Impressum

Covergestaltung: Mat Seidhold

Bearbeitung: Siria Holm

 

ISBN: 9783955017521

2015 darkbook.de




andersseitig Verlag

Dresden

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Erster Brief:

Cécile Volanges an Sophie Carnay bei den Ursulinerinnen von ...

Du siehst, liebste Freundin, daß ich Wort halte, und daß Hauben und Putz nicht meine ganze Zeit in Anspruch nehmen; für Dich behalte ich immer noch was. Jedoch habe ich heute, an diesem einzigen Tag mehr Putz gesehen, als in den vier Jahren, die wir zusammen lebten, und ich glaube, die stolze Tanville1 wird sich bei meinem ersten Besuch, wo ich sie ganz bestimmt rufen lasse, mehr ärgern, als wir uns, wie sie meinte, immer geärgert haben, wenn sie in großem Staat bei uns eingetroffen ist. Mama hat alles mit mir beraten; sie behandelt mich gar nicht mehr als kleines Mädchen wie früher. Ich habe meine eigene Zofe, auch ein eigenes Zimmer und Kabinett, womit ich machen kann was ich will, und ich schreibe Dir an einem sehr hübschen Sekretär, wozu ich selbst den Schlüssel habe und worin ich alles verschließen kann was ich will. Mama hat mir gesagt, daß ich sie jeden Tag beim Aufstehen sehen könne, und es wäre zeitig genug, wenn ich zum Mittagessen frisiert wäre, da wir doch immer allein seien; und da könne sie mir jeden Tag sagen, um welche Zeit ich nachmittags bei ihr sein solle. In der anderen Zeit kann ich machen was ich will, und ich habe ja meine Harfe, meinen Zeichenkasten und Bücher ganz wie im Kloster, nur daß Mutter Perpetua nicht da ist, um mich auszuschelten; und wenn ich wollte, brauchte ich gar nichts zu tun: aber da ich meine Sophie doch nicht hier habe, um mit ihr zu schwatzen und zu lachen, so will ich mich lieber beschäftigen.

Es ist noch nicht 5 Uhr, um 7 Uhr soll ich erst wieder bei Mama sein: das ist sehr viel Zeit, wenn ich Dir nur etwas zu sagen hätte! Aber man hat mit mir noch über gar nichts geredet, und wenn ich nicht die vielen Vorbereitungen um mich sehen würde, und die vielen Arbeiterinnen, die alle um meinetwillen kommen, würde ich glauben, daß man gar nicht daran denkt, mich zu verheiraten, und es nur wieder ein Gerede der guten Josephine2 ist. Doch hat mir Mama so oft gesagt, ein junges Mädchen müsse im Kloster bleiben bis es sich verheirate; da sie mich nun doch herausnimmt, wird Josephine wohl recht haben.

Eben hält ein Wagen vor der Tür, und Mama läßt mir sagen, ich möchte sofort zu ihr kommen. Wenn es der Herr wäre? Ich bin nicht angezogen, die Hand zittert mir und mein Herz klopft. Ich habe die Kammerjungfer gefragt, ob sie wüßte, wer bei meiner Mutter wäre. »Natürlich Herr C...« sagte sie lachend. O! ich glaube, er ist es. Ich komme sicher nachher wieder und sage Dir, was passiert ist. Wenigstens weißt Du seinen Namen. Ich darf ihn nicht warten lassen. Adieu, ich bin im Augenblick wieder da.

Wie wirst Du Dich über Deine arme Cécile lustig machen! Ach, ich habe mich schrecklich geschämt! Aber es wäre Dir ebenso gegangen wie mir. Als ich zu Mama ins Zimmer kam, habe ich einen schwarzgekleideten Herrn neben ihr stehen sehen. Ich habe ihn begrüßt so gut ich nur konnte, und dann bin ich starr stehengeblieben ohne von der Stelle zu können. Du magst es Dir denken, wie ich ihn ansah! »Gnädige Frau«, hat er zu meiner Mutter gesagt, und grüßte mich dabei, »das ist ja eine ganz reizende junge Dame und ich fühle mehr als je den Wert Ihrer Güte.« Bei diesem so vielsagenden, bestimmten Ausspruch, hat mich ein derartiges Zittern befallen, daß ich mich nicht mehr halten konnte; da habe ich einen Sessel gefunden und hab' mich draufgesetzt, sehr rot und ganz aus der Fassung. Ich war kaum drauf, da liegt der Mann auch schon vor mir auf den Knien. Aber da hat Deine arme Cécile den Kopf verloren; ich war, wie mir Mama gesagt hat, ganz verwirrt. Aufgesprungen bin ich und hab' einen durchdringenden Schrei ausgestoßen, gerade so wie an dem Tage, wo das Gewitter war. Mama hat laut gelacht und gesagt: »Na, was hast du denn? Setz dich und gib dem Herrn deinen Fuß.« Der Herr war in der Tat ein Schuhmacher liebe Freundin. Ich kann Dir gar nicht beschreiben, wie sehr ich mich geschämt habe; zum Glück war nur Mama dabei. Ich glaube, wenn ich erst einmal verheiratet bin, werde ich von diesem Schuhmacher nichts mehr machen lassen. Du mußt zugeben, daß wir jetzt sehr viel wissen! Leb' wohl! Es ist gleich 6 Uhr, meine Zofe sagt, daß ich mich anziehen muß. Leb' wohl meine liebe Sophie; ich bin Dir immer noch so gut, als wär ich noch im Kloster.

P.S. Ich weiß nicht, mit wem ich meinen Brief schicken soll: so will ich warten, bis Josephine kommt.

Paris, den 3. August 17 ..

Fußnoten

1 Pensionärin im selben Kloster

2 Pförtnerin des Klosters

Zweiter Brief:

Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont, auf Schloß ...

Kommen Sie zurück lieber Vicomte, kommen Sie zurück! Was machen Sie, was können Sie eigentlich bei einer alten Tante noch tun, deren Vermögen Ihnen schon verschrieben ist? Reisen Sie augenblicklich ab; ich brauche Sie. Es ist mir ein ausgezeichneter Gedanke gekommen, und die Ausführung will ich Ihnen anvertrauen. Diese wenigen Worte müßten Ihnen genügen, und in Anbetracht der großen Ehre, die ihnen meine Wahl macht, müßten Sie eiligst herkommen und meine Befehle auf den Knien empfangen: Aber Sie mißbrauchen meine Güte, selbst seit Sie keinen Gebrauch mehr davon machen. Ich bin im Zweifel, soll ich ewigen Haß oder übermäßige Milde walten lassen, Ihr Glück will es, daß meine Güte den Sieg davon trägt. Ich will Sie also über meine Pläne unterrichten, aber schwören Sie mir, als treuer Ritter, daß Sie auf kein anderes Abenteuer ausgehen werden, bevor Sie nicht dieses beendet haben. Es ist eines Helden würdig: Sie würden damit der Liebe und der Rache dienen; das wird also eine Schandtat1 mehr sein, die man in Ihre Memoiren mit aufnehmen kann – jawohl in Ihre Memoiren, denn ich will es, daß sie eines Tages gedruckt werden, und ich übernehme es, sie zu schreiben. Aber lassen wir das, und kommen wir zur Sache!

