Cover

Über dieses Buch:

Bisher war das Leben für die Freundinnen Marie, Ilka und Elfie eine reine Achterbahnfahrt: turbulent, schwindelerregend, rasant – aber am Ende hatten sie immer wieder festen Boden unter den Füßen. Nur ein schwacher Trost für Marie, die gemeinsam mit ihrer großen Liebe Ronaldo ein eigenes Kurhotel eröffnen möchte. Denn auf einmal taucht seine Tochter auf und hat nichts übrig für ihre neue Stiefmutter. Und Ilka muss erfahren, dass ihre Kollegin Frau Stade mit harten Bandagen kämpft. Können aus Feinden Freunde werden– und am Ende alles gut?

„Freundschaft auf den dritten Blick“ ist der zweite Teil einer Serie voller Gefühle: Liebe, Pech, Verrat und Glück – die perfekte Mischung zum Mitfiebern!

Über den Autor:

Christian Pfannenschmidt, geboren 1953, war Journalist und Reporter für die Abendzeitung, München, den Stern, Capital und das Zeit-Magazin. Heute lebt er als Autor in Köln und Berlin. Von ihm stammen unter anderem die Drehbücher der ZDF-Erfolgsserie Girlfriends. Der Seerosenteich wurde in mehrere Sprachen übersetzt und in der Verfilmung, als ARD-Zweiteiler, verfolgten über 6 Mio. Menschen die Karriere von Isabelle, dem Mädchen vom Lande, das zur Chefin eines Modeimperiums aufsteigt. 2003 gründete er eine eigene Fernsehproduktion und setzte seine persönliche Erfolgsgeschichte mit TV-Serien wie u.a. Die Albertis und Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen fort.

Christian Pfannenschmidt veröffentlichte bei dotbooks bereits Die Albertis und Der Seerosenteich.

Die Website des Autors: www.christianpfannenschmidt.de

Die Charaktere der Girlfriends-Serie haben den Autor nicht mehr losgelassen. Und so hat er – basierend auf den Drehbüchern – sieben Romane über die Freundinnen Marie, Ilka und Elfie geschrieben:

Band 1: Fünf Sterne für Marie

Band 2: Freundschaft auf den dritten Blick

Band 3: Zehn Etagen bis zum Glück

Band 4: Demnächst auf Wolke sieben

Band 5: Kurz vor zwölf im Paradies

Band 6: Das 1x1 zum großen Glück

Band 7: Frühstück für zwei

***

Neuausgabe März 2015

Dieses Buch erschien bereits 1997 unter dem Titel Der Mann aus Montauk bei Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg.

Copyright © der Originalausgabe 1997 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelabbildung: Thinkstockphoto/istock

ISBN 978-3-95824-051-3

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Freundschaft auf den dritten Blick an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

http://gplus.to/dotbooks

http://instagram.com/dotbooks

Christian Pfannenschmidt

Freundschaft auf den dritten Blick

Roman

dotbooks.

Die handelnden Personen

Marie Malek, Chefsekretärin des Hansson-Hotels Hamburg

Ilka Frowein, stellvertretende Hoteldirektorin und Maries beste Freundin

Ronaldo Schäfer, Hoteldirektor und Lebensgefährte von Marie

Gudrun Stade, Chefsekretärin mit Vergangenheit

Holger von Winkler, Wichtigtuer und Nachfolger von Ronaldo Schäfer im Hansson-Hotel

Elfie Gerdes, Leiterin des Schreibpools mit Herz und Stimme

Vera Klingenberg, Seelchen des Schreibpools

Renee Broschek, Kollegin und Sargnagel von Elfie Gerdes

Stefan Ahlbaum, schöner Mann im Schreibpool

Katja Harms, Wirbelwind und Neuzugang im Hotel

Dr. Begemann, Personalchef mit manchmal mangelndem Taktgefühl

Daniela Holm, stellvertretende Personalchefin

Schmolli, Portier und guter Geist des Hotels

Doris Barth, Rezeptionistin

Bill Hansson, Big Boss aus Schweden

Wilma Wolf, Langzeitarbeitslose mit Aussicht

Werner Rumpelmayer, Choleriker am Kochtopf

Uwe Holthusen, zweiter Küchenchef

Renzo, Barkeeper

Höltenbaum, Oberkellner

Leo Faber, Oberkellner

Dieter Saalbach, stellvertretender Hoteldirektor a. D.

Zoltan Landauer, Kriegsreporter und Mann aus Montauk

Heike Schäfer, Ronaldos aufmüpfige Tochter

Elisabeth Harsefeld, Maries Mutter und Kummerkastentante

Erich Harsefelder, Maries Stiefvater

Alexander Frowein, Vater von Ilka

Tatjana Frowein, Ilkas böse Stiefmutter

Hannelore Hollwinkel, Elisabeth Harsefelds beste Freundin

Günther Hollwinkel, Hannelores Mann

Frank Melson, Freund von Ilka Frowein und allen Frauen

Albert Baumgarten, Vera Klingenbergs Verlobter

Karl-Heinz »Rob« Robbe, Kneipier und große Liebe von Elfie Gerdes

Dr. Rilke, Arzt mit Seele am Marienkrankenhaus

Stefanie Ahlbaum, kleine Schwester mit großen Problemen

Heinrich Ahlbaum, Vater von Stefan und Stefanie

Monika Ahlbaum, Luxusgeschöpf und Gattin von Heinrich

Bendix »Ben« Bast, Musiker und Marie Maleks alte Liebe

Michael Crossing, Hollywoodstar und Herzensbrecher

Rebecca Sinares, Filmmanagerin und Nervensäge

Mirijam Hollwinkel, Mädchen aus Hitzacker

Hein Meier, Amtmann aus Hitzacker und Freund der Harsefelds

Werner W. Lang, Plattenmanager mit Platte

Franz Zirpenbach, Wahrsager

Rosie, Zirpenbachs Frau und Muse

Kapitel 1

Als die trockene Erde auf den Sarg rieselte, erhoben sich die Hummeln von den gelben Chrysanthemen, den roten Gerbera und weißen Lilien zu einem wilden Tanz. Für einen Augenblick war ihr Summen der einzige Laut in der Stille. »Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staube«, murmelte der Pfarrer.

Marie fröstelte in der Sonne. Es wollte ihr nicht in den Kopf, daß unter dem Deckel aus hellem Eichenholz Nicole lag. Ausgerechnet Nicole, die so voller Lebenslust, so apfelkuchenblond und strahlend gewesen war wie eines dieser Mädchen aus der Lätta-Reklame.

Viele Kränze schmückten das Grab, einer prächtiger als der andere. Und etwas abseits lag ein Herz aus Margeritenblüten. Das war von Schmolli, dem Hotelportier.

Von welchen Zufällen das Leben abhängt, dachte Marie. Wäre Nicole nicht so eine Schlunze gewesen, hätte sie nicht vergessen, ihren Urlaubsschein abzugeben, dann wäre sie mit ihrem Thorsten in die längst fälligen Flitterwochen nach Djerba gereist. Hätte sich im Sand geaalt und sich von Thorsten die Meerwassertropfen vom Rücken küssen lassen. So war er nach einem Streit allein geflogen und Nicole in Hamburg diesem Verrückten in die Hände gefallen, der sie wochenlang verfolgt, ihr in ihrer Wohnung aufgelauert und sie schließlich umgebracht hatte.

