Alfred Michael Andreas Bunzol

Augenzeugenbericht
des Häftling Nr.  738 im KZ

Buchenwald
1937  1945

Die Leben des Buchenwaldhäftlings
Alfred Bunzol 738

Verlag Rockstuhl

Impressum

Umschlaggestaltung: Harald Rockstuhl, Bad Langensalza

Titelbild: Sammlung Buchenwaldarchiv

ISBN 978 - 3-86777 - 277-8, gedruckte Ausgabe 2011

1. E-Bookauflage 2014

ISBN 978 - 3-86777 - 603-5, E-Book [ePUb]

Satz: Alfred Michael Andreas Bunzol, Großrudestedt 

Innenlayout: Annekathrin Rockstuhl, Bad Langensalza 

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaber: Harald Rockstuhl

Mitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.

Lange Brüdergasse 12 in D-99947 Bad Langensalza/​Thüringen

Telefon: 03603/​81 22 46 Telefax: 03603/​81 22 47

www.verlag-rockstuhl.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Der Beginn, Vergangenheit und Gegenwart

Der 22. Mai 1951

Die Jahre 1907 bis 1925

Die Jahre 1926 bis 1937

Die Jahre 1937 bis 1945

Die Jahre 1945 bis 1951

Anhang

Bildquellen

Vorwort

Vielleicht musste es erst heute werden, damit ich zu merken begann, dass eine späte Einsicht in mir herangereift war. So wie bei einem typischen Spätstarter. Nun aber teile ich euch die Geheimnisse dieser Einsichten mit, die meinem Verstand bisher verschlossen blieben, weil die Zeit dafür in ihm noch nicht gereift war. Wie auch der Pflanzenkeim auf dem Felde seine Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Man muss ihn säen, das Feld gießen, Unkraut jäten, und nur dann wird er im Laufe der Zeit in seiner vollen Pracht richtig reif. Irgendwer mir zu sagen versucht, du kannst deiner Vergangenheit nicht davon laufen, geschweige sie ignorieren. Auch kannst du sie nicht ändern, nur daraus lernen. Irgendwann wird man eben von ihr eingeholt. Dafür offenbart sie sich mir jetzt wie eine informative Zeitreise durch das vergangene Jahrhundert unserer Familie. Es zeigt, wie die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts, des 20. Jahrhunderts, an unserer Familienentwicklung mitschrieb, sie beeinflusste und prägte. Bis in unsere Gegenwart mitbestimmt. Übrigens schreibt man das Jahr 2006, als ich mit meiner Familiengeschichte begann. 2006, das war das Jahr an dem der Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ auf dem Sundance Film Festival, von der Weltöffentlichkeit anfangs kaum beachtet, seine Premiere hatte. Sollten sich die darin aufgestellten Prognosen und Behauptungen bestätigen, tragen wir alle eine sehr hohe Verantwortung, wie keine bisherige Generation vor uns, gegenüber den nachfolgenden. Irgendwann ist die Zukunft unsere Gegenwart, wollen wir Veränderungen so müssen sie jetzt geschehen. Wir kommen um eine Veränderung unseres bisherigen achtlosen Umgangs mit der Natur nicht mehr herum, sonst berauben wir uns unsere eigene Lebensbasis. Machen wir so weiter, ist es durchaus möglich, die Erde auf Dauer für uns unbewohnbar zu machen, wenn wir nicht rechtzeitig genügend Überblick gewinnen, um das zu verhindern. Wir könnten unsere gewohnte Welt verlieren und die Welt könnte uns verlieren. Unsere vom Überfluss geprägte westliche Welt ist erbärmlich arm geworden. Gilt heutzutage der Konsumhunger nicht als Ausdruck individueller Selbstverwirklichung für uns alle? Ist er nicht zu einer tödlichen Sucht geworden? Haben wir uns nicht ein System geschaffen, das in seiner einzig logischen Konsequenz, die Umwelt zerstören, soziale Ungleichheit verschärfen, Kriege provozieren und das menschliche Leben in Formen pressen muss? Entscheidenden Problemen wie Krieg, Klimawandel, Armut und Perspektivlosigkeit begegnen wir alle mit staunender Unfähigkeit. Während der Großteil der Weltbevölkerung in Armut lebt und durch transnationale Konzerne ausgebeutet wird, kaufen wir alle wesentlich mehr, als wir tatsächlich benötigen, als für uns ausreichend wäre. Wir müssen anfangen zu lernen über den Tellerrand zu blicken. Der Leser möge mir verzeihen, schon in Vorwort mit solchen Themen bombardiert zu werden. Ich bin ganz gewiss kein Pessimist, aber man muss die Menschen wachrütteln, nur so kann sich überhaupt noch etwas ändern. Vielleicht gelingt es mir, mit unserer Familiengeschichte. Man sich unmittelbar nach dem Lesen der letzten Zeilen mit der tristen Realität, in der wir alle leben, etwas mehr beschäftigt. An sich die Frage stellt, was zählt heute mehr? Der Geldbeutel, das Aussehen, das arrogante Auftreten, die Gleichgültigkeit, das schauspielerische Talent, ja auch die Brutalität eines Menschen, oder die inneren Werte, wie Liebe, Glück, Frieden, Toleranz, Wahrheit, Zuverlässigkeit, Achtung, Demut, Respekt anderen gegenüber. 2006, das war aber auch das Jahr der Fußballweltmeisterschaft, als die ganze Welt für 4 Wochen auf Deutschland, als Austragungsland, schaute. 2006 bestand aber auch meine Tochter Steffi ihr Staatsexsamen an der Uni Jena als Jurist, die Vorraussetzung zur Prüfung als Volljurist. Meine Tochter Anja machte am Jahresende einen Schwangerschaftstest der positiv verlief, somit werde ich zum zweiten Mal Opa und sie zum zweiten Mal Mutter.

So, und nun kommen wir zu mir. Warum schreibe ich diese Geschichte? Hätte mir jemand vor einem oder zwei Jahren gesagt, daß ich damit anfangen werde eine solche zu schreiben, ich hätte Ihn ausgelacht. Hätte gesagt, daß ich es gar nicht kann, geschweige will, es für unmöglich hielt. Ich bin ja von Haus aus Diplom-Informatiker, also fachfremd. Und das schon mein Arbeitsleben lang, bis zum heutigen Tag und mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zu meiner Rente. Mein Spezialgebiet sind eigentlich Bits und Bytes. Aber irgendetwas treibt mich dazu, wie eine, durch Berührung, durch Gesten, durch Zufall entstehende Liebe, die man nie mehr verlieren will. Es ist ein Verlangen, eine Sucht in mir entstanden, die man schwer erklären kann. Vielleicht wird sie auch von außen gesteuert und mir der Willen und die Fähigkeit gegeben, es zu tun! In meinem Gehirn werden nach Mutters Tod (sie starb am 3. 1. 2006, 19.35 Uhr im Katholischen Krankenhaus Erfurt im Alter von 86 Jahren) immer wieder Gedanken produziert, denen ich nachgehen und sie aufschreiben muß. Sie sind ganz einfach da, ob ich will oder nicht! Ich muss sie mir von der Seele schreiben. Auch mache ich nun etwas, was ich noch nie in meinem Leben getan habe: Ich lasse euch gerne, so fern ihr es lesen wollt, daran teilhaben. Die Erteilung zum „teilhaben“ habe ich mir aber nicht so einfach gemacht, schließlich ermöglichen sie auch persönliche, intime und voyeuristische Blicke in unserer Familiengeschichte.

