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STROBO

AIREN

Mit einem Nachwort

von BOMEC

Herausgegeben

von alle3

SuKuLTuR

2011

eBook-Ausgabe August 2011

1. Auflage (Print) August 2009

Text: Airen

Lektorat: Hajo Mönnighoff

SuKuLTuR, Wachsmuthstraße 9, 13467 Berlin

ISBN (Print) 978-3-941592-06-3

ISBN (ePub) 978-3-941592-98-8

eBook-Herstellung und Auslieferung

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

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Airen, geboren 1981, aufgewachsen in Bayern, Abitur 2001, Bachelor of International Business Administration 2006, absolvierte nach dem Studium ein Praktikum in einer Unternehmensberatung in Berlin.

MARIHUANA

Ich habe mindestens zwei Kilo Gras geraucht, dutzende Bongs zerbrochen, unzählige Joints gebaut, stundenlang gekotzt, nächtelang geschwiegen. Ich kiffe seit Ewigkeiten. Mit vierzehn die erste Bong mit einem Freund im Proberaum, mit sechszehn das erste Mal was gemerkt, in Freiburg, auf einem Gitarrenworkshop abends im Jazzhouse. Es flashte mich so dermaßen, meine Wahrnehmung wie ein Stroboskop, ich weiß noch, wie ich da saß und mich fragte, ob das wirklich was für mich sei, diese Wirkung, die so viel anders war, als ich sie mir in der Zeit davor so häufig und bunt ausgemalt hatte. Ich meine, ich war richtig dicht, eine fette Glasplatte zwischen mir und dem Rest der Welt. Dann der erste Lachflash meines Lebens, als wir auf dem Heimweg vor dem Intercity-Hotel den zerbatzten Kuchen fanden, den wir am Nachmittag aus dem zwölften Stock geworfen hatten. Ich war begeistert, ab da hatte ich meine Welt gefunden. Ich rauchte meist alleine, zu Hause, nur pur, nie mit Tabak. Ich trank auch keinen Alkohol, meine Freunde und ich waren stolz darauf, in der Kneipe nur Spezi zu trinken und doch weggespaceter zu sein als alle anderen. Fast jeden Abend legte ich mich in mein Bett, rauchte mit meiner gut versteckten Pfeife etwas Haschisch und erlebte jedes Mal krasseste Flashs. In der Regel las ich, und egal, was es war – Der Spiegel, Naked Lunch, irgendwelche astronomischen Bücher – alles schickte mich auf eine intensive Reise, ließ mich alles Beschriebene wirklich erleben.

In der zwölften, dreizehnten Klasse war Kiffen ein fast religiöser Bestandteil unseres Lebens. Am Wochenende fuhren wir mit dem Auto und Klassik im Radio an ausgefallene Plätze, in die Berge, in den Wald, Hauptsache abseits und flashig. Wir spielten absurde, selbst ausgedachte Kartenspiele, die alle darauf hinausliefen, dass der Verlierer unter vorher festgelegten Bedingungen einen Actiontopf ziehen musste. Das hieß mal, dass man um den Topf zu rauchen, bei Eiseskälte den Berg hoch und auf einen Jägerstand musste; ein anderes Mal, dies in einer Streusandbox oder mit einem unbekannten Hiphopper auf der Party nebenan zu tun. Wir hatten die krassesten Gedanken, kiffen macht ja nicht dumm, egal, wie viel man geraucht hat, man versteht jederzeit, was los ist und wo man ist, man kann geradeaus laufen und verliert nicht die Kontrolle; die Gedanken aber sind voll bunter, verspulter Assoziationen.

Es war die Zeit absurder Gespräche, intensiver Musikerlebnisse, auf Haschkeksen per Anhalter durch Frankreich, Wichs-Sessions unerreichter Geilheit.