Marie schaute in die Runde. Alle Kollegen aus dem Hansson-Hotel waren gekommen. Ilka Frowein, ihre beste Freundin, verschanzte sich hinter einer dunklen Sonnenbrille. Frau Stades Augen, die häufig so giftig auf Nicole geblickt hatten, waren mit Tränen gefüllt. Dr. Begemann sah aus, als ginge ihn das alles nichts an. Dieter Saalbach starrte zu Boden, und Daniela Holm blickte in den saphirblauen Himmel. Die Mädchen aus dem Schreibpool hielten sich an den Händen. Marie hätte auch gerne jemanden zum Festhalten gehabt, aber Ronaldo war nicht da.

Wie eigenartig? Am Tag von Nicoles Hochzeit mit Thorsten hatte Ronaldo ihr zum erstenmal gesagt, daß er sie liebte. Und am Tag von Nicoles Beerdigung hatten sie ihren ersten großen Krach gehabt, morgens auf nüchternen Magen zwischen Marmeladentoast und Wimperntuschen. Und alles nur, weil sie gewollt hatte, daß Ronaldo mit zum Begräbnis ging. Immerhin war Ronaldo Schäfer der Direktor des Hansson-Hotels. Immerhin liebte sie ihn, und er hatte gefälligst dazusein, wenn sie ihn brauchte.

»Hast du eigentlich vergessen, daß es noch kein Jahr her ist, seit meine Frau gestorben ist?« hatte Ronaldo geschrien und sie dabei geschüttelt, daß ihr Hören und Sehen verging. »Kannst du dir nicht vorstellen, daß es über meine Kraft geht, einen Friedhof zu betreten? Gemeinsam mit einer anderen Frau?«

Doch, das konnte Marie. Sie war ja nicht blöd. Sie wußte auch, daß dieser Streit einen kleinen Riß ins Fundament ihrer jungen Liebe gezogen hatte. Und wenn man nicht rechtzeitig damit begann, die Risse zu kitten, hatte man schnell eine Ruine. Also hatte sie die Klappe gehalten. Was nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen einer Marie Malek gehörte.

Durch einen Gitarrenakkord wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Ben war ans Grab getreten. Nicoles großer Bruder, Maries kurze Liebe. Ben, der immer noch was von einem verwuschelten Welpen hatte. Er begann zu singen. Ganz innig und ernst. »Always On My Mind«. Beim Refrain verlor er die Fassung. Ein paar Laute kriegte er noch heraus, ein Krächzen, dann heulte er los wie ein Schloßhund.

Da passierte es. Nicoles Freundin Elfie Gerdes, die in der Reihe hinter Ben stand, trat langsam hervor, würdevoll wie eine Königin in ihrem kleinen Schwarzen mit den gekreuzten Bändern vor der Brust, und sang für Ben weiter. Die Kollegen schauten sich verdutzt an. Die Dicke aus dem Schreibpool und eine Stimme wie ein in die Gosse gefallener Engel.

Als der letzte Ton verklungen war, guckte sich Elfie etwas verunsichert um, als habe sie zuviel von sich preisgegeben. Langsam verließen die Trauergäste Nicoles Grab. Personalchef Dr. Begemann hakte seine Assistentin Frau Stade unter. Er rümpfte die Nase. »Singend auf den Friedhof, na ja.«

»Also, ich fand das sehr hübsch«, sagte die Stade und schritt hocherhobenen Hauptes mit einem kleinen schwarzen Kapotthut, den ein lavendelblaues Ripsband schmückte, an der Seite ihres Chefs vom Friedhof. Gefolgt von Daniela Holm und Dieter Saalbach.

Unschlüssig standen die anderen noch zusammen. Und während der warme Wind ein paar Staubpartikel zu ihnen herüberwehte, waren sie alle mit den Gedanken schon wieder bei ihrem Job, dem Hotel und der lauten Welt da draußen, nur allzu bereit, dem Alltag das Feld zu überlassen.

Nur Marie blieb noch einen Moment am Grab zurück. Sanft berührte sie Thorsten, der mit seinen Händen einen rosafarbenen Stoffhasen zerknuffte. Schließlich warf er Nicoles Talisman mit einer heftigen Bewegung auf den Eichensarg. Marie legte ihm den Arm um die Schulter, streichelte seine Wange, bis er sich mit einem traurigen Lächeln von ihr löste und zum Friedhofstor ging.

Marie trat zu den anderen. Gerührt umarmte sie Elfie. »Das hast du wunderbar gemacht.«

Ilka legte ihre Hand auf Elfies Arm. »Ich wußte überhaupt nicht, daß Sie so gut singen können, Frau Gerdes.«

»Ist ‘ne Art Hobby.« Elfie entschuldigte sich und ging zu Schmolli hinüber. Der stand abseits an einen Baum gelehnt, das Gesicht in den Händen vergraben. »Das weiß ja keiner, daß ich sie geliebt habe«, schluchzte er.

Elfie traten die Tränen in die Augen, und ihr Herz schmolz dahin wie ein Klops Butter in der Sonne.

Marie beobachtete die beiden. Dann verließ sie an Bens Seite den Friedhof. »Kommst du noch mit, Marie?« fragte er. »Ach, das ist doch eher eine Familiensache, Ben.«

»Sehen wir uns denn mal?«

Marie küßte ihn auf die Wange. »Natürlich.«

Im Hotel ging es an diesem Tag ungewöhnlich ruhig zu. Es war, als ob auch die Gäste spürten, daß das Hansson Trauer trug, und sich mit ihren Forderungen, Wünschen, Beschwerden, Bitten und Ansprüchen zurückhielten. Weit weniger häufig als sonst hörte man: »Haben Sie nicht …?« – »Können Sie mal …?« – »Bitte erledigen Sie das für mich …?« – »Wo bleibt heute die Tribune?« – »Was soll das heißen, kein englisches Limonengelee?« – »Bitte keinen Weichspüler an meine Badetücher!« – »Den Weckruf pünktlich um sieben!« – »Ich habe eine Mücke im Zimmer!« – »Bitte putzen Sie meine Schuhe!« – »Nur drei Spritzer Zitrone und ein Schüßchen Olivenöl an meinen Salat!« und so weiter und so fort.

Wen sollten sie auch herumkommandieren? Alle waren auf Nicoles Beerdigung. Nur Ronaldo hielt Stallwache im Direktionsbüro. Er saß am Schreibtisch von Nicole. Mit einer fast zärtlichen Geste strich er über ihr Hochzeitsfoto, das dort in einem goldenen, herzförmigen Rahmen stand.

»Sorry!«

Ronaldo drehte sich um. Im Türrahmen lehnte ein junger Mann. Mittelgroß. Schlank und gebräunt, lange dunkelblonde Haare, auf denen die Sonne tanzte. Eisblaue Augen wie Gletscherbonbons. Eine geballte Ladung Testosteron mit einem Schuß Weiblichkeit. Die Mädels aus dem Schreibpool hätten jetzt vermutlich so Sachen gesagt wie »rattenscharf« oder »knattergeil«, und dann hätten sie diesen Smartie kühl angelächelt und sich heiße Gedanken gemacht.

»Ach, der Kurier!« sagte Ronaldo.

