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Jochen Gartz

Narrenschwämme

Psychoaktive Pilze rund um die Welt

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2. unveränderte Auflage 2013

Copyright © 1999 NACHTSCHATTEN VERLAG

für die deutsche Ausgabe

 

Umschlag und Farbteil: CAP factory, Basel

Layout und Satz: Matschu, Heinz Martin, Basel

 

E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch

 

ISBN 978-3-03788-100-2

eISBN 978-3-03788-367-9

 

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien und auszugsweiser Nachdruck sind vorbehalten.

Inhalt

Vorwort  Wer war der erste Narr? von Christian Rätsch

Einleitung  von Jochen Gartz

1. Narrenschwämme oder Fleisch der Götter

Gedanken zur Geschichte und Erforschung von Zauberpilzen

2. Kenntnis der europäischen Arten

2.1. Psilocybe semilanceata

Der Klassiker unter den psychoaktiven Europäern

2.2. Psilocybe cyanescens und Psilocybe bohemica

Potente Streubewohner

2.3. Panaeolus subbalteatus

Mykologie und Mythen über Düngerlinge

2.4. Inocybe aeruginascens

Massenhaft sich ausbreitende Neulinge

2.5. Gymnopilus purpuratus

Eingeschleppte Flämmlinge aus Südamerika

2.6. Conocybe cyanopus

Seltene Winzlinge

2.7. Pluteus salicinus

Wenig bekannte Holzzersetzer

3. Verwechslungsmöglichkeiten

4. Blauung und Metoltest

Realität und Wunschvorstellung

5. Klassische und rezente Befunde zur Pilzkultur

6. Weltweites Vorkommen der psychoaktiven Arten

6.1. Blickpunkt Nordamerika und Hawaii

6.2. Mykophilie in Mittel- und Südamerika

6.3. Australiens Mykoflora erregt Aufsehen

6.4. Europäische Gewohnheiten

6.5. Japanische Versuche

6.6. Intoxikationen und der älteste bekannte Pilzkult in Afrika

6.7. Gebrauch in Asien und Ozeanien

7. Anmerkungen zur Wirkung von Pilzen der Kategorie Phantastika

8. Psychotherapie

Ausblick

Literatur

 

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Abb. 1

Bronzetür mit Pilzmotiv (biblische Szene der Verurteilung von Adam und Eva) in der Kathedrale von Hildesheim, Deutschland (ca. 1020).

Danksagung

Roger Liggenstorfer, Agnes Tschudin und dem Team vom Nachtschatten-Verlag danke ich herzlich für die Erstellung dieser Edition und dem verständnisvollen Umgang mit meinen Anregungen zur Buchgestaltung.

Im Laufe meiner 15jährigen wissenschaftlichen Erforschung psychoaktiver Pilzarten rund um die Welt bin ich folgenden Personen für die Einführung in verschiedene mykologische Bereiche, der bereitwilligen zur Verfügungstellung oft sehr seltener Pilzfunde, von Pilzfotos oder von wichtigen Informationen zu grossem Dank verpflichtet:

J.W. Allen, G. Drewitz, M. Hausner, J. Herink, A. Hofmann, U. Kinzel, G.J. Krieglsteiner, R.C. Leimgruber, H. Leuner, G.K. Müller, J. Ott, C. Rätsch, I. Richter, G. Samorini, M.Semerdzieva, A.T. Shulgin, M.W. Smith, P. Stamets und S. Widmer.

Vorwort

Wer war der erste Narr?