Frau von Volanges verheiratet ihre Tochter: es ist zwar noch ein Geheimnis, aber mir hat sie es gestern mitgeteilt. Und wen, glauben Sie wohl, hat sie zum Schwiegersohn erwählt? den Grafen von Gercourt. Wer hätte mir je gesagt, daß ich Gercourts Kusine würde. Ich bin wütend darüber ... Nun also! Sie erraten noch nicht? O, wie schwer von Begriffen! Haben Sie ihm denn das Abenteuer mit der Intendantin verziehen? Und ich, habe ich denn nicht noch mehr über ihn zu klagen, Sie Ungeheuer?2 Aber ich gebe mich zufrieden, und die Hoffnung, mich zu rächen, heitert meine Seele wieder auf.

Sie haben sich, gerade wie ich, hundertmal darüber gelangweilt, welche Wichtigkeit Gercourt seiner künftigen Frau angedeihen läßt, und über die dumme Anmaßung, die ihn glauben läßt, er werde das unvermeidliche Geschick vermeiden. Sie kennen seine lächerliche Voreingenommenheit für die Klostererziehung, und sein Vorurteil zugunsten der Zurückhaltung der Blonden, das noch lächerlicher ist. In der Tat möchte ich wetten, daß er trotz der 60000 Franken Rente der kleinen Volanges, diese Heirat nie eingegangen wäre, wenn sie braun, oder nicht im Kloster gewesen wäre. Wir wollen ihm aber beweisen, daß er nur ein Dummkopf ist: Eines Tages wird es ohne Zweifel sein, darum ist mir nicht bange: aber spaßig wäre es, wenn er gleich damit anfinge. Wie würden wir am anderen Tage lachen, wenn wir ihn prahlen hören! – Denn er wird prahlen; und wenn Sie erst einmal dieses kleine Mädchen ausbilden, müßte es schon besonders unglücklich zugehen, wenn dieser Gercourt nicht, wie ein anderer, zum Pariser Stadtgespräch würde.

Übrigens verdient die Heldin dieses neuen Romans Ihre ganze Aufmerksamkeit: sie ist wirklich reizend. Fünfzehn Jahre ist sie, eine Rosenknospe. Freilich linkisch, wie es selten vorkommt, und nicht die Spur geziert; euch Männern macht ja aber so was nichts; überdies ein gewisser schmachtender Blick, der wirklich vielversprechend ist. Dazu kommt, daß ich sie Ihnen empfehle; Sie haben sich nur zu bedanken und mir zu gehorchen. Diesen Brief empfangen Sie morgen früh. Ich verlange, daß Sie morgen um 7 Uhr abends bei mir sind. Ich werde niemand vor 8 Uhr empfangen, nicht einmal den regierenden Ritter: er hat nicht Kopf genug für eine so große Angelegenheit. Sie sehen, die Liebe macht mich nicht blind. Um 8 Uhr werde ich Ihnen Ihre Freiheit wiedergeben, und um 10 Uhr kommen Sie wieder, und soupieren mit dem schönen Kind; denn Mutter und Tochter werden bei mir essen. Leben Sie wohl, es ist Mittag vorbei: bald werde ich mit Ihnen nichts mehr zu tun haben.

Paris, den 4. August 17 ..

Fußnoten

1 Die Worte Schandbube und Schandtat, die sich die gute Gesellschaft zum Glück allmählich abgewöhnt, waren zur Zeit, da diese Briefe geschrieben wurden, sehr im Gebrauch.

2 Um diese Stelle zu verstehen, muß man wissen, daß der Graf von Gercourt die Marquise von Merteuil wegen der Intendantin von ... verlassen hatte, die ihm wieder den Vicomte von Valmont geopfert hatte, und daß damals die Marquise und der Vicomte sich miteinander verbanden. Da dieses Abenteuer den Ereignissen, von denen in diesen Briefen die Rede ist, weit vorausliegt, war man der Ansicht, den ganzen Briefwechsel darüber unterdrücken zu müssen.

Dritter Brief:

Cécile Volanges an Sophie Carnay.

Ich weiß noch nichts, liebste Freundin. Mama hatte gestern abend viele Leute zum Essen. Trotzdem ich mir alles mit Interesse ansah, besonders die Männer, habe ich mich sehr gelangweilt. Herren und Damen, alle haben mich sehr angeschaut, und dann sagten sie sich was ins Ohr, und ich bemerkte wohl, daß man von mir sprach; darüber wurde ich rot, ich konnte es nicht verhindern. Ich hätte es wohl gemocht, denn ich habe bemerkt, daß die anderen Frauen gar nicht rot wurden, wenn man sie ansah; vielleicht aber verhindert das Rot, das sie auflegen, daß das Rot ihrer Verlegenheit zu bemerken ist; denn es muß doch sehr schwer sein, nicht zu erröten, wenn ein Mann einen fest ansieht. Was mich am meisten beunruhigte, war, daß ich nicht wissen konnte, was man sich von mir dachte. Ich glaube jedoch zwei- oder dreimal das Wort »hübsch« verstanden zu haben. Das Wort »linkisch« aber habe ich sehr deutlich vernommen, und das muß doch wohl stimmen, denn die Frau, die es sagte, ist eine Verwandte und Freundin meiner Mutter; sie scheint sogar schon Freundschaft für mich zu empfinden. Sie war die einzige, die am Abend ein wenig mit mir gesprochen hat. Wir werden morgen bei ihr zu Abend essen.

Nach dem Essen habe ich dann noch einen Herrn gehört, von dem ich sicher bin, daß er von mir sprach, wie er gerade zu einem andern sagte: »Man muß das reif werden lassen, im Winter wollen wir sehen.« Das ist vielleicht der, der mich heiraten soll; aber dann wäre es ja erst in vier Monaten! Ich möchte nur wissen, was daran ist.

Eben kommt Josephine, und sie sagt mir, daß sie es eilig hat. Ich will Dir aber noch was erzählen, wobei ich mich wieder einmal »linkisch« benommen habe. Ach! Die Dame, glaube ich, hat recht!

Nach dem Essen haben sie gespielt. Ich habe mich neben Mama gesetzt. Und ich weiß nicht, wie es gegangen ist, ich bin sogleich eingeschlafen. Ein großes Gelächter hat mich aufgeweckt; ich weiß nicht, lachte man über mich, aber ich glaube es. Mama hat mir erlaubt, schlafenzugehen, und sie hat mir damit einen großen Gefallen getan. Denke Dir, es war 11 Uhr vorbei. Leb' wohl, meine liebe Sophie, behalte Deine Cécile immer recht lieb. Ich kann Dir nur sagen, daß die Welt nicht so lustig ist, wie wir uns einbildeten.

Paris, den 4. August 17 ..

Vierter Brief:

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil in Paris.

