Cover

Oliver Maria Schmitt

Mein Wahlkampf

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Oliver Maria Schmitt

Oliver Maria Schmitt, geboren 1966, ehemaliger Chefredakteur der politischen Kampfschrift «Titanic», ist Romancier («Der beste Roman aller Zeiten»), Journalist (Henri-Nannen-Preis 2009) und Ehrenvorsitzender der PARTEI. Und alter Politprofi: Mit zweiundzwanzig kandidierte er für den baden-württembergischen Landtag, mit fünfundzwanzig für das Amt des Oberbürgermeisters seiner Heimatstadt Heilbronn. Bei den Wahlen zum Oberbürgermeister von Frankfurt am Main erreichte er 2012 das beste Großstadt-Ergebnis der PARTEI seit Kriegsende, bei den Bundestagswahlen im Herbst 2013 tritt er als Spitzenkandidat an.

Über dieses Buch

Wie funktioniert Politik? Wer hat die Macht? Und wie kommt man da möglichst schnell ran? Dieser Mann muss es wissen: 2012 kämpfte Oliver Maria Schmitt hundert Tage lang um das Amt des Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main. Er begann diese Kampagne als Mensch – und endete als Politiker. Nun, zur Bundestagswahl 2013, tritt er als Kanzlerkandidat an und erzählt alles über den Weg nach ganz oben, offen und schonungslos: wie man die richtige Partei findet und sie für die eigenen Zwecke missbraucht. Wie grenzenlose Heuchelei und faule Kompromisse das tägliche Handeln bestimmen. Wie man zur Phrasendreschmaschine mutiert, zur Fototapete, zum Objekt stumpfer Begierden. Er berichtet, wie man dabei seine letzten Freunde verliert und stattdessen umgarnt wird von Industriemagnaten und Speichelleckern. Und wie man sich so schmieren lässt, dass es nicht auffällt und am Ende noch was übrig bleibt ...

«Mein Wahlkampf» erzählt vom härtesten Fight, den man auf deutschem Boden legal austragen kann. In Oliver Maria Schmitts gnadenlos komischem Selbstexperiment geht es um Macht, Drogen und Sex, um den Wahn, noch besser aussehen zu wollen als Berlusconi und Guttenberg zusammen, um Merkel und Machiavelli, um Barschel, Brandt und Brüderle – und natürlich um die alles entscheidende Frage: «Wollt ihr den totalen Wahlsieg?»

Impressum

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2013

Copyright © 2013 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Lektorat Frank Pöhlmann und Christoph Schmaus

Umschlaggestaltung Frank Ortmann, Berlin

(Umschlagabbildungen: freiraum photos/Ulla Kühnle)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-87134-757-3 (1. Auflage 2013)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-11421-0

www.rowohlt-digitalbuch.de

 

Anmerkung: Die Seitenangaben im Bildnachweis beziehen sich auf die Seitenzahlen der Printausgabe.

ISBN 978-3-644-11421-0

Wahlkampf ist immer unpolitisch.

Gerhard Schröder

Bei uns ist ein Berufspolitiker im Allgemeinen weder ein Fachmann noch ein Dilettant, sondern ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft.

Richard von Weizsäcker

Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du.

Mahatma Gandhi

Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles.

Theodor W. Adorno

Die Show

Wie man bei Günther Jauch für Stimmung und Stimmen sorgt

Deutschland, ein paar Wochen vor der Bundestagswahl, Sonntagabend, Viertel vor zehn. Günther Jauch begrüßt die Zuschauer seiner wöchentlichen ARD-Talkshow. Stolz teilt er mit, wen er heute alles in der Sendung hat: nicht nur Kanzlerin Angela Merkel, sondern auch Möchtegern-Kanzler Peer Steinbrück. Dazu Gregor Gysi von der Linken, Katrin Göring-Eckardt von den Grünen und das FDP-Maskottchen Rainer Brüderle. Und dann noch: mich! Persönlich! Ich kann es kaum fassen, dass ich tatsächlich dabei bin. Hinter der Studiokulisse schaue ich mir die Show auf einem Monitor an. Gleich wird mich Jauch auf die Bühne rufen.

Jauch: Schönen guten Abend und ein herzliches Willkommen hier aus dem Gasometer, live in Berlin. Ich begrüße Sie zu unserem großen Wahl-Spezial. Wir wollen heute nicht so sehr über Parteipolitik und Wahlen reden, sondern über ein Thema, das die Politik generell betrifft: Glaubwürdigkeit. Überall sinkt die Wahlbeteiligung, die Politikverdrossenheit wächst. Ist Politik nur noch ein Geschäft? Sind unsere Politiker noch ehrlich, aufrichtig und verlässlich?

Ich bin gespannt, wie meine Gäste das heute Abend sehen. Es ist kaum zu glauben, aber wir haben es tatsächlich geschafft, und wir sind auch ein bisschen stolz, dass wir Ihnen das hier im Ersten bieten können: eine Art Vorwahl-Elefantenrunde mit allen Beteiligten. Wir haben die Spitzenkandidaten sämtlicher großer Parteien bei uns in der Sendung. Ich freue mich auf diese Gäste.

Jetzt werden die Gäste einer nach dem anderen angetrailert und im Studio platziert. Angela Merkel geht an mir vorbei auf die Bühne, ihr gebührt natürlich der Vortritt, sie ist die Platzhirschin. Kann man das sagen? Ist sie nicht eher die Platzkuh? Die Platzhirschkuh? Auf jeden Fall ist sie die Kanzlerin – und erklärt mit der ihr eigenen regungslosen Mimik, das auch bleiben zu wollen.

Merkel: Ich bin gewählte Kanzlerin, und ich habe vor, das auch zu bleiben.

