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rowohlts monographien

begründet von Kurt Kusenberg

herausgegeben von Uwe Naumann

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2015

Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten

Redaktion Regina Carstensen

Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier

Umschlaggestaltung any.way, Hamburg

Umschlagabbildung akg-images, Berlin (August der Starke. Kopie [nach 1718] eines Gemäldes von Louis de Silvestre)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

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Satz CPI books GmbH, Leck

ISBN Printausgabe 978-3-50688-8 (2. Auflage 2011)

ISBN E-Book 978-3-644-54121-4

www.rowohlt.de

 

ISBN 978-3-644-54121-4

Anmerkungen

StaD, Loc. 2097, Nr. 37

Förster, Friedrich Christoph: Friedrich August II., König von Polen und Kurfürst von Sachsen, Potsdam 1839, S. 1

Czok, Karl: August der Starke und Kursachsen, Leipzig 1987, S. 11

StaD, Loc. 2097, Nr. 37

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 16

StaD, Loc. 2097, Nr. 37

StaD, Loc. 10291 (921)

Ebenda

Haake, Paul: August der Starke, Berlin/Leipzig 1927, S. 14

Ebenda, S. 37

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 27

StaD, Loc. 2097, Nr. 37

Nadolski, Dieter: Die Ehetragödie Augusts des Starken, Taucha 1996, S. 15f.

Ebenda, S. 28

Fellmann, Walter: Mätressen, Leipzig 1994, S. 16

Haake, Paul: August der Starke, Berlin/Leipzig 1927, S. 37

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 59f.

Ebenda, S. 83

Süßenguth, Mario: Der kulinarische König, München/Berlin 2002, S. 98

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 155

StaD, Loc. 1206, fol. 28

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 86

Vogel, Dagmar: Die Kinder Augusts des Starken, Taucha 1994, S. 11

StaD, Loc. 2097

Ebenda

Ebenda

Ebenda

Ebenda

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 97

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 58

Codex Augusteus I, S. 346

Ebenda, S. 11f.

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 148

Nadolski, Dieter: Die Ehetragödie Augusts des Starken, Taucha 1996, S. 44

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 120

Wagner, Georg: Die Beziehung Augusts des Starken zu seinen Ständen, Diss., Leipzig 1903, S. 162f.

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 80

Held, Wieland: Der Adel und August der Starke, Köln 1999, S. 113

Förster, Friedrich Christoph: Friedrich August II., König von Polen und Kurfürst von Sachsen, Potsdam 1839, S. 166f.

Fellmann, Walter: Mätressen, Leipzig 1994, S. 60

Haake, Paul: Christiane Eberhardine und August der Starke. Eine Ehetragödie, Dresden 1930, S. 121

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 206

Ebenda

StaD, Loc. 2097

Piltz, Georg: August der Starke, Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 133

Ebenda

Süßenguth, Mario: Der kulinarische König, München/Berlin 2002, S. 141

Piltz, Georg: August der Starke, Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 140

Haake, Paul: August der Starke im Urteil seiner Zeit, Dresden 1922, S. 34f.

Piltz, Georg: August der Starke, Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 275

StaD, Loc. 3670

Süßenguth, Mario: Der kulinarische König, München/Berlin 2002, S. 83

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 157

Ebenda, S. 330

Ebenda, S. 163

Ebenda, S. 186

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 212

Vogel, Dagmar: Die Kinder Augusts des Starken, Taucha 1994, S. 23

Süßenguth, Mario: Der kulinarische König, München/Berlin 2002, S. 18

Ebenda, S. 41

Ebenda

Ebenda, S. 94

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 344

Ebenda, S. 326

Ebenda, S. 313

Vogel, Dagmar: Die Kinder Augusts des Starken, Taucha 1994, S. 27

Gerber, Christian: Die unerkannten Wohltaten Gottes in dem Churfürstentum Sachsen, Dresden/Leipzig 1717, Bd. 2, S. 398