Ihre Befehle sind reizend; Ihre Art, sie zu geben, ist noch liebenswürdiger: Sie könnten einem den Despotismus angenehm machen. Wie Sie wissen, ist es nicht das erste Mal, daß ich bedaure, nicht mehr ihr Sklave zu sein. Und obwohl ich nach Ihren Worten ein Ungeheuer bin, denke ich niemals ohne Vergnügen an die Zeit zurück, wo Sie mich mit süßeren Namen beehrten. Oft sogar wünsche ich, sie mir von neuem zu verdienen und schließlich zusammen mit Ihnen der Welt ein Beispiel von Beständigkeit zu geben. Aber größere Aufgaben rufen uns; erobern heißt unsere Bestimmung, und man muß ihr folgen. Vielleicht, daß wir uns am Ende der Laufbahn noch einmal treffen. Denn ohne Sie erzürnen zu wollen, wunderschöne Marquise, sei es gesagt, Sie halten wenigstens gleichen Schritt mit mir; und seit wir uns zum Heil der Welt getrennt haben, und jeder von uns seinerseits den Glauben predigt, scheint es mir, Sie haben in dieser Liebesmission mehr Anhänger gefunden als ich. Ich kenne Ihren Eifer, Ihre glühende Begeisterung, und wenn dieser Gott uns nach den Werken richtete, wären Sie eines Tages die Schutzheilige einer großen Stadt, während Ihr Freund höchstens ein Dorfheiliger sein würde. Diese Sprache wundert Sie, nicht wahr? Aber seit acht Tagen höre und spreche ich keine andere mehr. Und eben, um mich darin zu vervollkommnen, sehe ich mich gezwungen, Ihnen ungehorsam zu sein.

Seien Sie nicht bös, und hören Sie mich. Bewahrerin aller Geheimnisse meines Herzens, ich will Ihnen den größten Plan anvertrauen, den ich jemals geschmiedet habe. Welchen Vorschlag machen Sie mir? Ein junges Mädchen soll ich verführen, das nichts gesehen hat, nichts kennt; das mir sozusagen ohne Schutz ausgeliefert wäre; das eine erste Huldigung unfehlbar berauschen wird, und das die Neugier vielleicht schneller leitet als die Liebe. Zwanzig andere könnten das eben so gut wie ich. Nicht so ist es mit dem Unternehmen, das mich beschäftigt; sein Erfolg sichert mir ebensoviel Ruhm als Vergnügen. Die Liebe, die mir den Kranz sticht, wählt selber zwischen Myrrhe und Lorbeer, nein, sie wird beide vereinigen, um meinen Triumph zu ehren. Sie selbst, meine schöne Freundin, werden von heiliger Achtung ergriffen werden, und sich voll Begeisterung sagen: »Das ist der Mann meines Herzens.«

Sie kennen die Präsidentin Tourvel, ihre Gottesfurcht, ihre eheliche Liebe, ihre strengen Grundsätze. Darauf habe ich es abgesehen. Das ist ein würdiger Feind für mich; dieses Ziel will ich erreichen.

»Und trag ich für's Gelingen auch nicht den Preis davon,

Daß ich es unternommen, die Ehre bleibt mir schon.«

Man kann schlechte Verse anführen, wenn sie von einem großen Dichter sind.1

Sie werden doch wissen, daß der Präsident wegen eines großen Prozesses in Burgund ist (ich hoffe ihn einen weit wichtigeren verlieren zu lassen). Seine untröstliche Ehehälfte muß hier die ganze Zeit dieser betrübenden Witwenschaft verbringen. Jeden Tag eine Messe, ein paar Besuche bei den Armen des Bezirks, Gebete am Morgen und am Abend, einsame Spaziergänge, fromme Unterhaltungen mit meiner alten Tante, und bisweilen ein trauriger Whist, sollen ihre einzigen Zerstreuungen sein. Ich aber bereite ihr wirksamere. Mein guter Engel hat mich hierhergeführt, zu ihrem und zu meinem Glück. Ich Wahnsinniger! Ich bedauerte die vierundzwanzig Stunden, die ich den Rücksichten und der Höflichkeit opferte. Wie könnte man mich strafen, wenn ich gezwungen würde, nach Paris zurückzukehren! Glücklicherweise muß man beim Whist zu viert sein. Und da nur der Ortsgeistliche hier ist, hat mich meine ewige Tante sehr gedrängt, ihr einige Tage zu opfern. Sie erraten, daß ich eingewilligt habe. Sie machen sich keinen Begriff, wie sie mich seit dieser Zeit umschmeichelt, und wie sehr sie besonders darüber erbaut ist, mich regelmäßig bei ihren Gebeten und in der Messe zu sehen, sie ahnt nicht, welche Gottheit ich dort anbete.

So bin ich also, seit vier Tagen, von einer starken Leidenschaft ergriffen. Sie wissen, daß ich lebhaft begehren kann, und daß es keine Hindernisse für mich gibt: aber was Sie nicht wissen, das ist, wie sehr die Einsamkeit die Glut des Verlangens nährt. Ich habe nur noch einen Gedanken; am Tage denke ich daran, und ich träume davon in der Nacht. Ich bedarf dieser Frau, damit ich mich von der Lächerlichkeit losmache, in sie verliebt zu sein. Denn wohin führt nicht ein unterdrücktes Begehren? O köstlicher Genuß! Ich erflehe dich zu meinem Glück und zu meiner Ruhe vor allem. Wie sind wir doch glücklich, daß sich die Frauen so schlecht verteidigen! Wir würden neben ihnen nur furchtsame Sklaven sein. Ich habe in diesem Augenblick ein Gefühl der Dankbarkeit für die leichten Frauen, das mich auf natürliche Weise zu Ihren Füßen führt. Ich werfe mich nieder, um Ihre Verzeihung zu erlangen, und damit beende ich diesen allzu langen Brief. Leben Sie wohl, meine wunderschöne Freundin, ohne Groll.

Schloß ..., den 5. August 17 ..

Fußnoten

1 La Fontaine

Fünfter Brief:

Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont.

Wissen Sie, Vicomte, daß Ihr Brief von seltener Dreistigkeit ist, und daß es nur auf mich ankäme, wollte ich mich darüber erzürnen. Aber er hat mir klar bewiesen, daß Sie den Kopf verloren hatten, und dies allein hat Sie vor meiner Entrüstung gerettet. Als edelmütige und gefühlvolle Freundin vergesse ich die Beleidigung und beschäftige mich nur mit der Gefahr, in der Sie schweben; und so langweilig es auch ist, Ihnen Vernunft zu predigen, ich tue es doch, weil Sie es im Augenblick so nötig brauchen.

Sie wollen durchaus die Präsidentin Tourvel haben! Welch' lächerlicher Einfall ist das doch! Daran erkenne ich wieder so recht Ihren verschrobenen Kopf, der Ihnen immer nur das begehrlich macht, was er glaubt, nicht erreichen zu können. Wer ist denn schon diese Frau? Regelmäßige Gesichtszüge, wenn Sie wollen, aber ganz ohne Ausdruck; leidlich gewachsen, aber ohne Grazie; immer lächerlich gekleidet! Mit ihrer Menge von Busentüchern und ihrem bis zum Kinn reichenden Schnürleib! Ich sage es Ihnen als Freundin, Sie brauchten nur zwei Frauen wie die da, und Ihr ganzes Ansehen wäre zu Schanden. Erinnern Sie sich doch an den Tag, wo sie in Saint-Roch für die Armen sammelte, und Sie mir so sehr dankbar waren, daß ich Ihnen dies Schauspiel verschafft hatte. Ich glaube sie noch zu sehen, wie sie jener langen Stange mit langen Haaren die Hand gab, bei jedem Schritt in Gefahr zu fallen, immer ihren vier Ellen breiten Reifrock an jemandes Kopf, und wie sie bei jeder Verbeugung rot wurde. Wer hätte Ihnen damals gesagt, Sie würden diese Frau begehren? Nun also Vicomte, erröten Sie und kommen Sie wieder zu sich. Ich verspreche Ihnen Verschwiegenheit.

