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Inhalt

 

Vorwort

Homer

Buddha

Konfuzius

Platon

Aristoteles

Gaius Julius Cäsar

Kleopatra

Jesus von Nazareth

Karl der Große

Marco Polo

Johannes Gutenberg

Jeanne d’Arc

Christoph Kolumbus

Leonardo da Vinci

Nikolaus Kopernikus

Michelangelo

Martin Luther

Heinrich VIII.

Galileo Galilei

William Shakespeare

René Descartes

Ludwig XIV.

Isaac Newton

Johann Sebastian Bach

Friedrich der Große

Jean-Jacques Rousseau

Immanuel Kant

Katharina die Große

George Washington

James Watt

Johann Wolfgang von Goethe

Wolfgang Amadeus Mozart

Friedrich Schiller

Napoleon Bonaparte

Ludwig van Beethoven

Jacob und Wilhelm Grimm

Louis Daguerre

Justus von Liebig

Charles Darwin

Abraham Lincoln

Otto von Bismarck

Karl Marx

Florence Nightingale

Gregor Mendel

Henri Dunant

Hedwig Dohm

Johann Philipp Reis

Bertha von Suttner

Robert Koch

Carl Friedrich Benz

Worterklärungen

Der Autor

Der Illustrator

 

 

 

Begriffe, die im Text kursiv gesetzt sind, werden am Ende erklärt. Wird innerhalb der einzelnen Biografien Bezug auf eine ebenfalls in diesem Buch vorgestellte Person genommen, ist deren Name fett hervorgehoben.

Vorwort

Es gab in den vergangenen 2500 Jahren so viele bedeutende Menschen, dass ihre Lebensgeschichten nicht alle in ein Buch passen würden. Auch nachdem wir uns entschlossen haben, zwei Bände zu machen, war nicht genügend Platz. Die schwierigste Frage bei der Vorbereitung dieses Werkes war also: Wer muss dabei sein? Irgendwann hatte ich eine Liste mit knapp 300 Persönlichkeiten. Aber es durften eben insgesamt nur 100 sein. Deswegen musste ich Namen um Namen streichen.

Bei manchen war ich lange Zeit hin und her gerissen, habe sie erst weg-, dann wieder dazugenommen und während der Recherche endgültig gestrichen. Von anderen habe ich erzählt, die fertigen Texte aber dann doch nicht aufgenommen. Zu ihnen gehört der Prophet Mohammed. Und das hat einen besonderen Grund: Das Konzept des Werkes sah vor, dass der Künstler Dieter Wiesmüller die 100 Menschen im Porträt darstellt. Weil der Prophet Mohammed nicht bildlich dargestellt werden darf, wir aber nicht »eine« Ausnahme machen wollten, mussten wir leider auf ihn verzichten – obwohl man ihn und seine Botschaft wirklich kennen sollte.

Das entscheidende Kriterium für die Aufnahme in das Werk war, dass ein Mensch etwas zum ersten Mal gedacht, gemacht oder geschaffen hat. Dass manche das ohne die Leistungen anderer nicht geschafft hätten, ist keine Frage. So konnte zum Beispiel Neil Armstrong nur als erster Mensch den Mond betreten, weil viele Wissenschaftler und Techniker dafür jahrelang »Vorarbeiten« geleistet hatten. Aber er war eben der erste Mensch auf dem Mond, deswegen wird von ihm erzählt.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie an seiner Geschichte und an den Geschichten der 99 anderen Menschen viel Freude haben – und alle am liebsten noch besser kennenlernen möchten.

Manfred Mai, im April 2014

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Homer

(8. Jh. v. Chr.)

Die »Ilias« ist das älteste Werk der europäischen Literatur. In ihr wird die Geschichte des Trojanischen Krieges erzählt. Rund zweieinhalb Jahrtausende galt das Werk als reine Dichtung.

Um 1830 las ein deutscher Junge namens Heinrich Schliemann (1822–1890) die spannende Geschichte vom Kampf der Griechen gegen die Trojaner – und glaubte jedes Wort. Er war auch überzeugt, dass die mächtigen Mauern von Troja nicht niedergebrannt waren. Niemals! Troja gab es noch und er würde es finden!