Warum wollen Politiker eigentlich immer ewig im Amt bleiben? Ihre Pensionsansprüche sind doch längst gesichert! Warum also nicht ein Abschied in Ehren, warum nicht mal einen Jüngeren ranlassen – beispielsweise mich? Meine Pensionsansprüche sind nämlich alles andere als gesichert. Stattdessen merkelt sie im Sessel vor sich hin, ihre Mundwinkel scheinen am tiefen unteren Kinnrand festgetackert. Was sie sagt, ist einfach zu dröge. Endlich kommt Peer Steinbrück, das allerletzte Aufgebot der SPD.

Jauch: Herr Steinbrück, vor zwei Jahren hat der Spiegel Sie zusammen mit Helmut Schmidt auf der Titelseite gezeigt, darüber stand das Schmidt-Zitat: «Er kann es». Glauben Sie immer noch, dass Sie es können?

Steinbrück: Ich säße sonst nicht hier. Ich bin angetreten, diese Wahl zu gewinnen, Herr Jauch. Und ich werde sie gewinnen. Was die Umfragen sagen, das ist mir, und das muss ich jetzt mal so sagen, schietegal.

Jauch: Aber wie wollen Sie Ihre Wähler jetzt noch mobilisieren? Seit der Bekanntgabe Ihrer Kandidatur sind Sie in den Umfragen ständig gesunken.

Steinbrück: Diese Art von Panikmache, Herr Jauch, die geht mir am Allerwertesten vorbei, wenn ich das mal so sagen darf. Wenn ich verliere, dann liegt das nur daran, dass Frau Merkel ’nen fetten Frauenbonus hat. Da bin ich ganz klar benachteiligt.

Merkel: Ich glaube eher, dass Sie inhaltlich benachteiligt sind, Herr Steinbrück. Wenn Sie Inhalte hätten, die die Wähler interessieren würden, dann müssten Sie nicht auf diesem suboptimalen Niveau argumentieren.

Steinbrück: Sie spulen doch hier nur ganz billige Polemik ab, Frau Merkel, so richtig billige Frauenpolemik, das muss ich als Mann mal aussprechen dürfen, ich lass mich doch nicht verbiegen.

Jauch glättet die Wogen und bittet die restlichen Gäste – bis auf mich – ins Studio: Katrin Göring-Eckardt schwebt mädchenhaft ein, Gysi stapft verschmitzt grinsend zu seinem Sessel, nur Brüderle geht etwas unsicher. Er hat sich offenbar schon in der Bundestagskantine intensiv auf die Sendung vorbereitet.

Jauch: Herr Gysi, die Linke dümpelt bei Umfragen solide unter fünf Prozent. Glauben Sie nicht, dass Ihre Partei mit einem Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine besser aufgestellt gewesen wäre?

Gysi: Es kann nur einen Superstar in der Partei geben, das war schon in der SED so. Und das bin nun mal ich.

Brüderle: Desselbbe habbisch dem Rösler auch gesaacht, hahaha.

Jauch: Der Politik fehlt ja heute vor allem die Glaubwürdigkeit. Meinen Sie nicht, Herr Steinbrück, dass Sie mit Ihren – ich sage jetzt mal «Wortmeldungen» – auch dazu beigetragen haben?

Steinbrück: Nee, glaub ich nich. Politik hat ja auch was mit Anständigkeit zu tun, nich. Dazu gehört zum Beispiel, dass Vorträge auch anständig bezahlt werden, alles andere wäre ja eine soziale Ungerechtigkeit, und das ist mit der deutschen Sozialdemokratie nicht zu machen. Frau Merkel, sind Sie eigentlich mit Ihrem Gehalt zufrieden?

Merkel: Das werde ich Ihnen gerade sagen.

Gysi: Jeder Euro, den Frau Merkel einsteckt, fehlt der Hartz-IV-Empfängerin in Marzahn.

Göring-Eckardt: Lassen Sie mich bitte aus dem Spiel.

Noch immer stehe ich nervös hinter den Kulissen. Endlich werde ich reingerufen. Ich bin gut vorbereitet, habe mich von meinem Wahlkampfstab briefen und präparieren lassen, kenne die Faktenlage und werde versuchen, immer persönlich zu werden, wenn Sachlichkeit gefragt ist. Damit ich mich von den anderen abhebe.

Jauch: Und nun begrüße ich noch einen – ich glaube, man muss es so sagen – Ausnahmegast. Denn seine Partei ist noch gar nicht im Bundestag vertreten. Die Hochrechnungen sind aber so deutlich – sie sagen klar den Einzug in den Bundestag voraus –, dass wir ihn einladen mussten. Hier ist der Spitzenkandidat der Partei «Die PARTEI», hier ist Oliver Maria Schmitt!

Ich: Also ich wäre mit dem Kanzlergehalt hochzufrieden. Ich habe gehört, dass es da auch noch Zulagen gibt.

Jauch: Das mag sein. Aber zunächst zu Ihrer Person: Ihre «Partei», so nenne ich die jetzt mal, hat Sie allen Ernstes als «weißen Obama» angekündigt. Glauben Sie denn, dass Sie die Hoffnungen der Menschen, die Sie wählen, erfüllen können? Sehen Sie sich als Lichtgestalt?

Ich: Ihre billige Häme können Sie sich sparen, Herr Jauch. Als Ehrenvorsitzender der Partei «Die PARTEI», der ich nun mal bin, steht mir nach unserem Parteistatut auch das Führen des Titels «Lichtgestalt» zu. Und wenn ich mich hier so umsehe – im Kreis so vieler Dunkelmänner und unterbelichteter Damen ist es wirklich keine Kunst, wenigstens als kleine Leuchte dazustehen.

Ein Murren geht durch die Runde. Jauch macht abwiegelnde Handzeichen.

