Ahnengeister & Palast der Nachtgeschöpfe: Zwei Romantic Thriller

Alfred Bekker

Published by BEKKERpublishing, 2015.

Inhaltsverzeichnis

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Ahnengeister & Palast der Nachtgeschöpfe

Copyright

Ahnengeister

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Palast der Nachtgeschöpfe

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Ahnengeister & Palast der Nachtgeschöpfe

Zwei Romantic Thriller

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 192 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält folgende zwei Romane:

Ahnengeister

Palast der Nachtgeschöpfe

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author ; Cover: STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Ahnengeister

Seltsame, unerklärliche Dinge geschehen im Leben einer jungen Anwältin in Kanada, seit sie einen indianischen Schamanen verteidigt, dem der Mord an einem Geschäftsmann zur Last gelegt wird und dessen Hotel mit Golfanlage auf dem Boden einer uralten indianischen Kultstätte errichtet wurde. Wird sie von rachsüchtigen indianischen Ahnengeistern verfolgt oder ist sie eher Opfer einer perfiden Verschwörung? Schon bald gibt es weitere Opfer...

1

"Sieh dort, Doug! Die Gestalt!", rief die hübsche Frau in den mittleren Jahren. Ihre Augen waren weit geöffnet. Sie biss sich unwillkürlich auf die Lippe und schluckte.

Doug McAllister ein grauhaariger Mann in den Fünfzigern legte die Stirn in Falten. In der einen Hand hielt er einen Drink während sein Blick durch die großen Fenster ging, die so kennzeichnend für das Victory-Hotel waren. Mit den Augen suchte er die sanften Hügel des gigantischen Golfareals ab, das sich um die ebenfalls überdimensionale Hotelanlage erstreckte.

"Wo, Clarissa?", fragte McAllister ungeduldig.

"Dort!" Clarissa McAllister, seine Frau, streckte einen ihrer schlanken Arme aus, während McAllister ungläubig gen Horizont starrte und dann den Drink zur Seite stellte. Er ging etwas näher zum Fenster.

"Mein Gott", flüsterte er. "Das darf doch nicht wahr sein..."

McAllister schluckte.

Auf einem der Hügel war eine seltsame Gestalt zu sehen. Von Ferne sah sie aus wie eine bizarre Kreuzung aus Bison und Mensch. McAllister erschien diese Gestalt im ersten Moment wie ein leibhaftiger Dämon aus der Geisterwelt indianischer Schamanen.

Aber natürlich wusste er, dass das nicht sein konnte. Er machte die Augen schmal.

Die Gestalt war ein halbnackter Mann, dessen Rücken von einem Bisonfell bedeckt war und auf dessen Kopf der ausgehöhlte Schädel wie eine Krone prangte - samt den gebogenen Hörnern.

Und die Gestalt tanzte in einem seltsamen, stampfenden Rhythmus.

"Das ist wieder dieser Verrückte!", schimpfte McAllister.

"Soll ich die Polizei rufen?", erkundigte sich Clarissa, deren Züge Besorgnis verrieten.

"Mach das. Aber die wird ohnehin zu spät kommen. Ruf alles zusammen, was im Moment an Hoteldetektiven vorhanden ist!"

"Gut!"

In diesem Moment betrat ein unscheinbarer Mann mit Halbglatze den Raum. Er war untersetzt und blass. "Mr. McAllister, ich müsste Sie dringen sprechen", erklärte er etwas zaghaft.

"Jetzt nicht, Mr. Baring!", fauchte McAllister.

"Aber..."

Baring brach abrupt ab, als McAllister ihm das Gesicht zuwandte und er den Gesichtsausdruck des anderen sah.

Baring schluckte.

Und dann stürmte McAllister hinaus, durch die gläserne Schiebetür ins Freie.

Die Luft war schwül und drückend. McAllister öffnete den Hemdkragen und lockerte die Krawatte. Er atmete schwer.

Während er die seltsame Gestalt auf dem Hügel tanzen sah war ihm, als schnürte ihm eine unbekannte Macht die Luft zu.

