Impressum:

© 2019 Karl O. Weiß (Hrsg. u. Bearb.)

Neubearbeitung auf Grundlage der Übersetzungen von Christian Heinrich

Dörner, Stuttgart, 1871 und T. W. Lenz, Leipzig, 1828.

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.

ISBN: 978-3-74943-902-7

Inhaltsverzeichnis

Xenophon

Kynegetikus – Von der Jagd

Inhalt.
1. Kapitel.

Die Göttern Apollo1 und Artemis erfanden die Jagd und des Weidwerks mit Hunden; beschenkt und beehrt aber haben sie damit den Cheiron2 um seiner Gerechtigkeit willen. Dieser nahm das Geschenk mit Freuden an und machte Gebrauch davon; und seine Schüler in der Jagd sowohl als in anderen edlen Künsten wurden Kephalos, Asklepios, Melanion, Nestor, Amphiaraos, Peleus, Telamon, Meleagros, Theseus, Hippolytos, Palamedes, Odysseus, Menestheus, Diomedes, Kastor, Polydeukes, Machaon, Podaleirios, Antilochos, Aeneas und Achilles, deren jeder zu seiner Zeit von den Göttern geehrt wurde. Es möge sich aber niemand darüber wundern, daß die meisten von ihnen, obgleich Lieblinge der Götter, dennoch sterben mußten, – denn das ist der Lauf der Natur; dafür war ihr Nachruhm um so größer, – noch darüber, daß nicht auch ihr Zeitalter das gleiche war: denn Cheirons Leben reichte für alle aus. Jupiter und Cheiron waren ja Brüder von väterlicher Seite, während der eine die Rhea3 zur Mutter hatte, der andere eine Najade4, so daß er zwar früher als jene (alle) geboren war, aber doch spät genug starb, um noch den Achilles erziehen zu können. Da sie sich aber wegen ihrer Beschäftigung mit den Hunden und mit dem Weidwerk und wegen ihrer sonstigen Bildung sehr durch Vorzüge auszeichneten, wurden sie bewundert. Kephalos5 wurde sogar von einer Göttin entführt. Asklepios6 wurde noch Größeres zuteil, nämlich Tote zu erwecken, und Kranke zu heilen; und deshalb hat er, „einem Gotte gleich“, unvergänglichen Ruhm unter den Menschen. Melanion7 ragte so sehr durch Tätigkeit hervor, daß er, obgleich er dabei die Besten der damaligen Zeit zu Nebenbuhlern hatte, allein so glücklich war, die in jener Zeit begehrteste Braut davonzutragen, die Atalante.8 Nestors9 Tugend lebt längst im Munde aller Griechen, so daß ich ihnen nur Bekanntes sagen würde. Amphiaraos10 aber erwarb sich, als er mit gen Theben zog, gar hohen Ruhm und erlangte von den Göttern die Ehre der Unsterblichkeit. Peleus11 machte sogar die Götter geneigt, ihm nicht nur die Thetis zum Weibe zu geben, sondern auch zu einer Hochzeit bei Cheiron das Brautlied zu singen. Telamon12 ferner ward so groß, daß er aus der größten Stadt die Frau seiner eigenen Wahl, Periböa13, die Tochter des Alkathos, zum Weibe bekam; und als der Erste der Griechen, Herkules, Jupiters Sohn, nach der Einnahme von Troja die Siegespreise verteilte, gab er ihm die Hesione.14 Welche Ehren Meleagros15 empfing, ist bekannt: da aber sein Vater im Alter die Göttin vergaß, so wurde er ohne eigene Schuld unglücklich. Theseus16 besiegte ganz allein die Feinde Griechenlands, und da er sein Vaterland weit vergrößerte, wird er noch jetzt bewundert. Hippolytos17 ward nicht nur von Artemis geehrt und durch den Ruf gefeiert, sondern wurde auch bei seinem Ende wegen seiner Mäßigkeit und Frömmigkeit selig gepriesen. Palamedes18 übertraf, so lang er lebte, seine Zeitgenossen bei weitem an Weisheit, und nach seiner Ermordung gewährten ihm die Götter eine so vorzügliche Rache, wie keinem anderen Menschen. Sein Ende fand er übrigens nicht durch die, von welchen manche es glauben: denn sonst würde nicht der eine fast der Beste, der andere den Guten gleich gewesen sein: es waren Schurken, welche die Tat verübten. Menestheus19 übertraf andere infolge der auf der Jagd empfangenen Anregung durch Tätigkeit so sehr, daß die ersten unter den Griechen bekannten, daß sie ihm an Kriegstüchtigkeit nachständen, mit Ausnahme Nestors; und auch von diesem wird nicht gesagt, er habe ihn übertreffen wollen; sondern daß er mit ihm gewetteifert habe. Odysseus20 und Diomedes21 glänzten in jedem einzelnen Fall, und waren im allgemeinen Ursache, daß Troja eingenommen wurde. Kastor und Polydeukes22 sind durch den Ruhm dessen, was sie in Griechenland als Zöglinge Cheirons ausführten, unsterblich. Machaon und Podaleirios23, beide in derselben Schule gebildet, wurden in Kunst, Rede und Kampf tüchtige Männer. Antilochos24 starb für den Vater sich opfernd, und erlangte dadurch so großen Ruhm, daß nur er allein von den Griechen Philopator (d. h. Vaterliebender) genannt wurde. Aeneas25 rettete nicht bloß die väterlichen und mütterlichen Götter, sondern auch den eigenen Vater, und trug so den Ruf der Frömmigkeit davon, daß auch die Feinde, welche sie in Troja besiegt hatten, nur ihm zusicherten, nicht geplündert zu werden. Achilles26, in dieser Schule aufgewachsen, hat so schöne und große Erinnerungen hinterlassen, daß kein Mensch müde wird, von ihm zu reden oder reden zu hören.