Nach dem Abi nahm es langsam krankhafte Ausmaße an. Zunächst unmerklich hatte ich mich daran gewöhnt, jeden Tag zu rauchen, immer noch nur pur und nur mit der Bong. Ich empfand dies als Ausdruck meines Lebensstils. In der bayrischen Stadt kannte ich bald alle Kiffer, es war eine Gesellschaft für sich, voll von netten Leuten, die nicht nur dies eine gemein hatten. Noch heute fällt es mir immer leicht, mit solchen Leuten umzugehen, man findet sofort einen Draht, wenn man weiß, der andere kifft auch. Aber in dieser Zeit gab es auch den einen oder anderen Abend, an dem es nichts zum Rauchen gab und ich verdammt unleidlich und geil auf dope wurde. Geiler als die anderen. Ich weiß nicht, woher meine extreme Affinität zu Cannabis kommt, wahrscheinlich liegt es daran, dass ich seit je hyperaktiv bin und übelst unter Strom stehe und es deswegen um so mehr genieße, mal einen Gang zurück zu schalten. Es kam der Zivildienst, dank zusätzlichem Nebenjob immer Geld, immer Hasch, Techno-Parties, auch andere Drogen, aber nie im Übermaß.

Schließlich Studium. Mittlerweile fast drei Jahre durchgeraucht. Berlin, der absolute Abfuck, fast zwei Jahre, an die ich nur eine Erinnerung habe: Mein Zimmer in Prenzlauer Berg, am Boden eine Decke, in der Mitte ein Eimer, den ich zu einem Rauchgerät umgebaut habe. Jeden Abend eine Flasche Wein, jeden Tag zwölf Töpfe Gras, sonst kann ich nicht schlafen. Ich vermeide es, in die Uni oder in die Stadt zu gehen, wann immer es geht. Meine Befürchtung, all meine Freude und meinen Witz in Berlin zugunsten von Zynismus und Hoffnungslosigkeit aufzugeben, bewahrheitet sich. Die einzigen Gelegenheiten, bei denen ich aufblühe, sind die diversen Techno-Parties, die ich hier im Techno-Mekka Berlin erlebe. Ansonsten macht mich das Kiffen asozial, ich kann nicht mehr mit Leuten reden und ihnen dabei ins Gesicht sehen, mein einst unbeugbares Selbstbewusstsein, meine Frechheit, sind dahin. Ich erkenne meine Sucht als solche an, wie könnte ich auch anders, ohne zwei, drei fette Töpfe am Morgen bin ich so aufgeregt, dass mein Kiefer zittert, ich sehe Punkte durch den Raum fliegen, komme manchmal überhaupt nicht klar. Ich bin total ans Kiffen gewöhnt, gehe joggen, wenn ich so dicht bin, dass ich früher einen halben Tag nicht hätte aufstehen können. Ich wohne in der Schönhauser Allee, zusammen mit einem Freund, der mindestens genauso süchtig ist wie ich und darauf genauso abkackt. Ich meine, es gibt Leute, die jeden Morgen einen Joint rauchen und trotzdem klarkommen und nicht anfangen zu schwitzen, wenn mal nichts da ist. Bei uns ist das anders. Und da immer jemand etwas da hat, hört auch niemand auf.

AM TAG

Das erste Mal wache ich morgens um zehn auf. Uuäähh! Schon wieder so hell. Die nervige Erinnerung an die Management-Vorlesung ist auf das kleinste spürbare Maß zurückgedimmt. Leise öffne ich die Tür zu Tommys Zimmer. Der pennt auch noch. Er schwitzt, das Gesicht in der Sonne, aus den Boxen kommt leise, aber hektische Musik. Irgendwas aus dem Stammheim. Ich setze mich vor sein Bett und nehm mir die fette Glasbong. Die steht immer vor seinem Bett, dort raucht er frühmorgens seinen letzten Topf, nach Stunden vor dem Computer, als »braindamage« bei Quake III Tournament. Ich mach mir ne gute Grasmische, nehm eine Hälfte Tabak und ein kleines, glitzerndes Blütchen, wie mit Zuckerkristallen bestreut, und blinzle durch die Jalousien. DJ Rush. Hammer, dass Tommy bei der Mucke schlafen kann.