Nachdem er als Kaufmann zu sehr viel Geld gekommen war, erfüllte sich Schliemann im Alter von 50 Jahren seinen Kindheitstraum und machte sich auf die Suche nach Troja. Tatsächlich stieß er in Kleinasien auf einem Hügel an den Dardanellen auf die Spuren einer Siedlung, die zu den Beschreibungen in der »Ilias« passten. Heute geht man davon aus, dass es sich dabei wirklich um das sagenumwobene Troja handelte.

Als Schöpfer der »Ilias« und damit als Urvater der europäischen Literatur gilt Homer. Lange wurde bestritten, dass er wirklich gelebt hat. Einige Zeit gingen Wissenschaftler davon aus, dass es sich bei Homer um eine erfundene Person handelt. Dann wurde auch die Meinung vertreten, er sei nicht eine Person gewesen, sondern zwei. Zweifelsfrei konnte nie geklärt werden, wer Homer war, wann genau er gelebt und welchen Anteil er an der Entstehung der »Ilias« und ihrer Fortsetzung, der »Odyssee«, hat. Und wie sein Leben liegt auch seine Herkunft im Dunkeln; schon in der Antike beanspruchten gleich sieben Städte, sein Geburtsort zu sein.

Der Geschichtsschreiber Herodot (um 480–424 v. Chr.) ging von »einer« historischen Person aus. Homer soll so etwas wie ein Star gewesen sein, weil er die Heldengesänge vom Trojanischen Krieg beeindruckender vortragen konnte als andere Sänger. Er habe an Fürstenhöfen seine Kunst dargeboten und die Mächtigen seiner Zeit damit begeistert.

Ein anderer, heute unbekannter Geschichtsschreiber verfasste etwa zur gleichen Zeit eine »Vita Homeri«, eine Lebensbeschreibung Homers. Darin berichtete er, der ursprüngliche Name des Sängers sei Melesigenes gewesen; er bedeute »der am Meles Geborene«. Dieser Fluss sei an Smyrna (heute Izmir) vorbeigeflossen. Weil es über die Eltern des Sängers keine eindeutigen Hinweise gebe, sei sogar behauptet worden, er müsse ein »Daimon« gewesen sein, also ein übermenschliches Wesen.

Ein Daimon war Homer sicher nicht. Heute geht man davon aus, dass er in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. bei Smyrna in Kleinasien geboren wurde. Der Überlieferung nach erblindete er im Alter, weshalb später oft von dem »blinden Sänger« gesprochen wurde.

Homer hat die Geschichte vom Trojanischen Krieg nicht erfunden. Sie wurde in Kleinasien seit Jahrhunderten erzählt und mündlich weitergegeben. Die große Leistung Homers war, die zum Teil sehr unterschiedlichen Fassungen zu einer Geschichte verarbeitet, zum ersten Mal aufgeschrieben und künstlerisch gestaltet zu haben. Voraussetzung dafür war, dass er mehrere Sprachen verstehen konnte und eine Schrift beherrschte. Beides war für die damalige Zeit ziemlich ungewöhnlich.

Bereits im Altertum galt Homer als herausragender Dichter. Er wurde zum Vorbild und Lehrmeister der fahrenden Sänger, die seine Werke im gesamten griechischen Sprachraum verbreiteten. Die »Ilias« und die »Odyssee« hatten großen Einfluss auf die griechische Sprache, Literatur und Philosophie – und nicht nur das: Auch später wurden Dichter und Denker in der ganzen Welt von Homers Werken inspiriert. Für den ungarischen Philosophen Karl Kerényi (1897–1973) sind die »Ilias« und die »Odyssee« die ersten Romane der Weltliteratur, »die sozusagen alle späteren im Keim enthalten«.

Bis heute gibt es in allen Weltsprachen Übersetzungen und Nacherzählungen, ebenso zahlreiche Verfilmungen. Denn die Geschichten vom Trojanischen Krieg und von den Abenteuern des Odysseus haben in fast 3000 Jahren nichts von ihrem Reiz verloren.

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Buddha

(um 560–480 v. Chr.)

Der Überlieferung nach wurde Siddharta Gautama um 560 v. Chr. geboren; manche Wissenschaftler nehmen an, es sei rund 100 Jahre später gewesen. Doch wichtiger als das genaue Datum ist das Umfeld, in dem er lebte.

