Emil Sommer

Sagen, Märchen und Gebräuche

aus

Sachsen und Thüringen

1845

mit Sagen aus Halle

Impressum

Umschlaggestaltung: Harald Rockstuhl, Bad Langensalza

Titelbild: Postkarte Halle an der Saale –

Blick auf die Burg Giebichenstein und die Cröllwitzer Brücke, um 1906

Sammlung: Harald Rockstuhl

Autor: Emil Friedrich Julius Sommer (1819  1846)

Bisherige Auflagen:

Reprint der Auflage von 1846. Verlag Eduard Anton, Halle.

1. Reprintauflage im Verlag Rockstuhl 2009 sowie 2. im Jahr 2011

3. Reprintauflage 2015

ISBN 978 - 3-86777 - 060-6

Repro und Satz: Harald Rockstuhl, Bad Langensalza/​Thüringen

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaber: Harald Rockstuhl

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Sagen

1. Otto der Rothe im Kiffhäuser und zu Quedlinburg

2. Kaiser Friedrich, die Königin Holle und Napoleon

3. Der wilde Jäger

4. Hast du geholfen jagen, Mußt du auch helfen nagen

5. Die Futterstelle des wilden Jägers

6. Frau Holle

7. Der Steinberg

8. Frau Harre und Frau Motte

9. Die Taube in den Zwölften

10. Die Amtmannsfrau zu Helbra

11. Altes Mütterchen erlöst

12. Die grüne Jungfer auf dem Hausberge

13. Die Jungfernklippe

14. Die Jungfer auf dem Schloßberge bei Ohrdruf

15. Die erlöste Jungfrau

16. Prinzessinnen in Thiere verwünscht

17. Weiße Frauen

18. Gott helf

19. Die Wichtel

20. Gütchenteich

21. Kornengel

22. Der Kobold in Stedten

23. Der Kobold in Bischdorf

24. Der Kobold in Schmalzeroda und Bischofsroda

25. Der Bauer und der Kobold

26. Der Kobold auf der Hochzeit

27. Der Kobold in Kloster Mansfeld

28. Der Kobold in Jena

29. Kobolde käuflich

30. Die Hummel

31. Der Käfer

32. Mönch

33. Das Jesuskind im alten Hospital zu Halle

34. Nix

35. Die Nixe von Trotha

36. Der Nix holt die Wehmutter

37. Der Nix bringt ein geraubtes Kind wieder

38. Die beleidigte Nixe

39. Nixe kämpfen mit einander

40. Die Mahrte

41. Der Hörselberg

42. Gespenst in den Sumpf gebannt

43. Bischof Odo von Magdeburg

44. Das Crucifix

45. Die Teufelsspitze im salzigen See

46. Teufelssteine

47. Engel und Teufel bei der Pest

48. Warum sich in Sachsen der Teufel nicht sehen läßt

49. Der Schneider auf dem Brocken

50. Die Hexe

51. Der Gundermannskranz

52. Die gebannte Hexe

53. Das Fleisch ist gedillt

54. Der dreibeinige Hase eine Hexe

55. Die Katze

56. Goldene Gänse und Enten

57. Die Mühle bei Aschersleben

58. Die Pfanne bei Rothenschirmbach

59. Tippelsdorf

60. Der Gutsherr von Schochwitz

61. Entdeckung der Salzquelle zu Halle

62. Die Erbauung von Halle und die Rechte der Halloren

63. Die acht bösen Männer

64. Schellenmoriz

65. Das Kloster zur güldenen Egge

66. Die reiche Glocke

67. Wartburg

68. Die Kinder von Erfurt

69. Mansfeld

70. Sankt Georg

Märchen

1. Der Berggeister Geschenke

2. Der eiserne Mann

3. Die Nixe im mansfelder See

4. Der dumme Wirrschopf

5. Die Königstochter und der Soldat

6. Die verwünschten Prinzessinnen

7. Die beiden Brüder

8. Vom jungen Grafen, der sein Glück suchen ging

9. Ein anderes Märchen von einem Grafensohn

10. Der Schatz

11. Die beiden Raben

Gebräuche

Lichtmesse

Fastnacht

Aschermittwoch

Ostern

Walpurgis

Himmelfahrt

Pfingsten

Johannis

Die Zeit zwischen Johannis und der Ernte

Ernte

Martini