Ich setze die Bong an den Mund, atme noch mal tief aus und ziehe dann langsam an. Es blubbert, weiße Rauchfäden schlängeln sich den Glashals empor, ich öffne das Kickloch und ziehe den ganzen Rauch mit einem Mal in die Lunge.

Danach legt’s mich erst mal auf den Dielenboden. Die Straßenbahn fährt an. Vögel zwitschern, Autos rauschen vorbei, zwei Mädchen gackern. Das Leben findet statt. Ich spür’s ganz deutlich… das frische alkoholische Prickeln unter der Haut, Frühling, Schwimmbad, Mädchen. Zauber, Jugend,… die Anderen,… ganz klar fühl ich’s, ich bin ja stoned deluxe. Schließlich raff ich mich auf – sogar die Musik sagt »Go!« – und leg mich noch mal zu mir rüber. Auch mein Fenster ist offen, aber ich hab Ohrstöpsel. Der Flash kommt und zieht mich für Stunden in diesen Zwischenzustand, schlafend, fühlend, denkend, vergessend.

COME DOWN

So um drei aufgestanden, aber kein Stress, erst mal ne Guten-Morgen-Tüte und ein paar Folgen South Park mit Tommy. Kurz rumgecheckt, dann afrikanischen Verchecker kontaktet. Ticker meint, es dauere noch ne Stunde. Also spontan zum Kottbusser Tor, Valiums aufstellen. Erst mal die Lage gecheckt. Manchmal peilt mans nicht, dass auf einmal alle gebustet werden, weil die Zivis echt zivi ausschauen und kein Trallala abziehen. Also Lage checken, dann im Gang auf so nen halbfertigen Typen zu und nach Stadas gefragt, ging ohne Stress, acht für vier Euro. Dann in den Spätkauf, Starkbier und Schlagsahne mit Lachgas als Treibmittel; ich verbrauch ein Kondom und flash mich weg und frag mich was morgen für ein Tag werden soll.

DER KOFFER

Ich hatte einen Koffer. In ihm hatte ich, seit ich zwölf war, alle möglichen geheimen Sachen aufbewahrt, tagebuchartige Berichte, Fotos, Notizen. Ein Koffer voller Erinnerungen. Da ich gerade bei meinen Eltern bin, wollte ich mal wieder hinein schauen und musste feststellen, dass der Koffer weg ist. Das »Gerümpel« hatte mein Vater beim Umzug weggeschmissen, obwohl ich sie extra gebeten hatte, den Koffer aufzuheben. Ich flippe aus. Mein Vater meint, ich solle mich nicht so aufregen. Mich selber nicht so wichtig nehmen. Hat den Nerv mir zu sagen, mein Problem wäre, dass ich mich nicht anpassen würde. Ich hätte einen Sprung in der Schüssel. Ich gehe in mein Zimmer, schmeiße die Tür hinter mir zu, bebe vor Wut. Da fällt mein Blick auf die Schere. Es fehlt nur ein Gedanke und kleine Tropfen zieren wie an einer Perlenkette meinen Unterarm. Ich habe seit einer Woche weder gekifft noch geraucht noch Alkohol getrunken und mein vorherrschender Gedanke war, wie ich dies auch nächste Woche fortführen könnte, in alter Umgebung. Jetzt habe ich nur noch Bock auf eines: mich aufs Härteste wegzuschießen.

SCHRÄG

Zu viel und zu wenig zu rauchen bringt mich auf einen depressiven Film. Nietzsche zu lesen gibt mir eine Ahnung davon, dass es um etwas geht. Der Frühling und die letzten Ausbruchsversuche meiner sich zum Ende neigenden Jugend lassen mich um des flüchtigen Genusses willen auf alles scheißen. Resultat: Mittelmaß. Die Sehnsucht nach Tiefgang verhindert den Rock’n’Roll und umgekehrt. Heutige Stimmung: drauf scheißen. Also kiffen, saufen, ficken. Hauptsache, sie lädt mich auf etwas Weed ein und mir kommen dabei nicht zu viele Gewissensbisse. In einer knappen Stunde geht der Zug nach Berlin, wir treffen uns beim Verchecker, ich bin eigentlich viel zu müde.

