Elisabeth Hering

Die Magd der Pharaonen


Mit Federzeichnungen von Gerhard Stauf

Elisabeth Hering wurde 1909 in Klausenburg, Siebenbürgen, geboren und wuchs in Schäßburg auf. 1943 musste die Autorin ihre Heimat verlassen und ließ sich nach mehreren Zwischenstationen in Leipzig nieder. Hering veröffentlichte 24 Bücher – darunter zahlreiche kulturhistorische Romane, populärwissenschaftliche Bücher und Erzählungen für Kinder.

Ein weiterer Schwerpunkt ihrer schriftstellerischen Arbeit waren Nacherzählungen von Märchen, Sagen und Schwänken. Elisabeth Hering starb 1999 in Leipzig.

Aus Punt, dem sagenhaften Land des Weihrauchs wird Merit nach Ägypten verschlagen. Am Hofe der Pharaonen kommt sie als Dienerin zur Tochter der Königin Hatschepsut. Die Königin hat den rechtmäßigen Thronfolger beiseitegeschoben. Merit erlebt die Machtkämpfe um den Thron aus nächster Nähe. Beinahe gerät sie selbst in die Mahlsteine hoher Politik, denn sie ist die Geliebte des Thutmosis geworden. Als dieser die Herrschaft antritt und Hatschepsut beseitigt, ängstigen sie Intrige und Gewalt. Sie flieht aus dem Palast. Ihr Sohn soll Mensch werden, nicht Pharao.

Der Lebensgeschichte Merits folgen wir gespannt – sie fesselt uns wie eine echte Dichtung!

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Wie, du kommst schon zurück, Reni? Bist du nicht mit den andern über den Strom gefahren? Sind Seneb und die Frauen allein übergesetzt? Und die Kinder, natürlich, die werden sich ein solches Schauspiel nicht entgehen lassen!

Ja, es ist ein Schauspiel, wenn ein Pharao stirbt! Hast du die Barke gesehen, auf der die Königsfamilie fuhr? Waren die Masten vergoldet? Und die Segel aus Purpur?

Und sähest du die Klageweiber? Die Damen seines Frauenhauses? Die Sängerinnen des Amon? Die Dienerinnen des Palastes? Tausende müssen es gewesen sein! Ihre Stimmen sind bis zu mir gedrungen:

„Nach Westen! Nach Westen!

Wehe! Wehe!

Steif liegt der Gute Gott,

der die Wahrheit liebte,

dessen Abscheu die Sünde war!“

Sahst du die Königin? Wie, du konntest sie nicht erkennen? Sie trägt doch die Geierhaube, und um ihren Kopf ringelt sich die goldene Schlange! Und mir war, als hätte ich ihre Stimme bis hierher aus allen herausgehört:

„Wende dich um zu deinem Hause!

Wende dich um, dein Erbe ist auf deinem Thron!

Sieh, genommen hat dein Sohn die Weiße Krone!

Sieh, geschmückt ist dein Sohn mit der Roten Krone!

Wende dich um zu deinem Hause, wende dich um!“

Und auch den Sarkophag hast du nicht gesehen, wie er aus dem Hause der Balsamierer gebracht wurde?

Nun, mach dir nichts draus, Reni! Mehr für die Götter ist ja das Schauspiel als für die Menschen. Aufgeflogen ist der Tote zum Himmel wie ein Falke. Vereint hat er sich mit seinem Vater Amon und ist eingegangen in seinen Horizont. Die Kühle des Binsenfeldes ist um ihn, die Herrlichkeit des Speisefeldes erwartet ihn; er kreist unter den Sternen, die niemals untergehn. Die Totenrichter haben keine Macht über ihn wie über gewöhnliche Menschen. Sein Herz wird nicht gewogen auf der Waage der Maat. Osiris geleitet ihn nicht zur Unterwelt.

Oder am Ende doch?

Kann man denn wissen, ob der König wirklich gefeit ist? Ob nicht gegen ihn gar das eigene Herz aufsteht am Tage des Gerichts und ihn dem Knochenbrecher überantwortet?

Schreibt ihm die heiligen Zeichen an die Wände seines Grabes! Lasst ihn beteuern: „Nicht habe ich getötet! Nicht habe ich töten lassen! Nicht habe ich jemandem Leiden verursacht, nicht habe ich gelogen! Keine Sünde habe ich gegen Menschen getan!“

Und nehmt ihm das Herz aus der Brust, das geschlagen hat bei allen Taten und Untaten, dass es nicht Zeugnis ablege gegen seinen eigenen Herrn und Thot nicht schreibe in das Buch des Gerichts, was ihn verdammt. Legt einen Skarabäus, einen heiligen Steinskarabäus, an die Stelle seines Herzens in seine Brust!

Denn niemand weiß sicher, wie es zugeht in dem Lande, in das die Könige ebenso eingehn müssen wie die Bettler. Keiner ist jemals wiedergekommen, der es hätte berichten können!