»Nee, ich komme wegen der Anzeige.«

Ronaldo verstand kein Wort. Der Fremde streckte ihm die Hand entgegen. »Stefan Ahlbaum.«

»Freut mich«, sagte Ronaldo. »Schäfer.«

Stefan grinste. »Wohl Mädchen für alles hier, was?«

»Sozusagen«, entgegnete Ronaldo.

Dann ging er aus dem Sekretariat in sein Büro, weil das Telefon klingelte. Stefan folgte ihm. »Ich wollte mich auf die Stelle bewerben. Als Sekretärin. Aber die Personalabteilung ist wohl heute auf Betriebsausflug.« Neugierig sah sich Stefan um. »Und jetzt würde ich gerne mit dem sprechen, der hier in dem Kasten das Sagen hat.«

»In dem Kasten hier habe ich das Sagen«, antwortete Ronaldo. »Tut mir leid. Der Job ist weg.«

»Sie haben was gegen Männer in Frauenberufen?«

»Nö«, sagte Ronaldo. »Keinesfalls!« Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Wie gesagt, der Job ist weg. Aber es war trotzdem nett.«

Da entdeckte Stefan die Tim-und-Struppi-Rakete auf Ronaldos Schreibtisch. An der mal ein Flügel abgebrochen war, als Ronaldo, sauer auf Marie, das Ding vor lauter Wut heruntergefegt hatte. Damals, als sie noch kein Liebespaar waren und Marie Mist gebaut hatte im Job. Marie hatte den Flügel später wieder angeleimt, und jetzt mochte Ronaldo die Rakete mit den rot-weißen Streifen fast noch lieber, so wie einem häufig die nicht perfekten Dinge ans Herz wachsen: der Teddy, dem ein Glasmurmelauge fehlt, der Kaffeebecher mit dem Weihnachtsmann, dessen Zipfelmütze schon seit Jahren einen Sprung hat.

Stefan zeigte auf die Rakete. »Schritte auf dem Mond.«

»Sie kennen das?«

Kennen? Das war glatt die maßloseste Untertreibung, die Stefan je gehört hatte. »Ich bin der größte Tim-und-Struppi-Sammler außerhalb Belgiens. Das sind Freunde von mir seit meiner Kindheit.«

Ronaldo gluckste vor Vergnügen. »Meine auch.«

Und dann hauten sich die beiden Männer ihre Tim-und-Struppi-Erlebnisse um die Ohren, daß es nur so krachte. »Die Krabbe mit den goldenen Scheren? Der Fall Bienlein?«

Stefan nickte. »Schulze und Schultze, die Castafiore, Nestor …«

»Kapitän Haddock?« fragte Ronaldo.

Stefan schimpfte plötzlich los wie ein Rohrspatz. »Strauchdiebe! Süßwassermatrosen! Gurkennase! Hatschi Batschis! Affengesichter!«

Als Stefan eine halbe Stunde später Ronaldos Büro verließ, hatte er den Spitznamen »Tim« weg, einen Freund fürs Leben und einen Job als Sekretär im Hansson-Hotel.

Am Tag nach Nicoles Beerdigung ging Ronaldo höchstpersönlich mit Stefan in den Schreibpool, um den Neuen vorzustellen. »Einen wunderschönen guten Morgen, die Damen!« sagte er. Stefan tapste hinter ihm her. Jungenhaft. Schüchtern.

Elfi Gerdes, die Leiterin des Schreibpools, war baff. Wo kam denn diese Planstelle nun wieder her? Der Job war doch gerade erst besetzt worden. Mit Renee Broschek, diesem Höllenluder, die sich für den Zuckerguß auf dem Kuchen der Menschheit hielt. Frech, vorlaut, anmaßend, sexy, Girlie, Schlampe, dünn, blond. Angemalt wie mit dem Tuschkasten und kesse Kinderspangen im Haar, das die Farbe von schmutzigem Messing hatte. Fand jedenfalls Elfie. Typ: ›Gebt mir die Welt, ich brauch ‘ne Bühne.‹ Die Lippenstifte immer eine Nummer zu grell, die Pullover immer eine Nummer zu eng, die Röcke immer eine Nummer zu klein, die Klappe immer eine Nummer zu groß. Ach was, drei Nummern. Den Kopf in den Wolken, den Hintern zwischen allen Stühlen und die Witze unterhalb der Gürtellinie – so ungefähr hatte man sich den Ort vorzustellen, an dem sich Renee am wohlsten fühlte. Elfie haßte sie jetzt schon aus tiefstem Herzen. Umgekehrt war es genauso.

Ilka Frowein, die stellvertretende Hoteldirektorin, hatte sie eingestellt. Ihr war Renee auch nicht gerade sympathisch, schien ihr aber fachlich äußerst qualifiziert. Und das mußte der Neid ihr lassen, dachte Elfie, im Job war die Broschek wirklich unschlagbar. Leider. An der konnte man nicht kratzen, ohne sich den Fingernagel abzubrechen.

Renee kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, schlenderte auf Stefan zu und schüttelte ihm die Hand. Dann hakte sie sich bei Ronaldo und Stefan unter und strahlte die beiden an. »Ich find’s klasse, in so einem Weiberhaufen Verstärkung zu haben durch zwei so schöne Männer.«

Elfie verdrehte die Augen. Dieses Miststück! Diese Natter! Rein in die Tim-und-Struppi-Rakete auf Schäfers Schreibtisch, Klappe zu und ab damit zum Mond.

Daniela Holm saß in ihrem Büro und zitterte am ganzen Körper. Vielleicht half ja der Schnaps. Vielleicht riß er sie wieder hoch. Wie andere ihr Frühstücksbrot und ihre Pfefferminzteebeutel, so hatte Daniela immer eine Pulle Wodka in ihrer obersten Schreibtischschublade, verdeckt unter Aktenmappen, Tempos, einer Dose Haarspray, ein paar Urlaubspostkarten und einigen Fotos von Betriebsfesten, auf denen alle immer wie die letzten Deppen aussahen. Sie nahm die Flasche heraus und trank in kleinen hastigen Schlucken.

Äußerlich war die Holm immer noch picobello. Die perfekte Stellvertreterin des Personalchefs. Wie aus dem Ei gepellt.. Schniekes Kostüm, jede Strähne ihrer aschblonden Hochsteckfrisur zurechtgezirkelt, eingehüllt in eine pudrige Chanel-No.-5-Wolke. Eine Frau, an der Knoblauchatem genauso unvorstellbar war wie abgeblätterter Nagellack oder eine Laufmasche. Man mußte sie schon genau beobachten, um die Zeichen zu erkennen. Daß sie manchmal auf ihren Pumps herumbalancierte, als wären es Stelzen, fast unmerklich zur Seite kippte und erst im letzten Moment die Kurve kriegte. Daß sie oft etwas Zögerndes, Unsicheres hatte, daß ihre Augen so merkwürdig flackerten und daß ihr Atem immer nach Eukalyptusbonbons roch.

Am Untergang jeder guten Frau ist immer ein Mann schuld, und das war auch bei Daniela Holm nicht anders. Ihr Freund Dieter Saalbach hatte sie nach seinem Rausschmiß als stellvertretender Direktor des Hansson-Hotels Hamburg mitgenommen auf seine Schußfahrt in den Alkoholismus. Doch währender schon unten angekommen war und bei seinen seltenen Stippvisiten im Hotel den Eindruck eines Penners im Schloßpark machte, hatte sich die Holm noch weit genug in der Gewalt, um das Tempo ihres Abstiegs zu drosseln.

