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Olja Savičević











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Olja Savičević,

1974 in Split geboren, studierte Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität Zadar. Sie veröffentlichte drei Lyrikbände, die auszugsweise in mehrere Sprachen übersetzt wurden und arbeitet als Kolumnistin, Literaturkritikerin und Herausgeberin. 2006 wurden die Erzählungen in Augustschnee von der Zeitung Vijenac und dem Verlag AGM als bestes Manuskript des Jahres ausgezeichnet und publiziert. Das Buch kam in die Shortlist der Jury für den Kiklop-Prosapreis und den Literaturpreis der Zeitung Jutarnji list. Für ihre Erzählung Der Held erhielt die Autorin den renommierten Marinković-Preis für Kurzprosa.

Augustschnee ist …

eine Sammlung von 22 Erzählungen, in denen die Normalität aus ungewöhnlicher Perspektive betrachtet wird: Ein Scheidungskind wird im Sommer zur Großmutter in eine Stadt am Meer abgeschoben — hier erlebt es erste Liebe und Eifersucht (Vielleicht eine Geschichte), die kleine Marica bricht mit ihrem motorisierten Bobbycar nach Australien auf (Aus der Kindheit eines Regisseurs von Roadmovies), ein junges Mädchen träumt vom Tod, und eines Tages kündigt er sich tatsächlich an — als Knoten in der Brust. Doch sie zögert den Moment hinaus, es ihrer Familie zu erzählen, auszusprechen, dass sie sterben wird (Augustschnee). Eine junge Angestellte in einer Importfirma führt ein geregeltes Leben. Eines Tages trifft sie im Supermarkt einen Mann und macht ihn zu ihrem Geliebten und Sklaven (Sklave). Ein magersüchtiges Mädchen träumt davon, leicht und durchsichtig wie ein Mondstrahl zu werden (Schöner Hunger) …

Olja Savičević

Vielleicht eine Geschichte

Aus der Kindheit eines Regisseurs von Roadmovies

Straße, Pavillons

Ein Nachmittag mit Lucija Barbarić

Harte Krapfen

Augustschnee

Der Sklave

Schöner Hunger

Vilma Gjerek, von Leidenschaften geplagt, ruft die Liebe herbei und erwartet den Tod

Matinee

Die gelbe Konservendose

Schwuchteln

Der Held

Professioneller Cyrano

American Dream

Kanaren

Christina die Wunderbare

Mutter Z in der Episode: Phantomfräulein Grusella

Geschäftsreise nach Tambura

Die Fliege

Einen Hund zum Lachen bringen

Zerstreuung für müßige Töchter

Olja Savičević






sonar 4
Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig, 2008

Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem
Titel Nasmijati psa im Verlag AGM, Zagreb.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Ministeriums für
Kultur der Republik Kroatien.
Gefördert durch das Kulturamt der Stadt Split / Kroatien.
Die Reihe Sonar wird herausgegeben von Christine Koschmieder

Copyright (deutsche Ausgabe):________Voland & Quist — Greinus und Wolter GbR
Umschlaggestaltung:________Marcel Theinert und Mario Helbing
Typografie:________Mario Helbing, Leipzig
ISBN 978-3-86391-059-4
Lektorat:________Dagmar Schruf
Internet:________www.voland-quist.de

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Vielleicht eine Geschichte


Es gab da diese Geschichte, über die ich seit Tagen nachdachte. Das heißt, eigentlich dachte ich seit zwanzig Jahren darüber nach, doch ich hatte erst vor Kurzem erkannt, dass es eine Geschichte war. Sie hieß Das Meer hinter dem Hochhaus, und das Problem war, sie passte in einen einzigen Satz:

Neunzehnhundertsechsundachtzig ließen sich meine Eltern scheiden und ich habe diesen Sommer bei meiner Großmutter in einer großen Stadt verbracht, wo ich das Meer nur vom Dach des Hochhauses sehen konnte.