Viel wissen die Priester. Sie lesen in heiligen Schriften, was andere Priester vor ihnen schon vor Tausenden von Jahren gewusst haben. Und die schon haben gewusst, dass Osiris, der mächtige Gott Osiris, Herr ist, dort, wo die Sonne ihren Nachtweg fährt und die Geister der Toten das Land bevölkern, und dass er dem Unschuldigen hilft gegen die furchtbaren Zweiundvierzig — gegen die Totenrichter, vor denen jeder sich rechtfertigen muss.

Habt ihr die Tonkrüge abgeliefert, die der Palastverwalter bestellt hat? Ich weiß, ihr habt unermüdlich gearbeitet, oft bis spät in die Nacht, und das Feuer in den Brennöfen ist nicht ein einziges Mal ausgegangen in all den siebzig Tagen, da die Leiche des toten Königs bei den Balsamierern im Salze lag. Mehr als tausend Krüge sind fertig geworden, sagst du? Dann werden die Diener Trinkwasser genug mit sich nehmen können, wenn sie ihren Herrn auf seiner letzten Reise begleiten — und das müssen sie auch, denn der Weg zur Ewigen Wohnung des Königs ist weit und heiß!

Nach Antwortern freilich hat uns niemand gefragt, obgleich wir ihrer an die hundert fertig daliegen haben. Aber braucht denn ein König Figuren aus schlechtem Ton, wenn er goldene haben kann? Dreihundertfünfundsechzig Antworter, sagt man, habe der Schatzmeister bei den Goldschmieden bestellt, damit an jedem Tag im Jahr einer bereit sei, für den König zu antworten: „Hier bin ich!“ Viele Diener hat der König zu seinen Lebzeiten — soll er drüben niemanden finden, der für ihn die Arbeit verrichtet, zu der er vielleicht aufgerufen wird?

Seneb hat die letzten Krüge mitgenommen, sagst du? Dann werden die Frauen zu schleppen haben. Ein Glück, dass die Buben mitgefahren sind! Sie werden helfen können. Seneb soll nur aufpassen, dass sie ihm nicht entwischen, wenn sie drüben sind. Sie werden sich an den Leichenzug heranmachen und in der Menge untertauchen. Sind ja noch halbe Kinder!

Nun, es wird Nacht werden, ehe sie wiederkommen, vielleicht auch Morgen. Das ist gut. Ich möchte jetzt Stille haben um mich herum. Nach den Brennöfen habe ich gesehen. Sie sind in Ordnung, und das Kleinvieh ist versorgt. Die Drehscheiben können heute feiern, und wir werden uns einen besinnlichen Tag machen. Ich habe mir das schon lange gewünscht.

Nein, Reni, das soll kein Vorwurf für dich sein. Ich weiß ja, was du leisten musst tagaus tagein und dass du für deine Mutter wenig Zeit hast. Wenn Seneb mit den Waren unterwegs ist, liegt die ganze Verantwortung auf deinen Schultern, du musst in der Werkstatt den Buben auf die Finger sehn und ihnen die Ohren lang ziehn, wenn sie etwas versäumen oder verderben, und wenn Feierabend ist, will deine Frau dich für sich haben. Das ist der natürliche Lauf der Welt.

Ich bin ja auch nicht mehr zu Vielem nütze. Nicht widersprich, denn ich weiß es. Ich kann nicht mehr mit den Flößen stromab fahren und die Krüge und Teller auf den Märkten feilhalten, und auch die Drehscheibe zu treten fällt mir schwer. Das Einzige, wozu ich noch zu gebrauchen bin, ist, dass ich die Antworter mit den heiligen Zeichen versehe: „O du Antworter, wenn ich aufgerufen werde, und wenn ich abgezählt werde, um allerhand Arbeiten zu verrichten in der Unterwelt, und wenn ich eingeteilt werde zu irgendeiner Zeit, um die Felder gedeihen zu machen, um die Ufer zu bewässern, um den Sand des Ostens nach Westen zu fahren, so sage du dann: Hier bin ich!“ Du meinst, dass du sie besser verkaufen kannst, wenn sie so beschriftet sind, und das freut mich. Ich komme mir dann nicht so ganz überflüssig vor.

Lass gut sein, Reni, ich weiß, wie du es meinst! Aber sieh, meine Mutter ist gestorben, als wir ihr nicht mehr erlaubten, den Mahlstein zu schieben, und auch wir hatten es gut mit ihr gemeint, denn wir wollten ihr doch nur die Last von den Schultern nehmen, die sie ein ganzes Leben lang getragen hatte.

Sie aber saß nur noch eine kurze Weile im Schatten der Sykomore in unserm Garten — nur solange ihr zu ihren Füßen krabbeltet, du und Seneb und eure Schwester. Denn da wusste sie, dass sie gebraucht wurde, weil kein anderer Zeit hatte, sich um euch Kinder zu kümmern. Aber sobald ihr davonliefet und sie eure Streiche nicht mehr verhindern konnte, ging sie uns ein, still und ohne Aufhebens, wie eine Blume, die ohne Wasser ist.

Solange meine Augen noch etwas taugen, werde ich Tonfiguren beschriften, wie sie die Menschen mit ins Grab nehmen, und Eingeweidekrüge, damit man sie euch besser bezahlt.