Prinz Siddhartas Vater regierte ein kleines Königreich im heutigen Grenzgebiet zwischen Indien und Nepal. Der Prinz wuchs in einem prächtigen Palast umgeben von Luxus auf. Er hatte alles, was das Herz begehrt – und von den Schattenseiten des Lebens keine Ahnung. Das sollte er auch gar nicht, deswegen durfte er den Palast lange Zeit nicht verlassen.

Schon mit 16 Jahren wurde er verheiratet und bekam später mit seiner Frau einen Sohn. Doch je älter er wurde, desto mehr spürte er, dass ihm in seinem goldenen Käfig etwas fehlte. Er wollte hinaus, um die Welt außerhalb des Palastes zu sehen. Bei drei Ausflügen traf er Menschen, die krank, alt und gebrechlich waren, und er sah zum ersten Mal im Leben einen Toten. Das erschütterte den Prinzen und machte ihn sehr nachdenklich.

Bei seinem vierten Ausflug traf er einen Bettelmönch, der nur besaß, was er am Leib trug, und trotzdem zufrieden war. Diese Begegnung beeindruckte Siddharta tief. Er begriff, dass der arme Mönch glücklicher war als er, der reiche Prinz. Da beschloss er, das Leben im Palast zu beenden. Der 29-Jährige verließ seine Familie, um sich auf die Suche zu machen, ohne schon genau zu wissen, wonach er suchte.

Sechs Jahre lang war Siddharta unterwegs. Er lebte mit Menschen zusammen, die wie er nach dem wahren Leben strebten, einem Leben ohne Leiden. Er traf die besten Lehrer, um von ihnen zu lernen, wie das Leiden zu überwinden sei. Sie verzichteten auf allen Besitz und alle Genüsse und dachten über den Sinn des Lebens und Sterbens nach. Sie lehrten ihn auch, durch Meditation zur Ruhe zu kommen. Nun saß er oft unter einem Feigenbaum, um zu meditieren. Dabei vergaß er alles um sich herum und schien nicht mehr in dieser Welt zu sein. Durch die innere Ruhe wurde er hellwach und gelangte zu der Erkenntnis, dass der Kreislauf von Leben und Sterben wie ein Traum ist, aus dem man erwachen kann. Von diesem Zeitpunkt an wurde er Buddha genannt. Das heißt: der vollkommen erwachte, erleuchtete Weise.

Buddha hatte erkannt, dass die Menschen leiden, weil sie immer irgendetwas haben wollen und auf andere Menschen neidisch sind.

Dieses Leiden können sie überwinden, wenn sie sich die Mühe machen, seinem Beispiel zu folgen, und den richtigen Weg erkennen. Wichtig ist, sich nicht von egoistischem Denken leiten zu lassen, sondern bei seinem Handeln auch an andere zu denken. Wer Leiden vermeiden will, muss Gutes tun. Er darf kein Lebewesen absichtlich töten oder verletzen; und er muss die notwendige Ruhe und Wachheit finden, um in der Meditation die Erleuchtung zu erlangen.

Wer es schafft, diesen Weg zu gehen, wird nicht mehr von seinen Wünschen gepeinigt, sondern ist wunschlos glücklich. Wer dahin kommt, dass er nichts mehr begehrt, gelangt ins »Nirwana«, was »Verlöschen, Verwehen« heißt. Für Buddha ist das Nirwana kein Ort und kein Jenseits; es ist nicht mit Worten zu beschreiben. Deshalb hat er jede Aussage über das Nirwana verweigert. Eines stand für Buddha allerdings fest: Wer ins Nirwana gelangt, hat damit den Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt verlassen.

45 Jahre wanderte Buddha durch Indien, verkündete seine Lehre und gewann viele Anhänger. Im Alter von 80 Jahren starb er in Kushinagar, einem Ort nahe der Grenze zu Nepal.

Weil Buddha selbst keine Schriften hinterlassen hat, wurde seine Lehre zunächst mündlich weiterverbreitet und entwickelte sich mit der Zeit zum Buddhismus, einer Weltreligion, der heute etwa 400 Millionen Menschen angehören. Wie um alle Religionsgründer ranken sich auch um Buddha viele Geschichten. Welche davon wahr und welche erfunden sind, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen.

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Konfuzius

(551–479 v. Chr.)