Ich: Ich werde mit dem Claim «Occupy Bundestag» mit meiner Partei erstmals ins Hohe Haus einziehen und mir dann als «Kanzler der Herzen» einen warmen Platz im Bewusstsein der Wähler sichern. Wir gehen von fünfzig Prozent plus FDP aus, alles andere wäre eine Katastrophe. Ich bin deshalb so zuversichtlich, weil ich die wichtigste Grundvoraussetzung für eine politische Karriere mitbringe: Ich bin selbstbewusst und für alles offen.

Jauch: Man könnte auch sagen: eitel und ahnungslos. Politik ist ein schmutziges Geschäft, das sagen viele. Gerade der Fall Wulff hat ja wieder mal gezeigt, in welche Abgründe der Erfolgsdruck einen Politiker führen kann. Das hat die ohnehin schon verbreitete Politikverdrossenheit noch verstärkt.

Merkel: Ich muss den Herrn Wulff, den ich ja jetzt persönlich nicht mehr kenne, da mal ein bisschen in Schutz nehmen, er hat immerhin …

Steinbrück: Lassen Sie doch die Toten ruhen, Frau Merkel. Es war ganz klar ein Fehler, dass Sie Wulff als Bundespräsidenten durchgeboxt haben.

Brüderle: Ischhädds auch gemachd, haha, chrrwm.

Ich: Also ich muss sagen, dass mir der Fall Wulff unheimlich Mut gemacht hat. Er hat doch gezeigt, dass es auch eine absolute Null, ein Totalversager bis nach ganz oben schaffen kann – wenn er zum richtigen Zeitpunkt irgendwo im Weg rumsteht und die Hand aufhält. Da möchte ich auch gerne hin.

Gysi: Der Wähler will keine politisch korrekten Menschen, sondern menschlich korrekte Politiker!

Göring-Eckardt: Wie mich.

Ich: Mein Reden seit 45.

Im teuren roten Maßanzug macht man auch mit billigen Entscheidergesten eine passable Politikerfigur.

Jauch: Da sind wir doch schon beim Glaubwürdigkeitsproblem. Herr Schmitt, was erwidern Sie auf den Vorwurf, Sie würden nur in die Politik wollen, um sich zu bereichern?

Ich: Jeder will sich bereichern – aber ich stehe auch ganz offen dazu. Das macht mich menschlich und berechenbar. Wer sich nicht selbst einbringt und engagiert, erlaubt nur den anderen, abzukassieren – und das kann es ja nicht sein. Wie alle hier in der Runde pflege ich Seilschaften und betreibe Vetternwirtschaft. Und ich sage ganz ehrlich: Jeder kann mein Vetter sein! Ich habe da keine Vorurteile.

Brüderle: Rischdisch, dessis Maggdwiddschafd, sehrgudd!

Jauch: Das ist zumindest mal ein neuer Ansatz. Frau Merkel, als Bundeskanzlerin ist man weit weg vom Volk. Bekommen Sie überhaupt noch mit, was die Leute von der Politik erwarten?

Merkel: Ich lasse mir von meinem Mann täglich berichten, wie in der Shisha-Bar oder beim Späti über mich geredet wird, denn da hängt er ja den ganzen Tag ab. Seine Erkenntnisse setze ich um in mehrheitsfähige Politik für die Menschen in ihrer realen Lebenssituation.

Brüderle: Hahaha, bingo, ischgeb Ihne mei Tanzkadde.

Gysi: Dazu müssten Sie mit eigenen Positionen auftreten, Frau Merkel, mit Positionen, die den kleinen Leuten weiterhelfen, die beim Späti ihre Stütze versaufen. Und als zum Beispiel die Bankenkrise aufkam, haben Sie durch Untätigkeit geglänzt. Wenn man die Buchstaben des Wortes «Bundeskanzlerin» umstellt, dann kommt «Bankzinsenluder» dabei heraus.

Merkel: Das freut mich für Sie. Wenn man Ihren Namen permutiert, kommt nämlich gar nichts dabei raus. Nur Gebrabbel: «Gryegrosgi»!

Ich: Wenn man «Peer Steinbrück» umstellt, kommt «Bücken, Priester!» dabei raus, und das sollte uns vielleicht zu denken geben.

Brüderle: Hahaha, dessis sehrgudd, desswerdesch der Stern-Journalissdinn erzählln, chrrrwfm, hehe.

Ich: Und mit Ihrem Namen kann man das Wort «Laberrunden-Irrer» bilden, Herr Brüderle.

Brüderle: Aaaaahahaha, fandassdisch, Siekönndn Liberalerwerrn, hahaha.

Jauch: Ich versuche mal, die Diskussion wieder ein wenig zu strukturieren. Herr Schmitt, falls Sie gewinnen – wie wollen Sie überhaupt regieren? Sie haben weder ein tragfähiges Programm noch ein Schattenkabinett, geschweige denn einen Koalitionspartner.

Ich: Überlassen Sie das mal mir! Ich kann Ihnen verraten: Meine Partei hat Mittel und Wege, in Deutschland an die Macht zu kommen und an der Macht zu bleiben. Wenn es so weit ist, werden Sie schon noch sehen!

Okay, das war ein Bluff, aber im Prinzip habe ich recht, und ohne Bluffen geht es nun mal nicht. Immerhin kann ich das mittlerweile ganz gut.

Überhaupt: Ich hätte nie gedacht, was die Politik mal aus mir machen würde. Zwar war ich schon immer politisch engagiert – vor allem für mich selbst, schließlich kannte ich meine Sorgen und Bedürfnisse von allen am besten –, doch führte ich ein normales, unspektakuläres Leben. Ich hatte alles, was ein Mann braucht: Tagesfreizeit, einen guten Ruf und eine Frau mit einem noch besser bezahlten Beruf. Bis die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz: Die PARTEI, beschloss, dass ich Spitzenpolitiker werden sollte. Okay, dachte ich, kann man ja mal machen. Dann ging alles rasend schnell. Als Mensch stieg ich in die Maschinerie eines modernen Medienwahlkampfs ein – und endete als Politiker. Der unerbittliche Kampf um Macht und Stimmen lässt keinen unschuldig zurück. Politik ist ein schmutziges Geschäft und Kommunalpolitik, mit der ich meine Karriere begann, das schmutzigste von allen.

