Cover

Tom DeMarco
Peter Hruschka
Tim Lister
Steve McMenamin
James Robertson
Suzanne Robertson

Adrenalin-Junkies & Formular-Zombies

Typisches Verhalten in Projekten

2., überarbeitete Auflage

© 2022 by Tom DeMarco, Peter Hruschka, Tim Lister, Steve McMenamin †, James Robertson, Suzanne Robertson

Alle in diesem Buch enthaltenen Informationen, Verfahren und Darstellungen wurden nach bestem Wissen zusammengestellt und mit Sorgfalt getestet. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen. Aus diesem Grund sind die im vorliegenden Buch enthaltenen Informationen mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine juristische Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Art aus der Benutzung dieser Informationen – oder Teilen davon – entsteht.

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Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© 2022 Carl Hanser Verlag München, www.hanser-fachbuch.de

Print-ISBN:        978-3-446-47306-5
E-Book-ISBN:   978-3-446-47365-2
E-Pub-ISBN:     978-3-446-47495-6

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort zur zweiten Auflage

Einleitung

1 Adrenalin-Junkies

2 Peer Coaching

3 Nicht lang schnacken, zupacken

4 Toter Fisch

5 Claqueure gesucht

6 Der kurze Ruhm

7 Kindermädchen

8 Projizierter Schmerz

9 Mañana

10 Unplugged

11 Management nach Gefühlslage

12 Messen, aber was?

13 Fundamentalisten

14 Verpachte Deine Seele

15 System Development Lemming Cycle

16 Ohne Ersatzbank

17 Ich bin Ruderer!

18 Ein Meißel macht noch keinen Michelangelo

19 Dashboards

20 Endlosdebatten

21 Junge Hüpfer und alte Hasen

22 Filmkritiker

23 Klare Verhältnisse

Deutsch – Projekt, Projekt – Deutsch

24 Sowjet-Charme

25 Natürliche Autorität

26 Totenstille im Büro

27 Die weiße Linie

28 Ist Schweigen Zustimmung?

29 Der Versuchsballon

30 Ohne Netz

31 Der große Basar

32 Vorgetäuschte Dringlichkeit

33 Die Zeit nimmt Dir die Karten aus der Hand

34 Lewis und Clark

35 Der Bleistiftstummel

36 Rhythmus

37 Mei, san mia fleißig!

38 Poker-Abend

39 Qualitätssicherung auf Irrwegen

40 Testen vor dem Testen

41 Spielregeln im Ziderhaus

42 Die zukünftige Arbeitswelt

43 Eine Diaspora von Mitarbeitern

44 Zurück ins Büro

45 Multiplayer-Online-Spiele

46 Unsichtbar

47 Erst reden, dann schreiben

48 Gierschlund

49 Atlas

50 Bauchfrei steht nicht jedem

51 Wiki-Gärtner

52 Peer Preview

53 Schnorcheln und Tauchen

54 Die verflixten Schnittstellen

55 Die blaue Zone

56 Schönreden

57 Ein eigenes Zimmer

58 Wahrheit scheibchenweise

59 Das Endspiel üben

60 Musik, Musik, Musik

61 Journalisten

62 Der leere Stuhl

63 Mein Vetter Winnie

64 Feature-Suppe

65 Ein Leben mit anderen

66 Datenqualtät

67 Manfred

68 Kannst Du das aufzeichnen?

69 Extrem Knigge

70 Ungeteilte Aufmerksamkeit

71 „Beim Baseball wird nicht geweint“

72 Der Unbeugsame

73 Auf Tuchfühlung

74 Essen++

75 Waisenkinder

76 Verborgene Schönheit

77 Ich weiß es nicht

78 Die Kinder von Lake Wobegone

79 Koedukation

80 Seelenverwandtschaft

81 Die Kreuzschlitzschraube

82 Innovationsvorhersage

Ein Blick in den Schneideraum

83 Anerkennung

84 Brownsche Bewegung

85 Laut und deutlich

86 Das Sicherheitsventil

87 Babylon

88 Überraschung

89 Die Kühlschranktür

90 Morgen scheint die Sonne wieder

91 Einer geht noch

92 Zeit für Änderungen

93 Papierfabrik

94 Die Montagues und die Capulets

95 Menschliches Kapital

96 Was für ein Duft liegt in der Luft?

97 Aus gehabtem Schaden nichts gelernt

98 Schonzeit für Ideen

99 Zeitmigration

100 Die 4-Tage-Woche

101 Im Geiste von Karen McCluskey

102 Management aus der Ferne

103 Formular-Zombies

Über die Gilde

Quellennachweis der Abbildungen

Alphabetischer Index der Muster

Vorwort zur 2. Auflage

In der ersten Ausgabe dieses Buchs (2007) haben wir eine Sammlung von Mustern für gutes und schlechtes Projektverhalten vorgestellt, die auf unseren Beobachtungen von Unternehmen in Amerika, Europa und Asien basieren. Die meisten dieser Muster sehen wir immer noch überall, aber es hat sich seither auch einiges geändert. Die starren Entwicklungsprozesse, die wir damals aufs Korn genommen haben, sind seltener geworden. Dies ist zum Teil auf die weit verbreitete Einführung agiler Methoden zurückzuführen, zum Teil aber auch auf die Ablehnung des CMM1-Ansatzes „Plane die Arbeit und arbeite nach dem Plan“, der eine umfangreiche Vorplanung erforderte, bevor die eigentliche Arbeit beginnen konnte. Heute ist es viel üblicher, dass die Entwicklung in hohem Maße iterativ, inkrementell erfolgt, fast unabhängig von der Art des zu entwickelnden Systems.

Noch wichtiger ist, dass die Pandemie unser aller Leben und auch einige unserer Grundeinstellungen verändert hat. Wir sehen, dass viel mehr Arbeit zu Hause erledigt wird. Die neuen Technologien für die Tele-Arbeit sind ausgereift und ermöglichen es uns, räumlich getrennt zu arbeiten und dennoch zusammenzuarbeiten. Das bedeutet, dass die Unternehmen gezwungen sind, neu zu überdenken, wie die Arbeit nach der Pandemie weitergehen soll: zurück ins Büro, Arbeit von zu Hause aus oder eine Art Mischform. Die Muster 422 bis 46 und einige andere im gesamten Buch befassen sich mit dieser Zwickmühle. Während die meisten unserer Muster eindeutig entweder positives oder negatives Verhalten wiedergeben, sind die Muster, die sich auf die Arbeitsformen nach der Pandemie beziehen, notwendigerweise neutral, da sich die langfristigen Auswirkungen dieser Veränderungen erst mit der Zeit zeigen werden.

In der Zeit seit der ersten Ausgabe dieses Buchs haben wir immer wieder neue Projektmuster entdeckt, und zwar so viele, dass wir unsere ursprüngliche Arbeit aktualisieren mussten. Wir haben Muster hinzugefügt, die wir und andere in der Zwischenzeit beobachtet haben, und wir haben einige herausgenommen, die weniger relevant geworden waren.

