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Über dieses Buch:

Marie kann ihr Glück kaum fassen: Mit ihrem Traummann, dem Hoteldirektor Ronaldo schwebt sie im siebten Himmel! Doch Glück und Leid liegen eng beieinander – und im Grand Hansson dreht sich das Karussell des Lebens unermüdlich weiter. Um etwas Abstand zu gewinnen, wollen sich Marie und Ronaldo eine Auszeit gönnen … und eine neue Doppelspitze übernimmt das Ruder in dem wundervollen Hotel an der Alster: Doch können Christian und Iris, die einst ein Liebespaar waren, auch wirklich zusammenarbeiten? Oder bahnt sich da etwas an, das die Existenz des ehrwürdigen Hauses gefährden könnte? Am Ende ist nur eines gewiss: Echte Freundinnen halten zusammen …

Über den Autor:

Christian Pfannenschmidt, geboren 1953, war Journalist und Reporter für die Abendzeitung München, den Stern und das Zeit-Magazin. Heute lebt er als Autor in Köln und Berlin. Von ihm stammen unter anderem die Drehbücher der ZDF-Erfolgsserie »Girlfriends«. »Die Villa am Seerosenteich« wurde in mehrere Sprachen übersetzt und in der Verfilmung als ARD-Zweiteiler, verfolgten über 6 Mio. Menschen die Karriere von Isabelle, dem Mädchen vom Lande, das zur Chefin eines Modeimperiums aufsteigt. 2003 gründete er eine eigene Fernsehproduktion und setzte seine persönliche Erfolgsgeschichte mit TV-Serien wie u.a. »Die Albertis« und »Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen« sowie der erfolgreichen Freitagabend-Reihe »Meine Mutter ist unmöglich« fort.

Bei dotbooks erschienen Christian Pfannenschmidts Romane »Die Villa unter den Linden«, »Der Klang unserer Seelen«, »Die Villa am Seerosenteich« und »Die Albertis«.

Außerdem haben ihn die Charaktere der »Girlfriends«-Serie nicht mehr losgelassen. Und so hat er – basierend auf den Drehbüchern – sieben Romane über die Freundinnen Marie, Ilka und Elfie geschrieben:

Band 1: »Fünf Sterne für Marie«
Band 2: »Freundschaft auf den dritten Blick«
Band 3: »Zehn Etagen zum Glück«
Band 4: »Demnächst auf Wolke sieben«
Band 5: »Kurz vor zwölf im Paradies«
Band 6: »Das 1x1 zum großen Glück«
Band 7: »Frühstück für zwei«.

Das vorliegende eBook enthält die Bände 4 bis 6. Bände 1 bis 3 erscheinen bei dotbooks auch in dem Sammelband »Das Hotel an der Alster«

Die Website des Autors: www.christianpfannenschmidt.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/PfannenschmidtChristian

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eBook-Sammelband-Originalausgabe März 2020

Einen Quellennachweis für die in diesem Band vorliegenden Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Copyright © der Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Anastasia Malinich, Alexandr Panchenko und AdobeStock/dudlajzov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-104-5

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Christian Pfannenschmidt

Sommer im Hotel an der Alster

Drei Romane in einem Band

dotbooks.

Demnächst auf Wolke Sieben

KAPITEL 1

Frühes Sonnenlicht, das durch die hellen Leinenvorhänge in Maries und Ronaldos Schlafzimmer sickerte. Marie hatte es durch halb geschlossene Augenlider wahrgenommen und sich entschieden, wach zu werden. Dieser Tag konnte gar nicht früh genug beginnen, so sehr freute sie sich auf ihn. Ilka sollte kommen, Freundin seit Kindertagen. Nach all den Jahren in Chile fand sie den Weg nach Hamburg zu Marie. Staunen würde sie, wie groß das Kind geworden war.

Der Wecker auf dem kleinen Glastisch neben ihrem Bett stand auf sechs Uhr, eine halbe Stunde Zeit blieb, bis er klingeln würde. Marie drehte sich zu ihrem Mann um, der noch schlief, auf dem Bauch liegend und den Kopf in das Kissen gewühlt, nur die dunklen Locken waren zu sehen und feine weiße Fäden darin. Ronaldo bewegte sich unruhig, als Marie die Beine aus dem Bett schwang. »Es ist noch so früh«, grummelte er aus den Kissen.

»Schlaf doch noch ein halbes Stündchen«, sagte Marie, die dabei war, ihren Morgenmantel überzuziehen.

»Der Tag wird aufregend genug«, antwortete Ronaldo und atmete schon wieder mit den tiefen Zügen eines Schlafenden.

Marie band den Gürtel ihres seidenen Mantels zu einer großen Schleife und fühlte sich gut und schön und eins mit diesem Leben, als sie über den Flur ging und die Tür zum Kinderzimmer leise öffnete. Sie blieb stehen und sah zu dem Bett hinüber, in dem Vivien schlief. Maries Blick wanderte hoch zu dem dicken Stern aus Filz, der dort hing und eine Spieluhr barg, deren Lied sie beide liebten. Er wanderte weiter zu der Hängematte voller Stofftiere und kam bei der Werkbank an, die ein wenig befremdlich wirkte in dem zarten Traum eines Zimmers für eine fünfjährige Prinzessin. Jedes Teil hier hatte Marie mit ausgesucht, doch sie konnte sich noch immer in diesen Anblick versenken, als sähe sie die kleine heile Welt zum ersten Mal, so wie sie immer wieder aufs Neue das ungeheure Glücksgefühl empfand, dass dieses Kind zu ihr gehörte und zu Ronaldo. Sie trat an das Bett und guckte in das Gesichtchen, und da schlug Vivien die Augen auf und grinste.

»Mima, ich schlafe gar nicht«, sagte sie.

»Ja, guten Morgen, mein kleiner Schatz.«

Marie setzte sich auf die Bettkante. Vivien schoss hoch und schlang die Arme um Marie und gab ihr einen Kuss.

»Hast du gut geschlafen?«, fragte Marie.

»Ich hab geträumt, dass wir mit Ilka den Containerhafen besichtigen«, sagte Vivien.

»Na, das ist aber ein romantischer Traum«, sagte Marie und stand auf. »Ich mach mich mal fertig. Du kannst noch im Bett bleiben. Ich rufe dich dann.« Doch Vivien war schon aus dem Bett gesprungen und lief zur Werkbank.

»Ich hab für Ilka noch einen Anhänger gemacht«, rief sie und hielt ein Stück bunt bemaltes Holz mit einem Loch am oberen Ende in die Höhe. »Kann man ein Lederband durchziehen.«

»Da wird sie sich aber freuen«, sagte Marie.

»Wann kommt sie?«, fragte Vivien die häufigst gestellte Frage der letzten vierundzwanzig Stunden.

»Heute Mittag, Schatz.«

»Darf ich mit zum Flughafen?«

»Geh du lieber in den Kindergarten«, sagte Marie und ging aus dem Zimmer.

