cover

Patrick Meinart

DAS NEUE KRAFTTRAINING

Patrick Meinart

DAS NEUE KRAFTTRAINING

Wie du mit neurozentriertem Training Gehirn und Muskeln optimal stimulierst, um deine Performance zu steigern

images

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Originalausgabe

1. Auflage 2020

© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Dr. Frauke Bayer

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildungen vorn: Shutterstock/SciePro, Who is Danny

Umschlagabbildungen hinten oben: Nils Schwarz, www.nilsschwarz.com

Alle Fotos im Innenteil von Nils Schwarz außer:

David Leonhard: 278; riva Verlag: 32

Shutterstock: A.RICARDO: 57 re.; aficons: 105 u. li.; Anya Ku: 53; Blamb: 24, 25; bluedog studio: 57 li.; cellin_art: 105 o.; Designua: 21, 62; FisBioFaci: 93; Jacob Lund: 102; Jasminko Ibrakovic: 70; joshya: 60; Life science: 105 u. re.; Midas Anim: 222; Nadir Keklik: 82; Peter Hermes Furian: 96; SciePro: 14; sportpoint: 100; Syda Productions: 119; Tefi: 16; Vecton: 19; VectorMine: 35, 59, 221

Layout: Katja Muggli, www.katjamuggli.de

Models: Dennis Schmidt von Elace Sportmodels, Jessica Kempf

Satz: Michaela Röhler, feschart print- und webdesign, Leopoldshöhe

Druck: Firmengruppe APPL, aprinta Druck, Wemding

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-1549-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1226-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1227-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

VORWORT

Muskelaufbau beginnt im Kopf

Die unterschiedlichen Zielsetzungen von Krafttraining

1 MOTORISCHE GRUNDLAGEN VON KRAFTTRAINING

Das Gehirn und seine wichtigsten Areale

Die Nervenzelle

Aufgaben des autonomen Nervensystems

Basalganglien als wichtige Rhythmusgeber

Pyramidenbahnen und extrapyramidale Bahnen

Die Funktionen des somatosensorischen Kortex

Die Aufgaben des Kleinhirns

Bedeutend für die Motorik: das Stammhirn

Schaltzentrale Inselrinde

2 NEUROZENTRIERTE PRINZIPIEN

Neuroplastizität und Training

Wahrnehmung und Rezeptoren

Interozeption und Exterozeption

Spannung und Entspannung

Trainieren wir Muskeln oder Bewegungen?

Kraft ist spezifisch

Ermüdung im Training

Individuelle Belastungsempfindung

3 BEWEGUNG UND HALTUNGSKONTROLLE

Arbeitsweisen der Muskulatur

Krafttraining als Bedrohungsmodulation

Willkürliche Bewegung und reflexive Stabilität

Unilaterales und bilaterales Training

4 DIE OPTIMALE ATMUNG

Die Atmung als essenzieller Baustein für Leistung

Das Diaphragma

Nasenatmung

Hyperventilation im Krafttraining

Valsalva-Manöver

Power Breathing

Widerstandsatmung

Wie die Zunge deine Kraft beeinflussen kann

5 NEUROFLOSSING – DIE MOBILISATION VON NERVEN

Das periphere Nervensystem

Mobilisation der Nerven zur Kraftsteigerung

6 INDIVIDUALISIERTES KRAFTTRAINING

Das Gangbild

Programmplanung und Periodisierung

Anhang

Über den Autor

Quellenverzeichnis

Muskelaufbau beginnt im Kopf

Training, im Speziellen das Krafttraining, wird heutzutage in der Regel entsprechend den Gesetzen und Regeln der Biomechanik betrachtet. Dabei wird meistens das klassische kinesiologische Modell verwendet, das in den letzten Jahren durch das myofasziale Netzwerk ergänzt wurde. Wenn man den Menschen aber unter einem ganzheitlichen Aspekt betrachten möchte, ist es sinnvoll, sich nicht nur auf den konventionellen mechanischen Ansatz zu konzentrieren, sondern auch einen tiefer gehenden Blick auf die neurozentrierten Grundlagen eines erfolgreichen Trainings zu werfen.

Ich selbst interessiere mich für Krafttraining seit meiner Kindheit. Damals war ich hauptsächlich von der Körperkraft von Kampfsportlern, aber auch von der scheinbar unbändigen Energie der Strongmen fasziniert. Alles, was mit Kraft zu tun hat, beeindruckt mich. Mein Interesse gilt primär dem klassischen Krafttraining, also allem, was mit dem Stemmen von Gewichten im weitesten Sinne zu tun hat. Es spielt für mich jedoch keine Rolle, ob es sich dabei um Kettlebells, Kurz- beziehungsweise Langhanteln oder Maschinentraining handelt. Für mich sind das alles nur Werkzeuge, Werkzeuge, um das eigene Kraftpotenzial entfalten und ausbauen zu können. Ich durfte in den letzten Jahren mit vielen unterschiedlichen Kraftathleten zusammenarbeiten, von deutschen Meistern im Kraftdreikampf über Europameister im Kreuzheben bis hin zum Medaillengewinner im olympischen Gewichtheben. Dabei begegnete ich vielen Coaches, von denen ich etliches in Bezug auf das Krafttraining lernen konnte, unter ihnen Trainerlegenden wie Charles Poliquin, der 2018 mit 57 Jahren leider viel zu früh verstorben ist, Boris Sheiko oder Michael Boyle. Jeder von ihnen verfolgte einen anderen Ansatz, wobei ich alles aufgenommen und einiges davon für meine eigene Trainingsmethode adaptiert habe.

In den letzten Jahren bin ich immer mehr von einer rein mechanistischen Sichtweise des Krafttrainings abgekommen, da ich erkannt habe, dass bei diesem Ansatz sowohl die Funktion des Nervensystems als auch unsere Individualität auf die Genetik und die Muskelfaserverteilung reduziert werden. Doch der Mensch ist mehr als seine Anatomie und Biomechanik, was auch und gerade im Training entsprechend berücksichtigt werden sollte. Daher nutze ich den neurozentrierten Ansatz bei allen meinen Kraftathleten, egal, ob es sich um einen olympischen Gewichtheber oder einen Bodybuilder handelt. Jeder kann von den hier im Buch vorgestellten Techniken und Methoden profitieren, genauso wie auch ich und meine Kunden davon profitieren konnten. Das Wichtigste dabei ist für mich aber, dass ich alle Techniken immer auch selbst ausführe. Getreu dem Motto »practise what you preach« sollte man als Trainer und Coach auch immer selbst leben, was man lehrt.

Das neurozentrierte Krafttraining betrachtet die Funktion des Zentralnervensystems und dessen Wirkung auf den gesamten Körper unter besonderer Berücksichtigung des Krafttrainings. Dabei versteht sich das neurozentrierte Krafttraining in erster Linie als eine Modulation der »Threats«, was man im Deutschen am besten mit »Bedrohungen« wiedergeben kann, die der Körper durch innere und äußere Reize erlebt. Der Körper ist permanent diversen Belastungen ausgesetzt, die zu unterschiedlichen individuellen Beanspruchungen führen. Für die Bewältigung dieser subjektiven und vom Gehirn beeinflussten Belastungen ist es notwendig, eine entsprechende neuronale Resilienz aufzubauen, also eine Widerstandsfähigkeit des Zentralnervensystems gegen unterschiedliche Formen der Beanspruchung zu entwickeln. Unter Berücksichtigung der Reaktionen des Nervensystems auf die alltäglichen Herausforderungen wird durch das neurozentrierte Krafttraining nicht nur der Körper, sondern auch das Gehirn gestärkt.

Im Gegensatz zum klassischen Krafttraining wird im neurozentrierten Ansatz die Funktion des Zentralnervensystems auf den Körper mit anvisiert. Dabei wird nicht nur dem muskuloskelettalen System Beachtung geschenkt, sondern auch die Wirkung des propriozeptiven, des visuellen und des vestibulären Systems auf die Leistung berücksichtigt. Traditionellerweise wird beim Krafttraining der Fokus nur auf den Output (Motorik) gelegt. Dabei wird jedoch versäumt, auch den Input (Sensorik) einem genauen Blick zu unterziehen, obwohl der Output immer vom Input abhängig ist. Dieser Input führt erst zu einer adäquaten Verarbeitung der Reize, wiederum vom Gehirn verarbeitet und interpretiert, was dann letztendlich zu der motorischen Aktion, also dem Output, führt. Motorik basiert daher immer auf der Sensorik und der Verarbeitung sensorischer Informationen. Entsprechend dieser Grundfunktion des Nervensystems ist auch dieses Buch aufgebaut. Die Betrachtung der möglichen sensorischen Reize steht im Vordergrund, gefolgt von den funktionellen Einheiten des Gehirns, mit dem motorischen Output als letztem Baustein in dieser funktionellen Kette.

Ziel dieses Buches ist es, einen tiefen Einblick in die Beeinflussung, die das Nervensystem auf die Bewegung ausübt, zu werfen. Dabei spielt die individuelle Biochemie am Beispiel der Neurotransmitter eine essenzielle Rolle, genauso jedoch auch die Tatsache, dass die während des Trainings entstehende Ermüdung unsere Leistungsfähigkeit auf neuronaler Ebene negativ beeinflusst. Darüber hinaus soll das Buch aufzeigen, wie trainingsinduzierte Bewegungsschmerzen reduziert, Leistung optimiert und Krafttraining individuell konzipiert werden können.

Das Buch entstand aus der Idee heraus, Training in einem neuen Licht zu präsentieren. Der menschliche Körper ist selbstorganisierend in Abhängigkeit vom Zentralnervensystem. Aus der Kombination der Elemente Selbstorganisation und Nervensystem entsteht die Bewegungskontrolle, die entscheidend für die Entstehung von Kraft ist. Dabei ist das Buch als Ergänzung zum regulären Krafttraining gedacht, nicht als Ersatz. Die beste Methode ist diejenige, die mehrere Bereiche miteinander vereint und somit auch das beste Resultat bieten kann.

Die unterschiedlichen Zielsetzungen von Krafttraining

Krafttraining kann unterschiedliche Zielsetzungen haben. Es kann ein wichtiger Beitrag für die Gesundheit und den allgemeinen Fitnesszustand sein. Krafttraining ist für viele Sportler essenziell, um ein positives Körperbild zu formen und besser auszusehen. Leistungssportler profitieren von einem intelligent strukturierten Krafttraining, das einen Transfer zu ihrem Sport darstellen und somit dazu beitragen kann, ihre sportliche Leistung zu verbessern. Ältere Personen können Krafttraining nutzen, um dem Muskelabbau im Alter entgegenzuwirken. Bei Schmerzpatienten kann Krafttraining zur Reduktion ihrer Symptome auf dem Weg zur Schmerzfreiheit beitragen. Krafttraining hat darüber hinaus auch einen neuroprotektiven Effekt, der das Gehirn jung hält und vor neurodegenerativen Erkrankungen schützt. Krafttraining sollte daher immer zielorientiert und anhand der individuellen Voraussetzungen und Fähigkeiten praktiziert werden. Dabei ist es wichtig, Krafttraining nicht nur auf Grundlage der momentanen Lebenssituation zu planen, sondern auch unter Berücksichtigung der kommenden Jahre. Daher sollte sich jeder die Frage stellen: Was möchte ich mit Krafttraining erreichen? Die Zielsetzung ist maßgeblich für den Aufbau und die Struktur des Trainings. Während die eigene Anatomie und Biomechanik entscheidend für die Übungsauswahl ist, ist die Zielsetzung entscheidend für den Aufbau des Trainings, der sogenannten Trainingsplanung.

Individuelle Voraussetzungen beachten

In der Literatur finden wir viele Informationen bezüglich der Strukturierung und Planung des Krafttrainings mit primärem Fokus auf Muskelaufbau und Kraftaufbau. Diese Informationen beziehen sich in der Regel auf den Versuch, Kraft und Muskelmasse zu maximieren. Doch häufig werden die individuellen Voraussetzungen und Gegebenheiten bei den regulären Empfehlungen außer Acht gelassen. In meiner täglichen Praxis erlebe ich häufig, dass den Athleten Bewegungsdysfunktionen, chronische Schmerzen und schlechtes Stressmanagement dem geplanten Training schnell einen Strich durch die Rechnung machen. Die Anwendung des Krafttrainings, wie es häufig empfohlen wird, ist in der Praxis selten umsetzbar.

Wir sind nicht ständig dazu in der Lage, eine optimale Trainingsumgebung zu schaffen, die es uns ermöglicht, strikt nach Plan vorzugehen. Änderungen in den Lebensbedingungen, Verletzungen, schlechter Schlaf und andere individuelle Faktoren können unser geplantes Training schnell über den Haufen werfen. Während Leistungssportler oftmals nach Schema F arbeiten und ihr Krafttraining durchstrukturieren und periodisieren, sollte man sich die Frage stellen, inwieweit dies für Athleten notwendig oder umsetzbar ist, die nicht mit ihrer sportlichen Leistung ihren Lebensunterhalt verdienen. Dies hat mich veranlasst, meine Kunden dahingehend zu motivieren, ihr Training nicht mehr klassisch zu periodisieren, wie es häufig in der Literatur vorgeschlagen wird. Dazu gehört auch die strukturierte Anwendung von bekannten Trainingsvariablen wie Volumen, Intensität und Trainingsfrequenz. In erster Linie sollte Krafttraining immer an die Bedürfnisse der jeweiligen Person angepasst sein und so individuell wie möglich erfolgen. Häufig erlebe ich mehr Fortschritte bei meinen Athleten, wenn diese sich mehr auf die Technik und den Ausbau ihrer koordinativen Fähigkeiten fokussieren als auf reguläre Trainingsvariablen oder vorgegebene Trainingspläne. Vorbilder wie Pavel Tsatsouline, Dan John oder Ido Portal demonstrieren, wie Kraft spezifisch im Kontext von Bewegungen trainiert werden kann und zu Erfolg führt – auch ohne vorherige Festlegung aller relevanten Trainingsvariablen, wie es zum Beispiel im klassischen Bodybuilding der Fall ist. Daher geht es auch in diesem Buch nicht um die Maximierung von Kraft und Muskelmasse unter allen Umständen, sondern unter Berücksichtigung der eigenen Fähigkeiten und der persönlichen Zielsetzung. Der Fokus wird hierbei auf neuronale Gesundheit gelegt mit dem Ziel, seine Leistung so lange wie möglich bis ins hohe Alter aufrechterhalten zu können.

Übertraining versus Überlastung

Übertraining ist definiert durch negative Konsequenzen auf körperlicher und mentaler Ebene durch zu viel Training. Einer der Hauptgründe dafür, dass viele Freizeitsportler Symptome von Übertraining entwickeln, liegt nicht in dem Training an sich begründet, sondern eher in einem schlechten Management von Schlaf, Ernährung und Stress. Startet der Freizeitsportler, ohne die notwendigen Voraussetzungen mitzubringen, in das Krafttraining, kann das Training schnell zu einer Überforderung führen. Im Prinzip sprechen wir in diesem Fall nicht von »Übertraining«, sondern streng genommen von »Untertraining«. Der Freizeitsportler bringt eine sehr geringe Belastbarkeit zum Training mit und fühlt sich nach dem Training schnell ausgelaugt. Ein zu stark reglementiertes und klassisch strukturiertes Training führt häufig zu mehr Belastung, von der der Sportler nicht ausreichend regenerieren kann.

Ein weiterer Grund dafür, wieso Regeneration in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund rückt – dies liegt nicht an einer höheren sportlichen Belastung, sondern an einer höheren Alltagsbelastung, die wir immer weniger gut kontrollieren können. Die Umsetzung des Krafttrainings erfordert daher nicht nur eine Strukturierung basierend auf einer mechanistischen Sichtweise, sondern auch unter Berücksichtigung psychosozialer Faktoren und individueller Kompetenzen.

Wie du die Übungen nutzen solltest

In diesem Buch verwende ich viele klassische Übungen als Beispiele für das neurozentrierte Krafttraining, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Das »neue Krafttraining« ist ein Trainingssystem, welches im besten Fall auf alle trainierenden Menschen in allen Lebenslagen übertragen werden kann und die Wahl der Übungen nicht limitiert. Daher spielt es keine Rolle, ob du selbst lieber mit der Langhantel, mit der Kettlebell oder an Maschinen trainierst. Die Prinzipien in diesem Buch sollen dir helfen, Krafttraining durch eine neurozentrierte Linse zu betrachten. Statt einer mechanistischen Sichtweise sollte Krafttraining als etwas Exploratives wahrgenommen werden. Die hier gezeigten Übungen und Empfehlungen sollen als ein roter Faden für dein eigenes Training oder als Hilfestellung dienen, das Gezeigte auf deine eigenen Übungen übertragen zu können.

Die klassische Betrachtung der Übungsauswahl bezieht sich in erster Linie auf Bewegungsmuster, die den anvisierten Muskel am stärksten rekrutieren, oder Übungen, mit denen für einen bestimmten Muskel oder eine konkrete Muskelgruppe das meiste Gewicht bewegt werden kann. Wenn wir uns die Übung Kreuzheben als Beispiel näher betrachten wollen, wird diese Übung in der Regel so ausgeführt, dass entsprechend der individuellen Anatomie und Biomechanik das meiste Gewicht bewegt werden kann. Das scheint auch auf den ersten Blick logisch zu sein, denn wieso sollte man eine Übungsausführung verwenden, die nicht zu einer Maximierung des Gewichts führt? Vergleicht jeder Athlet unterschiedliche Ausführungen beim Kreuzheben, wird es eine Technik geben, in der der Sportler das meiste Gewicht bewegen kann. Die Tatsache, dass dies so ist, bedeutet jedoch nicht, dass derjenige in der Zukunft auch nur auf diese eine Art und Weise heben sollte. Kraft ist spezifisch, daher geht es nicht immer um das Maximum an Gewicht, sondern um das Maximum an Kraft in einer bestimmten Position.

Durch die Wahl der vermutlich besten Zugtechnik gehen Variation und Bewegungsvielfalt verloren, was sich negativ auf andere Aspekte des Trainings auswirken kann. So führt dies dazu, dass die Gelenke immer nur in demselben Winkel und in derselben Bewegungsebene belastet werden und andere Bereiche nicht ausreichend genug stimuliert werden (Seite 252). Es müssen also auch andere Variablen beim Krafttraining berücksichtigt werden, die nichts mit Kraft im direkten Sinne zu tun haben.

Als weiteres Beispiel ist der Aufbau von Muskulatur zu nennen. Ich werde immer noch häufig gefragt, welche Übung am besten geeignet ist, um bestimmte Muskeln zu trainieren. Schaut man sich dazu Studien an, lassen sich Ergebnisse aus EMG-Messungen heranziehen, um zu bestimmen, welche Übung vermeintlich am besten für den Aufbau von Muskulatur ist. Doch auch hier beschränken wir uns auf nur eine einzige Variable, ohne andere individuelle Faktoren zu berücksichtigen. Nicht jeder von uns ist Profibodybuilder und hat als alleiniges Ziel den maximalen Aufbau von Muskelmasse. Krafttraining ist wesentlich komplexer als das Stemmen von maximalen Gewichten und die Maximierung von Muskelmasse. Krafttraining ist individuell und zielabhängig.

In diesem Sinne wünsche ich dir, dass dir der andere Blick auf das Krafttraining hilft, zukünftig die beste Leistung aus dir herauszuholen.

Dein Patrick

1

Motorische Grundlagen von Krafttraining

images

Das Gehirn und seine wichtigsten Areale

Das Gehirn beziehungsweise das Nervensystem ist die komplexeste Struktur im gesamten Universum – zumindest nach unserem aktuellen Wissensstand. Milliarden Zellen kommunizieren unentwegt miteinander und senden sich gegenseitig elektrische Signale. Unser Gehirn ruht niemals. Dabei unterscheidet sich das menschliche Gehirn in einigen Aspekten von den Gehirnen anderer Lebewesen, was für unser Überleben essenziell ist. Das Gehirn befähigt uns zu handeln und mit unserer Umwelt durch Bewegung zu interagieren. Man könnte tatsächlich sagen, dass die Evolution uns das Gehirn geschenkt hat, um unsere Umgebung durch Planung, Handlung und Bewegung zu steuern und zu gestalten.

images

Das Gehirn besteht aus unterschiedlichen Strukturen und lässt sich grob in Kortex, Hirnstamm und Kleinhirn aufteilen.

Die Wurzel dieser Fähigkeiten ist in unserem Frontallappen zu finden, der etwa 30 Prozent unseres Kortex ausmacht. Der für die Bewegung wichtigste Teil des Frontallappens ist der Motorkortex. Dieser wird ständig von dem sensorischen Kortex mit Informationen gefüttert. Ohne sensorische Informationen aus unserer Umgebung (Exterozeption) und aus dem Inneren unseres Körpers (Interozeption) ist Bewegung nicht möglich. Daher spielt die Kommunikation zwischen dem sensorischen Teil unseres Kortex und dem motorischen Teil eine wichtige Rolle.

Dabei braucht unser Gehirn konstant Informationen, um Entscheidungen treffen und handeln zu können. Auf Bewegungsebene sind es sensorische Informationen wie die Propriozeption, die visuelle Wahrnehmung und unser Gleichgewicht, die notwendig sind, um Handlungen optimal planen zu können. Viele dieser Areale sind direkt miteinander verknüpft, um optimale Leistung vollbringen zu können. Man spricht hierbei von der sensorischen Integration.

Durch die Funktionen der jeweiligen Kortexe ergibt sich die Verbindung aus Reizwahrnehmung und Handlung beziehungsweise aus Reizwahrnehmung und Unterlassung der Handlung, da jede Entscheidung in einer Handlung oder dem bewussten Vermeiden einer Handlung resultieren kann. Wenn wir ein Geräusch wahrnehmen, sind wir dazu in der Lage, uns der Geräuschquelle zuzuwenden, diese visuell einzuordnen und anhand des Gesehenen die Entscheidung zu treffen, zu handeln oder nicht zu handeln. Wenn wir dies auf ein praktisches Beispiel im Sport übertragen und eine Spielsituation aus dem Fußball wählen, kann dies folgendermaßen ablaufen: Während des Ballbesitzes nimmst du hinter dir über akustische Signale das Herannahen eines gegnerischen Spielers wahr. Durch einen kurzen Schulterblick erkennst du, dass der Gegner sehr nah ist, weswegen du aufgrund seiner Position und seines Laufweges entscheidest, den Ball zu einem Mitspieler zu passen. Handlungsentscheidungen können daher immer nur auf der Basis der zur Verfügung stehenden Informationen getroffen werden.

Das limbische System ist unser emotionales Zentrum. Dieses wird regelmäßig von unserem Frontallappen unterdrückt. Man spricht von einer Inhibition. Eine regelmäßige Inhibition unseres limbischen Systems ist notwendig, um Aggressivität, Impulsivität und andere unkontrollierte Gefühlsausbrüche kontrollieren zu können. Genauso wie unser Frontallappen ungewollte Bewegungen bewusst inhibieren, also unterdrücken, kann, kann er dies auch auf emotionaler Ebene leisten. Daher ist der Frontallappen nicht nur besonders gut darin, Bewegungen und Handlungen zu initiieren, sondern genauso auch, ungewollte Handlungen und Verhaltensweisen gezielt zu unterdrücken. Ginge es nach unserem limbischen System, würden wir nur kämpfen, essen und uns Dinge merken, die für unser Überleben relevant sind. Defizite in der Kontrollwirkung des Frontallappens zeigen sich in vielen verschiedenen Formen unkontrollierten Verhaltens wie übermäßiges Essen, Alkoholismus aber auch Sportsucht.

Minimalistisch betrachtet, bedeutet Leistung das Sichern unseres Überlebens, was die Hauptaufgabe unseres Gehirns ist. Dies wird üblicherweise über Bewegung erzeugt. Der Frontallappen ist auch für die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit verantwortlich. Aufmerksamkeitsdefizite können ein Anzeichen für eine mangelnde Funktion des Frontallappens sein. Dies erschwert unter anderem das Bewegungslernen. Motorische Probleme können daher mit anderen Defiziten korrelieren und ihren Ursprung im Kortex haben.

Die hier geschilderten Areale gehören zum Zentralnervensystem, welches aus dem Gehirn und dem Rückenmark besteht. Das periphere Nervensystem kann als Wahrnehmungs- und Ausführungsorgan des Nervensystems betrachtet werden. Hier befinden sich alle sensiblen (Afferenz) und motorischen (Efferenz) Leitungsbahnen, die durch unseren Körper ziehen. Die sensiblen Leitungsbahnen sind für unsere Wahrnehmung verantwortlich, und die motorischen Leitungsbahnen steuern unsere Skelettmuskulatur und erzeugen Bewegung. Die Funktionsweise des Nervensystems ist in seinen Grundzügen recht simpel: Es empfängt Informationen, verarbeitet diese und reagiert darauf entsprechend mit Handlung oder dem bewussten Ausbleiben einer Handlung.

Die Nervenzelle

Die funktionelle Grundeinheit des Nervensystems ist die Nervenzelle. Die einzelnen Zellen kommunizieren unentwegt miteinander. Die Fähigkeit der Kommunikation wird über den axonalen Transport ermöglicht, über die Freisetzung von Botenstoffen über die Axone, die als eine Art »Sender« im Gehirn fungieren. Bei den Botenstoffen handelt es sich um Neurotransmitter, von denen jeder unterschiedliche Aufgaben hat. In ihren Grundzügen haben die meisten Neurotransmitter entweder eine erregende oder eine hemmende Funktion. Ähnlich wie wir bewusst Handlungen ausführen oder inhibieren können, können auch die Neurotransmitter Prozesse in unserem Nervensystem aktivieren oder unterdrücken. Unser Nervensystem erfordert ein Gleichgewicht aus Erregung und Inhibition, um optimal funktionieren zu können. Ein Ungleichgewicht kann langfristig zu Problemen in Form von psychischen und neurodegenerativen Erkrankungen führen. Neurotransmitter übertragen elektrische Impulse in unserem Gehirn von einer Zelle zur anderen, in dem sie die elektrischen Impulse in chemische Signale umwandeln.

images

Dendrit Die Nervenzelle besteht aus unterschiedlichen Strukturen, die zusammen eine funktionelle Einheit bilden.

Jede Nervenzelle steht über synaptische Verbindungen in Kommunikation mit Tausenden anderen Nervenzellen. Dabei dienen die Synapsen als Signalübertragung für die elektrischen Impulse, die von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergeleitet werden. Die elektrischen Signale sind die Informationen, die im Gehirn übertragen werden. Sogar wenn eine Nervenzelle ruht, gibt es immer wieder eine synaptische Entladung der verbundenen Nervenzelle. Daher kann es immer wieder zu Fluktuationen vom Ruhewert der Nervenzelle kommen. Dies ist auch der Grund, wieso manchmal unsere Muskulatur unkontrolliert zittert oder wir manchmal bei Müdigkeit kurz aufzucken. Ist die elektrische Entladung stark genug, um eine bestimmte Reizschwelle zu erreichen, kommt es zur Bildung eines Aktionspotenzials, was zu einer Signalweiterleitung führt. Dabei ist die Signalübertragung abhängig von den vorliegenden Neurotransmittern und von den Axonen, die die Signale innerhalb der Nervenzelle weiterleiten. Die Geschwindigkeit der Weiterleitung der Informationen ist stark abhängig von der Myelinschicht. Die Myelinschicht ist quasi der Schutzmantel der Nervenzelle und sichert nicht nur ihre Funktion, sondern auch ihr Überleben. Je dicker und kräftiger die Myelinschicht, desto besser werden Signale übertragen. Alzheimer führt unter anderem zu einem Abbau der Myelinschicht, was zu einer Verlangsamung der Signalübertragung und somit zur Reizweiterleitung führt. Myelinschichten werden meist durch Entzündungsprozesse zerstört. Neurodegenerative Erkrankungen, Ernährungsfehler und ein ungesunder Lifestyle können zu einer Degradation der Myelinschicht führen.

images

Die Synapse fungiert als Bindeglied zwischen den Nervenzellen und ermöglicht die Signalübertragung im Nervensystem.

Aufgaben des autonomen Nervensystems

Das autonome Nervensystem hat die Aufgabe, lebenswichtige Abläufe im Körper aufrechtzuerhalten. Es steuert unter anderem unsere Atmung, die Körpertemperatur, Nahrungsaufnahme, Libido und unsere Kommunikation mit dem Herzmuskel. Es besteht dabei aus den Partnern Sympathikus (Erregung) und Parasympathikus (Entspannung), die für unterschiedliche Aktivitäten im Nervensystem verantwortlich sind. Eine Aktivierung des Sympathikus ist für Aktivitäten wichtig, die ein erhöhtes Maß an Erregung benötigen, wie zum Beispiel Kampf oder Flucht. Der Parasympathikus fungiert als Gegenspieler und reduziert die Erregung, was zu einer Entspannung führt und die Verdauung erleichtert. Eine optimale Funktion des autonomen Nervensystems besteht aus einem Gleichgewicht der beiden Partner mit dem Ziel des regulierten Gleichgewichts, der Homöostase. Eine zu starke Verschiebung zugunsten des Sympathikus führt zu einer erhöhten Stressempfindung, Unruhe und schlechtem Schlaf, während eine zu starke Verschiebung hin zum Parasympathikus mangelnde Motivation und Antriebsschwäche zur Folge hat. In Bezug auf Training und Sport sind eine schnelle Aktivierung des Sympathikus und eine direkt folgende Senkung des Sympathikotonus nach Beendigung der sportlichen Aktivität wünschenswert. Je schneller sich der Sympathikotonus reduziert, desto höher ist die Relaxationsfähigkeit des Sportlers. Ein schneller Wechsel von Erregung zu Entspannung kann als Indikator für Gesundheit und ein Gleichgewicht im autonomen Nervensystem angesehen werden. Viele Kraftathleten neigen allerdings dazu, sympathikoton zu sein. Sie wirken nonstop hyperaktiv, haben einen hohen Muskeltonus und können nur schwer entspannen. Krafttraining sollte dazu beitragen, ein Gleichgewicht im autonomen Nervensystem erzeugen zu können und nicht eine chronische Verschiebung zum Sympathikus. Schauen wir uns nun etwas genauer an, wie unser Gehirn Bewegungen steuert.

Der Motorkortex als Kontrollorgan

Als Teil der Großhirnrinde kontrolliert der Motorkortex unsere Bewegung durch bewegungsspezifische Signale und leitet diese durch das Rückenmark und über Motoneurone zu den Muskeln. Präzise und gut koordinierte Muskelaktionen sind notwendig für eine optimale fehlerfreie Bewegungsausführung.1 Die Grundlage hierfür sind die motorischen Systeme der verschiedenen Ebenen (Rückenmark, Hirnstamm, Kleinhirn, Großhirn), die über Bahnen miteinander in Verbindung stehen.

Der Motorkortex ist für die Ausführung willkürlicher Bewegungen verantwortlich, während das Rückenmark und der Hirnstamm die reflexive Stabilität beeinflussen. Dabei wird dieser in den primär-motorischen Kortex, den supplementär-motorischen Kortex (SMA) und den prämotorischen Kortex unterteilt und befindet sich im hinteren Bereich des Frontallappens. Die in der primär-motorischen Rinde liegenden Motoneuronen sind der hauptsächliche gemeinsame Ausgang des Motorkortex. Von hier aus gelangen die Befehle zur Steuerung der Muskulatur. In dem primär-motorischen Kortex sind die Muskelgruppen jeweils repräsentativ in Form von Nervengewebe angeordnet. Jeder Körperregion ist im Gehirn ein ganz bestimmter motorischer und sensorischer Bereich der Hirnrinde zugeordnet. Je größer die Rezeptorendichte in einem Körperareal ist, umso größer und dichter ist die entsprechende Region auf der Großhirnrinde. Eine große Rezeptordichte weisen zum Beispiel die Fußsohlen und Finger auf. Generell kann man es sich so vorstellen, dass der Körper verkleinert in Form eines »Homunkulus« auf der Großhirnrinde repräsentiert wird. Hierdurch lassen sich nicht nur die Fläche und die Position für die jeweilige Region ausmachen, sondern auch für den jeweiligen Skelettmuskel. Häufig wird behauptet, unser Gehirn kenne nur Bewegungsmuster und keine Muskeln. Dies ist falsch, da unsere Muskulatur innerhalb des Homunkulus auf unserem Kortex genau abgebildet ist.

Der Motorkortex ist die in der Hierarchie am höchsten stehende Funktionsebene der Motorik, die Informationen aus den untergeordneten Hirnregionen erhält, verarbeitet und sozusagen als »Gouverneur« letztendlich den Befehl zur Bewegungsausführung gibt. Grundlage für jede Bewegungsausführung ist Motivation, emotionale Handlungsbereitschaft und Planung. Jede Bewegung ist immer mit einem Handlungsziel gekoppelt. Ohne Motivation zur Bewegung kann keine Bewegung ausgeführt werden. In Zusammenarbeit mit dem Kleinhirn und den Basalganglien erzeugt der prämotorische Kortex einen Bewegungsentwurf. Dabei fließen auch sensorische Informationen, die beispielsweise das notwendige Ausmaß einer Bewegung definieren, mit ein. Die Basalganglien werden häufig auch als »Architekten der Bewegung« bezeichnet. Die supplementär-motorische Rinde spielt eine wichtige Rolle beim Erlernen von neuen Handlungsabfolgen. Komplexe Bewegungsmuster werden hier vorbereitet und initiiert.

In der einfachsten Funktion in Bezug auf die Bewegungssteuerung lässt sich der Motorkortex mit folgenden Aufgaben zusammenfassen: Gedanke, Entscheidung, Handlung, Ziel. Dabei steht immer ein Ziel vor Augen und sollte auch in das Training mit einbezogen werden. Je besser das Ziel einer Bewegung klar definiert ist, desto leichter fällt es dem Motorkortex, dafür einen geeigneten Bewegungsplan zu erzeugen. Im Abschnitt Interozeption und Exterozeption auf Seite 47 gehe ich im Detail darauf ein, wie die Lenkung der Wahrnehmung unseren »motorischen Erfolg« beeinflussen kann.

images

Die Steuerung der Muskulatur erfolgt durch den Motorkortex.

Die Zielsetzung ist das Ergebnis einer jeden Handlung. Ohne Bewegungsziel ist keine Handlung möglich. Das Bewegungsziel vorzugeben ist unter anderem Aufgabe des Trainers im Coaching. Nur durch spezifische Vorgaben kann ein Bewegungscoaching ausgeführt werden. Dabei kann sich der Kunde maximal auf drei Aspekte der Bewegung konzentrieren. Das Coaching des Trainers hilft dem Kunden, sich auf die Qualität der Bewegung, auf die Ausführung und auf die Bewegungskorrektur zu fokussieren. Nur wenn der Kunde mögliche Bewegungsfehler kennt, kann er diese auch korrigieren. Bewegungskorrekturen führt das Kleinhirn auf unbewusster Ebene aus, auf das ich später (Seite 30) noch eingehen werde.

Basalganglien als wichtige Rhythmusgeber

Die Basalganglien kontrollieren und modulieren komplexe Bewegungen und sind verantwortlich für einen harmonischen und fließenden Bewegungsablauf, was vor allem die rhythmische Steuerung von erlernten Bewegungen betrifft. Die Basalganglien sind mit dem Thalamus verbunden, den motorischen Bereichen des Frontallappens und dem Pons im Hirnstamm. Der Output geht zum Thalamus und zum Pons.

images

Die Basalganglien bestehen aus unterschiedlichen Regionen, die teilweise in verschiedenen Bereichen des Gehirns zu finden sind.

Basalganglien sind subkortikale Kerngebiete in der Nähe des Thalamus. Sie gehören zum extrapyramidalen System, welches primär für die Haltung und Stützmotorik verantwortlich ist. Sie unterstützen den Hirnstamm bei der Regulation des Muskeltonus und dienen der posturalen Kontrolle von Bewegungen auf unbewusster Ebene, da eine bewusste Haltungskontrolle während dynamischer Bewegungen zu langsam ablaufen würde.2 Funktionell zählen folgende Strukturen zu den Basalganglien:

Die Basalganglien passen unter den gegebenen Bedingungen die Geschwindigkeit und das Ausmaß von Bewegungen an. Hierbei haben die Basalganglien jeweils eine hemmende und eine erregende Wirkung. Das Striatum und der Nucleus subthalamicus hemmen die Motorik, während das Palladium als Gegenspieler des Striatums die Motorik fördert. Die Basalganglien besitzen aufgrund ihrer erregenden (Bewegungsausführung) und inhibierenden (Bewegungsunterdrückung) Wirkung eine Art »Filterfunktion«. Sie sind eingebettet in einer Regelschleife zwischen dem Frontallappen und dem Thalamus und steuern Bewegungen basierend auf sensorischen Informationen. Aufgrund ihrer regulierenden Funktion erstellen sie einen Rhythmus aus Kontraktion und Relaxation, der als fließende Bewegung erkennbar ist. Defizite in den Basalganglien sind in Form eines Rhythmusverlusts oder eines Bewegungszitterns während der Bewegung erkennbar. Andere Störungen sind zum Beispiel Tic-Störungen als Fehlverschaltung der Basalganglien, bei denen ein immer wiederkehrendes Bewegungsmuster ausgelöst wird.

Die Basalganglien sind verantwortlich für die Indizierung von Bewegungsabläufen (No-Go-Pathway) und die Ausführung von Bewegungen (Go-Pathway). Die Basalganglien wirken in ihrer Basisfunktion inhibierend auf Bewegungen. Sie müssen zuerst aktiviert werden, um diese Inhibition auszuschalten. Einfach formuliert, unterdrücken Basalganglien so lange Bewegungen, bis sie aufgefordert werden, Bewegungen freizusetzen. Im Krafttraining werden die Basalganglien durch ihre Steuerung von Kontraktion und Relaxation immer mit aktiviert. Durch Bewegungslernen unterdrücken die Basalganglien die Aktivität von Muskeln, die wir für bestimmte Bewegungsabläufe nicht benötigen. Überflüssige Co-Kontraktionen reduzieren sich so mit der Zeit. Ein Indikator für die Anpassung der Basalganglien im Laufe des Bewegungslernens ist die Reduktion des Bewegungszitterns. Während Anfänger bei neuen Bewegungen häufig aufgrund der mangelnden Regulation der Basalganglien zittern, verschwindet dies nach einiger Zeit, und die Bewegung erscheint flüssiger. In der Praxis nutze ich gern Musik beziehungsweise einen konkreten Rhythmus, um die Basalganglien während der Übungsausführung zu stimulieren und dadurch das Bewegungslernen zu beschleunigen.

Die Wirkung von Musik

Musik bringt den Menschen dazu, sich unwillkürlich im Takt mitzubewegen (Füße, Hände, Kopfnicken). Dieses Verhalten wird meist als angenehm und befriedigend wahrgenommen. Es ist häufig ein automatisierter Vorgang, der keine starke kognitive Beteiligung zu benötigen scheint. Musik, beziehungsweise Rhythmus in einem bevorzugten Tempo, erhöht die Aktivität noch mehr (vor allem im prämotorischen Kortex). Daher kann es sinnvoll sein, beim Sport oder Training nicht nur die Lieblingsmusik auszusuchen, sondern auch den passenden Takt zu wählen, der sich positiv auf das Bewegungsverhalten auswirkt. Introvertierte Personen neigen dazu, im Training eher auf Musik zu verzichten, während extrovertierte Personen eher auf zusätzliche externe Stimuli angewiesen sind. Diese Theorie ist zwar nicht bestätigt, lässt sich jedoch in der Praxis häufig beobachten. Basalganglien werden durch Musik und Rhythmus aktiviert und machen Bewegungen flüssiger und reflexiver. Dadurch wird ein Bewegungsautomatismus ermöglicht.3 Neben der Aktivierung der Basalganglien durch Rhythmus kann die Musik auch einen positiven Effekt auf die Ausschüttung von Dopamin haben. Dies kann die Trainingsmotivation steigern und zu einem besseren Ermüdungswiderstand im Training führen. Vor allem Striatum und Putamen der Basalganglien werden hierdurch stimuliert. Schnelle und rockige Musik sind zusätzlich ein Anzeichen für einen Dopamintypen. Neben dem Dopamin können auch andere Neurotransmitter wesentlich für die Ausprägung der Persönlichkeit und des Trainingstypus sein. Sportler, die überwiegend vom Neurotransmitter Acetylcholin beeinflusst werden, bevorzugen im Krafttraining eher ein moderates Tempo (Seite 268).

Seite 265