WÄHRUNGS

KRIEG

DER KAMPF UM DIE

MONETÄRE WELTHERRSCHAFT

JAMES

RICKARDS

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3. Auflage 2021

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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »CURRENCY WARS« bei Portfolio, einem Verlag der Penguin Group (USA) Inc.

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Übersetzung: Thomas Pfeiffer, Sigrid Schmid, Heike Schmidt

Lektorat: Moritz Malsch, Buch-Concept

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling


ISBN Print 978-3-89879-686-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-262-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-263-4

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Für Ann, Scott, Ali, Will und Sally – mit Liebe und Dankbarkeit. Und zum Gedenken an meinen Vater, Richard H. Rickards, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat im Pazifik eingesetzt wurde.

»Da nun das Geld gebrach im Lande Ägypten und Kanaan, kamen alle Ägypter zu Joseph und sprachen: Schaffe uns Brot! Warum lässt du uns sterben, darum daß wir ohne Geld sind?«

1. Buch Mose, 47.15

Geleitwort zur deutschen Ausgabe von Daniel Eckert

Als ich mich Ende 2009 daran machte, mein Buch »Weltkrieg der Währungen« zu schreiben, war die Vorstellung, dass Dollar, Euro und Yuan von den Regierungen als Kampfmittel genutzt werden, den meisten Bürgern noch fremd. US-Militärstrategen waren gedanklich schon einen guten Schritt weiter als die Öffentlichkeit: Zu der Zeit fragten die Verteidigungsexperten den Wall-Street-Berater James Rickards, ob er für sie eine geheime Simulation mitgestalten könne. In diesem Kriegsspiel waren die Vereinigten Staaten und vor allem der Dollar das Ziel eines großangelegten finanziellen Angriffs. Der alte Gegner Russland und vor allem China hatten es, so wurde darin simuliert, darauf abgesehen, die Leitwährung zu zerstören. Seine Erfahrungen in dem Planspiel Währungskrieg haben Rickards zu einem eigenen Buch inspiriert. Seiner Beschreibung der virtuellen Attacke auf den Dollar – er nennt es finanzielles Pearl Harbor – liest sich spannend wie ein Krimi und sei jedem Leser ans Herz gelegt. Der Ausgang des Kriegsspiels soll an dieser Stelle nicht verraten werden, nur so viel: Jeder von uns ist betroffen, jeder von uns wird dafür bezahlen – eine Diagnose, zu der auch ich in »Weltkrieg der Währungen« (FinanzBuch Verlag) komme, das jetzt in überarbeiteter und erweiterter Neuauflage vorliegt.

Heute ist der Währungskrieg eine anerkannte Realität, so geschickt ihn die offiziellen Stellen auch zu verbergen suchen. Die Machtzentralen der führenden Wirtschaftsblöcke USA, Europa und China manipulieren ihre Zahlungsmittel, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen. Ebenso wie die wichtigen Nebenakteure Japan, Großbritannien, Russland und die Schweiz nehmen sie in Kauf, dass der Wert des Geldes zerrüttet wird. In diesem riskanten Spiel ums Welt-Geld scheinen die USA die Nase vorn zu haben. Washington ist es gelungen, seine Währung abzuwerten, den anderen »Wachstum zu stehlen« (wie Rickards es nennt), ohne Verwerfungen an den heimischen Kapitalmärkten zu provozieren. Europa hingegen hat sich unbedarft ins finanzielle Chaos stoßen lassen. Wegen der Schuldenkrise fällt der Euro als ernstzunehmende Alternative zum Dollar für geraume Zeit aus. Am geschicktesten nutzt China die Möglichkeiten des Finanzkriegs: Mit konfuzianischer Ausdauer baut es seinen Renminbi zur Weltwährung auf, obwohl der eigentlich keine starke Währung ist.

Konflikte, die mit Zahlungsmitteln ausgetragen werden, sind in der Geschichte keine Seltenheit. Allein das 20. Jahrhundert brachte zwei davon hervor. Den ersten Weltkrieg der Währungen terminiert Rickards auf die Jahre 1921 bis 1936, den nächsten auf den Zwanzigjahreszeitraum von 1967 bis 1987. Der zweite brachte eine große Inflation und die Zerstörung von Millionen privater Vermögen. Der erste war in seiner Wirkung noch verheerender: Er zog die Große Depression nach sich und vergiftete das internationale Klima auf so extreme Weise, dass er dem Zweiten Weltkrieg den Boden bereitete.

Heute liegt ein dritter Weltkrieg der Währungen in der Luft. Der Wohlstand der Welt steht auf dem Spiel. Daher kann es gar nicht genug intelligente Bücher über den Währungskrieg geben. Der Schlagabtausch, der sich im Verborgenen abspielt, muss an die Öffentlichkeit. Der US-Bürger Rickards beschreibt diesen Konflikt aus amerikanischer Perspektive. Ihn beschäftigt vor allem die Frage, wie dem Dollar angesichts der Mammutverschuldung der USA eine Hyperinflation erspart bleiben kann. Uns Europäern bietet dieses Buch gleichwohl viel Aufschlussreiches. Denn je mehr der Weltkrieg der Währungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln ausgeleuchtet wird, je mehr Menschen die Formationen der monetären Schlachtordnung kennen, desto besser. Auf diese Weise wird es den kriegstreibenden Parteien auch in Europa schwerer fallen, unser Geld für ihre Zwecke zu manipulieren und die Weltordnung ins Wanken zu bringen.

Daniel Eckert, Autor von »Weltkrieg der Währungen« und Gewinner des Deutschen Finanzbuch Preises 2014, Berlin im März 2012

Vorwort

Am 15. August 1971, einem ruhigen Sonntagabend, trat Präsident Nixon in der beliebtesten Fernsehshow des Landes vor die Kameras, um den Amerikanern seine New Economic Policy vorzustellen. Die Regierung verhängte nationale Lohn- und Preiskontrollen, setzte einen Aufschlag auf Importe fest und hob die Dollarkonvertibilität zum Gold auf. Durch einen seit längerem schwelenden Währungskrieg, der das Vertrauen in den US-Dollar erschüttert hatte, war das Land in eine Krise gestürzt und der Präsident zu dem Schluss gekommen, dass die Lage extreme Maßnahmen erforderte.