Vivien blickte ihr vergnügt hinterher. Sie dachte gar nicht daran, sich den Flughafen entgehen zu lassen.

Der enge Rock ihres neuen Leinenkostüms war einer für die ganz kleinen Schritte, stellte Marie fest, als sie die Treppe zur Gästewohnung hinunterstieg. Na ja, ihre Mutter mäkelte seit vierzig Jahren daran herum, dass Marie beim Gehen viel zu weit ausholte. Ihr sollte sie das Kostüm unbedingt vorführen.

Unten in der Wohnung war längst alles bereit für Ilka. Auf Rosen gebettet, dachte Marie, während sie über die Decke des Bettes strich, in deren Stoff blassrote Blüten gewebt waren. Auf dem Nachttisch lag ein Blatt Papier, das Vivien hingelegt hatte. Eine Vase mit duftenden Freilandrosen stand daneben und ein silberner Rahmen mit einer Fotografie, auf der eine lachende Marie sich an Ilka lehnte. Marie wollte nach dem Rahmen greifen, doch dann nahm sie das Blatt Papier. Vivien hatte zwei Dinosaurierinnen gemalt, die sich in die Arme fielen. Herzlich willkommen in Deutschland, Ilka.

»Tja, Ilka, so sieht uns die Jugend«, murmelte Marie. Sie legte das Bild zurück und verließ das Gästezimmer. »Ilka und Marie, die fetten Dinos!« Sie schmunzelte noch immer, als sie schließlich die Küche betrat.

Der Frühstückstisch war gedeckt und Ronaldo schon lange genug auf, um einen frischen Fruchtsalat bereitet zu haben. Marie hatte selten die Geduld, all die großen Früchte in Scheibchen und Stückchen zu verwandeln. Ihr Beitrag zum Vitaminhaushalt der Familie bestand darin, Äpfel zu vierteln oder Trauben zu waschen. Doch sie genoss den perfekten Tisch. Der Toast sprang bei Ronaldo immer zur rechten Zeit raus und war nicht zu dunkel an den Rändern, und er vergaß auch nie, die Jahrgangsmarmelade seiner Schwiegermutter auf den Tisch zu stellen.

»An deiner Tochter ist nicht nur eine Karikaturistin, sondern auch ein Junge verloren gegangen«, sagte sie und fischte sich einen Orangenschnitz aus dem Obstsalat. »Malt Ilka und mich als Dinos und sägt als kleines Gastgeschenk einen zentnerschweren Anhänger.« Sie setzte sich und begann, die Scheibe Toast zu buttern, die ihr Ronaldo auf den Teller gelegt hatte. »Ich freu mich so auf Ilka«, sagte sie.

Ronaldo nahm auch Platz und schenkte sich Tee ein.

»Vivien. Frühstück«, rief Marie.

»Tu mir einen Gefallen und sag nicht immer Tochter«, sagte er. »Vivien ist nicht meine Tochter. Sie ist meine Enkelin.«

»Ich will dich doch nur jünger machen«, maulte Marie und leckte sich die Harsefeldsche Erdbeermarmelade 2001 von den Lippen.

»Ich meine es ernst, und ich will, dass du die Dinge realistisch siehst. Wir sind nur die Leiheltern. Okay?«

»Reite doch nicht dauernd darauf herum«, sagte Marie, »das weiß ich ja.« Doch sie schob den Teller beiseite und senkte ihren Blick tief in die Tasse Tee.

Vivien hatte natürlich in der Ankunftshalle des Hamburger Flughafens gestanden, den Holzanhänger geschwenkt und Maries Hand gehalten. Doch wer nicht da gewesen war, das war Ilka, obwohl ihr Flugzeug keine Verspätung gehabt hatte und alle anderen Reisenden aus Santiago de Chile längst schon mit ihrem Gepäck davongegangen waren.

»Wir müssen uns verpasst haben«, hatte Marie gesagt, und dann waren Vivien und sie in ihr Auto gestiegen, und beide waren sie traurig gewesen und ein bisschen besorgt.

Doch alles schien sich aufzuklären, kaum dass sie zu Hause angekommen waren. Als Marie ihren kleinen Flitzer in die Einfahrt zum Haus lenkte, stand da ein Taxi.

»Na siehste, hab ich mir doch gedacht«, sagte Marie und versuchte, in den Fond des Taxis zu sehen. Doch die Sonne blendete sie gerade in dem Augenblick, und sie stieg schnell aus und öffnete die hintere Tür ihres Wagens, um Vivien aus dem Kindersitz zu befreien. Der Zopf in Viviens blondem Haar hatte sich beinah aufgelöst, und ihre Wangen waren gerötet von all der Aufregung am Flughafen. Sie sah so süß aus, dass Marie sie einfach knuddeln musste, gleich hier im Auto.

»Ich hab dich zu lieb, du kleiner Kerl«, sagte sie.

»Ich hab dich auch lieb, Mima.«

Marie nahm Viviens Hand und ging zum Taxi, um doch noch zum Empfang bereitzustehen für Ilka. Doch es war nicht Ilka, die da aus dem Wagen stieg. Vor ihnen stand Heike. Ronaldos Tochter, Viviens Mutter. Die in Neuseeland bei ihren Maori sein sollte und nicht hier. Aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung. Vivien riss sich von Maries Hand, rannte los und warf sich in Heikes Arme.

»Vivi, du süße Maus. Mein Kind«, sagte Heike. In Maries Ohren klangen diese Worte wie eine schlimme Beschwörung, und sie hatte Mühe, gute Miene zu machen zu all dem Glück, in das Vivien und Heike sich da kopfüber warfen.

»Das ist ja eine Überraschung«, brachte sie schließlich hervor. »Warum bist du ... Ich meine, wir wussten gar nicht, dass du kommen würdest.« Es war wirklich ein ziemlich hilfloses Gestammel.

Vivien kam zu Marie und zupfte sie am Ärmel. »Mami ist da«, piepste sie, außer sich vor Freude.

»Ich verstehe immer noch nicht.« Marie blickte Heike an, als ob sie sie in ihr Taxi zurückzaubern wollte.

»Ich wollte euch überraschen«, sagte Heike, nahm ihr Gepäck und steuerte auf das Haus zu. Marie folgte ihr.

»Das ist dir gelungen«, murmelte sie.

»Mima, freust du dich?« Marie holte den Schlüssel hervor. Die Antwort blieb sie Vivien schuldig.

Heike tauchte tief in die Wanne und pustete ein paar kleine Schaumwolken zu Vivien, die vor lauter Vergnügen mit dem Wasser um die Wette gluckste. »Hier kommt ein ganz großer Vogel«, brummte Heike und schaffte es, extra viel Schaum zu bewegen. »Wie die Vögel in Neuseeland«, sagte sie, »ganz groß.« – »Und bunt?«, fragte Vivien. – »Und bunt«, bestätigte Heike.

