkei reisen, um in seinem Urlaub eine orthodoxe Kirche zu filmen. »Was willst du denn mit Kirchen in der Türkei?«, fragte ich ihn. »In Zypern ist Krieg. Dort ist die Story!« Ich konnte ihn überzeugen. Er brachte das Geld, das er für einen Werbefilm bekommen hatte, in unser gemeinsames Projekt ein und ich sprach mit der »Tagesschau«. Von dort bekamen wir grünes Licht, denn es gab noch keinen Korrespondenten in der Gegend. Ich nahm Urlaub von der »Abendschau« und wenig später landeten wir im »Ledra Palace« in Nikosia, Hauptstadt der Insel. Das war ehrfurchterregend – im »Ledra Palace« logierten die internationalen Auslandskorrespondenten, weltläufige Reporter von »ABC«, »BBC« und anderen internationalen TV-Stationen und Printmedien. Ein Luxushotel, das direkt an der Green Line lag, der Trennungslinie zwischen dem türkischen und dem griechischen Teil der Stadt.

Aus einem spontanen Entschluss, den wir innerhalb von zwei, drei Tagen umgesetzt hatten, wurde ein gutes Geschäft. Regelmäßig lieferten wir der »Tagesschau« Berichte, Stoff war genug vorhanden. Da konnte es schon passieren, dass man beim Abendessen in einer Kneipe saß und plötzlich ganz in der Nähe eine Autobombe explodierte – Gläser und Flaschen fielen vom Tisch, der Putz regnete von der Decke, Menschen schrien. Wir waren die Ersten am Tatort. Das Material ging noch mit der Abendmaschine nach Deutschland.

Es war ein undurchsichtiger Bürgerkrieg, ein Stellungskrieg. Auf beiden Seiten drangen regelmäßig Saboteure ein und terrorisierten ihre Gegner. Einer der Hauptakteure war Georgios Grivas, ein griechisch-zyprischer Widerstandskämpfer, der schon im Zweiten Weltkrieg gegen die deutsche Besatzung gekämpft hatte. 1955 hatte er die EOKA gegründet, die »Nationale Organisation zyprischer Kämpfer«. Mit dieser führte er einen erfolgreichen Guerillakrieg gegen die britischen Besatzungstruppen auf Zypern. 1960 war das Ende der britischen Kolonialzeit besiegelt.

Grivas kämpfte für die »Enosis«, die politische Vereinigung mit Griechenland. An seiner Seite: ein damals erst 20-jähriger Bildreporter der »Times of Cyprus«, Nikolaos Georgiades, der sich großspurig »Nikos Sampson« nannte. Mit Gewehr und Fotoapparat machte er blutige Jagd auf Briten – und schoss sich die Schlagzeilen höchst persönlich zusammen. Gangster-Journalismus. Irgendwann fiel es auf, dass er immer als Erster zur Stelle war, wenn tödliche Schüsse auf britische Soldaten oder Zivilisten gefallen waren. Aber obwohl er 1956 verhaftet und zum Tode verurteilt wurde, war er vier Jahre später dank einer Generalamnestie wieder frei. Sampson verschaffte sich und seinen fanatischen Zielen ein eigenes Forum. Mit einem Darlehen des orthodoxen Kykko-Klosters gründete er die rechtsextreme Zeitung »Machi«, »Kampf«, und berichtete nun völlig ungeniert über seine Morde und darüber, wie er als Anführer eines Hinrichtungskommandos auf Weisung von Grivas griechisch-zyprische »Verräter« liquidieren ließ. Später brüstete er sich sogar damit, eigenhändig 200 türkische Frauen und Kinder ermordet zu haben. Eine ungeheure Art von Journalismus, in einem Land, das heute zur Europäischen Union gehört.

Nikos Sampson war Guerillaführer und Geschäftsmann. Mithilfe seiner Kämpferorganisation boxte er sich erfolgreich nach oben – seine EOKA-Guerilleros fuhren in die Ortschaften und verkauften Abonnements, mit dem Gewehr im Anschlag. Niemand weigerte sich. Und so wurde Sampson zum erfolgreichsten Verleger Zyperns.

Das Zypern des Bürgerkriegs war eine abenteuerliche Welt. Hier galten völlig andere Gesetze als im Rest Europas, Gewalt war ein selbstverständliches Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen – Demokratie herrschte nur formal. Und die Fallstricke habe ich schon nach wenigen Tagen am eigenen Leib erfahren.

Ich saß im Hotel, als mich ein Anruf erreichte, mit einer Einladung zu einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. Ich sagte zu und kurze Zeit später waren wir schon auf dem Weg nach Paphos. Ich saß in einer dunklen Limousine, vorn und hinten Jeeps mit schwer bewaffneten Kämpfern. Ich kam mir unheimlich wichtig vor. In einem schönen Strandrestaurant, dort wo angeblich die Aphrodite der griechischen Mythologie aus dem Meer gestiegen war, stoppte das Kommando. Ich wähnte mich im internationalen Journalismus angekommen. Nicht ein Gemeinderat von Sindelfingen saß mir gegenüber, sondern ein leibhaftiger Ministerpräsident.