Anfangen werde ich mit dem Leben meines Vaters im 1. Teil der Geschichte. Erzählen werde ich Euch sein gequältes, gehetztes Leben, umrahmt von einer Überdosis Geschichte, einem Überschuss an Emotionen, die das menschliche Fassungsvermögen oft übersteigen. Von seinem Zuviel an extremen Ereignissen und tragischen Entwicklungen, Ängsten und lähmender Nüchternheit. Von seinem Übermaß an Erinnerungen, an enttäuschten Hoffnungen. Von seinem Schicksal, das in unserer Familie nicht seinesgleichen hat, das es ihn unmöglich zu machen schien, jemals ein gewöhnliches, normales Leben zu führen. Als Mensch, so wie du oder ich. Ich schreibe es aber auch gegen das Vergessen. Es ist ein Recht von mir, das ich als sein Sohn besitze und habe. Man möge beim lesen bedenken, daß ich kein Schriftsteller bin. Ich habe es so geschrieben wie ich es kann, aber Wahrheitsgetreu, versuche die Realität widerzuspiegeln. Die Geschichte Deutschlands, verpackt in unserer Familie, immer sachlich und ohne Scheuklappen zu sehen. Ansonsten hätte ich das Gefühl, das geschriebene hätte wenig Wert. Alles ist durch Recherchen, Dokumente und Aufzeichnungen untermauert. Bis auf den „Selbstmord“ von Vater, er ist von mir fiktiv gestellt, ich denke aber, so war sein Ende, alle Indizien deuten darauf hin. Der Leser möge sich aber darüber sein eigenes Urteil bilden. Aus juristischen Gründen habe ich lediglich die Namen der Zeugen geändert oder auch fiktiv handelnde Personen eingefügt. So zum Beispiel Major Kowulev vom NKWD, der in Rangsdorf wohnte. Das Schreiben hätte ich mir übrigens nicht so schwer vorgestellt. Vor allem die Gedanken, die man im Kopf hat, so auf Papier zu bringen, das sie dort für jedermann verständlich sagen was man will und denkt. Der gewählte Inhalt und die gewählte Form, ein Zusammenspiel von Dokumentation und Roman, realistisch bis zur Schmerzgrenze, ergaben sich einfach von Anfang an. Ich will nicht sagen wie von selbst, denn schließlich bin ich ja der Schreiberling und somit auch verantwortlich für Inhalt und Form. Doch genauso gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde die es einfach gibt, die aber schwer oder gar nicht zu erklären sind. Funktioniert nicht von Anfang an bei der Entstehung des Menschen auch alles wie von selbst. Wer ist hier eigentlich verantwortlich dafür? Für die Zeugung Mann und Frau und dann? Vielleicht ist in dieser Chronik nicht alles perfekt formuliert, ich bin ja auch kein perfekter Mensch. Aber wer ist dies schon? Denn schließlich gilt für uns alle: „nobody is perfect!“. Auch war es zu keinem Zeitpunkt meine Absicht aus der Geschichte unserer Familie einen Krimi oder ähnliches werden zulassen, womöglich dafür die geschichtlichen Fakten zu verlassen oder umzubasteln. Sie soll einfach nur unsere Familiengeschichte dokumentieren und zeigen. Ich denke aber, sie liest sich genau so spannend.

Ich sehe schon … nun aber genug gefaselt. Lest einfach den nachfolgenden Text, so wie ein neugieriges Kind und stellt euch Fragen, die ihr durch Nachforschungen im inneren und äußeren beantworten müsst. Auch lasst Vorurteile und scheinbare Argumente wie, die Menschheit ist halt so, das kann man doch nicht (so lange) geheim halten, das ist Zufall, das würden die doch nie machen, beiseite, denn sie dienen nur dazu, die Suche nach den wahren Zusammenhängen zu stören und zu stoppen. Für den Fall, dass ihr neugierig geworden seid, sollte man auf jeden Fall weiterlesen, zumindest es für sich im Auge behalten. Ich möchte euch jedoch, je nach Einstellung vorwarnen oder aufmuntern, man lernt fortan den Menschen in allen Formen und Auswüchsen kennen, als Bestie aber auch als Engel.

Alfred Michael Andreas Bunzol

Der Beginn, Vergangenheit und Gegenwart

Mutters Tod, der einen in Trauer zurückließ, hat am Anfang eine gewisse Ratlosigkeit in mir ausgelöst. Ratlosigkeit gegenüber den bisherigen Erzählungen aus ihrem Leben. Über die Geschichte der Familie, des Vaters. Nach Sichtung der von Ihr hinterlassenen Dokumente zeigten sich mir ganz andere Bilder, als die, die ich mir bis dahin vorgestellt und ausgemalt hatte. Es blieben nur wenige übrig. Vielleicht wollte oder konnte sie zu Lebzeiten nicht die wirkliche Wahrheit erzählen. Meiner anfänglichen Ratlosigkeit entgegenzuwirken begab ich mich auf eine Wanderschaft in die Geschichte. So wie „Hans im Glück“. Nicht um in ihr eine goldene Gans zu finden, nein, es wurde eine Suche nach den Lebenslinien unserer Familie, verpackt in eineinhalb Jahrhunderten. Was ich darin fand waren ihre Spuren und Schicksale enthalten in Berichten, Dokumenten, Zahlen, Briefen und Bildern. Ich sprach mit Zeitzeugen. Zum Ende der Wanderschaft begann ich das gewonnene Material zu sammeln, zu sortieren, zu verdichtet und die Schicksale wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Es war einfach wunderbar, solch ein ausgefallenes Puzzlespiel zusammensetzen zu dürfen. Alles roch förmlich nach Geschichte. Letztendlich war ich mehr als erstaunt über das Ergebnis, das sich mir Stück für Stück offenbarte. In den Biografien spiegelt sich das soziale und politische Leben einer Zeit voll großer Ideale und blutiger Kriege. Zeigte mir aber auch die andere Seite der Medaille. Die Liebe! Verdammt schön war es mit anzusehen wie sie es versteht, trotz allem Leid, trotz allem Schmerz, auf ihr Recht zu pochen, um es sich ganz einfach zu nehmen. Sie bestäubt uns nach ihren Spielregeln, ohne zu hinterfragen nach einem wann, warum, weshalb, wieso. Kommt und geht zu uns, wie sie es will. Alle Puzzelbausteine lieferten mir letztendlich die Menge an Material die ich brauchte, um eine Familiengeschichte zu schreiben. Denn unsere Familiengeschichte muß vor dem Vergessen gerettet und bewahrt werden! All das zu vergessen wäre dumm, verantwortungslos und undankbar. Leider vergisst der Mensch relativ schnell, es liegt ja in seiner Natur! Man bedenke! Als ich 1952 geboren wurde, also vor nicht einmal einem Menschenleben gab es noch keine Fernseher, Computer oder Handys. Ein Menschenleben weiter und es gab noch keine Elektrizitätsversorgung oder Flugzeuge. Zwei Menschenleben zuvor keine Dampfmaschinen, geschweige Autos. Drei Menschenleben weiter und wir sind schon im Mittelalter gelandet. Wir wissen, dass es so ist, und doch ist es immer wieder faszinierend, wie gründlich der Mensch vergisst. Wir leben in beschleunigten Zeiten, klar. Doch irgendwie bekommen wir das gar nicht richtig mit. Vor allem, weil wir uns einfach treiben lassen, ohne die uns umgebenden Strömungen zu hinterfragen. Vielleicht glauben wir ja zu wissen wohin für uns die Reise geht. Wenn wir uns da mal nicht irren.