»Darf ich dich mal in Neuseeland besuchen, Mami? Ich möchte doch all die Tiere sehen.«

Heike sah ihre Tochter ernst an. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«, fragte sie. Vivien nickte andächtig. »Ein ganz großes Geheimnis, nur zwischen uns beiden?«, fragte Heike und hob zwei Finger zum Schwur. Vivien tat es ihr nach.

»Mami geht nicht mehr zurück nach Neuseeland.«

»Du bleibst bei uns? Bei Ronaldo und Mima?«, fragte Vivien.

»Viel besser«, sagte Heike. »Ab nächsten Monat arbeite ich in Berlin. Und dich nehme ich natürlich mit. Aber du darfst den beiden noch nichts sagen. Das mache ich selber.«

Heike schüttelte ihre feuchten Haare und schaute aus dem Fenster des Badezimmers, vor dem sich nun langsam die Nacht ausbreitete.

Das Wohnzimmer lag im Dunkeln. Die kleine Lampe, die auf dem Tisch neben dem Sofa stand, erreichte mit ihrem Schein gerade mal Marie, die dort saß und vor sich hin brütete. Sie schrak zusammen, als sie Ronaldos Stimme hinter sich hörte, und drehte sich rasch zu ihm um. »Wo warst du?«, fragte sie.

»Wo soll ich gewesen sein«, antwortete Ronaldo, »du erinnerst dich vielleicht, dass die Hansson morgen kommt und ich sämtliche Unterlagen bereithalten muss.« Er ließ sich aufs Sofa fallen und seufzte. »Ich hab den lieben langen Tag bei unserem Wirtschaftsprüfer gehockt«, sagte er.

»Ich hab den lieben langen Tag im Hotel angerufen. Diese Hofer weiß auch nie, wo du bist.«

»Sie ist ja auch nicht meine Sekretärin. Du hättest Vera fragen sollen. Die wusste es.«

»Aber die hat sich nicht gemeldet«, sagte Marie, »und auf deinem Handy lief nur die Mailbox.«

»Wieso sitzt du eigentlich hier alleine im Dunkeln?«, fragte Ronaldo. »Was ist los? Wo ist unsere Ilka?«

»Du glaubst nicht, was passiert ist. Ilka ist nicht gekommen.«

»Was?« Ronaldo sah seine Frau verblüfft an.

»Und keine Nachricht von ihr«, fuhr Marie fort. »Ich habe bei ihr in Santiago angerufen. Anrufbeantworter. Ich bin fix und fertig. Da ist was passiert. Ich rieche das. Und nun rate, wer oben bei unserer Tochter sitzt.«

Ronaldo warf ihr einen strengen Blick zu.

»Herrgott. Ja. Bei unserer Enkeltochter. Deiner, genau gesagt. Ich bin ja nur die Stiefoma. Die blöde Stiefoma, die sich Tag für Tag, Nacht für Nacht um das kleine Schätzchen kümmert, dessen Mutter ihrer Karriere bis nach Neuseeland nachläuft und ihr Kind bei uns parkt wie ein altes Auto, und jetzt ...«

»Heike?«, rief Ronaldo. »Heike ist da?« Marie nickte.

Doch da war er schon aufgesprungen. »Wow«, brüllte er und lief los, um seine Tochter willkommen zu heißen.

Missgelaunt machte Marie sich daran, den Abendbrottisch zu decken. Sie hörte ihren Mann aus der Gästewohnung kommen und stellte die großen weißen Teller aus Limoges-Porzellan ein wenig heftig auf den Tisch und ließ auch die Hummerzangen eher fallen, als dass sie sie legte.

»Mensch, ich hatte Hummer vorbereitet für Ilka«, sagte sie, als Ronaldo ins Esszimmer kam, »und Champagner gekühlt.«

»Und das ist zu schade für ein Essen mit meiner Tochter?«, fragte Ronaldo und fing an, die ziegelroten Stoffservietten zu verteilen, die auf dem Servierwagen bereitlagen.

»Warum ist sie hier?«, fragte Marie. »Heike tut nie was ohne triftigen Grund. Bei ihr steckt hinter allem ihr Egoismus. Sie hat uns damals das Kind überlassen, als sie unbedingt nach Neuseeland zu ihren Maori wollte.«

»Wir haben es ihr angeboten, Marie.«

»Ein Kind braucht Konstanten, ein geregeltes Leben, klare Bezugspersonen. Das hat sie hier alles«, schimpfte Marie unbeirrt weiter, während sie in die Küche ging, um den Salat zu bereiten. Ronaldo folgte ihr. »Was erzählst du mir da eigentlich?«, fragte er.

Doch da kam ein Räuspern von der Tür. Heike stand da und neben ihr eine süße saubere Vivien im Schlafanzug.

»Müsstest längst schlafen, Schätzchen«, sagte Marie.

»Dann bring du Vivien ins Bett«, sagte Ronaldo zu seiner Tochter, »und dann trinken wir endlich ein Glas Champagner auf deine Heimkehr.«

Heike saß oben im Kinderzimmer und hatte die große Muschel hervorgeholt, die ihr Geschenk für Vivien war.

»Die hab ich am Strand von Auckland für dich gefunden«, sagte sie, »wenn du sie ans Ohr hältst, kannst du das Meer rauschen hören.« Vivien hielt sie ans Ohr und lauschte.

»Wenn man traurig ist, sagen die Maori, dann schenkt das Rauschen des Meeres deiner Seele Frieden.«

»Dann wird man ganz schnell wieder froh?«, fragte Vivien und gähnte. »Ich will, dass Mima mir gute Nacht sagt.«

»Bin schon da«, sagte Marie, als hätte sie vor der Tür zum Kinderzimmer gelauert. Und schon war sie es, die auf dem Bett saß und von Vivien umarmt wurde, und ein bisschen genoss es Marie, dass Heike sie dabei beobachtete.

Doch der Abend ging friedlich zu Ende. Die drei Erwachsenen saßen noch auf der Terrasse, tranken Wein und schauten in den dunklen Garten und in die ruhige Flamme des Windlichtes, und auch Marie hatte sich schließlich doch noch beruhigt und ihre Sympathien für Heike aus den tieferen Schichten ihres Herzens hervorgeholt. Nur Dr. Begemann, der Personalchef des Hotels, störte, weil er es noch nicht für zu spät befand, um auf Ronaldos Handy anzurufen und ein paar unerfreuliche Vorkommnisse des Tages mit ihm zu klären.

»Du kannst wohl nie abschalten?«, fragte Heike ihren Vater.