Heute sind wir in einen neuen Währungskrieg verstrickt und bahnt sich eine neuerliche Krise des Vertrauens in den Dollar an. Dieses Mal werden die Konsequenzen weitaus schlimmer sein als jene, mit denen Nixon sich seinerzeit konfrontiert sah. Die voranschreitende Globalisierung und das explosive Wachstum der Derivate und der Kreditfinanzierung in den vergangenen 40 Jahren haben dafür gesorgt, dass finanzielle Panikreaktionen und Epidemien praktisch nicht mehr begrenzt werden können.

Die neue Krise wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Devisenmärkten beginnen und rasch auf die Aktien-, Anleihen- und Rohstoffmärkte übergreifen. Wenn der Dollar kollabiert, werden auch die in Dollar geführten Märkte kollabieren und die Panik sich rasch auf die gesamte Welt ausweiten.

Folglich wird wieder einmal ein US-Präsident – vermutlich Barack Obama – im Fernsehen (und im Cyberspace) vor das amerikanische Volk treten und radikale Maßnahmen ankündigen, um den Dollar vor dem völligen Kollaps zu retten, und sich dabei auf eine ihm kraft seines Amtes zustehende Autorität berufen, die schon einmal von einem amerikanischen Präsidenten in Anspruch genommen worden war. Dieser neue Plan könnte sogar eine Rückkehr zum Goldstandard beinhalten. Falls Gold als Sicherheit verwendet wird, wird sein Preis gegenüber heute um ein Vielfaches höher festgesetzt werden, um die aufgeblähte Geldmenge mit der verfügbaren Quantität an Gold absichern zu können. Amerikaner, die in Gold investiert haben, werden eine »Spekulationssteuer« in Höhe von 90 Prozent auf ihren unverhofften Neureichtum entrichten müssen, verhängt im Namen der Gerechtigkeit. Das Gold, das die Europäer und Japaner derzeit in New York deponiert haben, wird konfisziert und in den Dienst der New Dollar Policy gestellt werden. Natürlich werden die Europäer und Japaner für ihr abhandengekommenes Gold entsprechende Zertifikate erhalten, die sie dann zu neuen, höheren Kursen in »New Dollar« konvertieren können.

Alternativ könnte der Präsident sich gegen eine Rückkehr zum Gold entscheiden und stattdessen mit einer Mischung aus Kapitalverkehrskontrollen sowie einer globalen Geldschöpfung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) für frische Liquidität sorgen und die Situation stabilisieren. Diese weltweite Rettungsaktion durch den IWF wird nicht mit alten, nicht konvertierbaren US-Dollar geschehen, sondern in einer neu gedruckten globalen Währung namens SZR. Das Leben wird weitergehen, aber das internationale Währungssystem wird nicht mehr dasselbe sein.

Das sind keine weit hergeholten Spekulationen. Das alles hat es schon einmal gegeben. Immer wieder sind Papierwährungen kollabiert, wurden Vermögenswerte eingefroren, Goldvorräte konfisziert und Kapitalverkehrskontrollen verhängt. Auch die Vereinigten Staaten waren davor nicht gefeit, im Gegenteil, sie haben von den 1770er- bis in die 1970er-Jahre durch Unabhängigkeitskrieg, Bürgerkrieg, Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation in der Carter-Ära hindurch immer wieder aktiv die Abwertung des Dollars betrieben. Die Tatsache, dass die Währung nun schon seit einer Generation nicht mehr kollabiert ist, ist nur ein Indiz dafür, dass der nächste Crash überfällig ist. Das hat nichts mit Vermutungen zu tun – die Voraussetzungen dafür sind bereits erfüllt.

Unter ihrem Vorsitzenden Ben Bernanke hat sich die US-Notenbank Federal Reserve auf die größte Wette in der Finanzgeschichte eingelassen. Ab 2007 kämpfte die Fed mithilfe einer Senkung der kurzfristigen Zinssätze und großzügiger Kreditvergabe gegen den drohenden ökonomischen Kollaps an. Irgendwann war der Zinssatz auf null gefallen, und es sah aus, als hätte die Fed keine Kugeln mehr im Magazin.

Doch dann, 2008, fand die Fed eine neue Kugel: die quantitative Lockerung. Die Fed beschreibt das Programm zwar als eine Lockerung der finanziellen Rahmenbedingungen durch die Reduzierung der langfristigen Zinssätze, tatsächlich aber handelt es sich um nichts anderes als das Drucken von frischem Geld mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Die US-Notenbank versucht, die Preise für Anlage- und Verbrauchsgüter sowie Rohstoffe aufzublähen, um so die auf einen Kollaps folgende natürliche Deflation auszugleichen. Im Prinzip kämpft sie in einem Tauziehen gegen die Deflation, die normalerweise mit einer Depression einhergeht. Wie üblich beim Tauziehen passiert zunächst nicht viel. Die Teams sind ähnlich stark besetzt, und eine ganze Weile bewegt sich nichts, nimmt nur die Spannung im Seil zu. Irgendwann aber lässt die Kraft auf der einen Seite nach, und sie wird vom Team auf der anderen Seite über die Mittellinie gezogen. Das ist das Spiel, das die Fed betreibt. Sie muss die Inflation anheizen, bevor es zur Deflation kommt. Sie muss das Tauziehen gewinnen.

Beim Tauziehen ist das Seil das Medium, über das die Zugkräfte zwischen beiden Seiten übertragen werden. Um eben dieses Seil geht es in diesem Buch. In dem Wettstreit zwischen Inflation und Deflation ist der Dollar das Seil. Der Dollar trägt die ganze Belastung der einander entgegengesetzt wirkenden Kräfte und überträgt diese Belastung auf die gesamte Welt. Am Wert des Dollar lässt sich ablesen, wer bei diesem Kräftemessen den Sieg davonträgt. Bei diesem Tauziehen handelt es sich allerdings keineswegs um einen sportlichen Wettkampf, sondern um einen ausgewachsenen Währungskrieg und einen Angriff auf den Wert aller Aktien, Anleihen und Wirtschaftsgüter auf der Welt.