Wer es nach mir tun wird, weiß ich nicht. Wenn du deinen Sohn in die Schule geben willst, damit er die heiligen Zeichen lerne, wird er ein Schreiber werden wollen und kein Töpfer bleiben. Du kannst vielleicht ein Mädchen dafür abrichten lassen, denn Mädchen werden sowieso in keine Ämter eingesetzt — dann aber musst du dafür sorgen, dass deine Frau auch eine Tochter bekommt. Aber darüber will ich mir jetzt keine Gedanken machen.

Sag, hast du einen Krug Wein im Hause? Soviel ich weiß, hat Seneb welchen mitgebracht, als er im Unterland war. Stelle zwei Becher auf den Tisch und bring auch von dem Fladen, den deine Frau gebacken hat. Das meiste haben sie zwar mitgenommen, aber ein Eckchen haben sie mir übrig gelassen, das teile ich mit dir. Denn es wird spät werden. Die Nacht ist lang, und ich will dem verklärten König eine Totenfeier halten auf meine Art.

Es ist mir recht, dass ich mit dir allein bin. Ich habe dir vieles zu sagen, was nur für deine Ohren bestimmt ist und nicht für die der andern. Vielleicht gibst du es einst weiter an deinen Sohn, ehe du stirbst — vielleicht auch nimmst du es mit dir ins Grab. Das überlasse ich deiner Einsicht.

Es fällt mir schwer, damit zu beginnen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Du musst Geduld mit mir haben, wenn ich zu weit aushole, oder wenn ich mich in Nebensächlichem verliere. Ich bin eine alte Frau.

Vielleicht ist es am besten, ich beginne ganz von vorn. Sowieso schweifen die Gedanken, je älter man wird, um so mehr zurück zu dem Ursprung, als ob das Leben im Kreise ginge und sich Ursprung und Ende schließlich zusammenfänden.

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Das Land meiner Kindheit steht immer noch vor meinen Augen wie ein Bild. Ich sehe den Strand, an den die Wellen des Meeres schlagen: Das Meer hebt sich, und senkt sich wie die Wasser unseres großen Stromes — aber nicht wie bei ihm nur einmal im Jahr, sondern zweimal an jedem Tage. Die Flut kommt langsam aber stetig näher und näher, sie benetzt unsere nackten Füße, und wir springen ihr davon; denn die Mutter hat gesagt, dass die Meergeister ihre Arme nach uns ausstrecken und dass das Wasser uns verschlingt, wenn wir zu weit draußen bleiben. Aber über den Schildkrötenfelsen, der sich aus dem Sand erhebt, steigt es höchstens bei Sturm, und so sitzen wir dort an sonnigen Tagen und warten, bis die Flut müde geworden ist und die Wellen wieder zurücklaufen; dann klettern wir hinab und suchen, was sie zurückgelassen haben: Muscheln und Seesterne, große Krebse, die sich unter den Steinen verstecken, und manchmal auch einen armen Fisch, der auf dem Trocknen zappelt.

Aber die Mutter hat es nicht gern, wenn wir da draußen spielen. Denn die bösen Geister im endlosen Wasser haben ihr den Mann geholt, und sie will nicht, dass ihre Söhne sich ein Boot bauen und zum Fischen ausfahren wie er. Lieber sollen sie die Rinder hüten beim alten Parahu, dem die größten Herden des Landes gehören und der auch über die Fischer Herr ist.

Was aber ich treibe — ich, die Kleine, die noch zu keiner Arbeit taugt, jedem im Wege steht und entweder gar nicht beachtet oder einfach zur Seite geschoben wird — danach fragt nicht einmal die Mutter. Sie hat auch gar keine Zeit dazu. Sie muss ja den ganzen Tag den Mahlstein schieben, damit der Spelt geschroten wird für Brote und Fladen; denn lediglich von Milch und Fleisch, von Bohnen und Zwiebeln wollen die Leute des Parahu nicht leben. Und seine Frau, die dicke Eti, steht dabei, wenn ihre Mägde den Teig kneten und ihn auf den erhitzten Steinen backen. Dann treibe ich mich gern dort herum, denn der Duft, der von dem dampfenden Gebäck aufsteigt, lässt mich alle Spiele vergessen. Manchmal, wenn Eti nicht darauf achtet, gelingt es mir, ein ganz kleines Eckchen des halb gebackenen Teiges abzubrechen und in den Mund zu stecken. Dann aber schnell hinweg, denn wehe, wenn sie es merkt! Sie kann sehr böse werden, und wenn sie zuschlägt, achtet sie nicht darauf, wohin es trifft.