Ronaldo hob die Schultern. »Wir haben vor acht Wochen das neue Hotel eröffnet«, erklärte er, »und stell dir vor, just am Tag der Eröffnung ist der alte Hansson auf einmal tot. Das Herz. Ja, und morgen kommt seine Witwe aus Stockholm.«

»Die Stade?«; fragte Heike. Ronaldo nickte. »Sie hat den ganzen Konzern geerbt«, sagte er, »und irgendwie ..« Er zögerte. »Irgendwie hab ich kein gutes Gefühl.«

Ronaldo Schäfer stand in der Ankunftshalle des Flughafens und fuhr sich nervös durch die Haare. Gudrun Stade hatte lange Jahre für ihn gearbeitet, anfangs als Leiterin des Schreibpools und dann als seine Sekretärin im Hansson Palace. Er hatte sie fachlich hoch geschätzt und auch so meistens gemocht. Doch nun kam sie als Konzernchefin in das nagelneue Grand Hansson, und der ausgeglichenste und wohlwollendste Mensch war Gudrun Hansson geborene Stade nie gewesen. Er hoffte nur, dass sie ihm den Laden nicht zu sehr durcheinander brachte.

Ronaldo reckte sich. Groß, wie er war, sah er nun wirklich über alle Köpfe der Wartenden hinweg und glaubte die Hansson zu sehen, doch da war sie schon wieder verschwunden, und sein Blick blieb an einer schönen Frau hängen, deren Eleganz zwischen all den gedeckten Anzügen und den leger gekleideten Urlaubsreisenden wahrhaft auffiel. Es fiel ihm gar nicht leicht, sich von dem Anblick zu lösen und sich wieder der Suche nach Gudrun Hansson zu widmen.

Doch die Schöne in smaragdgrüner Seide kam zielstrebig auf ihn zu, und da sah Ronaldo auch die Hansson nebst einem voll beladenen Gepäckwagen. Er brauchte ein paar Augenblicke, um zu erkennen, dass die beiden Damen ganz offensichtlich zusammengehörten.

»Herr Schäfer.« Gudrun Hansson streckte ihre Hand aus. Sie war immer schon eine aparte Frau gewesen, doch nie hatte sie so elegant gewirkt wie nun in dem schlichten schwarzen Kleid, mit ihren ebenholzfarbenen Haaren und dem ein wenig ironisch verzogenen Mund, der in einem klassischen Rot geschminkt war. Trotzdem, es war nicht leicht für sie, gegen die Erscheinung in Smaragdgrün anzukommen.

»Willkommen in Hamburg, Frau Hansson«, sagte Ronaldo lächelnd und blickte dann fragend zu ihrer Begleiterin.

»Iris Sandberg«, stellte sich die Schöne vor.

»Meine ... nun, wie soll ich sagen«, meldete sich Gudrun Hansson.

»Referentin«, ergänzte Iris Sandberg.

Ronaldo nickte. »Angenehm«, sagte er.

»Das werden wir sehen«, erwidert die Schöne kühl.

Ronaldo nahm sich ohne weiteren Kommentar des Gepäcks an. »Ich parke dort drüben«, sagte er. Die Damen folgten ihm.

»Herr Schäfer ist einer der treuesten Angestellten meines Mannes«, hörte er die Hansson hinter sich sagen. »Er hat das erste Hotel in Hamburg geleitet. Dann das Hansson Palace und nun das Grand. Hansson. Ich bin gespannt.«

»Das können Sie sein«, sagte Ronaldo.

»Und ich erst«, sagte Iris Sandberg.

Die große moderne Fassade des Grand Hansson glänzte in der Sonne. Der Hamburger Himmel hatte sich für ein tiefes Blau entschieden, und nur ab und zu schwebte eine harmlose weiße Wolke vorüber und machte die Kulisse noch schöner.

Hinter der Fassade des Hotels hatte sich ein kleiner Tross treuer Angestellter mit Marie Schäfer auf den Weg gemacht, um einen Blick in die Präsidentensuite zu werfen, die Frau Hansson, ihre frühere Kollegin, beziehen würde.

»Gudrun will sich ja nur mal ihr neues Haus angucken«, sagte Marie und öffnete die Tür zur Suite.

»Und wohnt natürlich im schönsten Zimmer des Hauses«, kommentierte Doris Barth, die Rezeptionistin, die für diesen kleinen Rundgang ihren Posten schnell mal verlassen hatte.

»Gehört jetzt alles ihr«, sagte Marie.

»Ich muss immer an früher denken, als sie noch die Stade war«, sagte Schmollke, der Portier, der mit Cut und Zylinder und seinen blitzeblanken Schnürschuhen eigentlich woanders stehen sollte als hier in der Präsidentensuite.

»Wie wir unter ihr gelitten haben, als sie den Schreibpool leitete«, erinnerte sich Vera Klingenberg, Ronaldo Schäfers Sekretärin. »Aber sie tut mir trotzdem Leid.«

Marie setzte eine skeptische Miene auf. »Auf der Beerdigung hat sie keine Träne geweint. Sagt Ronaldo.«

»Na ... wenn sich der Kummer der Welt immer in Tränen messen ließe«, sagte Schmolli mit der ganzen großen Weisheit eines Hotelportiers.

Der unten vor dem Hotel gerade vermisst wurde. Ronaldo Schäfer war mit seinem Volvo vorgefahren, die Damen waren ausgestiegen, und Gudrun Hansson schaute an der Hotelfassade hoch. Iris Sandberg registrierte sofort, dass kein Portier da stand und auch kein Gepäckjunge. Sie öffnete die Heckklappe des Wagens, und so war es Ronaldo, der die Koffer herauswuchtete, während sie im Hotel verschwand, um kurz darauf mit zwei Pagen zurückzukommen.

»Ich habe Hilfe geholt.« Sie blickte Ronaldo herausfordernd an. »Oder macht der Hoteldirektor hier alles alleine?«

»Nein. Hier macht der Hoteldirektor nicht alles alleine«, erwiderte Ronaldo leicht gereizt. Er sah den Größeren und Dunkleren der beiden Pagen an. »Luc, das Gepäck kommt in die Präsidentensuite.« Luc grüßte und lächelte gewinnend.

»Das ist Luc Atalay. Unser erster Page«, sagte Ronaldo.

Gudrun Hansson nickte freundlich. Luc gefiel ihr.

»Wollen wir dann?«, fragte Ronaldo. Er ging voran, und die Damen folgten ihm in die Halle, die voller Gäste war.

»Oh! Wie modern!«, rief die Hansson.

»Ihr Mann wollte ein Hotel für das 21. Jahrhundert.«

»Und was hat er davon gehabt? Nichts.«

»Ja, das ist sehr traurig«, sagte Ronaldo. »Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen alles. Oder wollen Sie erst auf Ihr Zimmer?«

»Nein«, sagte die Hansson, »ich bin viel zu neugierig.«

»Ich würde gern auf mein Zimmer«, meldete sich Iris Sandberg.