Die Arbeit an den Mustern erschien uns wichtig, denn wir sehen einen starken Zusammenhang von Unternehmen, in denen die konstruktiven Muster überwiegen, und deren Leistungsfähigkeit und Erfolg. Natürlich gehört zu guten Leistungen mehr als konstruktive Muster, zum Beispiel Talent. Aber wir haben auch festgestellt, dass eine Arbeitsplatzkultur, die von guten Mustern geprägt ist, ein starker Anziehungspunkt für talentierte Mitarbeiter ist.

In den letzten Jahren haben wir an einem Begleitwerk zu diesem Buch gearbeitet. Dieses Buch heißt Happy to work here: Betriebsklima verstehen und verbessern, das jetzt sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch erhältlich ist. Die Kultur am Arbeitsplatz besteht, wie jede andere Kultur auch, aus einer Reihe gemeinsamer Überzeugungen und den daraus resultierenden Verhaltensweisen. In Happy to work here haben wir diese gemeinsamen Überzeugungen in Form von sechs Einflussfaktoren der Arbeitsplatzkultur identifiziert und skizziert. Ausgehend von den gemeinsamen Überzeugungen, die für eine gesunde Kultur notwendig sind, haben wir dann die Verhaltensweisen abgeleitet, die sich aus diesen Überzeugungen ergeben.

Adrenalin-Junkies und Formular-Zombies betrachtet dasselbe Thema aus dem entgegengesetzten Blickwinkel: Es konzentriert sich zunächst auf die Verhaltensweisen. Wenn wir ein Verhaltensmuster identifizieren und ihm einen Namen geben, dann ist es einfacher, dieses Verhalten zu erkennen und darauf zu reagieren, es zu verstärken, wenn es sich um ein positives Muster handelt, oder Schritte zu unternehmen, um es umzukehren, wenn es einem gesunden Arbeitsplatz abträglich ist.

Im Folgenden finden Sie unsere aktualisierte Sammlung von Verhaltensmustern in Projekten, von guten, schlechten (einigen fast teuflischen) und einigen interessanten neutralen Mustern. Wir vermuten, dass Sie einige finden werden, die für Ihren Arbeitsplatz oder für andere Arbeitsplätze, die Sie vielleicht kennen, zutreffen. Und Muster erkennen (und explizit benennen) ist der erste Schritt, um darauf reagieren zu können und somit das Verhalten zu beeinflussen.


1 Capability Maturity Model

2 Ja, die Position im Buch ist Absicht

Einleitung

Abstraktionsvermögen ist eine Fähigkeit, über die nur der Mensch verfügt. Wir nutzen diese Fähigkeit jeden Tag, in jeder wachen Stunde. Aber das war nicht immer so. Irgendwann in unserer Vorgeschichte muss es ein allererstes Mal gegeben haben, einen Moment, in dem ein früher Vormensch etwas vage Vertrautes anstarrte und in einem Geistesblitz erkannte: „Hoppla! Da ist das Dingsbums wieder!“3 Das war die erste Abstraktion. Von diesem Moment an war alles anders. Der Mensch wurde auf die Erde losgelassen. Abstraktion ist eine grundlegende menschliche Fähigkeit. Ganz im Gegensatz zur Mustererkennung – diese Fähigkeit besitzt der Mensch nicht allein. Die Maus hat herausgefunden, wann die Katze wahrscheinlich schläft, wann die Menschen sich nicht mehr in der Küche befinden und wann die Brotkrümel heruntergefallen sind, aber noch nicht weggefegt wurden. Ihr Hund kennt alle Signale, auch die, die dem Wochenendausflug vorausgehen, der Ihrer Meinung nach völlig überraschend kommen sollte. (Kann es der Koffer gewesen sein?) Und der Waschbär aus der Nachbarschaft weiß ganz genau, dass er bei Ebbe die besseren Häppchen natürlich am Strand findet und nicht in Ihrem Komposthaufen. Aber trotz ihrer Fähigkeit zur Mustererkennung sind Maus, Hund und Waschbär zu einer Sache nicht in der Lage: zu einer Beobachtung der Art: „Hoppla! Da ist das Dingsbums wieder!“ Dazu bedarf es der Abstraktion.

Der entscheidende Unterschied besteht darin, auf welche Weise das Wesentliche erfasst wird. Muster werden mit der Zeit aufgenommen und verfeinert, in den hintersten, nonverbalen Winkeln Ihres Gedächtnisses abgelegt und in Form von Gefühlen oder Ahnungen wieder hervorgeholt. Die Ahnung, dass der Ballführende vorhat, links vorbei zu spielen, oder dass Ihr Gatte oder Ihre Gattin jeden Moment vor Wut explodieren wird, ist das Ergebnis erlernter Muster aus der Vergangenheit. Dasselbe gilt für das Gefühl, dass es auf dem Projekttreffen diese Woche strittig zugehen wird. Das unausgesprochene Muster kann für Sie nützlich sein – es hat eindeutig einen Wert für das Überleben –, aber Sie können diesen Wert merklich steigern, indem Sie darüber nachdenken und damit beginnen, erklärbare Beobachtungen daraus abzuleiten. Was hatten die wenigen streitbaren Treffen in den letzten Jahren gemeinsam? Nun, meistens waren es die Treffen, an denen der Chef vom Chef teilnahm, insbesondere, wenn sie zum Quartalsende hin stattfanden. Und am schlimmsten war es, als eine neuerliche Verzögerung zur Sprache kam. Sie fassen diese Erfahrungen in folgendem Muster zusammen: „Mein Chef wird wahrscheinlich extrem gereizt sein, wenn er auf einem Treffen zum Quartalsende hin in Anwesenheit seines Chefs von einer Verzögerung erfährt.“ Die erkannten Signale, die zu dieser Beobachtung führten, sind nach wie vor in Ihrem Unbewussten verborgen und können immer noch gelegentliche Ahnungen hervorrufen. Aber nun haben Sie – durch eine vorübergehende Verbindung zwischen der Ahnung der rechten Gehirnhälfte und der Artikulationsfähigkeit der linken Gehirnhälfte – die Essenz freigelegt und in Worte gefasst. Sie können sie aufschreiben, Tests formulieren, um ihre Gültigkeit zu überprüfen, sie mit anderen teilen, Ihre Beobachtungen mit denen Ihrer Kollegen verknüpfen.

Die meisten Menschen, die Projektarbeit leisten, sind ziemlich gut darin, Muster zu erkennen und daraus Ahnungen abzuleiten („Ich spüre, dass dieses Projekt in ein Desaster münden wird“), aber weniger gut darin, die Muster zu abstrahieren und in eine nützlichere Form zu bringen. Daher dieses Buch. Wir sechs Autoren haben unsere Köpfe zusammengesteckt, um die Muster in Worte zu fassen, die wir uns im Laufe unserer vereinten 150 Jahre an Erfahrung einverleibt haben.