Sie hörte Schritte im Flur. Ihr Chef Dr. Begemann kam mit Frau Stade aus der Mittagspause in die Kantine zurück. Daniela nahm schnell noch einen Schluck, der Wodka lief ihr in einem kleinen Rinnsal das Kinn herunter, sie wischte ihn mit dem Handrücken ab, dann schraubte sie den Verschluß auf die Flasche, legte sie zurück und schloß mit einem kleinen Klacken die Schublade. Kurz darauf ging sie ins Büro von Frau Stade.

Die kam gerade mit einem Blumenstrauß aus dem Zimmer von Dr. Begemann. Sie eilte auf Daniela zu. »Jetzt muß ich aber doch herzlichen Glückwunsch sagen. Ich bin so froh, daß an diesen Verdächtigungen gegen Herrn Saalbach nichts dran war.«

»Danke, Frau Stade. Aber etwas bleibt doch immer hängen.« Mehr konnte Daniela dazu nicht sagen. Sie wollte die letzten Tage und Wochen ganz schnell vergessen. Den Mord an Nicole, mit der Dieter Saalbach ein Verhältnis gehabt hatte. Den Verdacht gegen ihn, als bekannt wurde, daß er ein paar Stunden vor Nicoles Tod mit ihr im Biergarten gewesen war. Die Verhöre, die Ermittlungen, die Gerüchte, das Getuschel, ihr Mißtrauen, ihre Angst.

Inzwischen war Gott sei Dank Saalbachs Unschuld erwiesen, Nicoles Mörder, ein Geistesgestörter namens Gunter Warrick, saß hinter Gittern, aber Daniela hatte wieder einen guten Grund mehr gehabt, sich schon am frühen Morgen mit einem kleinen Seufzer den ersten Wodka einzuflößen. Wenn das Leben lausig zu einem ist, sagte sie sich, dann hilft nun mal keine Milch.

Am nächsten Morgen hatte Ronaldo eine Grippe. Ausgerechnet an diesem Tag reiste eine aufgebrezelte Filmmanagerin namens Rebecca Sinares an und hielt das halbe Hotel auf Trab. Sie fegte durch die größte und eleganteste Suite des Hansson. »Sehr schön. Aber phantasielos, leider. Es müßte einiges geändert werden für Michael.« Mit angewidertem Gesicht knipste sie eine Nachttischlampe an und aus. »Schließlich steigt nicht jeden Tag ein Filmstar wie Michael Crossing hier ab.«

Ronaldo nieste dezent. Marie, ganz die gehorsame Chefsekretärin, stand hinter ihm und kritzelte Notizen auf einen Block.

Rebecca Sinares sprudelte los: »Also: Telefon raus, Fernseher raus, Bett raus. Die häßlichen Stehlampen raus. Alle Türen raus, bis auf die im Bad. Leuchtstreifen auf alle Schwellen.« Gelangweilt schaute sie in die Runde. »Keine Blumen, keine Pflanzen, kein Obst, kein Alkohol. Michael Crossing ist Allergiker. Überall Kübel mit Eis. Drei Kisten stilles Mineralwasser pro Tag. Extradicke Gardinen. Es darf kein Lichtstrahl hereinkommen …« Marie sah von ihrem Block auf. »Wie schläft er denn?«

Rebeccas Augenbraue hob sich einen Millimeter, dann sackte sie wieder herunter. »Wie meinen?«

»Sie sagten doch: Bett raus!«

»Himmel, sind Sie phantasielos!« sagte Rebecca. »Michael Crossing schläft natürlich auf einem Futon. Ein Futon muß her!«

Die Managerin quasselte weiter ohne Punkt und Komma, redete über Sicherheitsvorkehrungen und Bodyguards und Michaels Angst vor Menschen, über Fans und Presse, über Hintereingänge und Tiefgaragen und Drehtüren, über Facts und Heads und Manager, über PR und Einzelinterviews und Junkets und richtiges Timing, und als Ronaldo plötzlich vom Wesentlichen sprach, vom Geld, guckte sie ihn entgeistert an. »Haben Sie keinen Werbeetat? Für Sie ist das doch eine phantastische einmalige weltweite Werbung, wenn Michael Crossing hier absteigt.«

»Ach?« Ronaldo wünschte dieser Filmschnepfe von Herzen ein paar seiner Grippeviren an den Hals. »Sie dachten, wir machen diesen ganzen Aufwand, oder sagen wir ruhig Aufstand, kostenlos?«

»Es gibt in Hamburg x Hotels, alle allererste Sahne, die würden sich darum reißen. So doll ist Ihr Schuppen ja nun auch nicht.«

»Dann danken wir für Ihren Besuch.« Ronaldo lächelte liebenswürdig und wandte sich zum Gehen. »Es war eine interessante Erfahrung.«

»Provinzielle Kaschemme«, moserte die Sinares und stratzte davon. Marie lief Ronaldo hinterher. Sie bewunderte ja seine Unbestechlichkeit, seine Konsequenz, seine Rechtschaffenheit. Aber wie jammerschade! Zu gerne hätte sie Michael Crossing, dieses leckere Kerlchen, den Star aller Kids, den heißesten Herzensbrecher aus Hollywood, einmal persönlich kennengelernt, ihm die Hand gedrückt und ihre Mutter in Hitzacker gefragt: Du, Mamilein, rate mal, wen ich heute getroffen habe?

»Wer ist dat denn?« fragte Frau Harsefeld, als sie abends, schon im Bett liegend, mit ihrer Tochter Marie telefonierte. Sie hatte sich in einen weißen Frotteebademantel mit der Aufschrift »Hansson-Hotel Hamburg« gekuschelt, ein Geschenk von Marie. »Ich kenne keinen Michael … äh, wie heißt der?«

Kurz blickte Herr Harsefeld neben ihr auf, schnaubte verächtlich in die Kissen und murmelte »Frag sie mal, ob sie Willi Hagara kennt« und vertiefte sich wieder in seine »Auto, Motor, Sport«.

Marie war enttäuscht. Das war ja wohl das letzte an Kultur. Sie klatschte sich einen selbst angerührten Reinigungspudding aus Maisstärke, Öl und Bourbon-Vanille-Essenz aufs Gesicht und zog eine Grimasse. »Das ist der Star im Moment, Mamilein. ›Wild City‹, ›Rollerblader‹, diese ganzen tollen Filme. Ist ja auch egal. Geht es euch denn gut?«

Frau Harsefeld seufzte. »Heute war die Hannelore Hollwinkel da, mit der wir immer Doppelkopf spielen, weißt schon. Deren Enkelin Mirijam ist doch aus der Schule raus vor ein Auto gelaufen und wird nun schon das dritte Mal operiert. In Hamburg.«

Der Pudding auf Maries Gesicht wurde fester. Die gummiartige Pampe um ihren Mund platzte in viele kleine Risse, als sie die Lippen kräuselte. Sie ahnte, was kam. Hamburg! Lieb sein! Krankenhaus! Besuchen! Gummibärchen! Plüschtier! Händchen halten!