Ich war so besessen von dieser Geschichte, dass ich beschloss, so bald wie möglich meine Großmutter zu besuchen, die noch immer im neunten Stock desselben Hochhauses wohnte. Meine Großmutter war mittlerweile ziemlich alt, aber sie ging immer noch täglich zum Wellenlegen zum Friseur und buk mit Tante Micika Torten und verzierte sie mit Marzipankarotten und -blumen. Die verkauften sie dann an Geburtstagen und zu ähnlichen Anlässen.

„Wenn du bloß gesagt hättest, dass du kommst, dann hätte ich Kaninchenbraten mit Gnocchi gemacht.“ Sie wirbelte in der Küche herum. „Du bleibst doch zum Essen?! Hättest du mich bloß früher angerufen, zum Kuckuck!“

Neunzehnhundertsechsundachtzig ließen sich meine Eltern scheiden und ich habe diesen Sommer bei meiner Großmutter in einer großen Stadt verbracht, wo ich das Meer nur vom Dach des Hochhauses sehen konnte.

Den Sommer verbrachte meine Großmutter damit, auf den Markt zu gehen und zum Friseur, wo viele Frauen unter Hauben saßen. Großmutter kochte oft mein Lieblingsessen: Kaninchen in dunkler Soße mit Gnocchi. Nachmittags ging ich zu Tante Micika Torten backen, die wir mit bunten Marzipankarotten belegten …

„Du hast mich angeschwindelt, dass du deine Hausaufgaben machst, dabei bist du auf die Dachterrasse gerannt, um mit deinem Zane Donkov zu spielen.“

Zane Donkov büffelte für eine Nachschreibeklausur in einer kleinen Einzimmerwohnung, die er mit seinem Vater oben im Hochhaus bewohnte. Er rauchte, ging in die siebte Klasse, vielleicht würde er es in die achte schaffen, das hing davon ab. Ich hatte nichts mit solchen zu tun, die rauchten und Klausuren nachschreiben mussten.

Eines Nachmittags beschloss ich, mit dem Lift in den vierzehnten Stock zu fahren, dann die sechs schmalen Treppen hinaufzusteigen und die rote Metalltür so weit wie möglich zu öffnen … Von der Terrasse konnte man das Meer sehen. Ich kämpfte mich durch die Wäsche, einen Wald von Strümpfen, ein Feld von Bettlaken. Am Ende meines Weges sah ich einen Jungen auf der Balustrade sitzen. Seine Beine baumelten über dem Abgrund und er blies Rauchringe in den Himmel. Sein nackter Rücken war kupferbraun, er trug nur Hawaii-Bermudas, war barfuß und sein verletzter Zeh blutete. Er balancierte wagemutig auf der Brüstung, von der aus die Autos wie Spielzeug aussahen. Zane Donkov hob zum Zeichen des Grußes sein Bein und streckte mir seinen zerschundenen Zeh entgegen:

„Ohne Pflaster.“

„Aha“ — ich nickte, nicht gerade begeistert.

Zane hatte blonde lockige Haare. Er wusste vieles, was ein Junge seines Alters eigentlich nicht wissen sollte. Jeden Tag, wenn Großmutter zu Tante Micika ging, ließ ich meine Hausaufgaben liegen und eilte in den vierzehnten Stock. Dort war er Sawyer, Huckleberry Finn. Ich war manchmal Pippi, aber meistens Alice im Wunderland. Er nannte mich Rotznase, das störte mich nicht. Wenn wir nichts Besseres vorhatten, balancierten wir auf der Mauer über der Stadt. Unten konnte man, wie in einem Bilderbuch, hinter den Häusern, Parks, Plätzen und Straßen den Strand, den Hafen und ein bisschen Meer sehen, ganz blau, mit Papierschiffchen …