McAllister ballte unwillkürlich die Fäuste. Wut keimte in ihm auf. Unbändige Wut, gemischt mit namenloser Furcht. Dann sah er hinüber zu den Elektrowagen, mit denen die Golf spielenden Gäste das Terrain befuhren. McAllister fasste einen Entschluss. Er setzte sich in einen dieser Elektrowagen und fuhr los - geradewegs auf den tanzenden Mann im Bisonfell zu. Es war ein heißer Tag gewesen. Der Schweiß stand McAllister auf der Stirn, aber in der Ferne hatten sich die Wolken zu gewaltigen Türmen aufgeschichtet, die drohend über dem Land standen. Es würde ein Gewitter geben.

Schon wehten die ersten kühlen Winde über das Hügelland.

"Mr. McAllister, warten Sie!", rief ihm jemand hinterher. "Warten sie auf die Detektive, die werden diesen Kerl schon rauswerfen."

Aber McAllister hörte nicht darauf.

Er fuhr weiter.

Sein Blick war starr dabei. Der seltsame Tänzer war inzwischen auf McAllister aufmerksam geworden. Er blickte von seinem Hügel aus auf den Ankömmling herab. McAllister kannte ihn - nicht dem Namen nach, aber war ihm bereits einmal begegnet.

Der seltsame Indianer hatte ihm schon mehrfach aufgelauert und versucht, ihn zu erschrecken und einzuschüchtern.

Schließlich hatte McAllister den Hügel erreicht. Er sprang aus dem Elektrowagen und ging auf den Tänzer zu.

"Was machen Sie hier", schimpfte er. "Was fällt Ihnen ein, hier aufzutauchen?"

Der Mann war groß, etwa einen Kopf größer als McAllister und der war bereits kein kleiner Mann.

Seine Haut war bronzefarben, die Augen dunkel und ruhig.

Sein Blick ruhte auf McAllister.

"Sie befinden sich hier auf fremdem Grund und Boden, Mister", stellte McAllister fest. Aber das machte auf den Tänzer überhaupt keinen Eindruck.

Er stand da, fast wie zur Salzsäule erstarrt und sah McAllister nur an. Dann sagte er, langsam und mit dunkler Stimme: "Du bist verflucht, Doug McAllister."

"Was soll der Unsinn", rief McAllister. "Scheren Sie sich zum Teufel!"

Der Indianer verfiel in einen Singsang. Er riss sich einen Beutel vom Hals und hielt ihn in Doug McAllisters Richtung.

"Hören Sie auf, hören Sie endlich auf."

Der Indianer wurde ruhig. Seine dunklen Augen musterten McAllister. Dann wanderte sein Blick nach links. Die Hoteldetektive kamen heran - drei stämmige Männer in grauen Anzügen. Mit etwas Abstand folgte Clarissa.

"Das ist wieder dieser verrückte Indianer-Funktionär", meinte einer der Detektive. "Ich halte ihn für harmlos."

"Wenn Sie sich da mal nicht irren", knurrte McAllister. Er trat etwas näher an den Indianer heran.

"Du bist verflucht", wiederholte der Indianer seine düstere Drohung. Seine Stimme klang dunkel und die schreckliche Gewissheit, die aus ihr herausklang, ließ McAllister unwillkürlich frösteln.

"Du willst mir drohen", schrie McAllister.

"Ich drohe nicht", sagte der Indianer. "Ich kündige dir nur an, was geschieht."

"Und was soll das sein?"

"Der Tod ist dir gewiss. aber nicht nur das. Dein Geist wird ruhelos über diese Hügel irren, so wie die Geister unserer Ahnen, die unter dieser Erde liegen, die von Männern wie dir entweiht wurde."

Damit wandte sich der Indianer um und ging davon.

McAllister wandte sich an die etwas ratlos dreinblickenden Hoteldetektive.

"Was ist los? Wollen Sie gar nichts unternehmen?"

"Was sollen wir denn machen", meinte einer von ihnen." Wir kennen seinen Namen und seine Adresse und haben ihn schon mit Dutzenden von Anzeigen überhäuft."

In diesem Moment drehte David Three Hands, der Mann mit dem Bisonfell sich um und schrie: "Du bist so gut wie tot, McAllister!"

2

Madeleine Dubois war eine junge Anwältin, die alle ihre Examina mit Auszeichnung bestanden hatte. Sie war brünett und hatte das schulterlange Haar aufgesteckt, was ihr einen Hauch von Eleganz gab. Sie hatte inzwischen gelernt, dass es in ihrem Job nicht nur um das ging, was jemand konnte und wusste, sondern auch um das richtige Auftreten.