Wie schon gesagt, ein Grund zum schreiben der Familiengeschichte waren die gefundenen Unterlagen, Aufzeichnungen und Dokumente die ich im Nachlass von Mutter vorfand. Mutter redete auch immer davon, dass sie ein Buch schrieb. Ich fand aber nur ein ca. 20 Seiten umfassendes Skript. Es war für mich ein bisschen Ungewöhnlich, da sie ja schon seit ungefähr 15 Jahren davon sprach und daran schrieb? Egal, sie hat es als Rentnerin versucht, und interessant ist das Skript allemal. (Ich habe es natürlich mit in die Chronik eingebaut. Es ermöglicht dem Leser ein Einblick in Ihr Leben, welches sie zwischen ihrem 70. und 86. Lebensjahr so formulierte.) In all den gefundenen steckte der Ideenspeicher, das transportable Gedächtnis, die Keimzelle meiner Familie, des verstorbenen Vater mit seiner beeindruckenden Biografie. Gestehen muss ich euch aber, dass seine Vergangenheit, seine Geschichte, mich bis zu diesen Zeitpunkt nicht sonderlich interessierte. Irgendwie war er in unserer Familie immer ein gewisses Tabuthema, über das Mutter ungern sprach. Ich wuchs ohne Vater auf, es war eben so. Mein Vater war für mich seit ich denken kann Tod! Über ihn könnte ich niemals sagen. Vater, du hast mir so viel für mein Leben gegeben. Alles was du konntest. Es wurde uns Kindern gesagt, dass er durch einen Autounfall ums Leben kam und das reichte als Erklärung. Wir wussten auch, dass er in Buchenwald inhaftiert war und Mutter versuchte in den wenigen Gesprächen, ihn uns immer als aufrichten Kommunisten und Kämpfer für seine Sache zu beschreiben. Es kam aber selten vor und wie gesagt, es interessierte mich auch nicht besonders, da er für mich ja im gewissen Sinne ein Fremder war und ist, eben nur mein biologischer Zeuger. Denn als ich im Jahre 1952 das Licht der Welt erblickte, um meine lebenslange Reise anzutreten, hatte er die seinige bereits seit sieben Monaten beendet und sich aus dieser Welt verabschiedet. Das Interesse an ihm änderte sich auch nicht groß im Laufe meines Lebens, bis zu dem Tag der Familienfeier zum 75. Geburtstag von Mutter.

Es waren wie immer alle Familienangehörigen anwesend. Auch Tante Mischa, die Schwester von Mutter, und Onkel Albert. Sie wohnten in Düsseldorf, der damaligen BRD. Da wir sie nicht besuchen konnten, Reisemöglichkeiten waren ja für uns DDR Bürger stark beschnitten. Nur den Rentnern in der DDR ging es gut. Sie konnten in den Westen reisen. Mit 10 DM Reisegeld! Wir als Nichtrentner mit gewissen Hindernissen nur in die Ostblockstaaten. So kamen sie eben jedes Jahr zu uns. Oft auch zweimal im Jahr, meist über Weihnachten und Silvester. Das „Westpäckchen“ oder die „Westgeschenke“ bildeten für uns dann oft den absoluten Höhepunkt zum Weihnachtsfest. Vor allen für die Kinder. Bei solchen Feiern ging es immer sehr lustig zu und jeder hat sich auf den anderen gefreut. Sie haben sich auch immer im „Osten“ wohlgefühlt. Vielleicht war es für sie das andere Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie, die Lebensweise der Menschen des Ostens. Der Geschmack des Ostens. Für uns war die Ost West Situation eben so wie sie damals war und man nahm sie, als nicht erfreuliche, aber auch nicht zu ändernde, als eine der vielen unsinnigen politischen Gegebenheiten hin. Reisen in den Westen waren eben für uns „Nichtrentner“ tabu. Aber dies nur am Rande. „Im 2. Teil der Familiengeschichte werde ich ihr Leben nach der Kriegsteilung Deutschlands und dessen Wiederaufbau nach zwei Strickmustern in Ost- und Westdeutschland und wie sie damit zu Recht kam noch genauer und ausführlich schildern. Selbstverständlich werde ich euch auch davon berichten, was für uns damals die Freundschaft zur Sowjetunion, DSF, SED, HO, Konsum, der Intershop mit seinem eigenartigen Geruch, Westgeld, GST, NVA, Panzerbüchsenschütze II, Pioniere, FDJ, Trabi oder Liebe, Pille und Ehei ….. bedeutete. Erzähle Euch, wo und warum ich studierte, daß ich oft mit einem lauen Gefühl im Magen zur Uni ging, weil ich nicht gelernt hatte, oder zu faul dazu war. Werde euch beschreiben, wie sich die Welt für mich anfühlt und anfühlte. Werde euch informieren über die alltägliche Lebensweise in der DDR, in der Wendezeit, über die heutige in der BRD. Nicht aus der Sicht eines Krugs, Maske, Witt, Biermann und Haagen oder wie sie alle heißen mögen! Deren Leben und Lebenswandel haben und hatten gestern wie heute mit dem meinen, und ich denke mit dem der meisten Otto Normalverbraucher, nicht das Geringste zu tun. Für sie sind es immer wieder die gleichen Schickiterrias wo sie zu sitzen pflegen und meinen, sie sind die besseren Menschen. Wenig hat sich für sie geändert, nur ihr Auftreten um Aufmerksamkeit zu erlangen und die Menge an Geld welches sie dafür bekommen, da es genug andere „Dumme“ gibt, denen sie ihre Märchen auftischen können. Da werden sie für etwas geehrt, was nicht selten leider auch ziemlich geistlos war oder ist. Aber es ist eben alles eine Geschmackssache. Wer kennt sich nicht alles aus in dieser Welt der Schickimickis, träumt womöglich im Stillen von ihr? Na ja! Wo, außer in einigen wenigen Museen oder Dokumentationen, können Eltern ihren Kindern noch zeigen, wie es damals war, in der DDR, in der Wendezeit? Der Mensch vergisst eben! Doch lest erst mal den 1. Teil und freut euch dann auf Teil 2!“