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 263

Weber, Ingrid S.: Planetenfeste August des Starken, München 1985, S. 6

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 222

Vogel, Dagmar: Die Kinder Augusts des Starken, Taucha 1994, S. 110

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 316

Vogel, Dagmar: Die Kinder Augusts des Starken, Taucha 1994, S. 135

Vogel, Dagmar: Vorkommnisse am Augusteischen Hof, Taucha 1994, S. 40

Nadolski, Dieter: Wahre Geschichten um August den Starken, Taucha 2000, S. 47

Czok, Karl: August der Starke und Kursachsen, Leipzig 1987, S. 268

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 375

Vogel, Dagmar: Die Kinder Augusts des Starken, Taucha 1994, S. 114

Ebenda

Süßenguth, Mario: Der kulinarische König, München/Berlin 2002, S. 85

Kathe, Heinz: Der «Soldatenkönig» Friedrich Wilhelm I., Berlin 1978, S. 108

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 363

Vogel, Dagmar: Die Kinder Augusts des Starken, Taucha 1994, S. 121

Ebenda, S. 122

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 243

Wilhelmine Friederike Sophie, Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth, Frankfurt am Main 1981, S. 92

Löffler, Fritz: Der Zwinger in Dresden, Leipzig 1976, S. 15

Schreiber, Hermann: August der Starke, München 1995, S. 151

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 370

Beschorner, Hans: Augusts des Starken Leiden und Sterben. In: Neues Archiv für Sächsische Geschichte, Bd. 58, Dresden 1937, S. 73

Piltz, Georg: August der Starke. Träume und Taten eines deutschen Fürsten, Berlin 1986, S. 377

Ebenda

Ebenda

Beschorner, Hans: Augusts des Starken Leiden und Sterben. In: Neues Archiv für Sächsische Geschichte, Bd. 58, Dresden 1937, S. 73f.

Für meinen Vater

Herzog Friedrich August

Am 4. April 1694 tat die zwanzigjährige Sibylla Magdalena von Neitschütz Gräfin Rochlitz ihren letzten Atemzug. Johann Georg IV. warf sich über den Leichnam und bedeckte das Gesicht der Toten verzweifelt mit Küssen. Der sächsische Kurfürst hatte seine Geliebte aufopferungsvoll gepflegt und sich dabei infiziert. Drei Wochen später, am frühen Abend des 27. April, erlag auch er den Blattern. So verlor Sachsen seinen Landesvater und die einjährige Wilhelmine Maria Friederike Comtesse von Rochlitz binnen eines Monats beide Eltern.

Die Nachricht vom Tod des Kurfürsten traf seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Friedrich August vollkommen unvorbereitet. Am 12. Mai 1670 am Morgen gegen neun Uhr geboren, war Friedrich August zunächst gemeinsam mit seinem Bruder erzogen worden. Die ersten Kinderjahre verbrachten die Knaben beim wettinischen Großvater väterlicherseits, Kurfürst Johann Georg II. Das Geschlecht der Wettiner war wohlhabend, besaß ausgedehnte Ländereien, Burgen und Schlösser. Am kurfürstlichen Hof lernte Friedrich August, was es hieß, in die Lebensgewohnheiten des hohen Adels hineinzuwachsen. Johann Georg II. liebte die Jagd, veranstaltete große Feste und rief italienische und französische Künstler nach Dresden.

Seine Enkel erhielten eine standesgemäße Erziehung und lebten im stolzen Bewusstsein, Sprösslinge eines traditionsreichen Fürstenhauses zu sein. Später schrieb Friedrich August über den Großvater: Dieser regierde zeit seiner regierung in ruhe es bliheten unter ihm alle ergezlichkeiten und man kunte sagen das es der schenste hoffe den ein kenig zu der zeit hatte.[1]

Bis 1680 regierte Johann Georg II. das Land, dann übernahm sein Sohn den Kurhut. Johann Georg III. war von seinem Vater behutsam an die Regierungsverantwortung herangeführt worden und hatte 1666 Anna Sophie von Dänemark, die Tochter des dänischen Königs Frederik III., geheiratet. Am sächsischen Hof war bald bekannt – der Kurfürst und seine Gemahlin waren ein Paar, wie es unterschiedlicher nicht hätte sein können.