Die Form eines Buchs macht es notwendig, dass eine Seite entweder vor oder nach einer anderen kommen muss. Für die Muster selbst gibt es aber keine natürliche Reihenfolge. Wir haben sie nach unserem Geschmack geordnet und uns dabei bemüht, von der ersten bis zur letzten Seite für ein größtmögliches Lesevergnügen zu sorgen.

Ein warnender Hinweis vorweg: Wir behaupten nicht, dass die von uns beobachteten Muster allgemeingültig sind. Sie treffen garantiert nicht überall zu. Ein bestimmtes Muster kann auf Ihr Unternehmen zutreffen – oder auch nicht. Falls es zutrifft, hoffen wir, dass wir Ihnen damit einen Denkansatz an die Hand geben können, der andernfalls nur ein vages Gefühl von den Dingen bliebe, die um Sie herum geschehen.

Beim Schreiben dieses Buchs waren wir uns immer bewusst, dass wir in der tiefen Schuld des Architekten und Philosophen Christopher Alexander und seines Buchs „Eine Muster-Sprache“4 stehen. Alexander und seine Mitverfasser artikulierten in ihrer wegweisenden Arbeit einige hundert Muster der Architektur. Das Buch hat uns nicht nur geholfen, die Gebäude, die wir bewohnen – oder gerne bewohnen würden –, besser zu verstehen, sondern hat auch gezeigt, dass sich mit durchdacht artikulierten Abstraktionen jedes Thema erörtern lässt.


3 Das Zitat stammt aus Kapitel 12 des 1890 erschienenen Buchs „Principles of Psychology“ von William James.

4 C. Alexander et al.: „Eine Muster-Sprache. Städte, Gebäude, Konstruktion“, Löcker Verlag, Wien 1995.

1 Adrenalin-Junkies

Im Unternehmen wird hektische Betriebsamkeit als Zeichen gesunder Produktivität gewertet.

Das Telefon klingelt.

„Wir müssen diese Woche unbedingt noch Korrekturen an den Anforderungen vornehmen. Können Sie vorbeikommen und sich einmal ansehen, was getan werden kann?“

„Was stimmt denn mit der Anforderungsspezifikation nicht?“

„Wir hatten es eilig und haben sie von ein paar neu angestellten Mitarbeitern schreiben lassen. Jetzt haben wir aber das Gefühl, dass sie nicht genau wissen, was sie da tun.“

„Wäre es dann nicht produktiver, wenn wir sie beim Verfassen von Anforderungen coachen würden?“

„Aber wir brauchen die Spezifikation noch diese Woche.“

„Okay, ich komme morgen vorbei.“

Zwei Stunden später:

„Können Sie vorbeikommen und sich unsere Planungen einmal ansehen?“

„Was ist aus der Spezifikation geworden?“

„Wir haben keine Zeit. Wir machen jetzt einfach mit den Anforderungen weiter, so wie sie sind. Mein Chef will die Planungen noch heute vorgelegt bekommen …“

Vermutlich erkennen Sie ohne Weiteres die Anzeichen eines Unternehmens, das auf Adrenalin-Junkies setzt: Die Eile ist offenkundig; Prioritäten werden laufend verschoben; alles wird „am liebsten gestern schon“ benötigt; die Projektzeit bis zur Produktauslieferung reicht nie aus; jedes Projekt ist dringend und ständig kommen neue dringende Projekte rein. Alle sind total hektisch – und zwar permanent.

Solche Unternehmen sind nicht in der Lage, strategisch zu denken. Die Arbeit wird ausschließlich auf der Basis von Dringlichkeit erledigt. Solange der „Hektikfaktor“ eines Projekts nicht groß genug ist, wird es ignoriert; auch dann, wenn es wichtig genug ist, um einen langfristigen geschäftlichen Nutzen zu versprechen. Oder es wird ignoriert, bis es plötzlich (Überraschung!) dringend wird. Adrenalin-Junkies sind davon überzeugt, dass die beste Art, Arbeit zu erledigen, definitiv nicht in sorgfältiger Planung besteht, sondern einfach darin, so schnell wie möglich zu arbeiten – egal was.

Diese Arbeitsweise setzt verzweifelte Dringlichkeit mit effektiver Leistung gleich. Wenn Sie in eine solche Kultur eingebunden sind, lässt sich eine Ansteckung nur schwer vermeiden: Man wird zur Eile ermuntert. Programmierer, die die ganze Nacht durcharbeiten müssen, um das Produkt zum absurd kurzfristigen Abgabetermin fertigzustellen (die Qualität spielt dabei keine Rolle), werden wie Helden gefeiert. Teams, die jedes Wochenende am Arbeitsplatz erscheinen, weil sie ihre Arbeit sonst nicht bewältigen könnten, gelten mehr als Teams, die einer geregelten Arbeitszeit nachgehen. Wenn Sie zu denjenigen gehören, die nicht ständig Überstunden leisten und keine hektische Betriebsamkeit ausstrahlen, sind Sie „keiner von uns“. Sie sind dann keiner der „Ich-kann-überall-gleichzeitig-arbeiten-Mitarbeiter“, die dieses Unternehmen am Laufen halten. Unheroischer Einsatz ist schlicht nicht akzeptabel.

Die meisten adrenalinsüchtigen Unternehmen weisen mindestens einen Engpass auf: den Helden, der sämtliche Entscheidungen in Bezug auf das Design fällt; oder der als Einziger Anforderungen vorgibt; oder der sämtliche Entscheidungen in Bezug auf die eingesetzte Architektur fällt. Dieses Verhalten ist in zweifacher Hinsicht bedenklich: Er überlastet sich selbst dadurch, dass er sich mehr Arbeit auflädt, als ein Normalsterblicher überhaupt bewältigen kann. Und durch seine Überlastung wird er zum Flaschenhals und blockiert Entscheidungen. Wenn er sie dann endlich trifft, muss der Rest der Mannschaft noch hektischer strampeln.

Fast alle adrenalinsüchtigen Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass Kundenzufriedenheit als Ausrede für Hektik herhalten muss. Sie verwechseln allerdings sinnvolle Kundenorientierung mit sinnlosen Schnellschüssen. Wenn ein Kunde eine Anfrage stellt, wird sie unabhängig von ihrem potenziellen Nutzen oder gar ihrer Sinnhaftigkeit umgehend zu einem Projekt – häufig mit einem lächerlich kurzfristig angesetzten Abgabetermin (siehe auch 48 „Gierschlund“). Jedes neue Projekt erhöht natürlich die Arbeitsbelastung der bereits überlasteten Helden, wodurch sich die Geschäftigkeit noch weiter erhöht – das alles ist Futter für den unstillbaren Hunger des Unternehmens nach mehr, mehr, mehr Beschäftigung. Viele dieser Unternehmen sind – irrtümlich – der Meinung, dass das die Kernidee der neuen, agilen Methoden ist.