Aber wissen Sie, was? Ich finde das geil. Das kickt, sage ich Ihnen! Denn jetzt weiß ich, wie man Wahlen wirklich gewinnen kann. Und wenn ich gewonnen habe, dann kriege ich auch mein restliches Leben wieder in den Griff.

Doch bei Jauch fallen sie erst mal alle über mich her.

Jauch: Herr Schmitt – sind Sie überhaupt ein richtiger Politiker?

Ich: Absolut! Lange Zeit wollte ich es gar nicht wahrhaben, aber heute stehe ich dazu. Wissen Sie, ich war noch ziemlich jung, als ich zum Politiker geworden bin. Es war viel Alkohol im Spiel, und an den Namen des Mannes, der mich mit dem Politik-Virus infizierte, kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber selbst wenn er mir noch einfiele, ich würde demjenigen keinen Vorwurf machen – da gehören ja immer zwei dazu. Seit ich weiß, dass ich Politiker bin, lebe ich viel bewusster. Als ich das dann auch meinen Freunden und meiner Familie erzählte, waren die Reaktionen wirklich phantastisch, ich habe viel Zuspruch erfahren, Rückhalt und Unterstützung.

Jauch: Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie keinerlei politische Erfahrung haben.

Ich: Meine Kritiker sind durchweg krasse Honks, das kann ich Ihnen versichern. Mein Berater Machiavelli hat gesagt: «Man muss die Menschen entweder mit Freundlichkeit behandeln oder unschädlich machen.» Wen ich genau unschädlich mache, das lasse ich gerade durch sehr preiswerte Berater klären. Wissen Sie, ich habe schon eine lange Politikerlaufbahn hinter mir. Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich das erste Mal kandidiert, seitdem konnte ich meine Ergebnisse jedes Mal verbessern, teilweise sogar vervielfachen. Wahlkämpfe, Parteigründungen, Reden, Pressekonferenzen, Flügelkämpfe, Demonstrationen, Basisarbeit – das alles habe ich von der Pike auf gelernt.

Steinbrück: Sie mit Ihrer Witzpartei! Das muss man doch mal sagen dürfen!

Ich: In Deutschland gibt es nur eine Witzpartei, und das ist Ihre, die älteste Partei Deutschlands, die SPD. In den hundertfünfzig Jahren ihres Bestehens hat sie gerade mal siebenundzwanzig Jahre regiert oder mitregiert, also nur knapp achtzehn Prozent der Bestehenszeit – die Weimarer Republik mal nicht mitgerechnet. Die Grünen sind mit dreiunddreißig Jahren wesentlich jünger, waren dafür aber schon einundzwanzig Prozent ihrer Lebenszeit an der Regierung beteiligt. Die CDU hingegen hat vierundvierzig Jahre regiert, war also fast fünfundsechzig Prozent ihrer Bestehenszeit Regierungspartei. Das heißt, von allen Großparteien hat die SPD die bei weitem geringste Regierungserfahrung. Wenn Sie Politik machen wollen, Herr Steinbrück – warum sind Sie dann in die SPD eingetreten?

Steinbrück: Ich weiß wirklich nich, warum ich mir das hier bieten lassen soll. Wenn ich Helmut Schmidt wäre, würde ich jetzt rauchen. Was wollen Sie denn eigentlich, Sie in Ihrem lächerlichen roten Anzug!

Jauch: Herrn Steinbrücks Frage ist berechtigt – was wollen Sie eigentlich?

Ich: Wir wollen das, was der Wähler will. Und dafür machen wir das, was die anderen auch machen – aber zum halben Preis.

Brüderle: Haha, Sie gfallnmir, brzzzl, Sie könntn Efdepesein, chrmmz! Bürgerlischeregierungdermidde, keindehma, haha.

Merkel: Sie haben doch keinerlei Inhalte, überhaupt keine!

Ich: Aber ich bitte Sie, Frau Merkel, kommen Sie mir doch nicht mit Inhalten! Die haben wir längst überwunden – Inhalte sind oldschool. Wir sind eine ideologiefreie Servicepartei, schneller am Bürger und schnell aus der Verantwortung. Da träumen Sie doch nur von.

Brüderle: Wunnerbar, hehe, Sie machedes großardesch. Chrrzn. Prost.

Jauch: Herr Brüderle, das ist ein Mikrophon. Daraus kann man nicht trinken.

Brüderle: Hahaha, großardesch. Rülps.

Gysi: Sie und Ihre Partei sind wahrscheinlich so ’ne neue Art Piraten. Nur noch überflüssiger.

Ich: Die Piraten waren zu monothematisch und ihre Wählergruppe zu klein: Jung, männlich, dumm und Laptop – das reicht eben nicht als Wählerprofil. Die einzige Forderung, die man mit den Piraten verband, war die nach mehr Transparenz. Unsere Partei «Die PARTEI» ist ganz anders: Wir fordern weniger Transparenz! In Wahrheit wollen die Bürger doch einfach nur in Ruhe regiert werden. Zero transparence!

Jauch: Tun wir doch mal Butter bei die Fische: Herr Schmitt, nennen Sie uns eine ganz konkrete Forderung Ihrer Partei. Damit wir verstehen, was Sie überhaupt wollen.