Diese sind, auch heute noch von den Guten verehrt, von den Schlechten beneidet, durch die in der Schule des Cheiron empfangene Anregung die Männer geworden, welche in Griechenland, wenn eine Stadt oder ein Fürst sich in mißlicher Lage befand, als Helfer erschienen, und als das gesamte Griechenland mit sämtlichen Barbaren in Zwist und Krieg geriet, den Griechen den Sieg verschafften, und so Griechenland unüberwindlich machten. Ich ermahne deshalb die Jungen, die Jagd und die sonstigen Bildungsmittel nicht zu vernachlässigen: denn dadurch werden sie tüchtig für den Krieg und für alles andere, was mit Notwendigkeit dahin führt, edel zu denken, zu reden und zu handeln.

2. Kapitel.

Vor allem müssen die jungen Leute gleich mit dem Austritt aus dem Knabenalter mit der Erlernung der Jagd beginnen, und dann auch zu den anderen Bildungsmitteln fortschreiten. Diejenigen, welche Vermögen besitzen, nach der Höhe ihres Vermögens, und zwar, wem es reicht, auf ein ihres Nutzens würdige Weise; wer aber kein Vermögen hat, der zeige wenigstens guten Willen, indem er alles tut, was in seinen Kräften steht. Mit welchen und welcherlei Vorrüstungen aber man die Sache beginnen müsse, werde ich nicht bloß im allgemeinen bezeichnen, sondern auch im einzelnen näher begründen, damit man sich nicht ohne Vorkenntnis an das Werk mache; und niemand achte diese für unbedeutend, denn ohne sie sie läßt sich nichts ausrichten.

Der Netzwart muß ein Mann sein, der Eifer für das Werk hegt, die griechische Sprache spricht27, dem Alter nach etwa zwanzig Jahre alt ist, mit leichtem und kräftigem Körperbau und einem mutigen Wesen, damit er, durch diese Eigenschaften den Anstrengungen gewachsen, Freude an dem Geschäft habe.