„Der Narr bejahte es, wusch sich die Federn vom Leib, zog sich wieder an und ging dann in den Stall, wo er allen Schafen die Augen ausstach und diese in seinem Rock versteckte. Sobald die Braut kam, ging er ihr entgegen und warf ihr die Augen, soviel er nur hatte, ins Gesicht, weil er glaubte, dass man so und nicht anders „die Augen auf jemand werfen muss“

Aus einer frühzeitlichen Narrenposse

Niemand weiss, wann der erste Narrenschwamm aus dem Schatten der Erdgeschichte in das Licht des Bewusstseins getreten ist. Niemand weiss, wann der erste Mensch den ersten Schwamm verzehrt hat. Niemand weiss, wer der erste Narr war. Denn – so erscheint es mykophoben Personen – nur Narren begehen die Torheit, eine höhere Wirklichkeit ausserhalb der Alltagsbanalität zu suchen. Und das auch noch mit Hilfe dieser merkwürdigen Dinger, die wie Gaias Unrat unheimlich aus schwülem Boden, faulem Holz und stinkendem Kuhmist hervorspriessen. Diese Schwämme oder Pilze, die seit der Antike Angst und Schrecken verbreiten, die aus dem giftigen Geifer der Schlangen entstehen, die als unreiner Auswurf böser Geister erscheinen, konnten Tod und Verderben, Blähbäuche und Narrheit erzeugen. Noch heute sagt der aalglatte Wiener von einem gesellschaftlichen Aussenseiter, „Er hat verrückte Schwammerln gegessen!“

Aber da ist auch die andere Tradition.

Die Alte Welt: Die mykenische Kultur beginnt mit einem Pilztrip. Der Ambrosia des Dionysos war mit Pilzen vermischt. Porphyrius, der lateinische Dichter aus der Zeit Kaiser Konstantins (4. Jh.), weiss von den Pilzen, dass sie die Kinder der Götter sind. Denn wahrhaft göttlich wird einem zumute, hat man die Kinder der Götter in einem quasikannibalistischen Akt verzehrt. Aber nicht alle Pilze lassen den Menschen am göttlichen Bewusstsein teilhaben. Es sind nur jene, die im christlichen Europa des späten Mittelalters und der früheren Neuzeit als giftige, vom Teufel gesandte Narrenschwämme galten.

Die Neue Welt: Die Azteken in Mexiko nannten eine Reihe kleiner unscheinbarer Pilze Teonanacatl, „Fleisch der Götter“. Diese heiligen Pilze wurden rituell gegessen, um mit den Göttern in Kontakt zu treten, um Erkenntnisse über Gott und die Welt zu erhalten. Den katholischen Spaniern waren diese Pilzrituale unheimlich. Den Pilzessern, gewöhnlich Teufelsanbeter genannt, wurde die Inquisition auf den Hals geschickt. Aber da sich alles Gute bewährt, ist der Kult der Pilzesser nicht ausgestorben. Er ist wie ein Myzel im Untergrund weitergewachsen und zum richtigen Zeitpunkt in der geschriebenen Geschichte, nämlich 1957, wieder als Fruchtkörper in das öffentliche Bewusstsein getreten. Valentina und Gordon Wasson wurden zu den Heroen der neo-mykophilen Bewegung.

Zurück in die Alte Welt: So wunderbar wie die Offenbarungen der psychedelischen Pilze, so wunderbar war die Erkenntnis, dass unsere einheimischen, gewöhnlich als ungeniessbar geltenden „Narrenschwämme“ mit den mexikanischen Zauberpilzen, dem Fleisch der aztekischen Götter, nahe verwandt sind. Die Seelen der mexikanischen und deutschen Zauberpilze sind aus demselben Stoff gemacht, dem Psilocybin.

Neue Narren braucht das Land

Es ist das ganz grosse Verdienst von Jochen Gartz, sich dieser Narrenschwämme angenommen zu haben, sie wissenschaftlich untersucht und getestet zu haben. Bei einer Forschung wie dieser, die dem vorliegenden Buch zugrunde liegt, bedarf es eines unerschrokkenen, mutigen und tapferen Bewusstseins, frei von Voreingenommenheit und Mykophobie. Ich bin überzeugt davon, dass das forscherische Bewusstsein, vom Geist des Pilzes durchtränkt, zu weitaus tieferen und wertvolleren wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangt als der distanzierte Lehnstuhlprofessor, der sich an unseren Steuergeldern sattfrisst.