Adrenalinsüchtige Unternehmen reagieren lieber, statt vorher nachzudenken. Das führt dazu, dass sich die meisten Dinge ständig im Wandel befinden; nichts ist festgelegt oder auf lange Sicht angelegt. Der Zustand des Wandels zieht sich durch sämtliche Bereiche: Spezifikationen unterliegen ständigen Änderungen – letztendlich weiß niemand so genau, was eigentlich gefordert wird; Designs und Pläne unterliegen ständigen Änderungen – sie sehen morgen garantiert wieder anders aus. Es wird gar nicht erst versucht, Prioritäten für die wichtigen Aufgaben zu setzen; es gibt nur dringliche Aufgaben.

Es gibt keine Reha-Klinik für adrenalinsüchtige Unternehmen und wohl auch keine Heilmethode, bei der man darauf verzichtet, Adrenalin-Junkies auszumerzen und durch Führungskräfte zu ersetzen, die verstehen, dass das Unternehmen nur dann effektiv sein kann, wenn es sich nicht ständig im Ausnahmezustand befindet. Aber das klappt oft nicht. Denn oft sorgen gerade das obere Management und manchmal sogar die Geschäftsführung dafür, dass sich das Unternehmen in Dauerhektik befindet. Schließlich wird auf diese Weise die Illusion einer gesunden Produktivität aufrechterhalten. Und wenn es sich schon bei den Führungskräften eines Unternehmens um Adrenalin-Junkies handelt, werden die Projektteams ihnen in nichts nachstehen. Die Teams sind so daran gewöhnt, dass alles brandeilig (in der Regel sogar mega-hyper-eilig) ist, dass sie sich nicht dazu motivieren können, an irgendetwas anderem als den Projekten mit lächerlich kurzfristigen Abgabeterminen zu arbeiten.

Nicht alle adrenalinsüchtigen Unternehmen scheitern. Einige von ihnen schaffen es, ihre hektische Betriebsamkeit über etliche Jahre aufrechtzuerhalten. Aber keines wird jemals etwas Großes schaffen – dafür sind Stabilität und Planung unabdingbar. Dieses Verhalten ist nicht skalierbar; es ist auf Projekte begrenzt, die einige wenige Leute ohne große Richtungsvorgabe oder Strategie abwickeln können, wenn sie sehr, sehr hart arbeiten.

Natürlich gibt es in jedem Unternehmen Zeiten, in denen man hart ranklotzen muss; und es gibt auch einige Jobs, bei denen Feuerwehreinsätze zur Tagesordnung gehören. Doch sind nicht ständig alle Dinge dringend und nicht alle Mitarbeiter mit dringlichen Vorgängen betraut. Solange Dringlichkeit nicht durch vernünftige Prioritätenvergabe und Beschränkung auf das wirklich Wichtige ersetzt werden kann, gibt es kaum Hoffnung auf Heilung von der Adrenalinabhängigkeit.

2 Peer Coaching

Arbeitnehmer auf allen Ebenen fühlen sich wohl, wenn sie coachen und gecoacht werden.

Es gibt etwas, das Ihnen in Ihrem Arbeitsleben sicher schon mehr als einmal passiert ist: Sie haben ein Arbeitsprodukt erstellt – z. B. einen Entwurf, einen Testplan, eine Spezifikation oder ein Benutzerdokument – und zeigen es einem Kollegen, um ein Feedback zu erhalten. Ihr Kollege nickt zustimmend, schlägt aber eine Änderung vor: „Du könntest in diesem Abschnitt einen etwas anderen Ansatz wählen...“. Sie denken darüber nach, beherzigen diesen Rat und nehmen die Änderung vor. Sie sind von der Änderung so überzeugt, dass sie in Ihre eigene Trickkiste, in Ihre Fähigkeiten, aufgenommen wird. Sie sind gerade gecoacht worden.

In meiner Anfangszeit bei Bell Labs haben wir ein komplexes Hardware/Software-System debuggt. Irgendein Genie hatte die Idee, die x- und y-Koordinaten jedes Speicherabrufs zu erfassen und dieses Signal zur Steuerung der x- und y-Positionen auf einem Breitbild-Oszilloskop zu verwenden. Das Ergebnis waren seltsame und oft schöne bewegte Spuren auf dem Bildschirm. Ich nahm an, dass es sich dabei hauptsächlich um dekorative Elemente handelte, aber mein Mentor, Al S___, machte mich eines Tages auf verschiedene Muster in der Spur aufmerksam, die immer dann auftraten, wenn die Netzwerkdiagnose aufgerufen wurde. Er hatte keine perfekte Theorie darüber, wie die meisten Muster zu interpretieren waren, aber er sagte, dass ihm der Blick auf die Kurven oft zu einer nützlichen Vermutung verhelfen würde. Im Laufe der nächsten Monate begann ich, mich mehr und mehr auf die Muster der Spuren zu verlassen, und stellte fest, dass sie tatsächlich meine Vermutungen bestätigten. In den folgenden Jahren habe ich viel über den Wert von Vermutungen und ganzheitlichen Signalen nachgedacht, die sie inspirieren könnten. Da mir in meiner gesamten Laufbahn niemand sonst Ratschläge gegeben hat, wie ich bessere Ahnungen haben kann, bin ich Al bis heute dafür zu Dank verpflichtet. — TDM

Peer-Coaching ist die Norm in praktisch allen gesunden Teams und Arbeitsgruppen: Man lernt von anderen und coacht andere. Es ist ein gutes Gefühl, sowohl zu coachen als auch gecoacht zu werden. Es fühlt sich nach Gemeinschaft an. Vor allem aber fühlt es sich wie eine Situation an, in der man ständig lernt und anderen dabei hilft, ebenfalls zu lernen. Es bedeutet, dass Sie Ihren Teammitgliedern zuhören, und diese hören Ihnen zu.

Peer-Coaching taucht oft bei den täglichen Stand-up Meetings auf. Wenn jemand berichtet, dass er/sie ein Problem hat, meldet sich oft ein Teamkollege, um mit einem Coaching auszuhelfen: „Ich hatte dieses Problem auch letzten Monat. Ich zeige dir, wie ich es gelöst habe.“ Und natürlich gibt es in gesunden Unternehmen auch Peer-Coaching, wenn jemand einen Kollegen einfach fragt, wie er etwas machen soll. Die meisten Menschen haben nichts dagegen, ihr Wissen und ihre Erfahrung weiterzugeben, wenn sie höflich gefragt werden. Es macht auch mehr Spaß, als eine Schulung zu besuchen oder ein Handbuch zu lesen.