Andreasnacht

Die zwölf Nächte

Klappentext

Fußnoten

Vorwort

Der Autor Emil Friedrich Julius Sommer lebte von 1819 bis 1846. Nur 27 Jahre ist der Autor dieser Sagen und Märchensammlung geworden.

Was war er für ein Mensch? Wie kam er zu dieser Sammlung. Fündig wurde ich bei H. Pröhle, der 1892 in der „Allgemeine deutsche Biographie“ Nummer 34, Seite 599 bis 601 über Emil Friedrich Julius Sommer schrieb. So erfährt der Leser, das der Autor am 5. Mai 1819 im schlesischen Oppeln als Sohn eines Kreissteuerklassen-Kontrolleurs geboren wurde. Seinen Vater lernte er nicht kennen, da er kurz nach seiner Geburt starb. Der Mutter allein oblag die Erziehung. Sie schickte ihn 1832 auf das Elisabethanum nach Breslau. Sechs Jahre später Studierte er ebenfalls in Breslau Sprach- und Literaturwissenschaften. 1840 setzte er sein Studium in Berlin und Halle fort, wo er 1842 zum Doktor der Philosophie mit der Arbeit De carmine Germaniae saeculi XIII – diu guote frouwe inscripto promoviert. 1844 folgte die Habilitation mit der Arbeit De Theophili cum diabolo foedere. Im gleichen Jahr wirkte er als Privatdozentur in Halle.

Sein Leben damals war auch von finanziellen Problemen geprägt.

Bekannt ist, das er Wanderungen zum Kyffhäuser unternahm und in sogenannten Feldstudien Sagen und volkstümliche Überlieferungen sammelte, die 1845 in dem hier vorliegenden Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen veröffentlichte. Er widmete das Buch Wilhelm Grimm. In einem Brief „An Herrn Professor Wilhelm Grimm am 24. Februar 1846“ lesen wir:

„Sie stehen heut von Freunden umringt, die zu dem Tage, an dem Sie Ihr sechzigstes Jahr vollenden, ihre Wünsche für eine noch lange heitere Zukunft bringen. Und Sie drücken Manchem freundlich die Hand: doch Einer, dem, wenn er heut vor Ihnen stünde, gewiß die Worte vom Herzen kämen, ist zu fern um sich in den Kreis zu mischen. Damit Sie ihn aber auch heut nicht ganz vergessen, sendet er Ihnen Frau Holda mit ihrem elbischen Heer, den wilden Jäger, deutsche Kaiser und Burgfräulein als Boten seine Grüße zu bestellen, für alte Liebe zu danken und um neue zu bitten.

Zwar sind diese Blätter als ein Geschenk für den heutigen Tag sehr gering: doch da gütige Empfänger bei dem, was man ihnen bringt, nicht fragen wie viel es in der Welt gilt, sondern mit welchem Sinne es geboten wird, so darf ich hoffen, daß Sie auch die geringe Gabe liebreich aufnehmen und mehr darin lesen als auf den Seiten steht, weil Sie meine Liebe und Verehrung mit herauslesen. Auch freut man sich ja bisweilen über das Unbedeutendste, wenn man sieht, daß es dem Geber selbst eine Freude macht: und eine Freude habe ich an diesen Sagen; denn wenn ich jetzt die Blätter umschlage, wandre ich im Geiste immer noch einmal über die Berge und Wiesen, die Saale hinauf und hinab, wie im vergangenen Sommer, als ich den größern Theil der Sagen mir auf den Landstraßen und in Dorfschenken erzählen ließ. Und das gerade ist ja ein Reiz der Wissenschaft, die Sie mit begründet haben, daß sie nicht bloß aus Büchern Bücher macht, sondern von der Weisheit, die auf den Gassen schlendert, noch so viel lernen kann und aus manches Schäfers Munde werthvolle Scholien für Werke des Alterthums empfängt, deren Inhalt noch in vorgeschichtliche Zeit hinaufreicht.