In der für die Fed besten allen möglichen Welten steigen die Vermögenswerte, werden die Banken gesünder, schmilzt die Staatsverschuldung, und keiner scheint etwas davon zu merken. Doch indem er in einem beispiellosen Maß frisches Geld drucken lässt, ist Bernanke zu einem Pangloss des 21. Jahrhunderts geworden, der auf das Beste hofft, ohne jedoch auf das Schlimmste vorbereitet zu sein.

Es besteht die sehr reale Gefahr, dass die Gelddruckerei der US-Notenbank unvermittelt in eine Hyperinflation umschlägt. Selbst wenn die Inflation die Verbraucherpreise unberührt lässt, kann sie sich in den Vermögenspreisen niederschlagen und zu Blasen bei Aktien, Rohstoffen, Immobilien und anderen »harten« Vermögenswerten führen – Blasen, die wie die Internetblase 2000 oder die Immobilienblase 2007 früher oder später platzen werden. Die Fed behauptet zwar, über die Instrumente zu verfügen, um eben das zu verhindern, aber diese Instrumente sind bislang weder unter solchen Umständen noch in einem derart großen Maßstab angewendet worden. Die Heilmittel der Fed – höhere Zinssätze und knappes Geld – können auf direktem Wege in genau die Art von Abschwung führen, die zu vermeiden sich die Fed eigentlich auf die Fahne geschrieben hat. Die US-Wirtschaft balanciert auf Messers Schneide zwischen Rezession und Hyperinflation. Millionen von Investoren, Unternehmen und Arbeitnehmern in den USA fragen sich, wie lange die Fed die Balance noch halten kann.

Schlimmer noch, nichts davon ereignet sich in einem Vakuum. Würden sich die geldpolitischen Manipulationen der Fed auf die US-Wirtschaft beschränken, wäre das eine Sache, aber das tun sie nicht. Wenn Dollar gedruckt werden, hat das globale Auswirkungen; mit ihrer Strategie der quantitativen Lockerung hat die amerikanische Notenbank im Prinzip dem Rest der Welt den Währungskrieg erklärt. Viele der befürchteten Auswirkungen des von der Fed gefahrenen Kurses auf die Vereinigten Staaten zeigen sich bereits heute im Ausland. Wenn die USA Dollar drucken, führt das zu einem Anstieg der Inflation in China, zu steigenden Nahrungsmittelpreisen in Ägypten und zu Aktienblasen in Brasilien. Mit dem Rückgriff auf die Notenpresse werten die USA ihre Schulden ab und werden ausländische Schuldner mit billigeren Dollar bedient. Die Abwertung der US-Währung verschärft in Entwicklungsländern die Arbeitslosigkeit, da ihre Exporte für Amerikaner teurer werden. Die daraus resultierende Inflation bewirkt zudem ein Anziehen der Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Erdöl, Mais und Weizen, auf die die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer angewiesen sind. Kein Wunder, dass die ersten Länder schon dabei sind, sich mit Instrumenten wie Subventionen, Einfuhrzöllen und Kapitalverkehrsbeschränkungen gegen die von den USA exportierte Inflation zur Wehr zu setzen. Der Währungskrieg breitet sich rasch aus.

Dass die Fed im Billionen-Maßstab Dollar drucken lässt, mag ein neues Phänomen sein, Währungskriege sind es nicht. Währungskriege gab es schon zuvor – allein im 20. Jahrhundert zwei –, und noch jedes Mal sind sie schlecht ausgegangen. Im besten Fall zeigen Währungskriege das traurige Spektakel von Ländern, die von ihren Handelspartnern Wachstum stehlen. Im schlimmsten Fall arten sie zu einem Wechselspiel aus Inflation, Rezession, Vergeltung und tatsächlicher Gewalt aus, wenn der Wettlauf um Ressourcen mit Invasionen und Kriegen endet. Die historischen Präzedenzfälle sind schon ernüchternd genug, aber die Risiken heute sind noch größer, exponentiell gesteigert durch das Ausmaß und die Komplexität der weltweiten finanziellen Vernetzung und Verflechtung.

Rätselhaft für viele Beobachter ist das krasse Unvermögen der Ökonomen, die wirtschaftlichen Katastrophen der letzten Jahre vorherzusagen, geschweige denn zu verhindern. Ihre Theorien haben nicht nur das Unglück nicht abgewendet, sondern sie verschlimmern die Währungskriege sogar noch. Die neuesten Lösungsvorschläge der Ökonomen, wie die Einführung einer neuer globalen Währung namens SZR, bergen versteckte neue Gefahren, ohne dabei auch nur ein einziges der aktuellen Dilemmata zu lösen.

Zu den neuen Gefahren zählen nicht nur Bedrohungen des wirtschaftlichen Wohlergehens der Vereinigten Staaten, sondern auch ihrer nationalen Sicherheit. Seit die nationalen Sicherheitsexperten traditionell dem Finanzministerium überlassene Währungsfragen unter die Lupe nehmen, rücken kontinuierlich neue Bedrohungen ins Visier, von heimlichen Goldkäufen der Chinesen bis hin zu den heimlichen Agenden großer Staatsfonds. Größer als irgendeine einzelne Bedrohung aber ist die Gefahr, dass am Ende ein Zusammenbruch der amerikanischen Währung steht. Wie hochrangige Militärs und Geheimdienstler inzwischen erkannt haben, können die Vereinigten Staaten ihre einzigartige militärische Vorherrschaft nur mithilfe einer ebenso dominanten Rolle des US-Dollar aufrechterhalten. Das Ende des Dollar würde auch das Ende der nationalen Sicherheit der USA bedeuten.

Auch wenn der Ausgang des gegenwärtigen Währungskriegs noch offen ist: Falls die amerikanischen und globalen Wirtschaftsführer es versäumen, aus den Fehlern ihrer Vorgänger zu lernen, droht uns aller Wahrscheinlichkeit nach in der einen oder anderen Form das Worst-Case-Szenario. Dieses Buch untersucht den aktuellen Währungskrieg aus dem Blickwinkel der Wirtschaftspolitik, der nationalen Sicherheit und historischer Präzedenzfälle. Es entwirrt das Geflecht aus fehlerhaften Paradigmen, naiven Wunschvorstellungen und schlichter Arroganz, das die derzeitige Politik anleitet, und weist den Weg hin zu einem besser informierten und effektiveren Handeln. Am Ende wird der Leser verstehen, warum der neue Währungskrieg der heute weltweit wichtigste Konflikt ist – der Konflikt, dessen Ausgang über den Ausgang aller anderen Konflikte entscheiden wird.