Anna Sophie führte den Titel «Königliche Hoheit». Sie war eine ernsthafte Dame, die neben ihrer Muttersprache Latein, Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch beherrschte. Während die streng protestantische, hochgebildete Kurfürstin ihre Söhne bereits im zartesten Alter in Fremdsprachen und Religion unterwies, galt ihr Mann als tapferer Haudegen mit flinker Klinge und einem Hang zu Wein, Weib und Gesang. Legendär seine Feste, bei denen es keineswegs nach höfischer Etikette, sondern feucht und fröhlich zuging, bis sich die Gäste kaum noch auf den Beinen halten konnten. Seine Politik war durch großes Engagement im Militärwesen gekennzeichnet, und seine beeindruckten Untertanen gaben ihm nach dem römischen Kriegsgott den Spitznamen «der sächsische Mars».

Ungleich wie die Eltern waren auch die Söhne. Früh zeigte sich, dass der erstgeborene Johann Georg die ernsthaften Anlagen der Mutter, Friedrich August hingegen die robuste Energie und das Temperament des Vaters geerbt hatte. Mit der kräftigen langen Nase und den dunklen Augenbrauen glich er seiner Mutter nur äußerlich.

Anna Sophie legte viel Wert auf die Erziehung der Knaben. Fromme Männer mit gebildetem Geist sollten aus ihnen werden. Zu diesem Zweck wurden drei Erzieher berufen. Johann Ernst von Knoch, der ehemalige Kammerjunker Johann Georgs II., der studiert hatte und juristisch sehr beschlagen war, avancierte zum Hofmeister. Der Musiker Christoph Bernhardi war für den Fremdsprachenunterricht, Italienisch, Französisch und Spanisch, sowie für die musikalische Unterweisung der Knaben zuständig. Wolf Caspar von Klengel sorgte für Kenntnisse in Militärwesen, Festungsbau, Mathematik und Zeichnen. Zudem war es am wettinischen Hof üblich, dass jeder Prinz ein Handwerk erlernte. Die Elfenbeinschnitzereien Friedrich Augusts wurden in der Kunstkammer, dem späteren Grünen Gewölbe, aufbewahrt. Die religiöse Erziehung der Jungen überwachte Anna Sophie persönlich. Von Friedrich August hieß es, dass er, «als er noch nicht reden gekonnt schon allerhand schöne Gebetlein gelernt und ihm bereits im vierten Jahre der Catechismus Doktor Luthers in die Seele gedrückt worden sei»[2].

Die mütterlichen Ermahnungen zu Gottesfürchtigkeit und Nächstenliebe verhallten jedoch ungehört. In den Kinder- und Jugendzimmern der kurfürstlichen Residenz wurde unaufhörlich gezankt.

Friedrich August notierte 1690, man hätte nur stehten Krieg miet einander[3] gehabt. Über seinen Bruder schrieb er: Wahr von Natur und Glietmaßen schwag [schwach], von Gemiette zornig und melanquollich; sehr großes Belieben Wissenschaften zu lernen in welchen er sehr reuchierte [reüssierte – erfolgreich war].[4]

Der schwächliche Johann Georg litt tatsächlich unter dem kraftstrotzenden Jüngeren, der ihm die dynastische Position schon als Knabe neidete. Als Erwachsener erinnerte sich Friedrich August: Dieweil die Natur den ingern [jüngeren] mehr Forteil vor dehm elteren gegeben, wahr er schallus [frz. jaloux = eifersüchtig]; hingegen der ingere misgonte dehm Codrus [Deckname für den Kurprinzen], das die Natur ihm im Gegenteil ihm zum elteren gemacht.[5]

