Die große Halle schwitzte, stöhnte und schnaufte, wie es Wundermaschinen aus Jules–Verne–Romanen in alten Hollywoodfilmen tun. Zähe Dampfwolken, zwischen denen unvermittelt weiß bekittelte Menschen auftauchten und ebenso plötzlich wieder verschwanden, wälzten sich aus Aluminiumbottichen, in denen breiig–grüner Eintopf brodelte.
Wie in einem vulkanisch befeuerten Schwefelsumpf platzten pestilenzialische Blasen mit fettem Schmatzen, sonderten dabei Gerüche ab, die sehr entfernt an Erbsen und etwas anderes erinnerten, das von den Schwärmen brauner Wurststücke herrührte, die ihre Bahn durch den Gemüsekleister zogen.
»Deutscher Eintopf mit Fleischwurst« – Menü A.
Irgendein blinder, grausamer Gott hatte beschlossen, dass für einen kleinen, höchst bedauernswerten Teil der malochenden Menschheit die Woche mit heißer, grüner Erbsenkotze beginnen sollte. Und mit zermatschtem Fleisch, das in einen Darm gepresst worden war.
Am Kopfende der Halle waren vier dicke Türkinnen dabei, beständig flach geklopftes Schweinefleisch auf ein metallenes Laufband zu drapieren.
Menü B – »Schnitzel Natur mit Salzkartoffeln«.
Das Band senkte sich nach einem halben Meter ab, transportierte die Fleischfladen gemächlich durch ein langes Becken, in dem einige Dutzend Liter heißen Speiseöls von unbestimmt ekelhafter Farbe prasselten. Hinten stieg das Band wieder an, und am Ende kippten braun verbrutzelte Schweineteile in zwei große Plastikwannen, die am Boden standen.
Eine Wanne für die erste Packstraße, wo das Schnitzel Natur zusammen mit den Kartoffeln in Schaumstoff und Metallfolie verschweißt wurde, die andere ging hinüber zu einem weiteren Spalier weiß bekittelter Frauen, wo die öltriefenden Fleischteile mit einer Scheibe Ananas und einem Stück Schinken belegt wurden.
Voilà: Menü C – »Schnitzel Hawaii«.
Im hinteren Teil des nüchternen Zweckbaus, in großen Öfen, die wie Brutkästen für eine Tierart aussahen, von der man intensiv hofft, dass sie ausgestorben sei, schnurrten derweil, von der eifrigen Besatzung der Halle noch unbemerkt, frische Rouladen zu Objekten zusammen, deren Äußeres entfernt an Eichhörnchen nach einem größeren Waldbrand erinnerte.
Menü Spezial – »Rheinische Rinderroulade«.
Hysterisches Gelächter wechselte sich mit wütenden Schreien ab, Druckventile zischten und spuckten, große Aluminiumtöpfe schepperten, und darüber, wie ein Zentralbass, dröhnten die mächtigen Lüfter, die vergeblich gegen den feinen Dunst kämpften, der durch die Halle waberte und sich in Kleider wie Haare setzte.
Mike grüßte zu den moppeligen Frauen am Fließband hinüber, die winkten fröhlich zurück, kicherten unter ihren Kopftüchern hervor und machten anatolische Bemerkungen, die seiner Person galten und in denen unendlich viele Üs und Ös vorkamen. Ihnen ging es sichtlich gut.
Mike fragte sich manchmal, ob sie nicht doch islamische Fundamentalistinnen waren, die den Auftrag hatten, ungläubige Christen mit Schweinefleisch vollzustopfen. So voll, dass selbst ein gnädig gestimmter Gott keine andere Chance hätte, als die Sünder für ewig im Feuer der Hölle schmoren zu lassen. Dort würden sie auf Metalllaufbänder gelegt und bis ans Ende der Zeit durch trübes, kochendes Öl gezogen.
Aber keine Gefahr für Mike. Aus Glaubensgründen hatte er kürzlich aufgehört, Schweinefleisch zu essen. Er glaubte fest, man bekäme davon Pickel.
»Mike! Mach los, du hast noch ’ne Extratour gekriegt!«
Er bekam immer die ganz speziellen Extratouren. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund glaubten alle hier, er sei ein gottbegnadeter Kartenleser und fähig, stets pünktlich und mit allergrößter Präzision die abgelegensten Wanderbaustellen zwischen Offenbach–Süd und Dieburg–Nord zu finden.