Eigentlich bin ich immer hungrig. Denn regelmäßige Mahlzeiten gibt es kaum für mich. Meine beiden Brüder sind groß. Sie können auf Bäume klettern und sich Datteln holen oder Nüsse der Dum-Palme, aber viel bekomme ich davon nicht zu sehen. Die Mutter steckt mir ab und zu eine Handvoll geschrotenes Korn in den Mund. Und wenn mir einmal die eine oder die andere der Mägde einen Napf mit Milch anbietet, denke ich, dass ein großer Feiertag ist. Kleider habe ich keine an. Wenn am Tage die Sonne gar zu heiß brennt, gehe ich in den Schatten der Weihrauchbäume, die um die Hütte stehen, und wenn die großen Gewitterwolken, die der Meereswind über unser Land fegt, ihre Regenlast abladen, verstecke ich mich vor den grellen Blitzen und dem krachenden Donner und vor der Wasserflut, die vom Himmel niederprasselt, in unserer Hütte.

Die Hütte ist das Einzige, was uns nach des Vaters Tode blieb. Sie ist kreisrund, und spitz gewölbt, und nur so groß, dass, wenn wir zu viert lang ausgestreckt darin liegen, gerade noch Platz ist für ein steinernes Gefäß, das in der Ecke steht und in dem die Mutter etwas Schrot aufbewahrt. Die Felle, die am Boden liegen, sind abgeschabt und alt. Aber ich fühle es nicht, wie hart mein Lager ist, denn ich habe niemals auf einem weicheren geschlafen.

Dass wir arm sind, weiß ich nicht — denn ich weiß nicht, was es heißt, reich zu sein. Alle Leute wohnen in solchen Hütten wie wir, die sie hoch über dem Boden auf einem Pfahlgerüst erbaut haben und in die man des Abends über eine Leiter hineinklettert. Wenn man die Matte vor die Türöffnung hängt, ist es ganz dunkel darin, denn Fenster gibt es keine in der mit Lehm verschmierten Wand. Doch wer braucht Licht zum Schlafen?

Einmal ließ ich mich von Eti erwischen, als ich ein ganz kleines Stück Fladen stahl. Sie packte mich, und ich heulte vor Angst, dass sie mich schlagen würde. Aber sie sah mich nur mit strengen Blicken von oben bis unten an, und doch kam sie mir plötzlich so komisch vor — da ihr Doppelkinn am Halse zitterte und ihre Augen so sonderbar stierten — dass meine Tränen versiegten und ich Mühe hatte, nicht in ein Lachen auszubrechen. Ich sah es ja nicht zum ersten Mal, aber es kam mir wohl damals erst zu Bewusstsein, dass ihre Arme und Beine dicker waren als mein ganzer Leib und dass sie beim Atmen prustete wie eine Kuh. „Du hast hier genug herumgelungert!“ schrie sie mich an. „Du bist jetzt so groß, dass du meine Gänse hüten kannst!“ Und sie ließ mich aus der Umklammerung ihrer fleischigen Hände.

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Und mit dem Gänsehüten steigt ein anderes Bild vor mir auf, das mir Zeit meines Lebens so deutlich wie kaum ein zweites in der Erinnerung haften geblieben ist.

Jeden Morgen, wenn der Tau noch auf den Gräsern liegt, treibe ich die Gänse vom sandigen, kargen Strand einen Weg hinan, der auf eine breite Terrasse führt. Meine Tiere kennen den Weg und laufen mit ausgebreiteten Flügeln so schnell voran, dass ich kaum folgen kann. Wir müssen über eine kleine Erhebung gehen, die sich der Ebenheit, die dahinter liegt, vorgeschoben hat. Sie hindert die Sicht und verbirgt das weite Meer vor meinem Blick, aber sie wehrt auch den Winden, die das Land ausdörren, wenn sie keinen Regen bringen, und hier finden wir saftiges Gras und eine Quelle, die ein klares, erfrischendes Wasser hat und selbst im heißesten Sommer nicht versiegt.

Das Gras ist schon von den Rinderherden abgeweidet und sehr kurz. Aber die Gänse finden immer noch etwas zu rupfen, und wenn ich auch fröstele in der Morgenkühle und mich ins taunasse Gras nicht legen mag, so schlürft doch die durstige Sonne schnell genug die Wasserperlen von den Halmen, und dann werfe ich mich nieder und drücke meinen Kopf auf die Erde wie auf ein weiches und warmes Kissen.

Welch ein Duft dort dem Grase entströmt! Man kann ihn mit nichts hier vergleichen! Kein Räucherwerk, das die Priester entzünden, und sei es aus den edelsten Harzen und den teuersten Spezereien aufs Sorgfältigste bereitet, kommt ihm gleich. Nicht schwer und betäubend legt er sich auf die Sinne, sondern erfrischend und belebend macht er das Atmen zur reinsten Lust. Wenn ich je in meinem Leben Heimweh gehabt habe, so war es nach diesem Fleck Erde neben der Quelle, wo ich meine Gänse hütete. Ich war zwar meistens allein, denn Eti litt es nicht, dass an dieser Stelle, die die beste Weide und das beste Wasser hatte weit und breit, auch andere ihr Geflügel grasen ließen. Aber was machte das mir aus? Ich fühlte mich niemals verlassen, denn das Völkchen, das ich zu hüten hatte, hing an mir, und wenn man aus seiner Sprache auch kein Wort in die meine übersetzen kann, so vermochten wir uns doch sehr wohl zu verständigen.