Teil 1 Kriegsspiele

Kapitel 1 –

Kriegsvorbereitungen

»Das gegenwärtige internationale Währungssystem ist ein Produkt der Vergangenheit.«1

Hu Jintao,

Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, 16. Januar 2011

Das Applied Physics Laboratory, auf gut 160 Hektar ehemaligem Ackerland halbwegs zwischen Baltimore und Washington D.C. gelegen, gehört zu den Kronjuwelen in dem von den USA unterhaltenen System streng geheimer Hightech-Laboratorien für angewandte Physik und Waffenforschung. Die Einrichtung arbeitet eng mit dem Verteidigungsministerium zusammen, und zu ihren Spezialgebieten gehören fortschrittliche Waffensysteme und Weltraumerkundung. Mitarbeiter des Labors erzählen Besuchern gerne mit Stolz, dass sich entweder auf der Oberfläche oder doch zumindest in unmittelbarer Nähe des Mondes und jedes einzelnen Planeten im Sonnensystem ein vom APL entwickeltes Gerät befindet.

Das Applied Physics Laboratory wurde 1942 kurz nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour in aller Eile aufgebaut, um mithilfe angewandter Wissenschaft die Entwicklung neuer Waffen voranzutreiben. Ein Großteil der Waffen, die das US-Militär in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs benutzte, war entweder veraltet oder wirkungslos. Das Labor war ursprünglich in einer ehemaligen Gebrauchtwagenhandlung an der Georgia Avenue in Silver Spring, Maryland, untergebracht, die das Kriegsministerium requiriert hatte. Von Anfang an unterlag das Labor der Geheimhaltung, auch wenn sich die Sicherheitsmaßnahmen im Gegensatz zu den hochempfindlichen Sensoren und mehrstufigen Sicherheitsbereichen, die das Labor heute schützen, damals noch auf ein paar bewaffnete Wachposten beschränkten. Die erste Mission des APL bestand in der Entwicklung eines Annäherungszünders für die Flugabwehr, mit dem sich Kriegsschiffe wirksamer gegen Luftangriffe verteidigen konnten und der später neben der Atombombe und dem Radar als eine der drei für den Sieg der USA im Zweiten Weltkrieg wichtigsten technologischen Neuentwicklungen betrachtet werden sollte. Nicht zuletzt wegen dieser frühen Erfolge sind die Programme, das Budget und die Einrichtungen des Labors seitdem kontinuierlich ausgebaut worden. Zu den in den letzten Jahrzehnten am APL für das Verteidigungsministerium und die NASA entwickelten Waffen- und Weltraumsystemen zählen der Tomahawk-Marschflugkörper, das Aegis-Raketenabwehrsystem und als Unikate hergestellte Raumflugkörper.

Über die Waffen- und Weltraumforschung hinaus hat die Tätigkeit des Applied Physics Laboratory für das amerikanische Militär immer schon auch eine ausgeprägte intellektuelle und strategische Komponente aufgewiesen. Eine herausragende Stellung unter diesen abstrakteren Funktionen des APL nimmt das Warfare Analysis Laboratory ein, eine der US-weit führenden Einrichtungen für Planspiele und strategische Planung. Dank seiner Nähe zu Washington D.C. wird das Labor gerne für Kriegführungssimulationen verwendet. Im Laufe der Jahrzehnte sind dort zahlreiche Kriegsplanspiele durchgeführt wurden. Eben aus diesem Grund, zur Durchführung eines vom Pentagon in Auftrag gegebenen Planspiels, kamen an einem regnerischen Morgen im März 2009 rund 60 Experten aus Militär-, Nachrichtendienst- und Wissenschaftskreisen im APL zusammen.3 Dieses Planspiel jedoch sollte anders sein als jedes andere vom US-Militär bis dahin durchgeführte. Laut Einsatzregeln war die Verwendung von, wie das Militär dazu sagt, »kinetischen Mitteln« – sprich Dingen, die schießen oder explodieren – verboten. Keine amphibischen Invasionen, keine Special Forces, keine Zangenbewegungen von Panzerverbänden. Das Pentagon wollte einen globalen Finanzkrieg durchspielen, bei dem nicht Schiffe und Flugzeuge, sondern Währungen und Kapitalkonten zum Einsatz kommen.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die militärische Dominanz der Vereinigten Staaten bei konventionellen und fortschrittlichen High-Tech-Waffensystemen sowie in dem, was die Militärs als 4CI bezeichnen – command, control, communications, computers und intelligence, also Kommando, Kontrolle, Kommunikation, Computer und Informationsbeschaffung –, so überragend, dass kein feindliches Land es wagen würde, sie offen herauszufordern. Das heißt nicht, dass Kriege damit unmöglich geworden wären. Ein Schurkenstaat wie Nordkorea könnte einen militärischen Zwischenfall zum Anlass für einen größeren Angriff nehmen, ohne Rücksicht auf die drohenden Konsequenzen. Und die USA könnten in einen Krieg zwischen Ländern wie etwa dem Iran und Israel hineingezogen werden, sollten sie ihre nationalen Interessen bedroht sehen. Abgesehen von solchen Sondersituationen aber erscheint eine konventionelle militärische Auseinandersetzung mit den USA wegen ihrer drückenden Überlegenheit höchst unwahrscheinlich. Infolgedessen haben rivalisierende Nationen und transnationale Akteure wie die Dschihadisten sich in zunehmendem Maße auf den Ausbau ihrer Fähigkeiten in der nichtkonventionellen Kriegsführung konzentriert, zu der Cyberwarfare, biologische und chemische Waffen, andere Massenvernichtungswaffen und eben in neuester Zeit auch finanzielle Waffen zählen. Das Finanzplanspiel war der erste Versuch des Pentagons, eine Vorstellung davon zu erlangen, wie sich ein tatsächlicher Finanzkrieg abspielen könnte und welche Lehren daraus zu ziehen sind.