Irgendwie kam an diesen Abend, übrigens zum ersten Mal bei all den vielen Besuchen, das Gespräch auf unseren Vater. Mutter sagte was er für ein aufrechter Kommunist war. Da lachte Tante Mischa. Sie hatte immer so eine aufrichtige und offene, manchmal derbe Art sich zu Äußern. Auf keinen Fall aber eine unsympatische. Oft lachten wir, wenn sie sich in Ihrer Art mit Onkel Albert stritt. Er hatte ganz schönen Dampf vor Ihr. Sie sagte zu Ihrer Schwester: „Meinst Du etwa diesen Feigling, der sich durch Selbstmord aus den Staub gemacht hat und Dich mit den vier Kindern zurückließ. Aufrechter Kommunist, da kann ich nur lachen. Hätte er sich lieber um Euch gekümmert, statt um seinen scheiß Kommunismus“. Für mich schlug diese Behauptung wie eine Bombe ein. Ich sagte zu Tante Mischa: „Wieso, er ist doch durch einen Autounfall gestorben“. Es war übrigens mein einziger Kommentar an diesem Abend zu diesem Thema. Auch hat es keiner der Gäste groß mitbekommen. Ha, sagte sie, frage doch Deine Mutter. Mutter sagte, jaaa er hat Selbstmord begangen. Sie sagte es so, als wenn es vollkommen selbstverständlich war und wir es doch wüsten. Irgendwie ging an diesen Abend ein Knacks durch die Mutter-, Sohn Beziehung. Ich konnte es nicht verstehen, daß sie uns so belogen hat. Als wir kleine Kinder waren erscheint es mir sinnvoll, daß sie es uns so sagte, es war ok. Wir waren aber jetzt 40 und hatten ein Recht auf die Wahrheit gehabt. Ob Autounfall oder Selbstmord, es war mir zum damaligen Zeitpunkt relative schnuppe, aber nicht die Lüge von Mutter. Ich war innerlich stocksauer und irgendwie hat diese Wahrheit, mehr die Lügen der Mutter mich an diesen Abend aus der Bahn geworfen. Ich trank mir einen an, verlor sprichwörtlich die Orientierung, hatte dabei aber keinen Filmriss, und landete statt im Bett im „Rosenbeet“. War natürlich Blödsinn, ist aber halt passiert. War vielleicht auch Sauer darüber, das sie mir einen Flirt mit Iris vermiest hat, der den Tag so schön hat beginnen lassen. Wir kennen uns schon ein Leben lang, wohnen in der gleichen Straße. Mann kann einer Frau ansehen, ob er Chancen bei ihr hat oder nicht! Ich glaube, ich habe sie. Eigentlich wollte ich mit ihr an diesen Abend nur ein bisschen Spaß haben, ohne Hintergedanken. Es einfach mitnehmen. Einen kleinen Flirt, ein kleines Vergnügen, ein Ausbruch aus dem Alltag. Eben eine kleine Affäre am Rande. Doch schon am späten Abend ging sie so schnell zu Ende, wie sie am Nachmittag begonnen hatte. Aber was soll es, es war ein Abend voller Ereignisse für mich. Das sind meine Erinnerungen über den Abend als ich erfuhr, dass mein Vater „Selbstmord“ begangen hat. Ich beschreibe ihn so, wie er war.

Im Nachlass von Mutter fand ich auch einen Brief der verdeutlichte, dass die Enthüllungen dieses Tages, dass sie ihren Kindern nicht die Wahrheit gesagt hat, ihr schwer zu schaffen machte. Dieser Brief von ihr hat mich emonzional sehr berührt und traurig gemacht. Trotzdem war ich über Mutter etwas böse, warum hat sie mit ihren Kindern nicht so offen wie in diesem Brief gesprochen. Man hätte vieles klären können. Zumal die Nachforschungen ergaben, dass sie nach dem „Selbstmord“ ihres Mannes, über Nacht, ohne jegliche Absicherung dastand. Schwanger, mit 3 kleinen Kindern! Sie bedroht und erpresst wurde, die wahren Gründe dieser Tat zu verschweigen und zu ignorieren. Ihr nichts anderes übrig blieb, als nach Großrudestedt zu ihren Eltern zu ziehen. Sie um den Unterhalt für ihre Kinder kämpfen musste. Erst im Jahre 1954 wurde eine VDNii Rente in Höhe von 105,00 DM für Jutta, Rosel und später für mich genehmigt. Alle anderen Anträge von Ihr wurden abgelehnt. Sie hat hart dafür gekämpft, was mehr als nur meinen Respekt verdient. Wenn ich hier sitze und diese Zeilen schreibe sehe ich sie oft vor mir, die kleine Mutter, die kleine Käte, wie sie verstand um ihre Rechte zu kämpfen, vor allem für die ihrer Kinder. Ich würde sie jetzt gern in die Arme nehmen und Danke sagen. Sie ist meine Mutter, auch wenn ich dieses Jahr 54 geworden bin. Eigene Kinder habe, Enkelkinder. So werde ich trotzdem immer in meinem inneren ihr Kind bleiben. Dies alles dient mir auch als Ansporn, um endlich Licht ins Dunkle zu bringen. Falls dies überhaupt noch möglich ist. Bei all meinen Nachforschungen habe ich gemerkt, daß 100 Jahre in der Geschichte rückwärts eine Ewigkeit sein kann und es schwer ist noch etwas herauszufinden. Aber auf keinen Fall unmöglich. Denn etwas herauszufinden, ohne es zu suchen, ist schwer und unmöglich. Jede Familie hat ihre eigene Geschichte. Diese Erzählung enthält ein Stück unserer Geschichte. Sie versucht unserer Familie ein Gesicht zu geben. Unsere Lebensweise von heute mag vollständig anders sein als die unserer Vorfahren, aber unsere Ängste, Wünsche und Hoffnungen sind eigentlich die gleichen geblieben. Das habe ich beim schreiben gemerkt.