Es ist ein großer Irrtum, zu meinen, Gänse seien dumm. Jedes dieser Tiere kennt die Hand, die es pflegt. Sie laufen dir entgegen, wenn du ferne warst, folgen dir, wenn du sie rufst, und wenn du nach ihnen greifst, weichen sie dir nicht aus, sondern schmiegen sich an dich und reiben ihren Schnabel an deinen Beinen. Und wenn ein Krankheitsdämon in sie fährt, wie können sie dich dann bittend ansehn mit ihren seltsamen Augen, dass du alles daran setzt, ihnen Hilfe zu bringen, wenn auch meist leider vergeblich. Wie oft habe ich für ein müdes, kleines Gänschen, das noch in seinem gelben Flaumkleid ging, Steine in der Sonne gewärmt, Heu darauf gebreitet und es mit großen Blättern zugedeckt. Und niemals empfand ich innigere Freude, als wenn es sich wieder erholte, von seinem Lager sprang und dem Wasser zueilte.

Freilich ist gar manches unter meinen Händen auch verendet, und wenn dann seine achtlosen Geschwister mit plumpen Füßen darüber wegtraten, ohne auch nur zu ahnen, was das ist, sterben, und ich das kleine steife Körperchen mit scheuen Händen anfasste, um es in eine Grube zu legen und mit Erde und Steinen zuzudecken, dann zitterte ich, von einem inneren Beben geschüttelt, und konnte kaum erwarten, dass die Sonne sich senke und ich heimgehen dürfe.

Eti zählte die Gänse jeden Abend, aber sie schlug mich nicht, wenn ich ihr sagte, dass eines der halbflüggen Tiere verendet sei. Sie lobt? Mich freilich auch niemals, selbst wenn das Federvieh noch so lange

Zeit von Seuchen und Krankheit verschont blieb. Von andern aber erfuhr ich, dass sie geäußert habe, noch nie seien ihr so viele Gänse von einer Brut hochgekommen, wie jetzt, da ich sie hütete.

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Aber bald sollte ich noch einen anderen Gefährten bekommen, und das geschah so:

Nicht weit von meiner Quelle war quer durch die Ebenheit, die sich in einer Linie mit dem Strande hinzieht, ein Graben ausgewaschen, der in der Regenzeit Wasser führte. Und rechts und links dieses Grabens standen Bäume, während auf der Ebenheit selbst sonst nur Gras wuchs und nur die Quelle von niedrigem Buschwerk umstanden war.

Ich war mit meinen Gänsen nie bis zu jener Stelle gegangen, denn Eti hatte es mir streng verboten; ich weiß nicht, ob darum, weil an seinen steilen Hängen sowieso wenig Futter zu finden war, oder ob darum, weil sie meinte, dass böse Geister da ihr Unwesen trieben. Man hatte mir mancherlei erzählt, was sich dort zugetragen haben sollte — was aber ebenso meine Neugierde erregte, wie es meine Furcht erweckte.

Eines Tages nun rastete ich wieder neben der Quelle im Schatten des Buschwerks, unter das sich auch die Tiere duckten, denn die Sonne stand hoch am Himmel und die Luft zitterte in der Hitze. Da hörte ich plötzlich einen klagenden Ton. Er unterbrach die Stille, die um die Mittagsstunde auf dem Lande lastete, so eindringlich und unheimlich, dass ich aus meinem Halbschlaf aufschreckte und auf die Füße sprang. Er schien aus der Nähe des Grabens zu kommen. Ich wartete eine Weile, ob es wohl bald wieder still sein würde, aber ununterbrochen klagte es, winselte, heulte, jammerte, wie wenn ein Unglücklicher in höchster Not um Hilfe schreit.

Mir war sonderbar zumute. Es zog mich wie mit unsichtbarer Gewalt dem Klagelaut nach. Sehen, wer schreit! Helfen! Zugleich aber jagte es mich mit ebenso großer Kraft davon. Wie, wenn das Unheimliche, das jenen überfiel, auch mich träfe? Fort! Nur fort! Diesen Zwiespalt habe ich in meinem Leben noch manchmal empfunden, wenn etwas Dunkles, Unsichtbares, Unbekanntes auf mich zuzukommen schien, und fast jedes Mal hat der Hang, das Seltsame zu erleben, das Außergewöhnliche kennenzulernen, den Sieg davongetragen wie damals schon.

Ich lief also, so schnell mich meine Füße trugen, dem Graben zu, und meine gefiederten Freunde kamen laut schnatternd hinter mir her. Und mein Herz klopfte mir zum Zerspringen.

Vielleicht wäre ich doch nicht bis ans Ziel gelangt, sondern auf halbem Wege noch umgekehrt, wenn das Schreien nicht ebenso plötzlich wieder verstummt wäre, wie es aufgegellt war. So nahm ich denn all meinen Mut zusammen und kam, ich weiß selbst nicht wie, bis an den Rand des Grabens. Da sah ich einen großen Kefu-Affen unter einem der Bäume liegen.

Heruntergefallen? Fällt denn jemals ein Affe von einem Baum?