Die Vorbereitungen für das Planspiel zogen sich über mehrere Monate hin, und ich war an den Strategiesitzungen und dem Spielaufbau beteiligt, die der eigentlichen Simulation vorausgingen. Auch wenn ein gut gestaltetes Planspiel darauf angelegt ist, unerwartete Resultate zu liefern und die Unwägbarkeiten eines realen Krieges zu simulieren, erfordert es dennoch einen Ausgangspunkt und Regeln, wenn es nicht ins Chaos abgleiten soll. Die Simulationsplaner vom APL gehören weltweit zu den Besten des Faches, aber dieses Finanzspiel erforderte zum Teil völlig neue Ansätze und nicht zuletzt ein Wall-Street-Expertenwissen, das dem typischen Physiker oder Militärplaner abgeht. Diese Lücke zu füllen, war meine Aufgabe.

Meine Verbindung mit dem Labor reicht in den Dezember 2006 zurück, als ich in Omaha, Nebraska, an einem vom U.S. Strategic Command, kurz STRATCOM, ausgerichteten Strategieforum teilnahm. Ich hielt dort einen Vortrag über eine neue Methode namens »Market Intelligence« beziehungsweise, wie Informationsexperten dazu sagen, MARKINT, bei der es darum geht, Kapitalmärkte auf handlungsrelevante Informationen über die Absichten der Marktteilnehmer hin zu analysieren. Hedgefonds und Investmentbanken nutzen derartige Methoden seit vielen Jahren, um sich Informationsvorsprünge im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen und staatlichen Politikwechseln zu verschaffen. Zusammen mit meinen Partnern, Chris Ray, einem erfahrenen Optionshändler und Risikomanager, und Randy Tauss, der kurz zuvor nach 35 Jahren bei der CIA in Pension gegangen war, hatte ich neue Methoden erkundet, diese Verfahren im Bereich der nationalen Sicherheit einzusetzen, um potenzielle Terrorangriffe im Voraus identifizieren und Angriffe auf den US-Dollar frühzeitig erkennen zu können. An der Veranstaltung in Omaha hatten auch mehrere Mitglieder des APL Warfare Analysis Lab teilgenommen, die mich später kontaktierten und wissen wollten, ob wir uns vorstellen könnten, an einer Integration der MARKINT-Konzepte in ihre Forschungen mitzuarbeiten.

So kam es nicht völlig überraschend, als ich im Sommer 2008 einen Anruf erhielt und zu einem vom Büro des Verteidigungsministers finanzierten und vom APL ausgerichteten Seminar zum globalen Finanzmarkt eingeladen wurde. Erklärtes Ziel des für September anberaumten Seminars war es, »die Auswirkungen globaler Finanzaktivitäten auf nationale Sicherheitsfragen zu untersuchen«. Dieses Seminar gehörte zu einer ganzen Seminarreihe, die das Büro des Verteidigungsministers für den Spätsommer und Herbst 2008 als Vorbereitung auf das eigentliche Finanzplanspiel anberaumt hatte. Die Leute vom Pentagon wollten wissen, ob ein solches Planspiel überhaupt möglich und sinnvoll war. Zum Beispiel mussten sie sich Gedanken über die passenden »Teams« machen. Sollten die Teams Länder sein, Staatsfonds, Banken oder eine Mischung aus allem? Außerdem mussten sie über unwahrscheinliche, aber dennoch plausible Szenarien nachdenken, die die Spieler umsetzen konnten. Eine Liste mit Experten musste erstellt werden, die als Teilnehmer infrage kamen, wobei möglicherweise auch Leute rekrutiert werden mussten, die bislang noch keine Erfahrungen mit Planspielen hatten. Und schließlich mussten auch noch die Regeln für die eigentliche Simulation festgelegt werden.

Zum Schutz der höchst sensiblen Arbeit, die in dem Labor stattfindet, sind die Sicherheitsprozeduren für Besucher dort ebenso streng wie in anderen von der US-Regierung betriebenen Militär- oder Geheimdiensteinrichtungen. Sie beginnen mit Vorabuntersuchungen und der Überprüfung des Hintergrunds. Unmittelbar nach der Ankunft werden die Besucher in zwei Kategorien unterteilt – »Keine Begleitung« oder »Begleitung erforderlich« – und erhalten je nachdem verschiedenfarbige Anstecker. In der Praxis macht sich der Unterschied zwar hauptsächlich bei Ausflügen zur Kaffeemaschine bemerkbar, aber die implizite Übereinkunft ist, dass die Träger der »Keine-Begleitung«-Buttons eine aktuelle Sicherheitsfreigabe der höchsten Stufe von ihren jeweiligen Behörden oder Arbeitgebern besitzen müssen. Blackberrys, iPhones und andere digitale Geräte müssen im Sicherheitsbüro abgegeben werden, wo man sie beim Verlassen der Anlage wieder abholen kann. Röntgenscanner, Metalldetektoren, abgestufte Sicherheitszonen und bewaffnete Posten sind Routine. Hat man erst einmal alle Kontrollen durchlaufen, befindet man sich wahrhaftig im Inneren des militärisch-industriellen Komplexes.