FILTH

Berlin, Kottbusser Tor, nachts um elf, 3,50 Euro auf Tasche und noch zwei Stunden bis Mademoiselle aus Bayern zurückkommt. Schräger Film, schwitze, kriege heut kein Gras mehr, also hierher zu den Assis und Valium klar machen. Wirklich die kaputtesten Gestalten. Drängen sich zwischen den dreckigen gelben Fliesen unter Tage und dealen mit Fahrscheinen, die meisten noch mit mehr. Gehe zu einem in meinem Alter der noch halbwegs zu funktionieren scheint und quatsche ihn an. Schon werden die anderen auf mich aufmerksam, scharen sich um mich und fragen, was ich bräuchte. Ein kleiner zahnloser Opa mit gelbem Basecap bietet mir Hasch an. Ich gehe ein paar Meter mit ihm mit, wir steigen die ersten Stufen zum Ausgang hinauf, dann haut er den Kanten mitten auf die Treppe – Passanten weichen aus – zückt einen beeindruckenden Dolch und säbelt mir ein Stück ab. Ich lade den jungen Typen von vorhin zum Tütchen rauchen ein. Wir pflanzen uns in eine Bushaltestelle, ich baue und in dieser Position erkenne ich ihn. Ich weiß nicht wo und wann, aber wir haben uns schon mal auf einer Party gesehen und zusammen eine Tüte geraucht. Wir besuchen die gleichen Clubs, wie sich rausstellt, und Michael kommt aus Göttingen. Ich frag ihn, was er hier bei den Assis mache. Er labert was von wegen er habe sein Portemonnaie verloren, hätte das gar nicht nötig und arbeite ansonsten ehrenamtlich. Ich beschließe, ihn wieder loszuwerden. Auf zu Mademoiselle.

Kurz nach Mitternacht, ich bin etwas früher da als sie und warte vor der Haustür. Es ist eine ruhige Nebenstraße des Simon-Dach-Kiezes und ich lehne mich an ein Metallgitter. Zigarette käme cool. Überlege, welche Haltung ich jetzt einnehmen soll. Nehme mir vor, es so harmonisch wie möglich ablaufen zu lassen, alle Liebe in mich aufzusaugen, vielleicht gar kein Sex, lieb zu sein. Ich habe einen Schweinehunger. Nach etwa fünf Minuten kommt sie, Bussi, im Treppenhaus erzählt sie überschwänglich von den tollen Mitfahrern bei der Mitfahrgelegenheit. Ich freue mich zuerst immer und merke dann ganz schnell, dass ich ihre Art absolut nicht packe. Mademoiselle kann ich nur in homöopathischen Dosen genießen.

In der Wohnung setz ich mich neben sie auf die Matratze am Boden und schalte mein Notebook ein. Sie labert weiter von den Mitfahrern, das fährt mir auf einmal nur unglaublich dumm und exaltiert ein. Ich versuche ihr ein paar Sachen aus dem Nietzschebuch vorzulesen, hebe immer wieder zu den allergeilsten Sätzen an, aber es kommt überhaupt nicht durch. Blablabla. Wir gehen ins Bad, machen drei Teelichter an und haun uns in die Wanne. Wir kuscheln ein bisschen und in diesem Moment sieht sie wirklich schön aus. Ich nehme ihr Gesicht in die Hände und küsse sie, wunderschön, fast etwas Gefühl, doch als sich unsere Münder trennen und ich ihr in die Augen sehe, weiß ich, dass es schon wieder der absolute Scheiß war. Mich so gehen zu lassen. Lasse meine Blicke lügen. Sie will ficken, aber in der Wanne ist es der absolute Krampf, also gehen wir auf die Matratze. Ich will ja auch. Kein Bock auf Details jetzt, ist auch absolut nebensächlich. Dann liegt sie neben mir und erzählt zufrieden schon wieder irgendwelchen Schmarrn »… verstehst du, was ich mein?!«, wobei sie bei dem zweiten ›e‹ von ›verstehst‹ die Stimme hochzieht und dann umschlagen lässt. Ich starre an die Decke, bin hellwach. Auf einmal sagt sie trocken in den Raum hinein: »Ich kenn dich überhaupt nicht.« Ich antworte genauso trocken zustimmend »Aha.« Ich könnte heulen. Sie legt ihren Arm um mich und beginnt nach ein paar Minuten zu schnarchen. Ich weine jetzt wirklich und kann noch lange nicht einschlafen. Es ist eine Liebessimulation, das ganze Spiel mit allem, was dazugehört, was wir beide zwar lange vermisst haben, aber der Grund dazu fehlt. Es ist einfach nur falsch, ich spüre zwar schon etwas, aber es ist nicht genug, um das alles zu rechtfertigen. Vor allem nicht sie. Ich fühle mich einfach nur schmutzig und zahle mal wieder den Preis für meine Prinzipienlosigkeit.