Und dann, sehen Sie doch, die Unannehmlichkeiten, die Sie erwarten. Mit welchem Nebenbuhler haben Sie zu kämpfen? Mit einem Ehemann! Fühlen Sie sich nicht schon allein durch dieses Wort gedemütigt? Welche Schmach, wenn es Ihnen mißglückt. Und selbst wie wenig Ruhm, wenn Sie Erfolg haben. Ja, ich sage noch mehr, hoffen Sie auf kein Vergnügen. Gibt es das überhaupt bei Prüden? Bei den wirklich Prüden, meine ich. Zurückhaltend, selbst im höchsten Vergnügen, bieten sie Ihnen nur halbe Genüsse. Dieses gänzliche Aufgeben ihrer selbst, dieser Wahnsinn der Wollust, wobei das Vergnügen sich durch seinen Überschwang reinigt, wird von ihnen nicht gekannt. Ich sage es Ihnen im voraus: im glücklichsten Falle wird die Präsidentin glauben, alles für Sie getan zu haben, wenn Sie sie wie Ihren Gatten behandelt, und im zärtlichsten ehelichen Zusammensein bleibt man immer zwei. Hier ist es aber noch weit schlimmer: Ihre Prüde ist gottesfürchtig, und zwar von dieser guten Frauenfrömmigkeit, die zu ewiger Kindheit verdammt. Vielleicht übersteigen Sie dieses Hindernis, aber schmeicheln Sie sich nicht, es je zu zerstören: wenn Sie auch die Liebe zu Gott überwinden, die Furcht vor dem Teufel werden Sie ihr nicht austreiben. Und wenn Sie Ihre Geliebte in den Armen halten, und ihr Herz klopfen fühlen, wird es aus Furcht und nicht aus Liebe sein. Wenn Sie diese Frau früher gekannt hätten, hätten Sie vielleicht etwas aus ihr machen können; aber das mit zweiundzwanzig Jahren – und nachdem sie nun nahezu zwei Jahre verheiratet ist. Glauben Sie mir Vicomte, wenn eine Frau erst so weit verknöchert ist, muß man sie ihrem Schicksal überlassen; daraus wird nie etwas Eigenartiges werden.

Und dennoch verweigern Sie mir gerade wegen dieses schönen Gegenstandes den Gehorsam, begraben sich in dem Grabe Ihrer Tante und verzichten auf das köstlichste Abenteuer, das am meisten danach geschaffen ist, Ihnen Ehre zu machen. Welch' Verhängnis will es, daß Gercourt Ihnen immer um etwas voraus ist. Sehen Sie, ich spreche zu Ihnen, ohne gegen Sie schlecht gestimmt zu sein, aber in diesem Augenblick bin ich versucht zu glauben, daß Sie Ihren Ruf nicht verdienen, und ich müßte Ihnen besonders mein Vertrauen entziehen. Ich werde mich niemals daran gewöhnen, meine Geheimnisse dem Geliebten der Frau von Tourvel anzuvertrauen.

Indessen mögen Sie wissen, daß die kleine Volanges schon einem den Kopf verdreht hat. Der junge Danceny ist närrisch in sie. Er hat mit ihr gesungen; und in der Tat singt sie besser, als man es einem Schulmädchen zutraut. Sie müssen wohl manches Duett miteinander üben; sie möchte gern einstimmig mit ihm sein: aber dieser Danceny ist ein Kind, das seine Zeit mit Verliebtsein vertändelt und nichts zu Ende führen wird. Die kleine Person ist ihrerseits ziemlich schüchtern; und wie es auch kommt, es wird immer viel weniger spaßhaft sein, als Sie es hätten machen können. Deshalb bin ich auch ärgerlich und werde meinem Ritter, wenn er kommt, sicher eine Szene machen. Ich rate ihm, klein beizugeben, denn in diesem Augenblick würde es mich nichts kosten, mit ihm zu brechen. Ich bin sicher, wenn ich klug genug wäre, ihn jetzt zu verlassen, würde er darüber in Verzweiflung geraten; und nichts macht mir so viel Vergnügen, wie verliebte Verzweiflung. Er würde mich falsch nennen, und dieses Wort »falsch« hat mir immer viel Spaß gemacht. Nach dem Wort »grausam« ist es das angenehmste für das Ohr einer Frau. Und man kann es sich mit weniger Mühe verdienen. Ganz im Ernst, ich werde mich mit diesem Bruch beschäftigen. Und daran sind Sie also schuld! Ich lade es auch auf Ihr Gewissen. Adieu. Empfehlen Sie mich den Gebeten Ihrer Präsidentin.

Paris, den 7. August 17 ..

Sechster Brief:

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Es gibt also keine Frau, die ihre Macht nicht mißbraucht, die sie zu erlangen wußte! Sie selbst, Sie, die ich so oft meine nachsichtige Freundin nannte, Sie hören also auf, es zu sein, und scheuen sich nicht, mich in dem Gegenstand meiner Zuneigung anzugreifen! Mit welchen Farben wagen Sie Frau von Tourvel zu malen! ... Welcher Mann hätte diese freche Kühnheit nicht mit seinem Leben bezahlt? Welcher anderen Frau als Ihnen hätte es nicht wenigstens einen Ärger eingetragen? Bitte, stellen Sie mich nicht wieder so hart auf die Probe, ich könnte nicht dafür einstehen, daß ich sie aushalte. Im Namen der Freundschaft, warten Sie, bis ich diese Frau gehabt habe, wenn Sie Schlechtes von ihr reden wollen. Wissen Sie nicht, daß nur die Wollust das Recht hat, der Liebe die Binde aufzulösen? Aber was sage ich? Hat man bei Frau von Tourvel Illusionen nötig? Nein, um anbetungswert zu sein, genügt es, wenn sie sich gibt wie sie ist. Sie werfen ihr vor, sie kleide sich schlecht. Ich glaub' es wohl, jeder Schmuck schadet ihr. Alles was sie verdeckt, verunstaltet sie. Im zwanglosen Négligé ist sie wahrhaft entzückend. Dank der bedrückenden Hitze, worunter wir zu leiden haben, läßt mich ein einfaches leinenes Hauskleid ihre runde, geschmeidige Gestalt sehen. Ein einziges Musselintuch bedeckt ihren Hals; und meine verstohlenen, aber durchdringenden Blicke haben schon die reizenden Formen erspäht. Ihr Gesicht, sagen Sie, hat keinen Ausdruck. Aber was sollte es denn ausdrücken in den Augenblicken, da nichts zu ihrem Herzen spricht? Nein, sie hat ohne Zweifel gar nichts von diesem lügenhaften Blick, wie unsere koketten Frauen, der bisweilen verführt und uns immer täuscht. Sie versteht es nicht, eine leere Phrase mit einem Lächeln zu verdecken; und obwohl sie die schönsten Zähne der Welt hat, lacht sie nur über das, was ihr wirklich Vergnügen macht. Man muß aber sehen, wie sie bei scherzhaften Spielen, ein Bild offener kindlicher Fröhlichkeit bietet! Wie bei einem Unglücklichen, dem sie zu Hilfe eilt, ihr Blick reine Freude und mitleidvolle Güte zeigt. Besonders muß man sehen, wie sich bei dem geringsten Lobeswort, und bei jeder Schmeichelei auf ihrem himmlischen Antlitz diese rührende Verlegenheit einer Bescheidenheit malt, die nicht gespielt ist! ... Sie ist prüde und gottergeben, und darum halten Sie sie für kalt und seelenlos? Ich denke ganz anders darüber. Welch' erstaunliches Gefühl muß man haben, um es bis auf den Gatten zu übertragen, und jemand zu lieben, der immer abwesend ist? Welchen noch stärkeren Beweis könnten Sie wünschen? Aber ich habe mir doch noch einen anderen zu verschaffen gewußt. Ich habe ihren Spaziergang so eingerichtet, daß ein Graben zu überschreiten war; und obwohl sie sehr behend ist, furchtsamer ist sie doch noch. Sie können sich wohl vorstellen, daß eine Prüde sich scheut über den Graben zu springen.1 Sie hat sich mir anvertrauen müssen. Ich hab' sie in den Armen gehalten, diese bescheidene Frau. Unsere Vorbereitungen und die Art, wie meine alte Tante hinüberging, hatten die übermütige Fromme in ein schallendes Gelächter versetzt, aber sobald ich mich ihrer bemächtigt hatte, verschlangen sich mit Geschick und Ungeschick unsere Arme. Ich drückte ihren Busen gegen mich, und in diesem kurzen Zeitraum fühlte ich ihr Herz schneller schlagen. Liebenswürdige Röte färbte ihr Gesicht, und ihre bescheidene Verlegenheit belehrte mich zur Genüge, daß ihr Herz vor Liebe und nicht aus Furcht geschlagen hatte. Meine Tante täuschte sich darüber ebenso wie Sie, und sagte: »Das Kind hat Angst gehabt«; aber die reizende Unverdorbenheit des »Kindes« erlaubte ihm die Lüge nicht, und sie erwiderte naiv: »Ach nein, aber ...« Dies eine Wort hat mich aufgeklärt. Von diesem Augenblick an ist süße Hoffnung an die Stelle grausamer Ungewißheit getreten. Ich werde diese Frau haben; ich werde sie diesem Mann wegnehmen, der sie entweiht; ich werde es wagen, sie selbst dem Gott zu rauben, den sie anbetet. Welches Entzücken, abwechselnd der Gegenstand und der Besieger ihrer Gewissensbisse zu sein! Fern sei es von mir, die Vorurteile, die sie umfangen halten, zu zerstören! Sie werden mein Glück und meinen Ruhm nur vermehren. Mag sie an die Tugend glauben, aber opfern muß sie sie mir; mögen ihre Sünden sie erschrecken, ohne sie indessen aufhalten zu können; und von tausend Schrecken bestürmt, soll sie sie nur in meinen Armen vergessen und besiegen können! Dann kann sie mir sagen: »Ich bete dich an.« Sie allein unter allen Frauen, wird würdig sein, dieses Wort auszusprechen. Und ich werde in Wahrheit der Gott sein, den sie vorgezogen hat.

Seien wir aufrichtig; bei unseren ebenso kalten als leichtfertigen Abmachungen ist das, was wir Glück nennen, kaum ein Vergnügen. Muß ich es Ihnen sagen? Ich glaubte, mein Herz sei welk, fand mich nur noch als Sinnenmensch und beklagte mich über ein vorzeitiges Alter. Frau von Tourvel hat mir die reizenden Illusionen der Jugend zurückgegeben. Bei ihr bedarf ich nicht des Genusses, um glücklich zu sein. Das einzige, was mich erschreckt, ist die Zeit, die das Abenteuer in Anspruch nimmt; denn ich wage nichts dem Zufall zu überlassen. Wenn ich mich auch noch so sehr an meine früheren, glücklichen Dreistigkeiten erinnere, kann ich mich doch nicht entschließen, sie wieder in Gebrauch zu nehmen. Soll ich wahrhaft glücklich werden, so muß sie sich hingeben; und das ist keine kleine Sache.

Ich bin sicher, Sie würden meine Klugheit bewundern. Das Wort »Liebe« habe ich noch nicht ausgesprochen; aber schon sind wir bei den Worten »Vertrauen« und »Interesse« angekommen. Um sie möglichst wenig zu täuschen, und vor allem, um der Wirkung des Geschwätzes, das zu ihr gelangen könnte, vorzubeugen, habe ich ihr selbst, und so als ob ich mich anklagte, einige meiner berüchtigten Taten erzählt. Sie würden lachen, wenn Sie sähen, mit welcher Treuherzigkeit sie mir predigt. Sie will mich, sagt sie, bekehren. Sie hat noch keine Ahnung davon, was der Versuch sie kosten wird. Sie ist weit davon entfernt, zu denken, daß sie im voraus ihre eigene Sache verteidigt, wenn sie sich der Sache, der von mir »ins Verderben gebrachten Unglücklichen« annimmt, wie sie zu sagen pflegt. Dieser Gedanke kam mir gestern, gerade als sie mir predigte, und ich konnte mir das Vergnügen nicht versagen, sie zu unterbrechen und ihr zu versichern, sie spreche wie ein Prophet. Leben Sie wohl, meine wunderschöne Freundin, Sie sehen, daß ich nicht hoffnungslos verloren bin.

P.S. Nebenbei gesagt: Hat der arme Ritter sich aus Verzweiflung das Leben genommen? Auf Ehre! Sie sind hundertmal schlechter als ich, Sie würden mich demütigen, wenn ich eitel wäre.

Schloß ..., den 9. August 17 ..

Fußnoten

1 Man erkennt hieran die Geschmacklosigkeit der Wortspiele, die sich langsam einbürgerte und seitdem so große Fortschritte gemacht hat.

Siebenter Brief:

Cécile Volanges an Sophie Carnay.1

Ich habe Dir nichts über meine Heirat gesagt, weil ich selbst noch nicht mehr weiß, als am ersten Tage. Ich gewöhne mich, nicht mehr daran zu denken, und befinde mich bei meiner Art zu leben ziemlich wohl. Ich übe mich viel im Gesang und auf der Harfe; es scheint mir, ich liebe beides mehr, seit ich keinen Lehrer mehr habe, oder vielmehr, weil ich einen besseren habe. Der Herr Chevalier Danceny, der Herr, von dem ich Dir gesprochen und mit dem ich bei Frau von Merteuil gesungen habe, ist so liebenswürdig, alle Tage herzukommen und stundenlang mit mir zu singen. Er ist außerordentlich nett, singt wie ein Engel und komponiert wunderhübsche Melodien, wozu er auch die Worte macht. Es ist sehr schade, daß er Malteserritter ist! Wenn er sich verheiraten würde, glaube ich, wäre seine Frau sehr glücklich ... Er ist entzückend sanft. Es hat niemals den Anschein, als ob er Komplimente machte, und doch ist alles was er sagt, schmeichelhaft. Er verbessert mich unaufhörlich, bald in der Musik, bald in anderen Dingen: aber er mischt in seinen Tadel soviel Interesse und Fröhlichkeit, daß man nicht anders kann, als ihm dafür danken. Wenn er einen bloß ansieht, glaubt man, er sagt einem etwas Liebes. Bei allem ist er noch sehr zuvorkommend. Gestern zum Beispiel war er zu einem großen Konzert geladen, er hat jedoch vorgezogen, den ganzen Abend bei Mama zu bleiben. Das hat mir sehr gefallen; denn wenn er nicht da ist, spricht niemand mit mir, und ich langweile mich: dagegen singen und plaudern wir, wenn er da ist. Er hat mir immer was zu sagen. Er und Frau von Merteuil sind die beiden einzigen Personen, die ich liebenswürdig finde. Aber nun adieu, liebste Freundin; ich habe versprochen, daß ich zu heute eine kleine Arie kann, deren Begleitung sehr schwer ist, und ich will Wort halten. Ich will mich noch dran machen, bis er kommt.