An dem Treffen im September nahmen insgesamt rund 40 Personen teil, darunter mehrere bekannte Wissenschaftler, Experten aus Denkfabriken, Geheimdienstbeamte und uniformierte Militärs. Ich war einer von fünf Teilnehmern, die gebeten worden waren, an diesem Tag eine Präsentation zu halten, und mein Thema waren Staatsfonds. Staatsfonds sind riesige Investmentfonds, die von Ländern eingerichtet werden, um überschüssige Reserven zu investieren, viele davon mehrere 100 Milliarden US-Dollar schwer. Bei diesen Reserven handelt es sich im Regelfall um Devisenüberschüsse, zumeist in US-Dollar, die Länder durch den Export natürlicher Ressourcen oder von Industrieerzeugnissen erwirtschaftet haben. Die größten Devisenreserven werden von Erdöl exportierenden Ländern wie Norwegen oder den arabischen Staaten sowie von industriellen Exportgroßmächten wie China oder Taiwan gehalten. Traditionell wurden diese Reserven von den Zentralbanken der jeweiligen Länder auf höchst konservative Weise gemanagt und Investitionen auf sichere, liquide Instrumente wie US-Schatzwechsel beschränkt. Diese Strategie stellte zwar die Liquidität sicher, brachte aber keine hohen Renditen und begünstigte die Konzentration der Portfolios. Mit anderen Worten, die Überschussländer legten ihre Eier alle in einen Korb und erhielten dafür nicht allzu viel Gegenleistung. Aufgrund der in den 1990er-Jahren zum Teil infolge der Globalisierung einsetzenden rapiden Zunahme der Devisenreserven suchten die Überschussländer nach Mitteln und Wegen, wie sie höhere Renditen auf ihre Investitionen erhalten konnten. Eine Aufgabe, für die die Zentralbanken nicht sonderlich gut aufgestellt waren, da es ihnen an den Investmentexperten und Portfoliomanagern zur Auswahl der Aktien, Rohstoffe, Beteiligungsfonds, Immobilien und Hedgefonds mangelte, über die der Weg zu höheren Renditen führte. Deshalb wurden für diese Aufgabe eigene Staatsfonds eingerichtet; die ersten dieser, wie sie im Finanzjargon heißen, SWFs (für sovereign wealth funds) entstanden bereits vor einigen Jahrzehnten, die meisten aber sind erst in den letzten zehn Jahren gegründet und von ihren Regierungen mit gewaltigen Mitteln aus den Zentralbankreserven und dem Auftrag ausgestattet worden, rund um die Welt diversifizierte Portfolios und Investments aufzubauen.

In ihrer grundlegenden Form sind Staatsfonds ökonomisch sinnvoll. Die meisten Mittel werden professionell und ohne geheime politische Agenda im Hintergrund investiert. Doch das ist nicht immer der Fall. Manche Investitionen sind eher von Eitelkeit motiviert, so etwa die Investitionen nahöstlicher Staatsfonds in Formel-1-Rennteams wie McLaren, Aston Martin und Ferrari, andere aber politisch und ökonomisch überaus einflussreich. In der ersten Hälfte der weltweiten Rezession, die 2007 einsetzte, wurden die Bankenrettungspläne hauptsächlich mit Mitteln aus Staatsfonds finanziert. Ende 2007 und Anfang 2008 investierten Staatsfonds über 58 Milliarden US-Dollar in die Stützung der Großbanken Citigroup, Merril Lynch, UBS und Morgan Stanley. China trug sich Anfang 2008 mit dem Gedanken, nochmals eine Milliarde Dollar in die Investmentbank Bear Stearns zu investieren, nahm davon aber wieder Abstand, als sich die Bank Anfang März dem Kollaps näherte. Nachdem diese Investitionen in der Panik von 2008 stark reduziert wurden, musste die US-Regierung die Weiterführung der Rettungspläne mit Steuergeld finanzieren. Die Staatsfonds fuhren bei diesen frühen Investitionen zwar immense Verluste ein, aber die Unternehmensanteile und der damit erworbene Einfluss blieben.

In meinem Vortrag konzentrierte ich mich auf die Schattenseiten der Staatsfondsinvestments, ihre Möglichkeit, mithilfe von Tarngesellschaften wie Trusts, Treuhandverwaltungen, Schweizer Privatbanken und Hedgefonds zu agieren. Diese erfüllen die gleiche Funktion wie das, was man im Geheimdienstjargon »Verbindungsoffizier« nennen würde. Im Schutze solcher Fassadengesellschaften können Staatsfonds dazu benutzt werden, missbräuchlichen Einfluss auf Zielunternehmen zu gewinnen, zum Beispiel, um Technologien zu stehlen, neue Projekte zu sabotieren, die Konkurrenz zu ersticken, Angebotsabsprachen zu treffen oder Märkte zu manipulieren. Ich behauptete nicht, dass derartige Aktivitäten weit verbreitet oder gar die Regel wären, nur dass sie möglich sind und die Vereinigten Staaten geeignete Maßnahmen zum Schutz ihrer nationalen Interessen ergreifen sollten. Über diese konkreten Bedrohungen hinaus warnte ich vor einer noch weit größeren potenziellen Gefahr: der Gefahr eines umfassenden Angriffs auf die westlichen Kapitalmärkte, um den Motor der kapitalistischen Gesellschaft lahmzulegen. Meine Präsentation enthielt Kennziffern und Systemspezifizierungen, anhand derer sich das Verhalten von Staatsfonds überwachen, hinter den Kulissen vorbereitete böswillige Aktionen erkennen und die Angriffspunkte des Finanzsystems – sozusagen die Suezkanäle und Straßen von Hormus des Informationszeitalters – identifizieren lassen, sodass man sie zur Verhinderung oder Abwehr künftiger Finanzattacken überwachen konnte.

Am Ende des zweitägigen Seminars waren die anwesenden Beamten des Verteidigungsministeriums überzeugt, dass das Labor einen soliden Stamm an Experten, Fragestellungen und Bedrohungsanalysen zusammengestellt hatte, auf dessen Grundlage sich das Planspiel eine Stufe weiter führen ließ.

Einen Monat später, im Oktober, kam die Kerngruppe der Experten nochmals im Labor zusammen, um das Finanzplanspiel weiterzuentwickeln. Zusätzlich zu den Gastgebern vom APL und den Projektförderern vom Verteidigungsministerium waren diesmal auch Repräsentanten weiterer Ministerien, darunter des Handels- und Energieministeriums, mehrerer Universitäten, des Naval War College, mehrerer Denkfabriken einschließlich des Peterson Institute und der RAND Corporation sowie weiterer Forschungslabore und ein paar hochrangige Militärs vom Generalsstab anwesend.

Allerdings fehlten, wie mir auffiel, Experten, die Erfahrungen mit den Kapitalmärkten hatten. Ich war der Einzige im Raum, dessen Lebenslauf eine längere Karriere an der Wall Street enthielt und der Zeit in Investmentbanken, Hedgefonds und an Börsen verbracht hatte. Wenn wir einen Finanzkrieg durchspielen wollten, brauchten wir Leute, die wussten, wie man Finanzwaffen einsetzt – wie Front Running, Insiderinformationen, Gerüchte, die Vortäuschung eines hohen Handelsvolumens durch Ringhandel, Short Squeezes und die ganzen anderen Tricks und Kniffe, mit denen an der Wall Street operiert wird. Wir brauchten Leute, die, um es mit den unsterblichen Worten der Bankerlegende John Gutfreund zu formulieren, bereit waren, »einem Bären in den Hintern zu beißen«, wenn es um den Handel mit Währungen, Aktien und Derivaten geht. An Testosteron mangelte es den im Raum versammelten uniformierten Militärs und Geheimdienstlern sicherlich nicht, aber darüber, wie man ein Land mit Credit Default Swaps (CDS) in den Ruin treibt, wussten sie ebenso wenig wie der durchschnittliche Börsenmakler über die Zündfolge von Interkontinentalraketen. Sollte dieses Projekt Erfolg haben, musste ich dem Verteidigungsministerium die Erlaubnis abringen, ein paar meiner Kollegen mit an Bord zu holen, um das Spiel realistischer und damit auch aussagekräftiger für sie zu machen.