Vater Johann Georg III. sprach ein Machtwort, die Knaben wurden getrennt. Christian August von Haxthausen, der einem westfälischen Adelsgeschlecht entstammte, bekam die Stelle des Hofmeisters für Friedrich August. Als Zweitgeborener trug dieser nicht den Titel des Kurprinzen, sondern den eines Herzogs von Sachsen – und als solchen musste man ihn nicht auf die Regentschaft vorbereiten. Er sollte seinen Weg eines Tages beim Militär machen, und dafür bedurfte es keiner wissenschaftlichen Kenntnisse. Fortan lagen die Schwerpunkte seiner Ausbildung auf Disziplinen wie Reiten und Fechten, auf halsbrecherischen Jagden, um seinen Mut zu beweisen und Befehle zu geben. Die auf diese Weise ein wenig eindimensionale Erziehung führte dazu, dass Friedrich August das Französische zwar sprach, aber niemals richtig schreiben lernte. Auch die deutsche Orthographie passte er dem gesprochenen Wort nach Belieben an und verfasste seine Briefe in reinstem Sächsisch. Nur ein Lehrer vermochte seine Aufmerksamkeit zu erringen, Wolf Caspar von Klengel.

Bei ihm erwarb er militärisches Wissen, lernte Artilleriewesen und die Kunst des Festungsbaus. Vor allem aber weckte Oberlandbaumeister Klengel das Interesse des temperamentvollen Prinzen für die Architektur. Als Teile Dresdens 1685 bei einem Brand vernichtet wurden, beauftragte Friedrich seinen Exlehrer mit einem Plan für den Wiederaufbau. Geldmangel verzögerte die Umsetzung der Entwürfe, bis der Kurfürst sie dreißig Jahre später hervorholte und ihre Ausführung in Form der Dresdner Neustadt befahl.

Wie sein Vater war auch der Herzog von Sachsen den Damen sehr zugetan und verliebte sich 1686, kaum sechzehnjährig, in Marie Elisabeth von Brockdorff, ein Hoffräulein aus dem Umfeld seiner Mutter.

Anna Sophie war entsetzt, entfernte das Mädchen vom Hof und fuhr mit ihrem Sohn nach Dänemark, die königlichen Verwandten zu besuchen. Die Reise lenkte ihn zwar ab, doch ließ sie den verliebten Jüngling seine Angebetete nicht vergessen. Mit artigen Briefen sicherte er sich das Wohlwollen seines Vaters: Durchlauchtigster Churfürst, gnedigster Herr vater. Ich habe meines kind schuldigsten Gehorsam erachtet Ew. Gnaden mit dießen aufzuwarten und zu berichten, daß wir mit Ihr.Majet. gestern wieder hier kommen. Vermelde auch, daß das caronsel [Karussellrennen] künftige woche noch vor sich gehen werde, nach welchen man vermutet Ihr Gnad, balt von hier wieder zurück gehen werde. Hoffe ich also das Glück auch bald zu haben, Ew. Gnad. die Hände zu küssen und unterthänigst zu versichern, daß ich mit schuldigsten respect bin Ew. Gnad. unterthänigster sohn und diener Friedrich August H.[erzog] z.[u] S.[achsen].[6]

Die braven Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Kaum war Friedrich August wieder in Dresden, sorgte sein verständnisvoller Vater dafür, dass Elisabeth von Brockdorff zurück an den Hof geholt wurde.

Inzwischen bereitete Johann Georg III. die Kavalierstour seines jüngeren Sohnes vor. Jeder junge Mann von Stand und Adel hatte eine solche meist mehrjährige Reise zu absolvieren. Sie diente dazu, erlernte Sprachen zu vervollkommnen, die Manieren zu schleifen und sich in Kunst und Architektur zu bilden. Wer etwas auf sich hielt, musste ins Ausland gehen, insbesondere an den französischen Hof zu Versailles. Hier setzte Ludwig XIV. Maßstäbe in Sachen Macht und Pracht. Um das Reisebudget genehmigen zu lassen, teilte der Kurfürst den Direktoren und Geheimen Räten zu Dresden mit, dass er den Herzog in «fremde Lande» zu schicken gedenke, damit er sich «in allen wohlanständigen Fürstlichen Tugenden desto mehr perfectionieren möge».[7]

