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Frank Böhm, Valerie le Fiery

Osterzug ins Glück





BookRix GmbH & Co. KG
81371 München

Gründonnerstagstelefonat

„Toni Gruber?“

„Mein Gott, Junge, habe ich dir nicht beigebracht, dass du dich mit deinem vollen Namen melden sollst, wenn du ans Telefon gehst? Du heißt nicht Toni, sondern Anton Sebastian, merk dir das mal. Es schickt sich nicht, seinen Vornamen abzukürzen, nun stell dir bloß mal vor wie das wohl ankommt, wenn einer deiner zukünftigen Vorgesetzten bei dir anruft und du denen ein Toni entgegenblaffst. Nee, nee, was ist bloß aus dir geworden? Diese Großstadt tut dir, glaub ich, überhaupt nicht gut.“

„Mutter!“, unterbricht Toni den Redeschwall der Dame am anderen Ende der Leitung ungehalten. „Wann hörst du endlich mal auf, mich ständig zu belehren? Ich bin schließlich kein Kleinkind mehr, dem du mit deiner Spucke die Schokoladenreste aus den Mundwinkeln wischen musst. Also! Ich bin der Meinung, dass mein voller Name viel zu lang ist. Wenn ich den jedes Mal herunterbete, ist mein Gesprächspartner in der Zwischenzeit eingeschlafen. Außerdem nennen mich meine Kommilitonen und alle anderen auch nur Toni. Anton ist übrigens tatsächlich ein klein wenig altbacken.“

„Aber Anton, ich habe den Vornamen bei deiner Geburt wirklich äußerst sorgfältig ausgesucht“, verteidigt sich die Mutter entrüstet. „Das ist absolut unfair von dir, doch ich habe dich nicht angerufen, um mit dir über solche Dinge wie Benehmen und Vornamen zu diskutieren. Eigentlich wollte ich wissen, wann du zum heiligen Osterfest bei uns in Feuchtwangen erscheinst. Schließlich findet wieder das alljährliche Osterfeuer statt und dem lieben Herrn Pfarrer Mühlbauer habe ich ebenfalls schon Bescheid gegeben, dass du am Sonntag mit uns gemeinsam die Ostermesse besuchst.“

„Ja, Mutter! Ich habe die Zugfahrkarten längst gekauft. Meine Bahn fährt Samstagmorgen gegen sechs von Köln aus los, das heißt, dass ich gegen elf Uhr in Crailsheim bin. Es wäre nett, wenn Papa mich von dort abholen könnte.“

„Alles schön und gut, mein Junge, aber dein Vater und ich haben uns das ein klein wenig anders vorgestellt. Eigentlich sind wir davon ausgegangen, dass du schon morgen anreist. Schließlich haben wir dich zum Fischessen mit eingeplant. Du weißt doch, dass wir beim Maxl am Karfreitag immer einen Tisch bestellen. Er hat wie jedes Jahr Scholle satt im Angebot und Papa hat sogleich für fünf Personen gebucht.“

„Fünf?“

„Ja, du, Papa, meine lieben Eltern und ich.“

„Mama, jetzt hör mir mal zu. Ich habe dir bereits im Januar gesagt, dass ich erst am Samstag anreise, weil morgen Abend ein Studienkollege eine kleine Party veranstaltet, die über Monate geplant worden ist. Da kann und werde ich nicht absagen.“

„Papperlapapp, mein Sohn! Es ist Karfreitag, da musst du nicht auf eine Party gehen. Da wird sowieso nur getrunken. Nein, nein, mein Junge, das kommt nicht in die Tüte. Dieser Tag gehört dem Herrgott. Schließlich ist Jesus …“

„Mama, hör auf jetzt. Ich weiß das alles. Aber du solltest auch verstehen, dass ich mein eigenes Leben führe, das nicht in deiner kleinen Welt stattfindet, sondern in einer Großstadt, die sich Köln nennt. Und hier werden deswegen ab und zu mal Partys veranstaltet, ob es dir nun passt oder nicht. Außerdem habe ich die Fahrkarten bereits gebucht, die kann ich nicht zurückgeben und erst recht nicht umbuchen. Wir sehen uns Samstag und damit basta.“

„Da werden Oma und Opa aber sehr enttäuscht sein“, wirft Tonis Mutter beleidigt und leicht betrübt klingend ein. „Und der Maxl, der hat dir doch extra einen Platz mitreserviert und rechnet ganz fest mit dir. Was soll der denn denken?“