Bei diesem Treffen hielt ich einen Vortrag über Futures und Derivate und erklärte, wie man mithilfe solcher Hebelinstrumente die ihnen zugrunde liegenden realwirtschaftlichen Märkte manipulieren kann, darunter auch solche für strategische Rohstoffe wie Öl, Uran, Kupfer und Gold. Ich legte auch dar, wie das Verbot der Regulierung von Derivaten im von Senator Phil Gramm eingebrachten und von Präsident Clinton 2000 unterzeichneten Gesetz zur Modernisierung von Warentermingeschäften, dem Commodity Futures Modernization Act, das Tor weit für ein exponentielles Wachstum des Umfangs und der Vielfalt dieser Instrumente aufstieß, die nun aus den Bilanzen der Großbanken verschwanden und damit praktisch nicht mehr zu überwachen waren. Zum Schluss skizzierte ich, wie Tarnfirmen, Staatsfonds und die Hebelwirkung von Derivaten kombiniert werden könnten, um ein finanzielles Pearl Harbour zu inszenieren, das die Vereinigten Staaten völlig unvorbereitet treffen würde. Die Vorbereitungsseminare begannen ihren Zweck zu erfüllen; die Militär-, Geheimdienst- und außenpolitischen Experten befanden sich jetzt auf derselben Wellenlänge wie die Finanzexperten, und die Gefahren, die von der finanziellen Kriegführung ausgingen, wurden immer deutlicher.

Die dritte Planungssitzung unserer Gruppe fand Mitte November statt, und auch diesmal saßen ein paar neue Gesichter mit am Tisch, darunter hochrangige Beamte aus der Geheimdienstszene. Die Diskussionen drehten sich nun nicht mehr um die Machbarkeit eines Finanzplanspiels; zu diesem Zeitpunkt war der Startschuss schon gefallen, und wir befanden uns bereits in der Phase der Spielkonzeption. Ich stellte detaillierte finanzielle Kriegführungsszenarien vor und plädierte dafür, wegen der komplexen Dynamik der Kapitalmärkte unvorhersagbare, für Angreifer und Verteidiger gleichermaßen überraschende Ergebnisse in die Spielkonzeption aufzunehmen. Am Ende der Sitzung hatten das Verteidigungsministerium und das APL-Spielkonzeptionsteam ausreichend Input von den Experten erhalten, um den schlussendlichen Spielaufbau zu vervollständigen. Nun mussten nur noch die Teilnehmer ausgewählt und ein Termin festgelegt werden, und das Planspiel konnte beginnen.

Nach einigen Verzögerungen und der Ungewissheit in der Zeit der Stabübergabe im Weißen Haus gab die Regierung Obama schließlich grünes Licht, und Ende Januar 2009 wurden die offiziellen Einladungen verschickt. Das Planspiel sollte am 17. und 18. März über zwei Tage hinweg im Warfare Analysis Laboratory des APL stattfinden, und zwar in dem imposanten Lageraum, in dem schon so viele Simulationen durchgeführt worden waren.

Alle Planspiele weisen bestimmte gemeinsame Elemente auf. Es treten zwei oder mehr Teams beziehungsweise Zellen gegeneinander an, die für gewöhnlich nach den beteiligten Ländern oder nach Farben benannt sind. Bei einem typischen Spiel kämpft zum Beispiel eine rote Zelle, üblicherweise die Bösen, gegen eine blaue Zelle, also die Guten, aber es gibt auch Spiele mit mehreren Parteien. Eine weitere kritische Zelle ist die sogenannte weiße Zelle, die aus dem Spielleiter und als Schiedsrichtern eingesetzten Teilnehmern besteht. Die weiße Zelle entscheidet, ob ein bestimmter Spielzug erlaubt ist und welche Partei die jeweilige Spielrunde gewonnen hat. Üblicherweise weisen die Spielentwickler den Zellen konkrete Ziele oder Aufgaben zu; danach wird von den Spielern erwartet, dass sie auf der Grundlage logischer Überlegungen Züge ausführen, die zur Erreichung dieser Ziele beitragen (und nicht etwa unerklärliche Bewegungen vollziehen). Mithilfe von Politikwissenschaftlern, Militärstrategen und anderen Analysten wird das Konzeptteam die alle Spieler betreffenden Ausgangsbedingungen beschreiben – mit anderen Worten, die Startlinie definieren. Schließlich werden noch Machtparameter definiert, anhand derer die relative Stärke jeder Zelle vor Beginn des Spiels festgelegt wird, so wie vor Ausbruch eines Kriegs manche Armeen größer sind als andere oder eine Volkswirtschaft ein größeres industrielles Potenzial hat als eine andere.

Sobald das Spiel begonnen hat, führen die Teilnehmer Züge für jede Zelle durch, während die weiße Zelle je nach ihrer Bewertung des Erfolgs und Misserfolgs eines Zugs den Zellen Punkte gutschreibt oder abzieht. Weitere Spielparameter, die festgelegt werden, sind die Anzahl der Tage, über die das Spiel läuft, und die Zahl der pro Tag erlaubten Züge. Das ist eine wichtige praktische Beschränkung, da die wenigsten externen Experten ihre sonstigen beruflichen Pflichten länger als zwei oder drei Tage am Stück vernachlässigen können.

