M.Quellhoff

Die Philisophen

Auf den Punkt gebracht

Vergangenheit vorbei - Zukunft noch nicht da

Und was jetzt?

Ein Märchen für Erwachsene

Verlag: myMorawa von Dataform Media GmbH
Printed in Austria

Inhalt

Geleitwort 1

Geleitwort 2

Geleitwort 3

Mira Quellhoff

Die Philisophen

Uwe

Gerald und Madei

Annabella

Milla

Die Fügung des Schicksals

Der Gesangsunterricht

Der Aufnahmetest

Das Abtauchen in die Donau

Madeis Abtauchen

Die Vorbereitung auf die Aufnahmsprüfung

Die Prüfung

Die Wienfahrt

Der Besuchbei Swietla

Die Unterkunftunddie Jause

Das Kabarett

Besuchbei Fabian

Der Besuch auf dem Christkindlmarkt

Die Verwandlung

Das imperiale Klo

Die Ufo - Pläne

Uwe,der Genießer

Uwes Erlebnissein Trance

Annabella,die Verliebte

Milla will den Himmel auf die Erde holen

Chorproben

Der Heilige Abend

Christmesse

Coronavirus

Geleitwort 1

Erinnerungen an die Urständ der „Philisophen“ kommen beim Lesen wieder an die Oberfläche, lebendige Bilder von den vielen Diskussionen nach den gemeinsamen Chorabenden, deren Themen oft recht eigen bis skurril waren, aber von den „Philisophen“ immer mit viel herzlichem Lachen ausgeschmückt wurden. Man hat Makro- und Mikrokosmos und vielerlei Esoterisches und Spirituelles von verschiedenen Seiten durchleuchtet und erklärt - zu einem Konsens der Meinungen kam es dabei so gut wie nie - nun ja, genau betrachtet, doch eher nie.

Die phantastische literarische Umsetzung hat den ohnehin nicht ganz alltäglichen Themen und Ereignissen noch eins draufgesetzt und die Geschichten gekonnt, phantasievoll und sehr eigensinnig, weitergesponnen. Witzig auch, dass die Autorin den Schreibfehler der damaligen WhatsApp-Gruppe „Philisophen“ als Buchtitel verwendet hat.

Es macht mich fast ein wenig stolz, das Entstehen des Werkes so direkt miterlebt zu haben.

Danke Mira!

Harald Reichinger, Philisoph

Geleitwort 2

Menschen bringen ihre Begabung, ihre Erfahrung, ihre Leidenschaft, ihren Hunger nach Gemeinschaft und ihre Hingabe an diese ein und singen. - Das ist ein Chor.

Bei aller Hingabe bleibt doch jedes Mitglied ein waches Individuum und nimmt im sich-aufeinander-Einlassen Stimmungen und Spannungen wahr. So eine wache Sängerin ist Mira Quellhoff und sie schreibt nieder, was in ihr in diesem Schwingungsraum an Phantasien sprießt. Sie gewinnt aus Beobachtungen der Chormitglieder Inspiration und Ideen zu allerlei versponnenen Gedanken, Beziehungen, Reflexionen und biographischen Hintergründen, die sie zaglos in die Seiten ihres Buches fließen lässt.

Eduard Matscheko, Chorleiter

Geleitwort 3

Philisophie? - Nie gehört, ist das jetzt eine neue wissenschaftliche Disziplin?

Die Frage kann ohne Zögern mit einem Ja beantwortet werden. Allerdings existiert keine Universität der Welt, an der man dieses Fach belegen könnte.

Es gibt jedoch schon einen kleinen Kreis von Autodidakten, der das Philisophieren regelmäßig pflegt und kultiviert. Nach außen hin geben sie sich völlig unverdächtig, ihre Versammlungen finden immer im Anschluss an die wöchentliche Chorprobe statt.

In ihrem Romandebüt „Die Philisophen” entführt uns Mira Quellhoff in diese unbekannte Welt, in der Kategorien wie Logik, Zeit oder Raum fallweise zu Marginalien werden.

Das erste „Lehrbuch“ für Philisophie bietet tiefgründige Betrachtungen über das Leben sowie reichlich Irrationales versetzt mit viel Humor.

Ein echtes Lesevergnügen.

Evelyn Bachner, Germanistin

Die Philisophen, Auf den Punkt gebracht, Vergangenheit vorbei - Zukunft noch nicht da, Und was jetzt?, Ein Märchen für Erwachsene.