Großmutter breitete das Tischtuch aus und ich half ihr den Tisch fürs Mittagessen zu decken. Sie war noch immer aufrecht und schlank, färbte sich regelmäßig die Haare. Wenn sie lachte, und sie hatte ein breites Lachen wie ich, dann sah man ihren goldenen Fünfer und Siebener, links oben. Sie fragte, ob sie die goldenen durch Porzellanzähne ersetzen sollte. Früher waren Goldzähne Mode. Ich sagte ihr, dass sie schön sei, so wie sie war, dass ihre Zähne schön seien und dass Popstars sich heute Diamanten in die Zähne einsetzen ließen und dass doch alles ein und dasselbe sei. Sie war zufrieden und sagte, alle anderen Zähne bis auf die beiden seien noch ihre eigenen. Darauf schien sie sehr stolz zu sein. Die Tomatensoße duftete aus dem Topf, doch zuerst musste ich Suppe essen.

Die kräftigsten Zähne der Welt hatte Zane Donkov. Dieser Junge öffnete Flaschen mit den Zähnen, er konnte alles damit durchbeißen. Er behauptete, dass er einmal einer Taube, die immer auf die Wäsche kackte, den Kopf abgebissen habe. Zane Donkov war furchteinflößend.

Eines faulen heißen Nachmittags lagen wir unter aufgespannten Bettlaken und Frauenslips, die an der Leine hingen.

„Einmal habe ich hier Frauenunterhosen geklaut. Mein Vater hat mich verprügelt. Jetzt nehme ich sie nur kurz, wenn niemand da ist und hänge sie sofort wieder zurück.“

„Was willst du mit Frauenunterhosen?“

„Ach, du Baby. Haha, was ich damit will? Na, alles Mögliche, an ihnen riechen …“

„Igitt.“

„Aber das ist besser, wenn sie schmutzig sind.“

„Du bist widerlich und ein elender Lügner!“

„Meinst du? Ich beweise dir, dass ich das nicht bin. Na, was guckst du denn so erschrocken, fang mir bloß nicht an zu heulen. Haha, bist du ein Grünschnabel. Bestimmt hast du noch nie in echt einen nackten Menschen gesehen.“

„Stimmt nicht, jeden Morgen sehe ich den Hintern meiner Großmutter, wenn sie ihr Nachthemd auszieht!“

„Den Arsch deiner Großmutter. Pff, das zählt doch nicht, ich werde noch verrückt mit dir!“

Er stützte sich auf die Ellbogen und schüttelte wichtigtuerisch seinen schönen Kopf, dann nahm er die letzte Zigarette aus der Schachtel. Ich nahm die ersten zwei Züge, unterdrückte die Tränen in den Augen und den Husten im Hals:

„Mir reicht’s, ich habe heute keine Lust“, brachte ich gerade noch hervor.

Er stieß Rauchwolken durch die Nase aus und erzählte:

„Ich war noch jünger als du, da hatte ich schon die Ärsche von fast allen Mädchen in der Schule gesehen. Ich ging immer ins Mädchenklo, kletterte auf die Klobrille und linste über die Trennwand ins Klo nebenan. Bis eines Tages die Lehrerin von den Erstklässlern Durchfall kriegte und ins Frauenklo gerannt kam. Das hat so gestunken, ich also raus wie der Blitz und da haben sie mitgekriegt, dass ich aus dem Frauenklo kam. Ein paar Petzen haben sich beschwert, dass sie mich beim Spannen gesehen hätten und der Schulrat ist mir aufs Dach gestiegen. Aber das war echt Kinderkram. Kennst du Vanessa aus der Siebten?“

Ich kannte Vanessa, sie kam in diesem Jahr aufs Gymnasium und wohnte gegenüber von Tante Micika.

„Also, sie hat mich rangelassen, ich meine, ich durfte sie bumsen. Schon dreimal.“

Er schaute mir in die Augen und spuckte den Zigarettenstummel bis zum Rand der Terrasse. Ich fühlte, wie mein Gesicht brannte.