Um mir ein besseres Bild über Vater zu machen sprach ich per Telefon mit dem Zeitzeugen Herr R. über Bunzol. Er kannte den Bunzol nur 3 Monate aus Block 17 in Buchenwald, wo der Bunzol als Blockältester Vertretung machen mußte. Herr R. war zu dieser Zeit Blockschreiber im Block 17. (Blockältester aus 17 wurde kurzzeitig von SS inhaftiert und verhört) R. war nach der Befreiung bis zu seiner Pensionierung bei der Kripo in Weimar, Bunzol war bei der VP (PK Leiter). Sagte mehrmals, während des Telefonats, dass er mir nicht weiterhelfen kann, da er nicht viel weiß. Nur soviel, das alle in der Dienststelle Weimar vom Tod überrascht waren und keine Erklärung dafür hatten. Hatte über mögliche Ursachen keine Erklärungen nicht mal Vermutungen. Am 15. Juli 2007 war ich mit Renee’ zum siebzigsten Jahrestag der Errichtung von Buchenwald. Zur Feierstunde waren ehemalige Häftlinge aus ganz Europa gekommen. Es gibt aber nur noch wenige lebende Zeitzeugen, die altersbedingt von Jahr zu Jahr immer weniger werden. Ich konnte mich mit einigen aus Frankreich und Polen über Bunzol unterhalten. Ein voller Erfolg! Der ehemalige polnische Häftling W. K. aus Wroclaw, war 17 als er mit seinem Vater nach Buchenwald deportiert wurde. Nur er überlebte. W. K. konnte sich nach anfänglichen Sprachproblemen sofort an Bunzol erinnern. Er sagte und wußte sofort: „Ach ja, der Bunzol, der war der Verbindungsmann zu den polnischen Kommunisten. Der Bunzol, ein guter Kamerad. Was war der Bunzol für ein Jahrgang, fragte er mich? Ich sagte 1907. Dann habe ich damals richtig geschätzt, so um die 25 bis 30, ich war 17. Er hat sich immer in Rahmen seiner Möglichkeiten für uns polnische Häftlinge eingesetzt, egal ob Kommunisten oder nicht. Vor allen für uns Polenjungs, damit wir eine Chance zum Überleben hatten. Der Bunzol und der Wyschka, sie waren oft zusammen, waren gute und aufrichtige Menschen.“ Leider war keine Zeit mehr zu intensiveren Gesprächen, er mußte zur Feierstunde zurück. Ich schrieb ihm und er hat mir viele interessante und unschätzbare Details per E-Mail über die Zusammenarbeit von polnischen und deutschen Kameraden geschildert.