»Ja, und da dachte ich mir, Mariechen, ob du die Mirijam nicht mal besuchen kannst. Das Kind hat Depressionen. Ich frage mich immer, in was für einer Welt wir leben, wo schon Kinder Depressionen haben.«

»Wahrscheinlich hast du deiner Freundin schon wieder irgendwelche Versprechungen gemacht. Aber ich habe im Moment wirklich überhaupt keine Zeit. Laß uns jetzt Schluß machen. Ich bin müde. Grüß Papi von mir. Tschö, Mamilein!«

Marie schmatzte viele Küßchen ins Telefon, dann ging sie ins Bad, drehte den Wasserhahn auf, hielt einen Waschlappen darunter und wusch den Pudding vom Gesicht. Anschließend verschlug sie mit einer Gabel ein Eiweiß in einem Keramikschälchen, strich die weiße glibberige Masse mit einem Backpinsel aufs Gesicht, legte sich zur Entspannung aufs Bett und überlegte, was sie der kleinen Mirijam ins Krankenhaus mitnehmen könnte. Nach zehn Minuten stand sie auf und wusch die Eiweißmaske ab. Eine Haut wie elf, dachte Marie und war sehr zufrieden mit sich. Schließlich ging sie zu Bett und betete zum lieben Gott, daß Michael Crossing es geradezu als Zumutung empfinden würde, in einem anderen Hotel als dem Hansson abzusteigen.

Als Marie am nächsten Morgen ins Büro ging, ausgeschlafen, mit glänzenden Haaren und gebügelter Haut, war sie bester Laune und freute sich auf Ronaldo. Mal so ein Beauty-Abend allein daheim war doch Gold wert. Es sei denn, man wollte dem Liebsten mit Rizinusöl in den Haaren, einer zermatschten Avocado auf dem Dekolleté und Kamillenteebeuteln auf den Lidern unter die Augen treten.

Sie betrat das Chefsekretariat. Die Tür zu Ronaldos Büro war geöffnet. Er war also schon da. Sie wollte auf ihn zustürzen, ihn küssen, ihm ihren Babypopo-Teint präsentieren, ihm sagen, wie sehr sie ihn vermißt hatte, da hörte sie Ilkas Stimme. »Die Kalkulation ist von Stockholm abgesegnet, die Baufirmen und Handwerker sind bestellt …«

Dann vernahm Marie das fröhliche Ploppen einer Champagnerflasche. »Es kann also losgehen mit unserem ersten Country Hotel«, sagte Ronaldo.

»Im berühmten Hitzacker«, ergänzte Ilka und lachte. Es folgte das festliche ›Pling‹ der aneinanderstoßenden Champagnergläser.

»Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, Ilka.«

Halb Furie, halb Grazie, stürmte Marie in Ronaldos Büro. Ilka rollte gerade einige Baupläne zusammen. »Was ist das denn?« fuhr Marie sie an.

»Das sind die Umbaupläne für Hofstädters Gut«, entgegnete Ilka kühl.

»Für dein Country Hotel, Marie«, fügte Ronaldo lächelnd hinzu und machte sein Mensch-freu-dich-doch-Gesicht.

Über Maries Miene zogen Gewitterwolken, ihre Augen wurden schmal, über ihrer Nase bildete sich eine Zornesfalte – vorbei war’s mit der vanillepuddinggereinigten, eiweißgeglätteten Pfirsichhaut –, und ihre Stimme ging einen Halbtonschritt in die Höhe. »Moment mal! Ich wußte nicht, daß Herr Hansson schon grünes Licht gegeben hat.«

»Kannst ja nicht alles wissen. Mußte auch nicht«, sagte Ilka leichthin, was Marie vollends in Rage brachte.

Am liebsten hätte sie vor Wut in den Teppichboden gebissen. Du dumme Kuh, dachte sie, du neunmalblöde arrogante Schnepfe. Wie immer, wenn sie sehr erbost war und sich schlecht behandelt fühlte, war Marie kurz davor, in Tränen auszubrechen. Sie merkte, wie ihr das Wasser in die Augen stieg und sich ein Kloß in ihrem Hals bildete.

»Das ist meine Idee gewesen. Das war mein Konzept.« Marie baute sich vor Ilka auf und riß ihr die Pläne aus der Hand.

Ilka funkelte Marie an. »Paß mal auf! Du bist – bei und trotz aller Freundschaft – Sekretärin hier. Damit hast du mehr als genug zu tun. Ich bin die Stellvertreterin von ihm.« Ilka zeigte auf Ronaldo. »Und Herr Schäfer hat mit diesem Haus genug zu tun. Also kümmere ich mich um das Country Hotel. Klar?!«

Die Kugel war aus dem Lauf. Ilka schnappte nach den Plänen in Maries Hand, entriß sie ihr und stolzierte aus Ronaldos Büro.

Verdattert schaute Marie ihr nach. Weder sie noch Ronaldo sagten ein Wort. Ronaldo rührte in seiner Teetasse. Die Kandisstückchen schlugen mit einem leichten Klong gegen die Porzellanwand. Er nahm einen Schluck. »Mein Gott, Marie! Sie hat nicht unrecht.«

Marie glaubte, sich verhört zu haben. Da wurde ja der Hund in der Pfanne verrückt. Der eigene Freund hielt nicht mal mehr zu ihr, sondern steckte mit dieser karrieregeilen Tussi unter einem Hut und legte ihr, Marie Malek, Steine in den Weg. Aber das konnte er mit ihr nicht machen. Die Folge war klar: Liebesentzug! Heute und morgen und übermorgen auch. Erst mal keine Schäfer-Stündchen mehr.

Ohne ein weiteres Wort marschierte sie aus Ronaldos Zimmer, warf in ihrem Büro den Wasserkocher an, gab jeweils ein Löffelchen Earl Grey und O’Connors Cream ins Teesieb, ihre Lieblingsmischung, goß das kochende Wasser in eine kleine silberne Kanne und versüßte sich den Tee und das Leben mit einer großen Portion Lindenblütenhonig. Sie leckte den Löffel ab, fläzte sich auf ihren Stuhl und dachte daran, daß ihre Freundschaft mit Ilka nie einfach gewesen war.

Sie kannten sich tausend Jahre. Waren zusammen zur Schule gegangen, zwei süße Mädels, mit Zöpfen die eine, mit Bubikopf die andere, wurden zusammen konfirmiert, teilten sich alles: die »Bravo«, die Clearasil, die Fluppen. Sie waren verknallt in dieselben Jungs, sie trösteten sich gegenseitig in ihrem Liebeskummer, der ja überhaupt das Schönste an der ersten Liebe war, weil er aus einem simplen Teenagerleben ein Schicksal machte.

Später trennten sich ihre Wege. Ilka ging hinaus in die Welt, trug Chanel, naschte Sushi, war heute in New York, morgen in Stockholm und brachte es zu was. Marie blieb in Hitzacker bei ihren Eltern und arbeitete dort in der Baumschule unter einem Dragoner von Chefin. Und eines Tages, da war sie Mitte Dreißig, hatte auch Marie dieses Hitzacker satt und die Metzgerei der Eltern und den Dragoner, für den sie Blumenkisten und Buchsbäume durch die Gegend schleppen mußte, und ihren Freund Peter, diesen Hallodri, der ständig den Pleitegeier am Hals und eine andere im Bett hatte. »Geh endlich weg aus Hitzacker! Da wirst du doch nur blöd im Kopf«, hatte Ilka ihr geraten und ihrer Freundin einen Job besorgt als Schreibkraft im Hansson-Hotel, wo sie selbst als Chefsekretärin arbeitete.