Ich: Ich habe zum Beispiel entschieden, dass wir mehr sinnlose Großprojekte brauchen. Wir haben den Berliner Großflughafen, die Elbphilharmonie in Hamburg und Stuttgart 21. Nicht zu vergessen die Waldschlößchenbrücke in Dresden oder die einst geplante Transrapidstrecke in München. Aber das reicht nicht. Überall sehen wir die positiven Auswirkungen dieser Projekte: Sie wecken Emotionen, wirken gemeinschaftsstiftend, man bildet Bürgerinitiativen, beteiligt sich an Demos, schreibt Leserbriefe oder Hate-Mails – das bewegt was, da ist Leben drin. Deshalb brauchen wir mehr solche Projekte, etwa einen unterirdischen Flughafen in Frankfurt, eine alpine Abfahrtsstrecke in Bremen oder die historische Rekonstruktion der Berliner Mauer – das benötigte Baumaterial könnte man ganz einfach durch den Wiederabriss der Dresdner Frauenkirche gewinnen.

Göring-Eckardt: Sie spinnen ja.

Steinbrück: Ich würde sogar sagen: Der ist ja wohl schlecht gefickt worden, das wird man ja wohl mal sagen dürfen, ich lass mich doch nicht verbiegen.

Merkel: Das ist jetzt aber frauenfeindlich.

Gysi: Wieso, der ist doch gar keine Frau. Wir müssen uns hier jetzt auch nicht aufregen. Herr Schmitt, Sie werden schon allein deswegen nicht gewählt werden, weil Sie kein Schwein kennt.

Ich: Kümmern Sie sich mal lieber darum, Frau Knipping und Herrn Wixinger bekannt zu machen!

Gysi: Wer soll das sein?

Ich: Das sind Ihre Parteivorsitzenden.

Gysi: Die heißen immer noch Kipping und Riexinger, Herr Schitt.

Brüderle: Haha, kannischnursagn: Lafondänunnwagenknescht, da wirdsmir gleisch im Magen schlescht, gell.

Göring-Eckardt: Das ist nun wirklich unter aller Kanone, Herr Brüderle.

Merkel: Find ich auch.

Ich: Er macht nur Spaß! Herr Brüderle kann nichts dafür, dass er in einer Spaßpartei ist, Frau Göring.

Göring-Eckardt: Sie können mich mal … bei meinem richtigen Namen nennen: Ich heiße Göring-Eckardt, wenn Sie das bitte zur Kenntnis nehmen wollen.

Ich: Mit diesen Taschenspielertricks wollen Sie doch nur von Ihrer Nazi-Vergangenheit ablenken, Frau Göring!

Göring-Eckardt: Also, das ist ja ungeheuerlich, was Sie hier abziehen.

Merkel: Find ich auch.

Brüderle: Hahaha! Hering, Hering, so fedd wie de Göring, haha, chrwnzbrr.

Ich: Wenn das der Führer wüsste, Frau Göring!

Göring-Eckardt: Ich werde diese Sendung jetzt verlassen.

Jauch: Liebe Zuschauer, Sie sehen, es geht ein bisschen kontrovers zu, wir überziehen auch schon.

Steinbrück: Überziehen? Ich bin nur für sechzig Minuten bezahlt worden!

Merkel: Wie – Sie kriegen hier was bezahlt?

Steinbrück: Sie etwa nicht? Ich sag ja, die Kanzlerin ist unterbezahlt.

Brüderle: Dessis ganzklaar, Leistungmussisch wieder lohnnn. Chrrrnz!

Göring-Eckardt: Das ist wirklich ein Skandal.

Gysi: ?

Ich: Hallo! Ich spreche jetzt einfach mal in diese Kamera und wende mich direkt an meine lieben Wähler: Hallo, Wähler! Ich liebe euch alle! Ich will euch da draußen mal erzählen, wie ich überhaupt in die Politik gekommen …

Günther Jauch steht auf, geht zur Kamera, die zeternde Runde ist nicht mehr zu sehen.

Jauch: Ja, das wird Ihnen Herr Schmitt sicher erzählen, aber nicht mehr in meiner Sendung. «Politiker, das ist kein Beruf, sondern eine Diagnose», wie es so schön heißt, ich danke allen meinen Gästen, dass Sie heute Abend …

Jauch moderiert ab …

… und ich wache auf. Schon wieder dieser Traum, den ich in den letzten Wochen immer wieder träume. Denn ich bin ja tatsächlich Spitzenpolitiker und muss mich endlich den Menschen im Land, das ich bald regieren werde, erklären. Wie es überhaupt zu alldem kam. Warum ich drauf und dran bin, die Macht in Deutschland zu übernehmen. Ich habe nämlich zuvor schon viele erfolgreiche Wahlkämpfe geführt. Sie haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. All das werde ich erzählen. Das kostet mich schließlich keinen Cent – und Überwindung auch nicht.

Der Anruf

Wie man mit einer schmierigen Partei in die Spitzenpolitik einsteigt

Der Anruf, der mein Leben für immer veränderte, erreichte mich exakt um 12.47 Uhr MEZ, es kann aber auch ein paar Minuten früher gewesen sein oder wesentlich später, so genau weiß ich das jetzt nicht. Ich werde diese Frage aber bestimmt zeitnah durch einen Fachausschuss prüfen lassen und den Sachverhalt rückhaltlos aufklären – darauf mein Ehrenwort als Spitzenpolitiker. Es wäre jedoch nicht ratsam, sich hier und jetzt allzu vorschnell und einseitig festzulegen, das könnte sich später als taktischer Fehler herausstellen, daher lasse ich dieses Zeitfenster vorerst mal offen.

Jedenfalls hatte ich gerade ein stattliches Pensum an Tagesfreizeit, da kam der Anruf genau im rechten Augenblick. Doch war ich klug genug, für Außenstehende nicht den Eindruck zu erwecken, ich hätte Zeit wie Heu und nur auf Ablenkung gewartet.

«Hier spricht dein Landesvorsitzender», sagte eine vertraute Stimme, die ich sofort dem PARTEI-Vorsitzenden des Landes Hessen zuordnen konnte. «Jetzt ist es so weit: Die Partei ruft! Komm sofort in mein Büro!»

«Ich habe aber im Moment sehr viel zu tun.»

«Das haben wir alle, Parteigenosse.»

«Ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht.»