„Willst du sehen, wie?! Guck, so!“

Er rollte sich über mich und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Mmmmmm … ich konnte weder mein Gesicht abwenden, noch meine Hände unter seinen wegziehen … alles was ich konnte, war … genau — ihn in die Nase beißen! Und nicht mehr loslassen.

„Aaaaaa. Lass los. Bar doch nur ein Bitz, Kleine. Du bist doch bein kleiner Kumpel. Bist du böse, beil ich dich geküsst habe? He, lass los! Bach ich nie bieder, Ehrenbort!“

Innerhalb von einer Sekunde war ich einige Stockwerke tiefer. Rote Peperoni, aber nicht ganz so scharf.

Sie reichte mir schon den zweiten Teller mit Nudeln und streute gelben Parmesan über die rote Tomatensoße.

Im alten Kassettenrekorder lief ständig dieselbe Kassette: A-Seite — Tereza Kesovija, B-Seite — Oliver Dragojević, überspielt von der Top Ten. Das war mein Werk, begonnen, wie es der Moderator akustisch dokumentierte: am ersten Samstag im August des Jahres sechsundachtzig. Meine Eltern ließen sich scheiden und ich habe diesen Sommer bei meiner Großmutter in einer größeren Stadt verbracht, wo man das Meer nur vom Dach des Hochhauses sehen konnte.

Ich dachte an meine Ein-Satz-Geschichte. Alles, was ich darüber hinaus hinzufügen könnte, schien mir überflüssig. Die ganze dramatische Spannung, Atmosphäre, Verwicklung, der Höhepunkt und die Auflösung dieses Sommers passten in einen Satz. Ich könnte weiter erzählen, nach der verlorenen Zeit suchen, auf zweiunddreißig Seiten lamentieren, mit der Türklinke von Großmutters Wohnungstür in der Hand. Ich könnte auch erzählen und lügen, ich weiß, aber ich werde ehrlich sein — hier endete die Geschichte. Gleich zu Anfang. Wenn ich eine Geschichte über diesen Sommer schreiben wollte, diesen wichtigsten Sommer meiner Kindheit, nach dem nichts mehr so war wie früher, müsste ich sie dann neu erfinden?

„Ach, ich hätte dich ja nicht allein gelassen … aber du warst eben in Micikas Robi verschossen und es war dir peinlich, mit mir zu ihr gehen. Oder glaubst du etwa, ich weiß das nicht?! Er war so goldig, mit den blonden Locken und ziemlich wild, hatte immer Hausarrest und Nachhilfe, die armen Eltern. Nein, nein, besser, dass du nicht mit ihm gespielt hast!“

„Hör auf Oma, ich war nicht in diesen Robi verknallt, an den erinnere ich mich kaum. Du weißt, dass ich in Zane Donkov verliebt war.“

„Huhu, was ich noch alles zu hören kriege! Mein Kindchen, als ob ich nicht wüsste, dass du dir diesen Zane Donkov ausgedacht hast, wo du den bloß her hattest … aus einem Schulbuch? Ich verstehe bis heute nicht, was zum Teufel du oben auf dem Hochhaus zu suchen hattest. Außer der Wäscheleine war dort oben nichts. Ich weiß, dass dir langweilig war mit einer alten Frau, und alles, was mit deiner Mutter und deinem Vater war, hat dich sicher getroffen, ist doch normal. Das war und ist vorbei! Gott sei Dank, nicht wahr? Na also. Du erinnerst dich an die kleine Vanessa, gegenüber von Micika. Die hat Robi geheiratet, die sind noch in der Schule zusammengekommen, aber sie scheinen sich scheiden zu lassen …“

„Du irrst dich, Oma, Zane gab es wirklich.“

Ich schrieb ihm einen Brief, in dem ich ihm alles verzieh und vorschlug, dass er und ich wieder alte Freunde sein könnten, aber er durfte mich nie wieder auf den Mund küssen, wenigstens bis ich zwölf war oder bis ich es selbst wollte.