Mira Quellhoff

Während meiner literarischen Arbeit habe ich vier Chorsänger ein Jahr lang begleitet und sie zu Buchcharakteren entwickelt. Reale Erlebnisse wie ein Aufnahmetest an der Musikschule, gemeinsame Ausflüge, Chorauftritte und Ähnliches werden phantasievoll ausgeschmückt und bringen den Leser oft zum Lachen, da die Buchcharaktere in ihrer Verschiedenheit humorvoll aufeinanderprallen. Das Chorsingen vereint sie. Was aber in der Realität tatsächlich passiert ist und was aus meiner Phantasie stammt, bleibt für Dich, liebe/r Leser/in leider ein Geheimnis.

Während dieser Arbeit bin ich immer wieder an den Punkt angelangt, an dem die Vergangenheit nicht mehr zählt und die Zukunft noch nicht da ist. Mein Ziel war, die tiefsten Beweggründe der Buchcharaktere zu erforschen, um den/die Leser/in an den Punkt im „Hier und Jetzt“ zu bringen, da ich glaube, dass dieser Punkt der Schmelztiegel und zugleich Quelle und Ausgangspunkt für alle neuen Ideen ist. Der Echopunkt, an dem jeder Mensch Zugang zu Übersinnlichem und zu seiner unerschöpflichen Kreativität hat. Allerdings kann dieser Punkt auch in den tiefsten Abgrund des menschlichen Daseins führen. In der Musik so einen Augenblick im „Hier und Jetzt“ mit anderen zu erleben, verleiht Glücksgefühle, die ich Dir, lieber/e Leser/in, sprachlich vermitteln möchte.

Mira Quellhoff

Die Philisophen

Vier Chorsänger treffen sich immer nach den Chorproben auf einen kleinen Umtrunk. Was daraus entsteht, möchtest du sicher gar nicht wissen. Also, sei brav und klapp das Buch jetzt wieder zu und tu, als ob gar nichts gewesen wäre. Punkt. Aus. Ende. Mach`s nicht, bitte!!!! ….

…Na gut, du wolltest es ja nicht anders. Wirst schon sehen, was passiert!

Uwe

„Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann!“, wer diesen Spruch beherzigt, sollte sich Uwe lieber nicht zum Manne nehmen, denn ihn gibt es nur im Doppelpack. Seine wirklich größte Leidenschaft gilt dem Verzehr einer riesigen Tafel feinster Schokolade. Die Vorfreude beim Aufmachen der Packung versetzt ihn in ein wunderbares Wohlgefühl, das sich wirklich mit keinen Worten beschreiben lässt. Wenn die Schokolade dann erst mal im Mund zerschmilzt, gerät Uwe in eine Art Trance. Und erst wenn die ganze Tafel hinuntergewürgt wurde, kommt er zur Besinnung und nimmt sich vor, sich beim nächsten Mal besser zu beherrschen. Uwe ist nämlich im Grunde seines Herzens ein Genießer! Genießer treibt der Genuss voran und da muss er wirklich aufpassen, damit er nicht sich selbst und anderen schadet.

Er genießt nicht nur die Schokolade, sondern auch viele andere Dinge. Gefällt ihm ein Buch oder ein Film oder irgendwas anderes, kauft er ein. Einen Großteil davon verwendet er nicht, denn er muss sehr viel arbeiten und hat kaum Zeit, die erworbenen Dinge zu genießen. Deshalb werden sie in seinem Zimmer zur späteren Verwendung aufbewahrt. Mittlerweile kann er seinen Schlafraum kaum mehr betreten. Weggeben will er die alten Sachen nicht, denn er könnte sie ja noch irgendwann einmal gebrauchen.

So wie mit der Schokolade geht es ihm auch mit dem Gesang. Uwe singt gleich in drei Chören. Da kommt es schon mal vor, dass er keine Worte findet, für das, was da unter seiner Haut abgeht. In den Chören trifft er auch viele Menschen, die er sonst nie kennengelernt hätte, denn Uwe ist im Grunde seines Herzens ein ziemlich scheuer Zeitgenosse. Menschen sind wichtig für ihn und gerade Chorsänger strahlen eine Freude aus, die das Wohlbefinden von Uwe hebt.