»Ihres grenzt gleich an Frau Hanssons Suite, wenn Sie bitte an die Rezeption gehen.« Ronaldo war ein Profi, und das Lächeln, das er in den besten Häusern der Welt gelernt hatte, konnte er einschalten wie eine Lampe, wenn es darum ging, Widrigkeiten wegzulächeln.

Es war das Business-Center, das Ronaldo als Erstes ansteuerte. »Meine Idee war es, das Direktionsbüro und den Schreibpool zusammenzulegen, zu einem Servicebereich, der auch den Gästen zur Verfügung steht«, erklärte er und öffnete eine Tür. »Hier in meinem Direktionsbüro arbeiten Vera Klingenberg und ...« Er war zu verblüfft, um auch noch Alexa Hofer zu sagen, denn die verpasste gerade einem beigefarbenen Herrn, der ganz nach Verwaltung aussah, eine heftige Ohrfeige, als habe sie nichts anderes für den Augenblick geplant, in dem ihr Chef und die Konzernchefin ihre Nasen zur Tür hereinsteckten.

»Frau Hofer leitet das Business-Center«, sagte Ronaldo und funkelte den Beigefarbenen an, der eiligst verschwand.

»Immer dieses Gegrapsche«, murmelte Alexa Hofer und stand dort herb und blond und mit hochgezogenen Augenbrauen. Gudrun Hansson sah sie kühl an. Alexa Hofer ließ die Situation völlig gleichgültig. »Sind Sie jetzt da, Herr Schäfer? Keine Ahnung, wo Frau Klingenberg wieder steckt. Da sind mindestens ein halbes Dutzend Anrufe für Sie eingegangen.«

»Legen Sie mir die Zettel auf den Tisch«, antwortete Ronaldo knapp und wandte sich der Hansson zu. »Da ist mein Büro«, sagte er und zeigte nach links. »Und da drüben ist unser Schreibpool.«

Der Schreibpool war schon zu Zeiten des ersten Hansson Hotels ein Ort für Heiterkeit und Ausgelassenheit gewesen, wenn es bei den wechselnden Besetzungen des Pools auch immer wieder Krisen gegeben hatte und Grund zu kleinen und großen Traurigkeiten. Elfie Gerdes hatte stets den Amaretto hinter den Aktenordnern hervor geholt, wenn es etwas zu lachen oder zu weinen gab. Nicole Bast hatte alles mit demselben Eifer verfolgt, Karriere, Hochzeit, das Leben. Für Marie Schäfer hatte ein neues Leben im Schreibpool des Hansson seinen Anfang genommen, da war sie noch Marie Malek gewesen und gerade aus Hitzacker gekommen, der kleinsten Stadt Norddeutschlands.

Die beiden, die jetzt an den Computertischen saßen, hätten gegensätzlicher nicht sein können. Wer Nicole gekannt hatte, fühlte sich an sie erinnert, wenn er Sandy Busch ansah. Auch Sandy schien sich alles nehmen zu wollen vom Leben: Das lauteste Lachen. Die kürzesten Röcke. Das ganze Glück.

Und das lag gerade vor ihr, auf einer Doppelseite der Vogue und bot seinen nackten Hintern dar. Sandy und ihre Kollegin Katrin Hollinger beugten sich über das Hochglanzbild von Robbie Williams, der da die Jeans herunterließ.

»Er ist einfach geil, oder?« Sandy fuhr mit dem Finger die Kurven des Rockstars entlang. Katrin, die auszusehen versuchte, als gehöre sie dem Landadel an, adrett, wohlgenährt und in robustes Tuch gekleidet, schob sich ein Stück Schokolade in den Mund.

»Ich weiß nicht«, sagte sie, »ziemlich ordinär.«

Sandy drückte sich an ihr vorbei, um den CD-Spieler gerade noch rechtzeitig für die nächste Nummer laut zu drehen.

»Son of a preacher man«. Sie liebte Dusty Springfield.

Ronaldo Schäfer schätzte die Springfield auch und ganz besonders dieses Lied. Dennoch wäre ihm beinahe der Kragen geplatzt, als er die Tür zum Schreibpool aufstieß, den er Gudrun Hansson als Hort effektiver Arbeit hatte vorführen wollen.

»Kann mir gar nicht ordinär genug sein bei dem Knackarsch«, wehte Sandys Kommentar zu ihm und der Hansson hinüber.

»Dürfen wir stören?«, fragte Ronaldo. Erschreckt sahen die beiden jungen Frauen auf.

Katrin sprang zum CD-Spieler und kriegte den Regler zu fassen. Ronaldo blickte zu Gudrun Hansson und war erleichtert, als er ein kleines Grinsen wahrnahm. Wohl war ihm dennoch nicht zumute. Wer wusste, was ihnen noch blühte, in der Küche, im Keller oder in der Wäschekammer?

Marie hatte Gudrun und Ronaldo auf der Terrasse des Restaurants vorgefunden. Sie hatte ihre alte Freundin umarmt und keines der Beileidsworte bemüht, die Gudrun Hansson in den letzten Wochen zur Genüge gehört hatte. Doch auf Maries Vorschlag hin waren sie zur Elbe gefahren, dorthin, wo hinter dem breiten weißen Sandstrand die großen Schiffe vorbeiglitten, den Docks entgegen.

»Es tut mir Leid, dass ich nicht zu Bills Beerdigung kommen konnte«, sagte Marie, »aber Vivien hatte fast vierzig Fieber.«

»Du hast einen sehr lieben Brief geschrieben«, antwortete Gudrun.

Marie nickte und strahlte schon wieder. »Ich liebe die Kleine über alles«, sagte sie, »es ist ein solches Glück, ein Kind zu haben. Das hilft über jede Klippe hinweg.« Sie merkte zu spät, dass das kaum taktvoll gewesen war. Sie strich über Gudruns Arm. »Ich bin ein Trampel, entschuldige bitte.«

Gudrun Hansson hatte ihr gar nicht richtig zugehört. Sie sah gedankenverloren über den Fluss. »Ich wollte mich doch nicht mehr einlassen auf die Liebe«, sagte sie, »und dann damals, nachdem ich krank gewesen war, steht dieser Bill Hansson vor mir, den Arm voller Blumen. Ich konnte gar nicht anders als ihn heiraten. Und kaum glaub ich an das Glück, sitzt er tot im Sessel. Plötzlich im schönsten Leben.«

»Das Glück ist es, das du ganz festhalten musst in deiner Erinnerung«, versuchte Marie sie zu trösten, »denk immer daran, was für eine wunderbare Zeit ihr zusammen hattet.«

Gudrun lächelte. »Bill hatte die Unart, die Türen zu knallen. Wie oft habe ich ihn gebeten, sie leise zu schließen, und Bill spottete nur: ›Gudrun, eines Tages wirst du dich nochmal danach sehnen, dass ich die Türen knalle.‹ Als ich nach der Beerdigung allein war im großen Haus, da bin ich von Tür zu Tür gegangen und habe jede Klinke gestreichelt. Bill, hab ich geflüstert, knall noch einmal die Tür, ein einziges Mal.«

Gudrun Hansson legte den Kopf in den Nacken und ließ die Tränen laufen und lachte dabei.

