Christina Strasser

Tausche Dreitagebart gegen Lippenstift

Mein Weg zur Frau

Leykam

Vorwort

Wer von Ihnen, werte Leserin und werter Leser, kann sich vorstellen, der eigene Körper wäre in all seinen Funktionen nicht der, den man eigentlich fühlt? Nun ist die Natur nicht zimperlich, biologische und genetische Codes formen das neue Menschenwesen nach genauem Muster und Erbinformationen zu einem Fleischkonstrukt – doch was ist mit der Seele, die in dieses Haus zieht? Welches Muster ist dafür zuständig, dass dieser göttliche Funke, der fühlt und atmet, als weiches weibliches, hartes männliches, hartes weibliches oder weiches männliches Bewusstsein auch den entsprechenden Körper erhält, der ihr oder ihm Werkzeug zum Leben und Überleben sein möge – ein Leben lang?

Die Möglichkeiten der heutigen Chirurgie sind bloß (aber zum Glück!) Möglichkeiten, den fleischlichen/menschlichen Körper an den Inhalt der menschlichen Seele anzupassen. Aber der Schmerz mag bleiben, Heimatlosigkeit und Verwirrung kann man nicht „wegoperieren“.

Christina ist eine Menschenseele mit so viel Herz und Zartheit, sie ist schüchtern und stark in gleichem Maße, sie trotzt all den schwarzen Phasen, in denen sie nicht mehr daran glauben kann, jemals als das, was sie ist, geliebt zu werden.

Christina ist ein Mensch, der mich rettet, weil sie mir den Glauben an die Liebe zurückgibt, weil sie da ist, weil sie für alle anderen, die sie in ihr Leben lässt, stark ist.

Ich wünsche mir von Herzen, dass dieses seltene Wesen auf unserer – oft verdammt lieblosen, egozentrischen und verurteilenden – Welt auch für sich selbst stark sein kann, nicht untergeht, sich selbst so lieben kann, wie sie ist – und wie so viele andere sie aus tiefstem Herzen lieben, die sie kennenlernen durften und dürfen.

Liebe Freunde,

unsere Christina lächelt (für uns), auch wenn ihr Schmerz gerade groß ist, und ist für jede und jeden von uns da, selbst wenn sie schon nichts mehr zu geben hat. Achten wir auf sie – denn wenn unsere Achtsamkeit für dieses zauberhafte, liebende Wesen verebbt, werden wir sie verlieren. Sie braucht uns, wie wir sie noch viel mehr brauchen. Sie lehrt uns, die Liebe neu zu erfassen – kein Mensch, den ich kenne, liebt so sich selbst auflösend wie sie. Sie ist mutig, stolz und so zerbrechlich. Sie heilt uns durch ihre Tapferkeit und ihr zärtliches Herz.

Es ist einerlei, in welchem Körper du wohnst – du bist für mich eine Botschafterin für Liebe, Mitgefühl, Verständnis und Toleranz.

Liebe Christina, Prinzessin,

hör nicht auf zu glauben und hör nicht auf zu kämpfen. Ich brauche dich, und ich liebe dich – die Welt wäre dumm, es mir nicht gleich zu tun.

In großer Dankbarkeit für deine Freundschaft, dein mütterliches, nährendes Sein, deine Kreativität, deine Liebe und deinen Mut in dieser oft so kalten und blinden Welt.

In tiefer Verbundenheit,

deine Claudia

Die Autorin

Die Geschichte meiner Transsexualität durchläuft alle Phasen meines Lebens, die ich dafür als wichtig und richtig empfinde. Manche mögen für Außenstehende kaum beachtenswert sein, für mich sind sie die Eckpunkte und Meilensteine meines ­Weges bis hin zu meiner Geschlechtsanpassung und auch noch danach.

Eines muss ich ganz besonders betonen:

Ein so einschneidender Prozess kann niemals nur ein Honiglecken sein. Es bedarf einer großen Menge an Selbstbewusstsein und – das ist wohl der wichtigste Motivationsgrund – eines enormen Leidensdrucks, sich freiwillig diesen Strapazen und auch Anfeindungen auszusetzen.

Im Laufe meiner Anpassung sollte ich viele meiner „guten alten Freunde“, aber auch Verwandte „verlieren“. Dies schmerzt und stellt in Zeiten psychischer Belastung ein beinahe unüberwindliches Hindernis dar. Doch wer offen bleibt und es zulässt, wird auch neue Freunde gewinnen; Mitstreiter, die zumindest einen Teil des Weges mit dir mitgehen und dich oftmals tragen.

Dieses Buch gibt Auskunft über meine Sorgen und Ängste, die mich beinahe in den Tod getrieben haben. Ich schreibe ungeschönt und auch so hart, wie ich es empfunden habe. Der Weg ist ein steiler und steiniger. Doch das Ergebnis, die Rückmeldungen geben mir Recht.

Neben der Entscheidung für meine Frau war das Beschreiten meiner Geschlechtsanpassung die wohl richtigste und beste Entscheidung meines Lebens.

Alle im Buch angeführten Abläufe, gesetzlichen Forderungen und Vorgaben beziehen sich auf den Zeitraum meiner Anpassung, beginnend von 2011 bis Ende 2013. Der gesetzliche sowie medizinische Weg ist ständig in Bewegung, so beruhen meine Angaben ausschließlich auf den Bedingungen, die mir zum ­damaligen Zeitpunkt vorgegeben und vorgeschrieben waren. Dies bezieht sich vor allem auf Fristen, Befundungen, notwendige Gutachten und dergleichen.

Ich wünsche mir, dass mit diesem Buch ein Leitfaden für alle Betroffen vorliegt, mit dem man sich schon im Vorfeld und während des Prozesses über das informieren kann, was auf einen zukommen könnte. Für alle anderen erhoffe ich mir, dass es durch meine Zeilen gelingen möge, ein wenig mehr Toleranz und Verständnis für „Anderslebende“ in unsere Gesellschaft zu bringen.

Schon Häuptling Seattle schreibt im Jahre 1877 an den Weißen Mann: „Am Ende sind wir alle Brüder, und niemand kann seiner Bestimmung entgehen.“

Unsere Bestimmung ist ganz sicher nicht, über andere zu urteilen, sondern für ein gemeinsames Miteinander zu sorgen.

Dazu können wir ALLE unseren kleinen Betrag beisteuern.

Christina Strasser, Jänner 2015