Ich ging vorsichtig an ihn heran. Er regte sich nicht. Ein Pfeil stak in seiner Schulter.

Die Affen tun viel Schaden in den Durrah-Feldern, und Parahu hatte seinen Leuten geboten, mit vergifteten Pfeilen nach ihnen zu schießen. So war wohl auch dieser ums Leben gekommen.

Da ich ihm nicht mehr helfen konnte, wollte ich mich schon umwenden und davongehen, als ich plötzlich merkte, wie sich etwas an ihm bewegte. Es war ein Junges, das sich im Fell der Äffin festgekrallt hatte und nun sein Köpfchen hob. Es hatte muntere Augen und schnupperte mit der Nase in der Luft. Dann drückte es sich wieder an die Brust der Mutter, und nicht lange darauf brach es in ein klägliches Wimmern aus.

Da fasste ich mir ein Herz und trat hinzu und packte das Tierchen im Nacken. Ich fürchtete, es werde sich in seiner toten Mutter Fell festkrallen und nicht loslassen wollen; aber leichter, als ich gedacht hatte, löste ich es von der versiegten Brust und hielt es auf dem Arm.

Ich brauchte nicht zu fürchten, dass es mir davonliefe. Denn kaum hatte ich es an mich genommen, als es sich auch schon fest an meinen Hals klammerte, dass es mir fast weh tat. So brachte ich den kleinen Affen nach Hause.

Meine Mutter wollte ihn mir wegnehmen, weil sie keine Lust hatte, ihr kärgliches Essen mit noch einem Wesen zu teilen. Aber ich weinte so erbärmlich, dass sie mir schließlich erlaubte, ihn zu behalten. Freilich hoffte sie wohl insgeheim, dass er bald eingehen werde, denn er war noch ganz jung, und selbst ein Menschenkind ist schwer großzuziehen ohne die Mutter. Aber ich kaute Durrah-Körner und Datteln für ihn und fütterte ihn damit, und er wuchs und wurde ein schöner männlicher Affe, der mit großer Zutraulichkeit an mir hing.

Ich brachte ihm auch einige Kunststücke bei. Bald konnte er sich auf die Hinterbeine stellen, und er ging so putzig darauf herum wie ein Seiltänzer auf seinem Seile. Auch klopfte er die Nüsse der Dum-Palme mit Steinen auf, sprang über meinen ausgestreckten Arm und holte jedes weggeworfene Stück Holz, nach dem ich ihn schickte, zurück. Er wurde der Liebling aller, und selbst Eti sah durch die Finger, wenn er nach Affenart dumme Streiche machte. Nur ich wurde einmal auf ihn wütend und prügelte ihn tüchtig durch, weil er mir ein kleines Gänschen erwürgt hatte. Er lief, kaum dass ich ihn wieder losgelassen hatte, davon, und ich dachte schon, er werde nicht wiederkommen, und wollte meine Strenge fast bereuen — aber nach einiger Zeit hüpfte er heran und warf mir, die ich im Grase saß, einige Datteln in den Schoß, sah mich dann aus vorsichtiger Entfernung schräg an und entsprang abermals. Als er mir aber wieder Datteln brachte, rief ich ihn heran und kraulte ihm zur Versöhnung die buschige Mähne, mit der sein Oberkörper nun schon bewachsen war.

Dieser Zwischenfall hatte zweierlei Gutes. Nie wieder tat der Affe einem Gänschen etwas zuleide; oft genug dagegen brachte er mir Datteln und Dum-Nüsse, und das kam mir gut zustatten; denn meine Kost war kärglich genug.

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Vermutlich wäre ich nach geraumer Zeit vom Gänsemädchen zur Ziegenhirtin aufgestiegen; aber es trat ein Ereignis ein, das mein Leben von Grund auf veränderte.

Als ich eines Abends mit meiner Gänseschar nach Hause kam und mein kleiner Kefu-Affe gemächlich hinter mir her zottelte, wie es um diese Tageszeit seine Gewohnheit war, während er des Morgens immer lustig voraushüpfte, hörte ich schon von Weitem ein lautes Stimmengewirr, und die letzten Strahlen der Sonne erhellten ein seltsames Bild. Am Strand vor unserem Dorfe lagen fünf Schiffe, jedes von ihnen größer, als wenn man acht unserer Hütten hintereinander aufgestellt hätte. Und Männer in seltsamer Tracht, wie ich sie noch niemals gesehen, waren dabei, ein Zelt aufzurichten, das ebenfalls viel größer war als unsere Behausungen.

Ich trieb schnell meine Gänse in ihren Verschlag und mischte mich unter die Leute, die um die Fremden herumstanden, die Mäuler aufsperrten und versuchten, sich durch Zeichen und Geschrei mit ihnen zu verständigen. Mitten unter ihnen sah ich auch Parahu stehen, und Eti hinter ihm. Und einer der Fremden, der unsere Sprache zu kennen schien, redete auf die beiden ein. Aber auch er musste, wenn Parahu ihn verständnislos ansah, oft genug die Hände zu Hilfe nehmen.

