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Jule Richter

GRENZLUST

Roman

© 2015

édition el!es

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Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-149-0

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© woyzzeck – Fotolia.com

Für T. R.

Gerade deshalb . . .

. . . an deiner Hand, ein Leben lang.

5

Ella

»Endlich mal wieder ins Kino! Ich freue mich riesig, dass es geklappt hat«, begrüße ich Viola, Franka und Inken vor der Kinokasse. Lachend und plaudernd kaufen wir uns Karten, Popcorn und Cola und suchen unsere Plätze – wie immer in der letzten Reihe ganz in der Mitte. Wir sind viel zu früh und nutzen die Werbung, um uns über den neusten Klatsch und Tratsch zu unterhalten. Aber da wir uns wirklich lange nicht gesehen haben, ist die Werbung fast zu kurz. Schon geht das Licht aus, und der Filmvorspann beginnt.

Wir wenden uns nach vorn und lehnen uns gemütlich zurück. Kurz bevor der Vorspann endet, kommen noch vier Leute die Treppen hochgeschlichen, die ihre Plätze zu suchen scheinen. Unmöglich. Können die nicht pünktlich sein?

Na toll. Jetzt kommen sie auch noch in unserer Reihe. Und ich hatte mich so gefreut, dass uns heute schmatzende, hustende oder quatschende Fremde neben uns erspart bleiben. Um die Nachzügler nicht mit meinem finsteren Blick zu vergraulen, starre ich verkrampft auf die Leinwand und versuche mich abzulenken. Wenn sie erst einmal sitzen, sind sie bestimmt still.

Diese Hoffnung erfüllt sich zum Glück, und ich entspanne mich langsam. Der Film läuft mittlerweile seit zehn Minuten. Ich genehmige mir einen Schluck Cola. Als ich mich gerade wieder in meinen Sitz gelehnt habe und meinen Arm zurück auf die Lehne legen möchte, bemerke ich, dass da schon besetzt ist. Mein Nebenmann hat sich meine Armlehne zu eigen gemacht, als ich meine Cola vor meine Füße zurückstellte. Frechheit. Ich werfe nun doch einen zornigen Blick auf die Seite, denn so geht das ja nun nicht.

Eine Zehntelsekunde später falle ich fast tot um.

»Mona!«, entfährt es mir. Fast ein bisschen zu laut.

»Pscht«, macht sie und hält sich den Finger vor den Mund.

»Verfolgst du mich?«, flüstere ich entgeistert, aber so leise, dass es niemand mitbekommt.

Sie sieht mich kurz von der Seite an und schaut dann wieder nach vorn. »Quatsch. Ich sitze immer in der letzten Reihe in der Mitte. Und ich bin seit zwei Wochen für diesen Film verabredet. Von Verfolgung kann also wirklich keine Rede sein.«

»Na schön. Dann genieß den Film«, gebe ich zurück und setze mich kerzengerade auf meinen Sitz zurück. Die Hände verschränke ich vorsichtshalber in meinem Schoß. Die Lehne ist ja besetzt.

Ich traue mich gar nicht zu atmen. Ich würde so gern noch einmal hinüberblicken, in ihr Gesicht. Aber ich kann nicht. Wie festgefroren sitze ich da.

»Entspann dich«, flüstert es von der Seite. Im Augenwinkel sehe ich Monas breites Grinsen. Sie scheint sich köstlich über mich zu amüsieren.

Ich habe noch nie so intensiv auf bewegte Bilder gestarrt, ohne auch nur einen Hauch der Handlung mitzubekommen. Schade ums Geld. Und die ganze Zeit spüre ich Monas Blick. Sie scheint sich nicht daran sattsehen zu können, dass ich mich so anstelle. Doch den Gefallen tue ich ihr nicht. Ich nehme noch einen Schluck Cola und setze mich dann ganz locker – oder so locker, wie es eben geht – zurück in meinen Sitz. Viola reicht mir Popcorn, und ich greife beherzt zu.

»Siehst du? Geht doch«, bemerkt Mona spöttisch und schaut nun endlich auch wieder zur Leinwand.

Es knistert. Und das ist nicht die Filmspule, die hinter uns rattert. Ich kann nichts dagegen tun. Unruhig rutsche ich hin und her.

»Alles in Ordnung?«, will Viola wissen.

»Ja, alles okay. Ich weiß gerade nur nicht, wie ich sitzen soll.« Das ist immerhin fast die Wahrheit.

Viola konzentriert sich wieder auf den Film. Die hat es gut.

Mir wird ganz heiß. Meine Gedanken fahren Achterbahn. Mona . . . so nah.

Mein Schoß brennt.

Sie sieht mich an. Leckt sich fordernd über die Lippen. Zwinkert mir zu.

Ich platze gleich. Und sie spielt mit mir.

Ich hasse sie!

Mona

Wie gern ich sie auf ihrem Sitz umdrehen, ihr den Rock hochschieben und sie von hinten so richtig ficken würde. Ich bin mindestens so angespannt wie sie, nur kann ich es besser verbergen. Wie sie herumzappelt . . . Am liebsten würde ich ihr auf der Stelle Benehmen beibringen. Bei dem Gedanken daran, sie hier im Kino übers Knie zu legen, um ihr die Hummeln aus dem Hintern zu treiben, wird mir ganz warm.

Auch mir fällt es schwer, stillzusitzen, und der Film interessiert mich längst nicht mehr. Ich will sie.

Jetzt. Hier.

Ich lehne mein Bein zur Seite, so dass mein Knie ihres berührt. Sie presst es gegen meins. Eine Einladung? Ich reibe mein Bein an ihrem. Sie lässt mich gewähren. Ich rücke auf meinem Sitz näher an ihren, lehne mich mit meinem Ellenbogen auf die Armlehne. Lasse meinen Arm kurz dort ruhen. Dann gleitet meine Hand zu ihr hinüber. Berührt ihren Oberschenkel. Sie zuckt zusammen, zieht sich aber nicht zurück. Ich streiche an ihrem Schenkel entlang. Ihr Rock ist kurz. Sein Stoff ist weich und lässt sich unbemerkt nach oben schieben.

Ihr Atem wird schneller. Doch sie starrt noch immer zur Leinwand und macht keine Anstalten, mich abzuwehren.

Meine Hand gleitet unter ihren Rock. Ich muss vorsichtig sein. Ihre Freundin darf nichts bemerken. Mein Finger stößt an ihren Slip. Ich tippe dagegen. Reibe über ihre Scham.

Vorsichtig. Langsam. Beharrlich.

Sie drängt ihr Becken meiner Hand entgegen, und mein Spielraum vergrößert sich. Ich schiebe den störenden Stoff zur Seite. Eine wunderbare Nässe empfängt mich in ihrem Schoß. So viel Erregung, nur für mich . . . Sie rutscht meiner Hand noch ein Stück entgegen. Ihre Augen sind geschlossen.

»Sieh dir den Film an«, flüstere ich und entziehe ihr solange meine Finger.

Sie öffnet die Augen wieder und starrt nach vorn. Gut so.

Mein Finger gleitet durch ihre Nässe. Bahnt sich den Weg zwischen ihre Schamlippen, berührt ihren Kitzler. Sie zieht scharf die Luft ein.

»Pscht!«, ermahne ich sie. Sie nickt.

Mein Finger gleitet gen Süden.

Ihr Becken presst sich mir noch drängender entgegen. Ich weiß, was sie will. Ich werde es ihr geben.

