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Table of Contents

Titel

Impressum

Im nahen Osten

Die Machtstellung der ältesten Frau in der Familie

Eine gescheiterte Ehevermittlung

Die Verweigerung

Die Flucht

Das Hochputschen eines kleinen Vorfalles

Ausklang

Anmerkungen zur Mitgift und zum Kaffeetrinken

Auszüge aus meinem Leben

Ägypten

Libyen

Syrien

Ursachen

Deutschland und Europa

Eigene Lage

Russland

Der Zaun

Türkei

Holland

England

Bootsflüchtlinge

Pakistan und Afghanistan sowie Naher Osten

Eritrea

Somalia und Sahelzone

Algerien

Eine unmenschliche Politik

UN und EU

Gesetze sind nur für Dumme

Islamische und andere weltweite Konflikte

Libanon

Rückblick

Jordanien und Irak

Israel und seine Nachbarn

Der Jemen

Der Sudan und andere afrikanische Staaten

Nigeria

Mali und Niger

Kenia

Ruanda

Kongo

Simbabwe

Sambia

Südafrika

Namibia

So ist Populismus

Die USA

Mittel- und Südamerika

Costa Rica

Haiti

Cuba

Asien

Indien

Rückblick

Philippinen

Nepal ist nun dran

Wenden wir uns Nepals nordöstlichem Nachbarn, China, zu

Rückblick

Myanmar

Vietnam

Thailand

Malaysia

Nun kommen wir nach Indonesien

Brunei

Australien und Neuseeland

Neuseeland

Menschenrechte?

Epilog

Religion

Mein Fazit

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und falscher Politik

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DeBehr

 

Copyright by: Karl-Ernst Peters

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2020

ISBN: 9783957537638

Grafiken Copyright by AdobeStock by: Meysam Azarneshin, wideeyes

 

Im nahen Osten

 

Die folgenden Geschichten stammen aus dem Nahen Osten und spielen in der heutigen Zeit, in der auch heute noch die Uhren stehen geblieben zu sein scheinen. Äußerlich versucht man, sich dem Westen anzupassen, aber die Vorstellungen der Menschen und deren Sittenverständnis sind noch fast genauso wie zu Zeiten Jesus oder Mohammeds.

Die folgenden Erzählungen wurden nach den Aussagen der Betroffenen wiedergegeben. Aber die Namen sowie die Örtlichkeiten sind erfunden.

 

Die Machtstellung der ältesten Frau in der Familie

 

Nach meinem Studium in Orientalistik fuhr ich nach Damaskus, um an den dortigen Museen und Ausgrabungsstätten zu arbeiten und so mein Wissen zu vergrößern.

Bei meinen Arbeiten im National Museum lernte ich den Lehrer Ahmed kennen. Er erzählte mir, dass er von seinem Gehalt als Lehrer nicht leben könne, und er deshalb eine zweite Arbeitsstelle hier im Museum angenommen hätte.

In den folgenden Wochen arbeiteten wir die meiste Zeit zusammen. Es entwickelte sich eine Art Freundschaft zwischen uns. So berichtete er, dass er nicht verheiratet sei. Seine Mutter würde aus Kostengründen bei ihm wohnen und eine Frau für ihn suchen. Sie ginge nun öfter ins Haman, weil sich dort die Frauen am besten die neuesten Geschichten, ungestört von den Männern, erzählen könnten. Außerdem ist der Haman der beste Heiratsmarkt, erklärte er mir freudestrahlend.

Ihn etwas verwundert anblickend, fragte ich, wie dies denn funktionieren solle, da seine Mutter doch nicht weiß, welche Frau zu ihm passen würde. Man müsste sich doch erst mal kennenlernen, bevor man feststellt, ob man zueinanderpasst, oder nicht. Es könne ja auch sein, dass die Auserwählte rein äußerlich nicht den Vorstellungen des Sohnes entspricht.

Auf meine vorgebrachten Bedenken schaute mein Freund mich etwas verwundert an und verzog dann sein Gesicht zu einer lachenden Grimasse. Mir wohlwollend auf die Schulter klopfend, antwortete er: „Mein Freund, wer kennt seine Kinder wohl am besten und weiß auch, was sie brauchen und was nicht? Das kann doch nur die eigene Mutter sein, von deren Fleisch und Blut wir sind. Die Mutter weiß, welche Art von Frau zu ihrem Sohn passt. Ich kenne keinen Mann, der sich über die von seiner Mutter ausgesuchte Frau beschwert hat, oder sich gar hat scheiden lassen.

Die Aussage überzeugte mich zwar nicht, aber einen Vorteil sah ich doch darin. Man brauchte sich nicht selbst zu bemühen, um eine Frau zu finden. Dafür wusste man aber auch nicht, was man von seiner Mutter vorgesetzt bekam. So beschloss ich, doch lieber bei unserer europäischen Methode zu bleiben.