Und dann kam dieser schreckliche Autounfall nach einem Wochenende auf Sylt. Monatelang lag Ilka im Krankenhaus. Marie sprang für sie ein. Und drehte plötzlich auf, wie das so ist, wenn man Blut geleckt hat. Sie mauserte sich von der Dorftrutsche zur Großstadtpflanze und machte sich im Job unentbehrlich. Ilka im Krankenhaus, eingegipst bis zur Halskrause und von Frau Stade aufgestachelt bis über beide Ohren, wurde hibbelig. Die Zeiten, in denen Ilka Hautevolée war und Marie aus dem Muspott kam, in denen Ilka nach Calvin Klein roch und nach Erdbeeren mit Champagner und Marie nach feuchter Erde und Räucherspeck, schienen endgültig vorbei. Ilka pfiff auf die Krankschreibung, fand sich schnurstracks wieder an ihrem Arbeitsplatz ein, und Marie stakste maulig zurück in den Schreibpool.

Irgendwann stieg Ilka auf zu Ronaldos Stellvertreterin, Marie übernahm ihren Job im Chefsekretariat, aber die Freundschaft hatte einen Knacks. Wie ein Sprung in der Suppenterrine – man konnte ihn kitten, aber bei der kleinsten Erschütterung ging das Ding wieder aus dem Leim.

Die Freundschaft lag auf Eis, zumindest zeitweilig, dafür kam die große Liebe. Marie hatte im Hansson-Hotel nicht nur Karriere gemacht, sie hatte dort auch den Mann fürs Leben ,gefunden. Ronaldo Schäfer! Den Direktor! Einen Traummann! Ihren Traummann! Und ihm – ein knappes Jahr nach dem Krebstod seiner Frau Ursula – das Lachen zurückgegeben, das Leben, die Liebe, die Nächte. Aber jetzt gerade konnte der Kerl sie dreimal kreuzweise.

Also kein Schmusestündchen daheim. Für den Abend verabredete sich Marie mit Elfie und Vera aus dem Schreibpool im »Checkers«, ihrer Stammkneipe. Sie würden Billard spielen, obszöne Mengen Bier und Tequila trinken, über Ilka herziehen und die Männer, und Marie würde betrunken nach Hause wanken, jawoll, ohne sich abzuschminken zu Bett gehen, verkatert aufwachen, die Wimperntusche auf dem Kopfkissen und einen schalen Geschmack im Mund, und sich schwören: Nie wieder. Marie wußte das alles. Und sie freute sich drauf.

Gleichzeitig mit Ronaldo traf Marie am nächsten Morgen vor dem Hansson ein. Sie trug eine Sonnenbrille von Alain Mikli und ihre Leidensmiene. Ronaldo warf Schmolli den Schlüssel seines Volvo zu und sagte mit einem provozierenden Blick auf Marie: »Sie sind die einzige Konstante in meinem Leben, Schmolli.« Der Portier lächelte dankbar und machte sich daran, den Wagen wegzufahren.

An der Drehtür wandte sich Ronaldo zu Marie um. »Ich würde dir ja die Tür aufhalten, wenn ich wüßte, daß es hilft …«

»Ich bin schon glücklich, wenn du mir nicht immer die Türen vor der Nase zuknallst«, fauchte Marie.

Als sie an der Anmeldung vorbeikamen, stürzte Doris, die Rezeptionistin, mit einem meterlangen Fax auf sie zu. »Eine Buchung. Aus Hollywood. Michael Crossing wird drei Tage bei uns wohnen. Alles Sonderwünsche.«

Ronaldo riß ihr das Fax aus der Hand. Triumphierend schaute er Marie an. »Die zahlen alles!«

Marie grinste. Es gab einen Himmel, und die Abteilung Erfüllung von Herzenswünschen funktionierte zur Abwechslung mal prima.

Im Hansson-Hotel war an diesem Morgen die Hölle los. »Für dieses Michael-Crossing-Theater könnten wir ein eigenes Sekretariat einstellen«, stöhnte Ilka und hechtete an das eine Telefon, während Marie das andere abnahm.

Ronaldo strahlte. »Aber es ist eine gute Werbung. Das müssen Sie zugeben.« Eindringlich schaute er Marie an. »Michael Crossings Privatsphäre ist unbedingt zu schützen. Keinerlei Auskunft, welches Zimmer er hat, wie lange er bleibt, kein Zutritt für Hotelpersonal oder Besucher im achten Stock, noch nicht mal das Zimmermädchen zum Staubwischen. Keine blöden Ideen wie Autogramm für Tante Olga und so.«

»Das fehlte noch«, seufzte Ilka, »wenn da was schiefgeht …«

»Darf nicht! Wir wollen ja keinen Skandal.« Ronaldo nieste.

Am Abend besuchte Marie die kleine Mirijam Hollwinkel im Kinderkrankenhaus der Uniklinik Eppendorf. Auf dem Flur traf sie Hannelore Hollwinkel, Mirijams Oma und die beste Freundin ihrer Mutter.

Frau Hollwinkel war schier aus dem Häuschen. »Unsere Marie aus Hitzacker! Laß dich anschauen!« Sie musterte Marie von Kopf bis Fuß, von der neuen kecken Kurzhaarfrisur mit den honigblonden Strähnchen bis zu den schweineteuren Ferragamo-Pumps, die Marie von Ronaldo zum Geburtstag bekommen hatte. Ihre Mutter war entsetzt gewesen. »Schuhe zum Geburtstag! Mariechen, da läuft die Liebe weg!« Aber Marie hatte ausnahmsweise beschlossen, mal nichts auf diese Spökenkiekerei zu geben.

»Deine Mutter ist so stolz auf dich, Marie«, sagte Hannelore Hollwinkel. »Elegant biste geworden! Na ja! Großstadt!«

»Du bist doch die Tochter vom Schlachter, oder?« begrüßte Mirijam sie ein paar Minuten später, als Marie das Krankenzimmer betrat, wo lautstark der neueste Clip der Spice Girls auf MTV lief.

So unterschiedlich sehen einen die Leute, dachte Marie. Für die einen war man plötzlich Jetset, eine Dame, große Welt, High-Society. Für die anderen immer noch Hitzacker und die Tochter vorn Fleischer, als hätte man lebenslänglich Knackwürste um den Hals baumeln und keine todschicke dreireihige Perlenkette (Erbstück von Oma) mit einem nagelneuen quadratischen Platinverschluß, in den ein kleines goldenes Viereck eingelassen war.

Marie überreichte Mirijam Schokolade, einen Malblock, Buntstifte und einen Prospekt vorn Hansson-Hotel. Als sie eine halbe Stunde später wieder ging, hatte Mirijam ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt. Sie würde nie mehr glücklich sein, wenn sie nicht ein Autogramm von Michael Crossing bekäme.

»Zusagen kann ich es dir nicht«, sagte Marie. Aber wer sie kannte, ihr großes, watteweiches Herz, dieses »Gefühlige« bei ihr, wie Ilka es einmal im Streit genannt hatte, der wußte, das war ein Versprechen.