«Ich werde es dir sagen.»

«Ohne Scheiß, Landesführer, hier brennt der Hort! Du kannst dir nicht vorstellen, was bei mir los ist. Alle möglichen Leute warten darauf, dass ich mit irgendwelchen Geschichten rüberkomme. Ich sitze an einem unfertigen Artikel über eine Gartenbauausstellung in der Nähe von Darmstadt, an einem Exposé für eine politische Infotainmentsendung mit dicken Unterschichtsfrauen auf RTL II, außerdem an Plänen für einen Essay über Sloterdijks Sexaffären, einem Gedichtband mit Liebeslyrik und einem noch ungeplanten Roman über einen Typen, der sein Leben nicht in den Griff kriegt.» Da ich am anderen Ende nur ein ratloses Räuspern hörte, schob ich sicherheitshalber hinterher: «Ist aber nicht autobiographisch.»

«Okay, ich fasse zusammen: Du hast absolut nichts Konkretes am Start. Hab ich mir gleich gedacht. Und genau deswegen habe ich einen absolut konkreten Plan für dich: Du wirst Politiker.»

«Bin ich doch schon. Im Moment nur ohne Geschäftsbereich.»

«Genau den werde ich dir geben. Bis gleich.»

 

So grau und tief hing der Winterhimmel über der Stadt, dass die Konturen der Hochhäuser im Wolkennebel verschwammen. Kontur- und führungslos lag Frankfurt am Main. Vor einigen Tagen hatte die Oberbürgermeisterin, die diese Stadt seit einem gefühlten Jahrhundert regierte, ihren Rückzug angekündigt. Pensionsansprüche verprassen. Ein Nachfolger war nicht in Sicht. Ich hatte das zunächst nur am Rande mitbekommen, ich war mit dem Relaunch meines Lebenskonzepts beschäftigt. Frankfurt hin oder her – wie es mit mir weitergehen sollte, das war die große Frage. Manchmal ist es wie mit dem Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht: Ich erkannte erst gar nicht, dass das Amt des Oberbürgermeisters der ideale Einstieg in die Profipolitik war, der Steigbügel für den Kanzlersattel. Gerade für einen Quereinsteiger wie mich! Denn der war ich tatsächlich. Zwar hatte ich schon Erfahrungen mit Wahlkämpfen, als Landtagskandidat und Anwärter für das Bürgermeisteramt meiner Heimatstadt. Doch das war Jahre her.

Man darf allerdings nicht glauben, dass ich fatalistisch in den Tag hineinlebte, auch wenn das für den ungeschulten Betrachter vielleicht den Anschein haben mochte. Ich ging häufig aus, sprach sehr viel, selbst wenn keiner zuhörte, und verbrachte die übrige Zeit mit Warten. Auf bessere Zeiten. Denn eines Tages, das war mir klar, würde meine Zeit kommen. Und an diesem Tag war es so weit.

 

Eine Stunde später saß ich im Büro des Landesvorsitzenden. Der massige Mann residierte hinter einem Schreibtisch, der so aufgeräumt war wie er selbst. Da sein hoher Parteiposten undotiert und damit nur ehrenamtlich zu verwesen war, saß er hauptberuflich als Vertriebsleiter in den Räumlichkeiten eines großen Luxusmarken-Autohauses und beobachtete aus seinem verglasten Kubus heraus die Vertriebstätigkeiten seiner Mitarbeiter. Offensichtlich liefen die Geschäfte gut, denn er konnte sich der Parteiarbeit vollinhaltlich widmen.

«Wir brauchen einen neuen Bürgermeister», sagte er und machte eine Pause. «Und du wirst es werden.»

Widerspruch wollte er nicht zulassen, das schien nicht seine Art zu sein. Meine eher gespielten Bedenken, dass ich eventuell zu wenig Kenntnisse über die von mir zu regierende Stadt hätte, dass ich ja vielleicht gar nicht sicher gewinnen würde, weil ich kein Geld hätte, um die Medien zu bestechen, dass mir bei einem Wahldebakel ein weiterer Aufstieg in der Bundespolitik schwerfallen würde, weil ich ja dann …

Der Landesvorsitzende schnitt mir das Wort ab: «Wir werden auf Sieg spielen, nicht auf Platz!» Unnachgiebig starrte er mich an, sein Blick war streng führungspersönlich.

Die Bürotür ging auf. Ein Vertriebsheini streckte seinen Bürstenhaarschnitt durch die Öffnung, schaute erst mich irritiert, dann seinen Chef indigniert an und jammerte, dass er da einen «Problemkunden» habe, der «Stress» wegen einer «Fehldisposition» mache. Es sei das falsche Auto bestellt worden, nun wolle der Kunde den Kauf stornieren und darüber hinaus, bis zum Eintreffen des richtigen Wagens, sogar ein Ersatzfahrzeug gestellt bekommen. «Er sagt, er will nicht im Oberförsterauto durch die Stadt fahren», heulte die Bürste, worauf ihm mein Landesvorsitzender zu verstehen gab, er solle «den Vogel» mal durchstellen, er regle das schon.

Das Telefon piepste, blitzschnell schnappte die Pranke des Landesvorsitzenden nach dem Hörer, dem sofort und deutlich vernehmlich aufgeregtes Gequassel entquoll. Er hörte eine Weile zu, sagte hin und wieder «Aber Herr Griesbach!» und gab mir mit einem Augenrollen zu verstehen, dass dieser Herr Griesbach wohl allerlei Unfug daherredete. Gelangweilt fischte er mit seiner goldenen Krawattennadel einige hochinteressante Speisereste aus dem weit geöffneten Mund, der ausschließlich aus teuren Ersatzteilen zu bestehen schien. Dann legte er den unvermindert weiterquakenden Hörer auf die Schreibtischplatte, holte sich einen Kaffee, krempelte die Hemdsärmel hoch, nahm den Hörer wieder auf und schaltete auf Angriff.