Madeleine konnte zufrieden mit sich sein. Sie hatte es geschafft, gleich nach dem Examen bei einer renommierten Anwaltskanzlei in Calgary, Kanada unterzukommen. Zwar stammte sie eigentlich aus dem französischsprachigen Teil Kanadas, aber da sie Englisch ebenso gut beherrschte wie Französisch, war das für sie zumindest beruflich kein Problem.

Allerdings vermisste sie manchmal schon die etwas ungezwungenere, leichtere Lebensart der Quebecois, wie sich die Einwohner der französischsprachigen Provinz Quebec selber nannten.

Madeleine parkte ihren Wagen vor dem Polizeihauptquartier der Stadt. Eine Organisation indianischer Aktivisten hatte ihrer Kanzlei das Mandat gegeben. Und da gerade niemand anderes zur Verfügung gestanden hatte, hatte der Boss sie damit beauftragt.

Madeleine lief die langen Flure des Amtsgebäudes entlang.

Ihre Schritte hallten in den Fluren wieder. Dann blieb sie vor einer bestimmten Zimmernummer stehen.

Sie klopfte an, wartete aber nicht auf das launige "Herein!", das ihr jemand zuknurrte.

Madeleine trat ein.

Hinter einem Schreibtisch saß ein junger, gutaussehender Mann, sicher nicht mehr als drei Jahre älter als sie. Er hatte ebenmäßige Züge und kurzes blondes Haar. Seine Haut war leicht gebräunt und seine Augen blau wie das Meer.

Eigentlich hatte Madeleine keinerlei Umschweife machen und sofort nach dem Angeklagten fragen wollen, dessen Interessen sie zu vertreten hatte. Aber der Blick dieser blauen Augen ließ sie verstummen. Und das Lächeln, das ihr entgegengebracht wurde zwang sie fast dazu, es zu erwidern.

Der Mann streckte ihr die Hand entgegen.

"Guten Tag, Ma'am. Ich bin Inspector Carlton. Was kann ich für Sie tun?"

"Madeleine Dubois. Ich bin Anwältin."

"Sie sind wegen David Three Hands hier?"

"So ist es."

"Schade", meinte er.

Madeleines Gesichtsausdruck wurde fragend.

"Weshalb?", erkundigte sie sich.

Carltons Gesichtsausdruck wurde breit. Dann meinte er: "Schade, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen, Miss Dubois."

"Ach, ja?"

"Es sieht nämlich schlecht für diesen David Three Hands aus. Sie werden nichts ausrichten können und das an mir auslassen. Dabei finde ich Sie eigentlich sehr sympathisch."

Madeleine war einen Moment lang etwas verlegen.

"Vielleicht sagen Sie mir einfach, was man Mr. Three Hands vorwirft!"

"Er hat einen Mann namens Doug McAllister ermordet, nachdem er ihn mehrfach bedrohte."

"Sie wollen sagen, dass er unter Verdacht steht!", korrigierte Madeleine ihn.

Er lächelte dünn. "Meinetwegen", gestand er zu. "Bei Doug McAllister, dem Ermordeten, handelt es sich um den Geschäftsführer von Victory Enterprises, einer Firma, der das Victory-Hotel samt dem umliegenden Golfareal gehört... Sie haben sicher schon davon gehört. Eine Nobelunterkunft."

Madeleine nickte. "Gehört habe ich davon", meinte sie. "Wenn Sie mir jetzt bitte die konkreten Verdachtsmomente gegen meinen Mandanten nennen und mich dann mit ihm sprechen lassen würden, Mr. Carlton."

"Sie können mich Ray nennen."

"Vielleicht später mal, Inspector."

Ray Carlton zuckte die Achseln.

"Wie Sie meinen."

"Also?" Madeleine hob die Augenbrauen.

"Das Hotel, dessen Geschäftsführer Mr. McAllister war, liegt angeblich auf einem uralten Indianerfriedhof. Und David Three Hands ist einer dieser radikalen Indianer-Aktivisten, die seit Jahren dafür prozessieren, dass ihnen ihr altes Land zurückgegeben wird..."

"Ist das nicht irgendwie zu verstehen?", erwiderte Madeleine. "Schließlich hat man es ihnen auf ziemlich unfeine Art weggenommen."