Ich schlich mich zum Fenster der Einzimmerwohnung, der nachmittägliche Mistral ließ die geöffnete Fensterscheibe krachend auf und zu schlagen. Vielleicht ist er nicht da, dachte ich, vielleicht wartet er heute nicht auf mich, vielleicht ist er verärgert, weil ich ihn in die Nase gebissen habe. Und dann hörte ich etwas … das klang so:

„A-a-a-aaa. A-a-a-aaaa. A-a-a-aaaaa …“

Vanessa lag reglos auf der Couch, sah zur Decke und gab dieses gleichmäßige Geräusch von sich. Auf ihr lag Zane, rot im Gesicht, richtig hässlich, die Shorts hingen ihm in den Kniekehlen und der glatte nackte Hintern bewegte sich schnell rauf-runter, rauf-runter.

Ich kletterte nie wieder auf die Terrasse.

Am übernächsten Tag kam meine Mutter und nahm mich mit in unsere Stadt ohne Hochhäuser, wo man an warmen Abenden hören konnte, wie das Meer gegen die Promenade schlug, so nah war es. Alles war wie immer, bloß dass Papas Hausschuhe nicht mehr im Flur auf ihn warteten. Auch meine Mutter wartete nicht mehr auf ihn. Nur ich, jeden zweiten Freitagnachmittag.

Ich ging oft zu meiner Großmutter, aber Zane Donkov habe ich nie wieder getroffen. In der siebten Klasse verliebte ich mich in einen langhaarigen Heavy-Metal-Fan, der mir Filmküsse beibrachte, mit Zunge. Ich bemühte mich, Heavy Metal zu mögen, aber es gelang mir nicht, überhaupt nicht.

Beim Hinausgehen küsste ich meine Großmutter auf die Wangen, im Fahrstuhl drückte ich statt auf Erdgeschoss auf den Knopf mit der Vierzehn.

Sechs Treppchen, eine rote Metalltür, genau wie vor zwanzig Jahren. Und an der Wäscheleine windbewegte Wäsche. Großmutters Hochhaus segelte, einst das größte Hochhaus in der Stadt, vielleicht hatte es sich einen Meter dem Meer genähert.

Es gab oben auf dem Hochhaus gar keine angebaute Einzimmerwohnung, es gab sie nicht mehr oder es hatte sie nie gegeben, was völlig gleichgültig war.

Tom und Huckleberry und Zane Donkov waren für immer dreizehn. Wie konnte Zane Tante Micikas dreiunddreißigjähriger Robi sein!?

Was wirklich gewesen war und was ich mir ausgedacht hatte, konnte ich nicht unterscheiden. Ich glaube, das habe ich damals auch nicht gekonnt. Wie konnte ich meine Geschichte wahrhaft erzählen, genau so, wie sie war, wenn ich sie nicht neu erfand.

Und ich gestehe, auch meine Großmutter gab es oben im neunten Stock schon lange nicht mehr, sie war vor einigen Jahren gestorben, wie Tante Micika, mit der sie früher Torten gebacken hatte, verziert mit Marzipanblumen und mit bunten Streuseln.

Aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit könnte man sagen, dass alles genau so gewesen wäre, wie ich es beschrieben habe.

Aus der Kindheit eines Regisseurs von Roadmovies


„Das ist das beste Alter, zwölf, dreizehn“ — behauptete Franci — „mit zwanzig bist du schon alt.“

Sie saßen auf dem Parkplatz hinter der Grundschule, Marica, Tanja und er. Die Sommerferien hatten begonnen. Matsch hatte sich in heißen Staub verwandelt, in den Franci seine Fußsohlen eingrub. Es gelang ihm, unbemerkt den Kopf in Tanjas Schoß zu legen. Sie schreckte kurz auf, stieß ihn aber nicht von sich. Er war glücklich.