Konfuzius ist die lateinische Form des chinesischen Namens Kong Fuzi, was Meister Kong bedeutet. Er war Chinas erster namentlich bekannter Philosoph. Seine Lehre, die man später Konfuzianismus nannte, hat das chinesische Denken und Handeln viele Jahrhunderte stark beeinflusst und wirkt bis heute nach.

Konfuzius entstammte einem alten Adelsgeschlecht, das im Lauf der Zeit verarmte. Der Überlieferung nach starb sein Vater, als Konfuzius zwei Jahre alt war. Bei seiner noch jungen Mutter wuchs er in ärmlichen Verhältnissen auf. Vom zwölften Lebensjahr an kümmerte sich sein Großvater um die Erziehung des Jungen. Dieser Privatunterricht dauerte sechs Jahre und beinhaltete das Erlernen und Üben der sechs Künste: Schreiben, Rechnen, Musik, Tanzen, Bogenschießen und Wagenlenken.

Vermutlich liegt in der engen Beziehung zu seinem Großvater eine Ursache dafür, dass es Konfuzius besonders wichtig war, die Vorfahren zu ehren, die noch lebenden und die toten. Das zeigte sich auch in seiner Philosophie, nach der die alten Traditionen bewahrt und, wo nötig, wiederbelebt werden sollten.

Mit 19 Jahren heiratete Konfuzius und wurde ein Jahr später Vater eines Sohnes. Nun galt es, die Familie zu ernähren. Konfuzius arbeitete für verschiedene Herren in niederen Positionen. In jeder freien Minute las und lernte er. Sein erworbenes Wissen wollte er aber nicht für sich behalten, sondern weitergeben. Er gründete eine eigene Schule, in der er Geschichte, Dichtkunst und Musik unterrichtete.

Im Alter von 33 Jahren unternahm er mit zwei seiner Schüler eine Bildungsreise, um mehr über traditionelle chinesische Sitten und Gebräuche zu erfahren. Je mehr er von der alten Zeit wusste, desto klarer wurde für ihn, dass Staat und Gesellschaft zerrüttet waren. Es musste die gute alte Ordnung wiederhergestellt werden, in der jeder wusste, wo sein Platz war und wie er sich zu verhalten hatte. Der Untertan hatte dem Herrscher zu gehorchen, der Sohn dem Vater, der Jüngere dem Älteren, die Ehefrau ihrem Mann. Doch der Obere durfte nicht egoistisch und willkürlich handeln, sondern nur im Rahmen der Gesetze und der Traditionen. Stets musste er das Wohl des Untergebenen im Auge haben.

Mit der Zeit wuchs das Ansehen von Konfuzius. Im Alter von 50 Jahren wurde er Stadtgouverneur von Dschung-Du und drei Jahre später bot ihm sein Landesfürst das Amt des Justizministers an. Konfuzius sah eine große Chance, seine Vorstellungen von einem gerechten Zusammenleben nun auch politisch umzusetzen. Allerdings hielt er nichts davon, die Menschen mit Gewalt zur Einhaltung der Gesetze zu zwingen; vielmehr sollten sie aus eigener Einsicht richtig handeln. Dazu war eine umfassende Bildung nötig.

Diesen Ansatz hielten manche in der Regierung für falsch und gefährlich. Sie drängten Konfuzius aus dem Amt; er musste nicht nur zurücktreten, sondern auch das Land verlassen. Von 497 bis 483 v. Chr. führte er ein unstetes Leben. Zusammen mit einigen Schülern zog er herum und versuchte mehrfach, bei herrschenden Fürsten Einfluss zu gewinnen, was ihm aber nicht gelang. Angeblich entging er einmal nur knapp einem Mordanschlag.

Nach 14 Jahren durfte er in seine Heimat zurückkehren, aber kein Amt mehr antreten. So bemühte er sich, den Kreis seiner Schüler zu erweitern, um seine Gedanken durch sie zu verbreiten.

Nach Konfuzius ist der ideale Mensch ein »edler« Mensch. Zum »Edlen« gehören Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit, Achtung vor den Ahnen, Einhaltung der bewahrenswerten Traditionen. Konfuzius wusste, dass ein Ideal niemals erreicht werden kann. Aber jeder Mensch müsse sich bemühen, ihm so nahe wie möglich zu kommen, fand er.