Bevor sie an dem Abend zu Bett ging, telefonierte Marie mit ihrer Mutter. »Was hast du denn deiner Hannelore Hollwinkel bloß erzählt? Das Kind macht sich womöglich noch Hoffnungen, daß ich diesen verdammten Michael Crossing an ihr Krankenbett schleppe.« Marie nippte an ihrem Weinglas. »Immer dieses … dieses Gefühlige bei dir, Mama!«

Frau Harsefeld öffnete die Kühlschranktür und brachte ein Päckchen mit Bierschinken zum Vorschein. »Nun paß mal auf, Mariechen! Heutzutage ist viel zuwenig gefühlig.« Sie öffnete das Päckchen, nahm eine Scheibe Wurst in die rechte Hand, rollte sie zusammen und biß hinein. »Aber wenn du jetzt glaubst, das in deiner neuen modernen Hotelwelt ablegen zu müssen, dann kann ich dich nicht daran hindern.« Maries Mutter legte den Aufschnitt zurück und holte ein dralles Stück Appenzeller heraus. »Und noch was: Die Mutter von der armen Mirijam hat heute ihre Koffer gepackt und die Familie verlassen. Und du wirst dich ja wohl noch daran erinnern, wie man sich als Kind fühlt, wenn ein Elternteil plötzlich abhaut, nicht?«

Und so war es auch die Schuld von Frau Harsefeld aus Hitzacker, daß ihre Tochter Marie sich bis auf die Knochen blamieren sollte.

Da war er also. Michael Crossing Superstar! Er kam in einer schwarzen Mercedes-Limousine in Begleitung einer ganzen Fußballmannschaft, zu der auch Rebecca Sinares gehörte und ein blondes, blasses, dürres Mädchen, das seine Freundin war und irgendwo auf der Etappe zwischen Pubertätspickeln und Führerscheinprüfung steckengeblieben zu sein schien.

Michael Crossing trug einen kleinen silbernen Ohrring und einen Ziegenbart und eine ellipsenförmige dunkle Sonnenbrille, wie man das so hatte in Hollywood. Gekleidet war er ganz in Schwarz. Schwarzes Gap-Shirt, schwarze 501, schwarze Stahlkappenschuhe ohne Strümpfe.

Um ihn vor den Fans zu schützen, die zu Hunderten mit Agfa Klicks, Plüschtieren und Notizblöcken vor dem Hansson warteten und sich auf ihn gestürzt hätten wie Wespen auf einen Bienenstich, wurde Michael von Ronaldo und Ilka, gefolgt von seiner Entourage, durch die Hotelküche geschleust. Küchenchef Rumpelmayer, der so losbollern konnte, daß er seinem Namen alle Ehre machte, rührte gerade ein Sauerampfersößchen an. »Das soll ein Star sein?« Er schwang bedrohlich den Schneebesen und schnaubte in Richtung seines Kollegen, der neben ihm eine Schalotte in stecknadelkopfkleine Würfelchen hackte. »Den würde ich erst mal in die Waschmaschine stecken.«

Mut hat selbst der kleine Muck, sagte sich Marie am nächsten Morgen, nahm sich einen Stift und einen Aktendeckel, setzte eine geschäftige Miene auf und marschierte direktemang in den achten Stock zur Suite von Michael Crossing. Bißchen wichtigtuerisches Gerede (»Herr Crossing hat um eine Information gebeten, die ich ihm persönlich bringen soll«), bißchen entschlossener Blick, bißchen entschiedener Gang – und schon war sie vorbei am Wachmann und an Michaels blonder blasser Freundin, die die Tür öffnete.

Marie sah sich in der Suite um. Sie war völlig leergeräumt, nur ein Futon lag auf dem Boden. Die Vorhänge waren zugezogen; der Raum wurde von Kerzen illuminiert. Michael Crossing saß auf der Erde und meditierte. Vollkommen versunken war er und schien Millionen von Kilometern und Tausende von Jahren weit weg.

Marie räusperte sich. »Excuse me

Keine Reaktion.

Marie wurde lauter. »Mister Crossing? I’m sorry to disturb you.«

Plötzlich erwachte Michael aus seiner Trance, aus seinem Tran, hätte Mutter Harsefeld abfällig gesagt, sah Marie, die sich ihm Schritt für Schritt näherte, traute seinen Augen nicht, erhob sich langsam und tastete sich rückwärts Richtung Fenster wie ein gejagtes Reh.

Marie ging weiter in seine Richtung. »I would like you to do me a little favour. An autograph!«

Im wahrsten Sinne des Wortes stand Michael jetzt mit dem Rücken zur Wand. »What the hell!«

Immer näher kam Marie. »It’s not for me. It’s for a little girl, you know …«

Michael riß einen der Vorhänge auf, und Tageslicht durchflutete den Raum. Wie ein Wilder fuchtelte er um sich, er trat, er schrie, er ging wie von der Tarantel gestochen auf Marie los, er schlug ihr Aktendeckel und Stift aus der Hand, er schubste sie weg, quer durch den Raum. »What are you shitty German Nazi-Braut doing in my room? Fuck off! Get out of here!«

Während Hollywoods süßester Knackarsch, der Mann, der in Millionen von Teeniezimmern allerliebst vom Bravoposter lächelte, noch um sich schnappte wie ein unter Aufputschmitteln stehender Pitbull, rannte Marie kopflos davon, stolperte in Panik den Hotelflur entlang – direkt in die Arme von Rebecca Sinares und Ilka. Jetzt sterben, betete sie. Lieber Gott, nimm mich zu dir. Schnell! Mach hin!

Den Tränen nahe und kreidebleich, wollte Marie weiterlaufen, nur weg hier, raus, doch Ilka packte sie am Arm. »Marie! Was ist passiert?«

Sie riß sich los, holte ihre Handtasche aus dem Büro und verließ das Hotel, noch bevor ein völlig derangierter Michael Crossing und eine wutschnaubende Rebecca Sinares, wüste Drohungen ausstoßend, mit ihren Limousinen und der Fußballmannschaft und dem blonden blutarmen Mädchen auf Nimmerwiedersehen verschwanden.

Der nächste Morgen war die unverdünnte Hölle. Marie saß in leicht geduckter Haltung am Schreibtisch, als erwartete sie gleich ein paar Schläge auf den Hinterkopf, und sortierte die Post.

Ronaldo kam herein – und grüßte nicht.

Ilka kam herein – und präsentierte ihr die Schlagzeilen der Morgenzeitungen. »Hollywood-Star flüchtet aus Luxushotel« – »Sekretärin bedrängt Michael Crossing« – »Sexsüchtige Sekretärin wollte Autogramm und mehr«. Na, klasse!