Manchmal werden Sie von jemandem gecoacht, der kein Kollege ist. Ihre Vorgesetzte zum Beispiel wäre wahrscheinlich bereit, Sie zu coachen, zumindest für den Teil Ihrer Arbeit, der ihrer eigenen Erfahrung entspricht. Aber Manager leiten heute meist funktionsübergreifende Teams; was auch immer ein Manager vor der Beförderung gemacht hat, könnte sich mit den Fähigkeiten eines Teils des Teams überschneiden, aber nicht mit denen der anderen. Ein Manager, der ein Genie im Testen war, hat wahrscheinlich nicht das Wissen, um die beiden Chip-Entwickler oder den Verbindungsmann zur Regulierungsbehörde zu coachen. Die Leute, die am besten in der Lage sind, Ihnen das nötige Coaching zu geben, sind Ihre Kollegen, die täglich etwas Ähnliches tun wie Sie.

Peer-Coaching auf der Ebene der Sacharbeiter ist so selbstverständlich, dass es vielleicht sogar unbemerkt bleibt, aber auf der ersten und zweiten Führungsebene herrscht oft schon so viel Wettbewerbsdenken, das Peer-Coaching selten macht. Wie schade. Wenn jemand die Hilfe eines Kollegen gebrauchen kann, dann ist es ein unerfahrener Manager. Wenn Sie sich in dieser Situation befinden, wären Ihre Managementkollegen auf der gleichen Ebene die perfekten Trainer für die Managementfähigkeiten, die Sie erwerben müssen. Sie waren alle schon einmal in der Situation. Sie kennen die Zusammenhänge.

Einige sehr gesunde Unternehmen, die wir kennengelernt haben, haben Schritte unternommen, um das Peer-Coaching unter Managern Realität werden zu lassen. Sie tun dies, indem sie aus dem „Managementteam“ ein echtes Team machen, das gemeinsam für die Gruppenergebnisse verantwortlich ist.

Das ist zwar selten, aber erstrebenswert. Die Vorteile der Gemeinschaft verschwinden nicht, wenn man im Organigramm eine Ebene aufsteigt.

Für das Peer-Coaching sind nur zwei Dinge erforderlich: die Bereitschaft, Wissen weiterzugeben, und Menschen, die bereit sind, das Coaching anzunehmen.

3 Nicht lang schnacken, zupacken5

Das Projektteam hat ein untrügliches Gespür, wer was bis wann zu erledigen hat, und will sämtliche notwendigen Tätigkeiten möglichst umgehend erledigt wissen.

Stellen Sie sich vor, Sie spielten bei den regelmäßigen Meetings eines Entwicklerteams das sprichwörtliche „Mäuschen“. Sie würden dieses Verhalten sofort sehen und hören, sobald ein Meeting in Fahrt kommt. Welche Probleme müssen wir lösen? Welches sind die wichtigsten Elemente für eine Lösung? Wer übernimmt für welches Element die Leitung? Was muss als Erstes getan werden? Wer kümmert sich darum? Bis wann? Wenn wir nicht wissen, wie lange eine bestimmte Aufgabe dauert, wer klärt das bis wann? Wann müssen wir wieder zusammenkommen, um die nächsten Schritte zu planen? Fertig.

Nach dem Meeting – häufig noch in derselben Stunde – macht eine E-Mail mit einer Zusammenfassung des vereinbarten Handlungsplans die Runde. Nicht selten sind bereits vor der Zustellung der Zusammenfassung einige der Aufgaben erledigt. Die Leute hatten die ihnen zugedachten Arbeiten unmittelbar nach dem Meeting begonnen.

In einem uns bekannten, extrem schnellen Team ist es nicht ungewöhnlich, dass die Mitarbeiter mit der Erledigung ihrer Aufgaben schon während des Meetings beginnen, in dem ihnen diese Aufgaben zugeteilt werden. In der Regel handelt es sich um einfache Aufgaben (beispielsweise „alle noch offenen Fehler der Priorität 2 zur Sichtung dem Produktmanagement neu zuzuweisen“), bei denen der Betroffene feststellt, dass es einfacher ist, die Aufgabe sofort zu erledigen, als eine Notiz für die spätere Erledigung aufzuschreiben. Sobald feststeht, dass für eine Entscheidung eine weitere (nicht am Meeting teilnehmende) Person befragt werden muss, beginnt irgendeiner der Anwesenden einen IM-Chat mit jener Person und bringt die neuen Erkenntnisse sofort wieder in das Meeting ein, damit man sich auf einen Handlungsplan festlegen kann.

Als er gefragt wurde, wie er drei Bücher gleichzeitig schreiben, eine neue Kollektion von Pullovern designen und ein Bühnenbild stricken kann, antwortete der Handarbeitsguru Kaffe Fassett: „Man lernt einfach, schneller zu arbeiten.“

Solche Beispiele für sofortiges Handeln sind die absolute Ausnahme und sie sind zugegebenermaßen nur durch den Einsatz moderner Technik möglich. Aber das zu Grunde liegende Verhalten entspringt der Kultur des Teams, nicht seiner Ausstattung. Ob das Team nun 10 Minuten oder 90 Minuten benötigte, um die Fehler neu zuzuweisen, ist hierbei gar nicht die Frage; das Team begann einfach sofort mit der Arbeit. An Teams, die nicht lang schnacken, sondern zupacken, lassen sich mehrere Eigenschaften beobachten:

Image       Sie besitzen einen Instinkt für Zeitdruck. Verzögerungen werden als ernstes Erfolgsrisiko wahrgenommen. Sie brauchen nicht mit Terminen schikaniert zu werden. Alle sind daran interessiert, das Produkt schnellstmöglich fertigzustellen und auf den Markt zu bringen (oder das System in Betrieb zu nehmen). Sie haben verstanden, dass Zeit Geld ist.

Image       Sie haben großes Vertrauen in ihre individuellen und kollektiven Fähigkeiten. Stellen Sie sich vor, Sie gehen barfuß durch einen dunklen, unbekannten Raum. Wenn Sie nicht genau wissen, was sich vor Ihnen befindet und wogegen Sie mit Ihrem nächsten Schritt stoßen könnten, werden Sie automatisch langsamer. Ihr fehlendes Vertrauen wirkt wie Reibung. Handlungsorientierte Teams haben großes Vertrauen in die Richtigkeit (oder Korrekturfähigkeit) ihrer Entscheidungen und Handlungen, daher fühlen Sie sich sicher, selbst wenn sie sich auf unbekanntem Terrain schnell bewegen.

Image       Sie sind vom Erfolg der iterativen Entwicklung überzeugt. Sie sorgen sich nicht groß darüber, dass sie etwas falsch machen könnten. Zum einen, weil sie sich grundsätzlich zutrauen, die Situation richtig zu beurteilen, zum anderen, weil Änderungen und regelmäßige Kurskorrekturen für sie ohnehin zum Alltag gehören. Von der Last befreit, ständig perfekte Entscheidungen treffen zu müssen, und mit dem Vertrauen versehen, meistens richtig zu liegen, entscheiden und handeln sie, ohne zu zögern.