Langsam lasse ich meinen Finger in sie gleiten. Stoße zweimal tief hinein, verweile einen Moment in ihr. Sehe sie an. Sie blickt starr auf die Leinwand. Ihre Hände krallen sich in die Armlehnen. Im Film ist es gerade laut. Er scheint gut zu sein, alle konzentrieren sich gebannt auf die Handlung, und keiner bekommt mit, was wir tun.

Ihre Hand löst sich von der Lehne, streift meinen Arm, ihre Finger umfassen mein Handgelenk. Sie dirigiert meine Bewegungen in ihrem Schritt. Ich lasse es zu. Ficke sie langsam und tief. So, wie sie es will.

Es fällt ihr immer schwerer, ruhig zu bleiben. Ihre Muskeln spannen sich an. Es scheint nicht mehr lange zu dauern.

»Nimm die Hand da weg«, flüstere ich streng. Sie tut, wie ihr geheißen. Ich mache weiter. Tiefer, fester. Dann streife ich mit meinem Daumen ihren Kitzler.

Sie kann ein Stöhnen nicht unterdrücken. Ruckartig entziehe ich ihr meine Hand, was sie ebenfalls mit einem Stöhnen quittiert. Ihre Freundin schaut rüber. Ich sitze längst wieder ruhig und nach vorn gewandt auf meinem Platz und nippe an meiner Cola.

Sie hingegen bewegt sich ruhelos auf ihrem Sitz und weiß offensichtlich nicht, wohin mit sich.

»Ella, was ist denn los?«, fragt ihre Freundin entgeistert.

Ella

Worte, Ella! Worte! Du brauchst welche. Ganz, ganz schnell. Und vor allen Dingen müssen sie sinnvoll sein.

»Ähm . . . Ich muss so dringend pinkeln. Aber der Film ist so gut, da will ich nicht aufstehen«, lüge ich Viola an.

Sie sieht mich besorgt von der Seite an und meint: »Bevor du den Sitz nass machst, solltest du wohl besser gehen.«

Ich nicke nur und erhebe mich mit wackligen Beinen. »Lasst ihr mich mal eben durch?«, bitte ich meine Freundinnen. Das ist zwar der längere Weg zu den Toiletten, aber ich will auf keinen Fall über Monas Schoß rutschen, um die Sitzreihe zu verlassen. Die drei anderen stehen netterweise auf, und ich husche nach draußen.

Luft! Ich brauche Luft! Auch wenn sie weder im Foyer noch auf den Kinotoiletten besonders frisch ist. Aber alles ist besser als diese Hitze im Kinosaal.

Ich gehe zu den Waschbecken im Damen-WC und klatsche mir kaltes Wasser ins Gesicht. Viel kaltes Wasser. Mein Schritt glüht. Meine Beine sind wie Pudding.

Was tut sie da bloß? Und warum? Und was mache ich?

Ich lasse es zu!

Da ich nun schon mal hier bin, gehe auf die Toilette, obwohl ich nicht wirklich muss. Dabei ertappe ich mich bei dem Wunsch, dass Mona mir folgt, um es mir auf dem Klo so richtig zu besorgen. Bei dem Gedanken gleitet meine Hand wie von selbst in meinen Schritt. Meine Finger werden freudig empfangen. Ich reibe über meinen empfindlichsten Punkt, stoße in meinen Schoß.

Meine Muskeln spannen sich an. Meine Gedanken sind bei Mona.

Ich stelle mir vor, wie sie mich an die Wand drückt, mein Bein um ihre Hüften legt und in mich eindringt. Hart und schnell. Bis ich nicht mehr kann.

Ich merke die Hitze in mir aufsteigen. Meine Beine fangen an zu kribbeln, mein Schoß brennt. Meine Finger wissen, was zu tun ist. Ich schließe die Augen. Sehe Mona vor mir. Spüre ihre Lippen auf meinen. Ihre Finger in mir. Dann komme ich. Unterdrückt stöhne ich auf, sacke kurz zusammen.

Schwer und unrhythmisch atmend nehme ich die Hand aus meinem Schritt, hole noch einmal tief Luft und stehe auf. Wozu bringt diese Frau mich? Jetzt mache ich es mir auf einem Kinoklo selbst. Das darf doch nicht wahr sein.

Mäßig entspannt, aber doch ein wenig erleichtert darüber, die Erregung wenigstens für den Moment los zu sein, öffne ich die Toilettentür, stelle etwas enttäuscht fest, dass Mona mir wirklich nicht gefolgt ist, und wasche mir die Hände.

»Da bist du ja endlich wieder«, flüstert Viola, als sei ich Stunden weg gewesen.

»Sorry. War voll.« Schon wieder lüge ich sie an, während ich mich setze. Wenn die wüsste.

Mona empfängt mich mit einem frechen Grinsen, das ich beim besten Willen nicht erwidern kann, und ich bemühe mich, den Rest des Films bewusst wahrzunehmen. Was allerdings kläglich an den wirren Gedanken scheitert, die mein Hirn vollständig ausfüllen.

Mona

»Warst du artig?«, frage ich unverblümt, als meine reizende Sitznachbarin wieder zurück ist. Sofort spannt sie sich wieder an. Ich muss schmunzeln: Allem Anschein nach war sie es nicht. Es sei ihr gegönnt. Dieses Mal jedenfalls. Ich lehne mich zurück und warte nicht mehr auf eine Antwort.

Der Film endet tränenreich – zumindest schließe ich das aus den schimmernden Augen meiner Freundinnen und daran, dass sie allesamt schon beim Abspann aufspringen, um möglichst ungesehen durchs Foyer zu den Toiletten zu eilen und ihre Schminke wieder herzurichten. Offensichtlich geht es der Begleitung von Ella – so heißt sie doch, wenn mich nicht alles täuscht und ich meinen Ohren trauen kann – ähnlich. Damit sitzen sie und ich plötzlich allein in der letzten Reihe.

»War es schön auf dem Klo?«, frage ich, um doch noch eine Antwort zu bekommen.

»Ich werde dazu nichts sagen«, gibt Ella zurück.

»Ach, Ella«, sage ich leise, »mir kannst du es doch erzählen. Immerhin hatte ich kurz bevor du es dir selbst gemacht hast noch meine Finger in dir.« Ich werfe ihr einen Blick zu.

Sie beißt die Zähne zusammen und ringt offensichtlich nach Worten. »Ich muss jetzt gehen«, presst sie schließlich heraus und steht auf. Abgesehen von uns und drei oder vier Zuschauern aus der ersten Reihe sind alle bereits gegangen. Ella will sich gerade zum Ende der Reihe bewegen, da greife ich ihre Hand, ziehe sie zu mir, und sie landet wieder auf ihrem Sitz.

»Was soll das?«, fragt sie atemlos.

»Ich will zu Ende bringen, was ich angefangen habe«, erkläre ich.