Sie werden es nicht tadeln, daß ich einige Sagen und Märchen aufgenommen habe, die schon aus andern Gegenden mitgetheilt sind. Bei den Sagen ist doch wenigstens zu lernen, daß sie auch hier vorkommen: die bereits bekannten Märchen aber enthalten, wie ich sie gebe, einige neue Züge, und sie gewähren, wenn man sie mit den andern Fassungen vergleicht, wiederum einen Blick in die sinnige Weise, in welcher das Volk, an der altererbten Poesie mit unvergänglicher Lust fortdichtend, die alten Züge immer wieder zu neuen Gestalten verbindet.“ Er unterzeichnete diesen Brief mit „Halle. E. Sommer“.

Im Gegenzug übernahmen 1850 die Gebrüder Grimm in ihrer Sammlung das Märchen Nr. 1: „Der Berggeister Geschenke“ von Emil Sommer als Nr. 182 mit dem Titel: „Die Geschenke des kleinen Volkes.“ Das alles erlebte Emil Sommer nicht mehr. Am 22. Juli 1846 stirbt er an den Folgen einer schweren Krankheit. Diese soll er sich bei seiner Wanderung für dieses Buch 1845 zugezogen haben.

In seinen Anmerkungen geht Emil Sommer im Jahr 1845 auf seine Beweggründe und seine Wanderung ein: „Das Wort Sage ist in Sachsen und Thüringen, wie wohl in ganz Deutschland, nicht volksthümlich: man braucht dafür Gespräch und Märchen. In Gespräch also hat sprechen dieselbe prägnante Bedeutung empfangen, welche sagen in Sage zeigt. Märchen aber heißen sowohl unsere Sagen als die Märchen im engern Sinne. Die Gebräuche werden, wenn Aufzüge damit verbunden sind, Spiele genannt. – Die Sagen und Märchen, welche ich nach mündlicher Überlieferung gebe, habe ich alle selbst gesammelt mit Ausnahme einiger aus Wettin aufgenommenen, die mir durch gütige Vermittlung eines Freundes schriftlich zugekommen sind. Die Gebräuche sind alle nach mündlichen Mittheilungen beschrieben. Ich war auf den Wanderungen, welche dieses erste Heft mir eingetragen haben, von besonderem Glücke begünstigt; und wenn ich von der geringen Zeit, in der ich das hier Gegebene gewonnen habe, auf den Reichthum des noch Vorhandenen schließen darf, so liegen in Sachsen, wo bisher fast gar nicht, und in Thüringen, wo nur sehr unvollkommen gesammelt ist, noch große Schätze, welche bloß auf die glückliche Hand eines Suchenden warten, um der deutschen Mythologie noch vielfache Bestätigungen und neue Aufschlüsse zu gewähren. Dieses Heft würde darum einen weit höhern Werth bekommen als es hat, wenn es vielleicht hier und da Jemand, der im Volke selbst lebt und sich das Vertrauen desselben nicht erst, wie ein Durchreisender, in Eile künstlich zu erwerben braucht, zu weitern Nachforschungen in seinem Kreise anzuregen vermöchte. Je mehr bei der steigenden Bildung des Volkes die Reste seines frühsten Glaubens zurücktreten, um so größere Pflicht wird es für Jeden, welcher den wissenschaftlichen und poetischen Werth derselben erkennt, auch seinerseits beizutragen, daß noch so viel als möglich von ihnen gerettet werde.