Uwe singt im Chor die Bassstimme. Er liebt es, seinen Körper bis zu den Zehenspitzen hinunter während seinem Gesang mitschwingen zu lassen. Bei manchen Stücken wird selbst sein unterster Teil in seiner Empfindsamkeit zur wahren Größe angehoben. Er beginnt dann zu schweben und seine ganze Schwere ist nicht mehr. Die Bassstimme verleitet ihn zu Gefühlsregungen, die in seinem Körper manchmal sogar die Spitze der Empfindsamkeit erreicht. Das wurde manchmal auch schon zum Problem. Aber davon werden Sie, liebe Leser noch erfahren.

Nachts genießt er seine wunderschönen Träume mit vielen bunten Bildern und strahlenden Farben. Er trifft sich in der Traumwelt mit den tollsten Frauen, kann fliegen, macht Luftsprünge in unerschwingliche Höhen. Es ist eine heile Welt mit den reinsten Genüssen, die er sich … „leider nur erträumen kann“, denn diese Welt kann er bedauerlicher Weise nicht mit in seinen Alltag nehmen.

Uwe hat eine harte Zeit hinter sich. Das Schlimmste war seine Schlaflosigkeit. Er dachte bloß an sein Studium, später an seine Arbeit. Als Sohn eines angesehenen Menschen war es klar, dass Uwe auch selber ein angesehener Bürger werden sollte. Lange Zeit ging jedoch im Studium nichts weiter. Er half seinem Vater in seiner Firma. Später, als der Vater krank wurde, pflegte er ihn bis zum Tod. Als er dann doch beschloss, sein Studium abzuschließen, musste er Nächte durcharbeiten, um den Anforderungen der Ausbildung gerecht zu werden. Dieses Verhalten hatte er ein Leben lang so gut eintrainiert, dass er auch nach dem Studium nicht sein Leben lebte, sondern nur den Anforderungen gerecht wurde. Seinem Chef, dem Kunden, dem aktuellen Projekt und sich selbst gegenüber.

Eigentlich wurde er schon ein ganzes Leben lang den Anforderungen gerecht. Es war sehr anstrengend, den anderen Menschen und seinem eigenen Ideal immer gerecht zu werden und er konnte dies nur erreichen, indem er immer häufiger Nachtschichten einlegte. Und dann war es da, das ultimative „AUS aller Dinge“. Der Sog zum Jenseits hin wurde immer stärker. Fachleute nennen diesen Zustand Burnout. Das ist der Punkt, an dem dich nichts mehr auf dieser Welt hält. Du willst nur weg von hier.

Diese Situation veranlasste ihn, seine Freundin zu verlassen, denn er konnte diesen Zustand seiner Freundin unmöglich mehr zumuten. Zur gleichen Zeit brauchte auch seine Mutter Unterstützung, denn sie wurde alt und gebrechlich. Er entschloss sich, wieder mit seiner Mutter zusammenzuleben. Seither unterstützen sich die beiden nun gegenseitig, so gut es geht.

Früher hatte Uwe wunderbare Frauen. Schön, gebildet und reich waren sie. Doch das gehört nun der Vergangenheit an. Eine Aussicht auf eine Partnerschaft ist nicht mehr in Sichtweite, schon alleine wegen seines Übergewichtes ist er nicht mehr in der Lage, eine Beziehung einzugehen. Denn seine Vorstellungen von einer Partnerschaft und die tatsächlichen Möglichkeiten passen einfach nicht mehr zusammen. Der Mitt-Fünfziger muss erst mal sein eigenes Leben wieder in den Griff bekommen.

Oftmals denkt er noch an diese wirklich schlimme Zeit. Sein Gehirn geriet in eine Spirale, sozusagen in eine Endlosschleife, und er konnte nicht mehr schlafen, selbst wenn er wollte. Nun kann er sein Leben nur mehr mit Psychopharmaka aufrechterhalten, sonst wäre er schon lange aus dem Fenster gesprungen oder einfach geradeaus mit dem Auto in die Donau gerast. Er konnte sich dabei zusehen, wie er sich das Leben nehmen wollte und dennoch konnte er nichts dagegen tun. Einmal konnte er sich gerade noch mit letzter Kraft am Sofa festhalten, damit er nicht doch aus dem Fenster sprang.