»Ich dusselige Kuh.« Sie wischte die Tränen ab, und Marie nahm sie fest in ihre Arme.

Als Ronaldo abends nach Hause kam, hatte er die Arme voller Einkaufstüten. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als der Tür einen Tritt zu geben, und sie mit einem Knall zufallen zu lassen. Er bahnte sich seinen Weg über Kinderspielzeug in die Küche hinein, in der mit großem Aufwand gebacken worden war. Heike schien der Meinung zu sein, dass das Glück eines Kindes im Chaos läge.

Seine Tochter war erst zwei Tage da, doch sie fing schon an, ihm auf die Nerven zu gehen. Sie nahm das Haus in Besitz und tat, als stünde ein Heer von Dienstmädchen bereit, hinter ihr herzuräumen. Gleichzeitig mäkelte sie an allem herum, was er und Marie für Vivien für gut befunden hatten. Kein Spielzeug, kein Essen und kein Kleidungsstück war ihr recht. Hörte man Heike zu, war ihre Tochter ein blasses Kind, das schmuddelige Schlafanzüge trug und zu wenig Vitamine in seinem Saft bekam.

Er fand Heike und Vivien im Garten auf einer Decke, die Kleine den Kopfhörer des Walkmans am Ohr, die Große das Handy. »Klar, dass Marie tot umfällt, wenn ich ihr reinen Wein einschenke«, sagte Heike gerade, als sie Ronaldo über den Rasen kommen sah. Er war noch nicht nah genug, um sie zu hören. Doch er registrierte, wie sie hastig ausschaltete.

»Mädels, wenn ihr spielt und backt, wie wäre es mal mit Aufräumen?«, fragte Ronaldo.

»Wenn in dieser trüben Stadt die Sonne mal scheint, wollen wir sie auch ausnutzen. Frische Luft tut meiner Tochter gut«, antwortete Heike und legte den Arm um Vivien.

»Mach mal Ordnung. Wenn Marie kommt, ich bin joggen.«

»Tu mir einen Gefallen und behandele mich nicht wie ein Kleinkind«, blaffte Heike, »so wie deine Marie es gerne tut. Wirst der sowieso immer ähnlicher.« Ronaldo schwieg. Erst mal loslaufen, um den Tag für sich zu ordnen. Eine hitzige Diskussion mit Heike war alles, was ihm noch fehlte.

Er hatte seinen Ärger weitgehend ausgeschwitzt, als er zurückkam und Marie mit einem Kochlöffel in der Hand am Telefon vorfand. »Nein, ich bin nicht enttäuscht, dass du es bist, Papa«, hörte er seine Frau sagen, »ich warte nur so dringend auf einen Anruf von Ilka. Die wollte doch gestern kommen und ist einfach verschütt gegangen. Dafür ist Heike gekommen.«

Ronaldo küsste seine Frau in den Nacken. »Ich geh baden«, flüsterte er. Marie nickte und lächelte ihm zu.

»Das Nudelwasser kocht über, Papa. Eine tolle Reise und gute Erholung und passt auf euch auf Klar, ich komme mal raus und gucke nach dem Haus. Grüß Mamilein.«

Ronaldo stand nackt neben der Wanne, in der das Wasser noch einlief, als Marie ins Bad kam. Sie gab ihm einen kleinen Kuss auf die Schulter und ließ ihren Blick begehrlich über seinen Körper wandern.

»Mir ist nach gar nichts«, sagte Ronaldo, »nur nach Ruhe.«

»Ich hab dich heut im Hotel ja kaum zu Gesicht gekriegt.«

Ronaldo griff nach seinem Bademantel und zog ihn über.

»Da bahnt sich was an«, unkte er düster, »diese Referentin, mit der die Hansson angereist ist. Eine Deutsche, die seit Jahren in Stockholm lebt. Weiß nicht, wo sie die hergezaubert hat, aber die steckt wahrscheinlich ihre Nase in alles.«

»Bei mir hat sie sich noch nicht vorgestellt«, sagte Marie.

»Kommt noch. Heute hat diese Frau Sandberg bei Begemann gesessen und sich die Personalakten angesehen. Sie soll das Hotel durchforsten. In Gudrun Hanssons Auftrag.«

Marie schüttelte den Kopf. »Komm doch erst mal her«, summte sie und fing an, ihn zu streicheln. Ronaldo nickte stumm und ließ sich von ihr aus dem Badezimmer ziehen.

Keiner von ihnen sagte herein, als es an der Tür klopfte, doch sie öffnete sich, ehe Marie und Ronaldo reagieren konnten. »Sony«, sagte Heike. Ronaldo zog rasch den Gürtel des Bademantels zu. »Ist schon okay«, antwortete er.

Heike schloss die Tür hinter sich und sah sie ernst an.

»Es gibt einen Grund, warum ich wiedergekommen bin.« Sie machte eine Pause. »Ich fahre nicht zurück nach Neuseeland.«

»Du bleibst in Hamburg?«, fragte Ronaldo.

Heike knetete ihre Finger. »In Deutschland«, sagte sie.

Marie hatte Mühe, durchzuatmen. Sie ahnte das Unheil.

»Ich habe einen neuen Freund. Raffael. Er ist Lehrer in Berlin, und ich liebe ihn«, sagte Heike hastig.

»Aber das ist doch schön, Kind.«

»Ich ziehe zu ihm, und Vivien nehme ich mit.«

Marie suchte nach Ronaldos Hand und griff danach. Ronaldo starrte in den Raum.

»Es tut mir Leid für euch. Aber ich will mein Leben neu ordnen.«

Ronaldo sah seine Tochter an und sprang auf. »Scheiße. Scheiße. Scheiße«, rief er und rannte ins Badezimmer, um den Wasserhahn zuzudrehen.

Es war schon späte Nacht, als Marie noch immer auf der Terrasse saß. Die Überschwemmung im Bad war beseitigt. Die anderen lagen längst im Bett. Sie goss sich den letzten Schluck aus der Flasche Rotwein ein, die sie fast allein getrunken hatte, und spülte eine kleine weiße Tablette damit hinunter. Sie nahm das Handy, das auf dem Tisch lag, drückte eine lange Nummer und wartete.

»Ilka, hier ist nochmal Marie. Ich mach mir furchtbare Sorgen. Was ist los? Das ist mein hundertster Anruf, Mensch. Melde dich endlich! Ilka, ich brauch dich. Es ist etwas passiert.«

Einen Moment noch hielt sie das Telefon fast zärtlich am Ohr, dann stand sie auf und ging ins Haus.