Wie ich von dem mir überlieferten Inhalt der Sagen nirgend abgewichen bin, habe ich auch die Form, in der sie mir mitgetheilt wurden, so weit es anging, beibehalten und die kleine Ungleichheit, welche dadurch entstand, nicht gescheut. Eine große Verschiedenheit der Darstellung ist, wenn man dem Volke irgend treu nacherzählt, nicht möglich, da Jedem, der aus dem Munde des Volkes Sagen gesammelt hat, die bewundernswerthe Übereinstimmung des Tones bekannt ist, mit welchem das Volk nicht bloß in einer und derselben Gegend, sondern in den verschiedensten Theilen Deutschlands seine Sagen erzählt. An diesem gleichmäßigen Grundtone hat man in den meisten Fällen daher auch einen sichern Maßstab, um die Zusätze, mit denen Halbgebildete die Sagen glauben ausschmücken zu müssen, von echter Überlieferung zu unterscheiden. Der gesunde, von falscher Bildung noch unberührte Theil des Volkes erlaubt sich Zusätze dieser Art nie: er ist von der Poesie jener Reste seiner Vorzeit noch zu lebendig durchdrungen und hat sich eine zu tief wurzelnde, wenn auch längst verdunkelte Erinnerung an die ursprüngliche Bedeutung derselben bewahrt um sie durch willkürliche Änderungen zu entstellen.“

Soweit Emil Sommer im Jahre 1845.

Ich habe den jeweiligen Sagen, Märchen und Gebräuchen die Vermerke (vormals am Schluß des Buches) gleich zugeordnet. Das ist die einzige Veränderung die vorgenommen wurde.

Gehen wir mit Emil Sommer auf eine sagenhafte Wanderung.

Bad Langensalza 2015 Harald Rockstuhl

Barbarossa – gezeichnet um 1890. Postkarte, Sammlung Harald Rockstuhl.

Sagen

1. Otto der Rothe im Kiffhäuser und zu Quedlinburg

Mündlich aus Helfta bei Eisleben und aus Halle

Kaiser Otto mit dem rothen Barte gerieth mit den Geistlichen in Streit, und da machten ihm die Reichsgeschäfte bald keine Sorgen mehr. Man sagte dem Volke, er sei plötzlich gestorben, und veranstaltete ein feierliches Begräbniß; doch der Kaiser lag nicht im Sarge, sondern schmachtete in einem Gefängniß. Und als er nach vielen Jahren starb, fand sein Geist keine Ruhe im Grabe, sondern irrte lange umher, bis er sich den Kiffhäuser zur Wohnstatt erkor.

Nun zogen einst Musikanten durch das Thal am Kiffhäuser und spielten vor allen Häusern; doch nirgends empfingen sie eine Gabe, so daß sie sich den ganzen Tag vergebens gemüht hatten. Da sprachen sie am Abend „Wir wollen dem Kaiser Otto ein Ständchen bringen: vielleicht schenkt er uns Etwas.“ Und sie spielten vor dem Berge das schönste ihrer Stücke auf; und als sie fertig waren, kam des Kaisers Kastellan und überreichte jedem einen grünen Zweig. Die Musikanten aber warfen die Zweige weg und lachten. „Wenn wir nicht mehr hätten verdienen wollen“ sprachen sie, „solch kaiserliche Gnade hätten wir auch sonst schon finden können.“ Nur einer steckte sich den Zweig an den Hut und sagte „So habe ich doch ein Andenken an den Kaiser Otto.“ Und als sie Abends spät in die Herberge kamen, war der Zweig auf dem Hute des Musikanten zu eitlem Golde geworden, und der arme Musikant war nun für sein Leben ein reicher Mann. Wie die andern das sahen, eilten sie zum Berge zurück und suchten im Mondscheine nach ihren Zweigen; doch die Zweige waren verschwunden. Am folgenden Morgen spielten sie wieder vor dem Kiffhäuser und spielten drei ganze Tage hindurch; doch der Kastellan des Kaisers brachte ihnen Nichts zum Dank.