Eines Abends nach Feierabend gingen wir beide in Richtung Altstadt zum Suk el Hamidieh und tranken dort einen Kaffee. Anschließend verabschiedete ich mich von ihm, da ich am nächsten Morgen nach Ugarit, einer Ausgrabungsstätte, in der Nähe von Latakia, wo auf Tontafeln das erste Alphabet der Welt entdeckt wurde, fahren wollte, um einige Zeit bei weiteren Ausgrabungen zu helfen. Heute Morgen hatte ich die Antwort auf meine Bewerbung unter meiner Tür gefunden.

Die Hauswirtin, bei der ich ein geräumiges Zimmer gemietet hatte, hatte den Brief in Empfang genommen und unter der Türe durchgeschoben. Im Museum war man zwar betrübt, als ich erzählte, dass ich schon morgen nach Ugarit fahren würde, aber insgeheim beneidete man mich doch, da sie nicht mitkommen durften. Besonders Ahmed war traurig, mich nicht mehr zu sehen.

Nach einigen Wochen anstrengender, aber interessanter Ausgrabungsarbeiten fuhr ich für ein paar Tage zurück nach Damaskus. In der Nähe des Suks fand ich ein Zimmer bei einem älteren Ehepaar, das sich mit Vermietungen das geringe Einkommen aufbesserte.

Ich schlenderte durch den Basar und ging zu meinem Stammcafé, wo ich mit einem freudigen „Hallo“ begrüßt wurde. Mein Stammplatz war frei und ich setzte mich dorthin. Jusuf, der Besitzer des Cafés, kam freudestrahlend mit einem arabischen, besonders stark mit Kardamon versetzten Kaffee auf mich zu und fragte mich aus.

Nachdem ich seine Neugier gestillt hatte, konnte ich endlich ungestört und in Muße meinen Kaffee genießen. Ich blickte irgendwie instinktiv nach links und sah meinen Freund Ahmed näherkommen. Ich machte durch lautes Rufen auf mich aufmerksam.

Sein seliger Gesichtsausdruck steigerte sich noch, als er mich sah. Mit weit ausgebreiteten Armen kam er auf mich zugestürzt. Wir umarmten uns und ich nötigte ihn, einen Kaffee mit mir zu trinken. Er beteuerte aber unaufhörlich, keine Zeit zu haben und nach Hause gehen zu müssen. Auf meine Frage, warum er es so eilig habe, nach Hause zu kommen, erzählte er freudestrahlend, dass er jetzt verheiratet sei. Ich beglückwünschte ihn und wollte nun wissen, was für eine Frau seine Mutter für ihn ausgesucht hat. Refika würde sie heißen und sie wäre ihm eine gute Frau, verkündete er stolz. Die Hochzeit sei fabelhaft gewesen. Er hätte in einem Lokal mit seinen Freunden und männlichen Verwandten gefeiert.

Seine Frau hätte ihre Freundinnen und die weiblichen Familienmitglieder in einem Lokal am Stadtrand eingeladen. Abends wären sie dann in sein Restaurant gekommen und man habe den restlichen Abend zusammen verbracht.

Nun aber müsste er noch mehr arbeiten, um seiner Mutter eine eigene Wohnung zu beschaffen. Die Frauen würden sich nicht sonderlich gut verstehen. Seine Mutter hätte immer etwas an seiner Refika auszusetzen. Ob es denn berechtigt sei, wollte ich nun wissen. Refika sei wunderbar und er verstehe seine Mutter nicht, schließlich hat sie seine Frau ausgesucht, meinte er betrübt. Darum versuche er ja, noch mehr zu arbeiten, um seiner Mutter eine eigene Wohnung mieten zu können.

Inzwischen hatte er seinen Kaffee ausgetrunken, stand auf und etwas betrübt erklärte er, dass er nun nach Hause zu seiner Frau müsse. Ich wünschte ihm viel Glück und im nächsten Moment war Ahmed im Gewühl verschwunden.   

Einige Tage später fuhr ich wieder zurück nach Ugarit, ohne meinen Freund Ahmed nochmals gesehen zu haben. Während meiner Arbeit dachte ich öfters an ihn.

Zwei Monate später erklärte mir der Ausgrabungsleiter, dass die Gelder gestrichen worden seien und die Grabungen am Freitag eingestellt würden. Die Tage bis dahin verbrachte ich mehr mit Katalogisieren und dem Verpacken der Funde als mit Graben. Dafür machte ich früher Feierabend, um meine Habseligkeiten zu packen.

Am Freitagmorgen ging es wieder in Richtung Damaskus. Einige Tage wollte ich dort verbringen und dann nach Hause fliegen, um Weihnachten und den Jahreswechsel im familiären Kreis zu verbringen.