Nun pflegt er seine Mutter und findet langsam wieder ins Arbeitsleben zurück. Die über achtzigjährige Dame braucht Unterstützung im Haushalt, denn sie geht alleine schon wegen ihres Übergewichtes nicht mehr aus dem Haus. Uwe liebt seine Mutter, er hat sich ein Leben lang um sie gekümmert, sogar in der Zeit, als sie noch alkoholabhängig war. Was täte sie nur ohne ihn!

Gerald und Madei

Transmutation (lateinisch transmutatio: Verwandlung) ist die Umwandlung eines chemischen Elements in ein anderes. Die Alchemisten bezeichneten damit die angestrebte Verwandlung unedler Metalle in Gold. Eine Elementumwandlung ist mit chemischen Mitteln nicht möglich. So lautet die Definition für Transmutation im Internet.

Eine Elementumwandlung ist mit chemischen Mitteln nicht möglich. Das mag schon stimmen, es müsste die Idee des Elementes gewandelt werden, dann könnte sehr wohl der Fall eintreten, dass Metall zu Gold wird. Die Welt hört nicht in der dritten Dimension auf, es gibt viel mehr, als wir erahnen können. Wissenschaftler haben bereits zwölf Dimensionen errechnet. Die Information aus anderen Dimensionen macht die Dinge auf der Erde so, wie sie sind. Könnte es sein, dass eine Idee einer anderen Dimension wieder aus der Welt geschafft werden kann?

Oder anders: Kann eine Idee einer anderen Dimension punktuell verändert werden? Zum Beispiel, die andere Dimension gibt dem Metall die Idee Gold und schon liegt ein Goldklumpen vor dir. In diesem Fall müsste man nur mit dieser Dimension in Kontakt treten und die Information verändern. Gerald war sich sicher, in diesem Bereich etwas bewirken zu können. Ein Punkt beinhaltet alles und nichts. Also kann man aus dem Nichts alles schöpfen.

Die Ärzte sagten ihm schon vor drei Jahren, er würde höchstens noch zwei Jahre leben. Dabei lebt er schon jetzt um ein Jahr länger und er hat gerade nicht vor zu sterben. Also lebt er ungeniert weiter und ihm geht es immer noch gut und oftmals besser. Gerald war an (einem) Prostatakrebs erkrankt und lag einige Zeit im Sterben. Damals war er schon bereit zu sterben, hätte ihn nicht seine Frau Madei wieder ins Leben zurückgeholt.

Wenn er es überlebte, würden sie heiraten, versprachen sie sich am Sterbebett. Danach hatten sie wirklich geheiratet. Ob das wirklich so gut für Gerald und auch für Madei war, weiß keiner. Obwohl, Madei ist eine gut geerdete Frau, die manche Verhaltensweise von Gerald durch ihr bodenständiges Verhalten ausgleicht. Und möglicherweise braucht er sie zum Lernen. Denn ohne sie hätte er zu wenige Reibungspunkte und sein Reifungsprozess würde verlangsamt.

Seine philosophischen Ansätze kann sie nicht so gut mit ihm teilen, weil ihre Welt eine andere ist. Sie liebt den Garten und sonstige erdige Beschäftigungen. Auf Dauer wird Gerald jemand brauchen, der ihn auf der Erde hält. Obwohl es nach außen hin oft nicht so aussieht, liebt Madei Gerald sehr und ist oftmals auch stolz auf seine Klugheit und seine Fähigkeiten. Auch Sokrates brauchte seine Xanthippe. Es muss einen triftigen Grund geben, warum Gerald damals nicht gestorben ist.

Gerald ist auf der Erde geblieben, weil er der Menschheit noch etwas beweisen will. Er experimentiert mit Magneten, die er in Medaillons verarbeitet. Diese Dinger kann man sich um den Hals hängen und sie sollen heilsam wirken, den Menschen wieder in einen heilen Urzustand zurückbringen. Und er erforscht die inneren Zusammenhänge, wie unsere Welt aufgebaut ist. Dabei hat er bewiesen, die Welt ist nur das Spiegelbild von einer Idee, einer Information aus einer anderen Dimension.

Seit er seine Sexualität nicht mehr leben kann, da er durch den Prostatakrebs Hormonbehandlungen bekommt, hat er sich in seine geistige Welt zurückgezogen. Seine Frau Madei kann daher ihre Sexualität nicht mehr oder nur im beschränkten Ausmaß leben. Das ist für sie wirklich hart. Sie fühlt sich ungeliebt und nicht angenommen. Kein Wunder, dass sie dadurch manchmal frustriet ist.

