cover
Unseren beiden Söhnen Veverin und Vitus gewidmet.
Ihr habt eure Coronaferien prima gemeistert.
K A R S T E N B R E N S I N G
KATRIN LINKE
Liebe Leserin, lieber Leser
8
Im Reich der
Mikrobiologie
10
Corona
12
Viren
16
Aufbau und Aussehen
20
Vermehrung und
Übertragungswege
22
Viren als Freunde
26
Bakterien
30
Bakterium ist
nicht gleich Bakterium
32
Das Leben von Bakterien
34
Symbiose mit Bakterien
43
Einzeller
48
Pilze
52
Mehrzeller
58
Die Entstehung des Lebens
62
Zeitreise in die
Entdeckungsgeschichte
72
Krankheiten und
was wir tun können
80
Was ist eine Pandemie?
82
Hygiene
88
Steinzeit
92
Die ersten Städte
93
Römisches Reich und Mittelalter
94
Inhalt
Neuzeit
96
Der menschliche Faktor
98
Hygiene – wenn‘s drauf ankommt!
100
Immunsystem
108
Die unspezifische Immunabwehr
112
Die spezifische Immunabwehr
115
Impfung
124
Aktive Impfung
127
Passive Impfung
130
Impfkritik
131
Medikamente
136
Resistenzen und Ausblick
144
Unsere Freunde und
wie wir zusammenleben
150
Nützliche Helfer
das Klärwerk
152
Mikrobiom – unsere Freunde
156
Die Natur atmet auf
162
Liebe Eltern, Lehrerinnen und Lehrer
166
Glossar für Fachbegriffe
168
Glossar für Krankheiten
174
Antworten
178
Quellenverzeichnis
182
8
Anfang 2020 erlebten Schüler auf der gan-
zen Welt eine große Überraschung: Corona-
ferien. Doch anders als bei Hitzefrei wurde
nicht gejubelt. Die Welt hielt den Atem an
und erwartete die größte Katastrophe seit
dem Zweiten Weltkrieg. Der Grund: ein
Virus, das im Verhältnis zu uns nicht
größer ist als eine Maus zur Erde.
Doch wie entsteht eigentlich eine neue
Krankheit, was ist eine Pandemie und
warum gibt es diese erst seit ein paar Tau-
send Jahren? Was genau ist Mikrobio-
logie und warum ist sie für uns so wichtig?
Kannst du dir vorstellen, dass in jeder dei-
ner Zellen Tausende von Bakterien leben?
Das sind die Zellkraftwerke, die wir Mito-
chondrien nennen. Sie leben in Symbiose
mit allen Tieren, Pflanzen und Pilzen, und
das schon seit 3 Milliarden Jahren – also
bereits zu einer Zeit, in der es noch keine
mehrzelligen Lebewesen gab.
Selbst Viren, die noch nicht einmal Lebe-
wesen sind und vor wenigen Jahren aus-
schließlich als Parasiten betrachtet wurden,
sind für die Natur unverzichtbar. Die Ent-
Liebe Leserin, lieber Leser,
wicklung der Säugetiere haben wir zum
Beispiel Viren zu verdanken.
Die allermeisten dieser mikroskopisch klei-
nen Bestandteile der Natur sind nicht nur
ungefährlich, sondern sogar unsagbar nütz-
lich. Eine der größten Erfindungen von
uns Menschen ist übrigens das Klärwerk.
Ohne diese Wellnessoasen für Mikro-
organismen würden wir in unserem Dreck
ersticken. Doch nicht nur dort leben die
unermüdlichen Helfer, auch in und an uns
sind sie. Wusstest du, dass dein Körper
mehr Bakterien als eigene Zellen hat?
Leider geht bei diesem friedlichen Zu-
sammenleben manchmal etwas schief und
dann entstehen Krankheiten. Besonders
gefährlich wird es, wenn wir mit bisher un-
bekannten Mikroorganismen und Viren in
Kontakt kommen.
Im Normalfall werden solche Eindringlinge
aber von unserem Immunsystem in Schach
gehalten. Wenn du wissen möchtest, wie das
funktioniert, dann wünschen wir dir viel Spaß
beim Lesen!
Deine Katrin & dein Karsten
Die Autoren Katrin und Karsten
sind hier so groß wie unsere ganze
Erde. Das Coronavirus ist dann
gerade mal so groß wie eine Maus.
Nun stell dir vor, was eine kleine
Maus unserem ganzen Planeten
antun kann. Richtig – praktisch
überhaupt nichts.
Im Reich der
Mikrobiologie
Sie sind überall, mal Freund, mal Feind!
12
IM REICH DER MIKROBIOLOGIE
K
eine Schule – und das ganz ohne Ferien!
Der Grund dafür klang für dich vermutlich
erst einmal recht unverständlich: Corona-
virus. Das Wort war plötzlich in aller
Munde und bei den Erwachsenen Thema
Nummer eins.
D
ie ersten Tage ohne Schule fandest du
sicher toll. Doch dann haben dir bestimmt
deine Freunde gefehlt und du warst ge-
nervt, dass du nicht zum Sport konntest.
Oma und Opa durftest du auch nicht be-
suchen, und wenn du mit ihnen telefoniert
hast, war es für alle irgendwie komisch.
A
nfang 2020 hat das Coronavirus die Welt
in Angst und Schrecken versetzt. Am 30.
Januar 2020, lange vor der Schließung der
Schulen und nur einen Monat, nachdem
das Virus bekannt geworden war, sprach die
Weltgesundheitsorganisation von einer
„gesundheitlichen Notlage internationaler
Tragweite“. So etwas geschieht nur sehr
selten!
E
in winziger Krankheitserreger bestimmte
seitdem unseren Alltag: Nicht nur Schu-
len und Restaurants wurden geschlossen,
sondern auch Kindergärten, Spielplätze,
Schwimmbäder, Geschäfte, Museen, Fab-
riken und vieles mehr. Mancherorts wurde
sogar eine Ausgangssperre verhängt – Maß-
nahmen, die völlig verrückt erscheinen,
wenn man sich genauer vorstellt, wer uns
hier eigentlich bedroht. Schau dir doch mal
das Bild mit der Erdkugel auf Seite 9 an.
Du siehst dort ein erstaunliches Verhältnis:
Wenn deine beiden Autoren so groß wären
wie unsere gesamte Erde, dann wäre das
Virus gerade mal so groß wie eine kleine
Maus. Doch warum haben wir vor so etwas
Kleinem eigentlich so große Angst?
Corona
Eine Intelligenzbestie unter den Viren
13
U
m das zu verstehen, möchten wir dich
in die Welt der Mikrobiologie entführen.
Denn die Welt, wie du sie kennst, mit all
den Tieren und Pflanzen, ist tatsächlich nur
die Hälfte dessen, was da draußen existiert.
Verborgen vor unseren Augen gibt es eine
Welt, die so fantastisch ist, dass selbst die
spannendsten Geschichten langweilig er-
scheinen.
Mikroorganismen und Viren können extrem
gefährlich sein und sind überall, meist sind
sie aber harmlos und extrem nützlich.
Infokasten 1
Genau genommen gibt es eine ganze Reihe von Coronaviren – die Forscher nen-
nen sie die Familie der Coronaviridae. Schon 1968 wurde sie nach ihrem Aussehen
benannt, dessen Form die Forscher an eine Sonnenkorona erinnerte, also den
Lichtkranz, der entsteht, wenn die Sonne verdeckt wird.
1
Das Virus, das Anfang 2020 die Welt erschütterte, heißt SARS-CoV-2 und löst die
Krankheit COVID-19 aus. Hier im Buch nennen wir es einfach das Coronavirus.
Man sieht dem schönen
Coronavirus nicht an, wie
gefährlich es sein kann.
14
IM REICH DER MIKROBIOLOGIE
Infokasten 2
Coronaviren sind übrigens die Intelligenzbestien unter den Viren.
Ihre RNA-Kette ist besonders lang und speichert viele Informatio-
nen, daher gelingt es ihnen sogar, von einer Tierart zu einer
anderen zu „springen“. Die meisten Viren können das nicht, sie
sind spezialisiert auf eine bestimmte Tierart, manche sogar auf
ein bestimmtes Organ. Nur dafür haben sie einen Schlüssel,
doch dazu mehr im nächsten Kapitel.
D
as Coronavirus SARS-CoV-2 ist nicht das
erste Coronavirus, das es geschafft hat,
vom Tier in den Menschen zu gelangen.
Es gibt noch ein paar andere, z. B. HCoV-
229E, HCoV-OC43, HCov-NL63, HECoV
und HCoV-HKU1. Meist lösen Corona-
viren nur eine ungefährliche Erkältung
aus, doch manche können uns Menschen
sehr gefährlich werden: 2002/03 kam es
zur sogenannten SARS-Pandemie (siehe
Kapitel Was ist eine Pandemie?): Das Virus
SARS-CoV-1 hatte sich innerhalb weniger
Wochen in vielen Ländern ausgebreitet. Es
erkrankten zum Glück nur ca. 8.000 Men-
schen, aber fast jeder Zehnte davon starb
an einer schweren Lungenentzündung.
G
enauso wie Corona hatte die SARS-
Pandemie ihren Ausgangspunkt in China.
Vermutlich ist dafür die chinesische Kul-
tur und Lebensweise verantwortlich: Die
Menschen dort leben oft sehr eng mit den
Tieren zusammen, die sie essen oder ander-
weitig nutzen, und sie essen oft Wildtiere.
Manche davon tragen Viren in sich, die für
sie selbst ungefährlich sind, uns Menschen
aber krank machen können. Durch das
enge Zusammenleben von Tier und Mensch
15
kann es passieren, dass Viren von Wild-
tieren auf uns Menschen überspringen, im
Falle der Corona-Pandemie vermutlich von
Fledermäusen.
2
Wissenschaftler nennen das
eine Zoonose. Schon 2003, kurz nach der
SARS-Pandemie, hatten Forscher voraus-
gesagt, dass so etwas jederzeit wieder pas-
sieren kann, wenn Mensch und Tier so nah
beieinander sind. 2013 war es dann so weit,
ein Grippeerreger, der normalerweise nur
Vögel infiziert, sprang auf Menschen über.
Das Virus, genannt A/H7N9, infizierte in
Shanghai im Süden Chinas zwei Männer
und die sogenannte Vogelgrippe war ent-
standen.
3
Wir sind daher der Meinung, dass
es ein wichtiger Schritt wäre, Tiermärkte,
auf denen lebende Tiere gehandelt werden,
schon aus diesem Grund zu schließen.
W
usstest du, dass das Coronavirus und
alle anderen Viren überhaupt keine Lebe-
wesen sind? Tatsächlich sind sie so etwas
wie Nanoroboter, die nur darauf program-
miert sind, sich zu vervielfältigen. Das ist
alles!
D
u weißt sicher, dass Menschen, Tiere,
Pflanzen und Pilze aus kleinen Zellen auf-
gebaut sind. In jeder dieser Zellen gibt
es einen Zellkern, der einen Bauplan für
das gesamte Lebewesen enthält. Die For-
scher sprechen vom genetischen Code.
Doch kannst du dir vorstellen, dass sich
in diesem Code auch der Code von Viren
befindet? Sind wir alle also ein bisschen
Virus? Wir werden sehen!
Lebendtiermarkt in China;
ihre Schließung würde viel helfen.
16
IM REICH DER MIKROBIOLOGIE
B
evor du weiterliest, müssen wir eine Sache
richtigstellen: Du hast auf Seite 13 ein tolles
Bild von einem Coronavirus gesehen. Aber
genau genommen ist das falsch, denn For-
scher bezeichnen ein Virus nur als Virus,
wenn es sich in einer Wirtszelle befindet
und dort sein oft zerstörerisches Werk ver-
richtet. Das, was du auf dem Bild gesehen
hast, ist ein Virion, es besitzt eine Schutz-
schicht, um in der freien Natur überleben zu
können. Diese Unterscheidung ist wichtig,
denn außerhalb der Zelle macht das Virion
praktisch gar nichts. Doch auf seiner Ober-
fläche sind kleine Strukturen, man nennt
sie Spikes (übersetzt heißt das „Nägel“ oder
„Stacheln“). Mit ihnen können sich Viren an
Zellen von Lebewesen festheften.
A
ber die Virionen haben ein echtes Pro-
blem, denn mithilfe dieser Spikes können
sie nur an ganz bestimmten Oberflächen
andocken. Das Coronavirus zum Beispiel
kann nur Oberflächen mit sogenannten
ACE2-Rezeptoren entern. Leider gibt es
diese Rezeptoren auf den Körperzellen vie-
ler Organe wie Lunge, Herz, Nasen-Rachen-
Raum, Niere, Magen und Darm. Besonders
viele gibt es auf Lungenzellen, deshalb kann
es zu einer Lungenentzündung kommen.
Ein anderes Beispiel ist das FSME-Virus. Es
kann nur an Nervenzellen andocken, und so
kommt es zu einer Gehirnhautentzündung.
Man könnte beide bedenkenlos auf die
Hand nehmen und mit ihnen spielen. Sie
wären nichts weiter als tote Staubkörnchen,
nur eben viel kleiner. Kommt dieses Staub-
korn aber an die richtigen Zellen, dann
klinkt es sich fest.
E
inmal an der Zelle angedockt, folgt Schritt
2: Als hätten sie einen Schlüssel, können
Virionen die Zellen „aufschließen“. Ist das
Viren
Geniale Nanoroboter
So in etwa sieht ein auf-
geschnittenes Coronavirus aus.
Die Spirale in der Mitte ist die
RNA mit dem Bauplan des Virus.
17
geschafft, bringen sie ihre RNA oder DNA
mit dem Bauplan zur Herstellung weiterer
Viren in die Zelle. Jetzt beginnt die eigent-
liche Arbeit als Virus: Mithilfe ihrer ganz
eigenen Helfer-Proteine übernehmen sie
die Zelle. Nun haben sie das Sagen und
machen die Zelle zur Brutstätte für weitere
Viren. Sind diese fertig gebaut, werden sie
als Virionen freigesetzt. Dabei können die
befallenen Zellen sogar platzen. Wissen-
schaftler nennen diesen Prozess übrigens
lytischen Zyklus.
Infokasten 1
Schlüssel-Schloss-Prinzip
Wie der Name schon sagt, passt hier etwas in etwas anderes hinein. Dazu musst
du wissen, dass jede biologische Zelle von einer Membran (siehe Kapitel
Die Ent-
stehung des Lebens
) umgeben ist. Diese Membran wirkt wie unsere Haut. Nun
müssen die Zellen aber mit ihrer Umgebung irgendwie im Austausch stehen.
Dazu helfen ihnen Proteine. Die sind eine Art winzige Maschinen, die bestimmte
Arbeiten verrichten, etwas bauen oder etwas von A nach B transportieren. Nun
hat jede Maschine, je nach Funktion, eine bestimmte Form, ein Traktor sieht
z. B. ja auch anders aus als eine Bohrmaschine. Eine Lungenzelle hat ganz spe-
zielle Proteine an ihrer Oberfläche und auch diese haben eine eindeutige Form,
an die die Spikes der Virionen genau passen. Das Schlüssel-Schloss-Prinzip fin-
dest du auch auf Seite 118/119 bei den Antigenen und Antikörpern.
18
D
ie neue Generation Viren hat es nun
leicht: Sie befindet sich bereits an der rich-
tigen Stelle, und so ist es für sie ein Kinder-
spiel, die Nachbarzelle zu übernehmen, und
so weiter. Die betroffenen Lebewesen –
dabei kann es sich um Menschen, Tiere,
Pflanzen, Pilze und sogar Einzeller han-
deln – haben dann ein echtes Problem, denn
die Zellen machen nicht mehr das, was sie
eigentlich sollen (siehe Infokasten 2).
H
ast du dich schon mal gefragt, was
eigentlich Leben ist? Vielleicht denkst du,
dass diese Frage leicht zu beantworten
ist, doch Gelehrte streiten sich vermut-
lich schon seit Jahrtausenden darüber und
keiner hat bisher eine eindeutige Antwort
gefunden. In der Biologie gibt es aber ei-
nige klare Regeln: Beispielsweise muss ein
Lebewesen Stoffwechsel betreiben. Genau
genommen bedeutet das nur, dass ein
lebender Organismus etwas nimmt und
irgendwie umwandelt. Wenn du zum Bei-
spiel etwas isst, gelangt die Nahrung in dei-
nen Darm und wird verdaut. Enzyme, das
sind kleine Maschinen in deinem Körper,
zerkleinern die Nahrung auf eine Größe,
die von deinen Darmzellen aufgenommen
werden kann. Von dort gelangen die einzel-
nen Bestandteile durch dein Blut zu deinen
Körperzellen. Hier werden sie verarbeitet.
Was übrig bleibt, wird abtransportiert und
als Stuhlgang, Urin oder von deinem Atem
aus dem Körper geschafft. (Wenn du wissen
willst, warum Abfall in deiner Atemluft ist,
schlage auf S. 178 nach!) Deine Nahrung
hat auf diesem Weg unzählige sogenannte
Stoffwechselprozesse durchlaufen.
W
as passiert, wenn du einen superleckeren
Schokoriegel auf einen Teller legst? Richtig,
gar nichts. Auch wenn er noch so lecker ist,
der Teller wird deinen Schokoriegel nicht
auffuttern, denn er ist nur ein toter Gegen-
stand. Virionen sind nichts anderes als
unser Teller, sie sind ein totes Etwas. Erst
wenn sie in eine lebende Zelle kommen,
betreiben sie Stoffwechsel, und darum sind
Viren auch keine lebenden Organismen.
Man kann sie als Miniroboter bezeichnen.
Viren sind offiziell keine Lebewesen!
IM REICH DER MIKROBIOLOGIE
19
Infokasten 2
In der Lunge findet ein Austausch statt zwischen der Luft, die wir ein-
atmen, und dem Blut, das Gase durch unseren Körper transportiert.
Wenn unsere Lunge diese Arbeit aber nicht mehr machen kann, be-
kommen wir schlechter Luft und können sogar ersticken. Das ist das
Gefährliche am neuen Coronavirus, denn es befällt unsere Lunge.
Natürlich wehrt die sich und macht das, was sie immer tut, wenn
irgendwas nicht stimmt: Sie produziert kräftig Schleim, um alles, was
nicht in sie reingehört, nach draußen zu spülen. Dieser Schleim, aber
auch das geschädigte Gewebe, löst dann den Hustenreiz aus, den du
von Erkältungen kennst. Bei manchen Menschen schädigt das Virus
die Lunge so sehr, dass sie an eine Maschine angeschlossen werden
müssen, die ihnen beim Atmen hilft.
Viren attackieren unsere Körperzellen
und programmieren sie um, damit sie
mehr Viren herstellen.
Haben unsere Körperzellen
genügend Viren hergestellt,
lassen die Viren sie platzen.
Schon lange vor der Erfindung der
Kriegslist mit dem Trojanischen Pferd hatten
die sogenannten behüllten Viren etwas
ganz Ähnliches drauf.
20
Aufbau und Aussehen
W
enn man bedenkt, wie viele unterschied-
liche Viren es gibt, ist es eine ziemliche
Überraschung, wenn man sieht, wie einfach
sie gebaut sind. Im Prinzip bestehen Virio-
nen nur aus der Erbinformation in Form
von RNA oder DNA und einer Kapsel aus
Proteinen. Diese Kapsel nennt man übri-
gens Kapsid und Forscher können oftmals
schon an ihrem Aussehen erkennen, um
welche Viren es sich handelt und welche
Krankheit ein Virus auslöst. Der Krank-
heitserreger der Kinderlähmung sieht
zum Beispiel fast aus wie ein Würfel (ku-
bisch). Mumps und Masern sehen aus
wie kleine Zylinder (helikal). Die Bakterio-
phagen – das sind Viren, die Bakterien be-
fallen – sehen aus wie Raumkapseln (kom-
plex), du siehst sie auf Seite 24.
K
ennst du die Geschichte vom Troja-
nischen Pferd? Manche Viren verhalten
sich ähnlich und schaffen es dadurch,
unerkannt Lebewesen zu infizieren. Ihr
Trojanisches Pferd ist eine Hülle aus Zell-
membran, die sie sich von echten Körper-
zellen besorgt haben. Das Immunsystem
ihres Opfers nimmt nur die eigene Zell-
membran (siehe Kapitel Die Entstehung des
Lebens) wahr und erkennt nicht, dass sich
in der Membranblase die gefährlichen
Viren versteckt haben. Viren, die so etwas
können, nennt man behüllte Viren. Die
meisten in den letzten Jahrzehnten neu
aufgetauchten Viren, die die Menschheit
mit einer Pandemie bedroht haben, waren
solche behüllten Viren. Beispiele dafür sind
HIV, Influenza, Ebola und eben auch das
Coronavirus.
IM REICH DER MIKROBIOLOGIE
21
Infokasten
Trojanisches Pferd
Beim Trojanischen Pferd handelt es sich um eine alte griechische Legende.
Nachdem die Griechen viele Jahre erfolglos gegen die Stadt Troja gekämpft
hatten, dachten sie sich einen Trick aus. Sie bauten ein großes hölzernes Pferd,
versteckten darin einige Soldaten und taten so, als würden sie aufgeben und
nach Hause segeln. Die Trojaner glaubten natürlich, sie hätten die Belagerung
überstanden. Vermutlich aus Neugier schleppten sie das vermeintlich un-
gefährliche Pferd in ihre Stadt. In der Nacht geschah das Unausweichliche: Die
Soldaten kletterten heimlich aus dem Pferd heraus und öffneten dann für ihre
zurückgekehrten Kameraden das Stadttor. Nun konnte Troja doch noch ein-
genommen werden. Seit jener Zeit bezeichnet man diese Art von Kriegslist als
ein Trojanisches Pferd.
Es gibt Viren, die
stehen der List
der alten Griechen
in nichts nach.
22
Vermehrung und Übertragungswege
V
iren können eigentlich nur eins: Zellen
besetzen und diese dazu bringen, die Viren
zu vermehren. Sie sind so gefährlich, weil
die Zellen dann nicht mehr das tun, was
sie eigentlich sollen. Dadurch entstehen
Krankheiten.
V
iren können uns nicht aktiv attackieren
wie eine Mücke oder Zecke, sondern wir
sind immer beteiligt, wenn es darum geht,
ein Virus zu bekommen. Im einfachsten
Fall atmen wir ein Tröpfchen ein, in dem
sich Virionen befinden. Forscher haben in
den letzten 200 Jahren keine Mühen ge-
scheut, um die Übertragungswege zu ver-
stehen. Ihnen war klar: Die beste Möglich-
keit, sich vor einer Ansteckung zu schützen,
ist, den Übertragungsweg zu unterbrechen.
U
nd die Forscher haben viel heraus-
gefunden, beispielsweise, dass Schnupfen,
Husten, Grippe, Röteln, Mumps, Wind-
pocken, Ringelröteln, Dreitagefieber und
Masern durch Tröpfchen
übertragen werden. Diese
gelangen an unseren
Mund, die Nase
oder die Augen
und machen uns krank. Andere Krank-
heiten wie Ebola, Kinderlähmung, He-
patitis (A, B und E) und Tollwut werden
dagegen durch Kontaktinfektion, oft auch
Schmierinfektion genannt, übertragen.
Dies geschieht zum Beispiel über Körper-
flüssigkeiten wie Schleim, Blut oder Stuhl-
gang. Bei der Tollwut bringt der Biss eines
Tieres die Keime direkt in den Körper,
bei anderen Krankheiten reicht manchmal
schon eine Berührung. Unsere Haut hat
oft kleine Verletzungen, die wir gar nicht
sehen. Durch diese Wunden gelangen
die Keime in unseren Körper. Haben wir
schmutzige Hände, mit denen wir uns am
Auge oder dem Mundwinkel kratzen, kann
es schon passiert sein. Es gibt aber auch
Krankheiten wie HIV oder Hepatitis B und
C, die durch direkten Blut- oder Schleim-
hautkontakt übertragen werden. Dies
kann durch eine Bluttransfusion, also eine
Übertragung von Blut eines Menschen auf
einen anderen, oder beim Geschlechtsver-
kehr passieren. Auch blutsaugende In-
sekten können Viren übertragen. Ein Bei-
spiel dafür hast du bereits kennengelernt:
Es ist das FSME-Virus, das von Zecken
übertragen wird und eine Gehirnhaut-
entzündung auslösen kann.
IM REICH DER MIKROBIOLOGIE
23
Infokasten 1
Einen besonderen Übertragungsweg nimmt die Kusskrankheit, auch Pfeiffer-
Drüsenfieber genannt. Sie wird vom Epstein-Barr-Virus (EBV) verursacht. Wer
davon erwischt wird, bekommt Fieber und grippeähnliche Symptome und unter
den Achseln oder am Hals liegende Drüsen können dick werden, daher auch
der Name. Die Krankheit kann sich über Wochen hinziehen und manchmal
sehr unangenehm sein. Sie ist aber nicht weiter gefährlich. Besonders betroffen
sind Jugendliche nach der Pubertät, denn dann geht das mit dem Geknutsche
los, deshalb die Bezeichnung Kusskrankheit. Überleg mal, zu welchem der be-
schriebenen Übertragungswege das Virus gehört und was du tun kannst, um die
Krankheit nicht zu bekommen. (Antwort auf Seite 178)
Einfache Hygiene
wirkt, denn es
gibt nicht viele
Infektionswege.
N
atürlich werden nicht nur wir Menschen
von Viren attackiert, auch Pflanzen und
Tiere sind betroffen. Sogar winzige Bak-
terien werden von Viren befallen. Wenn
du dir unten das Bild mit dem Pantoffel-
tierchen, dem Bakterium und den Viren
ansiehst, dann hast du ungefähr eine Vor-
stellung davon, wie groß all diese Winzlinge
sind.
B
akteriophagen, also Viren, die Bakterien
befallen, haben sich noch einen ganz be-
sonderen Trick der Vermehrung ausge-
dacht: Während ihre Opfer gerade kräftig
wachsen, bewahren die Viren Geduld. Sie
warten so lange, bis sich das Bakterium teilt
(siehe Kapitel Das Leben von Bakterien),
und schon sind zwei Bakterien infiziert.
Aus zweien werden vier, aus vier werden
acht, aus acht werden 16 usw. Ohne Risiko
und Anstrengungen werden die Viren bei
der Teilung der Bakterien einfach mit ver-
mehrt. Die Wissenschaftler nennen diese
Art der Virusvermehrung übrigens den
lysogenen Zyklus. Haben die Bakterien
nichts mehr zu essen und hören auf, sich zu
teilen, hat die Stunde der Viren geschlagen:
Sie übernehmen die Zelle und bringen sie
dazu, mit letzter Kraft weitere Viren zu
produzieren und Kapseln für sie zu bauen.
Die Wissenschaftler nennen diese Art der
Virusvermehrung den lytischen Zyklus.
Alle Lebewesen haben mit Viren
zu kämpfen.
IM REICH DER MIKROBIOLOGIE
Links siehst du ein Pantoffeltier-
chen, ein winzig kleines einzelliges
Lebewesen, das es sogar im Wasser
einer Blumenvase gibt. Daneben im
Größenvergleich eine Bakterie –
in der Lupe erkennst du die
verschiedenen Viren.