Frech gibt sie zurück: »Aber ich habe es schon zu Ende gebracht, wie du ganz richtig vermutet hast.«

In meiner Hand kribbelt es. Solche Antworten wären eigentlich einen kräftigen Klaps auf den Hintern wert. Aber ich halte mich zurück. Ich sage nur: »Na gut. Wenn das so ist, dann gehe ich jetzt zu meinen Freunden. Und das solltest du vielleicht auch tun. Sonst machen sie sich noch Sorgen.«

Sie sieht mich unschlüssig an und fragt: »Woher kennst du meinen Namen?«

»Deine Freundin hat dich eben mit diesem Namen angesprochen. Mir bleibt selten etwas verborgen«, spiele ich geheimnisvoll auf ihre Verfehlungen an, die es sich zu strafen lohnt. »Gewöhn dich dran. Gute Nacht, Ella!«

»Gute Nacht«, flüstert sie kaum hörbar. Ich bin ziemlich sicher, sie bereut es, mir eine Abfuhr erteilt zu haben. Selbst schuld. Diese Chance bekommt sie nur einmal.

Ich verlasse die Sitzreihe und dann den Kinosaal. Draußen warten die anderen schon. Gutgelaunt gehen wir gemeinsam noch etwas trinken.

Ella

Die ganze Zeit wünsche ich mir nichts mehr, als dass sie mich vögelt, bis mir der Atem stockt – und wenn sie sich anbietet, schicke ich sie weg. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Und mich verstehe ich erst recht nicht. Aber ich habe auch keine Zeit, nach Antworten zu forschen. Viola und die anderen sind bestimmt schon nervös, weil ich so lange brauche. Und eine gute Entschuldigung habe ich auch nicht parat.

Als ich im Foyer ankomme, steht Viola allein dort und wartet auf mich.

»Wo sind die anderen?«, frage ich überrascht.

»Die sind schon gegangen. Müssen morgen früh arbeiten. Ich dachte, ich warte noch kurz auf dich, damit du dich nicht wunderst, wenn keiner mehr hier ist.«

»Danke.«

»Ella?«

»Was ist denn?«

»Ist sie das?«

Ich schnappe nach Luft. »Was? Wer? Wen meinst du?«

Viola grinst. »Na, die schöne Fremde, die dir im Kino einfach so ihren Finger in die Möse steckt. Ist das Mona?« Sie muss lachen, als sie mein entsetztes Gesicht sieht.

»Wenn du das so sagst«, beschwere ich mich, »klingt das ja ganz grausam.«

»Nun sag schon. Ist sie das?« Viola lässt nicht locker.

»Glaubst du, ich würde jede Fremde einfach so in meinen Schritt lassen? Natürlich war sie das. Aber das war nicht geplant. Nichts ist geplant, was mit Mona zu tun hat. Das ist ja das Schlimme«, sprudelt es aus mir heraus.

Viola klopft mir auf die Schulter. »Gute Wahl. Sie ist wirklich hübsch. Aber vielleicht kann ich sie mal kennenlernen, wenn ihr Finger nicht in dir ist.« Das wird mir sicherlich noch einige Male aufs Butterbrot geschmiert werden. Na herrlich.

»Lass uns gehen«, sage ich nur. »Ich bin müde.«

»Das glaube ich. War ja auch ein harter Abend für dich.« Viola lacht über ihren eigenen Scherz. Ich gönne es ihr. Für Gegenwehr bin ich ohnehin zu erschöpft.

3

Ella

»Ella! Schön, dass wir uns mal wieder sehen. Das ist ja ewig her«, begrüßt Viola mich strahlend, als wir uns am Eingang des Volksparks treffen.

»Ja, ich freue mich auch, dass das so spontan geklappt hat. Es wäre auch zu schade gewesen, den Tag mit dem Haushalt zu verbringen, wenn die Sonne so schön scheint.«

Wir schlendern in den Park und suchen uns auf der großen Wiese eine Ecke, die von Bäumen umfasst ist. Da wir beide nicht gerade zu den Sonnenanbeterinnen gehören, lassen wir uns im angenehmen Halbschatten auf unseren mitgebrachten Decken nieder.

»Und?«, will Viola wissen, als wir es uns gemütlich gemacht haben. »Erzähl. Was gibt es Neues bei dir? Arbeitest du immer noch bei diesem Ekel?«

»Ja, leider. Aber lange hoffentlich nicht mehr. Ich halte schon Ausschau nach was anderem. Aber so einfach ist das gar nicht. Mal abwarten . . . Und bei dir?«

»Ach, alles beim Alten.« Viola scheint auf die Frage nur gewartet zu haben, denn sie rattert los: »Dass mit Florian Schluss ist, weißt du ja, und ich habe auch gerade gar keine Lust auf irgendwelche Typen, die dann doch wieder fremdgehen, mich von vorn bis hinten verarschen oder nur an ihre Computerspiele und Männerfreundschaften denken.« Sie sieht mich nachdenklich an, dann grinst sie und knufft mir mit dem Ellenbogen in die Seite. »Vielleicht versuche ich es auch einfach mal mit einer Frau.«

Ich grinse zurück und zeige ihr einen Vogel. »Ja, klar, Vivi«, gebe ich zurück. »Du und eine Frau. Nee, nee, verdreh du mal lieber den Herren der Schöpfung den Kopf und überlass die Damenwelt mir.«

»Na, dann erzähl mal, wie es in der Damenwelt so läuft.«

»Ach, da gibt es nichts zu berichten«, entgegne ich und sehe auf die karierte Decke, auf der ich sitze.

Das war offenbar ein Fehler, denn Viola hakt sofort nach: »Wirklich nicht? Komm schon, Ella. Wir sehen uns zwar nicht oft, aber ich kenne dich ganz gut. Da gibt es doch was, oder?«

Ich blicke sie an. »Na gut«, sage ich gedehnt. »Es gibt da was. Aber ich weiß gerade selbst nicht, was ich davon halten soll. Es ist so merkwürdig. Ganz anders als bei den anderen. Irgendwie geheimnisvoll. Aber auch anstrengend und total verwirrend.«

»Jetzt machst du mich aber neugierig!«

Ich wünschte, ich hätte nicht davon angefangen, aber jetzt kann ich natürlich nicht mehr zurück. »Ach, es gibt in meinem Haus eine Frau, die ich schon seit meinem Einzug irgendwie anziehend finde. Wir sind uns in den letzten Wochen ab und an über den Weg gelaufen, und ich hatte auch den Eindruck, dass sie mich immer mal wieder angesehen hat. Aber passiert ist bisher nie etwas.«

»Und dann?«

»Vor ein paar Tagen hat sie mir meine Tür aufgeschlossen, weil ich mich völlig blöd angestellt habe. Wir haben kurz geredet. Aber irgendwie inhaltslos. Und heute . . .« Ich stocke. Bei dem Gedanken an den Kuss im Flur kribbelt es schon wieder in meinem Schritt.

»Was war denn heute?«, drängelt Viola. »Los, spuck es aus, Ella!«

»Heute hat sie mich an den Briefkästen überrascht. Sie hat so eine faszinierende, aber auch irgendwie . . . arrogante Art an sich, der ich mich ganz schwer entziehen kann. Und das scheint sie bemerkt zu haben. Sie kam auf mich zu und . . .«

»Und?«

»Und hat mich geküsst. Aber frag nicht nach Sonnenschein, Vivi. Das war so unglaublich!«

Viola starrt mich ungläubig an. »Wie bitte? Einfach so?«

»Sie weiß scheinbar, wie es geht«, vermute ich.

»Aber das kann man doch nicht machen. Einfach so eine Fremde küssen. Ohne Vorwarnung. Ich glaube es nicht . . . Und dann?« Viola wirkt so fassungslos, als würde ich ihr gerade erzählen, dass ich einen Mord beobachtet habe.