Am 19. Mai 1687, genau eine Woche nach seinem siebzehnten Geburtstag, brach Friedrich August in Begleitung seines Hofmeisters Christian August von Haxthausen auf. Medicus Dr. Matthäus Pauli und der Theologe Dr. Paul Anton unterstützten den ehrbaren Haxthausen bei den Versuchen, das ungestüme Temperament seines Zöglings in zivilisierte Bahnen zu lenken. Außerdem reisten sein Freund und Kammerdiener Friedrich von Vitzthum zu Eckstädt und ein Stallmeister mit dem kleinen Tross.

Es war allgemein üblich, dass die Fürstensöhne ihre Kavalierstour nicht unter dem eigenen Namen absolvierten. So nahm auch Friedrich August ein Pseudonym an und war als Graf von Leißnigk unterwegs. Mit einem einfachen Grafentitel umging man jedwedes Problem, das die strenge Etikette aufwerfen konnte. Natürlich wusste dennoch jeder, wer da von Hof zu Hof reiste, aber die gastgebenden Fürsten mussten nicht über Begrüßungs- und Tischzeremonielle nachdenken.

Nach kurzen Aufenthalten in Erfurt, Frankfurt am Main und Straßburg ging die Reise nach Paris. Graf von Leißnigk wurde am 24. Juni in Versailles empfangen. Die prächtige und pompöse Lebensweise des Sonnenkönigs beeindruckte den jungen Sachsen sehr. Zum Verdruss seines Hofmeisters absolvierte er allerdings den vormittäglichen Unterricht und die Studien eher lustlos, während die Ausflüge und Besichtigungen am Nachmittag, vor allem aber die abendlichen Theateraufführungen und Gesellschaften schon eher nach seinem Geschmack waren. An seinen Vater schrieb er: […] wie madame la Dauphin mich gar wohl empfangen und sich zu allen gegen mir offeriret, güng nacher auß ihrem gemach auf die lange gallerie, allwo der König zu ihr kam, an welchen sie mich presentierte.[8]

Madame la Dauphin, die Gattin des königlichen Bruders, des Herzogs Philipp von Orléans, und damit die Schwägerin Ludwigs XIV., war Elisabeth Charlotte, genannt Liselotte von der Pfalz. Aus einem Brief an ihre Tante, die Kurfürstin Sophie von Hannover, wissen wir, welchen Eindruck der junge «Graf Leisnigk» auf sie machte: «Ich kann noch nichts recht von selbigen Printzen sagen, er ist nicht hübsch von gesicht, aber doch wohl geschaffen undt hatt all gutte minen, scheint auch daß er mehr vivacitet hatt alß sein Herr Bruder, undt ist nicht so melancolisch, allein, er spricht noch gar wenig, kann also noch nicht wissen, was dahinder steckt, aber so viel ich nun judiciren kann, so hatt er nicht so viel verstandt wie unßer Printz Carl.»[9]

Während der junge Wettiner sich an der Besichtigung von Befestigungsanlagen und militärischen Übungen ergötzte, klagte Hofmeister Haxthausen, Friedrich August zeige gar zu wenig Interesse an Geschichte und Politik, ganz zu schweigen von seinen mangelnden Französischkenntnissen und mäßigen Fähigkeiten beim Tanz.

Im Herbst 1687 ging der Aufenthalt in der französischen Residenz zu Ende, und Haxthausen erstellte ein präzises «Verzeichnis der Ordinari – Monatli. Ausgaben»:

«800

Taler

monatlich, mit dem Wein, ohne das Extraordinaire

175

Hausmiethe

80

für 7 Pferde zu unterhalten und dem Schmiede

34

für die Kutsche, welche der Herr Graf gemietet

224

Kostgeld für den Dekor, den Geistlichen, den Sekretär und andere Bediente

65

für die Exerzitien in der Akademie, für Kopf und Ringrennen

23

für den französischen und spanischen Sprachmeister

15

für den Tanzmeister

50

für den Herrn Grafen [Friedrich August] als Handgeld

7

für den Fortifikationsmeister

160

für Reisen nach Versailles für Oper und Kommödien.»[10]

Mit den so ausgegebenen 1633 Talern blieb Friedrich August zur Freude seines Vaters unter den 2000 genehmigten Talern.