Nach einer sehr kurzen Nacht wache ich auf, wir ficken noch mal, ich überspiele alles mit dummen Sprüchen: »Dann mal rein in die gute Stube«. Es ist hell und ich muss echt sagen, dass sie nicht gut aussieht. Ich kann nicht mehr lieb tun und sage lieber gar nichts als irgendeinen Scheiß. Hau irgendwann ab und verabschiede mich trocken, ich kann nicht anders. In der U-Bahn mir gegenüber genau so ein Wichser wie ich, mit einer Tussi neben sich, die ihn anhimmelt, mit Scherzen um sein Lächeln buhlt. Als sie ihm einen Kuss geben will, dreht er sich weg und schaut kurz zu mir rüber. Alles klar.

TAG 1

Um zehn unruhig aufgewacht und gewusst: Heute ist Schluss. Schluss mit dem Drecksdope, Schluss mit den zerfaserten Tagesabläufen, mit der Dumpfheit, die all das erträglich macht, was unerträglich sein soll. Also Aktion, einkaufen, abwaschen.

13:30 Uhr: Tommy steht auf und kommt mit ner Tüte rein. Ich sag ihm, dass ich nicht mitrauche. Deswegen kommt er auch ne Stunde später mit der nächsten Tüte an. Was soll das? Langsam beginne ich zu schwitzen und gehe noch mal raus. Fotzen alles. Kann sie förmlich tuscheln hören »Schau mal, da kommt wieder die komische Schwuchtel angehinkt!« Ihr Scheiß… Tiere ist noch zu gut. Jaja, ist ja gut, die ersten ein, zwei Tage sind echt kein Spaß und ich kann meine Gedanken im Moment nicht einmal selber ernst nehmen. Tommy fährt gegen Abend zu seinen Eltern, nicht ohne noch mal schön Duft in der Wohnung zu verbreiten. Liam kommt und schnorrt Kippen. Labert das gleiche wie jedes Mal: »You know, I gotta do Business Info and my electives in the summer term and, you know, Professor Braun is a fuckin bitch cause he’s given me a fuckin five in the last exam again and… « Frag mich echt, ob er nicht checkt, dass ich mittlerweile seinen ganzen Stundenplan für das nächste Semester im Kopf haben muss.

20 Uhr: Nachdem ich den ganzen Tag nichts Sinnvolles gemacht habe, beschließe ich mal, ein bisschen vor mich hinzustarren und das Ganze wirken zu lassen. Flashe mich in den ganzen Wahnsinn rein, der aus keiner Perspektive Sinn macht. Keine endgültigen Entscheidungen in diesem Zustand.