Lassen Sie uns noch einen Blick auf das entgegengesetzte Muster werfen: typische „Talkshow“-Teamsitzungen. Davon gibt es mehrere Varianten:

Image       Die Suche nach perfekten Informationen. In manchen Unternehmenskulturen wird mehr Wert darauf gelegt, keine Fehler zu begehen, als darauf, Dinge zu erledigen. Mit anderen Worten, es ist sicherer, gar nichts zu tun, als irgendetwas falsch zu tun. Solche Kulturen bringen Führungskräfte und Teams hervor, die immer nach hinreichenden Informationen suchen, um gleich beim ersten Mal die einzig richtige Entscheidung treffen zu können. Teamsitzungen münden selten in Entscheidungen, was zu tun ist, sondern eher in Entscheidungen, welche weiteren Informationen noch benötigt werden, bevor man eine Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen kann.

Image       Der Kult des „Vertagens“. Unseren Beobachtungen zu Folge neigen schwache Teams viel häufiger dazu, Entscheidungen und Handlungen zu vertagen, als starke Teams. Das Konzept des Vertagens steht in völligem Widerspruch zum Wesen des Handelns, das in guten Teams anzutreffen ist. Starke Teams drängen darauf, die Dinge zu erledigen. Wenn eine Entscheidung getroffen oder eine Aufgabe erledigt werden muss, ist das Team voll bei der Sache. Wenn eine Entscheidung zu Recht aufgeschoben wird, plant das Team sie für einen bestimmten Zeitpunkt im Projektverlauf ein. Schwache Teams finden immer wieder einen Grund, um für eine Entscheidung oder eine Handlung auf einen späteren Zeitpunkt zu warten.

Image       Die Parade der öffnenden Klammern. Schlecht geleitete Teamsitzungen springen von Thema zu Thema und versuchen, den aufkommenden Gedanken zu folgen. Dabei wird ein Tagesordnungspunkt nach dem anderen geöffnet, aber keiner geschlossen.

Image       Geschichten am Lagerfeuer. Manche Teamsitzungen verlaufen derart formlos, dass sie aus nichts weiter als Anekdoten und Erinnerungen an aktuelle und vergangene Geschehnisse aus dem Betriebsalltag bestehen.

Image       Alle Wege führen zum Design. Wenn ein Team von Architekten und Entwicklern dominiert wird, lässt sich häufig beobachten, dass jedes Meeting, unabhängig vom Anlass oder von der Tagesordnung, letztlich in eine Diskussion über Designfragen übergeht. Solche Designdiskussionen sind etwas Wunderbares – es sei denn, sie verhindern die Beratung über andere diskussionswürdige Themen.

Image       Das Meeting zur Planung weiterer Meetings. So enden alle fehlgeschlagenen Meetings.


5 Fragen Sie gegebenenfalls einen Norddeutschen.

4 Toter Fisch

Vom ersten Tag an hat das Projekt keine Chance, die Zielvorgaben einzuhalten; die meisten Beteiligten wissen das, doch niemand sagt etwas.

Die Ziele vieler IT-Projekte lassen sich wie folgt verallgemeinern: Wir brauchen diese Funktionen, mit dieser Genauigkeit, in vertretbarer Stabilität, bis zu diesem Datum. Das Team wird zusammengestellt, die Zielvorgaben und Einschränkungen werden zu detaillierten Anforderungen und Entwürfen ausgearbeitet und anschließend bekannt gegeben. Das große Geheimnis aber wird weiter gehütet: Niemand im Projekt glaubt, dass das Projekt ein voller Erfolg werden kann. Üblicherweise ist es der Abgabetermin, der bei unveränderten Zielvorgaben nicht einzuhalten ist. Rätselhafterweise spricht niemand aus, dass dem Projekt bereits jetzt der Gestank eines toten Fischs anhängt und es zum Scheitern verurteilt ist.

Während die Tragödie ihren Lauf nimmt, schleppt sich das Projekt typischerweise bis wenige Wochen vor der erwarteten Auslieferung dahin; schließlich kommt der Moment, in dem sich alle Beteiligten – einschließlich des Projektleiters, des Vorgesetzten des Projektleiters und aller anderen Mitarbeiter im Umfeld des Projekts – wie folgt verhalten:

1.      Entweder äußern sie ihre Bestürzung und ihre Verwunderung darüber, dass das Projekt nicht annähernd einen Zustand aufweist, der die kurz bevorstehende Freigabe rechtfertigen könnte.

2.      Oder sie verkriechen sich und geben keinerlei Äußerung von sich, bevor sie nicht gefragt werden.

Wieso verbergen so viele Leute in so vielen Unternehmen die Realität lieber hinter einer Fassade, als einfach festzustellen: „Dieses Projekt wird niemals wie geplant durchgeführt werden können. Der tote Fisch liegt direkt vor uns.“

Viele Unternehmen sind so sehr auf Erfolg fixiert, dass jemand, der Bedenken äußert, nicht dafür belohnt wird, dass er ausspricht, wovon er überzeugt ist. Im Gegenteil: Jemand, der im frühen Stadium eines Projekts auf den toten Fisch hinweist, bekommt als erste Reaktion etwa Folgendes zu hören:

„Beweisen Sie es uns! Zeigen Sie uns, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg bei 0 % liegt. Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse aus den anderen getrockneten Fischkadavern, die hier noch von früheren Projekten herumliegen. Dieses Projekt ist anders. Beweisen Sie uns mathematisch unwiderlegbar, dass ein Misserfolg unumgänglich ist.“

Jeder Einwand ohne schlagkräftigen Beweis wird mit einem Schwall von Unterstellungen als Jammern und/oder Versuch, sich vor ehrlicher, harter Arbeit zu drücken, dargestellt.

„Sind Sie unter die Jammerlappen und Drückeberger gegangen? Es liegt ganz an Ihnen, aber wir haben erhebliche Zweifel, dass Sie lange bei diesem hervorragenden Unternehmen sein werden.“

Nur für Monty-Python-Fans:
„Dieses Projekt ist nicht tot; es hat wahrscheinlich Sehnsucht nach den Fjorden!“
„Es ist nicht tot, es befindet sich nur in der Mauser!“
„Dies ist ein totes Projekt.
Es zwitschert jetzt Halleluja auf seiner himmlischen Wolke!“
Und nun zu einem völlig anderen Muster …

In einem solchen Umfeld ist es sicherer, sich die „größte Mühe“ zu geben (und es dennoch nicht zu schaffen), als die Ziele in der vorliegenden Form als unerreichbar bloßzulegen. Zugegeben, manchmal müssen Sie ein höchst anspruchsvolles Projekt annehmen und wirklich ernsthaft und hart dem Ziel entgegenstreben, bevor Sie irgendwelche Zugeständnisse bezüglich Termin oder Lieferumfang fordern. Selbstverständlich. Aber der Unterschied besteht dann doch darin, dass bei einem schweren Projekt mit einem Stichtag, den es einzuhalten gilt, niemand bis zur letzten Minute wartet, um den Notstand auszurufen. Angenommen, Ihr Projekt soll eine Software für einen Kommunikationssatelliten erstellen, dessen Start in 18 Monaten bereits festgelegt ist; falls Sie den Starttermin nicht einhalten können, ergäbe sich die nächste Gelegenheit erst 16 Monate später. Dann werden Sie und alle anderen ja wohl jeden Tag die Nase in die Luft stecken und die Witterung aufnehmen. Ein erster Hauch von Scheitern – und Sie werden aktiv. Beim Muster „Toter Fisch“ wartet man mit dem Handeln, bis einem die meisten Optionen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Das Muster „Toter Fisch“ ist nicht nur für die Unternehmen schädlich; es wirkt sich auch demoralisierend auf die Teams und die Leiter des Projekts mit dem toten Fisch aus. Egal, wie die Unternehmenskultur sonst aussieht, niemand sitzt gerne lange auf einem stinkenden toten Fisch. Der Preis für heimliche tote Fische ist immens.

5 Claqueure gesucht

Mitarbeiter, die immer Zuversicht und gute Stimmung ausstrahlen, werden positiver bewertet.

Ein Unternehmen ist gesund, wenn seine Mitarbeiter Zuversicht ausstrahlen und gute Stimmung herrscht. Umgekehrt läuft in einem Unternehmen, in dem die Mitarbeiter unmotiviert sind und sich schlechte Stimmung breitmacht, etwas schief. Manchmal greifen Manager die Erkenntnis über diesen Zusammenhang auf und versuchen, ihn sich zunutze zu machen. Die Logik, die hinter solchen Versuchen steckt, sieht wie folgt aus: Sorge für eine bessere Stimmung und mehr Zuversicht und Gutes folgt von allein. Aber wie sorgt man für bessere Stimmung und mehr Zuversicht? Und vor allem: Wie sorgt man dafür, ohne die ganze lästige Zeit, die Energie und den Aufwand investieren zu müssen, die erforderlich wären, um die Lage wirklich zu verbessern? Das ist eine wirklich harte Nuss, aber glauben Sie nicht, dass die Leute es nicht versuchen würden. Daher auch der verbitterte Humor in dem Spruch „Prügel gibt es so lange, bis sich die Stimmung bessert“.

Sehr häufig wird versucht, die Stimmung mit einem zeremoniellen Treffen zu verbessern, bei dem der Chef mit breitem Lächeln vor der versammelten Belegschaft steht und mit „Sagen Sie mir nun, was Sie darüber denken“ die Runde vertrauensvoll eröffnet. „Sie können alles offen sagen, auch wenn es schlechte Nachrichten oder harte Fragen sind.“ Achten Sie hierbei auf den Tonfall und die unterschwellige Botschaft: Es gibt nichts zu verbergen, denn wir sind alle eine große, glückliche Familie. (Glücklich, verdammt noch einmal, glücklich! Habt Ihr das verstanden!?)

In einer mir bekannten Firma wurde die Zeremonie des fröhlichen Beifallklatschens als „All-Hands-Meeting“ bezeichnet, weil alle dazu aufgerufen waren, sich zu beteiligen. Aber als eine mutige Person tatsächlich einmal ihre Hand hob und dem Hauptgeschäftsführer eine schwierige Frage stellte, fiel dessen Reaktion nicht so aus, wie sie es sich vermutlich erhofft hatte. Der Hauptgeschäftsführer murmelte ein paar Worte und verschwand schnell hinter den Kulissen. Etwas später am selben Tag wurde der dreiste Fragesteller von seinem direkten Vorgesetzten zusammengestaucht und von der Illusion befreit, dass schwierige Fragen tatsächlich willkommen wären. Nach diesem Vorfall wurden die Treffen als „No-Hands-Meeting“ bezeichnet, weil alle verstanden hatten, dass niemand die Hand heben und sich beteiligen sollte. — TDM

Wenn Sie das Gefühl beschleicht, dass von Ihnen kein Beitrag, sondern nur Ihre Zustimmung gefragt ist, wissen Sie genau, was ansteht: Willkommen in einer weiteren Runde des fröhlichen Beifallklatschens.

6 Der kurze Ruhm

Das Team lässt wichtige Dinge ungelöst, um die erfolgreiche Einhaltung des Abschlusstermins zu verkünden.

Manche Teams lassen ihren Müll einfach liegen. Damit ist nicht gemeint, dass Teammitglieder den Boden mit gebrauchten Getränkedosen, Pappbechern usw. übersäen. Es bedeutet, dass manche Teams ihre Arbeit unvollendet lassen. Sie wissen, dass es lose Enden und ungelöste Probleme gibt, aber keines davon halten sie für ernst genug, um die Fertigstellung der Version zu verzögern. Die losen Enden – oder technischen Schulden – können auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, so dass sie das aktuelle Budget und den aktuellen Endtermin nicht belasten. Die ungelösten Probleme sind dann das Problem von jemand anderem.

Dies ist nicht dasselbe wie die Erstellung eines „Minimum Viable Product“ (MVP). Die Hersteller eines MVP wissen, dass es noch fehlende Funktionen oder Qualitäten gibt. Sie wollen sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie sind entschlossen, alle fehlenden Aspekte für ein minimal vermarktbares Produkt (MMP) zu entwickeln und rechtzeitig bis zur Marktfreigabe abgeschlossen zu haben.

Dieses Muster bezieht sich auf das Team, das sich vor der Verantwortung für etwas drückt, das rechtmäßig in seiner Zuständigkeit liegt. Warum sollte man beispielsweise Zeit auf das UX-Design verwenden, wenn die Benutzer Änderungen verlangen werden, wenn es ihnen nicht gefällt? Warum Design-Reviews durchführen, wenn Code-Reviews die Probleme aufspüren könnten? Warum sich die Mühe machen, umfangreiche Tests durchzuführen oder nach allen möglichen Fehlerquellen zu suchen, wenn die Benutzer sie mit der Zeit finden können? Warum kostbare Zeit und spärliche Mittel aufwenden, wenn sich jemand anderes um diese Probleme kümmern kann?

Man mag dies für effizient halten, aber das Problem ist, dass diese Art von Verhalten die Versuchung mit sich bringt, mehr und mehr lose Enden, mehr und mehr ungetestete Komponenten zu hinterlassen. Das wiederum führt zu immer weniger zuverlässigen Produkten, da das Team seine ungelösten Probleme anderen überlässt, die sie finden und korrigieren sollen.

7 Kindermädchen

Der Projektmanager hat viele Eigenschaften mit einem traditionellen britischen Kindermädchen gemeinsam.

Ein guter Projektmanager ist sich der Fähigkeiten seines Personals bewusst. Er plant und weist Zuständigkeiten auf eine Weise zu, die sicherstellt, dass die Fähigkeiten der Mitarbeiter möglichst gut zu denen passen, die für die anstehenden Aufgaben benötigt werden. So viel ist offenkundig. Einige Manager gehen einen Schritt weiter: Sie schaffen – sowohl in technischer als auch in soziologischer Hinsicht – ein Arbeitsumfeld, das es den Leuten leichter macht, ihre Fähigkeiten einzusetzen und noch zu verbessern. Diese Manager sorgen dafür, dass ihre Mitarbeiter die Werkzeuge an der Hand haben, die sie für den Job benötigen; sie ermuntern ihre Mitarbeiter dazu, Fragen zu stellen und miteinander zu diskutieren; sie stellen jedes Teammitglied vor eine angemessene Herausforderung; sie kritisieren, wo Kritik angebracht ist; sie stellen einen Arbeitsplatz zur Verfügung, an dem die Leute gerne arbeiten; und sie nehmen die notwendigen Anpassungen vor, damit alles glatt läuft. Kurz und gut: Gute Manager fördern ihre Mitarbeiter.

Ein Kindermädchen – im traditionellen englischen Sinne – wird von einer Familie angestellt, um sich um die Kinder zu kümmern. Das Kindermädchen, das durch ihre Ausbildung üblicherweise dazu befähigt ist, zu unterrichten, Krankenpflege zu leisten und zu kochen, ist für die körperliche, emotionale, soziale, kreative und intellektuelle Entwicklung der Kinder verantwortlich. Tag für Tag kümmert sich das Kindermädchen darum, dass die Kinder vor Schaden bewahrt werden, an die frische Luft kommen und Bewegung haben, gesundes Essen zu sich nehmen und mehr über die Welt und das Leben lernen. Abgesehen von der Betreuung der Kinder steht das Kindermädchen auch wegen etwaiger Sorgen über deren Entwicklung in ständigem Kontakt mit den Eltern und fördert die speziellen Talente seiner Zöglinge. Das Kindermädchen schafft eine Umgebung, in der man mit einem sicheren Gefühl Risiken eingehen und lernen kann.

Wenn Projektmanager mit Qualitäten aufwarten können, die mit denen eines Kindermädchens vergleichbar sind, erhalten sie von ihren Mitarbeitern höhere und bessere Leistungen, weil sie deren Talente fördern und weiterentwickeln.

Der beste Manager, unter dem ich jemals gearbeitet habe, war Peter Ford. Es waren so naheliegende Dinge wie seine Sorge darum, dass wir alle die Einrichtungen bekamen, die wir für unsere Arbeit benötigten. Beispielsweise hatten wir ein Großraumbüro – nicht gerade die beste Umgebung für Denkarbeit – und er hat dafür gesorgt, dass wenigstens ein Budget für lärmschluckende Stellwände bereitgestellt wurde, um ein paar „ruhige Räume“ für unser Team zu schaffen. Das alles und viele weitere Dinge hat er für uns getan, einschließlich der ganzen Verhandlungen und Diplomatie, von denen wir nichts ahnten. Er ermunterte uns dazu, über neue Konzepte der Systementwicklung zu lesen und zu diskutieren. Er brachte Bücher und Zeitschriften für unsere Team-Bibliothek mit und plante Zeiten ein, in denen wir gemeinsam über die Inhalte diskutieren konnten. Er merkte, wenn wir nicht gut drauf waren oder uns unwohl fühlten. Dann sprach er mit uns und versuchte, zu helfen. Er schützte uns vor dem übrigen Unternehmen, aber wenn er unzufrieden mit uns war, dann ließ er es uns wissen. Seine Bürotür war selten verschlossen. Peter war unser Kindermädchen. — SQR

Möglicherweise gibt es in Ihrem Unternehmen bereits ein gewisses Maß an Bemutterung, wenn Sie beispielsweise keinen Termin zu vereinbaren brauchen, um Ihren Projektmanager zu sprechen, oder nicht viel Zeit für triviale und lästige Verwaltungsaufgaben aufzuwenden brauchen. Die Umgebung strahlt eine Atmosphäre von Offenheit aus und die Leute sagen, was sie denken, und lernen voneinander. Der Projektmanager betrachtet Training und Weiterbildung als eine Notwendigkeit statt als Luxus und es wird Zeit dafür eingeplant (etwa die morgendliche Kaffeerunde oder die Buchbesprechung am Freitagnachmittag), neue Ideen gemeinsam zu diskutieren.

Überall, wo Menschen zusammenkommen, gibt es Gerüchte und Tratsch und die zugehörigen zeitverschwendenden Aktivitäten. In einem Büro, das mit einem fördernden Manager gesegnet ist, wird diese Form von Zeitverschwendung auf ein Minimum reduziert, weil der Manager dafür sorgt, dass sein Team genau weiß, was Sache ist, und die Mitarbeiter sich nicht auf die Gerüchteküche zu verlassen brauchen, um zu wissen, was in ihrem Unternehmen vor sich geht. Stattdessen fühlen sie, dass man ihnen vertraut. Sie sind gut informiert und konzentrieren sich auf ihre Arbeit.

Ein „Kindermädchen-Manager“ sieht sich selbst als jemand, der die Voraussetzungen für die Arbeit schafft. Während das Kindermädchen seine Befriedigung bei der Arbeit daraus bezieht, dass es eine Entwicklung der Fähigkeiten bei den Kindern sieht, bezieht der Kindermädchen-Manager seine Befriedigung daraus, einzelne Teammitglieder dabei zu beobachten, wie sie sich in ihrer Rolle entwickeln, produktiver werden und zunehmend zufriedener mit ihrer Arbeit sind.

Mit dem gegenteiligen Muster hat man es zu tun, wenn ein Manager ganz auf Firmenpolitik, Verwaltung, formale Abläufe und Ehrerbietung gegenüber erfahreneren Managern ausgerichtet ist. Das Zeichnen und Anpassen von PERT- und Gantt-Diagrammen scheint solchen Managern wichtiger zu sein als Gespräche mit dem Team. Und einige Projektmanager erledigen einen Großteil der eigentlichen Entwicklungsarbeit selbst, statt sich um den Bedarf des Teams zu kümmern.

Worin sieht Ihr Unternehmen die Hauptaufgabe eines Projektmanagers? Werden Manager bei Ihnen dafür belohnt, dass sie die Voraussetzungen für die Arbeit schaffen? Stellen Sie Kindermädchen ein oder Verwalter?

8 Projizierter Schmerz