„Ehrlich gesagt ist mir völlig egal, was der Maxl denkt. Es ist nicht meine Schuld, denn ich habe den Tisch nicht bestellt. Sag ihm, dass ihr euch vertan habt, richte ihm einen schönen Gruß von mir aus und er soll einen auf mein Wohl trinken. So und nun …“

„Nein, mein Junge, du wirst jetzt nicht auflegen. Dein „So und nun“ kenne ich zu gut. Sobald es heikel wird, willst du immer das Gespräch beenden. Doch so leicht kannst du dich dieses Mal nicht aus der Affäre ziehen. Du weißt doch, dass wir in unserem Ort ein gewisses Ansehen haben, das wir pflegen müssen, und dazu gehört auch, dass wir zu gewissen Feierlichkeiten Präsenz zeigen. Das bedeutet, dass wir zu Karfreitag beim Maxl nett essen gehen, am Samstagabend dem traditionellen Osterfeuer beiwohnen und am Sonntagmorgen die Ostermesse besuchen, und zwar als komplette Familie. Deshalb erwarte ich, dass du spätestens morgen Mittag bei uns aufkreuzt. Papa holt dich natürlich in Crailsheim ab. So weit ist das ja nicht.“

„Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, Mutter, aber du kannst reden, was du willst, ich werde meine Pläne nicht ändern. Samstagmorgen geht es los und keine Minute eher.“

Für einen kurzen Augenblick herrscht Totenstille in der Leitung. Toni wartet auf eine Antwort seiner Mutter, doch irgendwie muss ihr seine Ansage wohl die Sprache verschlagen haben. Erst als er ein „Bist du noch da?“ in sein Handy haucht, kommt eine Antwort.

„Ich bin ja so enttäuscht von dir, Anton Sebastian! Wirklich sehr enttäuscht. Dann stehen wir beim Maxl wahrscheinlich wie die Deppen da. Aber ich werde wohl nichts gegen deine Entscheidung unternehmen können. Genauso wenig wie gegen die Lebensweise, die du dir ausgesucht hast. Obwohl ich da irgendwo noch die leise Hoffnung habe, dass das mit dieser Homosexualität, die du dir ja nun angedichtet hast, irgendwann vorbei ist, du dich in eine nette junge Frau verliebst und uns zu glücklichen Schwieger- und Großeltern machst.“

„Mutter, hör auf! Ich bin nun mal schwul. Falls es dir nicht passt, bleib ich lieber ganz in Köln. Ich habe keine Lust, die gesamten Feiertage über mit dir über mein Liebesleben zu diskutieren. Am besten schneiden wir das Thema erst gar nicht an. Sonst explodiere ich.“

„Ist schon gut, mein Junge. Ist schon gut! Ich sage nichts, sondern fresse meinen Kummer einfach in mich hinein. Am besten werde ich den Papa gleich mal informieren, dass du tatsächlich erst am Samstag erscheinst. Er ist noch im Kuhstall beim Ausmisten und bestimmt richtig geschafft. Diese Hiobsbotschaft wird ihm unter Garantie den gesamten Abend verderben.“

„Mutter! Warum in Gottes Namen versuchst du ständig, mir ein schlechtes Gewissen einzureden? Ich bin zweiundzwanzig und lebe mein Leben, nicht das eure. Falls Papa deshalb der Abend verdorben ist, ist das nicht mein Problem und erst recht nicht, dass du dich vor Maxl in irgendeiner Form erklären musst, nur weil du wieder mal zu voreilig warst. Es geht im Leben nicht alles nur nach deiner Nase. Und jetzt werde ich das Gespräch wirklich beenden, das führt nämlich zu nichts. Ich bin am Samstag um genau elf Uhr sieben in Crailsheim am Bahnhof. Sollte Papa mich abholen, würde mich das freuen, falls nicht, fahre ich mit dem Bus. Aber sag ihm bitte, dass er nicht den Traktor, sondern das Auto nehmen soll.“

„Also Anton, ich muss doch sehr bitten!“

„Nein, Mutter, musst du nicht. Ich wünsche dir einen schönen Abend. Wir sehen uns Samstag!“

Mit diesen Worten verabschiedet sich Toni von seiner Mutter und lässt sich seufzend auf sein Bett fallen. Kopfschüttelnd und sichtlich genervt atmet er mehrfach tief ein und fragt sich, ob er die Reise in die Heimat tatsächlich antreten soll.

„Nützt ja nichts, das werde ich wohl müssen!“, flüstert er irgendwann vor sich hin. „Sonst gerät die gesamte Familie noch in eine Megakrise und dafür möchte ich nicht verantwortlich sein.“