Der Disponent wedelte mit einem Lieferschein vor Mikes Nase herum. Auf seiner Halbglatze drängten sich Schweißperlen, er keuchte und pfiff höchst bedenklich auf dem einzigen Lungenflügel, den er noch besaß, während er Mike die Papiere in die Hand drückte, mit der freien Hand zur Rampe hinüberfuchtelte, wo eine brusthohe Mauer aus aufeinander gestapelten, länglichen Schaumstoffkisten und zwei runde, bauchige Suppencontainer warteten. Dabei versuchte er, wie an jedem Montagmorgen, keinen Herzinfarkt zu bekommen.
»Also, Mike … da ist ein Filmteam, am Westhafen, da lädst du nach deiner Runde noch achtunddreißig Essen ab, Getränke ebenfalls … nimm ’ne Steige Orangen mit und schmeiß ihnen extra Dessert hin, die Filmfritzen sind länger im Lande, und wir wollen sie uns warmhalten. Also … das ist zehnmal die C, dreimal die B und einundzwanzigmal die A. Ach ja … und viermal Spezial … hast du’s?«
»Machen die ’n Dokumentarfilm über Allesfresser?«
»Nee, die mache ein Porrno und suche noch e’ne Hauptda’stell’rr!«, nuschelte etwas dicht hinter Mike.
Die Stimme war so sanft wie mächtig; sie schien gleichzeitig an Mikes Ohr herumzukauen und schmatzend in es einzudringen. Van der Brucken. Er war entweder Belgier oder er hatte nur einen ordentlichen Sprachfehler oder beides zusammen, und er war Chefkoch des Etablissements.
Sein Gemüt war das eines zum Winterschlaf bereiten Braunbären, sein Netto–Schlachtgewicht das eines gutgenährten Mastochsen, und er sah einem dicklichen Gameshow–Moderator zum Verwechseln ähnlich, von dessen Sendung er sein Motto ableitete: »Der Scheiß ist heiß«.
Man hatte van der Brucken ungern dicht hinter sich stehen, vor allem wenn man über einen halbwegs präsentablen Hintern verfügte und, wahlweise, männlich oder weiblich war. Van der Brucken war menschlich so in Ordnung, wie er sexuell ein Tier war. Er vögelte, so wollten es die Gerüchte und seine eigene Propaganda, ganz egalitär, alles was ihm vor die Flinte kam und noch einigermaßen lebendig erschien: Männer, Frauen, domestizierte Großsäuger und eierlegende Nutztiere. Vorsichtshalber trat Mike einen Schritt beiseite.
»Vielleist lasse’se dis mitmache …«
Er machte eine obszöne Geste. Eine sehr obszöne Geste, die von einem rhythmisch klatschenden Geräusch begleitet war.
»Glaub nicht, dass die nach deinem Essen noch irgendwelche Empfindungen unterhalb ihres Bauchnabels haben.«
Mike deutete auf die brodelnden Töpfe. Kleine Augen musterten ihn mit einem wässrigen, vorwurfsvollen Blick, Lippen schürzten sich.
»Lass du mein Esse’ in Ruh’, sonst kommste in die Supp’. Aber vorher wi’st noch von mir vernas’t…
Van der Brucken grinste, breitete erwartungsvoll seine Patschhände aus, seine aufgeregten Wurstfinger machten erstaunlich schnelle Bewegungen, wie die Nesselarme eines Polypen, und er rollte genau auf Mike zu. Aber da wurde plötzlich von einem der Beiköche Rouladenalarm geläutet. Das Essen war in Gefahr! Van der Brucken verschwand fluchend zwischen Dampfwolken.
»So schlecht ist sein Essen nun wirklich nicht«, knurrte der Disponent, schüttelte den Kopf, und die Schweißperlen, die auf seiner Glatze klebten, stürzten, von der plötzlichen Bewegung überrascht, reihenweise ab.
Nein, so schlecht war es nicht. Mike machte sich auf den Weg zur Rampe, begutachtete den Lieferschein, suchte die genaue Adresse und nickte. Ein Halbstundenjob, höchstens. Wenn er geschickte Umwege fuhr und entsprechend mit dem Gaspedal spielte, konnte er eine volle Überstunde rauskitzeln.