Ich zucke die Achseln und beende die Geschichte knapp: »Nichts ›und dann‹. Unser Nachbar kam, wir haben uns wieder um die Post gekümmert und sind hochgegangen.«

»Ach so.« Viola lechzt offenbar nach einer Superstory: »Und dann habt ihr es wild in deiner Wohnung getrieben, stimmt’s?«

»Nein. Wir haben uns verabschiedet, und jede ist in ihre eigene Wohnung gegangen«, enttäusche ich sie.

Betreten sagt Viola: »Oh. War der Kuss nicht gut?«

»Und ob. Ich wurde noch nie so geküsst. Das war der unglaublichste Kuss meines Lebens. Deswegen bin ich ja so verwirrt. Aber vielleicht hat sie das anders empfunden. Oder . . . ach, ich weiß auch nicht. Es ist wirklich komisch.« Die letzten Worte murmele ich kaum hörbar.

Viola grinst. »Na, da ist ja was los in deiner Welt. Ich sollte doch ernsthaft darüber nachdenken, die Seiten zu wechseln.« Dann bittet sie mich, sie unbedingt auf dem Laufenden zu halten. Was ich auch gern verspreche. Ich denke allerdings, dass es da nichts mehr zu berichten geben wird.

Den Rest des Nachmittags verbringen wir damit, uns die Berliner Brathähnchen anzusehen, die in der prallen Sonne auf ihren Decken vor sich hin brutzeln, und zu überlegen, wie lange es dauert, bis sie die Diagnose Hautkrebs bekommen. Es ist ein vergnüglicher Tag, und ich schaffe es sogar, nicht ständig an meine Nachbarin zu denken.

Mona. Mona. Mona.

Mona

Was muss sie jetzt von mir denken? Was ist da bloß über mich gekommen? Ich kann doch nicht einfach eine Nachbarin küssen. Aber sie ist so faszinierend. Wirkt so unschuldig. Macht sich dadurch interessant.

Trotzdem – ich sollte die Finger davon lassen. Die Wahrheit ist, dass sie wahrscheinlich entsetzt wäre, wenn sie mich kennenlernen würde. Und dann muss ich ausziehen. In ein anderes Haus. In eine andere Straße. In einen anderen Bezirk.

Oder gleich in eine andere Stadt.

Und eigentlich liebe ich meine Dachgeschosswohnung, auch wenn der Weg in den vierten Stock nicht gerade ein Spaziergang und die Wohnung im Sommer extrem heiß ist. Da ist mir selbst das Einräumen der Spülmaschine zu anstrengend. Aber ich überwinde mich, erledige noch ein wenig von dem Haushalt, der in der Woche immer liegenbleibt, und gehe dann duschen.

Warum läuft immer nur so ein Schwachsinn im Fernsehen? Erschreckend. Ich schalte den Fernseher aus und beschließe, noch eine Runde durch die laue Sommernacht zu spazieren. Berlin ist abends so wunderschön. Die Lichter auf den Balkonen und in den Zimmern gehen an, die Laternen tauchen die Straßen in einen goldenen Schimmer, und das Gemurmel der Leute, die vor den Kneipen und Bars sitzen, mit ihren Gläsern klappern und über ihre Geschichten lachen, ist Musik in meinen Ohren. Das Haus, in dem ich wohne, liegt in einer Seitenstraße zum beliebten Szenekiez in Friedrichshain. Es ist mittendrin und doch so ruhig, dass man vom Berliner Nachtleben kaum etwas mitbekommt, wenn man es nicht möchte.

Aber heute möchte ich es.

Ella

»So, Ella«, sagt Viola bedauernd, »ich muss langsam los. Muss morgen früh raus, weil ich bei meinen Eltern zum Sonntagsfrühstück eingeladen bin. Ich versuche ihnen seit Jahren klarzumachen, dass das neue Sonntagsfrühstück Brunch heißt und nicht schon um neun beginnt. Aber sie lassen sich nicht beirren und halten an ihrer Tradition fest.« Sie beginnt ihre Decke aufzurollen und in ihre Tasche zu stecken.

Ich nicke. »Kein Problem. Ich muss auch langsam mal nach Hause . . . ich bin ganz schön geschafft von der Woche. Aber es war wirklich sehr schön, dass wir uns mal wieder gesehen haben.«

»Auf jeden Fall. Wir müssen das dringend wiederholen. Und vergiss nicht: Halt mich auf dem Laufenden!«, erinnert sie mich, und ihre grünen Augen funkeln mich an.

»Ich werde daran denken. Aber versprich dir nicht zu viel«, bremse ich ihre Neugier. »Es wird vermutlich nichts mehr passieren.«

Wir schlendern zum Ausgang.

»Also, Ella«, sagt Viola, »mach’s gut! Und bis ganz bald.«

»Ja, mach du es besser. Viel Spaß bei deinen Eltern.«

Wir nehmen uns noch einmal in den Arm und verabschieden uns am Tor.

Der Spaziergang nach Hause ist wunderschön, und ich bin froh, dass ich das Auto heute stehen gelassen habe. Inzwischen ist es fast dunkel, sternenklar und angenehm mild. Ich atme tief ein. Der Duft, der in den Straßen liegt, ist betörend. So liebe ich Berlin. Nur von Laternen beleuchtet und irgendwie so viel langsamer als am Tag. Als ich in meinem geliebten Friedrichshainer Kiez ankomme und in die Straße biege, in der ich seit einigen Monaten so gern lebe, schließe ich die Augen und lasse die Geräusche und Gerüche der lauen Sommernacht auf mich wirken.

Gehe ich, oder stehe ich? Ich weiß es gar nicht genau. Ich habe fast das Gefühl zu schweben. Getragen von den Stimmen der Menschen, die Berlin genauso lieben wie ich.

Als ich die Augen schließlich wieder aufschlage, werde ich jäh aus meinem Genuss gerissen. Impulsiv keife ich los: »Oh Himmel, erschreck mich doch nicht so!«

Vor mir steht Mona. Um ein Haar wären wir zusammengeprallt.

»Tut mir leid, das war nicht meine Absicht. Aber ich bin nicht diejenige, die mit geschlossenen Augen durch Berlin läuft«, gibt sie wahrheitsgemäß zurück, während ich langsam wieder zu Atem komme. »Geht’s wieder?« Sie sieht mich eindringlich an.

»Ja . . . ja, danke. Alles in Ordnung«, stammele ich und versuche an ihr vorbeizuhuschen. Wie peinlich. Ich hoffe, sie hat nicht gesehen, dass ich eben auch noch meine Arme weit ausgebreitet habe, um mich frei wie ein Vogel zu fühlen. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken.

Mein Versuch, meinen Weg fortzusetzen, scheitert an der Hauswand, die mir in die Quere kommt. Ich streife Monas nackten Arm. Die Berührung jagt mir einen elektrischen Stoß durch den ganzen Körper, der mich zusammenzucken lässt.

»Entschuldige«, murmele ich und traue mich nicht, Mona anzusehen, aus Angst, sie könnte bemerken, dass ich knallrot werde.

»Kein Problem«, flüstert sie kaum hörbar. Doch sie bewegt sich keinen Schritt zur Seite, um einen Spalt zwischen sich und der Hauswand zu schaffen, durch den ich schlüpfen könnte. So stehen wir nebeneinander, und unsere Haut tauscht so viel Energie aus, dass die Luft zu knistern scheint.

»Ist wirklich alles in Ordnung?«, hakt Mona noch einmal nach und dreht sich endlich um.