Diesmal mietete ich mir ein Zimmer in einem einfachen Hotel. Zu meiner Überraschung sah ich dort Ahmed arbeiten. Wir gingen aufeinander zu, um uns zu umarmen. Dabei machte er allerdings ein ziemlich betrübtes Gesicht. Das Schlimmste fürchtend fragte ich ihn: „Ahmed, was ist passiert?“ Mit Tränen in den Augen flüsterte er: „Meine Mutter will, dass ich mich scheiden lasse. Ich versuche verzweifelt, mehr zu arbeiten, um ihr eine eigene Wohnung zu mieten, aber ich schaffe es einfach nicht.“ Etwas irritiert schaute ich ihn an und fragte: „Hat deine Mutter denn nicht die Richtige gefunden?“

„Oh doch“, beteuerte er. „Meine Frau ist wunderbar. Aber sie hat andere Vorstellungen als meine Mutter. Deshalb gibt es immer Streit zwischen ihnen. Darum verlangt sie, dass ich mich scheiden lasse.“ Kopfschüttelnd wünschte ich ihm, dass die Geschichte doch noch eine gute Wendung nimmt. Er hoffe es auch, meinte er und ging wieder zurück an seine Arbeit.

Zuhause erzählte ich diese Geschichte von meinem Freund, aber so richtig wollte mir keiner glauben. Für uns ist es ja beinahe unvorstellbar, dass eine Mutter für ihren Sohn eine Frau aussucht und wenn er sie geheiratet hat, befiehlt, sich wieder von ihr scheiden zu lassen.

Anfang Januar flog ich wieder von Deutschland nach Damaskus zurück. Als ich in Syrien landete, fragte ich mich, ob ich Ahmed wieder sehen würde.

Ich mietete mich wieder in demselben Hotel wie vor dem Abflug ein, um mir in Ruhe eine neue Bleibe zu suchen. Auf meinen Streifzügen durch die Altstadt sah ich Ahmed. Zuerst erkannte ich ihn gar nicht. Mit tief gesenktem Kopf schritt er daher. Ich sprach ihn an und fragte nach seinem Kummer. „Ahmed, was ist los?“ Mich traurig anblickend sagte er: „Ich bin geschieden. Meine Mutter hat mich vor die Wahl gestellt und erklärt, es gäbe viele Töchter, aber ich hätte nur eine Mutter.“ Im Beisein meiner Mutter musste ich die vorgeschriebene Formel „Ich verstoße dich“ sagen. Nach einem halben Jahr muss ich diesen Satz noch dreimal sagen und dann ist die Scheidung rechtskräftig. Meine Frau verlangt nun Unterhalt von mir, da ihre Familie sie nicht umsonst bei sich wohnen lassen will. Das ist alles meine Schuld. Hätte ich mehr verdienen können, würde meine Mutter jetzt in ihrer eigenen Wohnung leben und ich wäre noch glücklich verheiratet.

Die Tränen standen ihm in den Augen, als er mir dies erzählte. Ich zweifle nicht an seinen Worten, denn in den vielen Monaten, die ich nun im Orient lebe, habe ich immer wieder erlebt, dass die Männer außerhalb des Hauses das Sagen haben, aber im Haus die älteste Frau das Kommando führt, dem sich auf Dauer kein Mann widersetzen kann.

Wir tranken einige Tassen Kaffee zusammen, wobei ich versuchte, meinen Freund etwas aufzumuntern, was aber nicht gelang. In der gleichen Verfassung, wie ich ihn getroffen hatte, verabschiedete er sich wieder von mir.

Bis zu meinem nächsten Heimflug traf ich ihn nicht mehr. Ich hoffe aber für ihn, dass das Schicksal es doch noch gut mit ihm meint und er so viel verdient, dass er eine Wohnung für seine Mutter mieten kann, um mit einer anderen Frau glücklich zusammenzuleben.   

 

Eine gescheiterte Ehevermittlung

 

Vorwort

In einer kleinen jordanischen Ortschaft, deren Namen hier nicht erwähnt werden soll und die etwas abseits der großen Straßen liegt, und bis nach Kerak, der nächst größeren Stadt, zu der man eine Stunde mit dem Auto fährt, spielte sich die folgende Geschichte ab, wie sie fast überall und jeden Tag im Nahen Osten und darüber hinaus passieren kann.

Anbahnung der Heirat

Die Familien des Ortes gehen regelmäßig in das einzige Haman. Männer und Frauen gehen dort getrennte Wege, auch verheiratete Paare. Die Männer, um sich dort zu entspannen. Allerdings im Gegensatz zu den Frauen niemals nackt. Sie tragen stets ein Badetuch um die Hüften. Viele lassen sich dort auch massieren. Aber nicht so, wie wir es uns vorstellen. Meist macht dies ein Freund oder Verwandter. Jeder so, wie er es für richtig hält. Ob die Massage richtig oder falsch ist und man nachher krumm aus dem Haman kommt, ist nicht so wichtig. Hauptsache man hatte Spaß.

Es werden vielfach auch vom Bad Masseure angestellt, die aber keine Fachkräfte sind. So kann man erleben, dass ein Masseur den armen Kerl mit den Füßen bearbeitet, indem er auf ihn draufklettert, oder er versucht, ihm die Arme und Beine herauszudrehen bzw. zu brechen und die Schmerzensschreie durch das Bad hallen. Diese Leute werden darum wenig nachgefragt.

Die Frauen hingegen wollen dort den neuesten Klatsch hören und sich über die Geheimnisse anderer lustig machen. Im Gegensatz zu den Männern laufen sie nackt herum. So können die Mütter von unverheirateten Söhnen die heiratsfähigen Töchter der anderen Familien begutachten.