Das nächste Ziel war Spanien. Ende Dezember erreichten die Reisenden Madrid. Der Herzog von Sachsen war vor allem vom Escorial beeindruckt und schwärmte von dem riesigen Granitwerk, das auf Weisung Philipps II. zwischen 1563 und 1585 als Klosterkirche und königliche Begräbnisstätte errichtet worden war. Von dort ging es nach Portugal und vier Monate später wieder zurück nach Paris.

Diesmal nahm der Aufenthalt eine unliebsame Wendung. Ludwig XIV. befand sich mitten in einer Auseinandersetzung um das Erbe seiner Schwägerin Liselotte von der Pfalz. Auch Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen gehörte zum gegnerischen Bündnis. Ludwig XIV. befahl, Friedrich August in Gewahrsam zu nehmen, um den Vater erpressen zu können. Doch noch bevor die französischen Häscher seiner habhaft werden konnten, brach der sächsische Prinz bei Nacht und Nebel auf und verließ im Mai 1688 mit seinen Begleitern das Land, um nach Venedig zu reisen.

Am 11. Januar 1689 traf der Tross in der Lagunenstadt ein. Vor allem der Karneval begeisterte den Prinzen so sehr, dass er bisweilen im bunten Treiben verschwand, um mehrere Tage später völlig mittellos und erschöpft in die Obhut seines Hofmeisters zurückzukehren. Haxthausen hatte es nicht leicht mit seinem Zögling, der kein Vergnügen ausließ und dabei häufig über die Stränge schlug. Immer wieder fand der junge Mann große Freude daran, seine enormen Kräfte vor Publikum unter Beweis zu stellen. Massive Silberteller rollte er wie Papier zusammen, ein Eisenrohr drehte er mit nur einer Hand zur Schraube. Manches Mal überschätzte er seine Stärke und verletzte sich. So auch in Venedig, als ihm eine schwere Marmorplatte aus der Hand glitt und die große Zehe seines linken Fußes zerquetschte.

Als letzte Station der Tour wurde Rom anvisiert, doch Haxthausens Briefe und Berichte nach Dresden führten dazu, dass Johann Georg III. seinen Sohn bereits früher zurückrief. Am 15. April 1689 war er in Wien, am 20. April bereits in Prag, wohin der väterliche Kurfürst ihm entgegenreiste, um ihn Ende Mai sicher und wohlbehalten wieder in Dresden abzuliefern.

Die Franzosen hatten Mainz besetzt, und das sächsische Heer rückte aus, die Eindringlinge in ihre Schranken zu weisen. Friedrich August tauschte die feine höfische Garderobe gegen eine strapazierfähigere Uniform und stürmte mutig mit der vordersten Kolonne auf den Mainzer Festungsgraben. Hier erlitt er einen Streifschuss am Kopf, der ihn für einige Tage buchstäblich außer Gefecht setzte. Kaum genesen, mischte er sich wieder unter die Kämpfenden und lud seine Flinte doppelt, um eine stärkere Schusswirkung zu erzielen. Stattdessen explodierte das Pulver und riss ihm das erste Glied des linken Daumens ab.

Auch diese Verletzung konnte die kämpferische Begeisterung des kurfürstlichen Sprosses nicht bremsen, und in den folgenden Jahren nahm er an verschiedenen Feldzügen teil. Besonderes Vergnügen hatte er, wenn die Waffen für einige Tage schwiegen. Dann nämlich genossen die Offiziere reichlich Alkohol und weibliche Gesellschaft. Auch hier an vorderster Front Friedrich August, der in dieser Zeit seinen Ruf als Zecher und Frauenheld begründete. Was die Damen betraf, so stand ihm sein Freund und ständiger Begleiter, der Schwede Philipp Christoph Graf von Königsmarck, in nichts nach.