TAG 2

Nach sechs Stunden traumlosen Schlafs springe ich aus dem Bett und rauche eine Zigarette auf Ex. Dann ins Bad kotzen. – Nein, geht nicht. Also duschen. Komme raus und schwitze wie ein Affe, obwohl mir saukalt ist. Nach einigem Experimentieren finde ich heraus, dass es noch am erträglichsten ist, wenn ich mich nackt auf die Kloschüssel setze und dabei den Fön laufen lasse. Bis 16 Uhr bleibe ich im Bad und lese zwei ›Lustige Taschenbücher‹ und den ›Stern‹. Wurschtblatt. Dann Einkaufen in den Arkaden. Mann, was für Aggressionen. Muss mich an der Kasse ernsthaft beherrschen, der trägen Schlampe vor mir nicht auf der Stelle die Augen auszukratzen. Bitch.

Die letzten beiden Tage 12,50 Euro ausgegeben. Das ist zu viel, jetzt bleiben noch insgesamt 4,50 Euro bis nächsten Donnerstag. Ich habe zwar noch 60 Euro im Portemonnaie, hätte die aber schon längst an die Landesjustizkasse Bamberg überweisen müssen, wie jeden Monat. Vielleicht sollte ich mich wirklich einknasten lassen, wären noch zwei Wochen so genannte ›Erzwingungshaft‹, bis mir meine Restschuld erlassen würde. Im April habe ich eh nix zu tun. Verschiebe die Entscheidung aufs Wochenende, wie gesagt: keine langfristigen Entscheidungen in diesem Zustand. Sonst nichts gemacht. Lernen geht nicht. Das war einfach nur Tag zwei, ein Tag, den ich dem Aufhören geopfert habe.

TAG 3

Nicht viel anders als die letzten beiden. Morgens hellwach, Zähneklappern, Schwitzen, null Appetit. Versucht etwas zu lernen, aber es geht absolut nix rein. Dann mal wieder richtig Gitarre gespielt, circa zwei Stunden am Stück Arpeggien geübt. Gedancet und gleich noch mal geduscht. Lautstark und gehässig das Fernsehprogramm kommentiert. Bis eben auf dem Klo gesessen und die ›New York‹-Trilogie von Paul Auster gelesen. Überrascht, dass es schon so spät ist, ich bin nämlich noch hellwach!!! Morgen die große Prüfung: Werde ich es schaffen, abstinent zu bleiben, wenn mein Mitbewohner alle halbe Stunde mit einem Joint ankommt?

SCHREI

Nachdem ich jetzt vier Tage ohne Cannabis und Alkohol gelebt habe, habe ich heute auch das Rauchen aufgegeben. Ich tue dies nicht aus Vernunft (Was ist schon vernünftig, wenn man keine Ziele hat?), sondern aus reinem Masochismus. Ich stehe auf das Feeling, wenn es mich mehr und mehr aus der Welt hebt, meine Augen immer weiter aufgerissen, irre sarkastische Sprüche auf den Lippen, die niemand hört und auch besser niemand hören sollte. Jeder verantwortungsvolle Psychiater würde mich jetzt einweisen und sogar für euch reiße ich mich zusammen. Ich stehe am Scheideweg. Und ich weiß, dass ich den Weg, für den ich mich jetzt entscheide, nicht so schnell verlassen können werde.

Man muss schon wirklich weich sein, um aus den Ratschlägen eines Psychologen Hilfe beziehen zu können. Freunde von mir studieren Psychologie und alles, was ich von ihnen gelernt habe ist, dass Psychologen gar nichts wissen, dass es die spekulativste aller Wissenschaften ist und wahrscheinlich auch die schwierigste. Den meisten Leuten kann mit dem Hinweis geholfen werden, sich gefälligst mal zusammenzureißen und umzusetzen, was sie schon längst wissen, anstatt weiter an sich rumzuschnippeln, sich vollzufressen oder abzuschießen. Keiner wartet auf euch, keiner wartet auf irgendwen und wenn du stirbst ohne bekommen zu haben, was du wolltest, hättest du es dir verdammt noch mal besser geholt als noch Zeit dazu war. Viel zu lange habe ich die Kluft zwischen mir und meiner Umwelt durch Dienstbarkeit, Entgegenkommen und Selbstironie zu kitten versucht. Doch ich glaube, dieser Unterschied ist ein Qualitätsunterschied und zwar zu meinen Gunsten. Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz.