Ein armer Schäfer hatte gehört wie der Musikant durch das Geschenk des Kaisers so reich geworden war, und er trieb nun immer auf den Kiffhäuser und dachte „Wenn ich nur den Weg wüßte, der in den Berg zum Kaiser Otto führt: da er ein so liebreicher, wohlthätiger Herr ist, so würde ich ihm meine Armuth klagen, und er würde sich gewiß meiner annehmen.“ Und wie er einst auch wieder so bei sich dachte, bemerkte er vor seinen Füßen eine Fallthür, die er nie zuvor gesehen hatte. Er öffnete sie und stieg eine lange Treppe in den Berg hinab bis in einen weiten, hochgewölbten Saal. Dort saß der Kaiser Otto mit seinem langen rothen Bart an einem großen steinernen Tisch, und um ihn her saßen viele hundert Ritter und Schildknappen in voller Rüstung. Schüchtern blieb der Hirt am Fuße der Treppe stehen, doch der Kaiser winkte ihm freundlich und sprach „Ich weiß schon weshalb du kommst. Hier nimm dir so viel du brauchst, und wenn du heim kommst, grüß dein Weib und deine Kinder von mir.“ Und damit wies er auf einen Haufen glühender Kohlen, der in einem Winkel lag. Der Hirt beugte sich ängstlich über die Kohlen, doch er wagte nicht sie anzurühren. Da lachte der Kaiser und rief „Greif nur zu; es brennt nicht. Doch nimm nicht zu wenig.“ „Ja zu wenig!“ dachte der Hirt, „wenn nur was zu nehmen wäre. Um Kohlen zu verschenken und arme Leute auszulachen braucht man kein Kaiser zu sein.“ Doch weil er sich fürchtete zu widersprechen, füllte er seine Hirtentasche mit Kohlen, verneigte sich tief vor dem Kaiser und seinen Rittern und Knappen und stieg die Treppe wieder hinauf. Und wie er oben die Kohlen aus der Tasche schütten wollte, war die Tasche voll gediegenen Goldes, und der Schäfer war so reich wie der Musikant; doch die Fallthür konnte er nie wieder finden.

Ein andrer Schäfer verlor am Johannisabend seine Heerde, die er auf dem Kiffhäuser gehütet hatte. Er lief durch das Gebüsch und hohe Gras sie zu suchen, und dabei streifte er, ohne es zu wissen, mit den Füßen die Wunderblume ab, und sie blieb in seiner Schuhschnalle hängen. Wer diese Blume, die nur in der Johannisnacht blüht, an sich trägt, der kann die Geister sehen: und wie es nun im Thale elf schlug, war der Schäfer grade dicht unter dem Gipfel des Berges, und er sah wie sich der Berg aufthat und der Kaiser Otto mit vielen Rittern herausstieg. Sie waren gar stattlich anzuschauen und begannen auf dem Berge Kegel zu schieben, und als sie eine Weile geschoben hatten, schmaräkelten sie. Der Schäfer blieb verwundert stehen und schaute zu. Da schlug es zwölf, und sie stiegen in den Berg zurück, und der Berg schloß sich wieder. Der Schäfer nahm zum Wahrzeichen den König der Kegel und steckte ihn in seine Hirtentasche. Er ging weiter nach seinen Schafen, fand sie auch bald und erzählte nun am Morgen den andern Hirten was er in der Nacht gesehen hatte. Die aber lachten ihn aus: da holte er den Kegel aus der Tasche, und wie er ihn ansah, war er ganz von Gold.