Vivien lag in ihrem Bett und schlief fest, die große Muschel in greifbarer Nähe neben dem Bären. Marie blieb am Bett stehen und betrachtete das Kind. »Hab keine Angst. Mima passt auf dich auf«, flüsterte sie. Sie griff nach der Spieluhr, die über Viviens Bett hing. Drückte den dicken Stern, als wolle sie sich seine Komplizenschaft sichern. Ein ganz kleines Stück Schnur zog sie heraus. Und der Stern gab zwei, drei Klänge von »You are my lucky star« von sich.

Dr. Begemann kam als Letzter in den Konferenzraum, in dem sich schon die komplette Hotelleitung samt den Kolleginnen aus dem Business-Center versammelt hatte. Er stürzte auf Gudrun Hansson zu und streckte ihr die Hand entgegen.

»Bitte um Verzeihung, dass ich in letzter Minute komme. Aber ich habe die halbe Nacht gearbeitet. Frau Hansson, mein tief empfundenes Beileid.« Gudrun nahm die Hand zögernd. Der alte Wendehals war ihr noch nie sympathisch gewesen.

»Ich denke, wir fangen an«, antwortete Ronaldo Schäfer.

»Wo ist Marie?«, fragte Gudrun.

»Sie kommt sicher gleich«, antwortete Ronaldo.

»Ich habe das Gefühl, dass hier im Haus die Zügel straffer angezogen werden müssen«, verkündete Gudrun gut hörbar.

»Wir sind aber doch keine Reitpferde«, sagte Ronaldo.

Marie trat ein und ging auf den freien Platz neben Gudrun zu. Sie bemerkte gar nicht, dass gleich hinter ihr noch jemand eingetreten war, der auch dorthin wollte. »Guten Morgen«, flüsterte sie leise Gudrun zu. – »Wollen Sie hier sitzen?«, hörte sie eine Stimme hinter sich. Sie drehte sich um, und vor ihr stand eine Frau, die sie eine kleine Sekunde lang an Ilka erinnerte. »Weil ich hier eigentlich schon sitze«, sagte Iris Sandberg.

»Wir kennen uns noch nicht. Ich bin Marie Schäfer.«

»Ich bin Iris Sandberg, Frau Hanssons Referentin.«

»Freut mich«, sagte Marie, fest entschlossen, sich auf keinen spitzen Ton einzulassen. Sie machte eine kleine Handbewegung, mit der sie der Sandberg den Platz anbot.

Doch die schüttelte den Kopf. »Lassen Sie nur. Ich bin geübt im Platzräumen«, sagte sie und ging zu Begemann.

»Habe alles beisammen, Frau Sandberg«, beeilte der sich, sie zu informieren.

»Nun aber«, begann Ronaldo. »Ich begrüße sehr herzlich Frau Hansson und ihre Assistentin Frau Sandberg, die für ein paar Tage nach Hamburg gekommen sind.«

In das allgemeine Klopfen hinein klingelte Maries Handy.

»Entschuldigung«, sagte Marie und stand auf »Warte, mein Schatz. Ja, Mima hört zu. Windpocken? Oh weh.«

Ronaldo sah ihr nicht sehr freundlich nach, als sie den Konferenzraum eilig verließ.

»Das ist mir übrigens peinlich, wenn du privat in einer Konferenz telefonierst«, sagte Ronaldo und stoppte den Volvo gerade noch an einer sehr gelben Ampel. »Du hast doch mitgekriegt, wie die Hansson drauf ist.«

»Nein«, erwiderte Marie und sah durch die Windschutzscheibe eine Frau mit zwei kleinen Mädchen an jeder Hand über die Straße gehen. Das eine hatte Ähnlichkeit mit Vivien.

»Begeistert ist sie nicht von unserem Hotel«, sagte Ronaldo. »Sie hat es mir nach der Konferenz gesagt. ›Herr Schäfer, ich bin nicht davon überzeugt, dass wir dieses neue Haus in Hamburg unbedingt brauchen‹.« Er fuhr wieder an.

»Der Gedanke kommt aber ein bisschen spät«, fand Marie, »was soll das überhaupt heißen?«

»Dass wir uns alle sehr anstrengen müssen, um sie vom Gegenteil zu überzeugen.«

»Soll ich mal mit Gudrun reden?«

»Misch dich da nicht ein.« Ronaldo blickte kurz zu ihr hinüber. »Hier geht es um Fakten und Zahlen, nicht um persönliche Stimmungen.«

»Dass Männer einfach nicht begreifen können, wie sehr es bei Entscheidungen auch immer um persönliche Stimmungen geht.«

»Du lässt es trotzdem«, beschied Ronaldo sie knapp. »Ich bin der Direktor. Du bist Gästemanagerin.« Er bog in ihre Straße ein.

»Das brockt uns doch alles die Sandberg ein«, sagte Marie.

»Jedenfalls hat die Biss. Und blöd ist sie nicht.«

Marie stieg aus und warf einen Blick zum Haus. »Das hat sich gestern aber noch anders angehört bei dir.«

Ein aufgeräumtes Haus, in das sie da kamen. Der Tisch in der Küche war für vier gedeckt. Vivien hatte Holzstückchen als Tischkarten auf die Sets gelegt und ohne orthographische Zwänge beschrieben. Im Ofen garte ein Gratin, das grandios roch. Für Ronaldo lag Versöhnung in der Luft, anders konnte er Heikes Vorbereitungen kaum deuten.

Marie war als Erstes in die Gästewohnung gegangen, wo sie das Kind vermutete, doch das Zimmer war leer. Sie wollte gerade nach oben gehen, als sie Bewegung im Garten wahrnahm. Sie ging ans Fenster und sah Vivien, die wild schaukelte. Heike stand nicht weit von ihr und telefonierte.

Vivien jubelte. Hoch und höher die Schaukel. Laut und lauter der Jubel. Ganz weit oben war das Kind. Und dann flog es. Flog in den Himmel und fiel auf die Erde. Lautlos ging alles. Ohne einen Schrei. Den tat Marie, und sie hetzte die Treppe hoch und in den Garten, und da war Heike schon dabei, das Kind in ihren Schoß zu betten, und Ronaldo kam gerannt.

»Lass sie doch liegen«, rief Marie, »wenn was gebrochen ist 1«

Sie kniete neben Vivien und befühlte besorgt Arme und Beine. Vivien schlug die Augen auf und versuchte ein Lächeln.

»Du hast nicht aufgepasst«, zischte Marie Heike an.

»Ich habe aufgepasst«, sagte Heike.

Ronaldo streichelte das Kind. »Mach eine Faust«, sagte er. »Dreh mal deine Füßchen«, sagte Marie. Vivien kicherte und machte eine Faust und drehte die Füße.

Und da tat Marie etwas Seltsames. Drückte Heike weg und zog das Kind zu sich auf den Schoß. Heike wusste nicht, wie ihr geschah. Sie sah Ronaldo an. Doch der reagierte nicht. Stand nur auf und sagte: »Ich hole einen Arzt.«

»Aber es ist doch gar nichts passiert«, rief Heike.