Aus ..., den 7. August 17 ..

Fußnoten

1 Um die Geduld des Lesers nicht zu mißbrauchen, unterdrückt man viele Briefe dieser täglichen Korrespondenz; man gibt nur die, die zum Verständnis der Vorgänge in dieser Gesellschaft notwendig schienen. Aus dem gleichen Anlaß läßt man auch alle Briefe von Sophie Carnay weg, und mehrere der in diesem Abenteuer Beteiligten.

Achter Brief:

Die Präsidentin von Tourvel an Frau von Volanges.

Man kann nicht zugänglicher sein, für das Vertrauen, das sie mir entgegenbringen, als ich, gnädige Frau; auch kann man kein größeres Interesse haben, als ich an Fräulein von Volanges' Verheiratung. Von ganzer Seele wünsche ich ihr ein Glück, dessen sie ohne Zweifel würdig ist, und diesbezüglich kann ich mich ganz auf Ihre Klugheit verlassen. Ich kenne zwar den Herrn Grafen von Gercourt nicht, aber da Sie ihn mit ihrer Wahl beehrt haben, kann ich nur die vorteilhafteste Meinung von ihm haben. Ich beschränke mich darauf, gnädige Frau, dieser Heirat einen ebenso glücklichen Erfolg zu wünschen, wie die meinige hat, die auch Ihr Werk ist, und für die ich Ihnen jeden Tag mehr danke. Das Glück Ihrer Tochter möge die Belohnung sein, für das, welches Sie mir verschafft haben, und könnte doch die beste der Freundinnen auch die glücklichste der Mütter sein!

Es tut wir wirklich leid, Ihnen nicht mündlich mit diesem aufrichtigen Wunsch huldigen zu können, und nicht sogleich, wie ich's gern möchte, mit Fräulein von Volanges bekanntzuwerden. Nachdem ich Ihre wahrhaft mütterliche Güte gefühlt habe, darf ich mit Recht von ihr die zärtliche Freundschaft einer Schwester erwarten. Bitte, gnädige Frau, wollen Sie vorläufig in meinem Namen danach verlangen, bis ich ihr selbst nahe genug bin, sie zu verdienen.

Ich gedenke die ganze Zeit, während Herr von Tourvel abwesend ist, auf dem Lande zu bleiben. Ich verwende diese Zeit dazu, die ehrwürdige Gesellschaft Frau von Rosemondes zu genießen und davon Vorteil zu haben. Diese Frau ist immer entzückend. Durch ihr hohes Alter hat sie nichts eingebüßt; ihr Gedächtnis und ihre Munterkeit haben sich frisch erhalten. Ihr Körper ist vierundachtzig, ihr Geist nur zwanzig.

Unsere Einsamkeit wird durch ihren Neffen, den Vicomte von Valmont erheitert, der uns gern einige Tage opfert. Ich kannte ihn nur nach seinem Ruf, und der machte mir allerdings wenig Lust, seine nähere Bekanntschaft zu machen: aber es scheint mir, er ist besser als sein Ruf. Hier, wo ihn der Strudel der Welt nicht verdirbt, spricht er Vernunft mit erstaunlicher Leichtigkeit, und er klagt seine Fehler mit seltener Aufrichtigkeit an. Er redet zu mir voller Vertrauen, und ich predige ihm mit viel Strenge. Sie, die Sie ihn kennen, werden zugeben, daß hier eine schöne Bekehrung zu machen wäre, jedoch zweifle ich trotz seiner Versprechen nicht, daß acht Tage Paris ihn alle meine Lehren vergessen lassen. Wenigstens weicht sein Aufenthalt hier von seiner gewöhnlichen Lebensweise ab, und ich glaube, nach seiner gewöhnlichen Lebensart zu urteilen, daß es das beste ist, was er tun kann, überhaupt nichts zu tun. Er weiß, daß ich Ihnen schreibe, und er hat mich beauftragt, Ihnen die Versicherung seiner Ehrfurcht zu übermitteln. Nehmen Sie auch die meine freundlichst entgegen, wie ich es an Ihnen gewohnt bin, und zweifeln Sie niemals an den Gefühlen meiner Aufrichtigkeit, mit denen ich die Ehre habe, zu bleiben usw.

Schloß ..., den 9. August 17 ..

Neunter Brief:

Frau von Volanges an die Präsidentin von Tourvel.

Reizende junge Freundin, ich habe niemals weder an der Freundschaft gezweifelt, die Sie für mich empfinden, noch an dem aufrichtigen Interesse, das Sie an allem nehmen, was mich angeht. Nicht um uns in diesem Punkt Klarheit zu verschaffen, denn darüber, denke ich, sind wir für immer einig, antworte ich auf Ihren Brief, doch glaube ich nicht, es mir ersparen zu dürfen, mit Ihnen über den Vicomte von Valmont zu reden.

Ich muß gestehen, ich war nicht darauf gefaßt, diesen Namen jemals in Ihren Briefen zu finden. Und in der Tat, was kann es zwischen Ihnen beiden denn Gemeinsames geben? Sie kennen diesen Mann nicht, wie sollten Sie von der Seele eines Wüstlings eine Vorstellung haben? Sie sprechen mir von seiner »seltenen Aufrichtigkeit«: ach ja, Valmonts Aufrichtigkeit muß allerdings sehr selten sein. Er ist noch falscher und gefährlicher als liebenswürdig und verführerisch, und niemals seit seiner frühesten Jugend hat er einen Schritt getan oder ein Wort gesprochen, ohne einen Plan dabei zu haben, und niemals hat er einen Plan gehabt, der nicht unehrenhaft oder verbrecherisch gewesen wäre. Meine Freundin, Sie kennen mich, Sie wissen, ob von allen Tugenden, nach denen ich trachte, nicht Nachsicht die ist, die mir zumeist am Herzen liegt. Deshalb, wenn Valmont durch stürmische Leidenschaften hingerissen wäre, wenn er, wie tausend andere, von den Irrtümern seines Alters verführt würde, ich müßte sein Benehmen tadeln, würde ich ihn selbst auch beklagen und stillschweigend die Zeit erwarten, wo eine glückliche Einkehr ihm die Achtung der Ehrbaren zurückgibt. Aber so ist es mit Valmont nicht, sein Betragen ist die Folge seiner Grundsätze. Er weiß zu berechnen, was sich ein Mann an Niederträchtigkeiten leisten kann, ohne sich bloßzustellen; und um ohne Gefahr grausam und schlecht sein zu können, hat er sich die Frauen als Opfer ausersehen. Ich halte mich nicht damit auf, diejenigen, welche er verführt hat, aufzuzählen: aber wie viele hat er nicht zugrunde gerichtet!?