"Schon wahr. Aber Leute wie Three Hands gehen noch weiter. Sie behaupten, die Geister der Ahnen würden ruhelos über die Hügel umherziehen und sich für den Frevel rächen, der ihnen mit dem Bau der Hotelanlage angetan worden war. Lange Zeit hat sich nämlich niemand für das Gelände interessiert, auch die Indianer nicht - bis Victory Enterprises es aufgekauft und etwas daraus gemacht hat."

"Ist das alles, was Sie gegen Mr. Three Hands in der Hand haben, Sir?", fragte Madeleine spitz.

"David Three Hands hat McAllister mehrfach seinen Tod angekündigt und ihn damit terrorisiert, dass der Fluch der Ahnengeister auf ihm laste und er so gut wie tot sei. Aber nicht nur das! Seine Seele sei dazu verdammt, ebenso ruhelos umherzuwandern wie die Geister jener Toten, die das Victory Hotel in ihrer Ruhe störe. Das letzte Mal tauchte Three Hands am Tag vor McAllisters Tod in der Hotelanlage auf und bedrohte ihn. Dafür gibt es zahlreiche Zeugen, unter anderem Clarissa McCallister, seine Witwe."

"Haben Sie noch mehr?"

Madeleine gab sich Mühe, möglichst unbeeindruckt zu wirken.

Der Job einer Rechtsanwältin hatte viel mit dem eines Pokerspielers gemein - man durfte seine Karten auf keinen Fall zu früh aufdecken, sonst musste der Mandant dafür am Ende büßen.

Ray Carlton seufzte.

Dann öffnete er eine der Schubladen in seinem Büro und holte einen kleinen, ledernen Beutel heraus und hielt ihn Madeleine hin.

"Was ist das?", fragte sie stirnrunzelnd. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Das Leder war fleckig und hatte bereits etwas Schimmel angesetzt.

"Das ist eine indianische Zaubermedizin", erklärte Carlton. "Der Inhalt ist ziemlich unappetitlich. Three Hands hat McAllister dieses Ding gezeigt, während er seine Drohungen aussprach. Und als wir die Leiche fanden, lag dieser Beutel auf der Brust des Toten - etwa eine Handbreit unterhalb der Stelle, an der der Griff eines Indianermessers aus seiner Brust ragte."

Madeleine machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das wird nicht der einzige Medizinbeutel dieser Art sein, den es hier in Calgary gibt."

Carlton grinste breit.

"Nein, sicher nicht. Aber sicher einer der wenigen, auf dem sich die Fingerabdrücke eines gewissen David Three Hands befinden!"

Jetzt konnte Madeleine ihr Erstaunen nicht verbergen.

Dieser Fall sah wirklich nicht besonders vielversprechend aus. "Sie können ja nichts dafür", sagte Carlton.

"Sie brauchen mich nicht zu trösten."

"Wollen Sie jetzt mit Mr. Three Hands reden?"

"Ja. Und zwar allein."

"Gut", nickte Carlton. "Er sitzt im Nebenzimmer. Mein Kollege unterhält sich gerade mit ihm - oder versucht es zumindest."

Madeleine stutzte. "Was soll das heißen?"

Carlton zuckte die Achseln.

"Dieser Schamane scheint nicht mit jedem zu reden - oder er bevorzugt die Geister der Verstorbenen als Gesprächspartner.

Uns sagt er jedenfalls nichts."

"Das ist sein gutes Recht, Inspector Carlton!", belehrte Madeleine ihn.

"Ray! Bitte!" Sein Lächeln war einfach zu charmant, um wahr zu sein und obwohl Madeleine sich aus Prinzip vorgenommen hatte, es nicht zu tun, hörte sie sich selbst sagen: "Also gut. Ray."

3

Nachdem Carltons Kollege den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, war Madeleine mit David Three Hands allein.

Der Indianer saß in Handschellen da.

Sein Blick war ruhig, fast apathisch und vollkommen in sich gekehrt, so als würde er in seiner eigenen Welt leben. Sein Alter war schwer zu schätzen. Mindestens 35, dachte Madeleine, wahrscheinlich älter. Seine Gesichtszüge waren markant und hart. Einige furchenartige Falten durchzogen dieses Gesicht, die fast wie Narben wirkten. Die hervorspringende Adlernase und das spitze Kinn gaben ihm ein kühnes Profil.