Doch ich kann nicht gehen. Ich kann mich nicht von der Stelle rühren. Wie vom Blitz getroffen. Und irgendwie war es ja auch genau so, in dem Moment, als sich unsere Arme berührten. Ich nicke, um ihre Frage zu beantworten.

»Dann ist ja gut«, raunt Mona. Aber statt zu gehen, kommt sie nun einen Schritt auf mich zu.

Meine Muskeln spannen sich an.

Ich bemerke, dass ihr Blick an meinem Körper auf und ab wandert. Sie mustert mich, und in ihrem Augenwinkel kann ich ein Lächeln erkennen. Mein Herz klopft. Ich kann kaum atmen.

Noch ein Schritt.

Ich drehe mich zu ihr.

Mein Rücken berührt die Hauswand. Sie ist kalt. Und sehr hart. Es ist mir egal.

Ich hebe den Kopf, sehe Mona an. Mein Körper zerspringt fast. Doch ich kann mich dieser Frau nicht entziehen.

Dann macht Mona auch noch den letzten Schritt. Sie stützt sich mit beiden Händen neben meinem Kopf ab. Ich spüre ihren Körper an meinem. So stehen wir da, mitten im Kiez. Umringt von Menschen. Im Schein der Straßenlaterne, die einen wunderschönen, goldenen Schein auf Monas Haut zaubert.

Mein Atem geht schwer. Ich kann das Kribbeln in meinem Schritt nicht ignorieren. Ich will Mona an mich ziehen. Noch näher. Mit ihr verschmelzen. Sie spüren.

Aber ich bin nicht fähig, mich zu bewegen.

Mona

Was tue ich hier bloß? Hatte ich nicht vor ein paar Stunden noch beschlossen, diese Frau aus meinem Kopf zu streichen? Und nun stehe ich vor ihr, und es fehlen nur wenige Zentimeter bis zum nächsten Kuss.

Ich muss damit aufhören. Aber ich kann nicht. Ihr Haar glänzt im sanften Licht der Laterne, ihre Augen funkeln mich an. Sie will es. Das spüre ich. Aber es geht nicht. Noch nicht. Oder niemals. Ich weiß es nicht.

Ich beuge mich zu ihr. Höre ihren schweren Atem. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich schnell, und sie schließt die Augen. Es wäre ein Leichtes, sie zu küssen.

Hier und jetzt.

Aber ich kann nicht aus meiner Haut. Ich liebe es zu sehr, sie zappeln zu lassen. Sie zu beobachten, ihre Unruhe zu fühlen und zu sehen, dass sie nicht mehr weiß, was sie fühlen oder denken soll. Ich will wissen, wie weit ich gehen kann.

Ich will sie herausfordern. Will mit ihr spielen. Auch wenn ich mir daran vielleicht die Finger verbrenne – das Risiko nehme ich in Kauf. Sie ist so wunderschön. So zart und unschuldig.

Mein Schritt pulsiert. Ich würde sie am liebsten ficken.

Mein Gesicht nähert sich ihrem. Ihr Atem wird noch schneller, sie öffnet leicht die Lippen, willig, mich zu küssen. Meine Wange berührt ihre. Ihre Haut fühlt sich weich und zart an. Ich verweile kurz und schließe die Augen.

Dann flüstere ich ihr ins Ohr: »Ich hoffe, du kommst heil nach Hause.« Ich nehme meine Hände von der Hauswand und trete wieder einen Schritt zurück.

Schwer atmend steht sie mit dem Rücken an der Wand. Ihre Finger suchen verzweifelt Halt in den Fugen der Mauer. Sie sieht mich mit aufgerissenen Augen an, kann nicht fassen, was ich getan habe. Ich lächele sie an.

»Auf Wiedersehen«, sage ich noch und gehe an ihr vorbei.

Ich würde mich so gern umdrehen, sehen, was sie macht. Sieht sie mir nach? Bleibt sie stehen? Wie lange?

Aber ich blicke nicht zurück. Ich gehe noch eine Extrarunde um den Block, um sie allein nach Hause gehen zu lassen und um meinen Kopf freizubekommen. Wie gern hätte ich sie umgedreht, an die Wand gedrückt und von hinten gefickt, bis sie sich nicht mehr auf den Beinen halten kann.

Mit diesem Gedanken hole ich mir noch ein Bier am Späti und laufe durch die Straßen nach Hause.

Ella

Dieses blöde Miststück. Was fällt der denn bitte ein? Sie kann doch nicht einfach gehen. Mich erst geil machen und dann gehen . . . Das ist nicht zu fassen. Am liebsten würde ich hinter ihr herrennen und sie anschreien. Aber das spare ich mir. Unter anderem auch deshalb, weil meine Beine mich höchstwahrscheinlich gar nicht mehr so weit tragen würden. Meine Knie sind weich wie Pudding, und mein ganzer

Körper kribbelt vor Erregung. Wieso tut sie das?

Einen Moment bleibe ich noch an der Mauer stehen. Einerseits weil ich befürchte, dass ich umfalle, wenn ich den Halt schon jetzt aufgebe. Andererseits habe ich die Hoffnung wohl noch nicht ganz aufgegeben, dass sie gleich wiederkommt, um mich mit zu sich zu nehmen und ins Land der Lust zu befördern. Aber ich hoffe vergebens.

Der Weg nach Hause ist glücklicherweise nicht mehr weit.

Was für ein Biest! Wo soll das noch hinführen?

2

Ella

»Oh nein! Zu spät, zu spät, zu spät«, brabbele ich vor mich hin, als ich unachtsam meine Kleider aus dem Schrank rupfe, um irgendwas Brauchbares für den heutigen Arbeitstag herauszuangeln. Es steht ein Meeting an, und ich muss den Konferenzraum vorbereiten, weil meine Assistentin krank geworden ist. Die Assistentin der Assistentin also . . . so ein Schwachsinn. Ich bin aber sehr spät dran, und anzuziehen habe ich auch nichts mehr – davon aber jede Menge.

Eine fast zu legere Bundfaltenhose und eine roséfarbene Bluse müssen heute genügen. Schnell binde ich mir die Haare zu einem Dutt zusammen und schlüpfe in meine Pumps. Ich haste aus der Wohnungstür und hinaus auf die Straße. Hoffentlich bleibe ich jetzt nicht auch noch im Berufsverkehr stecken. Ich ergebe mich in mein Schicksal und überlasse den weiteren Verlauf der höheren Macht.

Gerade rechtzeitig komme ich ins Büro gestolpert, lege meine Jacke und meine Tasche ab, hetze in die Küche, um Kaffee zu kochen, und schnappe mir die Mappen mit der Präsentation, die der Dreh- und Angelpunkt des Meetings sein wird. Ich verteile gerade die Unterlagen auf dem Tisch, als der Chef in der Tür steht.

»Sie sind spät dran, Frau Gerber«, tadelt er mich und streckt seinen fetten Bierbauch noch ein Stückchen weiter in den Konferenzraum.

Freundlich, obwohl ich innerlich brodele, entgegne ich: »Es tut mir leid, Herr Falk. Aber der Raum wird vorbereitet sein, wenn die Teilnehmer kommen.«

»Das will ich auch meinen«, sagt er und macht auf dem Absatz kehrt.