Bei dem vernünftigen, zurückgezogenen Leben, das Sie führen, dringen diese berüchtigten Abenteuer nicht bis zu Ihnen. Ich könnte Ihnen welche erzählen, über die Sie sich entsetzen würden; doch Ihre Blicke, die rein sind wie Ihre Seele, würden von solchen Bildern beschmutzt werden. Sie sind sicher, daß Valmont Ihnen nie gefährlich sein wird, und brauchen deshalb keine Waffen zu Ihrer Verteidigung. Das einzige, was ich Ihnen zu sagen habe, ist dies, daß von allen Frauen, denen er mit oder ohne Erfolg Aufmerksamkeiten erwiesen hat, keine ist, die nicht darüber zu klagen hätte. Die Marquise von Merteuil macht allein eine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel; nur sie hat ihm zu widerstehen verstanden und seine Bosheit in Ketten zu legen gewußt. Ich gestehe, daß dieser Zug in ihrem Leben ihr in meinen Augen am meisten Ehre macht: er hat auch genügt, um sie in aller Augen wieder vollkommen für einige Freiheiten zu rechtfertigen, die man ihr im Anfang ihrer Witwenschaft vorzuwerfen hatte.1 Wie dem auch sei, meine schöne Freundin, was Alter, Erfahrung und besonders die Freundschaft mich ermächtigt, Ihnen vorzustellen, ist der Umstand, daß man in der Gesellschaft Valmonts Abwesenheit zu bemerken anfängt; und erfährt man erst, er sei einige Zeit mit seiner Tante und Ihnen zusammen gewesen, wird Ihr Ruf in seinen Händen sein, und das ist das größte Unglück, das einer Frau passieren kann. Ich gebe Ihnen also den Rat, seine Tante zu veranlassen, sie möge ihn nicht länger zurückhalten, und wenn er durchaus bleiben will, dürfen Sie, glaube ich, nicht zögern, ihm das Feld zu räumen. Aber warum sollte er bleiben? Was tut er denn auf dem Lande? Wenn Sie seine Schritte beobachten ließen, würden Sie gewiß entdecken, daß er sich nur einen bequemeren Zufluchtsort zu einigen üblen Streichen ausgesucht hat, die er für die Umgegend plant. Aber da wir das Übel unmöglich heilen können, beschränken wir uns darauf, uns davor zu schützen!

Leben Sie wohl, schöne Freundin. Nun ist die Heirat meiner Tochter ein wenig hinausgeschoben. Der Graf von Gercourt, den wir jeden Tag erwarten, teilt mir mit, daß sein Regiment nach Korsika geht; und da noch Kriegsunruhen sind, wird er sich unmöglich vor dem Winter entfernen können. Das ist mir gar nicht lieb, aber es macht mir wenigstens Aussicht, daß wir das Vergnügen haben werden, Sie bei der Hochzeit zu sehen, und ich war schon ärgerlich, daß sie ohne Sie stattfinden sollte. Adieu, ich bin ohne jede Redensart und ohne Rückhalt ganz die Ihre.

P.S. Bringen Sie mich der Frau von Rosemonde in Erinnerung, die ich immer so liebe, wie sie es verdient.

Aus ... den 11. August 17 ..

Fußnoten

1 Der Irrtum, in dem sich Frau von Volanges befindet, läßt uns erkennen, daß Valmont, ebenso wie andere Bösewichter, seine Mitschuldigen nicht verriet.

Zehnter Brief:

Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont.

Schmollen Sie mit mir, Vicomte? Oder sind Sie gar tot? Oder, was dem sehr ähnlich wäre, leben Sie nur noch für Ihre Präsidentin? Diese Frau, die Ihnen die Illusionen der Jugend wiedergegeben hat, wird Ihnen bald auch die lächerlichen Vorurteile der Jugend wiedergeben. Schon sind Sie furchtsam und untertänig; ebenso gut könnten Sie verliebt sein. Sie verzichten auf Ihre glückliche Verwegenheit. So leben Sie jetzt also ganz ohne Grundsätze und stellen alles dem Zufall oder vielmehr der Laune anheim. Erinnern Sie sich nicht mehr daran, daß die Liebe, wie die Medizin, nur die Kunst ist, die Natur zu unterstützen? Sehen Sie, ich schlage Sie mit Ihren eignen Waffen: stolz will ich aber darauf nicht sein; denn wie könnte ich es, wenn ich einen Mann schlage, der bereits darnieder liegt, sie muß sich geben, sagen Sie mir. Ohne Zweifel muß sie es; und sie wird sich auch hingeben, ganz wie die anderen, nur mit dem Unterschied, daß es mit wenig Anmut sein wird. Aber dafür, daß sie sich schließlich gibt, wäre das wahre Mittel, Sie nehmen sie sich zunächst. Dieser lächerliche Unterschied, den Sie machen, ist wirklich ein großer Blödsinn der Liebe! Ich sage der Liebe; denn verliebt sind Sie doch. Anders mit Ihnen zu sprechen, wäre ein Verrat an Ihnen und würde Ihnen Ihre Krankheit verheimlichen. Sagen Sie doch, schmachtender Liebhaber, glauben Sie, die Frauen, die Sie hatten, vergewaltigt zu haben? Aber wie große Lust man auch hat sich hinzugeben, und wenn man's noch so eilig hat, einen Vorwand muß man doch haben; und gibt es einen gelegeneren Vorwand für uns, als den, der uns den Anschein gibt, wir wichen der Gewalt? Für mich, ich gestehe es, ist eine der schmeichelhaftesten Sachen ein lebhafter und gut ausgeführter Angriff, wobei alles schnell, jedoch mit Ordnung vonstatten gehen muß, ein Angriff, der uns niemals in die peinliche Verlegenheit versetzt, eine Ungeschicklichkeit wiedergutzumachen, die wir im Gegenteil hätten ausnützen können, der den Schein der Vergewaltigung selbst bis in die Dinge bewahrt, die wir gern bewilligen, und geschickt unseren zwei Hauptleidenschaften zu schmeicheln weiß, dem Ruhm der Verteidigung und dem Vergnügen der Niederlage. Ich gebe zu, daß dieses Talent, das seltener ist als man glaubt, mir immer Vergnügen gemacht hat, selbst dann, wenn es mich nicht verführt hat, und bisweilen ist es vorgekommen, daß ich mich einzig als Belohnung dafür ergeben habe. So war bei den alten Turnieren die Schönheit der Preis für Tapferkeit und Gewandtheit.

Aber Sie, Sie der Sie nicht mehr Sie sind, Sie betragen sich, als ob Sie Angst vorm Erfolg hätten. Und dann, seit wann reisen Sie in kleinen Tagemärschen und auf Schleichwegen? Mein Freund, wenn man ans Ziel will, nimmt man Postpferde und die Landstraße! Aber lassen wir das; es macht mich um so ärgerlicher, als es mir das Vergnügen raubt, Sie zu sehen. Wenigstens schreiben Sie mir öfter, und halten Sie mich über Ihre Fortschritte auf dem laufenden. Wissen Sie, daß Sie dieses lächerliche Abenteuer schon vierzehn Tage beschäftigt, und daß Sie alle Welt vernachlässigen?