Er trug seine blauschwarzen Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden.

"Guten Tag, Mr. Three Hands. Ich bin Madeleine Dubois, Ihre Anwältin. Die Red Indian Rights Foundation, der Sie ja auch angehören, hat mich beauftragt, Sie zu vertreten. Sind Sie damit einverstanden?"

Es kam keine Antwort.

Der Indianer saß da wie eine Statue und blickte ins Nichts.

"Darf ich Sie David nennen?", fragte Madeleine, während sie gegenüber, auf der anderen Seite des Schreibtischs, der sich in der Raummitte befand, Platz nahm.

Seine Antwort war Schweigen.

"David, es sieht nicht gut für Sie aus. Und wenn Sie wollen, dass ich Sie hier heraushole, dann müssen Sie mir schon helfen. Sonst kann ich nichts für Sie tun!" Madeleine hörte ihrer eigenen Stimme zu, als wäre es die Stimme einer Fremden. Es war vergeblich. Verzweifelt fragte sich die junge Frau, wie sie durch den Nebel aus Apathie, der diesen Mann zu umgeben schien, zu ihm durchdringen konnte.

Eine Weile schwiegen sie. Madeleine stand auf, musterte David einen Augenblick lang und trat dann ans Fenster.

Sie war ratlos, dann drehte sie sich plötzlich um und fragte: "Von welchem Stamm sind Sie, David?"

Er wandte den Kopf und sah sie an. Seine erste Reaktion.

Vielleicht war das ein Zeichen, das zur Hoffnung berechtigte...

"Blackfeet", sagt er mit dunkler Stimme. "Ich gehöre zum Stamm der Blackfeet. Aber meine Großmutter war eine Crowe."

"Sie sind Schamane?"

"Medizinmann."

"Sie sprechen mit den Geistern?"

"Ja."

"Wie machen Sie das, David?"

"Sie können sie nicht hören. Für Sie ist die Welt stumm, aber für mich ist sie voller Stimmen."

"Ich verstehe", sagte Madeleine.

David Three Hands schüttelte energisch den Kopf und erwiderte ruhig, aber sehr bestimmt: "Nein, das können Sie nicht verstehen."

"Weil ich eine Weiße bin?"

"Für lange Zeit hat es selbst in unserem Volk niemanden mehr gegeben, der diese Dinge verstanden hat. Unsere Sitten, unsere Kultur, unsere Religion... Alles drohte in Vergessenheit zu geraten. Es hat lange gedauert, bis wir uns wenigstens ein Teil des Wissens, das unsere Vorfahren hatten, wieder aneignen konnten."

Madeleine hörte ihm nachdenklich zu. Seine Stimme hatte einen ernsten Unterton. Sie hoffte, dass er wenigstens ein bisschen Vertrauen zu ihr gefaßt hatte.

"Der Inspector hat mir einen Lederbeutel gezeigt..."

"Die Medizin!"

"Was hat es damit auf sich! Was bedeutet das?"

"Ein Zauber!", erklärte der Indianer ruhig. "Ein sehr mächtiger Zauber..." 

Madeleine wurde hellhörig. "Ein Zauber, der Doug McAllister töten sollte!", schloss sie und ihre Stimme hatte dabei einen harten Klang bekommen. In den Augen des Medizinmannes blitzte es. Er funkelte sie an. Und Madeleine fuhr fort: "Sie haben versucht, ihn mit einem Zauber zu töten, ist das richtig? An der Medizin waren Ihre Fingerabdrücke. Sie stammt also von ihnen..."

"Ja."

"Haben Sie McAllister getötet?"

"Doug McAllister starb nicht durch mich", erklärte er im Brustton fester Überzeugung.

"Nein?"

Madeleine war froh, dass das Gespräch endlich den Kern der Sache berührte. Jetzt nur nicht lockerlassen!, sagte sie sich selbst.

"Es war der Fluch der Geister unserer Ahnen. Durch sie ist er gerichtet worden."

"Und das Messer, das man ihm in die Brust gestoßen hat?"

"Mehr kann ich nicht sagen."

Jetzt ging die Tür auf. Ray Carlton kam herein. "Das dürfte reichen", erklärte der Inspector.