Gerade als ich alle Tassen, Gläser, Kaffeekannen und Wasserflaschen verteilt habe, kommen die ersten Gäste. Ich weise ihnen ihre Plätze zu und gebe dem Chef Bescheid.

Na toll. Nach so einem Start ist der Tag schon fast gelaufen. Ich lasse mich auf meinen Bürostuhl fallen und genehmige mir eine Tasse Kaffee, bevor ich mich in meine eigentliche Arbeit stürze.

Die Zeit will gar nicht vergehen. Gut, dass morgen Samstag ist und ich endlich mal ausschlafen und entspannen kann. Noch so einen Tag brauche ich wirklich nicht.

Kurz bevor ich Feierabend habe, ich bin gerade dabei, meinen Schreibtisch aufzuräumen, kommt der Chef in mein Büro. »Frau Gerber«, kündigt er mit wichtiger Miene an, »am Dienstag findet eine Konferenz in Frankfurt statt. Sie werden mich begleiten. Am Montagabend fliegen wir hin und sind Dienstagabend wieder zurück. Buchen Sie uns die Flüge und die Hotelzimmer, bevor Sie ins Wochenende entschwinden.«

»Natürlich, Herr Falk. Muss ich mich auf die Konferenz vorbereiten?«

Bitte sag nein, bitte sag nein.

Zu meiner Erleichterung erwidert er: »Nicht nötig, ich brauche Sie lediglich als Protokollantin. Schönen Abend, Frau Gerber.« Und weg ist er.

Na wunderbar. Frankfurt. Da steht mir der Sinn ja gar nicht nach. Ich seufze, rufe Hotel und Fluggesellschaft an und buche unsere Flüge und die Hotelzimmer. Dann fahre ich den PC runter, schnappe meine Tasche und meine Jacke und verlasse endlich mein Büro.

Mona

So ein Gammeltag ist doch einfach wunderbar. Nichts tun, was nicht unbedingt notwendig ist. Die Augen verschließen, wenn man am großen Wäscheberg vorbeiläuft. Und eine Kehrtwendung vollziehen, wenn der Abwasch ins Blickfeld gerät. Herrlich.

Und dennoch muss ich mich aufraffen: Ich habe nichts mehr zu essen im Haus.

Gerade als ich meine Tür ins Schloss fallen lasse, quietscht unten die Eingangstür. Unfassbar, dass ich das sogar im Dachgeschoss höre. Da muss der Hausmeister dringend was dran tun.

Ich schließe ab und flitze hungrig die Treppen runter. Gut, dass der Grieche nur schräg über die Straße ist und ich schon telefonisch vorbestellen konnte.

Ganz in Gedanken an das wunderbare Essen, das ich gleich genießen werde, bemerke ich gar nicht den Gegenverkehr im Treppenhaus. Als ich um die Ecke zische, um den letzten Treppenabsatz in Angriff zu nehmen, steht sie vor mir. Etwas verwirrt und mit geweiteten Augen. Sie scheint genauso überrascht zu sein wie ich.

Verlegen sage ich: »Oh, Entschuldigung, ich hab Sie gar nicht gesehen.«

Schon wieder. Sonst bin ich nie verlegen.

»Nicht schlimm. Das ist ein Problem, das mir durchaus bekannt ist.« Sie grinst schief, schiebt sich an mir vorbei und dreht sich noch einmal um: »Schönen Abend noch!« Dann verschwindet sie hinter der Ecke, und ich höre, wie sich ihre Schritte entfernen.

»Gleichfalls«, murmele ich fast unhörbar und gehe weiter.

Das Essen war phantastisch. Zufrieden schiebe ich den Teller von mir weg und lehne mich auf dem Sofa zurück. Um den Abend ausklingen zu lassen, habe ich mich für eine DVD entschieden. Zum hundertsten Mal sehe ich mir Secretary an. Eigentlich kann ich dabei gut abschalten. Doch heute gelingt es mir nicht. Ich muss ständig an meine Nachbarin denken.

Frau Gerber. Der Vorname ist mir leider nicht bekannt. Ich kann sie mir unverschämt gut in der Rolle der Sekretärin vorstellen. Bei dem Gedanken werde ich rot. Schnell verwerfen. Wie komme ich bloß auf diese Ideen? Ich schalte den Film vorzeitig aus und beschließe, mich ins Bett zu legen und noch ein wenig zu lesen.

Morgen habe ich noch einen Tag frei. Aber ich muss dringend einkaufen. Ein Glück, dass das dank der langen Ladenöffnungszeiten am Samstag heutzutage nicht mehr bedeutet, dass ich mir einen Wecker stellen muss.

Ella

Die Nachbarin macht mich echt wahnsinnig. Sie braucht mich nur anzurempeln, und schon steht mein Körper unter Hochspannung. Ich muss mir diese Gedanken aus dem Kopf schlagen. Es ist einfach nur albern zu glauben, dass sie interessiert an mir ist.

Ich schüttele den Kopf und stelle meine Tiefkühllasagne in die Mikrowelle. Dann schlüpfe ich aus meinen Arbeitsklamotten und hinein in mein Wohlfühloutfit. Endlich Wochenende.

Die Lasagne schmeckt wie immer bescheiden. Aber wenn ich sie selbst gekocht hätte, wäre das Ergebnis vermutlich noch verheerender. Also mache ich das Beste draus und gebe noch etwas Salz drüber. Damit tue ich mir allerdings keinen Gefallen. Ich esse die Hälfte der Lasagne auf und schmeiße den Rest in die Biotonne. Anschließend kuschele ich mich aufs Sofa, schnappe mir eine große Tafel Schokolade und eine Flasche Bier und lasse den Abend gemütlich ausklingen.

Mona

»Was? Schon zwölf Uhr?« Ich kann es gar nicht fassen, als ich einen Blick auf meinen Wecker werfe. Da habe ich den freien Tag ja schon halb verschlafen. So ein Mist.

Ich quäle mich aus dem Bett, ziehe die Vorhänge auf und würde sie am liebsten gleich wieder schließen, als ich sehe, dass es wie aus Eimern gießt. Eigentlich ist so ein Sommerregen durchaus was Schönes. Aber nicht, wenn ich noch mal raus muss und mein Auto ausgerechnet jetzt in der Werkstatt ist. Nun ja, es hilft alles nichts. Ich habe einen Kühlschrank, der so leer ist wie die Wüste, und ich habe Hunger.

Erst einmal dusche ich in Ruhe, ziehe mich an und gehe bei meinem Lieblingsbäcker frühstücken, bevor ich mich ins Wochenendeinkaufsgetümmel stürze.

Das Frühstück hat gutgetan, und der Einkauf war schneller erledigt, als ich dachte. Ich hoffe, ich habe alles. Ich bin ohne Einkaufszettel losgegangen, und das nimmt meist kein gutes Ende. Zunehmend atemlos schleppe ich die Tüten in den vierten Stock. Himmel, warum musste ich mich nur in diese Dachgeschosswohnung verlieben?

Oben angekommen, fällt mir ein, dass ich ewig nicht mehr in den Briefkasten geschaut habe. Auweia. Der muss sicher schon wegen Überfüllung geschlossen werden. Vor einiger Zeit hat der Postbote meine Briefe auf die Briefkästen gelegt, weil mein Kasten aus allen Nähten platzte. Um eine Wiederholung zu verhindern, beschließe ich, den Weg nach unten noch einmal anzutreten und dem Postboten eine Freude zu machen.