Übrigens, da ich von Vernachlässigung rede: Sie gleichen den Leuten, die sich regelmäßig nach ihren kranken Freunden erkundigen, sich aber niemals eine Antwort bringen lassen, Sie enden Ihren letzten Brief mit der Frage, ob mein Ritter tot ist. Ich antworte nicht darauf, und Sie werden sich nicht weiter darüber beunruhigen. Wissen Sie nicht mehr, daß mein Geliebter Ihr geborener Freund ist? Aber seien Sie beruhigt, er ist nicht gestorben, und wenn er es wäre, könnte es nur aus übergroßer Freude sein. Der arme Kerl, wie er zärtlich ist! Wie er für die Liebe geschaffen ist! Wie er lebhaft fühlen kann! Der Kopf dreht sich mir. Ganz im Ernst, das tiefe Glück, das er in meiner Liebe findet, verbindet mich ihm wirklich.

Am selben Tage, wo ich Ihnen schrieb, ich wolle unseren Bruch herbeiführen – wie glücklich hab' ich ihn da gemacht! Ich war indessen ganz im Ernst mit den Mitteln beschäftigt, ihn zur Verzweiflung zu bringen, als man ihn meldete. Sei es Laune oder Vernunft, aber niemals schien er mir so nett. Ich empfing ihn, aber verstimmt. Er hoffte zwei Stunden bei mir zu verbringen, bevor meine Tür für jeden Besuch geöffnet sei. Ich sagte ihm, ich ginge aus; er fragte mich, wohin ich ginge; ich weigerte mich, es ihm zu sagen. Er bestand darauf. »Wo Sie nicht sein werden«, erwiderte ich ärgerlich, sein Glück war es, daß er von dieser Antwort versteinert war; denn hätte er ein Wort gesagt, wäre unfehlbar eine Szene gefolgt, die den Bruch herbeigeführt hätte, den ich mir vorgenommen. Über sein Schweigen erstaunt, blickte ich ihn an, ohne andere Absicht, schwöre ich Ihnen, als die Miene zu sehen, die er machte. Da fand ich auf dem reizenden Gesicht diese zugleich tiefe und zärtliche Traurigkeit, welcher, wie Sie selbst zugeben, so schwer zu widerstehen ist. Gleiche Ursache, gleiche Wirkung: ich war zum zweiten Mal besiegt. Von dem Augenblick an war ich nur noch auf die Mittel bedacht, es zu vermeiden, daß er in mir einen Tadel finden könne. »Ich gehe in Geschäften aus«, sagte ich mit etwas sanfterer Miene; »und es betrifft sogar Sie, aber fragen Sie mich nicht«. »Ich soupiere zu Hause; kommen Sie wieder, und Sie werden näheres hören.« Da fand er die Sprache wieder, aber ich erlaubte ihm nicht, Gebrauch davon zu machen. »Ich hab' es sehr eilig«, fuhr ich fort. »Lassen Sie mich. Auf heute abend.« Er küßte meine Hand und ging.

Sogleich, um ihn zu entschädigen, vielleicht auch, um mich selbst zu entschädigen, entschloß ich mich, ihm mein kleines Haus zu verraten, von dem er keine Ahnung hatte. Ich rufe meine treue Victoire. Ich habe meine Migräne, ich lege mich für alle meine Leute ins Bett; und endlich mit meiner Treuen allein, ziehe ich mich als Kammerfrau an, während sie sich als Lakai verkleidet. Dann läßt sie einen Wagen an die Gartentür kommen, und fort geht es. In dem Tempel der Liebe angekommen, wähle ich das verführerischste Négligé. Es ist entzückend, und meine Erfindung: es läßt nichts sehen und dennoch alles ahnen. Ich verspreche Ihnen das Modell für Ihre Präsidentin, wenn Sie von Ihnen würdig gemacht worden ist, es zu tragen.

Nach diesen Vorbereitungen, während Victoire sich noch mit Einzelheiten beschäftigt, lese ich ein Kapitel des »Sopha«, einen Brief Héloisens und zwei Geschichten von La Fontaine, um mich auf die verschiedenen Töne zu einzustimmen, die ich anschlagen wollte. Unterdessen kommt mein Ritter mit seiner ihm eigenen Bereitwilligkeit vor der Tür an. Mein Schweizer weist ihn ab und sagt ihm, ich sei krank: erster Zwischenfall. Gleichzeitig übergibt er ihm ein Billett von mir, aber nicht in meiner Handschrift, nach meiner klugen Regel. Er öffnet es und findet darin von Victoires Hand: »Punkt neun Uhr auf den Boulevards vor den Cafés.« Er begibt sich hin, und dort meldet ihm ein kleiner Lakai, den er nicht kennt, den er wenigstens nicht zu kennen glaubt, denn es ist immer wieder Victoire, er solle seinen Wagen zurückschicken und ihm folgen. Dieser ganze romantische Gang erhitzte seinen Kopf nur noch mehr, und ein erhitzter Kopf schadet nichts. Endlich kommt er an, und Überraschung und Liebe bezauberten ihn wahrhaftig ganz und gar. Um ihm Zeit zu seiner Erholung zu geben, gingen wir einen Augenblick in dem Wäldchen spazieren; dann führe ich ihn ins Haus zurück. Zuerst sieht er für zwei Personen gedeckt, dann ein gemachtes Bett. Wir gingen bis ins Boudoir, das in seiner ganzen Pracht war. Da, halb Überlegung halb gefühlvoll, schlang ich meine Arme um ihn und ließ mich vor ihm auf die Knie fallen. »Ach mein Freund!« sagte ich, »da ich dir die Überraschung dieses Augenblicks aufsparen wollte, muß ich mir vorwerfen, dich durch den Anschein schlechter Laune betrübt, und vor deinen Blicken einen Augenblick mein Herz verschleiert zu haben. Verzeih mir mein Unrecht, ich will es durch Liebe sühnen.« Sie können sich von der Wirkung dieser gefühlvollen Rede einen Begriff machen. Der glückliche Ritter hob mich auf, und meine Verzeihung ward auf derselben Ottomane besiegelt, wo sie und ich so fröhlich und auf dieselbe Weise unsere ewige Trennung besiegelt haben.

Da wir sechs Stunden zusammen zu verbringen hatten, und ich bedacht war, die ganze Zeit möchte ihm gleich köstlich sein, mäßigte ich seine Stürmischkeit, und liebenswürdige Koketterie ersetzte die Zärtlichkeit. Ich glaube, niemals so viel Sorgfalt aufs Gefallen verwendet zu haben, noch glaube ich, jemals so zufrieden gewesen zu sein. Nach dem Souper war ich abwechselnd kindlich und vernünftig, närrisch und empfindsam, bisweilen sogar leichtfertig, und ich gefiel mir darin, ihn als einen Sultan inmitten seines Serails anzusehen, dessen verschiedene Favoritinnen ich abwechselnd spielte. Und in der Tat wurden seine erneuten Huldigungen, obwohl immer von derselben Frau, doch immer von einer neuen Geliebten empfangen.