Da sie die Töchter regelmäßig sehen und so kennenlernen, sondieren sie, ob eine von denen vielleicht für ihren Sohn geeignet ist. Man fängt unverfänglich ein Gespräch mit der Mutter an, um herauszufinden, ob eine Heirat für die Familien nützlich sei und beide einen Vorteil daraus ziehen könnten. Es spielt nicht nur das Soziale eine Rolle. Keine Familie möchte schließlich im Ansehen sinken, sondern auch die Figur des Mädchens. Sie sollte kräftig aussehen, woraus sich schließen lässt, sie kann zupacken. Ein ausladendes Becken gilt als gebärfreudig und vorteilhaft. Schließlich soll sie Söhne auf die Welt bringen. Das Äußere spielt dagegen keine große Rolle. Von Liebe, wie bei uns, wird überhaupt nicht geredet. Die kommt von alleine, wenn das Paar erst mal zusammenlebt. Außerdem hat der Mann ja das Sagen.

Die Mutter der Familie Organ beschloss eines Tages für ihren Sohn, der ins heiratsfähige Alter kam, eine Frau zu suchen. Im Haman schaute sie sich schon seit einiger Zeit um und sprach einige Mütter, die Töchter im heiratsfähigen Alter hatten, an. Es waren unverfängliche Gespräche. Sie wollte nur wissen, ob die Mädchen schon vergeben waren und wie die Familienväter ihr Geld verdienten. Diese Fragen ließ sie geschickt in einer allgemeinen Unterhaltung einfließen.

So sondierte sie alle Mädchen und hatte nun eine Entscheidung zu treffen. Ihr Problem war, sie konnte niemanden fragen. So grübelte sie über das Gehörte nach, bis ein Entschluss reifte.

Eines der Mädchen, von kräftiger Statur, sechzehn Jahre alt, mit langem schwarzem Haar und einer mächtigen Hakennase, asymmetrischem, grob geschnittenem Gesicht, das noch von einem hässlichen Muttermal auf der rechten Wange zusätzlich verunstaltet wurde, gefiel der Mutter am besten. Das Mädchen vermittelte den Eindruck, kräftig zupacken zu können. Ihr gut gebautes Becken ließ auf den ersehnten Nachwuchs hoffen.

Über die Hässlichkeit verlor sie kein Wort, da sie der Meinung war, ihre Schwiegertochter muss arbeiten können. Sie konnte noch eine Hilfe im Haus gebrauchen.

Außer ihrem Sohn und seiner Familie brauchte niemand ihr Gesicht zu sehen, da sie außerhalb des Hauses ja verschleiert wäre. Ihr Sohn würde schon einsehen, dass Schönheit nichts zu bedeuten hat, Sie selbst war ja auch nicht schön und trotzdem bereits über zwanzig Jahre glücklich verheiratet.

Bei ihrem nächsten Badebesuch fing sie ein Gespräch mit der Mutter des Mädchens an. Man unterhielt sich über die neuesten Tratschgeschichten im Ort. So ganz nebenbei fragte Frau Organ die Mutter über ihre Tochter aus. Ganz harmlos tuend fragte sie: „So eine prachtvolle Tochter muss doch bestimmt viele Heiratsangebote bekommen? Mein Sohn kommt nun auch in ein Alter, wo er eine Frau nehmen sollte. Aber es ist ja gar nicht so einfach, eine gute Schwiegertochter zu bekommen, die auch ordentlich anpacken kann.“         

Die Mutter, geschmeichelt durch die Worte, da sie ja wusste, dass ihre Tochter nicht gerade ansehnlich war, erwiderte: „Meine Aisha ist ein liebes Mädchen. Sie hat alles gelernt, was eine gute Ehefrau können muss. Nur hat sich bis jetzt noch keine Mutter für sie interessiert.“

„Das verstehe ich nicht. Ich würde sie sofort als Schwiegertochter nehmen“, gab ihre Gesprächspartnerin zur Antwort. „Mein Sohn ist ein stattlicher junger Mann, der zupacken kann. Er wäre bestimmt ein fürsorglicher Ehemann. Wir haben ihn gut erzogen“, fügte Frau Organ noch an.

„So etwas braucht meine Aisha“, seufzte die Mutter, stand auf und sagte zu ihrer neuen Bekannten: „Wir müssen jetzt leider gehen. Sind Sie übermorgen um die gleiche Zeit wieder hier?“ Frau Organ war ebenfalls aufgestanden und erwiderte: „Ich bin hier, bis übermorgen dann.“

Man verabschiedete sich herzlich. Mutter und Tochter gingen zu ihrer Kabine, um sich anzuziehen. Frau Organ setzte sich wieder auf ihren Platz, um das weitere Vorgehen zu planen. Sie musste nun klug handeln. Das bedurfte einer ausgetüftelten Vorgehensweise, um ihrem Sohn die Heirat schmackhaft zu machen. Die Familie musste sie natürlich mit einbeziehen. In erster Linie bräuchte sie ja nur ihren Mann zu überzeugen. Wenn ihr Gatte zustimmt, hatte sie gewonnen. Die Kinder hatten zu gehorchen. Was verstanden sie schon von der Ehe.