Aber: Ich war von begnadeten Schlitzohren aufs Kreuz gelegt worden. Das merkte ich am nächsten Morgen, als mich der bestürzte deutsche Botschafter anrief: In der »Eleftheria« – der zyprischen »FAZ«, die ebenfalls Nikos Sampson gehörte – war ein langes Interview mit mir abgedruckt, mit der Aussage, der Westen sehe den Zypernkonflikt völlig falsch. Während ich geglaubt hatte, den Ministerpräsidenten zu befragen, hatte er mich interviewt. Nichts allerdings von dem, was in der Zeitung zu lesen war, entsprach der Wahrheit. Wie und vor allem wo aber sollte ich dementieren? Ein cleverer Coup von Sampson und seiner Zeitungsgang. Ich war frustriert und verärgert. Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Ein Interview – völlig frei erfunden. Vom Ministerpräsidenten persönlich. Mit scharfen Fotos aus einem schönen Strandrestaurant, dort wo angeblich die berühmte Aphrodite aus dem Meer gestiegen war. So lernte ich, dass Journalismus in Zypern eine andere Form von Propaganda war.

Möglicherweise aber war diese Geschichte für mich kurze Zeit später doch noch hilfreich – bei einem eigenen Coup, an dem ich tagelang gearbeitet hatte: Ich bekam ein Interview mit Makarios. Erzbischof Makarios III. war der Präsident Zyperns, ein verschlagener, gerissener Machtpolitiker und Sozialist. In der westlichen Presse galt er damals als Teufel in Menschengestalt, der »gefährlichste Mann der Welt«, eine Auszeichnung, die später noch einige andere Politiker des Nahen Ostens erhielten. Makarios war ein Medienstar und ein begehrter Interviewpartner, der seine Interviews zu dosieren wusste.

Mein Kameramann und ich hatten uns bei unserer Ankunft auf Zypern ein Cabrio gemietet, einen britischen »MGB«. Mit diesem Sportwagen flogen wir eines Tages aus einer Kurve – und unser Tonbandgerät von der Rückbank ins Gebüsch. Das Makarios-Interview war für den nächsten Tag vereinbart. Um 7 Uhr morgens saß ich aufgeregt im »Ledra Palace« beim Frühstück. Doch mein Kollege kam nicht. Schließlich stürmte ich in sein Zimmer. Dort saß er – das Tonbandgerät, in Einzelteile zerlegt, vor sich. »Des duet nemme!«,2 sagte er auf Schwäbisch. Ich war außer mir: »Bist du wahnsinnig? Ich habe die Möglichkeit, den Makarios zu interviewen und das Tonbandgerät läuft nicht?« Er gab sein Bestes, er schraubte und schraubte und ich saß wie auf Kohlen und schaute ihm zu, bis das Aufnahmegerät endlich doch funktionierte und wir losfahren konnten. Zum erzbischöflichen Palast im südlichen Teil Nikosias. Makarios selbst hatte ihn 1960 im neubyzantinischen Stil erbauen lassen, und noch heute ist er Sitz des amtierenden Erzbischofs von Zypern.

Von bärtigen jungen Geistlichen wurden wir in Empfang genommen und in den Park des Palastes geführt. Dort bauten wir unser Equipment auf – und warteten. Nach wenigen Minuten kam der Potentat. Oder besser: Er schwebte durch den Innenhof seines Palastes. Gestaltetes Gehen, alte orthodoxe Schule. Makarios war eine skurrile Figur, langer grauer Bart, schwarze Kutte, ein großes Kreuz um den Hals, bekannt von zahllosen Reportagen in Fernseh- und Printmagazinen. Er setzte sich, war freundlich, sprach in dunklem, tiefen Englisch – und ich begann, meine Fragen zu stellen. Seine Heiligkeit antwortete in sonorem Bass. Vor dem Interview hatte ich die Fragen einreichen müssen. Es waren zwölf. So hatte er zwölf Zettel vor sich, mit Stichworten zu seinen Antworten, die er, einen nach dem anderen, vor jeder neuen Frage einfach auf den Boden warf. Das sah wahnsinnig aus. Als ich ihm dann die dreizehnte Frage stellte, war der Rasen vor ihm übersät mit Zetteln: »Eure Heiligkeit, ist die Nummer 13 vielleicht Ihre Glückszahl?« Dann lachte der zyprische Erzbischof mit tiefer Stimme: »Ha, ha, ha! Perhaps it is my lucky number. Ha, ha, ha.« Und schwebte davon, wie er gekommen war. Das Interview wurde mein erster »Weltspiegel«-Beitrag.

Alles in allem waren neun oder zehn unserer Beiträge in der »Tagesschau« gesendet worden. Unser Ausflug nach Zypern hatte sich als lukrativ erwiesen – und für mich als eine wichtige Erfahrung. Zunächst aber musste ich wieder zurück in die »Abendschau«. Eine Umstellung. Ich hatte mich als Weltenerklärer versucht und jetzt ging es wieder nach Esslingen.

Aber der Zustand währte nicht lange. Ich wurde bei Redaktionskonferenzen und in meinen Filmberichten zunehmend aufmüpfiger und vielleicht auch etwas zu arrogant. Das erregte den Missmut von »SDR«-Fernsehdirektor Horst Jaedicke. Eines Tages nahm er mich auf dem Flur zur Seite und sprach mir die Kündigung aus: »I will di hier nemme säha!«3 Kurz und knapp, in seiner unnachahmlichen Art, in einer Mischung aus Hochdeutsch und Honoratioren-Schwäbisch. Und auch die Begründung hatte er parat: »Du muscht erscht mal diena lerna!«4