Ich war zwar kein Kriegsplanspielexperte, aber als der ausgewiesene Fachmann in Sachen Wall Street arbeitete ich Seite an Seite mit den Spielkonzipierern zusammen, um die Welt, die ich kannte, in die Kategorien, Zeitpläne, Regeln und Budgets einzupassen, die sie in ihren Parametern festgelegt hatten. Eines meiner wichtigsten Anliegen dabei war sicherzustellen, dass der Spielaufbau auch unkonventionelle Szenarien zuließ. Schließlich wusste ich, dass bei einem realen Finanzangriff auf die Vereinigten Staaten kaum so offenkundige Züge wie der massive Verkauf von US-Schatzanleihen auf dem offenen Markt ausgeführt würden, da der amerikanische Präsident nahezu diktatorische Vollmachten besitzt, sämtliche Kapitalkonten einzufrieren, über die derartige Marktmanipulationen ausgeführt werden. Bei einem realen Angriff würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwer zu identifizierende Deckfirmen und schwer zu überwachende Derivate zum Einsatz kommen. Vor allem würde ein solcher Finanzangriff aller Wahrscheinlichkeit nach auf den US-Dollar selbst abzielen. Das Vertrauen in den Dollar zu untergraben, wäre weitaus effektiver, als irgendein auf Dollar lautendes Instrument massenhaft auf den Markt zu werfen. Würde der Dollar kollabieren, so würden auch alle in Dollar geführten Märkte kollabieren, und die Macht des Präsidenten, Kapitalkonten einzufrieren, wäre hinfällig. Ich wollte sicherstellen, dass der Spielaufbau einen echten Währungskrieg zuließ, nicht nur einen mit Aktien, Anleihen und Rohstoffen geführten Krieg.

Die letzten Puzzlestücke kamen zusammen. Das Team beschloss, dass wir auf jeden Fall mit einer US-Zelle, einer Russland-Zelle und einer China-Zelle spielen würden. Darüber hinaus sollte es eine Zelle für den Pazifischen Raum geben, der unter anderem Japan, Südkorea, Taiwan und Vietnam angehörten. Das war zwar nicht ideal, weil beispielsweise Südkorea und Taiwan als eigenständige Staaten je nachdem, worum es ging, höchst unterschiedliche Positionen einnehmen konnten, aber diese Art von Kompromissen war unumgänglich, wollten wir das Budget einhalten und das Spiel zum Laufen bringen. Außerdem sollte es noch eine graue Zelle geben, die den Rest der Welt repräsentierte. (Ich war mir nicht sicher, wie erfreut reale Europäer gewesen wären, hätten sie erfahren, dass sie keine eigene Zelle bekamen und sich ihre Plattform mit dem IWF, Hedgefonds und den Cayman Islands teilen mussten.) Schließlich gab es natürlich noch die allmächtige weiße Zelle, die den Kurs festlegte und das Spiel die ganze Zeit über unter Kontrolle hatte.

Das Spiel sollte in drei Zügen über zwei Tage gespielt werden. Zwei Züge sollten am ersten Tag ausgeführt werden, der dritte am zweiten Tag, sodass noch Zeit für eine Nachbesprechung blieb. Jede Zelle sollte einen separaten Raum bekommen, der als »Hauptstadt« diente und in dem sie über ihre Züge beratschlagten, während für den Lageraum Plenarsitzungen vorgesehen waren, auf denen die Zellen ihre Züge ausführen und ihre Gegner reagieren würden. Die weiße Zelle sollte die Plenarsitzungen leiten und je nach Spielverlauf dem »nationalen Machtindex« der Zellen Punkte gutschreiben oder abziehen. Bei jedem Spielzug konnten die Zellen an festgelegten Plätzen bilaterale Gipfel abhalten oder Verhandlungen mit anderen Zellen führen.

Faszinierenderweise sollte jede Zelle mehrere Joker erhalten, die Maßnahmen und Reaktionen ermöglichten, welche in den Eröffnungsszenarien für die einzelnen Züge nicht enthalten waren. Obwohl das zum ersten Mal und mit einem knappen Budget durchgeführt wurde und die Resultate bei Spielbeginn alles andere als absehbar waren, waren wir dank der Kombination aus Gipfeltreffen und Jokern zuversichtlich, dem Pentagon zeigen zu können, wie ein unkonventioneller Finanzkrieg in Realität ablaufen könnte.

Na Sdarovje!

»Jim, ich mache mir Sorgen um dich – du fängst ja an wie ein Russe zu denken«, sagte Steve.

»Von dir ist das ein großes Lob«, erwiderte ich.

»Warum gehst du über die Schweiz und London?«

»Keiner traut den Russen, dass sie sich nicht doch mit dem Gold davonmachen«, antwortete ich. »Den Schweizern und den Briten dagegen traut man. Wenn man also die ganze Sache unter ihren Rechtssystemen abwickelt, werden die Leute keine Angst haben, ihr Gold dort zu deponieren.«

»Richtig. Die Russen suchen seit Jahren nach einem Weg aus dem Dollar-System. Sie versuchen, nach unseren Regeln zu spielen, werden aber jedes Mal über den Tisch gezogen«, sagte Steve. »Das hier wäre perfekt für sie.«

»Also, der Deal sieht folgendermaßen aus«, sagte ich und lehnte mich zu Steve vor. »Wenn du diesen Zug für Russland spielst, sorge ich dafür, dass China mitgeht. Wenn du es nicht schaffst, Russland zu diesem Zug zu bewegen, werde ich versuchen, die Idee von China aus zu zünden. So oder so werden wir sie ins Spiel bringen und versuchen, den Dollar abzuschießen. Das wird die US-Seite ziemlich schockieren. Das Pentagon gibt viel Geld aus, um aus dieser Sache etwas zu lernen. Geben wir ihnen etwas für ihr Geld.«

Steve nahm das Blatt mit der getürkten Presseerklärung, faltete es und steckte es in seine Jackentasche, um es zu Hause nochmals im Detail durchzugehen. Wir kippten unseren Wodka hinunter und brachen auf, entschlossen, unseren heimlichen Angriff auf den Dollar in die Tat umzusetzen.

Steve, O.D. und der Rest von uns waren bereit, den Krieg zu beginnen. In den zwei Tagen, die das Spiel dauerte, sollte es sehr schnell ein Eigenleben entwickeln und einer ganzen Menge Leute die Augen dafür öffnen, wie Märkte funktionieren und wie finanziell verwundbar Länder tatsächlich sind.