«Dass Sie eine E-Klasse bestellt haben, ist uns natürlich bekannt, Herr Griesbach», sagte er mit knurrender Stimme. «Aber da ich Ihre Vorlieben genau kenne und Sie persönlich sehr schätze, weiß ich, dass Sie mit diesem Auto nicht glücklich werden würden. Natürlich ist die M-Klasse in dieser Ausführung viel teurer, aber das sind Sie sich und Ihrer Frau und Ihrem Ruf einfach schuldig. Verstehen Sie doch – ich will nicht, dass Sie sich lächerlich machen.» Im weiteren Verlauf des Gesprächs fielen dann mehrfach Worte wie «repräsentativ», «Status», «Fahrgefühl», «Ansehen», «Extras», «Rabatt», «Sonderrabatt» und «Stammkundennachlass», und beschlossen wurde es mit dem Satz: «Gut, Herr Griesbach, dann reserviere ich jetzt auch noch für Ihre Gattin eine M-Klasse, also insgesamt zwei – zur sofortigen Auslieferung. Da haben Sie aber Glück, es sind die letzten, die wir dieses Jahr noch reinkriegen.»

Zufrieden legte der Landesvorsitzende auf, sah mich stolz an und sagte: «Die Dinger müssen dringend weg, der ganze Hof steht voll, die will keiner haben, weil sie zu teuer und zu unpraktisch sind und viel zu viel Sprit fressen.»

Ich hatte den Landeschef zum ersten Mal in Aktion erlebt – und ich war geflasht. Wenn er die Menschen derart bearbeiten konnte, warum wurde er dann nicht selbst Spitzenkandidat? Auf jeden Fall konnte ich von ihm einiges lernen, das war mir jetzt klar. Ob man den Leuten nun Autos andrehte oder neue Steuerkonzepte, das war doch letztendlich ein und dasselbe.

Noch bevor ich sein Verhandlungsgeschick loben konnte, wechselte er zurück zum Eingangsthema. «Hör zu!», lautete seine Ansage. «Ich habe mich in dieser Partei konsequent nach oben gearbeitet. Das war nicht schwer, denn die Landesspitze war unbesetzt, weil keiner diesen Job machen wollte. Trotzdem sägen sie jetzt schon an meinem Stuhl.» Mit einer Mischung aus Respekt und unverhohlenem Neid sprach er weiter: «Aber du bist Ehrenvorsitzender! Hut ab, das schafft nicht jeder. Es kann nicht einfach gewesen sein, diesen Job zu ergattern.» Er schaute mich interessiert aus rastlos flackernden Äuglein an.

«Das kannst du aber annehmen, Genosse. Es kann eben nur einen Ehrenvorsitzenden geben. It’s lonely at the top», zitierte ich Randy Newman und erzählte dem Griesbach-Bezwinger mal lieber nicht die ganze Wahrheit. Dass es nämlich spielend einfach gewesen war, an diesen Posten ranzukommen. Wenngleich auch erniedrigend.

«Wie auch immer», sagte er, «du musst uns jetzt jedenfalls in den OB-Wahlkampf führen. Das ist ein Persönlichkeitswahlkampf, und wir werden dir helfen, deine Persönlichkeit systematisch aufzubauen. Dann wirst du die Wahl nach meiner Berechnung gewinnen.» Selbst könne er die Kandidatur nicht übernehmen, sonst sei er seinen Job los. Als Vertriebsleiter sei ihm eigentlich jegliche parteipolitische Tätigkeit verboten, jedenfalls offiziell. Und da er Frau und Kinder und Hunde und Pferde zu ernähren habe, sei ihm die Politik als Hauptberuf zu unsicher. «Du bist Single und arbeitslos», sagte er kühl, «du hast nichts zu verlieren.»

Ich protestierte, ich hätte sehr wohl eine Ehefrau, und diese Ehefrau hätte auch einen Job, der spielend zwei ernähren könne. Gut, meine Frau musste auch für zwei arbeiten, aber sie hatte eine starke Statur.

Der Landesvorsitzende ignorierte meinen Einwand. Ganz unvermittelt fragte er mich, ob ich Visionen hätte.

«Nein.»

«Das ist gut.»

Langsam dämmerte es mir: Oberbürgermeister von Frankfurt am Main – das war vielleicht doch das Richtige für mich, der klassische Einstieg in eine glanzvolle Politikerlaufbahn: Konrad Adenauer, Hans-Jochen Vogel, Willy Brandt, Hans Eichel, Oskar Lafontaine – sie alle begannen ihre großen politischen Karrieren als Träger der silbernen oder goldenen Amtskette. Wenn ich die erst mal im Kleiderschrank hatte, kam der Rest bestimmt ganz von selbst. Dann konnte ich womöglich weltberühmt werden, so wie Michel de Montaigne, Otto von Guericke oder Clint Eastwood, die auch alle mal als Bürgermeister gearbeitet haben.

Es sei ein Vorteil, sagte der Landesvorsitzende, als wir nach draußen gingen, dass ich keiner der überkommenen Altparteien angehöre. Bei «so kommunalen Geschichten» gelte das Aufstellen neuer, unverbrauchter Kandidaten ja oftmals geradezu «als Erfolgsrezept», besonders und vor allem bei Bürgermeisterwahlen. «Das sind die Persönlichkeitswahlen schlechthin», sagte er, während wir über den Hof des Autohauses schritten, der voller großer, unförmiger Oberförsterautos stand.

«Jetzt zeig ich dir aber mal was sehr Geiles», raunte er mir zu und führte mich in eine separate Garage, die wir durch eine Klimaschleuse betraten. Neonröhren flackerten auf und spiegelten sich im Lack und Chrom herausgeputzter Oldtimer: Strich-Achter, Heckflosser, Flügeltürer und, ganz am Ende der kleinen Halle, ein silberner 190 SL mit roten Ledersitzen. «Eine original Nitribitt-Schaukel» sei das. Und diese Autolegende, die würde er, respektive seine Firma, mir bald schon für den Wahlkampf zur Verfügung stellen – wenn ich meine Person für den Wahlkampf zur Verfügung stellen würde.