Sie verließ das Haman erst, als ihr Plan ausgereift war. Gut gelaunt ging sie nach Hause und beim Abendessen meinte sie ganz beiläufig: „Kemal, ich habe eine gute Nachricht für dich, Du wirst bald heiraten! Ich glaube, ich habe die richtige Frau für dich gefunden. Übermorgen treffe ich mich wieder mit der Mutter des Mädchens im Haman.“

Die ganze Familie blickte erwartungsvoll zu ihr. Jeder wollte nun wissen, was die Mutter zu berichten hatte. Aber bevor sie Erklärungen abgeben konnte, kam ihr Kemal zuvor. Er überschüttete sie mit Fragen. Er wollte wissen, aus welcher Familie sie stammt, wie sie aussieht, ob sie auch schön sei und was gerade so jungen Männern einfällt, wenn sie überraschend mit Heiraten konfrontiert werden.

Der Vater blickte seine Frau an und fragte: „Was bringt sie denn für eine Mitgift mit? Wie sieht es mit dem Ehevertrag aus, den der Vater des Mädchens und unser Sohn aufsetzen und unterschreiben müssen?“

Die Mutter erzählte nun ihrer Familie, wie sie ins Gespräch gekommen seien und dass sie noch nicht darüber gesprochen hätten. Übermorgen würde im Haman darüber diskutiert werden. Der Vater nickte zustimmend und murmelte: „Nur nichts überstürzen.“

Nach dem Essen nahm Kemal seine jüngere Schwester beiseite und fragte sie, ob sie übermorgen nicht mit ins Haman mitgehen wolle. Dann könne sie die Braut ansehen und ihm berichten, wie sie aussieht. Er wusste, dass die jüngere Schwester ihm wohlgesonnen war und wahrheitsgemäß berichten würde, ohne etwas zu beschönigen. Sie erklärte sich einverstanden, aber hauptsächlich nur, weil sie selbst gespannt war, wen ihre Mutter ausgesucht hatte.

Zwei Tage später gingen die Mutter und ihre neugierige Tochter ins Haman. Sie hatten es sich kaum im Dampfbad gemütlich gemacht, als Aisha und ihre Mutter erschienen. Sie setzten sich zu den beiden. Frau Organ stellte ihre Tochter vor und machte sie mit den Neuankömmlingen bekannt.

Die Frauen unterhielten sich über ihre Männer, um abzuwägen, ob man auch sozial zusammenpassen würde. Aishas Vater war Gewürzhändler im Basar, während Herr Organ einen Fuhrpark besaß.

Nachdem dies nun zur Zufriedenheit geklärt war, sagte Aishas Mutter, dass ihre Tochter eine anständige Mitgift in Gold in die Ehe mitbringen würde. Ihr Mann möchte Kemal kennenlernen. Sie würden sich freuen, wenn er in den nächsten Tagen mal zu ihnen nach Hause kommen würde. Bei dieser Gelegenheit könne man ja schon die verschiedenen Punkte des Ehevertrages besprechen. Dies würde dann später niedergeschrieben. Die Kinder bräuchten ihn am Hochzeitstag nur noch zu unterschreiben.

Aishas Mutter ergänzte noch ihre Vorstellungen dadurch, dass sie vorschlug, für die Frauen der beiden Familien und deren Verwandten und Freundinnen das Restaurant bei Mustafa zu mieten. Wo die Männer feiern wollten, wisse sie nicht. Sie sollten sich selbst darum kümmern, meinte sie lachend.

Während Aishas Mutter dies vorschlug, nickte Kemals Mutter nur zustimmend. Sie versprach, ihren Sohn am nächsten Freitag nach dem Mittagsgebet in der Moschee zu ihnen zu schicken.

Die Töchter hatten sich in der Zwischenzeit gut unterhalten. Allerdings nicht übers Heiraten. Es gibt für junge Frauen wichtigere Themen, wie Mode, Musik und Jungs. Die beiden lagen in ihren Meinungen nicht weit auseinander, kamen zum Schluss aber auf Aishas Sorgen zu sprechen.

Aisha machte dabei einen hektischen Eindruck. Die bevorstehende Heirat beschäftigte sie doch mehr, als sie zugeben wollte. Zwischendurch versuchte sie, ihre Gesprächspartnerin auszufragen. Kannte sie Kemal doch nicht. Sie wollte sich ein Bild von ihm machen. Was Aisha hörte, beruhigte sie etwas. Kemal schien ein anständiger Mann zu sein.

Kemals Schwester hingegen bedauerte ihren Bruder. Sie verstand ihre Mutter nicht. Es leben so viele unverheiratete hübsche Mädchen im Ort, die sicherlich genauso ordentlich im Haus arbeiten würden wie Aisha. Warum hat sie dieses hässliche Geschöpf ausgesucht?