Nachdem der Kaiser Otto wohl manche hundert Jahre in dem Berge gehaust hatte, ging er zur Ruh ins Grab, und an seine Stelle zog der Kaiser Friedrich in den Kiffhäuser, der noch dort wohnt. – Nach Andern aber soll der Kaiser Otto aus dem Kiffhäuser in das quedlinburger Schloß gezogen sein und noch jetzt in den tiefen Kellern desselben sitzen. Die Magd des Küsters in Quedlinburg wurde einst von einem Geiste hinabgeführt und sah den Kaiser, der ganz von Golde war und sich nicht regte. Nach einer alten Wahrsagung soll das quedlinburger Schloß einst abbrennen: dann wird man den Kaiser unter den Trümmern finden und das Schloß mit dem Golde, in das sein Leib sich verwandelt hat, neu und schöner aufbauen; sein Geist aber wird dann Ruhe finden.

Anmerkung:

In der mittelalterlichen Sage von Otto dem Rothen sind die beiden ersten Ottonen verschmolzen, wie die von Friedrich Rothbart Züge aus der Geschichte Friedrichs II. enthält (s. Jacob Grimm Gedichte des Mittelalters auf Friedrich I. den Staufer S. 12; Deutsche Sagen der Brüder Grimm 2, 488). Bekanntlich kommt Otto schon im Herzog Ernst, in Rudolfs gutem Gerhard und in Konrads von Würzburg Otto mit dem Bart als halb mythische Gestalt vor (vergl. Deutsche Sagen 2, 466. 469. 470); und wenn unsere jüngeren Sagenquellen von ihm schweigen, so ist dies nur als zufällig anzusehen, da der im südlichen Sachsen und nördlichen Thüringen allgemein verbreitete Glaube daß er einst im Kiffhäuser gewohnt habe oder noch dort wohne sicher mit jenen mittelalterlichen Überlieferungen zusammenhängt. Wichtig ist daß die in den Kiffhäuser entrückten Helden beide rothe Bärte haben. Schon Grimm vergleicht Mythologie S. 910 Friedrich des Bartes wegen mit Thor, an dessen Stelle in Norwegen Olaf, der rothbärtige, als Riesenbekämpfer getreten ist: doch zugleich deutet er in der Vorrede zur Mythologie S. XVI die fliegenden Raben, nach denen Friedrich im Kiffhäuser fragt, wohl richtig auf Odhinns Raben; und an Odhinn erinnert unter den bergentrückten Helden noch besonders Karl der Große, der nicht mit rothem, sondern mit langem weißen Bart in mehreren deutschen Bergen sitzt. Ich glaube darum die Ritter und Knappen, welche nach dieser und der folgenden Sage mit Otto und Friedrich im Kiffhäuser wohnen, zu den nordischen Einherjen stellen zu dürfen, den in der Schlacht gefallenen Helden, die bei Odhinn in Walhalla einkehren1. Odhinn und Thor aber scheinen in den Sagen von Otto dem Rothen und Friedrich Rothbart im Kiffhäuser sich zu berühren. – Die Wunderblume, welche nur in der Johannisnacht blüht, kommt mehrfach in Harzsagen vor. In der Johannisnacht zeigt sich auch die grüne Jungfer auf dem Hausberge (Sage 12), und es knüpfen sich wohl an keine der noch jetzt im Volksglauben geheiligten Nächte so reiche Reste des Heidenthums wie an sie: in sie, die midsummernight, nicht in eine beliebige Sommernacht, verlegte darum auch Shakspeare sein Gedicht von Oberon und Titania. – Daß Otto aus dem Kiffhäuser in das quedlinburger Schloß, welches ebenfalls auf einem Berge liegt, gezogen sei versicherte der Erzähler, ein alter Bauer aus Helfta, in seiner Jugend, als er in Thale bei Quedlinburg diente, oft gehört zu haben: in Quedlinburg selbst habe ich vergeblich danach gefragt. – Schmaräkeln (S. 12 Z. 33) heißt ein Kegelspiel, bei welchem man nicht mit den Kugeln schiebt, sondern sie in die Höhe wirft, so dass sie beim Niederfallen die Kegel umschlagen (vergl. Schmellers bair. WB. 3, 471). – Zu dem Ständchen, welches hier Otto gebracht wird, vergl. Deutsche Sagen 1, 296.