Ich habe Jochen Gartz kurz nach dem Fall der Mauer beim 3. Symposium des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsstudien (ECBS) in Freiburg kennengelernt. Es war für mich der erste Kontakt zu einem Wissenschaftler aus der damaligen DDR. Jochens enthusiastischer Vortrag wurde eine echte Bewusstseinserweiterung und Grenzüberschreitung. Die Pilze sprachen durch ihn – frei von jeglicher Ideologie – ganz anarchisch, wie diese Wunderwesen nun mal sind. Die neuen Narren brauchen dieses Buch als Begleiter in das Wunderland der Narrenschwämme.

Christian Rätsch

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Abb. 2

Anthropomorphen beim Pilztanz. Felszeichnung aus Tassili (Sahara, Algerien). Einzelnen dieser Zeichnungen wird ein Alter von weit über 12 000 Jahren zugeschrieben.

Einleitung

Mehrere Jahre nach der interdisziplinären Erforschung der kultischen Verwendung von mexikanischen Pilzarten durch R. G. Wasson, R. Heim und A. Hofmann, die im Bericht über die Isolierung, Strukturaufklärung und Synthese der Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin aus dem Jahre 1958 gipfelte, gelang auch der Nachweis dieser Substanzklasse in einer europäischen Pilzart. Der Spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) erwies sich als erste Spezies einer Kette von Neuentdeckungen psychotroper Pilze, die zunehmend aus anderen Gattungen beschrieben wurden.

Ich hatte das Glück, im Rahmen meiner analytischen Arbeit der Bestimmung von Naturstoffen bei der Erforschung der Alkaloide diverser Arten mitzuwirken und glaube, dass es an der Zeit ist, die neuen Erkenntnisse aus Mykologie, Taxonomie und Naturstoffchemie zusammenfassend darzustellen.

Die Geschichte der Erforschung der mexikanischen Arten ist bereits durch Wasson und seine Nachfolger allseitig beleuchtet worden, so dass auf eine Wiederholung in diesem Rahmen verzichtet werden konnte. Dagegen werden Aspekte der neueren Anwendung der Pilze sowie ihre Wachstumsbedingungen näher behandelt.

Anliegen des Buches ist es, Impulse für die weitere Erforschung dieser Pilze und der daraus gewonnenen Wirkstoffe in Grundlagenforschung und Medizin zu geben.

Dem an einer weiteren Durchdringung des Stoffes interessierten Laien oder Fachwissenschaftler wird das umfangreiche Literaturverzeichnis helfen, in das sehr komplexe Wissensgebiet noch tiefer einzudringen.

Jochen Gartz

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Abb. 3

Darstellung der Psilocybe semilanceata durch Sowerby (London 1803)

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Abb. 4

Text zu obenstehender Abbildung

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Abb. 5

Psilocybe semilanceata in Deutschland und angrenzenden Gebieten (nach Krieglsteiner)

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Abb. 6 und 7

Beschreibung der Psilocybe semilanceata aus dem letzten Jahrhundert (6 oben), die dann anno 1962 als „wertlos“ klassiert wird (7 unten).

1. Narrenschwämme oder Fleisch der Götter

Gedanken zur Geschichte und Erforschung von Zauberpilzen

„Zu gering ist kein Ding, selbst kein Pfifferling“

Altes Sprichwort

Es ist erstaunlich, dass bedeutend mehr bewusstseinsverändernde Naturprodukte den Völkern auf dem amerikanischen Kontinent bekannt waren, als es sich für die frühen Kulturen Europas und Asiens nachweisen lässt. Die Existenz von bedeutend weniger Pflanzen mit halluzinogener Wirkung in Europa lässt sich botanisch nicht begründen. Auch die immer umfangreicher werdende Zahl europäischer Pilzarten mit Psilocybin als Inhaltsstoff, die erst in den letzten Jahren entdeckt wurden, beweist das Vorkommen einer psychotropen Mykoflora bei uns, die der anderer Länder vergleichbar ist.