Als ich die von meiner Mutter hinterlassenen Dokumente alle gesichtet hatte, wurde mir eigentlich schnell klar, dass mit dem angeblichen Selbstmord etwas nicht stimmen konnte. Leider sind einige der Dokumente, eigentlich sehr viele, wie viele wird man wohl nie mehr erfahren, nicht mehr vorhanden. Mutter hat sie leider Anfang der 60er Jahre vor allem einem gewissen K. R.iii auf nimmer Wiedersehen verborgt. Von anderen Personen kann ich keine Namen mehr nennen, weiß aber noch, daß einige aus diesem Grund öfter bei Mutter waren. Was spricht gegen den Selbstmord. Seine Äußerung in der Nacht vor seinem Tod, die mir lange Kopfzerbrechen bereitete, um den Sinn und Zusammenhang dieser wichtigen Worte zu verstehen. Es für mich einige Zeit dauerte, bis ich zu begreifen begann, dass sich hinter den Worten eine Botschaft verbarg. Er sagte, diese wichtigen Worte „Schatz kennst Du die Pariser Prozesse, so geht es mir jetzt … “. Ich konnte mir lange keinen Reim darüber machen, und fand auch niemanden der sie mit den Selbstmord in Verbindung bringen konnte. Bis ich auf Professor Leonhardtiv stieß. Als ich ihm telefonisch und per E-Mail die Situation schilderte, brachte er sie sofort in Verbindung mit einem Willy Münzenbergv, Mitglied des Zentralkomitees der KPD und Reichstagsabgeordneter sowie zweit größter Zeitungsverleger im Vorkriegsdeutschland. Münzenberg soll ebenfalls, 1940 in Frankreich, Selbstmord begangen haben. Ich komme im Buch noch mal darauf zurück. War aber mit hoher Wahrscheinlichkeit, zu 99 %, Auftragsmord des NKGB. Laut Professor Leonhardt zu 100 %. In der DDR war Münzenberg tabu, er wurde als Trotzkist, der er nicht war, abgestempelt. Ahnte Vater etwas Derartiges. Er musste es, sonst hätte er diese Äußerung nicht gegenüber seiner Frau gemacht. Das Mutter etwas mit „Pariser Prozessen“ anfangen konnte, bezweifle ich, er wußte das auch. Sie konnte sich aber ein Leben lang gut an seine letzten Worte erinnern. Es war wahrscheinlich die einzigste Hoffnung von ihm, dass man irgendwann jene geheimnisvollen Worte zu enträtseln und zu deuten versteht. „Sollte mir etwas passieren, es war kein Selbstmord“!? Im nachhinein betrachtet, klingt es wie ein Hilferuf. Er, der den münzenbergischen Ideen zumindest nicht widersprach, somit auch so seine Bedenken gegen Stalin, Ulbricht und die Entwicklung in der Ostzone hatte. Zum damaligen Zeitpunkt sehr gefährlich, wenn nicht gar tödlich. Er nicht der Typ war, das haben meine Recherchen über Ihn eindeutig ergeben, der eine Frau mit 4 Kindern ohne jegliche Absicherung zurücklässt. Wusste er doch genau, dass eine finanzielle Absicherung ein notwendiges Übel für jede Familie ist, um zu existieren im Kampf gegen Armut. Er sich nach Hessen absetzen wollte. Koffer standen gepackt im Flur (Hansi). Die Tat ca. 6.00 Uhr früh passierte, und sofort Polizei und Russen da waren. Etwas ungewöhnlich bei den damaligen logistischen Möglichkeiten. Man hat, außer Randnotizen in Polizeiprotokollen (22. 5. 1951) von Teltow und Malow, keinerlei Untersuchungen eingeleitet. Selbstmord wurde sofort als Todesursache hingenommen. Frau mußte unterschreiben, das es ein Autounfall war und nicht Selbstmord? Sie sollte mit keinen darüber sprechen. Drohung durch Russen, die sie auch im Interesse Ihrer Kinder absolut ernst nahm. Was ich jetzt voll verstehe. Hätte sie sich doch nur früher dazu geäußert! Das der russische Offizier der bei Note wohnte und mit dem sie verkehrten, laut Dokument sagte „Es tut in so leid, so unendlich Leid, dass das passiert ist.“. Auch dessen Äußerung gegenüber Onkel Kurt, es musste wie ein Unfall aussehen, die ich in nachhinein durch Marianne erfuhr? Sonst hätte keiner, Mutter gegenüber, Worte des Bedauerns aus seinem beruflichen Umfeld geäußert? Dafür spricht, denn ich schließe auch die Möglichkeit in meiner Betrachtung nicht aus, Selbstmord begangen zu haben, das er Seelisch ziemlich angeknackst und manchmal verzweifelt wirkte. Kein Wunder, Buchenwald, später das Beginnende Moppig in Weimar, die ständigen Verhöre durch die Russen in Mahlow. Alle, die die Hölle Buchenwald überstanden hatten, vor allem die, die sehr lange dort waren und dazu zählt auch Bunzol einen seelischen Knacks weg hatten. Es hätte bei allen eine intensive physische Behandlung stattfinden müssen. Aber sie wurden mit ihren seelischen Problemen nach der Befreiung allein gelassen und das vor allem in Deutschland. Im Gegenteil, es kamen durch die Besatzermächte, Russen, auch Amerikaner (à Stalinismus, bzw. durch die Entwicklung der Geschichte, die sie sich vielfach anders vorgestellt haben), neue seelische Belastungen hinzu. Das er in das Netz eines anderen Wahnsinnigen, Stalin, geraden ist, hat er früh erkannt. Dies liest man aus seinen Aufzeichnungen heraus. Wie groß muss seine politische Enttäuschung gewesen sein. Stalin war die Säule, der Hoffungsträger, für viele, vor allem der kommunistischen Kameraden, in Buchenwald, auch für ihn selbst. Für viele der Inhaftierten die Stütze zum Überleben. So in etwa oder ähnliches bestätigt mir auch Ingrid, als ich sie bei einem unser alljährlichen Familientreffs, 2007 in Ziegenrück, übrigens zum ersten Male fragte, ob sie etwas über den Selbstmord weiß. Ob Tante Mischa, Ingrids Mutter, mit ihr darüber gesprochen hat. Sie sagte mir, dass Ihre Mutter ihr einmal sagte, dass der Bunzol unter der politischen Situation stark litt. Er hatte Angst, nicht vor dem Leben, sondern das er so etwas wie in Buchenwald noch einmal durchmachen müsse. Dazu hätte er keine Kraft mehr. Ingrid sagte auch, dass seine Angst so übermächtig wurde, dass er oft mit der Pistole unterm Kopfkissen schlief. Mutter hatte nie derartiges geäußert, geschweige auch nur angedeutet. Seine Angst war aber sicherlich nicht unbegründet. Ich berichte noch über Anklagen, Prozesse und Urteile gegen einige seiner damaligen engeren Buchenwaldkameradenvi. Ich habe nach meinen berechtigten Zweifeln am Selbstmord mit intensiveren Nachforschungen begonnen. War unter anderen im Buchenwaldarchiv, im Staatsarchiv Thüringen, Staatsarchiv Brandenburg, bei der Gauck-Behördevii, Kontakt mit der Rosa Luxenburg Stiftung aufgenommen, habe auch versucht noch Zeitzeugen von Buchenwald (wie schon beschrieben, leider nur noch zwei) zu finden und mit Ihnen zu sprechen. Habe in den Personalabteilungen der Polizeibehörden von Potsdam, Teltow, Mahlow nachgefragt. Telefonische und E-Mail Kontakte mit Professor Leonhardt wegen den „Pariser Prozessen“ hergestellt. Ich sprach aber auch mit Marianne, der Tochter von Notens (laut Mutters Nachlass waren Note, die einzigen, denen sie sich offenbarte. Leider sind Onkel Kurt und Tante Irmchen auch schon tot.) aus Rangsdorf. Sie wusste nicht viel, nur einmal äußerte sich ihr Vater zu dem damaligen Ereignis, „Der russische Offizier, mit denen auch Bunzol verkehrten, sagt Ihm in Vertrauen: Es musste wie ein Unfall aussehen?