Ich schlendere langsam die Treppen hinunter. Mein Atem geht immer noch schwer von dem Einkaufstütenschleppmarathon, und es ist Samstag. Also lasse ich mir Zeit. Auf dem letzten Treppenabsatz höre ich das Briefkastengeklapper.

Oh nein. Da ist er sicher schon, der Briefträger.

Die letzten Stufen flitze ich hinunter, um ihn rechtzeitig davon abzuhalten, meine Post abermals auf die Kästen zu legen. Doch es ist nicht der Postbote. Es ist Frau Gerber. Welch angenehme Überraschung.

Sie ist ganz vertieft in ihre Post, so dass sie mich nicht gleich bemerkt. Ich nutze die Gunst der Stunde und betrachte sie eine Weile. Sie ist wirklich schön. Braune, lange Haare fallen ihr in Wellen über die Schultern. Sehr schlank ist sie und nicht allzu groß, vielleicht eins fünfundsechzig. Gedankenverloren schiebt sie sich eine Strähne hinters Ohr, schließt den Briefkasten zu und wendet sich zu mir um.

Ich fühle mich ertappt.

Überrascht fragt sie: »Ist irgendwas?«

»Nein, tut mir leid. Ich . . .« Verdammt, ich bin schon wieder verlegen.

Wie macht sie das bloß? Fragend sieht sie mich an und wartet offenbar auf meine Erklärung. Die kann ich aber beim besten Willen nicht finden. Meine Gedanken rasen. So schnell, dass ich keinen von ihnen festhalten kann. Und erst recht keinen, der irgendwie sinnvoll wäre.

Wir stehen uns gegenüber. Sehen uns an.

Es knistert.

Da ist eindeutig eine Spannung zwischen uns, die fast greifbar ist. Ich stehe wie angewurzelt am Fuß der Treppe. Aber einfach umkehren und wegrennen ist definitiv keine Option. Das ist nicht meine Art.

Schließlich bricht sie das Schweigen: »Kommt da noch was? Sonst würde ich jetzt diese unleidlichen Rechnungen bezahlen gehen.« Sie wendet den Blick keinen Moment von mir ab.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wortlos gehe ich auf sie zu. Sie tritt reflexartig nach hinten. Dann hat sie die Briefkästen im Rücken und kann nicht weiter.

Uns trennen höchstens noch fünfzig Zentimeter. Ein Schritt. Ich gehe ihn. Stehe direkt vor ihr. Kann ihren Atem spüren.

Unsere Blicke halten einander weiterhin fest. Wir schweigen.

Ich beuge mich vor und stütze mich rechts und links neben ihrem Kopf an den Briefkästen ab, was diese mit einem vernehmlichen Klappern quittieren. Zwischen unsere Gesichter würde jetzt kaum noch ein Blatt Papier passen. Mir wird heiß.

Sie lehnt den Kopf an die Briefkästen, sieht mich an.

»Tu es . . .«, flüstert sie kaum hörbar.

Nur zwei Worte, doch ich merke, wie sich die Muskeln in meinem Unterleib zusammenziehen. Ich schließe die Augen, überschreite auch die letzte Grenze, und meine Lippen berühren ihre. Sie öffnet leicht den Mund, um mir Einlass zu gewähren. Ihre Zunge empfängt meine, und sie beginnen ein wunderbar harmonisches Spiel miteinander. Sanft und vorsichtig berühren sie sich abwechselnd in meinem, dann in ihrem Mund. Ich traue mich nicht, die Augen zu öffnen. Denn dann erwache ich vielleicht aus diesem Traum, und alles ist vorbei.

Sie wird fordernder.

Eigentlich ist es doch mein Part, einzufordern. Aber das ist mir gerade egal. Ich gehe darauf ein, unser Zungenspiel wird wilder, und mir wird noch heißer.

Schnelle Schritte auf der Treppe reißen uns unsanft aus diesem leidenschaftlichen Moment. Wir lösen uns voneinander. Wie in stillschweigender Übereinkunft, uns nichts anmerken zu lassen, wendet sie sich noch einmal ihrer Post zu, während ich umständlich und ungeschickt versuche, meinen Briefkasten aufzuschließen.

Herr Friedrich kommt die Treppe herunter. Nach einem freundlichen »Guten Tag« entschwindet er durch die quietschende Haustür, und wir sind wieder allein.

»Kann ich dir helfen?«, fragt sie grinsend, als sie sieht, wie blöd ich mich mit dem Schlüssel anstelle.

Ich muss ebenfalls grinsen. Jetzt sind wir wohl quitt.

Ella

Was war das denn gerade? In meinem Kopf dreht sich alles. Und ihr scheint es auch nicht besserzugehen, wenn ich sie so beobachte. Ihre Hand mit dem Briefkastenschlüssel zittert ja richtig.

Ich nehme ihr den Schlüssel ab, stecke ihn ins Schloss und öffne die Briefkastentür. Mit viel Schwung schwappt ihre Post auf den Boden. Wir bücken uns gleichzeitig, um den Papierkram aufzuheben. Dabei sehen wir uns nicht an.

Ob sie es bereut?

Aber warum sollte sie es dann getan haben? Warum hat sie es überhaupt getan? Wie kommt sie dazu, eine wildfremde Frau zu küssen? Und dann auch noch so.

»Machst du das öfter?«, breche ich das Schweigen.

Entgeistert guckt sie mich an, findet aber schnell die Fassung wieder. »Kommt drauf an, wie oft ich dir in Zukunft vor den Briefkästen begegne«, sagt sie mir grinsend ins Gesicht und konzentriert sich dann wieder auf ihre Post.

Mit der Antwort habe ich nicht gerechnet. Perplex sammele ich ebenfalls weiter Briefe auf. Herrgott, wann hat sie das letzte Mal den Briefkasten geleert?

Mona

Na, wer hätte das gedacht? Die kleine, zarte und unschuldig wirkende Frau Gerber.

Ja, es war ein Spiel mit dem Feuer. Aber ich habe mich nicht verbrannt. Auch wenn mir zwischendurch heiß genug war.

Und jetzt?

Während ich versuche, meine Gedanken zu sortieren, reißt sie mich aus denselben. »Also gut, Mona . . .«

Wie aufmerksam. Sie hat auf einem Brief meinen Namen gelesen. Schlaues Ding.

». . . es war mir ein Vergnügen«, lächelt sie und steht auf.

Ich tue es ihr gleich und nehme ihr den Stapel Post ab, den sie mir reicht. »Danke für deine . . .« Ich überlege kurz. ». . . Hilfe!«

Jetzt ist sie es, die mich angrinst. »Gern geschehen.«

Sie nimmt ihre eigene Post und geht die Treppen hinauf. Ich folge ihr. Wie schön, dass ich denselben Weg habe. So kann ich mir ihren Hintern in diesen heißen, engen Jeans ganz genau ansehen. Meine Hand wird ganz feucht bei dem Gedanken daran, wie herrlich es kribbeln würde, wenn ich sie auf ihrem Hintern landen ließe. Doch diese Idee verscheuche ich schnell. Sie hat sich zwar auf die Knutscherei eingelassen, aber sie wirkt nicht so, als wäre sie aus dem Holz geschnitzt, das ich brauche. Dennoch ruht mein Blick auf ihrem Hintern, auf ihren Beinen und auf ihren Haaren, die bei jedem Schritt sanft über ihren Rücken schwingen.