Madeleine wandte sich an Carlton und fragte: "Haben Sie außer dem Medizinbeutel noch einen anderen Hinweis, der darauf hindeutet, dass Mr.Three Hands der Mörder ist?"

"Reicht das nicht?"

"Keine Fingerabdrücke am Messer?"

"Nein. Sie können sich auf den Kopf stellen, aber Mr. Three Hands bleibt vorerst hier! Nachher entscheidet der Haftrichter, was passieren wird, aber glauben Sie mir, er wird darüber genauso denken wie ich. Mr. Three Hands ist nämlich alles andere als ein unbescholtener Bürger..."

"Ach, was Sie nicht sagen..."

"Ein Alibi für die Tatzeit hat er auch nicht. Angeblich kann er sich nicht erinnern..."

Madeleine atmete tief durch, dann ging sie an Carlton vorbei durch die Tür.

"Seien Sie eine gute Verliererin, Madeleine!", rief Ray Carlton ihr nach.

Madeleine drehte sich herum. "Habe ich Ihnen erlaubt, mich so zu nennen?"

Carlton lächelte. "Gibt es einen Paragraphen, der dagegen spricht?", antwortete er mit einer Gegenfrage.

4

Es kam genau so, wie Ray Carlton prophezeit hatte. Der Richter ließ David Three Hands in Haft. Und nach allem, was Madeleine während ihres Studiums gelernt hatte, hatte er auch kaum eine andere Wahl gehabt. Die Fakten waren einfach zu eindeutig und sprachen eine deutliche Sprache. Alles schien darauf hinzudeuten, dass David Three Hands nicht allein auf die Kraft indianischer Magie vertraut hatte. Diese anzuwenden war ja nicht strafbar. Gegen Flüche, Verwünschungen und Hexenrituale aller Art gab es keine Gesetze. Gegen Mord allerdings schon.

Madeleine kehrte zurück zu dem großen Bürokomplex, in dem die Kanzlei Langford & Smith eine Büroetage gemietet hatte.

"Na, Erfolg gehabt?", begrüßte sie Simon Langford, ein hoch aufgeschossener dunkelhaariger Mann, etwa in ihrem Alter.

Simons Examen war zwar nicht ganz so blendend gewesen wie Madeleines, aber er hatte ihr dennoch eine entscheidende Tatsache voraus. Er hieß Langford und war der Sohn von John Langford, einem der beiden Teilhaber der Kanzlei. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass er sich Fehler erlauben durfte - sie hingegen nicht.

"Es dürfte nicht so einfach sein, diesen Medizinmann zu verteidigen", gab Madeleine dann zu und fasste Simon kurz ihr Gespräch mit David Three Hands zusammen.

"Wer untersucht den Fall?"

"Inspector Carlton."

"Ray Carlton?"

"Ja."

"Ein unangenehmer Kerl", meinte Simon. "Ich hatte auch schon mal in einer Strafsache mit ihm zu tun..."

"Den Eindruck hatte ich eigentlich nicht", murmelte Madeleine, während sie sich an den Blick von Ray Carltons blauen Augen erinnerte. Dafür, dass die Beweislage für ihren Mandanten schlecht war und sie im Moment auf verschiedenen Seiten standen, konnte er ja nichts.

"Ach, nein?", echote Simon.

"Er macht seinen Job."

Simon musterte sie einen Augenblick lang nachdenklich. Seit dem ersten Tag, da sie hier bei Langford & Smith angefangen hatte, hatte er ihr gewissermaßen den Hof gemacht. Es war überdeutlich, was er wollte.

Aber Madeleine hatte mit ihm nichts im Sinn. Er sah zwar gut aus und hatte Charme, aber da war noch etwas anderes an ihm, das sie störte und zurückschrecken ließ.

Etwas Kaltes, Unmenschliches, bei dem man frösteln konnte.

"Naja", meinte Simon. "Ich habe es ja von Anfang an für einen Fehler gehalten, diese Indianersache zu übernehmen. Schließlich könnten wir es uns dadurch mit anderen, wichtigen Mandanten verderben."

Madeleine zuckte die Achseln. "Dein Vater war anderer Meinung."

Er nickte.

"Ich weiß", gab er zu. "Er wird es wohl nicht mehr lernen, unseren Beruf eher von der Business-Seite her zu sehen..."