Für mein Leben gern hätte ich zugehört, was dort verhandelt wurde, aber man schob mich weg. Immer mehr Männer und Frauen, die von den Feldern und von der Weide nach Hause kamen, drängten sich heran. Denn es war ja kurz nach der großen Regenzeit. Das Gras stand in vollem Saft, und das Vieh fand ausreichend Futter in unmittelbarer Nähe des Dorfes. So wurde es nachts in einen Pferch gesperrt, und auch meine beiden Brüder konnten einige Wochen lang wieder in der Hütte der Mutter schlafen, bis das Gras auf der ersten Terrasse abgeweidet war und die Tiere weiter hinaufgetrieben werden mussten, wo dann die Hirten neben ihnen in Zelten hausten. Oft, wenn die Regen in manchem Jahr länger ausblieben, hatten die Hirten Streit mit benachbarten Stämmen um die letzten Weideplätze und um die noch nicht versiegten Brunnen. Und darum bangte die Mutter jedes Mal um die Rückkehr ihrer Söhne, bangte, dass die Geister der Berge grausam sein könnten wie die des Wassers. Aber jedes Mal waren sie wiedergekehrt, immer um noch ein Stück größer und kräftiger und — wilder. Denn das Leben der Hirten war hart.

An diesem Abend begegnete ich ihnen, als ich von der Gruppe der Menschen, die sich um unseren Herrn und seine Gattin geschart hatten, weg und zum Strande ging. Auch dort war ein Menschengewimmel, denn die Fremden trugen von ihren Schiffen in schweren Lasten seltsame Dinge und breiteten sie am Strande aus. Ich sah meines jüngeren Bruders Augen leuchten, als er die Dolche und Beile bemerkte, die auf den Ufersand geschüttet wurden, und hörte ihn fragen: „Woher kommt ihr in dieses Land? Seid ihr vom Himmel gefallen? Seid ihr zu Wasser oder zu Lande gefahren?“ Aber der Mann, den er ansprach, verstand ihn nicht. Er lachte nur fröhlich und lud seine Last ab. Da griff mein Bruder zu und half ihm.

Ich hätte niemals gedacht, dass solche Halsketten, wie sie dort schimmernd auf einem der großen Tische lagen, die Fremden aufgestellt hatten, auch einst um meinen Hals gehängt werden würden. Wohl trug auch ich Ketten, doch nur aus roten Beeren und Blumen, und wie schnell waren die verwelkt! Nur auf Etis fleischiger Brust hatte ich an festlichen Tagen goldenen Schmuck gesehen. Auch heute trug sie ihn: kreisrunde Platten, wie eine Kinderhand groß, von drei dicken, plumpen Ketten gehalten — unförmig und massig, wie sie selbst es war.

Bis zu diesem Tage war mir ihr Schmuck als der Inbegriff alles Prächtigen erschienen. Nun aber, da ich die Schätze der Fremden funkeln sah — ihre schillernden, bunten Halsketten, ihre Armreifen, die wie goldene Schlangen gewunden waren, ihre Ringe, an denen Käfer aus grünen und roten Steinen hingen — erkannte ich, dass es Dinge gab, von denen ich noch nicht die geringste Vorstellung gehabt hatte, und neben denen doch alles, was ich bisher kennengelernt hatte, kläglich und armselig wurde.

Als Letztes brachte man von einem der Schiffe eine Last, die schwerer war als alle andern. Sie lag starr und steif auf den Schultern vieler Männer, die unter ihr fast zusammenbrachen, und als sie sie endlich zur Erde ließen und neben den Tischen am Strande aufstellten, sah ich, dass es ein Menschenpaar war: eine Frau, die überaus schlanke und zarte Glieder und ein wunderbares Gesicht hatte, und ein Mann, der auf dem Kopf eine seltsam geformte hohe Doppelkrone trug. Ich dachte nun, die beiden Gestalten würden sich bewegen und würden sprechen, aber sie blieben reglos und stumm. Auch hatten sie keine bräunliche Hautfarbe, sondern zeigten ein tiefdunkles, fast schwarzes Grau. Ein Schauder durchfuhr mich, als sie so unbeweglich auf mich herabsahen mit Augen, die tot waren und doch lebendig. Ich wollte mich abwenden und fortlaufen, konnte aber nicht, denn es war eine große Menschenmenge herzugekommen, und man drängte mich so nahe an die beiden heran, dass meine nackte Haut sie berührte. Tief erschrocken zuckte ich zusammen: Stein war es, glatter, kalter Stein, mit dem meine warme Haut in Berührung gekommen war! Gab es denn Menschen aus Stein? Oder waren das Götter?

Dann kam Parahu mit seiner Gattin. Sie traten an die Tische, und Etis grobe Hände wühlten in den Ringen und Armreifen, aber keines der Schmuckstücke passte ihr, worüber sie sehr verstimmt schien. Um so vergnügter rieb sich Parahu den spitzen Bart. Mit solchen Streitäxten und Dolchen bewaffnet, das sah er wohl, würden seine Knechte jeden strittigen Weideplatz behaupten. Er winkte seinen Leuten und ließ sie heranschleppen, was die Fremden zum Tausch begehrten: Weihrauchharz und Elefantenzähne, Pantherfeile und schwarzes Ebenholz, Augenschminke und selbst das ‚weißliche Goldʼ, das er aus dem Lande Amu hatte holen lassen.