“. Das Bemerkenswerte an dieser Freundschaft zu Notens, vielleicht aber auch das erstaunliche. Tante Irmchen war Mitglied der Sekte „Zeugen Jehovas“, auch Bibelforscher genannt. Eine für Außenstehende etwas merkwürdig erscheinende Mischung. Vater es ja wusste. Er sah aber keinen Grund, diese Freundschaft aufzugeben geschweige sie sich verbieten zu lassen, trotz seiner Stellung in der Polizei. Zu dieser Freundschaft zu stehen und mit ihnen zu verkehren! Mit Hubertus aus Kassel sprach ich über seine Mutter, Elfriede Nagel, die auch aus Bielschowitz kam. Deren große und einzige Liebe Paul (Bruder von Vater) war. Sie sagte auch mehrmals zu Hubertus, die Bunzols waren in Bielschowitz eine Musterfamilie … Er hatte leider nur noch 2 Bilder über Bielschowitz, alle anderen sind weg, schade. Sprach mit Ingrid, der Tochter von Tante Mischa. Es hat mir Spaß gemacht in der Geschichte. unserer Familie zu forschen. Je mehr ich erfuhr, desto mehr offene Fragen stellten sich mir, aber auch umso interessanter wurden die Lebenswege für mich, keine null acht fünfzehn Leben. Die Geschichte einer Familie, mit der ich so niemals gerechnet hätte. Wenn ich mir überlege, was in diesem halben Jahrhundert alles gewesen ist in ihren Leben, dann kann ich es manchmal nicht fassen, was alles in ein einziges Leben reinpasst. Ich schreibe es auf, um es meiner Familie, meinen Kindern und Enkelkindern und was da noch so kommen sollte, zu hinterlassen. Denn eine Familiengeschichte kann ihr Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Meine Kinder ermunterten mich auch zu diesem Schritt, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Aus unserer Familiengeschichte ist ein Spiegelbild der Zeitgeschichte geworden. Ich schreibe sie für Mutter, die, wie ich aus den Dokumenten erfuhr, ein schweres Leben hatte. Gerade durch das Erbe Ihres Mannes. Plötzlich und unerwartet alleingelassen mit Schwangerschaft und Kindererziehung. Sie musste lernen zu planen und ihre Zeit, für all die Dinge, die ab jetzt nur auf ihrer schmalen Schulter lagen, ausgleichen. Verantwortung, Kosten der Kindererziehung und der Haushaltung. Mutter zu der gebeutelten Generation des Krieges gehörte. Ihr Leben und ihre Geschichte wurden eindeutig vom Krieg bestimmt. Sie weitere Schicksalsschläge durch den frühen Tod ihrer Kinder, Jutta und Hansi, hinnehmen mußte. Man sollte seine Kinder nicht überleben. Vielleicht ist dies nur ein Spruch, ich bin aber überzeugt, es steckt mehr dahinter. Ein Kind was seine Eltern verliert nennt man Waisenkind. Wie nennt man eigentlich eine Mutter oder einen Vater die ihre Kinder verlieren? Stirbt ein Elternteil, so verliert man ein Stück Vergangenheit. Stirbt ein Kind, so verliert man ein Stück Zukunft. Man erfährt aber auch einiges über ihr glückliches Leben in der Kindheit und Jugend. Eine Frage aber immer offen bleiben wird, deren Beantwortung nicht mehr möglich ist. Warum hat sich Mutter mehr als nötig in diesem SED System engaschiert. Das sie es tun musste, schon wegen ihrer Kinder, keine Frage. Aber warum mehr als nötig, dass verstehe ich nicht ganz? Ich schreibe unsere Familiegeschichte für meinen Vater. Weil ich endlich wissen muss wer er war. Ich bin schließlich ein Teil von ihm. Er auch zu jener Generation gehörte, die durch zwei Weltkriege geprägt und gebeutelt wurde. Sein Leben und seine Geschichte wurden genauso eindeutig vom Krieg bestimmt. Ich erzähle sein wahres Leben, seine Qualen die er durchleben musste, aber auch seine Aufrichtigkeit, damit nicht vergessen wird, was passiert ist. Er sein leben lang gegen den Strom schwamm, in der Hoffnung dessen Quelle zu finden oder sie zu erreichen. Am Ende unter ging. Sein politisches Ziel nie erreichen sollte oder konnte. Vielleicht findet er durch mich eine Anerkennung in unserer Familie, oder in der Geschichte. Ich kannte ihn nicht, versuche aber ihn auf diesem Weg ein Denkmal zu setzen, damit er nicht vergessen wird. Denn wenn ein Mensch nicht vergessen wird, lebt er fort. Wie ich glaube, hat er dies mehr als verdient. Er auf keinen Fall ein Feigling war, wie von Tante Mischa behauptet, sondern zu den wenigen Deutschen gehörte, die in dieser schrecklichsten Zeit der deutschen Geschichte, Haltung und Würde bewahrte. Er höchstens ein spätes Opfer dieser Zeit war oder wurde. Möge sich der Leser ein Bild darüber machen, zu was der Mensch fähig sein kann. Möge er das gestern mit dem heute vergleichen und sich fragen: „Hat die Menschheit aus ihrer Geschichte gelernt, ist sie klüger geworden oder kann so etwas unvorstellbares wieder passieren?“ Diese Frage muss ein jeder für sich allein beantworten! Ich glaube, keiner aus meiner Generation oder aus den nächsten kann sich diese körperlichen und seelischen Schmerzen vorstellen, die die KZ-Gefangenen damals hatten. Heutzutage muss hoffentlich niemand mehr Strafen wie „Baumhängen“ oder „Bock“ oder teilweise tagelanges Strafestehen bei –10 °C ertragen. Oder doch? Alle Worte in dieser Geschichte sind Tatsachen, die ich herausgefunden habe, ich habe es im Vorwort schon erwähnt. Ich hoffe, man kann meinen betriebenen Aufwand nach dem Lesen des Kapitels erahnen, damit sie wahrheitsgetreu entstehen konnte. Der „Selbstmord oder Mord“ lässt sich leider nicht mehr bis ins letzte beweißen, zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt der Nachforschungen. Im Rahmen meiner Recherchen habe ich auch viele Bücher und Dokumentationen über Buchenwald gelesen und gesichtet. Dabei stellte ich gravierende Übereinstimmungen seiner Dokumente und Notizen mit den in diesen Büchern enthaltenen Zeugenaussagen und Berichten fest. Ja, in vielen Fällen waren sie sogar Deckungsgleich. Aber nirgends fand ich Buchenwald so lückenlos umschrieben, so persönlich Emonzional, von jemandem, der von Anfang bis Ende diese Hölle durchlaufen hat. So beschreibt er, wie er dies alles seelisch verkraftet hat und konnte, wie er dachte und fühlte. Auch sein Buch, „Erlebnisse eines politischen Gefangenen im Konzentrationslager Buchenwald“, 1946 im damaligen Thüringer Volksverlag erschienen, ist „nur“ in Berichtsform geschrieben, und vor allem nur ein Teil seiner Lebensgeschichte. Man sollte alle Kapitel dieses Buches lesen, nur so versteht man seinen Lebensweg, den er gegangen ist, bis er zum Gegner dieses menschenverachtenden Systems wurde. Alle seine Dokumente und Notizen bilden eine Einheit, die sein wahres Leben zeigen, es bestand ja nicht nur aus Buchenwald, von Anfang bis zum tragischen Ende. Fasziniert haben mich in seinen Notizen formulierte politische Gedanken und Einschätzungen, die zeigen, dass er für die damalige Zeit ein außergewöhnlicher Mensch aus unserer Familie war. Sie zeugen von seinem hohen politischen Wissensstand, welches er sich im laufe der Jahre selbst aneignete, gepaart mit seinen Lebenserfahrungen. Er erkannte schon damals, was durch heutige Geschichtsschreiber Stück für Stück ans Tageslicht kommt. Er, der Kommunist war, vielleicht aber auch nur ein Utopist, der ein menschenwürdiges Dasein für alle Menschen auf diesem Planeten anstrebte. Ich persönlich würde sagen, gäbe es den Faktor Menschen nicht, dann würden seine Ideen vom Kommunismus funktionieren. So konnte er seine im April 1945 wiedererlangte Freiheit nie richtig ausleben, obwohl er es sich so gewünscht und erhofft hatte. Sein Lebensweg sich letztendlich immer mehr in ein Trümmerfeld seiner politischen Ideen und Ideale hineinbewegen musste, welches auch durch sein neu gefundenes privates Glück in der Familie nicht ausgeglichen werden konnte. Seine Aufzeichnungen enthalten aber leider auch keine endgültige, allumfassende Wahrheit auf alle Fragen nach dem Sinn des Lebens, Gott, Krieg und Frieden, Wirtschaft und überhaupt allem. Ich denke, dass diese komplette Wahrheit kein Mensch auf der Welt kennt. Schon gar nicht diejenigen, die das von sich behaupten. Es gibt aber durchaus Menschen auf der Welt, die in der Erkenntnis schon sehr weit gekommen sind. Es sind allerdings im allumfassenden Bereich nur sehr wenige. Einer von diesen Menschen, denke ich, war mein Vater. Ich bin überzeugt: Das geschriebene Buch unserer Familie ist ein Schatz, den es zu bewahren gilt!