Ronaldo kam zu ihrem Schreibtisch. »Das ist wirklich eine Katastrophe, Marie!«

Voller Verachtung schaute Ilka sie an. »Und dann beschwerst du dich, daß du das Country-Hotel-Projekt nicht übernehmen darfst.«

Das ist ja wie Krieg, dachte Marie. Das Telefon klingelte. Sie hob ab und räusperte sich, weil ihre Stimme, wie immer, wenn sie sich auf Däumlingsformat heruntergestutzt fühlte, ganz belegt war. »Nein, Mami! Ich kann und möchte im Moment nicht mit dir sprechen.«

Ronaldo und Ilka gingen in ihre Büros. Marie machte sich wieder an die Arbeit. Half ja alles nichts. Sie griff zu einem schmalen Brieföffner aus verchromtem Stahl und schlitzte das nächste Kuvert auf. Expreß. Kein Absender. Ein großes Schwarzweißfoto von Michael Crossing fiel heraus. Auf der Rückseite eine Widmung: »Sorry for that trouble. Life must go on. Love. Michael.«

Am frühen Abend fuhr Marie zu Mirijam in die Klinik. Das Mädchen humpelte ihr durch den Garten entgegen. Über ihr Gesicht zogen schon die Schlechtwetterwolken einer zu erwartenden Enttäuschung. »Du hast sicher nicht … oder?«

»Doch«, sagte Marie und nahm Michaels Foto aus ihrer Handtasche. Mirijam küßte das Bild wie einen Gesundbrunnen. Ihre Augen glühten vor Freude. Marie übersetzte den Text auf der Rückseite. Sehr frei. »Alles wird gut. Alles wird wieder gut.« Dann weinte sie ein bißchen, weil sie mit allen zerstritten war, die sie liebte, weil sie auf den Arm wollte und weil das Gefühlige in ihr mal wieder die Oberhand gewann.

Ilka hatte auch am nächsten Tag noch eine Mordswut auf Marie. Manchmal konnte sie die Freundin einfach nicht verknusen. Mit ihrem dösigen Verhalten hatte sie das ganze Hotel in Verruf gebracht. Und dann ihr geradezu alpinistischer Ehrgeiz, im Hansson an die Spitze zu kommen. Ilka stand von ihrem Schreibtisch auf, öffnete die Tür zum Sekretariat und sagte kühl: »Ich hätte gerne einen Tee.«

Marie machte auch auf Eisklotz. »Ist alle.«

»Dann organisier welchen! Wir sind ein Hotel. Wir haben mehrere Restaurants.« Man mußte Marie wirklich mal zurechtstutzen. Die Bilder geraderücken. Wo sind wir denn hier? Immerhin war sie die Chefin und Marie ihre Sekretärin.

Zehn Minuten später kam Marie mit dem Tee in Ilkas Büro und knallte die Tasse mit solcher Wucht auf den Tisch, daß ein bißchen von der braunen Flüssigkeit überschwappte und auf einem vor Ilka liegenden Brief einen häßlichen Flecken hinterließ.

Ilka sah nicht auf. »Was gibst du eigentlich gerade, Marie? Die genervte Sekretärin? Oder die gekränkte Freundin? Deine Zickigkeit ist wirklich das Letzte.«

»Du hast mir neulich gesagt: ›Ich weiß, daß ich Fehler mache‹«, sagte Marie. »Ich habe das als Vertrauensbeweis aufgefaßt. Dabei hast du nur damit kokettiert. Ja, ich habe Michael Crossing aus dem Hansson vertrieben. Ja, ich war blöd. Ja, ich mache Fehler. Aber deine Art! Wie du damit umgehst! Du willst mich doch nur klein halten.«

In dem Moment klingelte das Telefon, und Ilka wedelte Marie mit einer Handbewegung aus dem Zimmer.

Kapitel 2

Gab es denn nur noch Papierkorbtage? Die Belegschaft des Hansson wurde wegen des Michael-Crossing-Skandals von der gesamten Branche und der Hamburger Journaille kübelweise mit Häme übergossen. Eine Erkältung machte die Runde. Zudem nistete sich der Schlechte-Laune-Virus ein. Es gab Zank und Zerwürfnisse, Schlammschlachten und Wortgefechte.

Selbst Ronaldo und Ilka lagen im Clinch. Die Stadt Hitzacker hatte die nachträglich eingereichte Baugenehmigung für Schwimmbad und Fitneßcenter des Country Hotels noch nicht bewilligt, was einem Baustopp gleichkam. Und das ausgerechnet jetzt, wo sie schon ins Detail gingen, wo schon Tapeten und Teppichboden ausgesucht wurden und niemand mehr damit gerechnet hatte, daß einem die Behördenhengste noch in die Quere kamen.

Ronaldo gab Ilka die Schuld an der Verzögerung. »Ich habe mich voll auf Sie verlassen! Ich dachte, Sie hätten das im Griff!« schnaubte er und ging in Ilkas Büro auf und ab.

Ilka war verletzt. Sie war es nicht gewohnt, daß jemand so mit ihr sprach. Vor allem nicht Ronaldo, der sie sonst über alle Maßen schätzte. Was konnte sie denn dafür, daß so ein Beamter sich mopste und einen auf Herr Wichtig machte wegen so einer idiotischen Zusatzgenehmigung?

Auch im Schreibpool herrschte dicke Luft. Schuld war die Broschek. Zum einen gab sie an wie ein Sack Sülze. »Schön in Cannes! Croisette … bißchen was einkaufen. Mein Freund läßt mich einfliegen mit seinem Privatjet. Da bin ich unabhängig von den Flugzeiten.« Zum anderen hatte sie das Großraumbüro in ein Minenfeld verwandelt, immer in der Hoffnung, daß ihre Todfeindin Elfie Gerdes auf so viele Tretminen wie möglich trat. Und Elfie, die harmoniesüchtige Elfie, war bald geladen wie eine Briefbombe.

Renee Broschek schien ihr Vergnügen daran zu haben, Elfie von morgens bis abends zu beobachten und zu belauern. Und ihre Vorgesetzte hemmungslos zu kritisieren. »Warum verteilen Sie die Arbeit immer so wahllos? Warum strukturieren Sie sie nicht, ordnen uns bestimmte Bereiche zu?« Sie lächelte süffisant, wie sie da vor Elfies Schreibtisch stand. »Darf ich einen Verbesserungsvorschlag machen?« Säusel, säusel. »Frau Klingenberg alle Hausinterna, Speisekarten, Veranstaltungspläne und so, ich die Korrespondenz, Stefan alles, was in den Druck kommt.«

Dann zuckelte Renee davon, setzte sich wieder an ihren Computer, schoß kleine Papierkügelchen auf Stefan Ahlbaum, die ihn im Nacken kitzelten, haute in die Tasten und gefiel sich ausgesprochen gut. Und Stefan gefiel sie auch.

Haßerfüllt schaute Elfie ihre Intimfeindin an, und die beiden Plastik-Dalmatiner an ihren Ohrläppchen baumelten hin und her.

Marie fühlte sich auch nicht besser. Sie quälte sich mit einer Grippe bis in den frühen Abend, dann machte sie schlapp. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie Feuer in den Knochen, als läge sie abwechselnd in einem Kühlschrank oder auf einem Bollerofen und als bestünde ihr Gesicht nur noch aus vielen widerlichen Details. Die Lippen rauh und aufgedunsen, die Augen verquollen, die Nase rot und schuppig und eine Haut wie Pergament. Igitt! Man kam sich ja vor wie eine Leiche auf Urlaub.

Marie faßte einen Entschluß. Wenigstens mit ihrer Mutter wollte sie Frieden schließen. Und deshalb würde sie am nächsten Morgen nach Hitzacker fahren, weil Kranksein nur daheim schön war, in dem rotgeklinkerten Haus ihrer Eltern, dem man schon von außen ansah, daß es Sonntag mittag immer Schweinebraten gab.

Der Abschied von Ronaldo fiel frostig aus. »Ich bin krank, falls du’s bemerkt haben solltest.« Marie hustete. »Und ich bleibe ein paar Tage zu Hause. Mein Vater holt mich morgen früh ab.«

––