Im zweiten Stock angekommen, dreht sie sich noch einmal zu mir um. Lächelt mich an. »Auf Wiedersehen . . . Mona.«

Unsere Blicke bleiben aneinander haften. Dann wendet sie sich ihrer Wohnungstür zu und ist wenig später dahinter verschwunden. Ich stehe noch eine Weile da wie vom Blitz getroffen und starre auf die Tür. Aber sie öffnet sich nicht noch einmal. Nichts regt sich dahinter.

Ist vielleicht auch besser so.

Ich wende mich ab und steige die letzten Treppen hinauf, um endlich meinen Einkauf auszupacken, der dort auf mich wartet.

Ella

Wow. Was war das denn? Schwer atmend lehne ich mich mit dem Rücken an meine Wohnungstür, kaum fähig, mich zu bewegen. Das Kribbeln und Ziehen in meinem Schritt will einfach nicht verschwinden.

Kein Wunder nach dem Erlebnis gerade.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stoße ich mich von dem harten Holz ab und schleiche den Flur entlang. Noch ganz benommen von dieser Begegnung versuche ich halbwegs klar zu denken und mich daran zu erinnern, was ich eigentlich am heutigen Tag vorhatte.

Ach richtig. Wäsche waschen und die Wohnung putzen. Ich komme in der Woche ja wirklich zu nichts.

Da klingelt mein Handy. Ich orte es irgendwo in meiner Handtasche, nur wo genau, das ist mir gerade schleierhaft. Deo, Lippenstift, einige lose Tampons und mein längst verschollen geglaubter Müsliriegel von letzter Woche – alles wühle ich aus dem Bermudadreieck meiner Handtasche hervor, nur das Handy bleibt unaufspürbar. Der Ton verebbt im Nichts, während ich orientierungslos weiterkrame. Der Anrufer muss wohl oder übel mit meiner Mailboxansage Vorlieb nehmen.

»Eine neue Sprachnachricht – erste neue Sprachnachricht«, erklärt mir wenig später die reizende Dame am anderen Ende der Mailboxleitung.

»Ja, Frau Gerber. Hier ist Falk. Die Dienstreise wurde abgesagt. Einige wichtige Teilnehmer können den Termin nicht einhalten. Daher wird das Meeting verschoben. Sie können sich Montag um die Stornierung kümmern. Ein schönes Wochenende!«

Zum ersten Mal freue ich mich über einen Anruf meines Chefs. Keine Dienstreise. Wunderbar! Das bedeutet, dass die Waschmaschine heute einen weiteren Ruhetag einlegen kann. Beschwingt tänzele ich in mein Wohnzimmer und rufe Viola an. Wir haben lange nichts mehr zusammen unternommen, und vielleicht hat sie spontan Lust auf einen Nachmittag im Park.

Wer hätte gedacht, dass das doch noch ein schönes Wochenende werden würde?

4

Ella

Meine Nacht war, wie nicht anders zu erwarten, unruhig. Ich bin ständig aufgewacht, und jedes Mal hatte ich von Mona geträumt. Monas Blick auf meinem Körper, Monas Hände auf meiner Haut, Monas Zunge in meinem Mund, Monas Haut auf meiner. Alles in allem bin ich gänzlich unausgeschlafen.

Ich rufe erst einmal Viola an. Wer hätte gedacht, dass es schon heute etwas zu erzählen gibt?

Kaum habe ich meinen Bericht beendet, da kreischt sie auch schon ins Telefon: »Was? Ist nicht dein Ernst! Bist du dir sicher, dass du das nicht geträumt hast?«

Ich seufze. »Ich bin mir sicher, dass es passiert ist. Aber ich bin mir ganz und gar nicht sicher, warum es passiert ist. Und was als Nächstes passiert. Und ob was passiert. Und wieso nicht, wenn nichts passiert. Und . . .«

»Stopp, Stopp, Stopp, Süße! Ganz ruhig. Ich verstehe ja kein Wort«, unterbricht mich Viola.

»Tut mir leid. Ich bin einfach verwirrt.« Ich lasse mich auf meine Couch fallen. »Diese Frau geht mir nicht aus dem Kopf, und ich kenne sie nicht mal.«

»Ich verstehe dich, Ella . . . Aber was willst du jetzt tun?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt was tun will«, versuche ich meine Gefühle in Worte zu fassen.

»Wieso? Ich dachte, du findest sie so faszinierend und großartig und überhaupt.«

»Ja, so ist es ja auch. Aber das, was sie da treibt, ist mir echt eine Nummer zu groß. Da kann ich gar nicht mithalten. Sie . . . sie spielt mit mir, und sie scheint das nicht zum ersten Mal zu machen. Dagegen bin ich ein unschuldiges Engelchen.«

»Na und? Irgendwas scheint sie ja an dir zu finden, du Engelchen. Und unschuldig bist du ja auch nicht wirklich.« Ich höre ein verschmitztes Lachen in Violas Stimme.

»Mein Teufel reicht aber an ihren nicht ansatzweise heran«, entgegne ich einigermaßen ratlos und seufze noch mal. »Ich werde jedenfalls gar nichts tun. Mal sehen, wie es weitergeht.«

Wir verabschieden uns, und dann kümmere ich mich lustlos um meine Wäsche und den Abwasch. Viel Ablenkung bieten diese Tätigkeiten allerdings nicht. Und so grüble ich weiter über das, was gewesen ist, und über das, was noch kommt – oder auch nicht. Wer weiß das schon.

Mona

Ich hasse es, zwei Tage hintereinander 18-Stunden-Schichten zu haben. Da lohnt sich der Weg nach Hause gar nicht. Aber was soll ich machen? Wenn ich meinem Chef gefallen will, muss ich mich um die Arbeit reißen, die anfällt, wenn die Kollegen alle krank sind.

Immerhin hat Tanja heute auch Dienst. Sie ist mir auf dieser Station echt ans Herz gewachsen, und viele Schichten hätte ich ohne sie bestimmt nicht heil überstanden.

»Mona – du schon hier? Ich dachte, du hast erst morgen wieder Dienst«, begrüßt sie mich überrascht, aber nichtsdestotrotz mit einem herzlichen Lächeln.

»Ja, ich habe auch das Gefühl, ich würde hier wohnen«, seufze ich und setze mich an den Computer, um die neusten Eintragungen in den Patientenakten zu prüfen. Der Abend war gestern unerwartet lang. Ich war erst gegen zwei im Bett und sehe wohl auch entsprechend aus.

»Kurze Nacht gehabt?«, fragt Tanja grinsend und reicht mir eine Tasse Kaffee. Sie ist wirklich ein Engel.

Ich murmele: »Ja, irgendwie schon.« Dann nehme ich erst mal einen großen Schluck aus der Tasse.

Tanja freut sich sichtlich auf eine Story aus meinem Privatleben. »Erzähl!«

Aber ich enttäusche sie: »Da gibt es nicht viel zu erzählen . . .«

»Na klar. Und ich bin der Nikolaus«, gibt sie zurück, zieht sich einen Stuhl heran und sieht mich auffordernd an.

Ich druckse ein bisschen herum. »Ach, ich weiß auch nicht. Da gibt es so eine Frau. Die wohnt seit einiger Zeit bei uns im Haus. Sie ist wirklich sehr hübsch.«

»Und weiter?«

»Nichts weiter. Wir haben uns noch nie wirklich unterhalten«, drücke ich mich weiterhin um die ganze Wahrheit.

»Aber . .