Und nun begann ein großes Feilschen. Parahu und Eti waren unersättlich. Alles, was ihre Augen sahen, wollten sie haben. Aber die fremden Kaufleute waren zäh. Sie stellten ihre Waagen auf, wogen das Harz und das Elfenbein und setzten einen Preis fest für jeden Dolch und jedes Schmuckstück. Immer neue Schätze brachten sie aus ihren Schiffen ans Land, und die Waren, die Parahu ihnen dafür zu bieten hatte, reichten nicht aus.

So kamen auch andere Leute dazu, sich etwas einzutauschen. Mancher der Männer hatte einen Panther erschlagen oder einen Elefanten erlegt, die Frauen hatten das Harz der Weihrauchbäume in Körbe gesammelt, und sie alle wollten nun von den seltenen Herrlichkeiten der Fremden auch etwas erwerben. Und als die Sonne untergegangen war, zündeten die Fremden hell leuchtende Fackeln an, und man handelte und feilschte bis spät in die Nacht.

Unterdessen waren in dem großen Zelt, das sie errichtet hatten, Tische gedeckt und allerlei Speisen aufgetragen worden, die sie auf ihren Schiffen zubereitet hatten, und in großen irdenen Krügen wurde Wein herbeigeschleppt. Von uns war freilich keiner unter den Gästen dieses Gelages, sondern nur Parahu mit seinen nächsten Verwandten, und Eti, die bis vor den Eingang des Zeltes auf ihrem Esel ritt, denn ob es auch nur wenige hundert Schritte von den Warentischen entfernt stand, trugen doch ihre Beine kaum noch die Fülle ihres Leibes.

Die Fremden blieben viele Wochen bei uns, denn sie wünschten nicht nur Weihrauchharz mitzunehmen, sondern auch lebende Weihrauchbäume. Diese mussten also erst ausgegraben und samt Wurzelballen und Erde in große Kübel gepflanzt werden, die sie vorsorglich mitgebracht hatten.

Als aber alle diese Arbeiten beendet waren und auch der Wind für ihre Heimreise günstig wehte, veranstaltete Parahu für sie noch ein Abschiedsfest. Da ging es hoch her mit Essen und Trinken, denn es war viel geschlachtet und gebraut worden die Tage vorher. Und so saßen sie an ihren Tischen und becherten und lärmten, und es geschah, dass einer der Fremden im Übermut einen abgenagten Knochen weit aus dem Zelt hinauswarf. Die herumlungernden Hunde wollten sich schon auf ihn stürzen, aber mein Affe war schneller. Abgerichtet, hingeworfene Gegenstände wiederzubringen, sprang er geschwind hinzu, fasste den Knochen und überreichte ihn dem erstaunten Fremden mit einer possierlichen Verneigung, wie ich sie ihn gelehrt hatte.

Da erhob sich drinnen ein großes Gelächter und ein lauter Wortwechsel, denn die Fremden wollten meinen Affen unbedingt haben, und Parahu, als er sah, wie begehrlich sie nach dem schönen Tier waren, verlangte einen hohen Preis dafür. Ich hatte mich nahe an den Eingang gedrängt, und wenn ich auch die Worte der Fremden nicht verstehen konnte, verstand ich doch um so besser Parahus schneidende Stimme, mit der er den Affen pries und Bedingungen stellte.

Wie es mir gelang, mich durch die dicht gedrängte Schar der Gaffer hindurch und in das Zelt zu schieben, weiß ich selbst nicht. Aber ich war klein und schmächtig und fand wohl einen Durchschlupf zwischen ihren Beinen, und als ich endlich drinnen stand, rief ich so laut ich konnte: „Der Affe ist mein! Ich gebe ihn nicht!“

Keiner der Männer bemerkte mich, und meine dünne Stimme kam gegen ihre lauten nicht auf, aber das Tier hatte mich gewittert; es sprang auf mich zu und schmiegte sich an mich. Das muss ein drolliger Anblick gewesen sein, denn alle sahen auf uns und lachten, und Parahu rief trunken: „Ich gebe das Mädchen dazu, das den Affen abgerichtet hat!“

Nun brach erst recht ein Tumult aus. Man hob mich hoch, stellte mich auf einen der Tische, und ich fühlte aller Augen auf mich gerichtet und schämte mich unbeschreiblich. Ich wusste gar nicht, wie ich den Mut aufgebracht hatte, hier einzudringen, verbarg mein Gesicht im dichten Fell meines Tieres und weinte.

Wie lange mich die Männer befühlten und begafften, weiß ich nicht, jedenfalls schien es mir ewig zu dauern. Aber plötzlich vernahm ich vom Zelteingang her eine Frauenstimme, die das laute Gejohle der Männer so durchdringend übergellte, dass es wie von einem Schwert abgeschnitten verstummte. Und als ich den Kopf hob, sah ich meine Mutter.