»Und vergiss nicht die extra Desserts …«
Als hätte er die jemals vergessen. Mike packte sich immer etwas mehr auf den Bock, vor allem wenn seine Tour so lag, dass er zu Hause einen kurzen Zwischenstopp einlegen konnte.
Die Frauen, die neben ihm in den Mansarden wohnten, hatten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, Geldprobleme, und er half ihnen mit etwas Obst, Pudding und Joghurt oder dem buntverpackten Süßkram aus, mit dem sich sonst Kinder ihren Zahnschmelz ruinierten.
Vor der Halle wartete geduldig eine betagte Ansammlung aus Aluminium, Blech und Gummi auf Mike. Das »Mammut«, ein uralter, asthmatischer Ford Transit, ein klappriger Veteran an der Suppenfront, blau lackiert, wie alle Fahrzeuge von »Mainhattan Catering«, pockennarbig vom Rost, ein Fahrzeug, das aus einem Grund, den keiner wusste, nicht kaputtzukriegen war und das zum Schrottier zu bringen niemand übers Herz brachte.
Daneben zog sich gerade Oink auf den Fahrersitz seiner Kiste. Sein Wagen und der von Mike waren die letzten, die noch auf dem verdreckten Beton des Ladeplatzes standen, die anderen Fahrer schon seit einer Stunde unterwegs.
Oink hatte seine Skin–Glatze mit etwas Ähnlichem wie frischem Schweinefett eingerieben, jedenfalls schimmerte sie schmieriger als sonst. Er musterte Mike aus den Augenwinkeln und entschied sich, ihm heute keine Tracht Prügel anzudrohen, sondern zeigte nur den vergleichsweise liebenswürdigen Stinkefinger.
»Leck mich, Wichser.«
Es klang halb gerülpst und hieß in der einzigen Sprache, die Oink kannte: Guten Morgen, Kollege. Aus dem Fahrerhaus seines PS–starken VW Bulli drangen nun Oi–Oi–Chöre zu Rockmusik im Dampframmenstil. Mit der Hupe signalisierte er die übliche Aufforderung, ein kleines Rennen zu veranstalten. Für ein paar Kilometer liefen seine und Mikes Tour parallel die Hanauer Landstraße stadteinwärts, vorbei an der schreiend bunten Ödnis von Einkaufszentren und Möbelhäusern.
Aber Mike hatte keine Lust herauszufinden, wer als Erster an der Kreuzung ankommen würde, wo sich die Wege trennten. Er würde sowieso verlieren. Nicht nur weil Oink den schnelleren Wagen hatte, er fuhr noch dazu wie eine Wildsau, immer auf Konfrontation, immer in Gefahr, dass ihm die Ladung um die Ohren flog.
Oink zeigte ein Lächeln, das fatal an eine schadhafte Baggerschaufel erinnerte, dann stand er auch schon auf dem Gas, und die Räder seines Wagens schmirgelten wütend über den Beton. Mike schaute hinterher und hatte eine erste leise Ahnung, dass dieser Tag in irgendeiner unerklärlichen Weise anders und nicht notwendigerweise besser als die vorangegangenen sein würde.
Sein rechtes Kniegelenk tat ihm wieder weh, und das konnte nicht vom Wetter herrühren. Keine Kaltfront im Anzug. Er verscheuchte den Gedanken daran so schnell und so geübt, wie er das immer machte, ignorierte den Schmerz, der unter der Kniekappe seines rechten Beins saß und kräftig zubiss.
Keine Zeit, sich um die hässlichen, zappelnden Dinger zu kümmern, die unter der Hauptbühne seines gedanklichen Theaters rumorten.
Als der Wagen beladen war, warf er das Radio an. Im AFN, dem amerikanischen Militär– und Mikes Lieblingssender, den er stets angeschaltet hatte, weil er das öde Geseire der Radioreklame hier einfacher und ohne Senderwechsel überhören konnte, lief Tom Petty & the Heartbreakers:
I’m learning to fly.
Die ideale Musik, um im innerstädtischen Autostrom von Lücke zu Lücke zu slippen.
Mike dachte aus keinem bestimmten Grund an Falken und fuhr los.