Impressum

Covergestaltung: Mat Seidhold

Bearbeitung: Siria Holm

ISBN: 9783955017378

2015 darkbook.de




andersseitig Verlag

Dresden

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Marianna Alcoforado

Portugiesische Briefe

Die Briefe der Marianna Alcoforado

Übertragen von Rainer Maria Rilke


Klassiker der Erotik Nr. 19

Erster Brief

Schau, meine Liebe, wie über die Maßen du ohne Voraussicht warst. Unselige, du bist betrogen worden und hast mich durch täuschende Hoffnungen betrogen. Eine Leidenschaft, von der du so viel Glück erwartet hast, ist imstande, dir jetzt nichts als eine tödliche Hoffnungslosigkeit zu bereiten, die höchstens in der grausamen Abwesenheit ihresgleichen hat, von der sie verursacht ist. Wie? Dieses Fortgehn, dem mein Schmerz bei allen seinen Einfällen keinen genügend trostlosen Namen zu geben weiß, dieses Fortgehn will mir also für immer verbieten, die Augen anzuschauen, in denen ich so viel Liebe sah, denen ich Bewegtheiten verdanke, die mich mit Freude überfüllten, die mir alle Dinge ersetzten, die mir endlos Genüge waren? Ach, die meinen haben das einzige Licht verloren, das sie belebte, es bleiben ihnen nur Tränen, und ich habe sie zu nichts anderem gebraucht als zum Weinen, unaufhörlich, seit ich erfahren mußte, daß dein Fortbleiben beschlossen sei, das ich nicht ertrage, das mich in kürzester Zeit töten wird. Doch mir scheint, ich habe eine Art Zuneigung zu dem Unglück, dessen einzige Ursache du bist. Mein Leben war dir zugefallen, im Augenblick, da ich dich sah, ich freue mich irgendwie, es dir zu opfern. Tausendmal schick ich meine Seufzer nach dir, sie suchen dich an allen Orten, und wenn sie mir wiederkommen, lohnen sie mir alle die ausgestandenen Beängstigungen, indem sie mir mit der allzu aufrichtigen Stimme meines bösen Loses, das nicht will, ich soll mich beruhigen, immer wieder sagen: Hör auf, hör auf, unselige Marianna, dich umsonst zu verzehren, hör auf, einen Liebhaber zu suchen, den du nie mehr sehen wirst, der über das Meer gegangen ist, um dich zu fliehen, der sich in Frankreich aufhält mitten in Vergnügungen, keinen Moment sich deiner Schmerzen erinnert und dir gerne diese Ausbrüche schenkt, für die er wenig Erkenntlichkeit haben kann. Doch nein, ich mag mich nicht entschließen, so schimpflich dich abzuurteilen, es ist nur zu sehr mein eigener Vorteil, wenn ich dich rechtfertige. Ich will mir nicht einbilden, daß du mich vergessen hast. Bin ich nicht schon unglücklich genug, ohne mich mit falschen Verdächtigungen zu quälen? Und warum soll ich mich anstrengen, nicht mehr von all der Müh zu wissen, die du dir gegeben hast, mir deine Liebe zu bezeugen? Ich bin so hingerissen gewesen von allen diesen Bemühungen, und ich wäre recht undankbar, dich nicht weiter mit demselben Ungestüm zu lieben, wie es meine Leidenschaft mir eingab, da sie noch die Beweise der deinen empfing. Wie kann es geschehen, daß die Erinnerungen so anmutiger Augenblicke so ins Grausame schlagen? Und muß es sein, daß sie, wider ihre eigene Natur, nun nur dazu dienen, mein Herz tyrannisch zu behandeln? Ach, dein letzter Brief hat es auf einen wunderlichen Zustand herabgesetzt: es geriet in so fühlbare Bewegung, daß es, glaub ich, Anstrengungen machte, sich von mir zu trennen, um zu dir zu gehn. Ich war so überwältigt von der Heftigkeit aller dieser Erregungen, daß ich mehr als drei Stunden ganz von Sinnen blieb. Ich sträubte mich zurückzukehren in ein Leben, das ich um deinetwillen verlieren muß, da ich es dir nicht erhalten darf. Gegen meinen Willen erblickte ich endlich wieder das Licht, es schmeichelte mir, zu fühlen, daß ich sterbe vor Liebe, und im übrigen wars mir recht, nicht länger dem Anblick meines Herzens ausgesetzt zu sein, das von dem Weh deines Fortseins zerrissen war. Nach diesen Anfällen habe ich die verschiedensten Zustände durchzumachen gehabt; aber wie sollte ich auch ohne Leiden bleiben, solange ich dich nicht sehe. Ich ertrage sie ohne Murren, denn sie kommen von dir. Sag, ist das dein Lohn dafür, daß ich dich so zärtlich geliebt habe? Aber es soll mir gleich sein, ich bin entschlossen, dich anzubeten mein ganzes Leben lang und keinen Menschen zu sehen. Und ich versichere dir, auch du wirst gut daran tun, niemanden zu lieben. Könntest du dich begnügen mit einer Leidenschaft, die nicht die Glut der meinen hätte? Du findest, möglicherweise, mehr Schönheit (obzwar du mir einst sagtest, ich sei eigentlich schön), aber nie, nie wirst du so viel Liebe finden, und auf das andere alles kommt es doch nicht an. Füll deine Briefe nicht mehr mit unnützen Dingen an und schreibe mir nicht mehr, ich solle an dich denken. Ich kann dich nicht vergessen