Da nicht anzunehmen ist, dass die Menschen der Frühzeit in Europa sich weniger Pflanzen und Pilze durch unmittelbare Erfahrung erschlossen hätten als anderswo, muss ein Verlust dieser Kenntnis schon vor mehreren Jahrhunderten eingetreten sein.

Durch die Entdeckung der Verwendung des Fliegenpilzes als psychotrope Substanz in Sibirien wurde auch auf die frühe Verwendung dieser Pilzart in Europa geschlossen. Tatsächlich existieren recht spärliche Zeugnisse aus dem Mittelalter über die verbreitete Kenntnis der Wirkung spezieller Pilze auf das menschliche Bewusstsein. Ich glaube aber, dass diese Berichte in der Vergangenheit oft willkürlich dem Fliegenpilz zugeordnet wurden, weil er die einzig bekannte psychotrope Art Europas war. Die spektakulären Halluzinosen durch den Verzehr dieser Spezies bei den sibirischen Stämmen traten in dieser eindrucksvollen Form bei den europäischen Intoxikationen nie auf. Es ist daher anzunehmen, dass die ausgeprägt halluzinatorischen Wirkungen einzelner Psilocybe-Arten und ihrer Verwandten in der Vergangenheit die Menschen Europas weitaus stärker beeindruckt haben als die oft an Delirien erinnernden Erscheinungen nach Verzehr des Fliegenpilzes mit ihrem meist auftretenden Bewusstseinsverlust und den starken körperlichen Nebenwirkungen. Diese Annahme wird auch durch analoge Ergebnisse der umfangreichen Feldforschung aus Mexiko unterstützt. Ich beziehe daher die folgenden Zeugnisse der Kenntnis psychotroper Pilze aus Europa eher auf die Psilocybe-Arten oder verwandte Spezies als auf den Fliegenpilz, ohne dass eine abschliessende Bewertung heute noch möglich ist.

Die Pilzverwendung spiegelt sich sogar noch in der Sagenwelt wieder. So wird darin über einen sonderbaren Giftpilz aus Wales mit dem eigenartigen Namen Bwyd Ellylon berichtet, den die Elfen als Leckerbissen verspeisen, wenn sie Geisterfeste feiern. Die Psilocybe semilanceata als wichtigster psilocybinhaltiger Pilz Europas wächst gerade in diesem Teil Grossbritanniens zur Herbstzeit in Massen.

G. Samorini verdanke ich den Hinweis, dass die Inquisition in den Alpentälern von Valcamonica, Valtrompia und Valtellina (Provinzen Brescia und Sandrio, Norditalien) besonders wütete. Viele Bücher berichten über die zahllosen Hexenverbrennungen in dieser Region, wobei die Treffen der Hexen am „Monte del Tonale“ in 2000 m Höhe in der Literatur am meisten erwähnt werden. Die Feldforschungen ergaben, dass die Nachtschattengewächse („Hexenkräuter“) in diesen Höhen nicht mehr wachsen; auch das Vorkommen des Fliegenpilzes ist selten. Die Psilocybe semilanceata findet man dagegen dort auf den Weiden im Herbst kiloweise. So erscheint es wahrscheinlich, dass die Pilzart in diesem historischen Rahmen eine wichtige Rolle als psychotropes Mittel gespielt hat. (Vgl. auch Abb. 33, S. 81). Interessanterweise sind – in Analogie zu den mittelalterlichen Berichten über die Hexenpraktiken – auch bei der Psilocybinwirkung Flugsensationen typisch.