Madeleine sah ihn kühl an und erklärte: "Dein Vater hat eben noch die vielleicht altmodische Vorstellung, dass eine gute Verteidigung jedem zusteht..."

"Na, wie ich sehe, seid ihr euch in dem Punkt ja einig", erwiderte Simon. "Übrigens wartet jemand in deinem Büro auf dich."

"Wer?"

"Geh hinein, dann siehst du es!"

Und damit ging er an ihr vorbei.

5

In Madeleine Dubois' Büro wartete ein alter, grauhaariger Mann mit dunklem Teint. Er war hager und trug ein Paar blauer Jeans und ein schwarz-weißkariertes Hemd. Der ruhige Blick seiner dunklen Augen kam Madeleine von irgendwoher bekannt vor und ließ sie unwillkürlich stutzen.

"Guten Tag", sagte sie etwas zögernd.

Der Mann reichte ihr die große, kräftige Hand.

"Guten Tag. Sie sind Miss Dubois?"

"Die bin ich."

"Mein Name ist Jack Three Hands."

"Dann sind sie..."

"...Davids Vater, so ist es."

"Ich verstehe." Madeleine legte ihre Aktenmappe auf den Tisch und ging zur Kaffeemaschine. "Möchten Sie auch eine Tasse?"

"Nein, danke. Was ist mit David?"

Madeleine seufzte. Dann fasste sie knapp zusammen, was es dazu zu sagen gab und erklärte dann, nachdem sie mit ihrer Kaffeetasse zum Schreibtisch zurückgekehrt war: "Vielleicht können Sie Ihrem Sohn helfen."

"Wie?"

"Indem Sie mir von ihm erzählen. Er war nämlich leider bislang nicht sehr auskunftsfreudig..."

"Gut. Wissen Sie, David lebt bei uns. Er hat genau wie ich auf dem Bau gearbeitet. Dort beschäftigt man Indianer gerne, weil sie schwindelfrei sind. Zumindest, sofern sie nichts getrunken haben."

"Und jetzt?", fragte Madeleine.

"Seit er sich für diese Red Indians Rights Foundation einsetzt, hat sich alles geändert. Er begann sich für das Brauchtum unserer Vorfahren zu interessieren, insbesondere für ihren Schamanismus. Er gab seinen Job auf und verbrachte einen Sommer bei einem selbsternannten Medizinmann, unten in Wyoming. Seitdem ist er völlig verändert, spricht mit Geistern und glaubt, die Weißen mit Zauberei vertreiben zu können..."

"Das klingt nicht, als würden Sie die Ansichten Ihres Sohnes teilen."

"Das tue ich auch nicht. Es ist eine Sache, Prozesse zu führen und für die Rechte unseres Volkes einzutreten - aber dieser mystische Hokuspokus bringt keinen von uns weiter. Man mag es bedauern, aber die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Niemand kann das, auch mit mächtiger Zauberei nicht. Wir leben in der Welt des weißen Mannes und jeder von uns tut gut daran, sich so gut wie möglich anzupassen." Jack Three Hands atmete tief durch. Schmerz war in seinen Zügen zu lesen.

Seelischer Schmerz. "Mein Sohn verachtet mich dafür, dass ich so denke..."

Madeleine ließ ihm eine kleine Pause, dann sagte sie: "Doug McAllister wurde am 17. dieses Monats etwa um 22.00 Uhr getötet. Wissen Sie, wo Ihr Sohn zu dieser Zeit war?"

"Nein."

"Wenn wir jemanden finden würden, der bezeugen könnte, wo er gewesen ist, würde ihm das sehr helfen."

Jack nickte. "Ich werde mich umhören."

6

Madeleine hatte noch einigen Schreibkram in ihrem Büro zu erledigen. Und dann stand noch eine Konferenz bei der Kanzlei tätigen Anwälte auf ihrem Plan. Der alte Langford, ein freundlicher, aber sehr bestimmter älterer Herr mit fast ganz ergrauten Haaren, wollte immer genau wissen, wie weit die einzelnen Mitarbeiter in ihren Fällen waren. Das sei er den Klienten schuldig, so war seine Devise.

Madeleine war ziemlich geschlaucht nach diesem Tag. Aber der Fall David Three Hands ging ihr nicht aus dem Kopf. Um Routine bei einer solchen Sache empfinden zu können, war sie wohl noch zu jung. Madeleine fragte sich, wann das wohl kam.