Das wollte sie auf dem Nachhauseweg klären. Sie hatten kaum das Haman verlassen, als sie ihre Mutter fragte: „Mama, warum hast Du für Kemal das hässlichste Mädchen weit und breit ausgesucht? Es gibt doch so viele, die besser aussehen und auch keine schlechteren Frauen für meinen Bruder wären?“

Die Mutter blickte ihre Tochter vorwurfsvoll an und beschleunigte ihre Schritte. Wie kommt dieses unerfahrene Kind dazu, sie zu kritisieren. Sie muss noch viel lernen, oder hat sie einiges in der Erziehung falsch gemacht, fragte sie sich.

Zu guter Letzt entschloss sie sich doch, ihrer Tochter eine Erklärung für ihre Entscheidung zu geben. „Mein Kind, eines musst Du dir für später merken, wenn Du ebenfalls eine Wahl treffen musst. Beim Heiraten geht es nicht um Schönheit. Wenn schöne Frauen älter werden und einige Kinder bekommen haben, sehen sie auch alt und hässlich aus. Manchmal werden sie auch schlampig. Verschiedene glauben, wegen ihrer Schönheit bräuchten sie zu Hause nicht viel zu arbeiten. Aber eine Frau, die nicht schön ist, versucht, durch doppelten Eifer ihrem Mann zu gefallen. Sie wird ihm immer gehorchen. Was meinst Du wohl, wovon Kemal mehr hat?“

Die Tochter blickte zuerst ihre Mutter an und senkte dann den Blick auf den Boden, um über das Gehörte nachzudenken. Eine Antwort konnte sie darauf nicht mehr geben, weil sie inzwischen zu Hause angekommen waren und die Mutter eiligst in der Küche verschwand.      

Als Kemal abends von der Arbeit nach Hause kam, war sein erster Weg in das sogenannte Frauenzimmer, wo die Frauen der Familie zusammensaßen, sich den neuesten Klatsch erzählten und ihre Handarbeiten verrichteten. Dort fand er seine jüngere Schwester. Nach einem flüchtigen „Guten Abend“ setzte er sich neben sie und bombardierte sie mit Fragen über seine Braut.

Nur zögernd kam die Schwester dem Drängen ihres Bruders nach. Sie vergaß auch nicht den Kommentar der Mutter auf ihrem Heimweg. Kemals Gesicht wurde bei dem Bericht immer länger. Zum Schluss sprang er auf, lief im Zimmer hin und her und rief dabei: „Ich soll also die hässlichste Tochter des Ortes heiraten! Oh, Allah, womit habe ich das verdient? Was habe ich meiner Mutter getan?“

Die Schwester war inzwischen ebenfalls aufgestanden und versuchte, ihren Bruder zu beruhigen. „Vielleicht hat unsere Mutter recht, wenn sie behauptet, dass schöne Frauen nicht viel im Haus taugen. Schau sie Dir doch erst mal am Freitag an.“

„Na schön, Schwesterchen, aber wenn sie wirklich so ist, wie Du sie mir beschrieben hast, werde ich sie nicht heiraten. Meine Frau soll gut aussehen und alle sollen mich beneiden. Wer sagt denn, dass schöne Frauen nicht arbeiten können? Schau Dir unsere Nachbarin an. Sie hat fünf Kinder, sieht gut aus, und ihr Mann beklagt sich nie.“

„Denk an die Schande, wenn Du sie nicht heiratest, Kemal. Das Mädchen findet wahrscheinlich keinen anderen Mann hier im Ort, und wir werden nicht mehr gegrüßt“, gab die Schwester zu bedenken.

Kemal rannte aus dem Zimmer und hörte ihr nicht mehr zu. Er lief in die Küche, um seiner Mutter zur Rede zu stellen. Sie schaute überrascht von ihrer Essenszubereitung auf, als ihr Sohn heftig in die Küche gestürmt kam. Kebab sollte es heute geben. „Mutter, warum soll ich das hässlichste Mädchen im Ort heiraten?“ Weiter kam er nicht, weil in diesem Moment der Vater in der Küche erschien und seinen Sohn zurechtwies.

„Wenn deine Mutter meint, dieses Mädchen ist die Richtige für Dich, und das Beste für beide Familien, hast Du dich zu fügen! Deine Mutter und ich leben schon länger auf dieser Welt und wissen daher, worauf es ankommt. Es ist nun einmal üblich, dass die Eltern die passenden Ehepartner für ihre Kinder aussuchen und das aus gutem Grund. Ihr habt doch noch keine Ahnung vom Leben, aber wir wissen, worauf es ankommt. Schau Dich um. Hast Du jemals eine Klage gehört? Alle leben glücklich und zufrieden. Aber das Fernsehen verdreht Euch nur die Köpfe mit ihren Sendungen aus dem Westen. Schau Dir die Ehen im Westen an. Nach einigen Jahren lassen sie sich wieder scheiden. Und warum? Weil sich die Eltern nicht darum kümmern, und daher auch keine Partner für ihre Kinder aussuchen. Da die Kinder keine Ahnung vom Leben haben, gehen die Ehen in die Brüche. Jetzt will ich nichts mehr davon hören! Du gehst am Freitag nach dem Mittagsgebet in der Moschee zu deiner Verabredung mit dem Vater der Braut.“

Brummend fügte sich Kemal. Abends im Bett überlegte er sich, ob er nicht heimlich weglaufen sollte, aber das wollte er seinen Eltern nicht antun. So beschloss er, zu seiner Verabredung zu gehen. Vielleicht war es doch nicht so schlimm. Lange lag er wach im Bett und konnte einfach nicht einschlafen. Zu aufgewühlt und hin und her gerissen mit seinen Gefühlen war er.