Nordische Berserkerwut

Im Zuge der ideologischen Machtauseinandersetzung zwischen Christentum und übriggebliebenen Naturreligionen ging durch die Unterdrückung und Ausmerzung der Kulturträger viel ursprüngliches Wissen in Europa verloren, einschliesslich der frühen Verwendung temporär bewusstseinsverändernder Pflanzen und Pilze. Auch die „Berserkerwut“ nordischer Krieger wurde von einigen Autoren dem Gebrauch des Fliegenpilzes zugeschrieben. In nordischen Berichten ist häufig die Rede von „Augenverblendungen“ (d. h. Halluzinationen). Nachdem das „Berserker-Gehen“ vom nordischen Recht verfemt worden war, verschwand es abrupt im 12. Jahrhundert. Saxo Grammaticus vermutete etwa zur gleichen Zeit, dass die Berserker Zaubertränke verwendet hätten.

Es wäre ebenso gut möglich, dass die in Norwegen sehr häufige Psilocybe semilanceata das früher verwendete Halluzinogen darstellte.

Beide Pilzarten erzeugen im allgemeinen keine „Wut“. Es wäre jedoch in dem Zusammenhang möglich, dass schon in dieser Zeit eine Verketzerung und Falschdarstellung der Pilzwirkung bei der Bevölkerung einsetzte, um einen Grund für neue Gesetze zu schaffen und damit dieses unerwünschte heidnische Brauchtum schliesslich auszumerzen.

Jedenfalls zeigen Felszeichnungen aus Nordeuropa, die noch 2000 Jahre älter sind als die Berichte über die Berserker sowie Bronzegefässe aus der gleichen Zeit Pilzmotive, wobei die Darstellung zum Teil zusammen mit Zoomorphen erfolgte. Diese Anzeichen für einen Pilzkult, der in der frühen Eisenzeit wie viele andere Lebensgewohnheiten der damaligen Bevölkerung offensichtlich ausstarb, deuten auf ein Kontinuum der Anwendung psychotroper Pilze in Nordeuropa hin.

Ein alter schwedischer Volksbrauch, der bis in die Neuzeit praktiziert wurde, dokumentiert ebenfalls, dass wahrscheinlich dort eine frühe Kenntnis über Pilze bestand, die „Geistersehen“ hervorriefen. Während des Festes der Sommerfeuer zur Sonnenwende warfen die Teilnehmer eine heute nicht mehr bekannte Giftpilzart („Bäran“) in die Flammen, um der Macht der Kobolde und anderer böser Geister zu begegnen. Der Pilz erscheint hier als Materialisierung von Schadensgeistern. Durch seine Vernichtung werden diese ebenfalls entmachtet. Uralte Wissensreste über die Psychoaktivität einzelner Spezies könnte die Ursache für diese spätere Annahme gewesen sein. Aus dem ausgehenden Mittelalter existieren einige schriftliche Zeugnisse über psychotrope Arten, die aus verschiedenen Ländern stammen, interessanterweise aber die gleiche Wirkungsrichtung betonen.

Liebestränke aus bolond gomba

So fand der grosse Arzt und Botaniker Clusius (1525-1609) in Ungarn den „bolond gomba“ einen Pilz mit dem deutschen Namen „Narrenschwamm“. Dieser wurde in ländlichen Gebieten gebraucht und vom weisen Mann (javas asszony) zu Liebestränken verarbeitet. Der Narrenschwamm wird in dieser Zeit auch aus der Slowakei erwähnt. In den Versen des polnischen Dichters Waclav Potocki (1625—1699) kommt dieser Pilz ebenfalls vor; es wird von seiner Eigenschaft gesprochen, „töricht zu machen wie Opium“.

John Parkinson spricht in seinem „Theatricum Botanicum“ (1640) von analogen „foolish mushroom“, den er aus England näher beschreibt. Über geistige Verwirrung gibt es in Österreich die volkstümliche Bezeichnung „Er hat verrückte Schwammerln gegessen“.