Ich war geblendet und schlug ein. Deal. Ehrenwort unter Ehrenmännern. Das fiel mir nicht schwer. Der Landesvorsitzende schaute auf seine schwere Armbanduhr. «Gleich sieben, da fängt die Nominierungssitzung an. Wir müssen los.»

 

Wir fuhren durch die Stadt in eine Gaststätte, von der der Landesvorsitzende behauptete, sie sei das «Parteilokal». Was würde mich dort erwarten? Ein aufgepeitschter Mob, der mich auf Schultern durch die Straßen trug? Wollte ich das wirklich? War ich innerlich überhaupt schon bereit für die Machtergreifung? Würde sich dadurch nicht mein ganzes Leben verändern und private Beziehungen auf der Strecke bleiben? War Politik nicht sogar Gift fürs Eheleben? Mein Vorbild Christian Wulff würde das wohl mittlerweile bestätigen. Und dass es der vormalige SPD-Männerbund Schröder, Lafontaine & Scharping zu dritt auf insgesamt neun Ehen bringt, das muss man ja auch erst mal nachmachen.

Aus den Augenwinkeln schaute ich den Landesvorsitzenden an. Er fuhr, telefonierte und führte sich oral Nüsse zu. Er war im Einklang mit sich selbst. Ich nahm mir vor, ihn mir ebenfalls zum Vorbild zu nehmen.

Die Spelunke hieß Klabunt und lag in einem der Vergnügungsviertel der Stadt, die ich demnächst regieren sollte. Um einen runden Tisch herum, den ein offenbar scherzhaft gemeintes Schild als «Stummtisch» ausgab, saßen einige Herrschaften vor Hopfengetränken und sprangen auf, als der Landesvorsitzende mit aller ihm zu Gebote stehenden Autorität das Lokal betrat und mich an den Tisch bugsierte.

«Das ist euer künftiger Bürgermeister», stellte er mich mit korrekter Amtsbezeichnung, jedoch ohne Namen vor. Die Mitgliederversammlung sah mich an. Ich kannte keinen Einzigen. Ratlos fixierte ich die Runde. Die Runde fixierte zurück.

Nur wenige alkoholische Getränke später, die sämtlich auf das Konto des Landesvorsitzenden gingen, hatte ich ein festes Band mit der Parteibasis geknüpft. Es waren phantastisch aufgestellte junge Leute, allesamt wackere Burschen und Mädel, die hervorragendsten Vertreter ihrer Zunft: Stipendiaten, Umschüler und angehende Elektriker, ein volontierter Koch, ein Berufsschullehrer und ein Mikrobiologe, außerdem ein stark übergewichtiger Webmaster, eine anorektische Webmasterin und ein Diplom-Soziologe, zwei Schülerinnen und ein Mann mit Nickelbrille und Spitzbart, der als Berufsbezeichnung «Inspizient» angab. Insgesamt ein repräsentativer Schnitt durch unsere urbane Zivilgesellschaft und deren äußere Ränder. Schnell hatten wir uns ineinander verliebt, die Parteibasis und ich. Gerade wollte ich auf einen Stuhl steigen und eine erste improvisierte Ansprache halten – da drückte mich eine mächtige Pranke, die aus einem nicht minder mächtigen Landesvorsitzenden herausgewachsen war, zurück auf den Stuhl. Zum Redenschwingen hätte ich später noch genug Gelegenheit, beschied er und öffnete seinen riesigen Dokumentenkoffer.

Nun wurden Zettel ausgepackt, Formblätter verteilt, Vertrauensleute und Wahlleiter bestimmt, Hände gehoben, Zettel ausgezählt und Protokolle unterzeichnet, deren Sinn ich nicht genau verstand. Das seien «die hohlen Rituale der Demokratie», erklärte mir der sogenannte «Inspizient», der mich irgendwann im weiteren Verlauf des immer unübersichtlicher werdenden Abends gemeinsam mit dem Landesvorsitzenden vom Stuhl riss, meine Hand ergriff, in die Luft reckte und schrie: «Hurra! Wir haben einen Spitzenkandidaten!»

In den Applaus der improvisierten Partei- oder Ausschuss- oder, wer weiß, Ortsvereinversammlung rief der Landesvorsitzende: «Die PARTEI war bis jetzt nur eine kleine, schmierige Oppositionspartei, die in Deutschland nach der Weltmacht strebte. Nun werden wir mit dem Spitzenkandidaten Oliver Maria Schmitt zu einer großen, schmierigen Regierungspartei werden. Ein Hoch auf ihn und auf unseren GröVaZ, unseren größten Vorsitzenden aller Zeiten – auf Martin Sonneborn.»

Der Name Martin Sonneborn ließ mich zusammenzucken. Er ist der unumstrittene Gründer und Führer unserer Partei. Doch hat er seine Macht und seinen unermesslichen Reichtum nur mir zu verdanken. Dem Mann, den er mit dem undotierten Posten des Ehrenvorsitzenden abgespeist hat. Das durfte aber in dieser Situation nicht nach außen dringen. Diese verblendeten PARTEI-Leute, die hier herumsaßen, waren völlig auf Sonneborn fixiert, seinem falschen Führerkult erlegen. An der Wahrheit waren sie nicht interessiert. Außerdem brauchte ich diese Leute, sie mussten mir zur Macht verhelfen. Erst dann würde ich mit der ganzen Geschichte herauskommen. Bis dahin wollte ich mir nichts anmerken lassen. Ich setzte mein Pokerface auf, das in Zukunft mein Politikerface sein würde. Niemand konnte mir etwas ansehen.