Am Freitagmittag, als der Muezzin vom Minarett zum Gebet rief, ging die Familie Organ gemeinsam zur Moschee. Nach dem Gebet ging dann Kemal klopfenden Herzens zu seiner Verabredung. Seine Familie wünschte ihm viel Glück. Am Haus des Gewürzhändlers angekommen, schluckte er erst ein paar Mal, nahm all seinen Mut zusammen und klopfte an die Tür. Fast im gleichen Augenblick öffnete sie sich, als ob man schon auf sein Klopfen gewartet hätte.

Einer der Brüder Aishas stand in der Tür in seiner Festtagskleidung. „Komm herein, Kemal, und sei unser Gast“, begrüßte er ihn. „Vielen Dank“, antwortete Kemal artig und zog seine Schuhe an der Tür aus, trat ein und stellte die Schuhe in einem Regal neben dem Eingang, ehe man sie ihm abnehmen konnte.

Der Bruder führte ihn ins Wohnzimmer, wo alle Männer der Familie beisammen saßen. Keiner schien in der Moschee zum Mittagsgebet gewesen zu sein. Jeden Einzelnen begrüßte er. Der Vater Aishas bot Kemal den Ehrenplatz an. Etwas unbehaglich setzte sich Kemal. Der Vater ging zum Feuerbecken, stellte eine Pfanne, die unter dem Becken gestanden hatte, in die Glut, nahm aus einer Blechdose, die neben der Feuerstelle stand, einige Hände voll von den sich darin befindenden Kaffeebohnen und warf sie in die inzwischen heiß gewordene Pfanne. Mit einem Holzlöffel rührte der die Bohnen in der Pfanne um.

Seine Söhne führten inzwischen ein zwangloses Gespräch mit Kemal. Es wurde hauptsächlich über ihre Arbeit geredet. Die Brüder wollten natürlich wissen, wie Kemal ihre Schwester ernähren wollte. Kemal erzählte ihnen, dass er im Büro seines Vaters arbeiten würde, was mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde.

Ab und zu schaltete sich der Vater ins Gespräch ein. Er wollte wissen, was er verdiene, um abzuschätzen, ob er überhaupt in der Lage sei, seine Tochter zu unterhalten und eine Familie mit ihr zu gründen. Kemal beantwortete die Fragen, so gut er konnte.

Die Kaffeebohnen waren nun fertig geröstet und wurden in einen Mörser geworfen. Mit beiden Händen stieß nun der Vater den Stößel in den Mörser. Dieses wiederholte er so lange, bis die Bohnen fein zerkleinert waren.

Auf der Feuerstelle hatte der Vater auch eine Kanne, gefüllt mit Wasser, gestellt. Das Wasser kochte nun. Er nahm den Deckel ab, ergriff den Mörser und schüttete die zerkleinerten Bohnen in die Wasserkanne und legte den Deckel wieder drauf.

Neben dem Feuerbecken standen noch drei weitere Kaffeekannen. Sie waren unterschiedlich groß und der Größe nach geordnet. Die kleinste Kanne stand am Ende der Reihe.

Kemal wusste, wenn das Wasser aus der jetzigen Kanne so weit verkocht war, dass es in die nächstkleinere passte, würde der Kaffee umgefüllt. Das wiederholt sich so lange, bis der Inhalt in die kleinste Kanne geschüttet werden konnte. Erst dann würde der Kaffee in die bereitstehenden Tassen geschüttet und getrunken. Je nach Reichtum der Familie kam noch eine entsprechende Menge Kardamon hinzu, wegen des Geschmacks.

Wenn der Kaffee in den Tassen war und er einen Schluck davon getrunken hatte, war die Heirat beschlossen. Deshalb musste er nun handeln. Aber zuerst wollte er sich selbst ein Bild von seiner zukünftigen Frau machen. Er fragte deshalb etwas schüchtern: „Darf ich meine Aisha einmal ohne Schleier sehen?“ Der Vater schaute Kemal verschmitzt an und meinte: „Kannst es wohl nicht abwarten?“ Die Brüder grinsten, sagten aber nichts. „Ist es denn möglich, nur einen kurzen Blick auf sie zu werfen?“, bohrte Kemal weiter.