Was sie aber eigentlich zu Gerald gezogen hat, war sein Gesang. Er ist ein Solosänger mit einer wunderschönen Stimme. Und auch wenn sie sich in so mancher Situation dafür verfluchte, sich mit Gerald jemals eingelassen zu haben, liebt sie ihn doch, obwohl das nach außen hin manchmal kaum zu erkennen ist. Ja, sie braucht ihn, denn ihr ganzer Lebenssinn wäre verloren, wenn sie sich nicht mehr tagtäglich um ihn kümmern könnte.

Das Schlimmste ist, dass Gerald ihr nichts zurückgeben kann. Madei hat ihre ganz bestimmten Vorstellungen, was sie will und was er ihr geben sollte. Doch genau dies will und kann ihr Gerald nicht geben. So lebt sie oftmals ein einsames Leben. Sie sehnt sich nach zärtlicher Zweisamkeit. Doch hier und jetzt betreuen sie ein Haus, Garten und Tiere. Das bedeutet viel Arbeit, die zwar Spaß macht, aber trotzdem trauert Madei verpassten Gelegenheiten nach, die ihr Leben schöner machen könnten.

Gerald hingegen trat schon lange die Reise in eine andere Welt an, die größer ist als die unsere. Er will zurück zum Urzustand, zum nichtigen Punkt, in dem das ganze Universum im geheilten Zustand vorhanden ist. Dazu brauchen er und sein kranker Körper Verwandlung. Verwandlung von Gedankenmustern und Vorstellungen. In langen traumreichen Nächten erforscht er sein Unterbewusstsein. Die verdrängten Wünsche, seine eigene Scham für vermasselte Lebenssituationen, seine Not und Enge, seine Angst. Alles darf plötzlich sein. Er ist aufgehoben in einer Art unendlicher Liebe. Scheinbar tritt er den Weg in sein Innerstes an und schöpft das Leben aus vollen Behältern. Er sollte der Welt noch zeigen, was Leben heißt. Gerald singt die Bassstimme im Chor und hat sogar schon Solos gesungen. Er erreicht mit dieser Stimmlage die tiefste Basis seiner Ideen und Intuitionen. Mit den Energien, die er durch das Singen erhält, geht er der Wissenschaft richtig auf den Grund. Gerald wird einmal ein ganz Großer. Das kann man schon jetzt hören, wenn er Solos singt.

Annabella

Medienberichten zufolge wurde am Himmel ein sehr großer, grün leuchtender Himmelskörper mit freiem Auge gesehen. Es könnte sich um einen Meteoriten handeln, oder ein Ufo ist gerade auf der Erde gelandet. Außerirdische wurden noch nicht entdeckt, aber vielleicht befinden sie sich gerade im Jetlag.

Annabella hat keinen Zweifel daran, dass es sich um ein Ufo handelt. Sie erforscht schon lange den Sternenhimmel und beschäftigt sich mit Astrologie. Wie oben so unten vermutet sie auch im Inneren der Erde Leben. Die Erde soll hohl sein und es leben Menschen darin, die von einer Urzentralsonne bestrahlt werden. Ihre Erklärungen dafür findet sie aus logischen Schlüssen und aus Büchern jener Menschen, die schon mal dort gewesen sein sollten.

Die Frage „Warum?“ bildet das Epizentrum ihres Lebens. Ihre Erklärungen sind, aus der Sicht von anderen Menschen, oft so an den Haaren herbeigeholt, dass sie zum Totlachen lustig sind. Für sie selbst jedoch, sind ihre Erklärungen einfach richtig und daran gibt es nichts zu rütteln.

Im Grunde ihres Herzens aber ist sie ein sehr neidischer Mensch. Sie beobachtet andere Menschen, und wenn ihr eine Eigenschaft von ihnen sehr gefällt, will sie diese auch bei sich feststellen können. Wenn sie besonders neidisch ist, setzt sie sich in Szene. In diesen Momenten kann sie keiner mehr stoppen. Sie spricht ununterbrochen und lässt kaum Raum für eine Antwort, die sie sich in ihren Ausführungen ohnehin schon selbst gegeben hat.