Reichten fünf Jahre als Anwalt dafür? Oder zehn? Vielleicht gab es auch Menschen, bei denen dieser Beruf nie zur Routine wurde...

Jedenfalls ging der Indianer ihr nicht aus dem Kopf. Seine ruhige, bestimmte Art und das, was er über den Fluch der Ahnengeister gesagt hatte, der Doug McAllister angeblich ereilt hatte.

David schien felsenfest davon überzeugt zu sein.

Madeleine fragte sich, ob es vielleicht etwas brachte, ihn einem Lügendetektor-Test zu unterziehen.

Sie war gerade in ihren Wagen gestiegen und hatte den Gang eingelegt, da fasste sie einen Entschluss.

Ich werde mir dieses Victory-Hotel mal aus der Nähe ansehen, überlegte sie. Sie hatte einfach das Gefühl, dass sie hier allein mit dem Studium von Akten und Gesetzestexten nicht weiterkam. Sie wollte wissen, worum es hier wirklich ging.

Sie fühlte ein leichtes Kribbeln in der Magengegend, so als ahnte sie bereits, dass sie sich mit dieser Entscheidung in Dinge verstrickt hatte, die...

Es war nur eine düstere Ahnung, nicht mehr. Und Madeleine hielt sich für eine Realistin und wischte sie mit einer fahrigen Geste hinweg, mit der sie sich eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht entfernte.

Bis zum Victory-Hotel, draußen vor der Stadt, war es nicht besonders weit und verkehrstechnisch lag das Nobelhotel auch äußerst günstig. Trotzdem brauchte Madeleine länger, als sie gedacht hatte. Es war Rush Hour und alle Welt wollte jetzt nach Hause.

Die Eingangshalle des Victory war mit edlem, dunkelblauem Teppichboden ausgelegt, der das Geräusch der Schritte stark abdämpfte. Man fühlte sich wie in Watte gepackt, wenn man darüberlief.

"Sie sehen so ratlos aus, junge Frau", hörte sie hinter sich jemanden sagen.

Sie drehte sich um und blickte in das Gesicht eines dunkelhaarigen Manne mit starken Augenbrauen und grün funkelnden Augen.

Er lächelte, aber in diesem Lächeln lag eine gewisse Härte, die Madeleine nicht gefiel.

"Oh, entschuldigen Sie mich. Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Mark Kendricks. Ich bin einer der Manager dieses Hotels."

"Madeleine Dubois. Ich... Ich bin Anwältin."

"Vertragsrecht?"

"Strafsachen."

Kendricks hob die Augenbrauen. "Ah, ich begreife. Dann vertreten Sie sicher Mrs. McAllister. Sie hat mir gesagt, dass sie sich anwaltlich beraten lassen will... Die Ärmste, verliert ihren Mann durch einen verrückten Medizinmann, und dann wird der Fall auch noch durch einen ziemlich unfähigen Inspektor bearbeitet. Mrs. McAllister hat mit Ihnen sicher eine gute Wahl getroffen. Sehen Sie der Polizei auf die Finger und verhindern Sie, dass dieser verrückte Rote am Ende für unzurechnungsfähig erklärt und in ein Sanatorium geschickt wird!"

Madeleine lächelte geschäftsmäßig und erwiderte dann, in die erste Pause hinein, die Kendricks machte: "Ich muss Sie enttäuschen. Ich vertrete nicht die Witwe des Ermordeten, sondern den verrückten Medizinmann, wie Sie ihn genannt haben."

"Oh..." Das schien für ihn wie ein Schlag vor den Kopf zu sein, den er erst einmal verdauen musste. Und das dauerte einen Moment.

"Wir können uns aber trotzdem ein bisschen unterhalten", meine Madeleine und setzte dabei das charmanteste Lächeln auf, das sie herbeizuzaubern in der Lage war. "Sehen Sie, ich würde gerne etwas mehr über die Umstände wissen."

"Es passierte in der Suite, die die McAllisters bewohnen. Sie ist jetzt von der Polizei versiegelt..."

"Das meine ich nicht."

"Nein?" Er hob seine dichten Augenbrauen. Sein durchdringender Blick musterte sie prüfend.

"Was war McAllister für ein Mensch... Sie haben doch zusammen gearbeitet..."