Die Fangnetze, sowie die Weg- und Stellnetze28 müssen aus feinem phasianischem29 oder karthagischem Lein sein; und zwar die Fallnetze neunfädig, aus drei Strängen zu je drei Fäden, fünf Spannen30 hoch, und zwei Handbreit31 weit in den Maschen (oder Spiegeln). Die Zugleinen32 aber müssen ohne Knoten durchgezogen werden, damit sie leicht beweglich sind. Die Wegnetze müssen zwölffädig, die Stellnetze sechzehnfädig sein, und erstere eine Länge von zwei, vier, fünf Klaftern33, die letzteren von zehn, zwanzig, dreißig Klaftern haben: bei größerer Ausdehnung sind sie schwer zu handhaben. Beide müssen dreißig Kno-ten haben34, und die Maschen die gleiche Weite wie bei den Fallnetzen. An den Wechseln müssen die Wegnetze Schleifen aus Faden, die Stellnetze eiserne Ringe haben35; zu den Leinen nehme man gedrehte Stricke.

Die Stellstangen36 der Fallnetze haben eine Höhe von zehn Handbreit; indes müssen auch kleinere vorhanden sein, die ungleichen für unebene Örtlichkeiten, um gleiche Höhe (der Netze) herzustellen; die gleichen für die ebenen. Sie müssen übrigens am oberen Ende das Herausstreifen (der Leine) leicht machen, und daher glatt sein. Für die Wegnetze müssen sie doppelt (so hoch) sein, und für die Stellnetze eine Höhe von fünf Spannen haben, die Gabeln klein, die Kerben nicht tief; stark aber müssen alle sein, doch zur Länge nicht unverhältnismäßig dick. Die Zahl der Stellstangen, die man zu den Stellnetzen braucht, kann größer oder kleiner sein: kleiner, wenn das Netz beim Stellen prall angezogen wird; größer, wenn schlaff. Auch muß man, um Fall- und Stellnetze darin zu verwahren, für beide einen kalbsledernen Sack haben, sowie Hippen, um Holz abzuhauen und, wo es nötig ist, damit Lücken verstopfen zu können.

3. Kapitel.

Es gibt zwei Arten von Hunden, die kastorischen und die Fuchshunde. Die kastorischen haben diesen Namen erhalten, weil Kastor37, ein großer Jagdliebhaber, dieselben hauptsächlich züchtete; die Fuchshunde, weil sie von Hunden und Füchsen abstammen, deren Natur sich in langer Zeit vermischt hat. Die schlechten, welche aber die größere Zahl ausmachen, haben folgende Merkmale: Sie sind klein, krummnasig, blauäugig, blinzelnd, häßlich, steif, schwach, dünn behaart, hochläufig, schlecht proportioniert, verdrossen, haben eine schlechte Nase und sind nicht gut auf den Läufen. Die kleinen richten oft beim Jagen wegen ihrer Kleinheit nichts aus; die krummnasigen haben ein schlechtes Gebiß und halten darum den Hasen nicht fest; die blinzelnden und blauäugigen haben schlechte Augen; die mißgestalteten sind schon häßlich anzusehen; die mit steifen Gliedern kommen beim Jagen nur schwer zurecht; die schwächlichen und kahlen sind nicht imstande, Strapazen durchzumachen; die hochläufigen und schlecht proportionierten nehmen, eben wegen des ungefügen Körperbaues, die Fährte nur mühsam auf; die verdrossenen verlassen die Arbeit und ziehen sich aus der Sonne in den Schatten zurück und legen sich nieder; die mit schlechter Nase wittern den Hasen nur mühsam und selten; die mit schlechten Läufen endlich können, selbst wenn sie munter sind, die Anstrengung nicht ertragen, und ermatten wegen der Empfindlichkeit ihrer Läufe.

Es gibt übrigens auch vielerlei Arten des Spürens bei denselben Hunderassen. Die einen gehen, wenn sie die 3839