»Du hast keine Ahnung«, sagte Marie, und aus ihrer Stimme war alle Freundlichkeit gegangen.

Ein paar Prellungen, stellte der Arzt fest. Er ließ eine Salbe da und fuhr wieder davon.

»Ist vielleicht eine Altersfrage«, kommentierte Heike die Situation, »das Theater, das ihr veranstaltet.«

»Du bist unverschämt«, fuhr Ronaldo sie an, »kommst her und wirbelst unser Leben durcheinander und sprichst keinen Satz, in dem nicht das Wort ich vorkommt.«

Marie weinte. Aus lauter Wut und vor Erleichterung. Sie kehrte in das Kinderzimmer zurück, setzte sich an Viviens Bett und betrachtete das schlafende Kind eine Weile. Dann ging sie in die Küche.

Heike hatte angefangen, den Tisch abzuräumen, an dem keiner gegessen hatte. Ronaldo schenkte Wein ein und reichte Marie ein Glas. »Ihr glaubt, ich wäre gleichgültig«, sagte Heike plötzlich. »Das Gegenteil ist der Fall. Die Show, die ihr hier abzieht, um zu zeigen, was für tolle Ersatzeltern ihr seid, dieses Geglucke, das ist völlig kaputt und ungesund.«

Ronaldo nahm Anlauf, etwas Heftiges zu sagen. Doch Marie schüttelte nur leicht den Kopf.

»Das geht hier doch nur um euch«, setzte Heike ihre Vorwürfe fort, »weil Vivien euch den unerfüllbaren Kinderwunsch gestillt hat.«

»Jetzt reicht es«, unterbrach Ronaldo sie. »Wir haben dir fünf Jahre lang dein Kind versorgt, und es ist ihm immer gut gegangen, auch wenn es manchmal nicht ganz leicht war, wo wir beide noch einen Beruf haben.«

»Das habe ich heute gesehen. Wo wart ihr denn, als es hieß, der Kindergarten bleibt dicht wegen Windpocken? In einer Konferenz, in eurem sinnentleerten Karrierestreben.«

»Wo warst du denn, als sie ihre ersten Zähne gekriegt hat? Vierzig Grad Fieber gehabt hat? Albträume?«, fragte Marie.

»In Neuseeland hast du gesessen, nicht an ihrem Bett, deinen Forschungen bist du nachgegangen oder anderen Hobbys.«

»Das ist kein Hobby«, fauchte Heike.

»Vivien liebt uns«, sagte Marie. »Das hier ist ihr Zuhause, und das bleibt so. Verstanden?«

Heike schüttelte den Kopf. Langsam und deutlich.

Marie fasste ihr Glas so fest, das es fast zersprang. »Das Kind kriegst du nicht«, sagte sie und rauschte aus der Küche.

Ein Flügel des großen Fensters stand offen. Marie betrachtete den großen Baum und hörte die Vögel darin singen.

»Das ist eine traurige Geschichte«, sagte Dr. König.

Marie wandte sich wieder dem Anwalt zu, der hinter einem großen alten Schreibtisch saß.

»Als es dann vor zwei Tagen zum Eklat kam, habe ich mit Frau Gerdes gesprochen. Die hat Sie mir empfohlen.«

»Unsere Frau Gerdes«, sagte er. »Die meldet sich auch nicht mehr. Hat sich ja auch alles zu vollster Zufriedenheit erledigt bei ihr.«

»Ich will, dass Vivien bleibt.«

König beugte sich vor. »Ihnen oder dem Kind zuliebe?«, fragte er.

»Ich will wissen, welche juristische Handhabe es gibt. Meine Stieftochter ist gar nicht in der Lage, sich angemessen um das Kind zu kümmern.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte der Anwalt.

»Mein Mann und ich haben ein ideales System entwickelt. Ich arbeite nur drei Tage. Wir haben einen tollen Kindergarten. Zwei Mädchen aus der Nachbarschaft, die sie einhüten. Viele Spielgefährten. Nirgends kann sie es so gut haben.«

»Aber Sie sind nicht die Mutter.«

»Eine leibliche Mutter ist nicht unbedingt die bessere Mutter.«

»Das tut mir Leid für Sie. Aber ein Kind gehört zur Mutter. Da ist juristisch nicht dran zu rütteln. Es sei denn, sie handelt grob fahrlässig, vernachlässigt das Kind.«

»Einmal im Jahr hat sie die Kleine besucht«, sagte Marie.

»Sie werden das Kind hergeben müssen.« Dr. König blieb unbeirrbar.

»Auf keinen Fall«, versetzte Marie und ließ ihren Blick wieder schweifen, aus dem Fenster und in den Baum.

Am nächsten Tag entlud sich Maries Anspannung während der Arbeit im Büro ihres Mannes. Die roten und weißen Karos auf der Rakete verschwammen ihr vor den Augen. Sie suchte Halt an Ronaldos Schreibtisch, er sprang auf, schob ihr einen Stuhl hin und lief ins Sekretariat, um ihr eine Tasse Tee zu holen. Maries Blick war nun klarer, und sie sah die gute alte Rakete, wie sie war. Ein Stück aus Ronaldos Sammlung von Objekten, die sich um Tim und Struppi drehten. Seine Lieblingshelden der Literatur.

Ronaldo reichte ihr den Keramikbecher, auf dem Vera stand, und sah sie besorgt an. »Denk doch nicht, dass es mir leicht fällt«, sagte er, »die Vorstellung, Vivien verlässt uns. Aber ist es nicht verständlich, wenn Heike ihr Leben auf neue Beine stellt, dass sie es mit ihrer Tochter tun will?«

»Deine wohl temperierte Art macht mich wahnsinnig.«

»Zum Anwalt gehen.« Ronaldo schüttelte den Kopf.

»Eine kleine zarte Pflanze, die ihre Wurzeln ausgebreitet hat, und zwar zu uns. Dieser Abschied wird traumatisch werden für Vivien. Ich weiß, was das heißt. Als mein Vater damals verschwand. Von heute auf morgen. Das habe ich bis heute nicht verwunden«, sagte Marie.

»Erich Harsefeld wurde dir der beste Vater, den man sich wünschen kann. Und wir bleiben Vivien doch.«

»Das kann nicht gut gehen. Heike hat keine Erfahrung als Mutter, und wer ist überhaupt dieser Raffael?«

»Nimm das Positive in den Blick«, mahnte Ronaldo sie, »das ist die einzige Chance, damit umzugehen.«

»Hältst du zu ihr? Oder zu mir?«, fragte Marie erregt. Sie stieß den Stuhl zurück und kam sich zum zweiten Mal an diesem Tag verraten vor. Der ganze Schmerz stieg hoch in ihr, den sie damals empfunden hatte, als Dr. Rilke sagte, dass es ihr nie möglich sein würde, ein Kind zur Welt zu bringen.