Diese verstreuten geschichtlichen Zeugnisse lassen keine eindeutige Bestimmung der verwendeten Pilzarten zu. Als Spezies kämen entsprechend ihres Vorkommens vor allem Psilocybe semilanceata und Psilocybe bohemica (S. 18 ff) in Betracht. Auffällig ist, dass diese Bezeichnungen nur einen Aspekt der Eigenschaften der Pilze herausgreifen, die schizophrenartige Wirkung, die manchmal ausgeprägt sein kann. Niemals kommt in den Berichten eine besondere Wertschätzung im Sinne der mexikanischen Indianer („Teonanacatl“ = Fleisch der Götter) zum Ausdruck.

Zwischen Bewunderung und Furcht

Stets wurden die Pilzwirkungen mit den Symptomen von Geisteskrankheiten verglichen. Wahrscheinlich lässt sich die unterschiedliche Einschätzung erklären, wenn man die von R.G.Wasson und seiner Frau erstmalig definierten Begriffe Mykophilie und Mykophobie verwendet. Danach teilte er das traditionelle Verhältnis der Völker zu Pilzen in zwei Gruppen ein, wobei einer ausgesprochenen englischen Pilzabneigung (Mykophobie) die Pilzliebe (Mykophilie) z. B. in den slawischen Ländern gegenüber steht. Die Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung liegen im Dunkel der Geschichte.

Es könnte eine frühe Tabuisierung psychotroper Pilze als Auslöser für ein späteres mykophobes Verhalten gedient haben. Andererseits könnte bei der Erschliessung der Pilze als Nahrungsquelle vor Tausenden von Jahren eine auffällige Häufung tödlicher Vergiftungsfälle in mehreren Landstrichen aufgetreten sein, die eine starke und dauerhafte Abneigung der Bevölkerung gegen die gesamte Mykoflora hervorgerufen hat.

Die Mykophilie im alten Mexiko war jedenfalls verbunden mit einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Wirkung der Psilocybe-Arten, ihrer festen Einbindung in Riten, ohne dass eine Beziehung zu den ebenfalls dort vorkommenden echten Geisteskrankheiten gezogen wurde. Die Indianer dieses Landes sind interessanterweise auch die einzigen Amerikas, die traditionell Speisepilze in grossem Umfang verwenden.

Leider werden die halluzinogenen Substanzen auch heute noch sofort nach ihrer Entdeckung mit stark wertenden Attributen belegt, die einen vorurteilsfreien, wissenschaftlich sachlichen Blickwinkel erschweren. Der Narrenschwamm tauchte in den dreissiger Jahren unseres Jahrhunderts als mexikanischer „Irrsinnspilz“ auf. Die Entdecker des mittelamerikanischen Kultes nannten die Pilze in den fünfziger Jahren unter Anerkennung ihrer Wirkung und der frühen gesellschaftlichen Integration und Bedeutung „mexikanische Zauberpilze“. Später wurden sie in der Literatur mit dem relativ wertfreien Begriff „halluzinogene Pilze“ bezeichnet. Im Zuge der Zeit kamen dann die abwertende Bezeichnung „Rauschpilze“ und sogar der fachlich unmögliche Begriff „Drogenpilze“ in Mode.