Ihre besondere Fähigkeit ist die Beobachtungsgabe. Dieses Potential setzt sie in der Astrologie um. Doch das Beste an ihr ist ihre Ehrlichkeit. Noch nie war ein Mensch so ehrlich wie Annabella. Sie gibt zu, neidisch zu sein, hinterfragt diese Eigenschaft und stellt am Ende fest, sie hätte nun begriffen, dass sie ohnehin niemand anderer sein möchte als sie selbst. Sie selbst, die durch ihren Neid auch hundert andere Charaktere in sich vereint, da sie durch das Anderssein-wollen in den Fußstapfen der anderen gewandert ist.

Dieser Neid rührt aus ihrer Kindheit. Sie hat eine ältere Schwester, die immer besser war als sie. Die große Schwester war besser konzentriert, brachte bessere schulische Leistungen, war hübscher als sie und überhaupt wurde sie mehr geliebt und stand dauernd im Mittelpunkt. Annabellas Fähigkeit zu beobachten würdigte niemand. Dadurch entstand in ihr das Gefühl, sie sei schlechter als alle anderen. Und weil sie schlechter war als alle anderen, hatte sie auch immer ein schlechtes Gewissen.

Dabei ist Annabella eine beinahe graziöse Erscheinung. Als Kind ging sie zum Ballett, hörte jedoch wieder auf, weil es für sie dann doch zu anstrengend war. Sie liebte es, faul zu sein und darüber nachzudenken, was sie selber alles nicht sein konnte. Doch in ihren Vorstellungen war sie alles. Sie war die Prinzessin Sissi, eine Diva, ein Filmstar, ein Model…

Annabella lebt im gleichen Stockhaus wie ihre Mutter. Bis vor kurzem lebte sie sogar mit ihrer Mutter in einer 40 m2 großen Garconniere zusammen. Doch dann hatte sie einen Freund, der sich eine Wohnung im Erdgeschoß nahm und sie wohnte kurze Zeit bei ihm. Es war sehr praktisch, denn sie musste nur vom Dachgeschoß ins Erdgeschoß zu ihrem Freund ziehen. Dieser starb jedoch kurze Zeit später und sie blieb in seiner Wohnung alleine zurück. Annabella fühlte sich an allem Schuld. Ganz egal, was sie machte, sie war schuld. Sie war daran schuld, dass ihr Freund sich das Leben nahm, sie war schuld, weil sie zu spät nach Hause kam, sie war schuld, weil sie die Gurke zu klein oder zu groß geschnitten hatte, sie war schuld, weil sie dauernd zu spät kam… Übermäßiger Sex macht alt, zu viel Alkohol ist schädlich, Fleisch zu essen ist einfach ausgeschlossen. Ihre geistige Welt war von strahlendem Licht durchdrungen. Schattenseiten durften einfach nicht sein. Daher war sie an allem schuld.

Seit Jahren hat sie einen kanadischen Freund, den sie ungefähr einmal im Jahr in Frankreich trifft. Die andere Zeit sind die beiden über Skype miteinander verbunden. Die digitale Welt erlaubt eine Beziehung zu einem Mann, der auf einem anderen Kontinent lebt. Jacques, so sein Name, half ihr damals über den Verlust ihres Freundes, der sich umgebracht hatte, hinweg. Er ist eine Art liebender Vater für sie. Nebenbei kann sie sich kaum vor ihren gedanklichen Liebschaften mit irgendwelchen Männern erwehren. Doch Beziehungen im realen Leben finden so gut wie nie statt. Und das ist gut so, sagt ihre Mutter immer sehr trefflich, denn du weißt nie, was dir dabei erspart geblieben ist.

Annabella ist Chorsängerin, weil sie in der klassischen Musik eine Verbindung zur geistigen Parallelwelt erkennt. In Mozarts Werken sollten Schwingungen zustande kommen, die in der Engelwelt genauso vorhanden sind. Dabei beschwerte sie sich sehr oft über die Stücke, die der Chor sang und oftmals wollte sie aufhören zu singen, weil sie das Gekrächze schon fast nicht mehr aushielt. Vermutlich veranlasste sie die Verliebtheit zum Chorleiter, weiterhin im Chor zu singen, doch in letzter Zeit singt sie die Altstimme mit einem Genuss, der sie zum Fliegen bringt. Aber davon werdet Ihr, liebe Leser auch noch erfahren.

Wenn Annabella über ihr Verliebt-sein spricht, wirkt sie so entzückend. Alle lieben sie wegen ihrer so fröhlichen und ehrlichen Art und alle denken sich immer wieder: „Ach wie gut, dass es sie gibt, die Annabella!“