Eine zentrale Aussage seiner Lehre lautet: »Füge niemandem etwas zu, von dem du nicht willst, dass es dir zugefügt wird.«

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Platon

(um 427–347 v. Chr.)

Als Platon in Athen geboren wurde, war Griechenland noch kein einheitlicher Staat; es gab viele Klein- oder Stadtstaaten, die die Griechen »Polis« nannten. Athen war einer davon. Dort hatte sich in jener Zeit eine völlig neue Herrschaftsform entwickelt: die Demokratie. Für die männlichen Bürger Athens denn Frauen blieben von den Ämtern ausgeschlossen und besaßen auch kein Wahlrecht – galt nicht mehr das Prinzip von Befehl und Gehorsam, sondern von Rede und Gegenrede. Mit diesem öffentlichen Nachdenken und Reden, bei dem eine Sache von allen Seiten beleuchtet wird, haben die Athener sozusagen nebenbei die Philosophie erfunden. Nun waren neue Gedanken über Götter und Menschen, über Himmel und Erde möglich. Doch die Demokratie und die neuen Gedanken gefielen nicht allen Athenern.

Als Sohn einer vornehmen und reichen Familie erlebte Platon in seiner Jugend den Niedergang der Demokratie, den Aufstieg des Feldherrn Alkibiades zum Führer Athens, dessen baldigen Sturz und die anschließende »Herrschaft der Dreißig«. Während der acht Monate, die sie an der Macht waren, ließen sie mehr als 1500 Gegner ermorden.

Über diese schlimme Zeit schrieb Platon im Alter: »Einst, als ich jung war, erging es mir wie vielen anderen. Ich glaubte nämlich, sobald ich mündig geworden sei, mich sofort mit den öffentlichen Angelegenheiten der Stadt befassen zu müssen.«

Das tat er nicht, obwohl die 30 Tyrannen gestürzt wurden. Doch von der neu gewählten demokratischen Regierung wurde er tief enttäuscht, denn sie klagte seinen Lehrer und Freund Sokrates wegen »Gottlosigkeit und verderblichem Einfluss auf die Jugend« an. Platon verfolgte den Prozess im Gerichtssaal und musste miterleben, wie Sokrates, dessen Schüler er acht Jahre lang gewesen war, mit zweifelhaften Argumenten und »Beweisen« zum Tod verurteilt wurde.

»Bei der Betrachtung solcher Vorgänge und der Menschen, welche damals an der Spitze der Staatsverwaltung standen, ferner bei näherer Prüfung der Staatsgesetze und der sittlichen Gewohnheiten der Bürger, schien mir die Verwaltung eines Staatsamtes mit der Vernunft desto schwerer vereinbar, je tiefer ich in diese Zustände blickte und je mehr ich dem reiferen Alter zuschritt«, schrieb Platon. »So beschloss ich, zwar nicht vom Nachdenken über mögliche Verbesserungen dieser politischen Zustände und der Staatsverfassung ganz abzulassen, mit einem tätigen politischen Wirken aber bis auf bessere Zeiten zu warten.«

Die besseren Zeiten kamen nicht, Platon wurde nicht Staatsmann, wie er es sich einmal vorgestellt hatte; seine hohen moralischen Ansprüche ließen sich mit der Politik nicht vereinbaren. So nahm sein Leben einen anderen Verlauf, er widmete sich ganz der Philosophie.

Um sich weiterzubilden, reiste er nach Ägypten, Kyrene (im heutigen Libyen), Süditalien und Sizilien. Nach zwei Jahren kehrte er zurück und gründete die »Akademie«, eine Philosophenschule, die fast 1000 Jahre bestand. Ein Ergebnis seines Nachdenkens war sein Buch »Politeia« (»Der Staat«), in dem er unter anderem einen idealen Staat entwarf. Darin formuliert er einen zentralen Grundgedanken: Alles Übel und Elend in der Politik wird erst dann aufhören, »wenn entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten, oder die jetzt sogenannten Könige und Herrscher sich aufrichtig und gründlich mit der Philosophie befassen, und dies beides in eins zusammenfällt, Macht im Staat und Philosophie«.

Platons Entwurf eines idealen Staates wurde zum Urtext in der Geschichte der Staatsideen. Viele Denker und Dichter, die später eigene Staats- und Gesellschaftsmodelle entwickelten, bezogen sich auf ihn.