Als T. Leary nach seinem mexikanischen Experiment mit den Pilzen im Sommer 1960 begann, in Harvard das Psilocybin anfänglich in psychologischen Testreihen zu verwenden und die Versuche bald danach auf breitere Kreise ausgeweitet wurden, brachte die amerikanische Presse Wertungen über die Pilze, die die Bezeichnung „Narrenschwämme“ noch übertrafen. Die Pilze induzierten angeblich einen „todähnlichen Zustand“. Den Protagonisten des Psilocybins wurde vorgeworfen, dass sie leugneten, dass das Alkaloid „halbpermanente Gehirnschäden“ hervorrufen könnte. Dieser wissenschaftlich unsinnige Wortsalat war ein Zeichen der sich immer mehr verschärfenden Kontroverse um die Halluzinogene, wobei das Psilocybin sehr schnell völlig in den Hintergrund rückte und dem ungeheuer potenten LSD mit dessen bald gewaltiger Publizität Platz machte. Dabei geriet der Pilzwirkstoff in den gesetzlichen Strudel dieser mächtigsten halluzinogenen Substanz, und seine Anwendung für wissenschaftliche Zwecke wurde zunehmend eingeschränkt. Die Halluzinogene differenzierte man nicht mehr untereinander. Bald erfolgte nicht einmal mehr eine Abgrenzung dieser pharmakologischen Gruppe von den echten Suchtmitteln des Types Heroin. Dabei hatte die Basler Sandoz AG vor dieser Zeit kompetenten Forschern ausreichend Substanz für experimentelle und psychotherapeutische Zwecke zur Verfügung gestellt. Insgesamt wurden nach dem Verfahren von A. Hofmann 2 kg Psilocybin synthetisiert.

Schnell erschien als Resultat der pharmakologischen Untersuchungen klar, dass die Anwendung des Alkaloides in kontrollierten Experimenten kein Risiko für den Probanden darstellt. Trotzdem macht der dann Mitte der sechziger Jahre geschaffene gesetzliche Rahmen im Sinne einer „offiziellen Mykophobie“ es bis heute so schwierig, mögliche Anwendungsgebiete des Psilocybins wissenschaftlich abzuklären. Als Resultat der naturstoffchemischen Untersuchung weiss man jedoch heute, dass Pilze, die diesen Wirkstoff enthalten, auf allen Kontinenten wachsen und dadurch wissenschaftlich genau wie die andere Mykoflora untersucht werden müssen.

Neben der Einstellung einzelner Völker hat jeder von uns eine spezifische Sichtweise auf die Pilze im allgemeinen. Die Wurzeln für ein individuelles Verhältnis zu den Pilzen werden schon in der Kindheit gelegt. Oft bleibt jedoch im dunkeln, warum man dann später ein bestimmtes Wertsystem in dieser Richtung entwickelt.

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich im Alter von etwa fünf Jahren im Gras spielte und mir ein Mädchen einen braunen Pilz zeigte und mit bedeutungsvoller Stimme sagte, dass er giftig sei und man ihn daher nicht essen dürfe. Trotzdem bin ich zum Pilzliebhaber geworden, obwohl mir diese Episode im Gedächtnis haften blieb. Andererseits blieb mir aus meiner frühen Jugendzeit die Bewunderung über ein sehr üppiges Vorkommen von bläulichen Blätterpilzen auf einem Müllplatz ebenso gut in Erinnerung wie die vorherige Szene. Allgemein kann man wohl sagen, dass durch ihre bizarren Eigenschaften (Toxizität, Aussehen) diese Organismen viele frühe Eindrücke hervorrufen können, die sich später in verschiedener Hinsicht manifestieren.

Erfolgt dann noch eine zusätzliche Beschäftigung mit den psychotropen Arten, so wird die individuell vorherrschende Mykophobie oder -philie verstärkt oder abgeschwächt, da jetzt die Bewusstseinsveränderung zusätzlich in einer bestimmten, wertenden Sichtweise eingeschätzt wird.

Aus den Schilderungen der folgenden Kapitel werden die verschiedenen Blickwinkel auf die psychotropen Pilze deutlich. Die unfreiwilligen und gezielten Experimente mit den einzelnen Arten dokumentieren eindrücklich, dass sehr viele Interpretationen der Pilzwirkungen möglich sind.

2. Kenntnis der Europäischen Arten

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Abb. 8

Psilocybe cyanescens in Europa und Nordafrika (nach Krieglsteiner)

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Abb. 9

Faksimile des Berichtes in einem englischen Journal über Vergiftungen mit Psilocybe semilanceata im Jahre 1799.