Belustigt rief der Vater: „Aisha, komm mal, dein Bräutigam möchte dich mal sehen!“ Sie musste hinter der Tür gestanden haben, denn augenblicklich erschien sie mit zögernden Schritten. Sie trug einen leicht durchsichtigen gazeartigen Schleier über die untere Gesichtshälfte. So blieb nur ein schmaler Spalt bis zum Kopftuch. „Nimm deinen Schleier mal ab. Dein zukünftiger Ehemann möchte dich unverschleiert sehen.“ Aishas Hände hoben sich langsam und sehr bedächtig nestelte sie an ihrem Schleier herum. Es dauerte eine Zeit, bis er zur Seite fiel. Sie lächelte dabei ihren Auserwählten verlegen an. Kemal brachte nur ein verkrampftes Lächeln zustande, was aber mehr dem dümmlichen Grinsen eines Schafes glich.

Zu seinem Schrecken musste er feststellen, dass seine Schwester ihn nicht belogen hatte. Kemal nahm an, wenn Aisha sich ohne Schleier auf der Straße blicken ließ, würden selbst die Vögel Reißaus nehmen. Er schluckte einige Male und krächzte: „Danke, Aisha.“ Sie hob ihren Schleier wieder und huschte zu den Frauen ins andere Zimmer zurück. Dabei erschien es Kemal, dass sie trotz des weiten Gewandes ziemlich plump zu sein schien. Ihr Gang war etwas schwerfällig.

 

Die Verweigerung

Nun musste er sich entscheiden. Der Kaffee kochte nun in der mittleren Kanne. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Ein Leben mit Aisha, nachdem er sie gesehen hatte, konnte er sich nicht vorstellen. Wenn er aber aufstand und ging, brachte er das Mädchen in Schwierigkeiten, da er sie mit seinem Weggehen mit Schande belud und es noch schwerer wurde, sie zu verheiraten. Außerdem kamen er und seine Familie in Schwierigkeiten. Man würde sie meiden oder bedrohen, vielleicht sogar verprügeln, weil ihre Brüder wieder die Ehre ihrer Schwester herstellen wollten.

Um ihn herum wurde erzählt und gelacht, aber er nahm es kaum wahr. Auf einmal hörte er sich mit einer Stimme, die ihm völlig fremd war, sagen: „Es tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen!“ Mechanisch war der dabei aufgestanden, als er seine Stimme hörte.

Der Vater und seine Söhne waren ebenfalls aufgesprungen und glaubten nicht, was sie da hörten. Alle blickten irritiert zu Kemal und der Vater versuchte, die Situation zu retten, indem er Kemal aufforderte, sich wieder zu setzen. „Junge, setz Dich erst mal. Du hast deinen Kaffee noch nicht getrunken. Über die Hochzeit wurde auch noch nicht geredet. Du willst uns doch nicht beleidigen, oder?“

Mit einem gequälten Blick zum Vater antwortete Kemal leise: „Es tut mir leid, aber ich kann Aisha nicht heiraten.“ Ruckartig drehte er sich um und stürmte hinaus, riss seine Schuhe an sich, öffnete die Tür und rannte, so schnell er konnte, davon. Erst als er sich sicher fühlte, zog er die Schuhe wieder an.     

Als Kemal hinauslief, wollten Aishas Brüder hinter ihm herlaufen und ihm mit ihren Fäusten sagen, was sie von seinem Verhalten hielten. Aber der Vater stoppte sie: „Nicht hier und schon gar nicht in meinem Haus!“

So kam Kemal unbelästigt nach Hause. Die Familie saß im Wohnzimmer und wartete auf ihn, damit sie sofort im Bilde waren, worauf sie sich geeinigt hätten. Dass er aber so zeitig wieder da war, überraschte sie. Sein Vater, der Böses ahnte, als er den Gesichtsausdruck seines Sohnes sah, fragte ihn: „Was ist passiert, Kemal?“ Kemal holte erst mal tief Luft, um sich zu sammeln und stotterte: „Ich, äh, ich bin weggelaufen.“ Nun platzte es aus ihm heraus. „Ich kann dieses Mädchen nicht heiraten. Die ist ja so hässlich, dass ich mich überall mit ihr blamiere.“

Die Mutter ließ vor Schreck, als sie dies Unerhörte vernahm, ihre Handarbeit fallen. Ihr Mann wurde rot vor Wut und stürzte sich auf seinen Sohn und ohrfeigte ihn rechts und links und schrie mit fast überschnappender Stimme: „Du nichtsnutziger Tagedieb! Weist du elender Lump nicht, was das bedeutet? Man wird uns ächten und verprügeln, wenn wir das Haus verlassen. Keiner wird deine Schwestern heiraten wollen. Niemand wird mehr seine Waren und andere Dinge mit unseren Lkws transportieren lassen. Wir sind ruiniert, Frau! Oh, Allah, was habe ich nur für einen Bastard großgezogen?“

Während des Wutausbruches seines Vaters stand Kemal mit gesenktem Kopf im Zimmer. Auf seinem Gesicht waren auf beiden Seiten sämtliche Fingerabdrücke von seines Vaters Hand abgebildet und er wusste nicht so recht, was er tun oder sagen sollte. So blieb er stumm und reglos stehen.