In den letzten Jahren seines Lebens wuchs Platons Ansehen und das seiner Akademie stetig. Von weit her kamen junge Männer nach Athen, um in der Akademie zu lernen. Platons begabtester Schüler war Aristoteles.

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Aristoteles

(384–322 v. Chr.)

Neben Sokrates und Platon wird auch Aristoteles genannt, wenn von den großen Philosophen der griechischen Antike die Rede ist – dabei war er doch der erste Naturwissenschaftler. Was heute ein Widerspruch zu sein scheint, war damals keiner. Denn zur Philosophie gehörten für die alten Griechen alle Wissensgebiete.

Aristoteles’ Vater war Leibarzt des Königs von Makedonien, seine Mutter stammte aus einer Arztfamilie. So war es nicht verwunderlich, dass Aristoteles ursprünglich auch Arzt werden wollte. Schon als Junge sezierte er kleine Tiere, um zu erkennen, wie die Organe miteinander verbunden sind und funktionieren. Er verglich die verschiedenen Tiere, stellte Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest. Diese Vorgehensweise ist die erste Stufe des naturwissenschaftlichen Arbeitens: Beobachten der Natur, Zusammentragen der dadurch gewonnenen Erkenntnisse, Ordnungen bilden, Schlussfolgerungen ziehen.

Weil er mehr wissen und verstehen wollte, ging er als 17-Jähriger nach Athen, um an Platons berühmter Akademie zu studieren. Gut 20 Jahre blieb er dort, erst als Schüler, später als Lehrer. Obwohl er Platon verehrte, hielt Aristoteles manches an dessen Philosophie nicht für stimmig und entwickelte eigene Gedanken und Theorien.

347 v. Chr. starb Platon. Doch nicht Aristoteles wurde zum neuen Leiter der Akademie berufen, sondern ein Neffe Platons, der als Gelehrter unbedeutend war. Aristoteles war enttäuscht und verließ Athen.

Zwei Jahre lebte er am Hof des Fürsten Hermias, der in seiner Jugend an der Akademie studiert hatte und seitdem mit Aristoteles befreundet war. Dieser heiratete eine Nichte von Hermias und zog mit ihr nach Mytilene auf der Insel Lesbos.

Im Jahre 343 v. Chr. bat ihn der makedonische König Philipp II., seinen damals 13-jährigen Sohn Alexander – später aufgrund seiner militärischen Erfolge »der Große« genannt – zu unterrichten. Damit bot sich Aristoteles die Möglichkeit, einen angehenden König zu einem Philosophen zu machen, so wie es Platon vorgeschwebt hatte. Historiker bezweifeln allerdings, dass ihm das gelungen ist.

Nachdem Alexander im Jahr 336 v. Chr. seinem Vater auf den Thron folgte, zog Aristoteles wieder nach Athen und gründete eine eigene Schule, die schon bald einen besseren Ruf genoss als Platons Akademie. Aristoteles nahm seine Studien wieder auf und beschäftigte sich vor allem mit der Frage, wie die Erscheinungen der Natur und des Lebens geordnet werden können. Das zu leisten, war seiner Meinung nach die Aufgabe der verschiedenen Wissensgebiete innerhalb der Philosophie.

Im Bereich des politischen Lebens hat Aristoteles zum Beispiel die verschiedenen Herrschaftsformen beobachtet und dann eine Ordnung formuliert, die Schüler bis zum heutigen Tag lernen: die erste Staatsformenlehre.

 

Staats- und Herrschaftsformen

Anzahl der Herrscher: Rechtmäßige Herrschaft Unrechtmäßige Herrschaft
Einer Monarchie Tyrannis
Einige Aristokratie Oligarchie
Alle Republik Demokratie

Die drei »rechtmäßigen« Staats- und Herrschaftsformen dienen dem Wohl der Allgemeinheit, die drei »unrechtmäßigen« dienen nur dem Wohl der Herrschenden. Die Demokratie, also die Volksherrschaft, zählte Aristoteles zu den schlechten Herrschaftsformen, weil seiner Meinung nach die vielen einfachen Menschen nicht in der Lage sind zu erkennen, was zum Wohl der Allgemeinheit notwendig ist.