Die gleißende Sonne brannte auf seiner Stirn und seinen Wangen. Er redete und redete und die Mädchen hörten ihm zu. Was war er glücklich!

Die Schwestern hatten zu Hause etwas angestellt und durften nicht außer Sichtweite des Wohnblocks. Möwen flogen über das Stück Himmel zwischen den Hochhäusern und sie waren alles, was man hören konnte. Nichts, außer dem Schreien der Möwen. Alle anderen waren schon am Strand. Sprangen vom Bootssteg ins flache Wasser und warfen mit Seegurken auf kreischende Frauen. Jeden Sommer dasselbe, flüsterte Franci zu sich, er verpasste nichts. Es gefiel ihm, wo er jetzt war.

In der Mittagssonne glänzten Autohauben, metallglattes Leder in schnellen Schlitten.

Marica leckte an ihrem Eis am Stiel, die Schokolade schmolz, tropfte auf den staubigen Boden und wurde aufgesogen.

Nichts bewegte sich außer den roten Ameisen am Fuß der Mauer, auf der die drei saßen. In der Schläfe, die auf Tanjas braunes Knie drückte, fühlte Franci sein Herz schlagen. Tanja sah Franci an.

„In den Zeitungen stand auch etwas darüber, aber nicht viel. Dieser dreizehnjährige Junge, Johnny, hat einen Jaguar geklaut. Du weißt, was ein Jaguar ist, das Auto mit den meisten PS?! Einen in schwarz-metallic, einen echten Panther, Wahnsinn. Das war in Australien, nicht so lange her. Und stell dir vor, er hatte zwei Mädchen dabei, genau wie ihr zwei, die eine zwölf, die andere acht Jahre, also noch ziemlich klein. Und ich weiß nicht wie, aber die drei haben es geschafft, dieses Auto zu klauen, verstehst du? Sie sind mit über 200 Sachen durch die Wüste gerast. Weißt du, was die australische Wüste ist? Also stell dir vor, diese Temperatur hier, das haben die mitten im Winter. Die Autoreifen platzen vor Hitze auf dem Asphalt, kein Mensch weit und breit, kein Wasser, kein Wind. Nur tote Kängurus. Stell dir das mal vor, Tanja. Und die drei sind fünfhundert Kilometer vor der Polizei geflohen. Sie haben irgendwo in einem Motel übernachtet und das Auto mit einer Plane bedeckt, damit es der Polizei nicht auffällt. Eine Bande aus dem Ort kam in das Motel. Sie wollten die beiden Mädchen vergewaltigen, aber Johnny hat sie reingelegt. Sie konnten vor ihnen flüchten. Später hat man sie an einer Tankstelle erkannt. Der Sheriff und alle anderen kamen in Jeeps dorthin. Es gab ein Wettrennen durch die Wüste. Der Jaguar war ganz rot von der Erde. Und die Polizeijeeps hinter ihm her. Dann ist ihnen der Sprit ausgegangen oder so ähnlich, und man hat sie nach Hause gebracht.“

„Aber wo wollten sie denn hin?“, fragte Marica mit großen Augen und schokoladeverschmiertem Mund.

„Ist es denn wichtig, wo sie hinwollten!?“ — Francis Blick streifte Tanja flüchtig, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen.

„Die Fahrt allein ist wichtig, das ist Freiheit. Du bist noch klein und verstehst das nicht. Wenn wir eine Wüste hätten, würde ich es genau so wie dieser Johnny machen Wir haben hier nicht die geographischen Möglichkeiten, verstehst du. Uns würden die Polizisten noch vor dem Dorf Neorić erwischen.“

Tanja lachte. Das erschreckte und ermutigte ihn gleichzeitig. Er sah ihr in die Augen und sagte:

„Wir machen das in den nächsten Jahren. Später geht es schon nicht mehr. Man hat dann keine Lust mehr, weil man zu alt ist.“