Der elegante Kavalier hatte den Ruf eines unwiderstehlichen Herzensbrechers. Über die Exzesse seines sächsischen Freundes äußerte er sich brieflich allerdings manches Mal entsetzt: «Ich will Ihnen eine schmutzige Geschichte erzählen, die der Herzog von Richmond hat ausführen wollen. Er und Herzog Friedrich ergaben sich der Ausschweifung mit Dirnen; die Ausschweifung führte sie so weit, dass, nachdem sie schon alle Arten von Lastern ausprobiert hatten, der Herzog von Richmond die Mädchen zwingen wollte, sich mit einer großen deutschen Dogge gemein zu machen, Sie verstehen mich doch! Das heißt die Ausschweifung ein wenig weit treiben.»[11]

1690 wurde Friedrich August schwer krank. Die Blattern, die Infektion, die später seinen Bruder das Leben kosten sollte, zwangen ihn mehrere Wochen auf das Krankenlager. Ans Bett gefesselt, beschloss er, einen Roman zu verfassen, der allerdings nur wenige Seiten stark wurde. In diesem Loblied auf das Geschlecht der Wettiner schrieb er kurz über die sächsische Geschichte, Großvater, Vater und Bruder, um dann zur eigenen Person zu kommen und sich wie folgt zu schildern: Der wenig achtete und in seiner jugen[d] schon […] zeigte das er von leibe gliederen und constitution stark wehren wierde von gemiette giettig freigebig nichts andres als was eine ehr lihbende sehl anstendig thun sohl liebtr geschickt alle exercitia zu lernen hingegen wohlte er sich zum studiren nicht appliciren sagend er wierd nichts als ein mahl den degen zu seinem fort kohmen bedierffen dero halben ihm in der zarten jugent schon das sohltahten wessen ein gepflanzet wahr.[12]

Dank seiner ungewöhnlich kräftigen Konstitution und des günstigen Verlaufs der Krankheit überstand er sogar die schwächenden Aderlässe der Ärzte und erholte sich. Wieder auf den Beinen, nahm Friedrich August sein exzessives Leben erneut auf und stürzte sich in Kämpfe und Vergnügen.

1691 grassierte die Pest in Dresden. Kurfürst Johann Georg III. verließ die Stadt, um in Freiberg auf Schloss Freudenstein das Ende der Epidemie abzuwarten. Dort starb er an einer Seuche, von der wir nicht wissen, ob es die Pest oder die Cholera war. Seine Witwe Anna Sophie trug schwer an der Last der Verantwortung für ihre Söhne.

Vieles blieb ihr verborgen, doch was ihr von ihrem Jüngsten zu Ohren kam, reichte noch immer, um sie tief zu beunruhigen. Gemeinsam mit Sohn Johann Georg IV., der die Nachfolge seines verstorbenen Vaters angetreten hatte, beschloss sie, dass Friedrich August unverzüglich heiraten sollte. Die nachdenkliche, kluge, bescheidene und fromme Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth schien ihr eine passende Braut zu sein.

Längst war die Fama von der beeindruckenden Trinkfestigkeit und vor allem der Lebens- und Liebeslust des Herzogs von Sachsen bis nach Bayreuth gedrungen. Die Brauteltern gaben Bewerbern aus Dänemark und Pfalz-Neuburg den Vorzug und dachten zunächst nicht daran, ihr braves Töchterchen dem Hallodri aus Dresden anzuvertrauen. Beide Heiratsprojekte zerschlugen sich, und am Ende siegte Anna Sophies Beharrlichkeit. Am 27. August 1692 erklärte sich Markgraf Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth einverstanden mit der Verbindung. Friedrich August schrieb an seine Braut:

Durchleichtigst princessin

Gedreister knecht

[13]