JAILHOUSE ROCK

Gut, ich gehe ins Gefängnis. Vor knapp drei Jahren wurde ich von der Münchner Polizei in meinem Fahrzeug kontrolliert. Ich war bekifft, ständig damals. Um mir strafbares Verhalten nachzuweisen, mussten die Bullen meine Fahruntüchtigkeit belegen. Dazu ließen sie nichts unversucht, drehten mich im Kreis, ließen mich mit geschlossenen Augen meine Finger zusammenführen und ähnliche Scherze. Zu ihrem Unmut führte ich all das perfekt aus. Als sie mich baten, eine halbe Minute abzuschätzen, sagte ich nach achtundzwanzig Sekunden »Stop!«. Dies hielt die Schlümpfe jedoch nicht davon ab, vor Gericht das genaue Gegenteil zu erzählen und so wurde ich unter anderem zu einer Geldstrafe von 1850 Euro verurteilt.

Es wurde eine Ratenzahlung von 60 Euro im Monat bewilligt. Jeden Monat schmerzte es mich, dieses Geld, das ich eigentlich nicht hatte, an die Landesjustizkasse zu überweisen. Nach reichlicher Überlegung entschloss ich mich heute, anstatt Geld zu bezahlen, Kosten zu verursachen und meine Reststrafe abzusitzen. In einem Gespräch mit der zuständigen Sachbearbeiterin vereinbarte ich den Einzug am 1. April, die Dame war da sehr flexibel.

Da ich mein Geld jetzt ausgeben kann, gehe ich in die Mensa und bestelle aus Prinzip das teuerste Essen. Setze mich an einen Tisch. All die Blicke… die ganze Mensa stürzt auf mich ein. Wohl noch etwas zu früh, um sich in die Öffentlichkeit zu trauen. Nachdem die dritte Gabel ohne Salat an meinem Mund angekommen ist, sehe ich ein, dass es keinen Sinn macht und hau ab. Hör noch ne Tussi flüstern:»… spinnt total…«, und denke: »Untertreib nicht, Baby!« Alles in allem aber kehrt langsam Ruhe in meinem Kopf ein.

DIRTY OLD TOWN

Zurück von einem weiteren Nachtspaziergang, auf der Flucht vor den Ausdünstungen meines Mitbewohners, die unweigerlich meine Suchtbahnen aktivieren. Und es hat sich gelohnt: Während ich wieder einmal mit grimmiger Miene darüber nachdenke, wie man wohl am besten die 99,99 dümmsten Prozent der Menschheit auslöscht, ohne dabei die 0,01 Prozent Elite zu beschädigen, geht mir auf einmal das Herz auf. Aus einer Kneipe, an der ich achtlos vorbei gegangen war, dringt irische Folk Musik, eine Liveband mit Gitarre, Waschbrett, Querflöte und Dudelsack spielt wunderbar authentische Musik. Ich stelle mich unter ein Fenster, stehe direkt an der Spree und es erklingt passenderweise »Dirty Old Town«. Für zwei Stücke werde ich wie auf einen Trip geschickt und erst, als sich ein Pärchen nähert, werde ich mir meines fast idiotisch verklärten Blickes bewusst. Nicht genug, die beiden sprechen mich auch noch an, ganz nette natürliche Leute, die ich zehn Minuten früher ohne Wimperzucken mit auf die Liste gesetzt hätte. Für heute schließe ich Frieden mit der Welt.

11 TAGE KNAST

Morgens das Examen, etwa zwölf Leute sitzen im Raum, ich verlasse nach einer guten Stunde als Erster verzweifelt den Prüfungsraum, die Chance bestanden zu haben, besteht praktisch nicht. Frustriert beschließe ich diesen Tag, der schon so beschissen angefangen hat, auch gleich zählen zu lassen und zwei Tage eher in den Knast zu gehen. Ich packe eilig meine Sachen (zwei Hosen, vier T-Shirts, Unterwäsche, Rasierapparat, Chinesischbuch) und gehe zum Friseur, um meinen Haarschnitt einigermaßen zu normalisieren. Ich habe es eilig, das Gefängnis schließt um 15 Uhr seine Pforten. Mit der Straßenbahn fahre ich eine Viertelstunde an den Rand eines Neubauviertels. Hier in der Nähe habe ich vor zwei Jahren mal gewohnt.