2. Kaiser Friedrich, die Königin Holle und Napoleon

Mündlich aus Halle

Im letzten Kriege kam ein französischer Marschall nach Nordhausen, und wie er die Trümmer der Kiffhäuserburg sah und hörte, daß dies ein verwünschtes Schloß sei, auf dem es bei Nacht Niemand Ruhe lasse, rief er im Uebermuth „So will ich die nächste Nacht dort oben schlafen“; und er hörte auf keine Warnung, sondern ließ sein Feldbett auf dem Kiffhäuser aufschlagen. Und als es Mitternacht war, sandte der Kaiser Friedrich, der seit undenklichen Jahren im Kiffhäuser wohnt, die Königin Holle hinauf zu dem Marschall und ließ ihm sagen, er möge seinen Herrn, den Kaiser Napoleon, warnen nicht nach Rußland zu ziehen; denn von da werde er nur in Schmach und Noth wiederkehren: und er möge dem Kaiser verkündigen, wenn er seinen Ruhm lieb habe, solle er Deutschland räumen; denn er, der Kaiser Friedrich, dulde nicht daß sein deutsches Volk den Franzosen unterthänig sei: und wenn der Kaiser Napoleon diese Mahnung nicht höre, werde er in Jammer und Armuth untergehn. – Der Marschall eilte am folgenden Morgen nach Halle, wo Napoleon sich grade aufhielt, und sagte ihm was die Königin Holle ihm melden ließ, und alle Generale und alle Soldaten baten den Kaiser nicht nach Rußland zu gehen; doch er, wie er war, lachte sie aus, und das hat er denn büßen müssen.

Die Königin Holle ist Kaiser Friedrichs Haushälterin im Kiffhäuser. Sie war eine reiche Königswittwe und wurde freventlich ermordet: da fand ihr Geist keine Ruh im Grabe und schwärmte lange umher, bis sie hörte daß der Kaiser Friedrich im Kiffhäuser eine Freistatt gefunden; und da sie sich aus ihrer Zeit erinnerte daß man ihn immer als einen so gerechten und gütigen Herrn gepriesen hatte, ging sie zu ihm in den Berg, und dort führt sie ihm nun die Wirthschaft und sorgt für Alles, was er und die vielen hundert Ritter und Knappen bedürfen, die mit ihm um den großen steinernen Tisch sitzen.

Anmerkung:

Die Sage daß Holda bei Friedrich im Kiffhäuser wohne deutet aufs Neue darauf hin daß Holda, Berchta und die verwandten, besonders in den zwölf Nächten auftretenden Göttinnen erst durch Abschwächung des alten Mythus an die Stelle der Frigg getreten sind (vergl. Myth. 899), welche nach der Edda als Hausfrau Odhinns für den Haushalt der Asen und Einherjen sorgt, wie hier Holda dem Kaiser, in welchem Odhinn durchbricht, und den Rittern und Knappen, die wir den Einherjen verglichen haben, die Wirthschaft führt. Holda, die holde, und Berahta, die leuchtende, wären passende Beiwörter der milden, hehren Gemahlin des Himmelsgottes, und sie können als minder bezeichnend leicht darum den echtheidnischen Namen Frigg verdrängt haben, weil sie den Christen weniger anstößig waren und daher weniger verfolgt wurden. Es sprechen für die Identität dieser Göttinnen und der Frigg noch folgende Züge. Der Orion heißt Friggs Rocken, und Holda und Berchta schützen den Flachsbau und die Spinnerinnen. Eine isländische Sage des vierzehnten Jahrhunderts erwähnt eine Zauberin Hulda als Odhinns Geliebte (Myth. 249). Holda und Berchta führen wie Odhinn das wilde Heer; Frigg aber sitzt nach Paulus Diaconus neben Odhinn auf seinem goldenen Stuhl in Walhalla, sie zog darum vielleicht auch neben ihm an der Spitze des wüthenden Heeres und konnte wie er als den Zug führend gedacht werden. Huldra, die dänische und norwegische Berg- und Waldfrau, erscheint bald als graugekleidete, finstre Alte, bald als heitre Jungfrau in blauem Gewande, und man darf diese doppelte Gestalt mit um so größerer Sicherheit auf den umwölkten und wolkenlosen Himmel deuten, als auch die deutsche Holda am Himmel waltet, ihre Lämmer (kleine, weiße Wölkchen) darauf hütet und den Schnee sendet: keiner der Göttinnen aber steht es mehr zu als der Gemahlin des Himmelsgottes daß sie auch an der Erregung der Himmelserscheinungen Theil hat. Wie Odhinn den Erntesegen verleiht, befruchten Holda und Berchta die Felder, und ihm gleich verhängt Berchta Krankheiten, ihm gleich steht sie an der Spitze von Fürstengeschlechtern. Frigg wechselt mit Freyja; in Freyjas Gemeinschaft aber leben die Frauen und ein Theil der in der Schlacht gefallenen Helden nach dem Tode, und eben so kommen Verstorbene zu Holda und Berchta ins wilde Heer (vergl. die Anmerkung zu Sage 41). Dazu daß Frigg Odhinns Hausfrau heißt stimmt ferner daß Holda und Berchta den Fleiß der Mägde überwachen und daß die weiße Frau und verwünschte Prinzessin gewöhnlich ein Schlüsselbund trägt. Unter den verwandten Göttinnen stellt sich Frau Gode schon durch ihren Namen zu Wodan, wie Frau Motte, nach der in der Anmerkung zur achten Sage ausgesprochenen Vermuthung, zu Muot, dem wilden Jäger. – In Bechsteins Kiffhäusersagen (im vierten Bande des thüringischen Sagenschatzes) wird Nr. 16 nur eine Schaffnerin im Kiffhäuser erwähnt. – Daß Napoleon mit Holda und Friedrich Barbarossa in Verbindung gebracht wird hat nichts Unvolksthümliches: vielmehr finden sich zahlreiche Beispiele, daß geschichtliche Personen, welche die Aufmerksamkeit des Volkes in hohem Grade erregt haben, bald nach ihrem Tode, und bisweilen selbst schon beim Leben, in die Sage aufgenommen werden. So sind, um nur zwei Fälle aus neuerer Zeit anzuführen, an Ziethen und den alten Dessauer Sagen geknüpft, die schon von Faust und noch früheren Zauberern berichtet werden und auch auf diese sicher erst von heidnischen Gottheiten übertragen sind (Tettau und Temme Die Volkssagen Ostpreußens, Litthauens und Westpreußens Nr. 155; Temme Sagen der Altmark Nr. 74).

3. Der wilde Jäger

Mündlich

In der Abbatissine, einem Gehölz bei Gutenberg, eine Meile von Halle, sieht man zu Mittag zwischen elf und zwölf den wilden Jäger ohne Kopf umher gehen. Bei Nacht hetzt er daselbst, von vielen klaffenden Hunden begleitet, die Lohjungfern. – In der dölauer Heide bei Halle reitet er bisweilen ohne Kopf auf einem Schimmel durch die Luft. Dann folgt jedesmal binnen drei Tagen Sturm und Ungewitter. – Ohne Kopf zeigt er sich auch in einem Walde zwischen Schraplau und Eisleben, im Zellgrunde zwischen dem Galgen- und Zellberge bei Erdeborn, im Mittelholz bei Näglitz und in vielen andern Wäldern Sachsens. Wenn er naht, legen sich die Wanderer auf den Boden, und er braust mit seinen Hunden über sie hinweg.

Anmerkung: