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Dystopieband eBook 2

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UMC?

Die Weissen Männer

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Literatur Guerillas

Dystopie eBook

Band 2

 

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Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © dieser Ausgabe 2020 by KOVD Verlag, Herne

Artwork: Timo Kümmel

Illustrationen: Thomas Hofmann

 

Nachdruck und weitere Verwendung

nur mit schriftlicher Genehmigung.

 

ISBN: 978-3-969176-24-5

UMC?

 

 

Nein, keine Angst, liebe Vorwort-Hasser! Dies hier ist keins! Und auch keine Laudatio. Ich werde mich hier ganz gewiss nicht bei meinem Schwippschwager, meiner Grundschullehrerin oder meiner Lebensabschnittspartnerin für ihre tolle Unterstützung bedanken. Nein. Ehrenwort!

Dies hier ist eher eine Art ›Gebrauchsanweisung‹ oder ›Ortsbestimmung‹, in der Art wie: Sie befinden sich genau HIER! Denn wenn Sie nun glauben, Sie befänden sich am Anfang der Story, so täuschen Sie sich. Verwirrt? Okay, dafür bin ich ja da. ;-)

Also, wo anfangen? Blöde Frage. Angefangen hat alles nämlich mit einer kleinen erotischen SF-Story (»Liebe mich!«), die übrigens auch meine erste professionelle Veröffentlichung überhaupt war. Ich beschrieb damals eine recht düstere, zukünftige Welt, in der Gerätschaften mit künstlicher Intelligenz an der Tagesordnung sind. Angefangen von Toastern über Uhren bis hin zu humanoiden Replikanten. Staaten, wie wir sie heute kennen, existieren nicht mehr. Es gibt nur noch Föderationen, die von gewaltigen Mega-Multis beherrscht werden, gigantische Firmen, die von Fast Food über Telekommunikation bis eben hin zu Replikanten einfach alles herstellen. Der größte dieser Global-Player ist die UMC (United Merchandise Company), die mit tausenden von Tochterfirmen jeden Lebensbereich der Menschen abdeckt. Der lukrativste und am stärksten expandierendste Zweig ist der der K.I. (künstliche Intelligenz) und Virtual Reality Spiele.

Doch dann läuft etwas schief. Es kommt zu unerklärlichen Ausfällen innerhalb der kybernetischen Systeme. Die ›Bugs‹ (oder auch ›X-Virus‹ genannt) fordern schließlich sogar erste Todesopfer. Die UMC ist natürlich bestrebt, diese Unfälle geheim zu halten. Schlechte PR ist Gift für das Geschäft. Und bei dem Multi stehen Billionen auf dem Spiel. Keine Frage, dass dem Konzern jedes Mittel zur Vertuschung recht ist. Jedes!

Das System bricht jedoch nach und nach an allen Fronten in sich zusammen. Dabei zeigt sich immer deutlicher, dass offenbar eine Struktur, ein Muster hinter all dem vermeintlichen Chaos zu stecken scheint. Eine uralte, geheime Wesenheit wurde ›erweckt‹ und nun bedient sie sich modernster Technik, um ihre Ziele zu erreichen. Sie schart Menschen wie Replikanten als ihre neuen Jünger um sich, formt sie nach ihrem Willen und beginnt einen verborgenen Krieg. Nur einige wenige Menschen, Zivilisationsflüchtlinge, die sich dem Luxus aber auch den Zwängen der Städte entzogen haben, bemerken diese unheimliche Invasion. Sie nennen sich nur »die Gruppe«. Ähnlich wie die Agenten der UMC, nur mit vollkommen anderen Motiven, versuchen sie, den Vormarsch der Jünger zu verhindern. Ein aussichtslos scheinender Kampf nimmt seinen Anfang …

Ich habe die Erzählungen, Novellen und Romane (ja, die gibt’s auch schon!) grob in vier Zeitebenen eingeteilt: 1.) Der Anfang; 2.) Die Zwischenzeit; 3.) Die Zeit der Ankündigung und 4.) Die Zeit der Offenbarung.

DIE WEISSEN MÄNNER spielt sich zum Ende der »Zeit der Ankündigung« ab, also zu dem Zeitpunkt, an der die geheime Invasion immer klarer ans Tageslicht tritt. Eine weitere Erzählung in Romanlänge (»Madenjäger«) ist bereits abgeschlossen und wird beim BLITZ VERLAG erscheinen; auch wenn es sich dabei um keine direkte Fortsetzung handelt, wird der Leser auch dort auf Figuren aus DIE WEISSEN MÄNNER stoßen. Ein längerer Roman, der die Novelle »Die Dunwich-Pforte« beinhaltet (»Grenzen aus Nebel und Tau«) schlägt darüber hinaus einen größeren Bogen vom Anfang bis zum Ende der dritten Epoche. Beide Bände sind allerdings noch nicht erschienen. Sie sehen aber, es gibt noch eine Menge, was ich über UMC berichten möchte. Eine ganze Menge! Über die chronologische Einordnung der bereits publizierten Erzählungen und Novellen informiere ich unter:

http://www.arthur-gordon-wolf.de/U.M.C.1.html

Nun bleibt mir nur noch übrig, mich bei ihnen, lieber Leser, für das in mich gesetzte Vertrauen zu bedanken und spannende Unterhaltung zu wünschen.

Apropos ›bedanken‹. ;-) Ha, jetzt habe ich Sie doch noch erwischt. Bedanken möchte und muss ich mich ganz einfach noch bei drei Menschen: bei Timo Kümmel für das tolle subtil veränderte Cover, bei Thomas Hofmann für die wunderbaren Illustrationen und last, not least bei Sascha Lubenow für sein Engagement und das verlegerische Risiko, einen derart kruden Genre-Mix wie DIE WEISSEN MÄNNER überhaupt in das Programm von KOVD aufgenommen zu haben.

Jetzt sagen Sie nicht, ich hätte Sie reingelegt. Kein Wort von Schwippschwager oder Grundschullehrerin in meinen Dankesworten. ;-)

Bis zum nächsten Mal.

 

Arthur Gordon Wolf, im März 2020

Er schlug verwirrt die Augen auf. Dunkelheit und Stille umfingen ihn. Die Verwirrung war so groß, dass er momentan nicht wusste, wo er sich befand. Auch wenn dieses Gefühl nur wenige Sekunden andauerte, war es nicht minder beunruhigend. Geradezu unheimlich. In diesen Sekundensplittern hatte er sogar seinen eigenen Namen vergessen. Nun, Brandon Tolliver war auch kein Name, der einen besonderen Erinnerungswert besaß. Wer war er denn schon? Ein unbedeutender Softwareingenieur, der nicht einmal die Hälfte seiner Überstunden bezahlt bekam. Ein winziges Rädchen inmitten einer gigantischen Megamaschinerie. Ein nickendes Hündchen, das gehorsam und freudig die Tritte seines Herrchens hinnahm. Er stöhnte laut auf. Die Wahrheit sah ernüchternd aus. Er war ein Vollidiot, der sich nicht mehr als diese schäbige Bude hier im T- Block leisten konnte.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis es ihm blinzelnd gelang, die roten Lichtzeichen, die seine Uhr an die Decke warf, zu entziffern. ›3:27‹. Verdammt, es war noch mitten in der Nacht! Was hatte ihn nur zu dieser unchristlichen Stunde geweckt?

Regungslos blieb er liegen und lauschte angestrengt nach der Ursache. Für einige Sekunden hielt er sogar den Atem an, doch das Einzige, was seine Sinne wahrnahmen, war die drückende Hitze im Zimmer. Die Klimaanlage hatte ausgerechnet mitten im Sommer ihren Geist aufgegeben, und da er sich gerade mal wieder in einer finanziellen Notlage befand, kam eine Reparatur nicht in Frage. Stattdessen hatte er das Fenster so weit wie möglich geöffnet. Die kaum wahrnehmbare Brise brachte allerdings keine Linderung. Immerhin wurde er hier, oberhalb des 65. Stockwerks, nicht von Straßenlärm belästigt. Er hielt erneut die Luft an. Wenn man es genau betrachtete, wurde man von überhaupt nichts belästigt. Nicht einmal der leiseste Windhauch war zu hören.

Brandon dachte gerade drüber nach, sich ein Glas Wasser zu holen, als er doch etwas hörte. Eine Stimme.

»Alexander? … Alexander! … Alexander?«

Es war eine alte, brüchige Stimme, die ihm sehr vertraut war. Direkt neben ihm wohnte eine alte, alleinstehende Dame, die er gelegentlich im Aufzug oder im Flur traf. Miss Brookdahl. Eine silberhaarige, stets freundliche kleine Frau, die mit einem seltsam anachronistischen Stolz noch immer auf ihrem mittelalterlichen Titel »Miss« bestand. Er musste auch jetzt wieder darüber lächeln. Miss Brookdahl war ein liebenswürdiges Fossil, dem es auf wundersame Weise gelungen war, in diese Zeit überzuwechseln. Vermutlich durch eine Art Dimensionspforte, dachte er.

Brandon fuhr plötzlich im Bett hoch. Wen rief die alte Frau dann aber mitten in der Nacht? Sie lebte schließlich schon seit mehr als 40 Jahren allein in dieser Wohnung. Sprach sie etwa im Schlaf?

»Vermutlich«, murmelte er und stieß wahrscheinlich zum 10.000 Mal in dieser Woche einen Fluch wegen der maroden Bausubstanz des Hauses aus.

Die einzelnen Wohneinheiten waren zwecks Materialersparnis nur durch sehr dünne Wände voneinander getrennt. Eine hauchdünne Membran im Inneren sorgte allerdings dafür, dass über 98% aller Schallwellen absorbiert wurden. Bislang hatten die Dinger gut funktioniert, doch nun war offenbar auch diese technische Errungenschaft den Weg allen Irdischen gegangen. Entropie und Chaos, wohin man nur blickte; seine Klimaanlage und die hellhörige Wand waren da nur lächerliche Nebenschauplätze.

Wenn man die gefilterten News richtig interpretierte und nur einem Prozent der Gerüchte glaubte, so waren Ausfälle in weitaus komplexeren elektronischen Schaltsystemen keine Seltenheit. Erst gestern hatte ihm ein Kollege in der Firma erzählt, ein Freund von ihm habe von einer Art Supervirus erfahren, das sogar Virtual Reality Spiele und Replikanten befiel. Angeblich habe es bereits viele Tote gegeben. Natürlich konnte man derlei »Informationen« unter der Rubrik »urbane Legenden« verbuchen, die gleich neben dem Artikel »Elvis lebt auf Beteigeuze« im National Enquirer erschienen, aber irgendwie spürte Brandon, dass mehr dahinter steckte. Glücklicherweise beschäftigte sich seine Firma nur mit der Erstellung und Wartung von Logistik- und Online-Buchungssoftware.

In der letzten Zeit fiel auf, dass auch ihre Kunden (vornehmlich Konzerne aus dem Bereich der Lebensmittel- und Möbel- Industrie) vermehrt über seltsame Ausfälle klagten. Häufig fanden sich in der Software plötzlich Bugs oder Freezers, die durch die Programmierung eigentlich hätten vereitelt werden müssen. Als Ursache konnten weder Trojaner noch Viren identifiziert werden. Die Umschreibung und Löschung bestimmter Programmteile geschah einfach. Brandon hörte Miss Brookdahl nur noch einmal in dieser Nacht den Namen »Alexander« murmeln, dann kehrte Stille ein. Kurz bevor er endlich wieder einschlief, drang ein helles Kinderlachen an sein Ohr, er konnte aber nicht mehr erkennen, ob es sich dabei nicht bereits um einen Teil seiner eigenen Traumwelt handelte.

 

 

Es sollte mehr als eine Woche vergehen, bevor Brandon überhaupt wieder die Gegenwart seiner Nachbarin bemerkte. Die merkwürdigen Rufe in jener Nacht und das noch seltsamere Lachen waren längst von alltäglichen und nur zu realen Erlebnissen überlagert worden. Danah, seine mehrjährige Freundin, hatte ihm von heute auf morgen den Laufpass gegeben. Und das höchst stilvoll per Holomail.

»Ich hab lange überlegt, Brandon, aber unsere Beziehung bringt mich irgendwie nicht weiter. Ich hoffe, du verstehst mich.«

Sie hatte dabei einen rosa farbigen Kaugummi zwischen ihren Lippen hervorgezogen und langsam um den Zeigefinger gewickelt.

»Nun ja, du weißt ja, wie das ist. Heutzutage muss jeder sehen, wo er bleibt. Tja, und du fährst einfach auf einem zu langsamen Gleis, Baby. Du ENTWICKELST dich einfach nicht.«

Danah blickte dabei in einen für Brandon unsichtbaren Spiegel oberhalb ihrer Holokamera und zupfte sich ungeniert einige Haare ihrer Augenbrauen zurecht, mit der anderen Hand immer noch den widerlichen Kaugummi in die Länge ziehend.

»Coraleen meint auch, dass du mich nur bremst.« Sie stöhnte gedehnt. »Und, wenn du mal ganz ehrlich bist, im Bett bist du auch nicht gerade ein Hengst.«

Bei diesen Worten stand er kurz davor, ein Glas in ihre widerlich grinsende Fratze zu werfen, doch glücklicherweise siegte die Vernunft. Danah hätte ohnehin nichts davon gespürt und ohne Holoscreen würde sich sein Fenster zu der Welt dort draußen für immer schließen. Allerdings begann er sich mehr und mehr zu fragen, ob dieses Fenster nicht besser zubetoniert werden sollte. Selbst die Nachrichten waren doch nichts anderes als aufbereitete virtuelle Fantasien. Glaubte man den strahlend bunten Bildern, befand er sich inmitten eines endlosen Paradieses. Seltsam nur, dass er außerhalb seines Wohnblocks nirgendwo auch nur ansatzweise vergleichbare Szenarien entdecken konnte. Hinter den strahlenden Leuchtreklamen bröckelte der Putz; ohne die künstlichen Lichter bestanden die Hauptfarben aus Grau, Braun und Schwarz. Die Stadt war in Wirklichkeit eine dreckige kalte Wüste, doch niemand schien den Mut zu besitzen, genau hinzusehen. Die heile Virtual Reality Holowelt war doch so viel angenehmer.

Unseren täglichen virtuellen Traum gib uns heute!

Das lebensgroße Holobild seiner Verflossenen war jedenfalls alles andere als traumhaft gewesen. Und ähnlich unerfreulich war es auch in der Firma zugegangen. Aus den anfänglich vereinzelten Bugs hatte sich binnen weniger Tage eine regelrechte Plage entwickelt. Die Matrix vieler Tabellen schien sich plötzlich komplett gewandelt zu haben. Und noch immer konnte kein Muster, kein agierender Virus, identifiziert werden. Brandon und seine Kollegen schufteten fast rund um die Uhr, doch sie arbeiteten gegen einen übermächtigen Gegner. War ein String an einer Stelle wieder hergestellt worden, brachen an anderer Stelle wenig später ganze Cluster zusammen. Niemand wagte es laut auszusprechen, doch wenn nicht bald die Ursache für die Fehler gefunden würde, war das gesamte elektronische Netzwerk dem Untergang geweiht. Und dies hätte Auswirkungen auf jeden Aspekt des alltäglichen Lebens – angefangen von sprachgesteuerten Kaffeemaschinen, über Heizungen und Schlösser bis hin zu Verkehrsleitsystemen und jeder Form von Kommunikationsmedien. Y2K-Bug war vielleicht doch kein Mythos. Er hatte zwar eine gehörige Verspätung, dafür kam er nun aber mit Volldampf.

 

 

Er traf Miss Brookdahl diesmal auf dem Flur und das Verrückte war, dass sie genau denselben Namen rief, wie in jener längst vergangenen Nacht.

»Alexander! Nun träum doch nicht so vor dich hin! Alexander! Hörst du? Alexander!«

Brandon glaubte erst, die alte Dame habe nun endgültig den Verstand verloren, doch dann erspähte er eine weitere kleine Gestalt hinter ihr. Ein Kind? Doch wie sollte eine überzeugte »Miss« an Kinder kommen? Von Enkelkindern ganz zu schweigen.

Als die Nachbarin ihn erkannte, schenkte sie ihm wie immer ein freundliches Lächeln.

»Oh, guten Abend, Brandon«, grüßte sie. »Bei Ihnen wird es aber auch von Tag zu Tag später.«

Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Da sagen Sie was, Miss Brookdahl. Die Arbeit frisst mich noch auf.« Sein Blick wanderte hinüber zu ihrem Begleiter, der leicht torkelnd zwei Einkaufstaschen heranschleppte. »Wie ich sehe, haben Sie Besuch«, bemerkte er überaus geistreich. »Ihr Enkel?«

»Oh, Sie schlimmer Junge, Sie!«, entgegnete Miss Brookdahl gespielt entrüstet, und er hätte schwören können, dass eine leichte Röte ihr Gesicht überzog. »Sie wissen doch ganz genau, dass ich alleinstehend bin. Nein, nein, Alexander ist mein neuer Freund, der mir Gesellschaft leistet und bei meinen täglichen Arbeiten hilft.«

Als der Genannte nun näher kam, erkannte Brandon, dass es sich tatsächlich um kein Kind handelte. Alexander war ein zwergenhaftes Männchen von etwa einem Meter dreißig Größe mit dürren recht langen Gliedmaßen. Unter dem dunkelbraunen Haarschopf zeigte sich ein altersloses Gesicht ohne jede Falte; wenn man jedoch in die dunklen Augen blickte, bekam man den beunruhigenden Eindruck, ein uraltes Wesen vor sich zu haben. Ein Wesen mit verborgenem dunklen Wissen. Alexander war definitiv kein Kind. Und er war auch kein Mensch.

»Ist er nicht niedlich?«, flötete Miss Brookdahl. »Sag Mr. Brandon guten Abend, Alexander!«

Der Zwerg stellte die beiden Tüten mit einem schweren Plumpsgeräusch ab und blickte hinauf zu seinem Gegenüber, der ihn um über drei Köpfe überragte.

»Guten Abend, Mr. Brandon«, sagte er gehorsam.

Sein Lächeln wirkte allerdings seltsam kalt, da es die Augen nicht erreichte.

»Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Die Stimme klang androgyn und doch jugendlich hoch.

Brandon musste sich dazu überwinden, die spinnenhaften Finger der ausgestreckten Hand zu ergreifen.

»Äh, freut mich ebenfalls, äh … Alexander!«, stotterte er unsicher.

Als sich ihre Hände wieder lösten, verspürte er das dringende Bedürfnis, sich von Kopf bis Fuß zu waschen. Obwohl Alexanders Hand kühl und trocken gewesen war, meinte er doch, eine schleimige Insektenhaut berührt zu haben.

Brandon war froh, als Miss Brookdahl endlich die Wohnungstür aufschloss und Alexander nach drinnen schickte.

»Sei ein Schatz und stell die gefrorenen Sachen schon mal in den Kühlschrank!«

Nachdem ihr neuer Begleiter wortlos mit den Tüten verschwunden war, wandte sie sich wieder ihrem Nachbarn zu. Ein ungewohnt ironisches Lächeln erschien auf ihren Lippen.

»Natürlich haben Sie es schon bemerkt, nicht wahr, Brandon?«

Er stellte sich dumm.

»Bemerkt? Äh … was denn?«

»Na, dass Alexander ein Replikant ist, natürlich. Er ist ein PXS-14. Goldig, nicht wahr?«

Brandon nickte nur stumm.

»Ich hatte anfangs ja eher an eine Katze gedacht«, fuhr sie fort, »aber Katzen schnurren und miauen nur. Und sprechende Exemplare sind unverschämt teuer, wie Sie ja sicher wissen. Und bei den täglichen Besorgungen kann so ein Tier ja auch wenig helfen. Tja, und so schlug mir der freundliche Mann von UMC vor, doch einen Miniaturhelfer zu kaufen. Die Modellreihe von Alexander kann eigentlich alles, was seine großen Brüder auch können, doch dafür kosten sie nicht einmal die Hälfte. Ist das nicht einfach faaabelhaft?!«

Sie dehnte das letzte Wort so stark, als befände sie sich mitten in einem Werbespot für Haushaltsreplikanten. Brandon spürte, wie er sich nun doch die Hand an seinem Hosenbein abwischte. Da er nicht auf ihre ohnehin rhetorische Frage reagierte, fuhr Miss Brookdahl neckisch fort: »Ja, ja ich sehe schon, Brandon. Sie denken jetzt sicher, was will diese alte Schachtel noch mit einem Replikanten.«

»Nein!«, entfuhr es Brandon. »Ich meine … «

»Papperlapapp!«, unterbrach sie ihn mit einer unwirschen Handbewegung. »Sie haben ja vollkommen recht, doch warum sollte sich eine alte Frau wie ich nicht mindestens einmal im Leben eine Verrücktheit leisten? Ich habe keine lebenden Verwandten; für wen also sollte ich mein Geld aufsparen? Etwa für den Staat?« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, nein, nein! Für meine alten Tage ist Alexander genau die richtige Investition.« Ihr Gesicht nahm einen verträumt glücklichen Ausdruck an. »Obwohl ich es lieber weniger kommerziell betrachten möchte. Der kleine Kerl ist mir schon jetzt richtig ans Herz gewachsen. Alexander ist für mich einfach ein Geschenk des Himmels.«

Brandon versicherte nachdrücklich, dass er ihre Entscheidung keineswegs als ›verrückt‹ betrachtete, machte noch ein wenig Small Talk über die gestiegenen Lebensmittelpreise, sowie die zunehmenden Verkehrsstaus und wünschte seiner Nachbarin schließlich noch einen schönen Abend.

Als er in seiner Wohnung war, betrachtete er seine Hände wie etwas Fremdes, Widerwärtiges. Die Nachbarwohnung hatte ihn kontaminiert. Vielleicht waren unbemerkt Bakterien, Viren oder fiese Nanobots in seine Haut gedrungen und warteten nur darauf, eine große Party zu feiern. Auch wenn es wahrscheinlich wenig nützte, schrubbte er seine Hände so heftig, dass sie am Ende wie frisch gekochte Hummer glänzten. Er bekam sofort wieder eine Gänsehaut, wenn er sich an die Berührung mit dem Zwerg erinnerte. Sah Miss Brookdahl denn nicht, was für ein widerliches Geschöpf dieses Alexander-Ding war? Dieses Gefühl ›ES‹ zu berühren. Liebe machte offenbar tatsächlich blind und betäubte sämtliche Sinne.