Um 14 Uhr komme ich an der Pforte an, gebe meinen Ausweis ab und werde in einen Warteraum geschickt. Dort sitzt schon ein Mann Mitte vierzig, der gut zehn Jahre älter aussieht, vom Alkohol und Nikotin schwer gezeichnet. Er hat kurze blonde Haare, ein rotes, faltiges aber markantes Gesicht, wie so ein alter Landser. Sein linkes Auge hängt in Karl-Dall-Manier auf halber Höhe, was einen ziemlich dümmlichen Gesamteindruck unterstreicht. Er hat einen dicken Bierbauch, über den sich zwei FC-Bayern-Hosenträger spannen. Neben ihm steht ein Halbmeter hoher Stapel aus Rohtabak und Zigarettenhülsen. Wir kommen gleich ins Gespräch, sein Name ist Markus und er ist nach eigener Auskunft »breit wie eine Natter«. Ich frage ihn, warum er hier sei. »Wejen ne lumpige Backpfeife!« – »Wem haste denn eine reingehauen?« – »Nem Kanaken. Aber da sieht mans ja mal wieder: Die sind hier mehr wert als wir.« – »Und wie viel haste dafür bekommen?« – »Vier Monate, aber die sitz ick uff eena Arschbacke ab.« Als er mir erklärt, der »Kanake« sei ein siebenundzwanzigjähriger Türke gewesen, werde ich schon stutzig, da die Sache dann wohl anders ausgegangen wäre als mit einer Anzeige. Fast eine Stunde sitzen wir da drin. Ich frage ihn, ob er eine Frau habe.

»Nee, die hat mich vor nem halben Jahr verlassen. Nach achtzehn Jahren Ehe. Wejen ne lumpige Backfeife.« Aaalles klar, denk ich mir.

Endlich werden wir abgeholt. Zwei Beamte führen uns durch eine Schleuse wie am Flughafen, durchröntgen unsere Tüten, tasten uns kurz ab und führen uns über einen Hof in den eigentlichen Gefängnistrakt. Am Boden liegen dutzende Brotscheiben, das Innere von Vögeln ausgepickt. Ängstlich fragt Markus. »Aber ihr sperrt mich doch nicht mit nem Kanaken zusammen?« Die Beamten beruhigen ihn, mit einem Kanaken zusammengesperrt würde man nur auf ausdrücklichen Wunsch. Gleich am Eingang sitzt ein Beamter hinter Sicherheitsglas, bei ihm müssen mehrere Formulare ausgefüllt werden. Dann werden wir in den zweiten Stock geführt und mehrere Gitter, Schlösser und Türen später bei einer Aufnahmestelle abgegeben. Einzeln werden von uns Fotos gemacht und unser Gepäck genau untersucht. Mein Rasierapparat, Geldbeutel und 28 Euro werden in einen Lederbeutel gesteckt und verplombt. Der Wärter holt uns wieder ab und bietet uns an noch mal zu duschen, die letzte Chance bis nächsten Montag. Markus lehnt ab und wird in seine Zelle geführt und ich bete, dass es nicht die selbe ist wie meine. Wieder angezogen klopfe ich von innen an die Stahltür, kurz darauf öffnet der Wächter die Tür und führt mich zu einer Vorratskammer. Dort werden mir ausgehändigt: 1 Matratze, 2 braune Decken, 1 Bettbezug, Messer, Gabel, großer und kleiner Löffel, Schneidebrettchen aus Holz, Teller, Tasse mit Untertasse, Plastikbecher und zwei Tupperdosen. Damit bepackt gehts schließlich zu meiner Zelle. Am Ende eines langen Ganges wird auf der rechten Seite die zweite Stahltür von hinten aufgeschlossen.