Aber wo soll ich nun mit seiner Lebensgeschichte anfangen und wo aufhören? Wer eine Geschichte aus dem Leben kennt, kennt meist nur ihr Ende. Das Ende in diese Geschichte kennen wir. Sie endet mit einem, „Selbstmord“. Wollen wir jedoch den „Selbstmord“ verstehen, das Wieso oder Warum hinterfragen, müssen wir zu ihrem Kern vordringen. Wollen wir aber zu ihrem Kern vordringen, müssen wir an ihren Anfang, an ihren Wurzeln beginnen. Nur so können wir im Lichte der Wahrheit versuchen zu verstehen. So lasst mich von vorn beginnen! Ich werde euch seine ganze Lebensgeschichte von der Geburt bis zum Tod erzählen. Beginnen werde ich aber nicht wie in einem Märchen, womöglich mit „es war einmal … “. Beginnen werde ich auch nicht mit seiner Geburt sondern mit dem 22. Mai 1951, seinem Todestag.

Der 22. Mai 1951

Heute ist der 22. Mai 1951. Ich stehe wie immer sehr früh auf, und gehe zum Fenster. Einfach nur am Fenster zu stehen, aus ihm zu schauen, um das draußen zu betrachten. Einfach schön. Das was ich sehe, ist das Wirken von gegenseitiger Anziehung und es machte mir große Freude, nicht nur Freude, sondern auch Dankbarkeit. Der Frühling ist da, nicht nur in der Natur, sondern auch in mir. Blühende Bäume, die Sonne strahlt. Die Welt kann so schön sein. Es wird heute wieder ein herrlicher Tag werden. So ist das halt morgens im Frühling, die Sonne geht auf und die Vögel zwitschern. Es ist ein Pfeifen der Anerkennung, so wie die Männer schönen Frauen manchmal hinterher pfeifen. Der allmorgendliche Blick in die Schönheit der Natur, in die Freiheit, den ich genieße und brauche, ist mir nach Buchenwald zur Gewohnheit geworden. Auch wenn es nur ein kurzer Ausblick ist, ich sauge ihn auf. Er gibt mir täglich neue Lebenskraft. Ein immer wieder faszinierender Anblick, wie es die Sonne schafft, die Natur jeden Morgen zu neuem Leben erwachen zu lassen. Das Licht das die Naturwelt durchströmt, es läßt sich nicht wiedergeben. Man muss es sehen und erleben. Wie in den Urgewalten des Windes die Bäume tanzen. Natur ist etwas Kostbares! Gleich werden die Leute vom NKWGviii kommen, um mich zum „Erfahrungsaustausch“ nach Karlshorst abzuholen. Wieder so ein sinnloses Verhör. Wieder diese bohrenden Fragen zu meiner Gesinnung, meiner Einstellung zur Sowjetunion, was ich über Stalin, den großen Führer denke. Ob ich die Entwicklung in der Sowjetzone gutheiße, die SEDix, die neue Staatsführung, die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Warum ich mit einem Zeugen Jehovasx verkehre? Immer wieder diese Fragen, die ich seit meiner „Strafversetzung“ von Weimar nach Teltow hier über mich ergehen lassen muß. Zu der neuen Arbeitsstelle gehört dieses von der Sowjetarmee konfiszierte Einfamilienhaus in Rangsdorf, im Grenzweg, in welches ich mit meiner Familie einziehen durfte. Es lag etwas abseits. In einer schönen Waldsiedlung. Schon in Weimar hat man versucht mich aus dem Verkehr zu ziehen. „Wegen meiner demokratischen Ansichten“, die im sowjetisch besetzten Sektor anscheinend nicht mehr gefragt sind. Hier war ihre Strategie, mich auf Arbeit zu demütigen oder mich kalt zu stellen. Beinah wäre es ihnen gelungen. Ich musste mich in psychiatrische Behandlung begeben, war auch einige Zeit in der Psyachtrie in Jena untergebracht. Diese Demütigungen machten mir anfangs schwer zu schaffen. Als die „neuen Genossen“ in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands aber merkten, dass sie keine Wirkung mehr bei mir erzielten konnten, wurde ich eben nach Teltow versetzt. Ab da beschäftigte sich der NKWD mit mir. Ein Grund war sicherlich auch, uns Buchenwaldkameraden zu trennen, denn ich war nicht der einzigste von uns, der wegen seiner politischen Gedanken Schwierigkeiten bekam. Oder haben sie vielleicht Angst vor uns Buchenwaldlern? Sehen uns in diesem neuen System als ungebetene Konkurrenten, die unangenehme Fragen stellen? Ich habe meine Konsequenzen aus diesem ganzen politischen Schwindel gezogen, ich werde mich wie schon so viele von meinen Kameraden in den amerikanischen Sektor absetzen. Aus Angst, ja! Vor den demütigenden und erniedrigen Verhören, nein. Vor den Russen, nein. Vor diesen sogenannten neuen Genossen in der SED, nein. Sondern aus Angst vor einer neuerlichen Verhaftung, einer Deportation nach Sibirien, womöglich wieder nach Buchenwald. Wer trauert hat keine Angst mehr, wer liebt auch nicht, aber davor habe ich Angst. Einige der alten Genossen von Buchenwald hat es auf die eine oder andere Weise schon getroffen. Warum, es weis keiner so genau. Ich weis nicht was noch kommen wird in den unendlichen Jahrhunderten. Aber eins weis ich genau, das würde ich nicht nochmals überstehen, nicht mehr durchhalten können. Diesmal würden sie mich zerstören und nicht nur mich, auch meine gesamte Familie. Deshalb kann und will ich in diesem sogenannten sozialistischen System nicht mehr mitmachen. Hoffentlich klappt alles wie geplant. Die Koffer hat Käte schon gepackt. Sie stehen im Flur. Am Wochenende werden wir Rangsdorf in Richtung Hessen verlassen. Es ist schon alles mit meinen Kameraden Briel vorbereitet. Käte weiß aber noch nichts davon, ich will sie und die Kinder nicht unnötig in Gefahr bringen. Sie denkt wir fahren nach Großrudestedt zu ihren Eltern. Ihr geht es nicht besonders, sie ist seit eineinhalb Monaten wieder schwanger, hat es mir vorige Woche gesagt. Wir freuen uns sehr auf das Kind. Kindersegen ist Gottes Segen habe ich Käte gesagt. Dann sind wir eben zu sechst. Die Kinder Hansi, Jutta, Rosa, „das neue“, Käte und ich. Ich freue mich darauf. Hoffentlich wird es ein Junge? Käte braucht mich jetzt. Das spüre ich. Sie braucht viel Liebe und Zärtlichkeit von mir. Sie möchte auch, dass ich für sie da bin, um sie bestmöglichts zu unterstützen. Ich mache leise, um Käte und die Kinder nicht zu wecken. Gehe ins Badezimmer und dusche mich. Im Fenster sehe ich den Wagen vom NKWD vorfahren. Ich gehe und öffne die Haustür, damit sie nicht klingeln brauchen, denn die Kinder und Käte sollen ruhig noch schlafen. Es ist ja erst kurz vor 6.00 Uhr. Es sind zwei neue Genossen. Sie sehen mein verdutztes Gesicht und sagen, da Sergeant Konzef und Major Kowulev, ihn kenne ich persönlich, er wohnt bei Notens, verhindert sind. Notens sind die einzigen Bekannten in Rangsdorf, mit denen wir uns angefreundet haben. Ich bitte sie herein, weil ich noch nicht ganz fertig bin. Sie fragen nach meiner Dienstwaffe und wollen sie sehen. Das wundert mich etwas, aber was soll’s. Ich führe sie ins Arbeitszimmer, wo ich sie in meinen Schreibtisch aufbewahre und gebe sie einem der Genossen. Ich sehe wie